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Drachenengel (Buch 1)

{inspiriert von Breath Of Fire, Final Fantasy & Herr der Ringe}
von

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Dämonentempel (Teil 1)

*

Dunkelheit. Nur verschwommene Umrisse und getrübte Farben waren sichtbar. Chikará erkannte diesen Ort wieder, ja, es musste der Zellenkorridor in Ryuchengshi sein, sie erinnerte sich noch genau an ihn, jedoch waren die vielen Leichen und Körper von Untoten nicht mehr da. Stille herrschte, bis plötzlich leise, gleichmäßige Schritte zu hören waren, die vom Eingang aus kamen und sich mitten durch den großen Raumes bewegten, sie nährten sich und wurden damit immer lauter und deutlicher, wie die Schritte von Menschen klangen sie. Chikará sah, dass es sich um zwei Personen handelte, wahrscheinlich um Männer, beide trugen schwarze Kleidung, mehr konnte sie von ihnen nicht wahrnehmen in der Finsternis. Sie gingen im Gleichschritt nebeneinander her, ihr Ziel war die große Zelle am Ende des Korridors, jene, in der einst Yiwèn gefangen gewesen war, jene, die bei Chikarás letzten Besuch noch leer gewesen war. Jetzt jedoch befand sich in ihr ein Wesen, dessen großer Schatten an der Zellenwand zu erblicken war. Sollte es etwa Yiwèn sein? Chikará wusste es nicht, sie hatte ihn niemals in seiner lebendigen Drachenform gesehen, vielleicht war er es, vielleicht auch nicht?

"Was wollt ihr hier?", sagte eine tiefe und mächtige Stimme, es war wohl jene des eingesperrten Wesens.

"Du bist immer noch hier?", fragte eine andere Stimme, sie gehörte wahrscheinlich zu einer der beiden Personen.

"Weißt du etwas von Hanryo?", wollte die andere der beiden Personen wissen und führte so den Dialog fort.

Chikará erschrak, woher kannte er nur Hanryo? Wer sollten diese zwei menschenähnlichen Schatten überhaupt sein? Die Dunkelheit ließ nur wenige, hauptsächlich akustische Information über diese merkwürdigen Gestalten zu Chikará gelangen, mit denen sie nahezu nichts über sie erfahren konnte.

"Ja", antwortete nun das Wesen in der Zelle. "Er war etliche Male hier bei mir."

"Alleine?"

"Ja."

"Er suchte sie doch, hatte er sie bereits gefunden?"

Sie? Chikará kam sofort der Gedanke, dass sie selbst vielleicht damit gemeint gewesen sein könnte. Sie wussten auch von ihr?

"Nein."

"Gut", entgegnete eine der Personen, dann drehten sich beide um und gingen langsam fort.

"Halt, wartet!"

Sie blieben stehen und drehten sich nochmals zur Zelle hin um.

"Was ist?"

"Befreit mich doch bitte, ich bin seit schon seit so langer Zeit hier unten gefangen, bitte!", flehte die eingesperrte Kreatur.

"Du willst also die Freiheit?"

"Ja, ich sehne mich so sehr nach ihr, bitte helft mir!"

"Gut, dann sollst du frei sein." Eine der Personen streckte ihren rechten Arm in Richtung der Zelle hin aus und öffnete langsam ihre zusammengeballte Faust. Genau in jenem Moment, in dem ihre Finger vollständig ausgestreckt waren und ihre leere Handfläche gegenüber der Zelle war, brachen die stabilen Gitterstäbe mit einem lauten Knall auf. Die Durchbruchstellen gaben ein wenig grauen Rauch ab, das entstandene Loch im Gitter war groß genug, dass das eingesperrte Wesen aus seinem Gefängnis entfliehen konnte. "Danke", hauchte es erleichtert und schritt ungläubig, fast wie in Trance, durch die Öffnung.

"Deine Freiheit hat jedoch ihren Preis", sagte auf einmal eine der beiden Personen, es war wohl diejenige, die gerade das Wesen befreit hatte. "Du gehörst nicht zu uns, du bist unser Feind und somit eine Bedrohung für uns, die wir beseitigen müssen. Hiranyaksha, mache ihn zu einem deiner Rasse, so er nicht mehr uns, sondern nur noch unseren Feinden gefährlich werden kann."

Die andere Person holte einen langen Stab hervor, wahrscheinlich war es ein Schwert, und stürmte auf das Wesen aus der Zelle zu, welches durch den plötzlichen Angriff völlig überrascht war und ihn somit nicht mehr rechtzeitig abwehren konnte. Der Angreifer rammte kaltblütig und zielgerichtet seine Waffe tief in den Körper jener Kreatur. Erst mit dem Schnitt der scharfen Klinge durch ihre Haut und mit dem darauffolgenden stechenden Schmerz realisierte sie die Attacke, doch zu diesem Zeitpunkt war alles schon längst zu spät. Sobald die Waffe mit einem schnellen Ruck wieder zurück aus in dem Körper des Wesens gezogen wurde, fiel es sogleich um, atmete noch einige Male schwer ein und aus, dann regte es sich nicht mehr. Die beiden Personen drehten sich um und gingen weg.

*
 

Chikará wachte auf. Nachdem Hanryo und sie aus Ryuchengshi zurückgekommen waren, hatte sie sich kurz gewaschen, ein wenig gegessen und sich anschließend ins Bett gelegt, mittlerweile hatte sie fast einen ganzen Tag lang geschlafen. Sie lag in ihrem weichen Bett und öffnete langsam ihre Augen, die hellen Sonnenstrahlen, die die Glasscheibe des Fensters durchdrangen, blendeten sie. Grelles weißes Licht, genau das Gegenteil zu dem, was in den Katakomben herrschte, die Erinnerungen an diesen vergessenen Ort waren dunkel, die Bilder der Vergänglichkeit und des Todes konnte sie noch deutlich vor ihrem geistigen Auge sehen. Leben und Tod lagen in dieser Welt nahe beieinander und die Grenze zwischen ihnen konnte manchmal zu leicht gebrochen werden. Untote wurden geboren, neugeboren oder wiederauferweckt von den Toten? Eigentlich war so etwas unvorstellbar, aber wie sie nun wusste, gab es Orte auf dieser Welt, wo auch Tote weiterlebten, aber um welchen grausamen Preis? Im Vergleich zu ihrem Leben wäre selbst der Tod angenehmer gewesen, dachte sie sich. Aber wie Hanryo gesagt hatte, Mitleid macht nur schwach und behindert, sie erkannte erneut, dass er damit wohl recht hatte, auch wenn dieser Satz gefühllos klingt, in ihm steckt viel Wahres. Nicht umdrehen, nur geradeaus schauen, dann scheint der Weg nicht so lang, wie er eigentlich ist. Also, was wäre das nächste Ziel dieser Reise? Chikará war gespannt auf ihr nächstes gemeinsames Abenteuer, welche unglaublichen Phänomene würden ihnen noch bevorstehen? Einerseits war da diese Mischung aus Neugier, Ehrgeiz und Mut, die sie antrieb, andererseits eine gewisse Angst vor der Wahrheit, der Wahrheit über ihr Leben, die Antworten auf die schier unlösbaren Fragen ihrer Existenz, die Schmerzen der Vergangenheit, die verschollen waren tief in ihrer Seele.

Es klopfte an der Zimmertüre.

"Ich bin wach, du kannst hereinkommen", entgegnete Chikará wissend, dass es sich wohl um Hanryo handeln musste.

Er öffnete die Türe und trat ein, sie lächelte ihn müde an.

"Hast du gut geschlafen?", fragte er.

"Ja, das Bett ist viel besser zum Schlafen als der Schlafsack."

"Du hast achtzehn Stunden lang tief und fest geschlafen."

"Ich bin halt faul, und nach den gestrigen Ereignissen musste ich mich unbedingt etwas erholen."

Hanryo grinste flüchtig und setzte sich neben ihr auf die Bettkante. Chikará fiel dabei auf, dass er scheinbar keine Verletzungen oder Brüche mehr an Armen oder Beinen hatte, auch seine Schnittwunden am Kopf schienen bereits wieder verheilt zu sein. Er hatte ihr irgendwann einmal erzählt, dass Verletzungen bei Drachen viel schneller heilen als bei Menschen, aber dass der Heilungsprozess nur so wenig Zeit in Anspruch nehmen würde, damit hatte sie nicht gerechnet. Etwas müde und verschlafen betrachtete sie Hanryo. "Es sieht so aus, als wärst du wieder fit."

"Das waren doch nur ein paar Kratzer", sprach er schmunzelnd.

"Gestern reichten die aber noch dafür aus, dass du nicht ohne Hilfe gehen konntest."

"Wie du richtig erkannt hast, gestern war das so. Wie sieht es denn mit dir aus, bist du auch wieder in Ordnung?"

"Ja," antwortete sie gähnend. "Was ist für heute geplant?"

"Noch haben wir nichts vor."

"Ich brauche doch noch einen Kampfanzug, meine normale Kleidung ist, wie ich gestern gemerkt habe, nicht wirklich für unsere Abenteuer geeignet."

"Wir können uns gleich mal darum kümmern."

"War das eigentlich ernstgemeint, dass du nähen und schneidern kannst?"

"Natürlich, ich werde dir den besten Kampfanzug der Welt machen."

Sie lächelte. "Ich bin gespannt."
 

Eine halbe Stunde später begann im Wohnzimmer das große Unterfangen. Hanryo holte Unmengen von verschiedenen Stoffen und Fäden aus seinen Schränken und legte sie auf den Tisch, während Chikará bereits mit Papier und Bleistift anfing, erste Entwurfsskizzen zu zeichnen, um ihren Gedanken Ausdruck zu verleihen. Eine kleine Nähmaschine sollte die Visionen wahrmachen, als Ideenquelle dienten die Erfahrungen und die Vorstellungsgabe der beiden. Chikará war inspiriert von der Kleidung von Vagabunden und Überlebenskünstlern aus den Slums, an die sie sich noch erinnern konnte, und in denen sie damals Vorbilder gesehen hatte. Dunkle Stoffe, teils mit kleinflächigen, herausstechenden Farbmustern oder Symbolen an einigen Stellen, Plastik, Jeans und Polyester als Grundmaterial, eventuell auch Leder, schmal zusammengeschnitten, aber nicht zu offenherzig und trotzdem bequem. Hanryo blieb eher realistisch und nahm als Ideal die Kampfanzüge von Söldnern und Kriegern, solche Modelle kannte er gut und wusste aus seiner Zeit als Soldat, dass sie wohl am besten geeignet waren als Kleidung für solche Abenteuer und Reisen, wie sie den beiden noch bevorstanden. Baumwollstoffe in dunklen, grauen oder tarnenden Farbkombinationen, weit an Beinen und Armen für Bewegungsfreiheit, viele Taschen für kleine Utensilien, elegant und robust zugleich. Eigentlich zwei völlig unterschiede Ansätze, aber man konnte sich ohne Probleme einigen, Hanryo schaffte es, durch gute Argumente viele von Chikarás utopischen Vorstellungen zu zerstören, und sie damit von seinen eigenen Vorschlägen zu überzeugen. Sie hatte in der Zwischenzeit auch immer mehr verstanden, dass es richtig war, auf ihn zu hören, da er wirklich viel Ahnung, viel mehr Ahnung als sie vor allem, von der heutigen Welt und der Vergangenheit hatte. Seine Worte waren immer wahr, wenn er etwas nicht wusste, dann stand er dazu, anstatt zu lügen, deshalb hatte er sich für Chikará zu einem weisen Freund und Lehrer entwickelt. Aber dennoch hatte auch sie viel Einfluss auf den Schlussskizze ihres Kampfanzuges, da Hanryo niemals zuvor Kleidung für eine Frau geschneidert hatte und somit bei einigen Teilen etwas ratlos gewesen wäre ohne ihre Hilfe. Als der gezeichnete Entwurf entgültig fertig, begaben sie sich mit Nähmaschine, Nadeln, Scheren, Fäden, Stoffen und einigen Kleidungsstücken der beiden, die noch Verwendung fanden, an die anspruchvolle Aufgabe. Eigentlich übernahm Hanryo den größten Teil der Arbeit, Chikarás schneiderische Fähigkeiten reichten gerade mal zum Flicken von kleinen Rissen oder Löchern aus, daher beschränkte sich ihre Hilfe auf einen wachenden und aufmerksamen Blick. Sie fand es interessant und war verwundert, wie leicht das alles doch eigentlich war, wenn man wusste, wie es zu machen war.
 

Nach ungefähr fünf Stunden war der Kampfanzug fertig. Er bestand aus einer Hose, einem Oberteil, einem Mantel, einem Paar Turnschuhe und einigen kleineren Zusatzkleidungsstücken, die das Gesamtwerk ergänzten.

Die Hose war ursprünglich eine dünne, weiße Baumwollhose eines alten Kampfsportanzuges von Hanryo, da Chikarás Beine zu dünn waren für die weite Hose, wurde sie zunächst um ein Drittel enger gemacht, an den Knien nähte Hanryo kleine, unauffällige Polster ein. Eine dunkelgraue Polyesterschicht wurde auf die Außenseite der gesamten Hose angenäht, so dass die robuster und wasserabweisend wurde. An den Beinenden wurde sie schließlich noch etwas enger geschnitten, damit sie später nicht über die Schuhe bis zum Boden rutschen würde. Die vielen schwarzgrauen Nähfäden waren am Ende nahezu unsichtbar. Eine halbeingenähte, dunkelbraune Lederkordel sollte die Hose am Körper festhalten.
 

Das Oberteil war eine schwarze Polyesterweste von Chikará mit V-Kragen, die früher relativ weit war, Hanryo hatte auch sie etwas enger geschnitten, so passte sie besser und würde ihre Trägerin beim Kampf nicht behindern. An der Vorderseite nähte er kleine schwarze Knöpfe an, sie würden die Weste fester zusammen halten als der ursprüngliche Reisverschluss, den er zuvor entfernt hatte. Drei dünne, an der Rückseite eingenähte, dunkelbraune Ledergürtel, die um die Taille gingen und vorm Bauch zuzuschnallen waren, garantierten ebenfalls die Festigkeit und den Halt der Weste. Die Gürtelschnallen waren dunkelsilbern, glänzten aber nicht im Licht und gaben den sonst so monotonen Schwarz der Weste eine kleine, dezente Abwechslung.
 

Der Mantel war aus hellgrauer Baumwolle, es war dasselbe Modell, das Hanryo oft trug, jedoch war es für Chikará viel zu groß und berührte sogar den Boden, wenn sie es trug. Darum kürzte Hanryo ihn und nähte ihn ein wenig enger, in der linken Innenseite befestigte er zudem noch die Ummantelung eines kleinen Dolches, der im Notfall als kleine Geheimwaffe dienen würde. Wie bei der Weste, so hielt auch beim Mantel, ein Gürtel das Kleidungsstück an der Hüfte zusammen, der den normalen Knopfverschluss verstärkte.
 

Ein Paar schwarze Turnschuhe von Chikará wurde von innen mit Plastik verstärkt und damit wasserabweisend, die Baumwollschürriemen wurden durch stabilere, dunkle Nylonfäden ersetzt.
 

Vollendet wurde der Kampfanzug durch schwarze, leichtgepolsterte Ellebogenbandagen und schwarze Lederhandschuhe, von denen die Fingerteile abgeschnitten wurden, und die einen besseren Halt am Schwertgriff bewirken sollten, für ihre Wunde am Hals reichte ein normales, schwarzes Halstuch.
 

Als Chikará die gesamte Montur angezogen hatte, fühlte sie sich unerwartet wohl in ihr. Sie hatte eigentlich damit gerechnet, dass alles zu unbequem und eng wäre, aber nun tastete sie staunend ihre neue Kleidung ab, sichtlich begeistert und überrascht, denn alles passte ihr wie angegossen.
 

"Gefällt es dir?", fragte Hanryo, die Antwort eigentlich schon kennend, und hielt ihr einen kleinen Spiegel vor.

Lächelnd betrachtete sie ihr Spiegelbild, sie musterte mit ihrem Blick alle Stellen ihres Kampfanzuges ab und nahm unterschiedliche Posen ein, um sehen zu können, ob nicht irgendwo ein Loch oder Fehler wäre, aber aufgrund Hanryos gewissenhafter Arbeit fand sie nichts. "Nicht schlecht, wirklich nicht schlecht. Von so einem Outfit habe ich schon immer geträumt, wirklich. Feminine Kleider mag ich ja nicht, und daher war solche Kleidung für mich schon immer das Optimalste. Ich finde, ich sehe jetzt wie eine Endzeitkämpferin aus."

"Bist du das denn nicht auch?"

"Nein, nicht ganz, ich denke nicht, dass wir bereits die Endzeit der Welt erreicht haben. Das Einzige, was mich ein bisschen stört, ist das alles so einfarbig ist, so monoton, ich mag zwar Schwarz und das helle Grau des Mantels und das dunkle der Hose gefällt mir auch sehr, aber etwas mehr Farbe könnte schon noch dazu, denkst du nicht?"

"Kein Problem." Hanryo holte aus einem Schrank zahlreiche Aufnäher und zeigte sie Chikará, die sich ein paar von ihnen aussuchte. Sie zog den Kampfanzug wieder aus und wählte die Stellen aus, wo Hanryo ihr die bunten Zeichen und Symbole aufnähen sollte. Auf dem linken Oberarm des Mantels sollte hochkant die ,Flagge des Ostens', ein schwarzer Stern auf rotem Grund, und auf dem rechten Oberarm, ebenfalls hochkant, das Schriftzeichen für ,Schwertkampf' in weiß mit rechteckigem, schwarzem Hintergrund. Ungefähr in Brusthöhe, links auf der Vorderseite des Mantels wollte sie einen ,kleinen dunkelgrünen Drachen', und auf der Rückseite hochkant, groß in dunkelblau, die zwei Schriftzeichen für ,Jishu', obwohl sie eigentlich gar nicht genau wusste, wer diese Jishus überhaupt waren. Die Weste sollte am Rücken einen ,großen roten Drachen' bekommen, über dem groß das weiße Schriftzeichen für ,Drache' gedruckt war, und für vorne, auf die linke Brustseite der Weste, wählte sie einen hellgrauen Kreis, in dem die schwarzen Schriftzeichen waren, die für ,Soldat' stehen, aus. Um den unteren Teil des linken Hosenbeins, bis zum Knie im etwa, sollte sich ein dunkelgrüner Drache schlängeln und hochkant an der Außenseite des Oberschenkels am selben Hosenbein nähte Hanryo in hellblau das Schriftzeichen für ,Macht' auf.
 

Als alle Embleme aufgenäht waren, nannte Chikará ihren neuen Kampfanzug völlig begeistert ,perfekt', Hanryo fand zwar, dass er nun wie ein Clownsanzug aussehen würde, wegen der vielen bunten Schriftzeichen und Symbolen, aber solange es der Trägerin gefiel, akzeptierte er es so. Nachdem Chikará ihn erneut angezogen hatte, wollte sie ihn überhaupt nicht mehr ausziehen, so sehr gefiel er ihr. Sie bedankte sich vom ganzen Herzen bei ihrem Gefährten für dessen großartige Arbeit, sie selbst hätte solch ein Meisterwerk niemals alleine schneidern können. Als die vielen Nähwerkzeuge wieder aufgeräumt waren, aßen die beiden noch eine Hühnersuppe, und da es inzwischen bereits wieder Abend war, gingen sie sich danach schlafen legen, die lange Arbeit an Chikarás Anzug hatte sie sehr müde gemacht, zwar hatte sie sie nicht so sehr entkräftet wie ein Kampf, dennoch waren sie derart erschöpft, dass sie beide schnell einschliefen.
 

Am nächsten Tag hatte Hanryo eine kleine Überraschung für Chikará. Nach dem Mittagessen gingen sie zusammen in die Stadt, um sich ein Theaterstück anzusehen. Als er ihr am Morgen davon berichtet hatte, fiel sie aus allen Wolken, so etwas hatte sie ihn wirklich nicht zugetraut, er, der harte Kämpfer, schaute sich Theaterstücke an. Es war schon ein kleiner Schock für sie, sie hatte sich schon auf brutale Schwertkämpfe und verrottete Ruinen oder ähnliches vorbereitet, eben auf ihre typischen Ausflugsziele, was aber nicht heißen sollte, dass sie sich über diese Idee nicht freute, sie war davon fast genauso begeistert wie von ihrem neuen Kampfanzug. Sie konnte sich an ihren letzten Theaterbesuch nicht mehr zurückerinnern, es musste eine Ewigkeit hergewesen sein, sofern es überhaupt einmal einen gab.

Das Stück, das sie sich ausgesucht hatten, hieß ,Der Krieger des Königs', es handelte sich um eine Komödie, die auf einer alten, regionalen Volkserzählung basierte. Der einsame Held, der weder kämpfen noch singen konnte, versuchte sich als Hofsänger beim König. Bei einem großen Fest, bei dem er nicht spielen durfte, erfuhr er von Intrigen gegen den König. Er rettete ihn dadurch das Leben und wurde vor die Wahl gestellt, entweder die wunderschöne Tochter des Königs zur Frau zu nehmen oder einen Posten als Hofmusiker zu erhalten, er bevorzugte natürlich letzteres.
 

Hanryo fand großen Gefallen an der Aufführung und musste oftmals laut lachen, Chikará hingegen schien eher gelangweilt, sie konnte sich für die zahlreichen lustigen Momente nicht so sehr begeistern wie ihr Gefährte. Nichts desto trotz war ihr der Theaterbesuch eine willkommene Anwechslung zu ihrem normalen Alltag, dass ihr die Aufführung nicht gefallen würde, konnte Hanryo ja nicht erahnen, deshalb war sie ihn gegenüber insgesamt dennoch sehr dankbar für diese Überraschung. Aus Sympathie gab sie vor, die Darbietung amüsant und unterhaltsam zu finden, auch wenn ihr Lachen teils sehr aufgesetzt klang. Sie bildete sich anfangs auch ein, dass das Theaterstück eine versteckte Anspielung auf sie selbst sein sollte, da sie, ebenso wie der Held, nicht allzu gut kämpfen konnte, aber sie sah glücklicherweise schnell ein, dass dabei etwas zu viel Fantasie von ihr mit im Spiel war. Sie fragte sich anschließend umso mehr, woher diese Ansätze von Misstrauen gegenüber Hanryo plötzlich wiederherkamen, sie vertraute ihn doch mittlerweile völlig, oder etwa nicht?
 

Als die Aufführung zuende war, gingen die beiden noch etwas durch die Stadt spazieren, wo Chikará vor einem Schmuckgeschäft stehen blieb. Durch das Schaufenster betrachtete sie fasziniert die unzähligen, bildhaftschönen Edelsteine und Metallverarbeitungen, wie gerne hätte sie ein wenig von diesem schönen Schmuck gehabt, es musste viel nicht sein, nur ein wenig. Sie besaß keine einzige Kette oder Anhänger, überhaupt nichts in der Art, nicht einmal eine Armbanduhr, sie wusste aber auch, wie sinnlos es wohl gewesen wäre, Hanryo um so etwas zu bitten, da er nur Geld für Kampfkleidung, Waffen und Essen ausgab, nicht für zwecklosen Zierrat. Ein letzter träumender Blick auf das glänzende und schimmernde Gold und Silber der Schmuckstücke, und Chikará drehte sich mit einem leisen Seufzen weg vom Schaufenster.

"Gefällt dir etwas davon?", fragte Hanryo auf einmal.

Sie wendete sich sehr verwundert zu ihm, weil sie ihren Ohren nicht trauen wollte. "Darf ich mir von deinem Geld etwas davon kaufen?"

"Es ist nicht mein Geld, es ist unser gemeinsames Geld, es gehört dir ebenso wie mir. Sofern es nicht zu teuer ist, suche dir etwas aus, das dir zusagt."

Chikarás Augen öffneten sich so weit wie die eines kleinen Kindes, das Süßigkeiten bekam. "Danke, vielen Dank!" Sie konnte sich in diesem Moment absolut nicht erklären, wieso er ihr das erlaubte, warum wollte er ihr Verhältnis derart verbessern? Sie war doch bereits so, wie sie seiner Meinung nach sein sollte, weshalb noch diese unnötige Gutherzigkeit? Chikará befasste sich damit nur kurz und flüchtig, die große Freude gewann schnell die Überhand, entfesselt und strahlend lief sie in den Laden und probierte zahlreiche Halsketten an. Der Verkäufer wunderte sich ein wenig darüber, dass sie ihren Hals verhüllt hatte, was ja eigentlich im Sommer nicht gerade üblich war, selbst wenn sie ein Schmuckstück angelegt hat, behielt sie ihr schwarzes Halstuch an. Es dauerte nicht lange, bis sie unter den vielen Kostbarkeiten etwas fand, das ihrem Geschmack entsprach. Da es Hanryos Geld war, ließ Chikará ihn die entgültig Entscheidung zwischen drei verschiedenen Ketten treffen, die alle ungefähr denselben Preis hatten. Er entschied sich spontan für eine silberne mit dem Schriftzeichen für ,Engel', und als Begründung meinte er, dass dieser Begriff sehr passend wäre für die Trägerin. Chikará nahm das natürlich nicht allzu ernst und kicherte kopfschüttelnd über diese sehr überzeugende Erklärung, dennoch gefiel auch ihr jene Kette von den dreien irgendwie am besten.
 

Später am Abend, besuchten die zwei eine kleine Wirtschaft, Hanryo lud seine Gefährtin auf ein paar Gläser Sake ein. Sie setzten sich im Freien auf einer Terrasse an einem runden Holztisch nahe der Straße, zu dieser Zeit gingen noch viele Leute durch die Stadt, während am Horizont langsam die Sonne in einem Meer aus Rottönen verschwand.

Als Chikará zwei Gläser Sake leer getrunken hatte, der ihr so gut geschmeckt hatte, dass sie kurz davor war, ihr drittes Glas zu bestellen, erinnerte sie sich ohne ersichtlichen Grund schlagartig an das Erlebnis mit Arai zurück. Ihr wurde wieder bewusst, welche Konsequenzen ihre Trinkerei schon einmal gehabt hatte. Sie änderte sofort ihre Meinung, der bereits getrunkene Alkohol kam ihr nun wie Gift mit ekelhaftem Geschmack vor, sie bestellte danach nur noch Mineralwasser, was Hanryo sehr verwunderte, er war sich schließlich etwas anderes von ihr gewohnt. Trotzdem war er zugleich irgendwo froh darüber, dass Chikará nicht anfing, sich sinnlos zu betrinken, wovon sie ja nicht wirklich abgeneigt war. "Warum trinkst du keinen Sake mehr, ich dachte, das wäre dein Lieblingsgetränk?"

"Mein Magen macht mir Probleme." Sie griff sich mit vorgetäuschten, schmerzerfüllten Blick an den Bauch. "Mir wird davon irgendwie etwas übel heute." Sie wollte ihn nicht noch mehr Lügen erzählen und wechselte deshalb das Thema. "Die Theateraufführung hat mir gut gefallen, danke dafür, und natürlich auch für die schöne Kette und für den tollen Kampfanzug, danke."

Hanryo grinste. "Man muss einer Kaiserin eben etwas bieten."

"Ach, nenne mich nicht Kaiserin, das bin ich nicht wirklich, nur wegen meiner Art und Abstammung? Nein, ich komme aus den Slums der Ostmetropole, dort ist meine wahre Heimat."

"Siehe es, wie du willst, am Ende wirst du immer unsere Kaiserin sein und es bleiben, ob du es willst und es glaubst oder nicht."

"Ich glaube es dir ja, nur fällt es mir selbstverständlich schwer etwas zu glauben, an das ich mich nicht mehr erinnern kann, ich denke, das wäre bei jedem in meiner Situation so."

"Übe dich doch mal etwas mehr in Geduld, die Antworten auf deine Fragen werden kommen, es dauert nur noch etwas, ich kann das leider nicht ändern."

"Ich weiß, und dennoch erwarte ich sie so sehnsüchtig."

"Vertraue mir einfach nur, dann werden wir es schaffen." Er reichte ihr seine Hand, sie zögerte zunächst kurz, ergriff sie dann aber doch noch, sie war warm und stark. In ihrem Blick erkannte Hanryo einen Hauch von verstecktem Misstrauen, welches er jedoch nicht ansprach. "Hast du dich zufällig noch mal an irgendetwas erinnert?", fragte er anschließend. "Irgendetwas aus deiner Vergangenheit, vielleicht noch nachträglich durch den Besuch in Ryuchengshi oder etwas Anderes?"

Sie überlegte gründlich und angestrengt, die Kraft des Griffes ihrer Hand ließ dabei spürbar nach. "Nein." Sie nahm ihre Hand wieder weg. "Da ist leider immer noch diese Leere in meinem Kopf." Als sie noch einige Momente lang weiter nachgedacht hatte, erinnerte sie sich an ihren letzten Traum. "Kennst du zufällig einen gewissen Hiran, Hiran", stotterte sie, weil ihr der genaue Name nicht mehr einfiel. "Jedenfalls irgendetwas mit ,Hiran' am Anfang, wahrscheinlich ein Mann?"

"Hiranyaksha?"

"Ja, genauso hieß er."

Hanryo kratzte sich am Kopf und schaute Chikará direkt in die leuchtenden, smaragdgrünen Augen. "Woher kennst du ihn?"

"Ich kenne ihn eigentlich nicht, ich habe nur seinen Namen vor kurzem irgendwann einmal aufgeschnappt."

"Wo oder wodurch hast du denn von ihm gehört?"

"Ich habe keine Ahnung mehr, woher ich ihn kenne, wer ist das denn?"

"Er war ein Mitglied der Kaisergarde, er müsste aber heute, soweit ich es weiß, tot sein?"

Sie überlegte weiter, hatte aber nicht vor, die wahre Quelle ihrer Information preiszugeben. "Vielleicht ist er auch tot, ich habe mich vielleicht auch nur verhört und irgendwer hieß nur so ähnlich."

"Er war kein freundlicher Zeitgenosse, er war ein fanatischer Anhänger deines Vaters."

Sie grinste kurz. "Ja, ja, damit wären wir wieder einmal bei meinem netten Vater." Sie unterbrach und wurde wieder ernsthaft. "Könnte ich diesen Hiranyaksha irgendwann einmal in meinem Leben getroffen oder gesehen haben?"

"Vielleicht, vielleicht auch nicht, ich will es nicht völlig ausschließen."

Es folgte ein kurzes Schweigen, dann begann Chikará ein anderes Thema.

"Was ist eigentlich die nächste Etappe unserer Reise?"

"Der Dämonentempel."

"Der Name hört sich ja schon vielversprechend an", sprach sie mit einer gewissen Ironie.

"Dort ist etwas versteckt, dass du hundertprozentig schon einmal in deinem Leben gesehen haben musst, vielleicht könnte das ja dein Gedächtnis doch noch ein wenig auffrischen?"

"Meinen Vater habe ich auch hundertprozentig schon einmal in meinem Leben gesehen, und ich konnte mich beim Anblick seines Abbildes trotzdem an nichts erinnern."

"Warum bist du so pessimistisch, warte doch erst mal ab? Glaube mir, wenn du deine Vergangenheit besser kennen würdest, wärst du bestimmt auch nicht viel glücklicher."

"Warum meinst du das?"

"Wie gesagt, ich weiß zwar nahezu genauso wenig wie du, aber findest du nicht, dass es sehr naiv wäre, nur Positives zu erwarten?"

Sie konnte diese Worte gut nachvollziehen. "Du hast vielleicht recht. Bei meinem Vater und seinen Freunde habe ich, soweit ich dem, was ich bisher gehört habe, glauben schenken darf, nicht unbedingt die allerbeste Erziehung genossen. Trotzdem, wärest du an meiner Stelle nicht genauso neugierig, wenn dir in deinen Erinnerungen fast dein gesamtes Leben fehlen würde? Selbst das Risiko, Sachen zu erfahren, die man lieber nicht gewusst hätte, ist nichts im Vergleich zu der quälenden Ungewissheit."

"Ich habe nicht gesagt, dass du deine verlorenen Erinnerungen nicht zurückbekommen solltest, sei dir nur des Risikos bewusst, von dem du gerade gesprochen hast, und erwarte nicht nur Gutes von deiner Vergangenheit."

Chikará schaute hoch zum Himmel. "Nein, das werde ich nicht." Sie senkte ihren Blick wieder zu Hanryo. "Wann wollen wir zum Dämonentempel gehen?"

"Schon morgen früh, wenn du es willst?"

"Hast du denn noch ein zweites Schwert für mich?"

Er lachte. "Stimmt, das habe ich ja ganz vergessen, du hast ja dein wunderschönes und schweineteures Katana übergehauen!"

Sie wurde etwas rot im Gesicht vor Scham und nickte nur verlegen.

"Wie wäre es, wenn du dich jetzt, wo die Gelegenheit da ist, im waffenlosen Kampf übst?"

"Das meinst du aber nicht wirklich ernst, oder?"

"Doch. Ich kann dir in den nächsten Tagen gerne etwas beibringen, ich bin auf diesem Gebiet zwar kein Meister, aber für einen leichten bis mittelschweren Kampf wird das, was ich dir beibringen kann, allemal genügen, außerdem gibt es im Dämonentempel niemanden, der uns werden könnte."

"Deine Prognosen, was Feinde angeht, glaube ich sowieso nicht mehr."



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  starwater
2003-11-13T19:28:03+00:00 13.11.2003 20:28
Also , mir gefällt deine Story , auch wenn dir kaum jemand Kommis schreibt (wundert sich)... Schreib weiter!!!! starwater/sternenwasser


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