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Winter Wonderland

von

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Like ice ...

„Rücken Sie alle mal ein bisschen näher zusammen, bitte“, ertönte die Stimme ihres Fotografen und Karyu seufzte beinahe erleichtert auf.

 

„Das ist eine wirklich gute Idee. Also Kinderchen, kommt her zu Papi.“ Grinsend zog er Zero und Tsukasa näher, die links und rechts neben ihm Stellung bezogen hatten, und trat gleichzeitig noch einen Schritt vor, um auch näher an Hizumi zu stehen. So war das doch schon deutlich besser, immerhin war er so wenigstens ein bisschen von der sie umgebenden Kälte abgeschirmt. Zeros Ellenbogen landete nicht gerade sanft in seiner Seite und er keuchte, krümmte sich leicht. „He, wofür war das nun wieder?“

 

„Dafür, dass du mich hier in der Gegend umherziehst. Außerdem, was heißt da Papi? Nur weil du seit heute auch im Club der Dreißiger bist, bist und bleibst du das Küken hier.“

 

„Pfff, Küken“, schnaubte er. „Sei mal netter zu mir, immerhin hab ich heut Geburtstag.“

 

„Ich bin nett. Sonst hätte ich dich härter erwischt.“

 

„Och, nun guck dir die Schnute an.“ Hizumi hatte sich zu ihnen umgedreht und grinste mal wieder über beide Wangen. Was in letzter Zeit irgendwie immer der Fall zu sein schien, sobald sich Zero und er auch nur ein bisschen in die Haare bekamen. Hizumis Finger kraulte unter seinem Kinn, begleitet von erfreuten Lauten, die man eigentlich eher im Zusammenhang mit süßen Tieren oder Kleinkindern zu hören bekam.

 

„Lass das.“ Schnaubend wischte er den Finger aus seinem Gesicht und schaute den Sänger missmutig an.

 

„Jungs!“ Das war Tsukasa gewesen, der sie nun, die Hände in die Hüften gestemmt, aus schmalen Augen anfunkelte. „Es ist ja nicht so, dass ich es nicht genießen würde, mit euch hier bei Minustemperaturen nur in Bühnenoutfits im Schnee zu stehen. Aber irgendwann würde ich gerne mal fertig werden.“

 

„Eh, ich mag es nicht, wenn er sarkastisch wird“, nuschelte Hizumi.

 

„Wir hätten ihn nie zum Leader machen sollen.“ Zero nickte und rieb sich leicht über die Oberarme, die nur von einem dünnen Shirt bedeckt waren.

 

„Gebt’s zu, ich war ein besserer Leader.“

 

„Nein, du warst noch schlimmer.“

 

„Das … war jetzt aber echt fies“, murrte er und funkelte Zero aus dem Augenwinkel heraus an.

 

„Jungs!“

 

„Ja, Tsuka“, seufzten sie im Chor und hielten nun lieber die Klappe, bevor der Drummer doch noch wütend werden würde. Irgendwie war mit dem heute nämlich schon den ganzen Tag über nicht gut Kirschenessen.

 

~*~

 

„Danke! Dann machen wir jetzt mit den Zweier-Aufnahmen weiter. Zero-san, Tsukasa-san, bleiben Sie bitte gleich stehen. Hizumi-san, Karyu-san, Sie können sich derweilen aufwärmen.“

 

„Gott sei Dank, ich fühl meine Finger schon gar nicht mehr.“ Karyu rieb seine Hände aneinander und blies dagegen, um besagte Eispfoten wieder aufzuwärmen. Erleichtert seufzend schlüpfte er in seinen dicken Parka, den ihm einer vom Staff gerade hinhielt und nahm dankend den Becher mit dampfendem Kaffee entgegen. „Ich will eine Gewerkschaft. Das sind widrige Arbeitsbedingungen, ich brauch meine Finger noch. Wer ist eigentlich auf die blöde Idee gekommen, dass sich Bilder im Schnee für unser nächstes Fotobuch gut eignen würden?“

 

„Bitte?“ Hizumi schaute ihn ungläubig an und schüttelte dann den Kopf. „Das waren unser Manager und du gewesen, nachdem ihr mal wieder zu tief ins Glas geschaut habt“, nörgelte der Sänger herum, während sich auf Karyus Lippen nur ein verschmitztes Grinsen legte. Als ob er das, oder den ungläubigen Ausdruck seiner drei Kollegen, jemals vergessen würde. Die Reaktionen waren schon witzig gewesen, als Sato und er ihnen von ihrer genialen Idee erzählt hatten. Aber um ehrlich zu sein, hatte er vor ein paar Monaten, im Hochsommer, keinen Gedanken daran verschwendet, wie arschkalt so ein Fotoshoot werden würde.

 

„Aber immerhin musst du zugeben, dass die Kulisse wirklich gigantisch ist.“ Hizumi brummte nur und ging hinüber zum Van der Fotocrew, um seinen Becher neu aufzufüllen. Schulterzuckend ließ er seinen Abgang unkommentiert und schaute lieber zu Tsukasa und Zero hinüber. Das Felsplateau, welches den beiden nun als Hintergrund für die Fotoaufnahmen diente, war wirklich beeindruckend. Ringsumher lag der Schnee beinahe einen halben Meter hoch, aber um die Felsen blies ein stetiger Wind, sodass sich dort der Schnee nur in den Spalten und Ritzen hatte festsetzen können. Die Steine selbst ragten schroff und teilweise mehrere Meter hoch in den Himmel; eine wahrhaft unwirtliche Umgebung.

 

Gerade hatte sich Zero auf einen der Felsen gehockt, die Beine lässig auseinandergestellt und die Unterarme auf den Oberschenkeln abgestützt. Von unten herauf starrte er in Richtung der Kamera, während Tsukasa hinter ihm am Rand einer kleineren Felsansammlung stand und verträumt in die Ferne blickte. So wie die Kamera justiert war, musste es auf den Bildern so aussehen, als würde der Drummer mit dem Rücken zu einem tiefen Abgrund stehen, denn hinter ihm war bis auf das strahlende Blau des Himmels rein gar nichts auszumachen. In Wahrheit jedoch fiel das Plateau fast sanft ab, bis es einige Meter weiter unten in einen kleinen Wald überging. Seufzend richtete er seine Aufmerksamkeit, wie so oft in den vergangenen Monaten, wieder auf Zero, der soeben mit Tsukasa die Plätze getauscht hatte, aber anders als der Drummer eben, nun mit dem Rücken zur Kamera stand und über seine Schulter blickte.

 

„Du willst das wirklich durchziehen?“, erklang da plötzlich wieder Hizumis Stimme neben ihm und beinahe widerwillig senkte er den Blick, um dem Sänger ins Gesicht sehen zu können.

 

„Wenn wir alles richtig anstellen, ist das die Chance für mich. Die muss ich doch nutzen, oder?“

„Schon.“ Hizumi stockte kurz und knabberte auf seiner Unterlippe herum. „Ich wollte ja nur wissen, ob du dir sicher bist. Immerhin wird sich danach vieles ändern.“

„Ich weiß. Und glaub mir, ich würde es nicht tun, wenn ich noch einen anderen Ausweg wissen würde. Aber so wie die Dinge im Moment zwischen uns stehen, halte ich das einfach nicht mehr länger aus.“ Hizumis mitfühlender Blick wäre beinahe zu viel für ihn gewesen, aber zum Glück meldete sich in diesem Augenblick ihr Fotograf zu Wort.

 

„Danke! Hizumi-san, Karyu-san, wir justieren noch die Kamera neu, dann können wir mit Ihnen weitermachen.

 

„Na komm Großer, das packen wir auch noch.“ Hizumi drückte seinen Oberarm kurz und lächelte ihn an. Ob sich diese Geste nun lediglich auf ihr Fotoshoot bezog oder ihm der Sänger für sein Vorhaben Mut zusprechen wollte, blieb ungeklärt.

 

~*~

 

„Ich bin eingefroren“, jammerte Karyu, die Nase in seinem Parka versteckt und die Hände tief in den Taschen vergraben, um wenigstens zu versuchen, sich wieder aufzuwärmen. Verstohlen zu Zero hinüberblickend robbte er langsam an ihn heran, schlang dann blitzschnell seine langen Arme um ihn und kuschelte sich an. „Wärm mich.“

 

„Och, armes Ding.“ Zero tätschelte seinen Kopf, was ihn so dermaßen verblüffte, dass er dessen fieses Grinsen gar nicht bemerkte. Erst als es ekelhaft kalt an seinem Nacken wurde und er spüren konnte, wie der Schnee langsam an seiner Haut schmolz und am Rücken hinablief, registrierte er den Hinterhalt. Mit einem doch sehr unmännlichen Schreckenslaut zuckte er zusammen und brachte ein paar Schritte Abstand zwischen sie, während er hektisch versuchte, den Schnee aus seinem Oberteil zu bekommen.

 

„Bah! Du spinnst doch“, maulte er vorn übergebeugt, um auch noch die letzten Reste zu erwischen. „Woher hast du eigentlich auf einmal den Schneeball?“ Er hatte nicht bemerkt, dass Zero sich gebückt hätte und gerade eben hatte er seine Arme um ihn gelegt gehabt.

 

„Vorbereitung ist halt alles.“

 

„Warum bist du immer so gemein zu mir?“, murrte er und rieb angewidert über seinen klammen und kalten Nacken.

 

„Weil du es nicht anders verdient hast.“ Zeros rechter Mundwinkel war zwar in der Andeutung eines Schmunzelns gehoben, aber dennoch glaubte er, so etwas wie eine Warnung in seinem Blick ausmachen zu können. Eine Warnung, es nicht zu übertreiben. Für einen Augenblick huschte ein enttäuschter Ausdruck über Karyus Gesicht, den er sich jedoch schleunigst wieder verkniff. Im Prinzip musste er ja schon froh sein, dass Zero seine Annäherung diesmal relativ gleichmütig hingenommen hatte. In der Vergangenheit hatte es schließlich diverse Momente gegeben, in denen er für weitaus Weniger mit weitaus unangenehmeren Maßnahmen bestraft worden war. Aber dennoch traf ihn dieser Blick härter als vermutet. Noch bevor er sich jedoch zu einer unpassenden Reaktion hätte hinreißen lassen können, waren auch endlich Hizumi und Tsukasa zu ihnen gestoßen, sodass sie sich nun auf den Weg den Berg hinunter zur Blockhütte machen konnten.

 

„He.“ Plötzlich spürte er eine leichte Berührung am Oberarm und blickte zur Seite in Zeros Gesicht. Der Bassist lächelte ihn an und legte sacht den Kopf schief. „Alles gut bei dir?“ Er nickte, wusste aber diese versöhnliche Geste durchaus zu schätzen. Momentan war der Umgang mit Zero wirklich eine Gratwanderung, bei der er nie so genau wusste, womit er zu rechnen hatte. Und das Schlimmste überhaupt war, dass er selbst daran Schuld trug. Innerlich seufzte er, versuchte aber seine trüben Gedanken wieder zu vertreiben und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Er hatte einen Plan, würde heute noch alles auf eine Karte setzen und hoffen, dass er nicht verlor. Aber wie er eben zu Hizumi schon gesagt hatte, es musste sich etwas ändern. So konnte es nicht mehr weitergehen.

 

Der Weg vom Felsplateau hinunter ins Tal, wo die Blockhütte stand, die sie für eine kleine Geburtstagsfeier gemietet hatten, konnte wirklich als idyllisch bezeichnet werden. Am Himmel war keine einzige Wolke zu sehen, die Nachmittagssonne tauchte die Szenerie in behagliche Helligkeit und links und rechts neben ihnen türmte sich der Schnee über einen halben Meter hoch. Dennoch war er überaus froh, dass er bald wieder im Warmen sein würde, denn seine Gliedmaßen fühlten sich noch immer eingefroren an. Vielleicht lag es aber auch daran, dass er alt wurde. Ein feines Grinsen legte sich auf seine Züge. So also fühlten sich seine Bandkollegen immer.

 

~*~

 

Die Hütte war beinahe zu klein, stellte Karyu amüsiert fest, als er seinen Blick über die Anwesenden gleiten ließ. Neben Hizumi, Tsukasa, Zero und natürlich ihn selbst hatten sie noch ihren Staff und Sato, ihren Manager, eingeladen. Und da bekanntermaßen eine Feier immer schöner war, je mehr Gäste sich daran beteiligten, waren auch ein paar Leute der Fotocrew mit dabei. Auf einmal verstummte das Stimmengewirr und Karyu drehte sich von Sato weg, mit dem er sich gerade unterhalten hatte, und schaute hinüber zur Eingangstür, wo Tsukasa mit Aki vom Staff eine wirklich monströse Torte hereintrug. Sogleich setzte ein vielstimmiges und erstaunlich schiefes ‚Happy Birthday‘ ein, was ihm schon fast ein atomar anmutendes Strahlen aufs Gesicht zauberte. Er applaudierte den Gästen und betrachtete dann mit kugelrunden Augen das Prachtstück, welches vor ihm auf dem Tisch abgestellt worden war.

 

„Das sieht hammermäßig aus“, staunte er. Und es stimmte auch. Die Torte war nicht klassisch rund, sondern rechteckig, mit einem Foto seiner selbst in der Mitte. Das musste während einem ihrer letzten Auftritte geschossen worden sein, er erkannte den Hintergrund wieder.

 

„Berlin“, raunte es da leise neben ihm und er senkte den Kopf, schaute Zero fragend an. „Das Bild ist vom Auftritt in Berlin, weißt schon, diese winzige Halle mit den komischen Pfeilern direkt vor der Bühne?“ Karyu nickte, wobei ihm an diesem Tag eher weniger das Konzert selbst in Erinnerung geblieben war, sondern das Danach. Er hatte Zero aufgelauert, hatte ihn in eine dunkle Ecke gezogen und geküsst. Himmel, dieser Kuss. Zero hatte erwidert, so hungrig und leidenschaftlich, dass er allein von dieser Erinnerung schon wieder die Hitze in seinem Inneren fühlen konnte. Bis Hizumi sie erwischt und diese Tatsache deutlich andere und weniger wohlige Gefühle mit sich gebracht hatte.

 

„Ja, als ob ich das vergessen könnte, da war’s so eng, dass wir uns beinahe auf die Zehen getreten sind, wenn wir mal auf die andere Seite gewechselt haben.“ Karyu grinste und versuchte seine Gedanken nicht erneut abdriften zu lassen. Hizumi, der von irgendwoher quäkte, dass er doch endlich die Kerzen auspusten sollte, damit sie futtern konnten, lenkte ihn schlussendlich auch ausreichend ab. Ein letztes Mal betrachtete er das Kunstwerk, die dreißig brennenden Kerzen, die um den gesamten Rand der Torte gesteckt worden waren, und holte dann tief Luft. In Gedanken war er bei seinem Plan, wünschte sich mit aller Macht, dass er erfolgreich sein würde … dann blies er die Kerzen aus. Nach kurzem Applaus und erneuten Geburtstagswünschen aus allen Richtungen schnappte er sich das breite Messer und begann, die Torte für die hungrige Meute aufzuteilen.

 

Es war erstaunlich amüsant, sich selbst die Kehle durchzuschneiden. Nun gut, nicht direkt sich selbst verstand sich, aber seinem Konterfei auf der Torte. Dennoch war dies doch ein Zeichen dafür, dass er seinen Hang zum Morbiden noch nicht eingebüßt hatte, auch wenn er nun schon dem Club der Dreißiger angehörte. Gut zu wissen. Dass sich Zeros Gabel nun aber zielsicher in sein Gesicht bohrte und der Bassist deutlich genüsslich ein Stück davon in seinem Mund verschwinden ließ, war dann doch irgendwie seltsam mit anzusehen.

 

„Du hast da was“, meinte er und tippte sich gegen die Oberlippe, an genau die Stelle, wo ein Klecks Sahne die Lippe des Bassisten zierte. Als daraufhin Zeros Zungenspitze hervorblitzte, um besagte Sahne zu entfernen, musste er sich zusammenreißen, um sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihn dieser Anblick soeben beeinflusste. Manchmal kam es ihm so vor, als würde er das mit Absicht tun. Als wüsste Zero nur zu gut, wie er ihn reizen, seine Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte. Aber warum sollte er das tun? Der Bassist selbst war es gewesen, der ihm jede weitere Annäherung strikt verboten hatte. Karyu seufzte innerlich und schob sich nun selbst ein Stück der Torte in den Mund. Er durfte einfach nicht zu viel in Zeros Verhalten hineininterpretieren und musste sich gedulden. Nicht mehr lange und er würde die Karten auf den Tisch legen. Spätestens dann würde es keine Missverständnisse mehr zwischen ihnen geben. Das hoffte er zumindest.
 

~*~

 

Nach und nach leerte sich die Hütte, als sich erst die Mitglieder der Fotocrew und schließlich auch ihre Helfer zu verabschieden begannen. Später würden nur noch sie Vier hier übernachten, um seinen Geburtstag auch im kleinen Kreise nochmal gebührlich feiern – oder wenn man Tsukasa fragte, dann wohl eher begießen – zu können. Besagter Drummer hockte sich gerade ihm gegenüber an den rustikalen Holztisch und angelte nach dem letzten Stückchen Torte.

 

„Oder willst du das haben?“, erkundigte er sich und blickte von dem Stück auf, das er gerade ohnehin schon aufgespießt hatte.

 

„Nee, iss ruhig, damit du groß und stark wirst.“ Karyu grinste.

 

„Stimmt, groß brauchst DU wirklich nicht mehr werden, aber stark …“

 

„Uh, lass bitte deine guten Ratschläge von wegen gesunder Ernährung und Sport stecken.“ Karyu hob abwehrend die Hände, hatte aber ein Schmunzeln auf den Lippen. Seit Tsukasa nicht mehr rauchte und regelmäßig Sport trieb, wollte er ihnen ständig erzählen, wie ungesund sie doch lebten. Er konnte die Argumente des Drummers mittlerweile beinahe schon im Schlaf rezitieren. „Aber mal was anderes, hast du Hizumi gesehen?“ Karyu blickte sich um, aber außer Zero, Sato und einer Handvoll Staffmitgliedern befand sich niemand weiteres im Hauptraum der Hütte.

 

„Öhm nö. Vielleicht ist er ja draußen?“

 

„So, Jungs.“ Sato war an ihren Tisch getreten und lächelte sie an. „Ich pack es dann. Denkt dran, es nicht zu bunt zu treiben, morgen Abend steht noch ein Radiointerview an.“

 

„Na, solange es nur ein Radiointerview ist, kriegen wir das schon gebacken.“ Karyu grinste verschmitzt, als ihn der wenig begeisterte Blick des Managers streifte. Manchmal war Sato eben doch eine kleine Spaßbremse, auch wenn sie alle nur zu genau wussten, dass er auch anders konnte. „Okay, okay, wir bleiben brav … einigermaßen zumindest.“

 

„Das will ich hoffen.“ Sato klopfte dreimal kurz auf den Tisch und winkte im Hinausgehen. „Bis morgen.“

 

„Der glaubt nicht wirklich, dass wir uns wegen eines Radiointerviews zurückhalten, oder?“ Tsukasa schaute ihrem Manager hinterher.

 

„Nö, aber er muss zumindest so tun, als hätte er ein Minimum an Vertrauen in uns.“ Zero hockte sich nun auch mit an den Tisch und blickte sich fragend um. „Wo ist Hizumi eigentlich?“ Karyu zuckte die Schultern, während sich Tsukasa noch das letzte Stückchen Torte in den Mund schob und dann kauend aufstand.

 

„Ich schau mal nach ihm“, nuschelte er mit vollen Hamsterbacken und ging in Richtung Ausgang davon.

 

Satos Aufbruch war wohl der Startschuss für alle anderen, die sich nun auch verabschiedeten, bis irgendwann nur noch Zero und er am Tisch saßen. So quirlig die Stimmung in den letzten Stunden gewesen war, so still war es plötzlich. Zufrieden seufzend lehnte er sich nach hinten, rieb sich über seinen vollen Bauch und schloss für einen Moment die Augen.

 

„Müde?“

 

„Nein, nur vollgefressen und zufrieden.“

 

„Na, alter Mann, dann mal hoch mit deinem nicht vorhandenen Hintern und etwas klar Schiff machen.“

 

„Das waren gleich zwei Beleidigungen in einem Satz.“ Karyu zog eine Schnute und verschränkte die Arme vor der Brust. „Dafür sollte ich dich alles alleine machen lassen.“ Er schaute Zero aus schmalen Augen an, lächelte dann aber leicht, als ihm ein Gedanke in den Sinn kam. „Aber wenigstens wirst du immer älter sein als ich.“

 

„Dafür ist an meinem Hintern aber auch mehr dran.“ Zero war aufgestanden und stützte sich mit beiden Händen schräg neben ihm auf der Tischplatte ab.“ Karyu schaute ihm ins Gesicht, wie magisch angezogen von diesen schelmisch funkelnden Augen.

 

„Das … kann ich nicht leugnen“, murmelte er und näherte sich ihm. Für einen Augenblick dachte er wirklich, Zero würde sich diese Annäherung gefallen lassen, aber dann furchte sich seine Stirn und sein Blick wurde abweisend. Karyu hätte am liebsten geschrien. Hatte er schon mal erwähnt, dass er diesen Kerl einfach nicht verstand? Was sollte das wieder? Warum quälte er ihn so? Zero hatte sich einige der Pappteller geschnappt, war in die winzige Küche verschwunden und bemerkte so den verletzten Blick nicht, mit dem Karyu ihm hinterhersah. Seufzend erhob auch er sich, fuhr sich durch die Haare und blieb dann einen Moment unschlüssig vor dem Tisch stehen, starrte auf die Maserung des Holzes.

 

Als Hizumi sie nach der Show in Berlin knutschenderweise Backstage erwischt hatte, hatte er wirklich geglaubt, nun sei alles aus; und die schmerzhafte Begegnung von Zeros Knie mit seinen Kronjuwelen nur die Spitze des Eisberges. Auch, wenn sich ein kleiner Teil in ihm hartnäckig an der Tatsache hatte festklammern wollen, dass der Bassist ihren Kuss erwidert hatte und seine Chancen daher ja gar nicht so schlecht stehen konnten, hatte es doch für eine ganze Weile wirklich danach ausgesehen, als hätte er endgültig verkackt. Und dann? Ja, dann waren sie kaum zwei Wochen später im Bett gelandet. Gut, seine Methoden an diesem Abend mochten nicht ganz koscher gewesen sein und möglicherweise hatte der Alkohol, der mit im Spiel gewesen war, sein Übriges dazu beigetragen. Aber Zero war bestimmt auch nicht unschuldig daran gewesen. Karyu stützte sich mit den Händen auf der Tischplatte ab und kniff die Augen zusammen, als die Bilder der Nacht wieder in ihm hochsteigen wollten. So schön diese auch gewesen sein mochte, so niederschmetternd war der nächste Morgen. Von Zeros Anschmiegsamkeit war nichts mehr übrig gewesen und lediglich Vorwürfe und Zorn waren ihm geblieben. Und wer nun glaubte, dass das nun das traurige Ende ihrer körperlichen Annäherungen war, täuschte sich gewaltig. Derartige Zusammenkünfte hatte es nach dieser ersten Nacht immer wieder gegeben. Immer mit dem Ergebnis, dass Zero wütend abgerauscht war, nicht aber ohne ihm vorher noch unmissverständlich klar zu machen, dass er in Zukunft seine Finger von ihm zu lassen hatte. Bis Karyu sich vor nunmehr schon vier Wochen dazu entschieden hatte, diesem Wunsch oder besser gesagt, diesem Befehl endgültig nachzukommen. Leicht fiel es ihm nicht, besonders nicht, wenn Zero ihn, wie gerade eben, immer wieder reizte. Ob der andere dies jedoch bewusst oder unbewusst tat, war ihm noch nicht so ganz klar geworden. Seitdem hatte sich zwar ihr Verhältnis zueinander wieder gebessert, ja, man konnte sagen, dass sie sich nun beinahe besser verstanden, als vor dieser ganzen Sache, aber er selbst litt dafür wie ein Hund. Er hatte sich schon vor Monaten eingestehen müssen, dass er für Zero mehr empfand, als nur Freundschaft. Nein, dieses Gefühl war um so Vieles stärker, dass es ihn manchmal sogar erschreckte.

 

„Karyu?“

 

„Hm?“

 

„Sag nicht, dass es dir nun auch nicht gut geht?“ Mit fragender Miene drehte er sich zu Tsukasa um, der gerade mitten im Raum stand und irgendwie besorgt wirkte.

 

„Nein, ich hab nur gerade nachgedacht. Wieso? Wem geht es nicht gut?“

 

„Hizumi.“

 

„Mh? Warum, was ist mit ihm?“ Sich die Hände trocknend kam Zero von der Küche her auf sie zu und schaute fragend erst zu Tsukasa, dann zu ihm. Er zuckte allerdings nur mit den Schultern, wusste er doch auch nichts Genaues und richtete seine Aufmerksamkeit auf den Drummer.

 

„Er hat sich übergeben und irgendwie gefällt er mir gar nicht.“ Tsukasa zuckte mit den Schultern, aber Zero war es, der sich bereits auf den Weg in Richtung des kleinen Badezimmers machte. Karyu runzelte die Stirn; das lief nun doch anders als geplant. Keine Minute später kam ihr Bassist wieder in den Hauptraum der Hütte zurück, einen deutlich käsigen Hizumi im Schlepptau.

 

„Setz dich erst mal hin, ich mach dir einen Tee.“ Hizumi tat wie ihm geheißen, lächelte aber dünn. Ihn schien Zeros so typische Fürsorglichkeit wohl auch zu amüsieren.

 

„Ich helf dir“, bot Tsukasa an. Zeros Augenbraue wanderte nach oben, aber schließlich zuckte er nur mit den Achseln und ging gemeinsam mit ihrem Leader zur winzigen Küche hinüber.

 

„Du solltest Tsukasa eigentlich nur mal für eine Stunde ablenken und nicht gleich den sterbenden Schwan mimen.“ Karyu lächelte und hockte sich wieder an den Tisch. „Was hast du angestellt?“

 

„Glaub mir, das hatte ich mir auch ein bisschen anders vorgestellt“, murmelte Hizumi und massierte sich die Schläfen. „Keine Ahnung, was das jetzt sein soll. Migräne, was Falsches gegessen, irgend so was in der Art.“
 

„Oh Mann.“ Karyu seufzte leise und schaute mitfühlend zum Sänger hinüber. Allerdings wusste er gerade wirklich nicht so genau, ob sein Mitgefühl ausschließlich dem Häufchen Elend, das ihm dort gegenübersaß, galt oder nicht doch auch ein bisschen ihm selbst, was ihn ein wenig beschämt den Kopf senken ließ.

 

„Ich hab Sato gerade erreichen können, er dreht nochmal um und nimmt uns mit.“ Das war Tsukasa gewesen, der sich nun wieder zu ihnen gesellte und Hizumis Schulter mitfühlend drückte.

 

„Wie?“, kam es fast gleichzeitig vom Sänger und ihm. „Aber wir sind doch mit dem Van da, da braucht Sato doch nicht extra nochmal hierherkommen.“

 

„Außerdem, wer sagt denn, dass ich fahren will?“, meckerte nun auch Hizumi, verstummte aber gleich wieder und verzog das Gesicht. „Ich brauch doch nur ein bisschen Ruhe.“

 

„Keine Widerrede. Wir beide fahren mit Sato zurück nach Tokyo und ich hab ein Auge auf dich, damit du auch wirklich Ruhe gibst …“ Tsukasas scharfer Blick veranlasste den Ältesten ihrer Runde dazu, seinen eben zum Protest geöffneten Mund wieder zu schließen und stattdessen deutlich missmutig aus der Wäsche zu schauen. Tsukasa für seinen Teil lächelte nur zufrieden und richtete seine Aufmerksamkeit dann wieder auf Karyu. „Zero und du bleibt hier und feiert für uns mit.“

 

„Ja, aber …“ Karyu zuckte etwas zusammen, als er unterm Tisch getreten wurde. Hizumis vielsagender Seitenblick sollte wohl so viel bedeuten, wie ‚Halt die Klappe, das ist die Gelegenheit!‘ und auch wenn es ihm missfiel, ohne Tsukasa und den Sänger zu feiern, musste er zugeben, dass der Älteste eigentlich recht hatte.

 

„Nun schau nicht, wie ein getretener Hund.“ Zero trat an sie heran, stellte nun ihrem kranken Sänger den versprochenen Tee vor die Nase und wusste vermutlich gar nicht, wie akkurat seine Feststellung gerade eben gewesen war. Karyu musste sich das Lachen verkneifen, als der Bassist weitersprach und fragte, ob seine Gesellschaft denn so fürchterlich sei.

 

„Mmmh“, machte er überlegend und grinste verschmitzt, als Zero finster dreinblickend seine Hände in die Hüften stemmte. „Ach Quatsch. Deine Gesellschaft ist mir doch immer die Wichtigste“, stellte er also klar und auch, wenn es sich wie im Scherz dahergeredet anhören mochte, wusste er – und sollte eigentlich auch der Bassist wissen- dass er diese Worte vollkommen ernst meinte.

 

~*~

 

 Gute zwanzig Minuten später standen sie alle eingepackt in ihren warmen Winterjacken vor der Hütte und warteten, bis Sato sein rotes Mitsubishi Coupé mit etwas Mühe den Berg heraufbrachte. Zero war ein paar Schritte zur Seite getreten, um in Ruhe eine rauchen zu können, ohne dem Sänger den Rauch ins Gesicht zu blasen und Tsukasas Handy bimmelte gerade, was den Drummer dazu veranlasste, sich auch etwas von ihnen zu entfernen, um das Gespräch anzunehmen. Hizumi hingegen stand zitternd neben ihm, die Hände tief in den Taschen seiner Jacke vergraben und klapperte mit den Zähnen.

 

„Oh Mann, du wirst dir doch nicht mehr eingefangen haben?“, murmelte er und schaute besorgt auf ihn herab. „Wenn das bis morgen nicht besser ist, machen wir das Radiointerview ohne dich.“ Hizumis Stirn legte sich in Falten und Karyu wusste schon jetzt, dass der Ältere protestieren wollte, schüttelte daher auch abweisend den Kopf. „Keine Widerrede.“

 

„Du weißt aber schon, dass du nicht mehr Leader bist?“ Hizumi verschränkte die Arme vor der Brust und wirkte alles in allem so, als würde er schmollen, wobei die Bewegung auch gut und gerne nur dazu dienen mochte, irgendwie für mehr Wärme zu sorgen.

 

„Ich bin mir sicher, dass Tsukasa da meiner Meinung sein wird, soll ich ihn herholen?“

 

„Untersteh dich, reicht schon, dass er mitfahren will.“ Ihre Blicke wanderten hinüber zum Leader, der wild gestikulierend telefonierte.

 

„Du hast wirklich was gut bei mir.“ Karyu seufzte leise. „Auch wenn niemand von dir verlangt hat, gleich krank zu werden.“

 

„Pfff, als ob ich mir das rausgesucht hätte. Sieh du lieber zu, dass du es nicht vermasselst.“ Hizumis Ellenbogen landete nicht gerade sanft in seiner Seite, bevor der Sänger langsam zu Satos Wagen hinüberging, den der Manager nun endlich den Berg hinaufbekommen hatte.

 

„Wer soll was nicht vermasseln?“ Zeros Stimme hinter ihm ließ ihn unwillkürlich zusammenzucken. Verdammt, den hatte er für den Moment ja ganz vergessen.

 

„Wir, morgen beim Interview. Hizumi ist wohl ein bisschen angefressen, dass ich meinte, er soll morgen zu Hause bleiben, wenn es ihm nicht wieder gut geht“, behalf er sich mit einer Halbwahrheit und hoffte, dass Zero nicht mehr von ihrem Gespräch mitbekommen hatte. Aber der Bassist schaute ihn nur für einen Sekundenbruchteil skeptisch an, dann nickte er.

 

„Es ist schon gut, dass Tsukasa mitfährt, sonst ruht sich Hizumi wieder nicht aus.“ Zero setzte sich in Bewegung und er folgte ihm hinüber zu Sato und ihrem Drummer, der soeben sein Telefon zurück in die Jackentasche steckte. „Gibt’s Probleme?“, erkundigte sich Zero.

 

„Nein, nein. Das war nur meine Mutter.“ Tsukasa verdrehte die Augen und schaute dann zu Hizumi hinüber, der bereits auf der Rücksitzbank Platz genommen hatte und mit geschlossenen Augen, tief in seine Jacke eingemummelt, dasaß. Die Stirn des Leaders kräuselte sich besorgt. „Wir sollten nun lieber losfahren.“

 

„Ja, besser ist das.“ Auch Zeros und sein Blick ruhten für einen Moment auf ihrem Sänger. „Pass auf ihn auf und lass dich nicht von ihm abwimmeln.“ Karyu lächelte leicht, kannten sie doch alle das Talent ihres Ältesten, ihnen was vorzugaukeln.

 

„Bestimmt nicht, den pack ich ins Bett und bevor es ihm nicht wieder gut geht, kommt mir der da nicht raus.“ Tsukasa hockte sich auf den Beifahrersitz und schnallte sich an. „Und ihr trinkt einen für mich mit, ja?!“

 

„Klar.“ Zero grinste und auch er nickte, winkte dann als sich das Fahrzeug in Bewegung setzte.

 

„Haben sich Tsukasas Worte eben nur in meinen Ohren irgendwie zweideutig angehört?“ Zero warf ihm einen abschätzigen Seitenblick zu.

 

„In deinen Ohren, mein lieber Karyu, hört sich doch alles irgendwie zweideutig an.“

 

„He, sei nicht immer so fies zu mir.“ Karyu verschränkte die Arme vor der Brust, aber der Bassist machte natürlich keine Anstalten, seine Worte zurückzunehmen und trabte stattdessen zielstrebig auf die Hütte zu.

 

„Kommst du?“

 

„Bin schon unterwegs.“ Noch einmal blickte er den Berg hinunter, wo Satos Auto nur noch als kleiner, roter Punkt zu sehen war, bevor er Zero wieder ins warme Innere der Hütte folgte.

 

~*~

 

Es dämmerte bereits, als er sich vor den Kamin im Hauptraum der Hütte kniete und damit begann, Reisig und kleinere Holzscheite darin zu stapeln. Noch war es einigermaßen warm, aber der Vermieter der Hütte hatte sie bereits vorgewarnt, dass die Nächte hier in den Bergen empfindlich kalt werden konnten und die Elektroheizung dafür meist nicht ausreichend war. Er selbst hatte zwar, außer das ein oder andere Lagerfeuer als Kind beim Campen, noch nie ein Kaminfeuer zum Laufen bringen müssen, aber so schwer konnte das ja nicht sein.

 

Zero saß am rustikalen Holztisch und tippte eifrig auf seinem Handy herum. Allem Anschein nach hatte er hier oben sogar Internetempfang und war, wie er vorhin gesehen hatte, wohl noch immer damit beschäftigt, seinen Blog zu füttern. Ihm selbst war dieses Smartphone-Gedöns eindeutig zu hoch. Er hatte noch immer sein altes Klapphandy, mit dem er telefonieren und Nachrichten schreiben konnte, mehr brauchte er nicht.

Zufrieden mit seinem Werk stopfte er noch einige Tannenzapfen zwischen die Holzschichten, die ihm später als Anzünder dienen würden, und erhob sich dann.

 

„Ich geh mal eine rauchen und nochmal kurz hoch zum Plateau“, verkündete er schließlich, während er sich schon daran machte, wieder in seine dicke Jacke zu schlüpfen.

 

„Zum Plateau hoch? Was willst du denn da?“

 

„Nichts Bestimmtes.“ Er zuckte die Schultern. „Ich will mir nur die Beine vertreten, solange es noch hell draußen ist.“ Zero brummte überlegend, legte dann aber sein Handy beiseite und erhob sich ebenfalls.

 

„Na schön, eigentlich keine schlechte Idee. Ich komm mit.“

 

~*~

 

„Gerade noch rechtzeitig.“ Karyu hockte sich auf einen der abgeflachten Felsen und schaute hinab ins Tal, wo die Abendsonne rotleuchtend langsam hinter den Bäumen des kleinen Waldes verschwand. „Schön, nicht?“, nuschelte er, eine Zigarette zwischen den Lippen und zündete sie an, bevor er den blauen Dunst genüsslich einatmete.

 

„Deswegen wolltest du hier nochmal rauf? Wegen des Sonnenuntergangs?“ Zero hatte sich schräg hinter ihn gestellt und die Hände tief in den Taschen seiner Winterjacke vergraben, während bereits eine brennende Zigarette in seinem Mundwinkel klemmte.

 

„Sag das nicht so abwertend.“ Karyu runzelte die Stirn und drehte sich halb zu ihm um, um ihm ins Gesicht blicken zu können. „Wann haben wir in Tokyo schon mal die Möglichkeit, uns in Ruhe so was Schönes anzusehen?“

 

„Mmmh, da hast du allerdings recht.“ Zero hockte sich neben ihn und betrachtete nun ebenfalls das beeindruckende Naturschauspiel. „Man müsste sich eigentlich viel öfter Zeit für solche Kleinigkeiten nehmen.“

 

„Eben. Außerdem hat das doch auch was total Romantisches.“ Er grinste, als ihn Zeros abschätziger Blick traf.

 

„Weil gerade du einen Sinn für Romantik hast.“

 

„He, wer weiß, vielleicht stecken in mir ja noch unentdeckte Wesenszüge.“

 

„Dumpfbacke.“ Nun zierte auch die Lippen des Bassisten ein kleines Schmunzeln, als er seinen Blick erneut nach vorne richtete und die Hände, nach einem schnellen Zug an seiner Zigarette, wieder in den Taschen seiner Jacke versteckte.

 

„Ist dir kalt?“

 

„Ne, geht schon.“

 

Gedankenversunken beobachtete Karyu, wie die verschneite Landschaft um sie herum erst in sanftes Orange getaucht wurde, welches einem satten Rot wich, um schließlich beinahe violett zu wirken, bevor die Sonne endgültig unterging. Die ganze Zeit über hatten sie nicht miteinander gesprochen, aber die Stille zwischen ihnen war derart angenehm, dass er tatsächlich mal nicht das Verlangen verspürte, sie mit reden füllen zu müssen. Trotzdem wäre dieser Augenblick wohl besser als jeder andere dazu geeignet gewesen, Zero endlich die Wahrheit zu sagen, aber diese Momente der ungestörten Zweisamkeit waren so selten geworden, dass ihm dieser nun zu kostbar war, um ihn mit einem Geständnis zu zerstören.

 

„Wir sollten wieder nach unten gehen, bevor es dunkel wird und bevor ich hier doch noch festfriere“, murmelte Zero irgendwann, erhob sich und hielt ihm eine Hand hin, die er auch sogleich ergriff und sich nach oben ziehen ließ.

 

„Ich kann dich ja wärmen, wenn du willst.“

 

„Ich kann dich ja treten, dass du den Berg runterkullerst, wenn du willst.“ Der Bassist lächelte süßlich und marschierte los. Karyu hingegen verdrehte nur die Augen, beeilte sich dann aber, ihm den Berg hinabzufolgen.

 

„Ich denke, wenn du es schaffst, mal einen ganzen Tag nett zu mir zu sein, falle ich vom Glauben ab“, murrte er und überholte ihn, stapfte mit seinen längeren Beinen schneller den schneebedeckten Pfad hinunter.

 

„Siehst du, genau das wollen wir ja nicht.“ Zero hinter ihm lachte leise in sich hinein, während der Schnee unter ihren Füßen knirschte. In der letzten halben Stunde, die sie oben auf dem Felsplateau verbracht hatten, war es tatsächlich bereits empfindlich kalt geworden und ein leichter Wind trieb den lockeren Pulverschnee, der sich rechts und links von ihnen türmte, in sanften Wellen vor sich her.

 

„Karyu?“ Mit einem fragenden Laut drehte er sich zu Zero um, der noch immer nicht aufgeholt hatte, und gab im nächsten Moment auch schon einen teils erschrockenen, teils empörten Aufschrei von sich, als ihn ein Schneeball direkt im Gesicht traf.

 

„Na warte“, prustete er, während er gleichzeitig versuchte, sich den Schnee aus dem Gesicht zu wischen, den weiteren Geschossen auszuweichen und sich selbst mit einem Schneeball auszurüsten. Der Schnee war eigentlich viel zu locker für so ein Unterfangen. So hatte ihn Zeros vorbereitete Munition auch schon mindestens drei weitere Male getroffen – was er übrigens ziemlich unfair fand – bis auch endlich einer seiner Schnee… – äh , -haufen? – seinen Weg in dessen Gesicht fand. „Ha!“, freute er sich und versuchte sich auch gleich an einem weiteren Treffer.

 

Wie lange sie sich so, wie die kleinen Jungs, gegenseitig abgeschossen hatten, konnte keiner von ihnen hinterher sagen, aber irgendwann hatten sie beinahe den ganzen Weg zur Hütte hinunter zurückgelegt.

 

„Du siehst aus, wie ein Rupfhuhn.“ Karyu lachte heiter, zumindest so lange, bis Zero mit einem wirklich unverschämt großen Schneeball auf ihn zugestürmt kam. „Wah! Lass das! Nicht! Zero, komm schon.“ Abwehrend die Hände hebend versuchte er sich rückwärts in Sicherheit zu bringen, kam ins Straucheln und landete mitten in einer Schneeverwehung. Zeros Schwung war wohl zu groß gewesen, denn der Bassist konnte nicht mehr bremsen, landete ebenfalls in dem Schneeberg und mehr oder weniger unsanft somit auch auf ihm. „Uff.“ Karyu stöhnte und versuchte mit einer Hand wenigstens einen Teil des Schnees, der sich bei Zeros Sturz auf ihn ergossen hatte, aus seinem Gesicht zu wischen.

 

„Lebst du noch?“, erkundigte sich der Bassist mit deutlichem Amüsement in der Stimme, rappelte sich ein bisschen hoch, um wenigstens nicht mehr ganz auf Karyus Brustkorb zu liegen, und strich ihm seine wirren und teilweise mit Schnee gespickten Haare aus der Stirn.

 

„Weiß nicht. Ich glaub, ich bin endgültig eingefroren.“ Er zitterte leicht, grinste aber noch immer vor sich hin und schaute seinem Gegenüber ins gerötete Gesicht. „Aber hey, das hat Spaß gemacht.“ Frech zupfte er an einigen von Zeros Haarsträhnen und ließ sie dadurch nur noch mehr von dessen Kopf abstehen. „So solltest du mal auf die Bühne, sieht schick aus.“

 

„Werd mal nicht frech, du bist eindeutig in der schlechteren Position hier.“ Zero machte erneut Anstalten, ihm mit einer Ladung Schnee zu Leibe rücken zu wollen, aber nun war es wirklich genug. Karyu hatte Schnee an Stellen, die wenn es nach ihm gegangen wäre, nie in seinem ganzen Leben damit hätten in Berührung kommen sollen.

 

„Vergiss es“, knurrte er, packte die Hände des anderen und zog ihn nach unten. „Wärm mich lieber wieder auf, bevor du mich noch mehr zur Eisskulptur machst.“ Er musste sich nur ein kleines Stück nach oben drücken, bis er Zeros Gesicht nahe genug war, um dessen Atem wärmend auf seinen Lippen spüren zu können. Er dachte nicht über mögliche Konsequenzen nach, als er auch noch den letzten Abstand zwischen ihnen überwand und seine Lippen zunächst noch sacht auf die des Bassisten legte. Die Wärme, die ihn daraufhin durchströmte, hatte nichts mit der sie umgebenden Außentemperatur zu tun, nein, das war einzig und allein Zeros Nähe, die seinen Körper so reagieren ließ. Gott, wie hatte er dieses Gefühl, diese weichen, vollen Lippen nur vermisst. Sein Freund öffnete seinen Mund einen winzigen Spalt breit und er nutzte diese Chance, vertiefte ihren Kuss. Als eine vorwitzige Zunge frech gegen die seine stupste, fing sein gesamter Körper zu kribbeln an und er seufzte leise, rundum zufrieden. Leider löste sich der Bassist viel zu bald wieder von ihm und blickte ihm ins Gesicht. Karyu lächelte leicht, streichelte mit seinen eisigen Fingern über die von der Kälte gerötete Wange. Ob nun der richtige Zeitpunkt war? Er atmete tief ein, sprach sich in Gedanken Mut zu, als sich der Ausdruck in den dunklen Augen plötzlich änderte, vorwurfsvoll wurde.

 

„Hör auf.“ Zero machte sich von ihm los und rappelte sich hoch. Ungläubig schaute er ihm dabei zu, wie er sich den gröbsten Schnee von der Kleidung klopfte und alles in allem schon wieder so wirkte, als wäre eben gar nichts passiert.

 

„Aber …“, setzte er an, verstummte jedoch, als ihn ein scharfer, warnender Blick traf.

 

„Nichts ‚aber‘, du hast es mir versprochen.“ Zero fuhr sich durchs Haar und seufzte leise. „Und nun schau nicht schon wieder, wie ein getretener Hund, sondern lass uns reingehen, bevor du dir noch den Tod holst.“ Er streckte ihm eine Hand entgegen, und am liebsten hätte Karyu diese nun ausgeschlagen, hätte seiner Verwirrung Luft gemacht oder wäre in die Nacht verschwunden. Aber er tat nichts davon, ergriff stattdessen die ihm angebotene Hand und ließ sich nach oben ziehen.

 

„Du hast erwidert“, murmelte er, während er sich ebenfalls des Schnees entledigte und dann hinter dem Bassisten her zur Hütte hinübertrottete. Zero sagte nichts darauf, stapfte nur stumm weiter und schloss die Tür auf.
 

-_-_-_-
 

Wenn euch dieses Kapitel gefallen hat, hinterlasst mir doch einen Favoriten. ^^ Falls es eure Zeit zulässt würde ich mich auch sehr über einen Kommentar freuen. Ich wünsche euch noch einen schönen Tag. Bis zum nächsten Kapitel.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Kyo_aka_Ne-chan
2018-01-18T13:04:19+00:00 18.01.2018 14:04
Oh Mann, was ist mit Zero los, ich will ihn schütteln, schütteln, schütteln... und auch mit Schnee bewerfen xD So kann er doch nicht mit dem Geburtstagskind umgehen, was ist da los? Ich habe gerade voll viele Fragezeichen im Kopf... na zum Glück ist da schon ein weiteres Kapitel, das pfeif ich mir jetzt auch noch rein xD
Ich finde das eine schön verpackte Story bisher und du schaffst es, dass da schön viel passiert, ohne, dass es langweilig wird. Man kann sich gut in Karyu versetzen und man bangt da echt um ihn. Na mal sehen, wie das ausgeht *hibbel* Bei dem Kuss am Ende hatte ich jetzt voll Herzklopfen *awwww* xD ... und plötzlich kommt das "NOPE" und man denkt sich so "NEIIIIIN!!!! Wieso nicht????" xD
Gefällt mir erst mal so weit, das wird ohne Frage gefavot~
Antwort von:  yamimaru
18.01.2018 17:57
Hallöchen Kyo,
*umflauscht* vielen lieben Dank für deinen Kommentar, ich freu mich grad mega da drüber!
Aber schüttel Zero bitte nicht zu viel, Karyu braucht ihn noch. *lacht* Aber so ein bisschen mit Schnee bewerfen darfst du gerne machen, da ist der liebe Bassmann eh zu glimpflich davongekommen. XD
Ich freu mich da echt drüber, dass ich mit dem ersten Kapitel so ein paar Fragezeichen herauslocken konnte und du auch gleich weiterlesen willst. Da hab ich mein Ziel ja erreicht. *g*
Und danke!!! Wenn ein Kuss beim Leser Herzklopfen auslösen kann, dann ist das wirklich ein großes Kompliment. :) Da freu ich mich jetzt gleich noch viel mehr drüber. XD
Lg
yamimaru
Antwort von:  Kyo_aka_Ne-chan
18.01.2018 18:50
Huhu *reflauscht* xD
Ich freu mich, wenn ich dir mit einem einfachen kleinen Kommi so viel Freude machen kann :)
Ja das stimmt, Karyu hat viel mehr einstecken müssen als Zero, gerade, als Zero ihm Schnee in den Nacken getan hat, da war ich empört xD
Ach ja, übrigens heißt es nicht Parker, sonder Parka, das wollte ich dir noch schreiben *vergessen habs* Ach der Kuss war so toll, daher hab ich´s vergessen xD

LG
Kyo
Von:  Phoenix_Michie
2017-11-15T18:16:31+00:00 15.11.2017 19:16
Oh maaaan, ist das dein Ernst?! Da machst du Schluss? Du bist eine olle Auf-die-Folter-Spannerin! Ich weine innerlich QQ

Aber mal ganz abgesehen von diesem wirklich fiesen Cliffhanger, bin ich hellauf begeistert! Ich leide so richtig mit Karyu mit! Was er so erzählt und erlebt...Das muss echt anstrengend sein, ständig so ein bisschen angefüttert und dann wieder abgewiesen zu werden. Fragt sich, was eigentlich Zeros Problem ist :/

Tsukasa und Hizumi waren auch süß, die hast du gut mit eingebaut. Aber dass sich der kleine Giftzwerg gleich irgendwas eingefangen hat, ist schon bitter ^^"

Ich sage jetzt voraus, wie ein mögliches Ende der FF aussehen kann: Zero und Karyu lieben sich ganz romantisch vor dem Karmin xDDD Oder aber, der Strom fällt aus, das Feuerholz langt nicht mehr und sie erfrieren jämmerlich in der eiskalten Hütte, die völlig eingeschneit wird. Hm. xD

Ich bin jedenfalls sau gespannt, wie das da weitergeht und drücke Karyu die Daumen, dass alles klappt :)

PS: Hab mich mega über die FF gefreut *_______________*
Antwort von:  yamimaru
15.11.2017 21:42
Huhu, ^^

ich sag hier jetzt auch nochmal danke für den Kommi.
Ich freu mich echt gerade riesig darüber.

Nya, den Cliffy hätte es eigentlich gar nicht geben sollen, weil die Story als Oneshot konzipiert war.
Aber nachdem ich mich mal wieder nicht kurzfassen konnte, hat der Bruch hier doch gut gepasst. ;P
Ich hab jedoch vor, den zweiten Teil sehr bald hochzuladen, du wirst also nicht lange warten müssen. XD

Ich bin echt froh, dass Karyus Gefühle gut rüberkommen und freue mich tierisch, dass dir Tsukasa und Hizumi gefallen. ^^

Bezüglich deiner Vorhersage kann ich natürlich nichts sagen ... aber in der Story-Beschreibung steht ja nix von Drama, ne? XDDD

Nochmal vielen lieben Dank für dein Feedback und die kleine Hilfe gerade. ;)

Lg
yamimaru


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