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Lufiahrrad

Die Legenden kehren zurück
von

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(Ganze Geschichte)

Diese Geschichte spielt ein Jahr nach dem Sieg von Wain und seinen Freunden über den Weltenzerstörer Zalbak. Die zwölf Freunde waren derweil wieder zu ihren Heimatorten zurückgekehrt und wurden dort für ihren Dienst, die Erde vor der totalen Zerstörung bewahrt zu haben, ausgiebig als Helden gefeiert. Ein gemeinsames Wiedersehen hatte es allerdings nicht mehr gegeben.

Wain, der Schwertkämpfer, lebte nach seiner Reise wieder im kleinen Dorf Patos. Die Abenteurerin und Wahrsagerin Seena war bei ihm und die Zeit, die die beiden miteinander verbringen konnten, hätte nicht einmal im Traum so schön sein können. Es war schon fast, wie bei einem alten Ehepaar. Nur waren sie noch längst nicht alt und die lahme Trägheit der ruhigen Einöde schlug den beiden Abenteurern auf die Knochen. Anstelle von Riesenkraken und mutierten Hähnen wurden sie nun von kleinen Hummeln beim Mittagstisch attackiert. Auch das listige Kätzchen, das ihnen die Milch zu klauen versuchte, war einer der Hauptgegner im Dorf. Das Leben verlief nun wieder in viel kleineren Dimensionen und daran mussten sich die Weltenretter langsam gewöhnen. Was blieb ihnen auch sonst übrig.

Doch eine besonders glückliche Situation sollte schon bald zu neuen Abenteuern einladen. Als Seena eines Tages beim Händler in Albano-Stadt zwei Fahrräder entdeckte, staunte sie nicht schlecht. Die Stahlkonstruktion war ihr zwar unbekannt, da niemand bisher auf dem Kontinent Epsis mit einem solchen Ding gesehen wurde. Aber nützlich sah es aus, da Gegenstände damit transportiert werden könnten, wenn mal keine Magie zur Verfügung stehen sollte. Als obendrein rasant sollte sich die Maschine noch herausstellen. Obwohl Wain und Seena mit dem Luftschiff ihres alten Mitstreiters Deckard bereits wesentlich schneller unterwegs gewesen waren, so war nie besonders viel Zeit zum Erkunden der Umgebung gewesen. Beim hastigen Verreisen über das Weltmeer und die vier Kontinente zogen die kleinen Schönheiten der Natur rasend schnell an den Helden vorbei. Da auf dem Kontinent Epsis nicht gerade die nächste Höllenapokalypse anstand, könnte Verpasstes nun nachgeholt werden. Es würde sich schon etwas daraus ergeben.
 

Wain und Seena, das junge Liebespärchen, verbrachten somit viel Zeit damit, die Natur zu erkunden, die kleinen Insekten am staubigen Wegesrand, die merkwürdigen Pflanzen in den Mooren oder die Berge und Täler im Umland von Patos, die ihre Form bestimmt nicht aus reinem Zufall hatten. Körperlich anstrengend war das Reisen auch. Die Zufriedenheit darüber, sich verausgabt zu haben, und dafür etwas Schönes bekommen zu haben, erinnerte Seena und Wain an die Zeiten ihrer großen Kämpfe. Sie waren einfach nicht zum wochenlangen Stillsitzen geboren, die Action hatte in der letzten Zeit gefehlt!
 

Einmal radelten Wain und Seena zusammen nach Albano. Mit dem Fahrrad waren sie noch nie in Albano gewesen. Ein großer Berg wäre auf der Route zu überqueren. Dabei heizte Seena die Stimmung ein wenig an, weil ihr die Fahrradtour noch nicht halsbrecherisch genug war: "Wetten, ich bin schneller als du in Albano?" Somit traten beide kräftig in die Pedale und lieferten sich ein Duell um die Ehre, als Erster in Albano-Stadt anzukommen. Wain war auf seinem Mountainbike zwar der Schnellere, aber Seena konnte bei der Bergüberfahrt die Führung übernehmen, weil die Schaltung ihres Damenrads im Gegensatz zu jener des roten Kriegers funktionierte. Auf dem Gipfel blickte sie kurz zurück, und sah den erschöpften Wain mehrere Meter hinter sich. Nun begann die Abfahrt des Berges. Auf dem Bergabstück heizten beide mit Volldampf die Steigung herunter, wodurch die schneller und schneller wurden. Wain überholte Seena wieder und grinste sie an, als beide mit über 50 Stundenkilometer den Berg hinabschossen. Doch Seena dachte sich nur: "Dummkopf, dich krieg ich!", und legte sich auf den Lenker ihres Stahlrosses. Dadurch verringerte sich der Luftwiderstand und in Wains Windschatten wurde sie wieder schneller und ihr langes, blaues Haar wirbelte wie wild im Wind. Seite an Seite fuhren beide ächzend und krächzend in Albano ein, doch wer hatte nun gewonnen? Mit wackligen Knien ließen sich Seena und Wain erschöpft auf eine Bank fallen und keuchten vor Anstrengung. Seena sprach: "Stark!", ihren Heilungszauber, und beide waren zumindest wieder auf den Beinen. Den Rest des Tages philosophierte das Paar über ihr neues Erlebnis bei ihrem Fahrradduell. Das Gefühl sich mit einer mörderischen Geschwindigkeit wie ein Keil durch den Wind zu schneiden. Der Luftzug, der sich in den Augen anfühlt, als würde er einem das Gesicht herunterreißen. Jedes Körnchen, jede Bodenwelle auf der Erde direkt zu spüren und mit der Straße praktisch verbunden zu sein. Ja, das war alles ein echtes Erlebnis gewesen, völlig ohne Riesenkraken und mutierte Hähne. Wie einfach das doch war. Aber im Detail steckte die Substanz der Angelegenheit. Schließlich wurde sich auch gefragt, wer wann durch welche Faktoren schneller fahren konnte. Wer seine Fitness, sein Fahrrad und sein Fahrverhalten optimieren könnte, würde beim nächsten Mal gewinnen, das war sicher. Immer noch völlig geschafft rasteten die Zwei für den restlichen Tag im Gasthaus und ruhten sich aus, dabei träumten sie von der erlebten Fahrradaction.
 

Zwei Tage später im Dorf Patos. Die Rennerei hatte tiefe Spuren im Alltag von Wain und Seena hinterlassen. Und ebenso auf den Kieswegen im Dorf, denn dort waren nun tiefe Furchen von stattgefunden Fahrradtestfahrten zu sehen. Seena hatte die Idee, einen Rundkurs zwischen den Häusern abzufahren. Ein paar Fässer wurden aufgestellt, um die Kurven zu markieren. Das war etwas ganz Anderes als das lange Duell bis Albano, da Seena die Kurven nicht mit voller Geschwindigkeit durchfahren konnte. Es war also Fahrkönnen gefragt, um die Kurven perfekt zu meistern. Die Bremsen ihres Damenrads quietschten laut vor jeder Abbiegung, da sie so spät wie möglich verlangsamen wollte, um länger schnell zu sein.

Ein Patos-Onkel und eine Patos-Schwester sahen sich die Szene mit runzligen Stirnen an. "Wieso fährt sie denn im Kreis? Was soll das bringen?", fragte die Schwester. Seena lachte: "Spaß!", und feuerte um das nächste Fass herum.

Nun sollte es die Schwester auch einmal mit Seenas Fahrrad probieren, möglichst schnell um den Rundkurs zu heizen. Aber irgendwie kam dabei so gar kein Feuer auf. Die Dorfbewohnerin war so langsam unterwegs, dass nicht von Rennenfahren gesprochen werden konnte. Obwohl sie unbeschreiblich langsam unterwegs war, schien das ganze Vorderrad in jeder Kurve zu zittern, vielleicht aus Angst der Fahrerin? Oder vielleicht gerade weil sie so langsam war? Nach einer Runde war jedenfalls Schluss, und die Schwester stieg wackelig vom Sattel. "Lebensgefährlich was du da machst... wahnsinnig! Nie wieder steige ich... auf so eine Höllenmaschine!" Zitternd und gestikulierend entfernte sie sich von Seena, die verdutzt mit ihrer karibikblauen "Höllenmaschine" zurückblieb.

Wain beobachtete die Szene aus dem Fenster seines Hauses, als er Kartoffeln, Karotten, Zwiebeln und Spiegeleier zum Mittagessen präparierte. Seena kam zu ihm.

"Hast du das da draußen gerade gesehen? Das scheint für die meisten Menschen ziemlich irre zu sein, was wir hier ausprobieren." Wain wusste auch nicht recht, wieso: "Wie kann das Fahren denn keinen Spaß machen? Endlich mal ein bisschen Leben im Dorf!"

Seena: "Schau mal, die Menschen vor hier haben nicht so viel erlebt wie wir."

Wain: "Stimmt, sie führen ein einfaches, aber zufriedenes Leben. Und wir mussten ja die Welt vor ihrer Zerstörung durch die Höllenfürsten bewahren.

Seena: "Unser Gefühl von Risiko ist nicht mehr von diesem Planeten. Schade, so können wir unseren Spaß gar nicht mit anderen Menschen teilen."

Das Essen war angerichtet und der wohlriechende Duft dampfender Kartoffeln erfüllte das Haus. Seena überlegte, wer denn wohl überhaupt fähig wäre, sie bei einem Fahrradrennen ernsthaft herauszufordern. Wie besessen schoss ihr die Antwort in den Kopf: "Hey, ich hab's! Wir fragen all unsere alten Mitstreiter von damals, ob sie Teil des bisher größten Fahrradrennens aller Zeiten werden wollen!" Triumphierend streckte Wain seine Faust in die Höhe, in der sich eine Gabel mitsamt aufgepiekter Kartoffel befand. Der Plan war gut, denn er wäre einerseits ein schönes Wiedersehen mit all jenen, die mit ihnen gemeinsam durch die Apokalypse wandern mussten, um am Schluss siegreich aus der Schlacht gegen die Höllenfürsten zu ziehen. Andererseits wären diese zehn Mitkämpfer aus vergangenen Tagen wahrscheinlich die einzigen Wesen, die es körperlich und geistig durchhalten würden, ein Rennen durchzustehen.

Damit wurde der Plan besiegelt. Wain schlug vor, in der größeren Stadt Albano das Rennen auszutragen, wo etwas mehr Platz und Pflastersteine statt Feldwege vorhanden waren. Er sollte sich um den zu fahrenden Rundkurs kümmern, dessen Streckenverlauf noch festgelegt werden musste. Seena dagegen wollte sich mit ihrem 'Warp'-Zauber zwischen den Kontinenten von Stadt zu Stadt teleportieren und möglichst alle alten Freunde besuchen. Wobei es schwierig werden dürfte, für den Waldgeist Moose, ein über zwei Meter hohes Pelztier, einen fahrbaren Untersatz zu bekommen. Trotzdem sollte er dabei sein. Ob der alte Randolf wohl noch fit genug sein würde, um auf ein Fahrrad zu steigen? Es würde wohl spannend werden.
 

Der Tag des Rennens war gekommen. Ein sonniger Tag mit einigen Wolken am Himmel über Albano. Wain und Seena waren bereits mit ihren Fahrrädern mitten im Zentrum der Stadt und warteten auf die Ankunft ihrer Freunde. Da kam auch schon Yurist, der reisende Poet, mit seinem ordentlich aussehenden Herrenrad aus Stahl.

"Von der Weite her treibt es mich

In die Stadt des Rennens wegen

Und ergeben soll es sich

wie der Wind es mag hinlegen."

"Also mit mir auf dem ersten Platz!", lachte Wain. Plötzlich ertönte es hinter einer Häuserecke: "Nicht doch, ich werde das Rennen mit meinem Fahrrad gewinnen!" Und Dei, der Dieb, schlich aus den Schatten hervor. Er schob sein türkises Rennrad mit hauchdünnen Reifen zu den Anderen. Um den Rahmen hing ein aufgebrochenes Schloss. "Deinem Fahrrad? Du hast es doch bestimmt gestohlen, stimmt's?", neckte Seena. "Nennen wir es 'ausgeborgt'. Der reiche Typ hatte es sowieso nur draußen stehen lassen. Der zählt den ganzen Tag nur sein stinkiges Geld und kommt bestimmt gar nicht mehr zum Fahren!", verteidigte sich Dei.

Nun kam Aima, die Mönchin vom Leong-Tempel, radelnd auf die Gruppe zugefahren. Dabei knarrzte und knackte es laut. Mit einer Art Kung-Fu-Sprung wirbelte Aima durch die Luft und landete neben ihrem Fahrrad. "Hallo Allerseits!" Aimas Fahrrad war eine Rostlaube, mit bräunlich verrotteter Kette und abgefahrenen Reifen, bei denen stellenweise das Reifengummi durchgescheuert war und der Schlauch zu sehen war. Wain kratzte sich bei diesem Anblick am Kopf: "Also topfit bist du wohl, aber dein Fahrrad sieht dafür nicht ganz fit aus." "Ach, es fährt und das genügt.", sprach Aima. "Alles Weitere ist von mir selbst abhängig."

Durch das Ortstor kam elegant die reiche Glücksspielerin Ruby aus der Casinostadt Redwood auf einem bildschönen Damenrad zur Gruppe gefahren. Ihr Blick fiel auf Aimas Rostlaube. "Da hat sich jemand ganz schön verzockt." Daraufhin Aima: "Und dein brandneues Fahrrad trägt dich also von alleine ins Ziel?" Ruby: "Mein Fahrrad ist komfortabel und das wird mich auf Dauer bei dem Rennen schneller machen. Ich setze mein Geld darauf, so angenehm wie möglich zu fahren."

Einer, der ebenfalls sehr angenehm im Sattel saß, war Deckard, wuchtiger und wohlgesinnter Pirat. Er trudelte auf einem Bonanzarad mit Rückenlehne ein. "Auf diesem Kahn fühlt man sich wie ein Kapitän, haha!" Der Lenker dieses Bonanzarades war sehr lang und konnte daher in einer entspannten Sitzposition gehalten werden. Wain wollte Deckards Rad einmal hochheben. "Uff, ist das schwer!" "Ha, na und? Mein Schiff auf hoher See ist auch schwer, und das bewegt sich schließlich auch vorwärts. Ist doch nur eine Frage des Antriebs.", wehrte Deckard ab. Seena grinste: "Und du glaubst wohl, deine Kraft, oder sagen wir, dein kräftiger Antrieb, reicht zum Gewinnen des Rennens aus?" Deckard: "Klar gewinnt hier der Stärkste! Also natürlich ich, haha!"

Ein weiterer Teilnehmer gelangte zu Fuß zur Gruppe: Milka, die Elfe aus dem fernen Rosplett-Wald. Unter ihrem Arm trug sie einen schweren Koffer. "Vielen Dank, dass du das Fahrradrennen organisierst, Wain." Der antwortete darauf: "Vielen Dank, dass du den weiten Weg zu uns gefunden hast. Aber du brauchst ein Fahrrad, um mitfahren zu können! Hast du keines?" Milka deutete auf ihren Koffer. Und dessen Inhalt wurde nun begutachtet, ein kompaktes Knäuel aus zwei Reifen und vielen Aluminiumstangen, die aber nicht so recht zusammen ein komplettes Fahrrad ergaben. Doch mit zwei Handgriffen faltete Milka das Knäuel unter den staunenden Blicken der Anderen auseinander und präsentierte so ihr kleines Klapprad. "Das sind aber kleine Reifen!", wunderte sich Aima. "Ob Milka damit schnell sein wird?", fragte Yurist. "Unglaubliche Elfentechnologie hast du da, so ein Miniaturwunder, wow!", erstaunte Wain über Milkas Klapprad.

"Wo ist die unglaubliche Elfentechnologie, zeigt her!", forderte eine betagtere männliche Stimme, die zu dem Wissenschaftler Isaac gehörte. Er war gerade angekommen, stellte seine Maschine ab und wollte sofort Milkas Wunderrad begutachten. "In den Kurven sicherlich wendig, aber beim Geradeausfahren musst du mehr leisten! Kommt auf die Strecke an, ob das kleine Fahrrad ein Vorteil wird.", analysierte Isaac. Niemand begutachtete derweil Isaacs Rad, welches einen Tacho am Lenker hatte und viele komische Schalter. Alles an diesem Fahrrad war dicker verkleidet als bei den bisherig Erschienenen. Außerdem schien eine Art Schachtel in der Mitte des Rahmens zu hängen. Wofür die wohl gut sein mochte? Sah jedenfalls nicht besonders sportlich aus. Ebensowenig wie sein Besitzer.

Isaac wandte sich von dem für ihn uninteressanten Klapprad ab und blickte in Richtung Ortseingang. Da fuhren Melfis und Randolf ein, doch die Art, wie sie einfuhren, ließ Isaacs Brille von seiner Nase fallen. Beide fuhren auf einem einzigen, ganz langen, Fahrrad, mit zwei Fahrradsättel und zwei Paar Pedalen. Isaac fiel auf die Knie: "Neeein!! Doppelte Kraft bei weniger als dem doppeltem Gewicht macht einen zusätzlichen Power-Faktor von Eins Komma Vier Sieben! Verloren...". Und er brach in Tränen aus. Dei wollte sofort wissen, ob es erlaubt sei, zu zweit auf einem Fahrrad fahren zu dürfen. Nun musste Wain als Organisator ein wenig Hirnschmalz in eine Entscheidung fließen lassen. Melfis wurde wegen der Diskussion ganz verlegen: "Ach Randolf, es war eine blöde Idee, dieses Tandem mitzunehmen. Wir ärgern damit nur unsere alten Kameraden!" "Aber Prinzessin, ich muss euch bei diesem Rennen tatkräftig zur Seite stehen, damit ihr es gewinnen könnt!", antwortete Randolf, der alte Gardist. Milka merkte an, dass die beiden Einzeln körperlich nicht zur ersten Garde gehörten und das Tandem deswegen mitfahren sollte, weil es einfach interessant wäre. Randolf war tatsächlich mit über siebzig Jahren der Älteste am Start und hatte sicherlich schon einen Teil seiner Kriegerkraft eingebüßt. Und Prinzessin Melfis war nunmal kein Muskelprotz. "Was man nicht in den Beinen hat, muss man eben mit Köpfchen bewältigen", meinte sie. Damit stimmte Wain zu, dass das Tandempaar Melfis/Randolf gemeinsam starten dürfte. "Bin schon gespannt, ob ihr es mit dem Riesenteil durch die engen Kurven schaffen werdet...".

Fast waren die alten Freunde komplett. "Kommt Moose auch? Beziehungsweise, kann er überhaupt Fahrrad fahren?", fragte Ruby. Seena hielt bereits Ausschau nach dem großen, pelzigen Waldgeist. Da entdeckte sie seine dicke Erscheinung am Ortseingang. "Schaut mal da hinten! Moose fährt tatsächlich auf einem Fahrrad!". Wenn auch sehr langsam, aber er fuhr. Isaac zückte sein Fernglas. Eine weiterer Rückschlag für ihn durch ein überlegenes Fahrzeug? "Ein riesiges Vorderrad! Und die Pedale sind direkt daran montiert, sehr interessant! Damit gibt es keine Kette! Aha, es ist ein Hochrad, also völlig ineffizient!", kommentierte Isaac. "Egal, hauptsache Moose ist da, juhu!", rief Seena entzückt und umarmte den flauschigen Waldbewohner, was er wiederum mit einem sanften "Puki-pi" erwiderte. Menschliche Sprache spielt für Moose keine Rolle, denn er besaß ein instinktives Verständnis von Lauten aller Art. Doch würde ihm sein Instinkt auch auf der Rennstrecke von Nutzen sein?
 

Nun standen alle zwölf Helden wieder gemeinsam vereint auf einem Fleck und hatten ihre ganz verschiedenen Fahrräder dabei. Da die Szene im Herzen von Albano ein Stück weit auffällig war, wollten die Stadtbewohner schnell wissen, was los sei. "Wenn ihr euch wieder trefft, sind doch hoffentlich keine Höllenfürsten aufgetaucht?", fragte ein kleiner Junge. Beim Stichwort 'Höllenfürst' sammelten sich gleich mehrere Menschen um die Helden herum und murmelten untereinander, ob denn wieder Schlimmes geschehen werde. Wain durchschnitt das Gemurmele wie mit einem Schwerthieb: "Seid nicht bange, liebe Menschen! Wir feiern heute einen Tag der Freude und des Lebens, an dem wir Zwölf uns zu einem großen Fahrradrennen hier in Albano getroffen haben!" Das Gemurmele helle auf. Ein Fahrradrennen? Oh! Was ist das? "Ein sportlicher Wettkampf, bei dem wir hier sehen wollen, wer der oder die Schnellste von uns ist!" Dafür bekam Wain Applaus. Außer von Einem. Fugo, der reiche Bürgermeister der Stadt Albano, bahnte sich in seinem goldenen Gewand einen Weg durch die Menschenmenge hin zu Wain. "Was soll das, die Menschen so zu verunsichern? Könnt ihr das nicht wenigstens anmelden, wenn ihr euch in aller Öffentlichkeit als große Gruppe trefft?", motzte Fugo. Wain darauf: "Nun, jetzt wissen es ja alle, was wir vorhaben. Nämlich ein großes Fahrradrennen!" Fugo war ganz bestürzt: "Ein Fahrradrennen? In meiner Stadt? Über meine blitzsauberen Pflastersteine? Um meinen bildschönen Brunnen herum? Krieger, du willst wohl meine Stadt verdrecken mit deinem Rennen!" "Hey, wozu sind die Pflastersteine denn da? Um sie etwa abzusperren und ein Schild vorzustellen mit der Aufschrift 'Bitte nicht betreten'? Dir muss man so einen blitzsauberen Pflasterstein mal gehörig an den Schädel rammen, pah!", brüllte Wain. Er und Fugo starrten sich gehässig an, und tatsächlich könnte bald der erste Pflasterstein fliegen. Seena schüttelte den Kopf: "War ja klar, dass du Dummkopf es wieder eskalieren lässt. Fugo, wir machen dabei nichts kaputt, ehrlich. Schau es dir mal an, wie das überhaupt aussieht, wenn wir mit den Fahrrädern durch die Stadt fahren." Und das hielt Fugo für eine gute Idee und ließ sich das Rennenfahren einmal vorführen. Wain kannte als einziger die Strecke und fuhr immer noch wutentbrannt die Kurven und Geraden ab. Dabei kam er mit seinem Mountainbike insbesondere beim Brunnen im Fugo-Gedächtnis-Park (nach Fugo benannter Platz in Albano) in solch extreme Schräglage, dass ein Raunen durch die Stadtbewohner ging. Doch Fugo war entsetzt: "Halt an! Stopp! Das ist hochgefährlich! Du bringst dich noch um, wenn du so weiter machst!" "So funktioniert nunmal ein Rennen, Mann!", brüllte Wain und wurde ganz rot vor Zorn auf Fugo. "Was hast du daran auszusetzen? Wir stellen uns schließlich selber der Gefahr! Wer auf dem Boden landet, ist dafür selber verantwortlich!" Fugo antwortete: "Ihr stiftet die ordentlichen Menschen, die ihre kleinen, sauberen Leben in dieser ordentlichen Stadt leben zu etwas an, was dann großen Schaden verursachen wird!" Kleinlaut meldete sich eine ältere Albano-Tante zu Wort: "Es sieht schon sehr gefährlich aus, aber..." Fugo fiel ihr ins Wort: "Wain, da hast du es aus erster Hand gehört! Lasst diesen gefährlichen Unsinn einfach sein, okay?" In den Gesichtern mancher Stadtbewohner zeichnete sich ein beschämtes Schweigen ab. Das Rennen aufzugeben, wäre die langweiligste Lösung geworden. Doch mit Fugo ließ sich diskutieren, nur war der Holzkopf von Wain dafür ein wenig ungeeignet. Ruby hatte einen Vorschlag: "Fugo, mach doch das Fahrradrennen zu deiner Show! Lass die Leute den Sieger des Rennens erraten und lass sie Geld auf jeden Teilnehmer setzen. Mit Wettquoten und so." Und diesen Teil flüsterte sie ihm ins Ohr: "Dürfte ganz im Sinne deines Vermögens sein." Fugo hielt inne. Hatte die Zockerin Ruby gerade eine geniale Idee gehabt, damit Fugo noch mehr Geld scheffeln könnte? Von den Einsätzen der Menschen würde er einfach einen Teil als seinen eigenen Gewinn einbehalten. Ruby legte noch ein bisschen Kohle ins Feuer nach: "No risk, no fun! Komm, Fugo!" Und Fugo kletterte auf eine Bank, um besser vor den Bewohnern von Albano sprechen zu können. "Hört, hört! Wir werden hier heute das bisher größte Fahrradrennen aller Zeiten erleben dürfen! Und jeder, der möchte, kann mit einem kleinen Wetteinsatz versuchen, den Sieger vorauszusagen. Liegt er richtig, gibt es eine Menge Geld zu gewinnen!" Applaus für Fugo, denn er hatte damit das Rennen möglich gemacht und es sogar noch erweitert.

Kisten, eine Tafel und Kreidestücke wurden herbeigeschafft und vor der Waffenschmiede in Ortsmitte aufgebaut. Fugo gab jedem Starter zunächst die gleiche Wettquote. Auf seiner Tafel würde er die Quoten immer anpassen, je nach Nachfrage auf einen Radfahrer. Die Bewohner Albanos lechzten schon darauf, auf ihren Favoriten ein paar Taler zu setzen. Wen würden die Zuschauer wohl für siegfähig halten, wen nicht?
 


 

Wain rief alle Teilnehmer zusammen. "Über unsere Quoten könnt ihr später noch fantasieren, denn nun zeige ich euch erstmal die Strecke. Fahrt einfach langsam hinter mir her." Alle sattelten ihre Fahrräder und starteten von der Ortsmitte in Richtung Springbrunnen. Hier wurde über eine Bordsteinkante herübergefahren, hinter der eine gröbere Steinsorte um den Brunnen herum lag. Wain setzte nun für eine halbe Umrundung des Brunnens an, die eng an einer Parkbank vorbeilief. "Diese Kurve heißt 'Fugo-Haarnadel'!", brüllte Wain den anderen zu. "Vorsicht, hier ist wieder eine Kante! Und jetzt kommt ein langes Geradeausstück, das nenne ich 'Lange Gerade'!" Zu ihrer Rechten sahen die Fahrer die Albano-Kirche und vor sich ein langes Geradeausstück, daher kam wohl der Name. "Wain, wieso gibst du den Kurven und Geraden eigentlich Namen?", fragte Aima. "Es klingt einfach besser! Wart mal den Namen der nächsten Kurve ab, die heißt nämlich 'Scharfes Eck', da hinter dem letzten Haus. Ganz enge Linkskurve! Und Vorsicht, hier ist wieder eine Kante hinter der Kurve! Aber ihr könnt auch außen daran vorbeifahren, falls das für euch schneller ist. Jetzt geht es wieder geradeaus bis zu dem Linksknick, wofür ihr aber nicht bremsen müsst. Ich nenne diesen Abschnitt 'Hinterhausgerade'. Aber am Ende dieser Gerade müsst ihr stark bremsen, und zwar für die 'Baumschlange', die schlängelt sich von einer Rechtskurve zu einer Linkskurve. Hier umrunden wir außen den ersten Baum und fahren dann zwischen ihm und dem zweiten Baum hindurch über das Gras. Nur Vorsicht, es wird etwas erdig werden. Und dann machen wir noch eine leichte Linkskurve, wo aber eine Kante innen in der Kurve ist, also fahrt da bloß nicht drüber. Sonst fallt ihr! Und wenn das überstanden ist, fahren wir wieder mitten ins Herz dieser Stadt, darum habe ich die nächste Rechtskurve 'Albano-Kurve' genannt. Fahrt so nah es geht an dem Fass hier rechts vorbei, dann seid ihr schnell. So, das wäre dann die ganze Runde. Jetzt probiert noch aus, das Limit herauszufinden, damit ihr richtig schnell werdet.", beendete Wain seine Rundenvorstellung. Da musste Ruby nochmal nachfragen: "Und wie finde ich das Limit heraus?" Yurist dichtete sich eine Antwort zusammen: "Das Limit, es ist so fern, so weit. Im Kern gesagt, sei einfach bereit." Isaac war überfragt: "Also definieren kann man es nicht per se, denn das Limit ändert sich ständig. Du brauchst in eine Formel die Seitenkraft, den Reibungsfaktor der Oberfläche, den Schwerpunkt..." Deckard unterbrach den Wissenschaftler: "Ach, du machst es immer so kompliziert. Das Limit hast du gefunden, wenn du auf der Nase liegst, so einfach ist das. Schneller geht es eben nicht vorwärts." Ruby hat es verstanden: "Also muss ich zocken. Und mich auch mal verzocken. So habe ich's Pokerspielen gelernt. Ja!" Über die ganze Rennstrecke teilten sich die Rennfahrer auf und probierten sich an den Kurven und Geraden in schneller Fahrt aus. Seena sprang mit ihrem karibikblauen Damenrad über die Kante auf die Fugo-Haarnadel zu. Die Bremsen quietschten, Seena legte sich in die Kurve. Sie war so schnell, dass der ganze Lenker anfing, bei jedem überfahrenen Stein zu wackeln. Doch Seena kannte das bereits von bisherigen Testfahrten mit ihrer Maschine und konnte es bravorös kontrollieren. Die Stadtbewohner, die sich um die ganze Strecke an gute Aussichtspunkte verteilt hatten, sahen diese Vorführung einer perfekten Kurvenfahrt und applaudierten Seena. Ein älterer Herr rief ganz freudig: "Auf das flotte Mädel setz' ich noch ein paar Taler!"

Aima fuhr entspannt auf ihrer Schrottmühle die Lange Gerade entlang und betrachtete jedes Steinchen und jede Unebenheit auf der Strecke dabei genaustens. Wain, Dei und das Tandem mit Melfis/Randolf heizten mit Maximalgeschwindigkeit an ihr vorbei. "Lass die mal ihr eigenes Limit ausprobieren.", sagte Aima ruhig zu sich selbst. Am Scharfen Eck heizte Wain mit seinem Mountainbike über die Bordsteinkante, was locker abgefedert wurde. Dei probierte das mit seinem Rennrad auch, blieb aber an der Außenkante davon hängen. Er stürzte genau vor dem Tandem von Melfis/Randolf auf die Pflastersteine. "Arrgh!", brüllte der Dieb, und schrabbte sich seine Knie auf den Steinen auf. Melfis brachte das schwere Tandem mit blockiertem Hinterrad gerade noch so zum Stillstand. "Dei, bist du verletzt? Warte, ich spreche einen Heilzauber aus! Stärker!" Und nachdem Prinzessin Melfis gezaubert hatte, waren Deis Wunden wieder versiegelt. "Wow, danke! Passt ihr mir dafür besser auf diese Kante auf, die hat mich umgeworfen." Aima schloss langsam zu der Unfallstelle auf und machte den Hinterherfahrenden Zeichen zum Vorsichtigfahren.

Zur selben Zeit waren Milka und Yurist auf der Hinterhausgerade und rasten nebeneinander auf die Baumschlange zu. Milka schaffte es, ihr kompaktes Klapprad durch diese enge Passage zwischen den Bäumen schneller durchzumanövrieren als Yurist es mit seinem größeren Herrenrad konnte. Der war nach der Baumschlange gleich drei, vier Fahrradlängen zurück. Yurist wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er würde in den Kurven nicht zur ersten Garnitur gehören. Nun tauchte vor ihm das nicht zu übersehende Hochrad mit Moose auf. Der Waldgeist hatte damit keine Chance, so schnell wie die Anderen zu fahren. Aber Spaß hatte er trotzdem, und winkte allen Zuschauern zu, die an der Strecke standen. Alle guten Fahrer müssten also beim Überholen auf den langsamen Moose besonders aufpassen.

Der Wissenschaftler Isaac schien auch noch nicht ganz auf Touren gekommen zu sein, da er sein klobiges Fahrrad nicht so schnell um die Kurven bewegen konnte. Ruby schloss leicht zu ihm auf und begutachtete die Maschine auf der Langen Geraden ein wenig. "Selber gebaut?", fragte sie, und Isaac antwortete: "Genau, ich trete heute auch als Ingenieur an! Bin aber leider viel zu langsam, wie du siehst." Ruby schaute sich sein Fahrrad einmal genauer an. Komische Kästen waren das an diesem fetten Fahrrad von Isaac. Auch begutachtete Ruby jede Falte, die sich hinter der runden Brille im Gesicht des Wissenschaftlers befand. Beim Pokerspielen ist schon ein kleines Zucken auf der Haut der mieseste Verräter, der dich das Spiel kosten kann. Nur was spielte Isaac? "Hey, was ist denn? Warum schaust du so?", fragte Isaac nervös. Geschwind trat Ruby in die Pedale ihres teuren Damenrades und fuhr mit wehenden Haaren davon. Dann drehte sie sich nochmal um, und lachte Isaac an: "Haha, ich bin natürlich schneller als du!" Schon zischte Ruby wie ein Blitz um das Scharfe Eck herum, um frontal über die Bordsteinkante hinwegzudonnern, denn ihr Fahrrad war gut gefedert.

Einen interessierte das alles nicht, und zwar Deckard, der sich neben der Strecke lässig gegen sein Bonanzarad lehnte. Es war schon interessant zu sehen, wie unterschiedlich sich die verschiedenen Fahrräder auf dem Kurs verhielten. Das Rennen würde es schon entscheiden, welches Konzept das beste sein würde. Beim Sich umsehen fiel Deckards Blick auch zum Himmel. Da waren graue Wolken in der Richtung, aus der der Wind weht. Wahrscheinlich wird es bald regnen, vermutete Deckard. Ein kleiner Junge rüttelte ihn aus seinen Gedanken: "Herr Seeräuber, warum testest du nicht mehr?" "Die Bahn kenne ich ja jetzt. Von mir aus kann's auch gleich losgehen. Hey, Wain! Lass uns starten!" Wain, der gerade an Deckard vorbeifuhr, nickte ihm zu, und schon bald sammelten sich alle Fahrer auf der Start-/Ziel-Geraden, in der Mitte von Albano.

Ruby sprang gleich vom Fahrrad und hechtete in Richtung Quotenbrett. Fugo schrieb gerade die neuen Zahlen an die Tafel. "Ah, Ruby! Du möchtest bestimmt auf dich selbst setzen?" Sie hatte aber andere Pläne: "100 Taler auf Isaac!" Fugo fiel aus allen Wolken: "Was? Auf die Schnecke hat noch keiner gesetzt! Bei einer Quote von Eins zu Achtzig... wären das Achttausend! Da werde ich ja glatt neidisch. Aber nur, falls du wirklich gewinnen solltest, und danach sieht es nicht gerade aus. Oder was hast du dir dabei gedacht?" Ruby selbstsicher: "Na Zocken macht eben Spaß!" Und weg war sie schon wieder.

Wain und Seena gingen auch zum Quotenbrett. Es sollten keine weiteren Einsätze mehr angenommen werden, da die Reihenfolge, in der die Fahrer das Rennen aufnehmen würden, bald ausgelost werden sollte. Es wäre unfair, wenn noch jemand nachträglich auf denjenigen setzen würde, der von ganz vorne losfahren würde. Fugo kündigte lautstark an, dass bald keine neuen Wetten mehr abgeschlossen werden können.

Seena betrachtete die Quoten. Jemand hatte ihren Namen falsch geschrieben, und zwar mit einem N anstatt des zweiten E: SENNA. "Hört sich gleich viel schneller an!", meinte Seena. "Spricht sich auch zackiger. Senna! So heißen bestimmt nur schnelle Leute." Wain darauf: "Und deine Quote zeigt, dass viele Menschen auf dich gesetzt haben! Auf mich aber ein paar mehr. Bestimmt, weil du nicht ganz so stark bist.", meinte Wain. "Ach, bring du erstmal deinen Dummkopf heile über die Runden!", paulte die Wahrsagerin zurück. Ein kleines Mädchen stellte sich neben Seena und zog an ihrem Hemdsärmel. "Du, Seena. Du kannst doch wahrsagen, oder? Dann weißt du doch bestimmt, wer das Rennen gewinnen wird.", meinte das Mädchen. "Natürlich weiß ich es.", betonte Seena selbstsicher. "Aber das wäre für dich doch wirklich nicht mehr so spannend, wenn du es auch schon wüsstest, oder?" Das Mädchen nickte und rannte ganz schnell wieder weg. Wenn es geahnt hätte, dass Seena eigentlich nur im Bereich des Menschenmöglichen zukünftige Dinge vorhersehen konnte... Wain seufzte: "Irgendwann wird es auffliegen, da bin ich sicher. Ist aber ein wichtiger Punkt. Zauberei sollte während des Rennens natürlich nicht erlaubt sein, da es ein körperlicher und taktischer Wettkampf ist. Komm, rufen wir alle zusammen, damit die Startreihenfolge ausgelost werden kann."

Und da standen dann die zwölf Fahrer mit ihren Fahrrädern im Herzen von Albano in einem Kreis. Wain zückte einen zwölfseitigen Würfel und begann auszuwürfeln, wer das Rennen aus der ersten Reihe starten dürfte, und wer aus der letzten. In jeder Reihe gab es zwei Startplätze nebeneinander, sodass es insgesamt sechs Reihen waren. Seena und Yurist bekamen die vordersten beiden Plätze! Isaac und Moose wurden für die zweite Reihe ausgelost. Wain konnte sich einen Spruch nicht verkneifen: "Es sieht so aus, als würden vorne nicht die Schnellsten stehen." Seena: "Ach, dir zeig' ich es noch, du Dummkopf!". Es wurde weitergewürfelt. Aima und Deckard standen in Reihe 3. "So wichtig ist der Startplatz nun auch nicht. Das wird schließlich ein langes Rennen!", meinte Aima. Ruby und Milka mit ihrer Elfenkraft wurden in die vierte Reihe gesetzt. "Dann muss ich wohl beim Start etwas mehr riskieren, kein Problem!", sagte Ruby. Wain wurde mit Melfis/Randolf für Reihe 5 gezogen. Die Prinzessin fand es fair, denn sie hätten mit dem Tandem sowieso den Kraftvorteil. Und Dei rief ganz entgeistert: "Dann stehe ich also ganz hinten! Na toll!" "Geschieht dir ganz recht, Dieb! Es gibt eben so etwas wie einen Gott, und der rächt sich jetzt an dir dafür, dass du das Fahrrad gestohlen hast.", polterte Fugo und zeigte mit dem Finger auf Dei. Der winkte ab und verschwand kopfschüttelnd, leise und still hinter einer Hauswand, um auszutreten. Es war nun sowieso nichts mehr an den Startplätzen zu ändern. Tatsächlich aber waren die als besonders schnell einzustufenden Fahrer eher hinten in der Startaufstellung. Um nach Vorne zu gelangen, müssten sie sich zwischen den Langsameren hindurchkämpfen. Dies ist also die Startaufstellung in der Übersicht:
 

Reihe 1:

Seena

Yurist
 

Reihe 2:

Isaac

Moose
 

Reihe 3:

Aima

Deckard
 

Reihe 4:

Milka

Ruby
 

Reihe 5:

Wain

Melfis/ Randolf
 

Reihe 6:

Dei
 

Inmitten der Baumallee, also vor der Albano-Kurve, reihten sich die zwölf Helden mit ihren elf Fahrrädern in Zweierreihen auf. Gleich würde das erste je durchgeführte Fahrradrennen starten! Wain drehte noch eine Runde um die Strecke, um allen Zuschauern mitzuteilen, dass das Rennen gleich starten würde. Die Fahrbahn müsste also freigemacht werden. Dann reihte sich Wain in der vorletzten Startreihe ein. Ziemliches Gewusel vor ihm! Randolf besprach mit Melfis die Taktik, dass sich die Prinzessin zu Beginn des Rennens nicht zu sehr verausgaben solle.

Seena in der ersten Reihe blickte um sich. Vor ihr war freie Bahn. Neben ihr Yurist, der mit teilnahmslosem Blick darauf wartete, dass es losginge. Der dürfte nicht aggressiv genug sein. Hinter Seena war Isaac, der sich die Hände rieb. Was machte ihn denn so sicher? Egal, der war zu alt, um schnell zu sein, dachte Seena. Hochmotiviert freute sie sich auf den Start.

Fugo trat vor die aufgereihte Gruppe und rief: "Rennfahrer! Wir starten in wenigen Sekunden, also seid bereit! Fahrt als Erstes neunzig ganze Runden, um das Rennen zu gewinnen!" Er hielt jeweils ein Brett in jeder Hand. Beim Zusammenknallen dieser würde das Rennen gestartet werden. An Deis Rennrad klackte die Kettenschaltung, da er lieber in einem niedrigeren Gang das Rennen starten wollte. Alle Fahrer waren nun in Position, loszufahren. "Auf die Plätze..." Seena hob das Hinterrad ihres Fahrrades an und brachte die Pedale in eine optimale Position zum Losfahren. Alle Fahrräder mit einer Rücktrittbremse mussten das eigentlich noch machen. Yurist hatte noch nicht darauf nicht geachtet und merkte nun, was Seena da tat. "Fertig..." Hektisch versuchte Yurist noch schnell, die Pedale besser hinzudrehen. Doch wie standen Pedale eigentlich optimal? Es war zu spät, um darüber nachzudenken. 'KLAPP' machten die Bretter und die Jagd war eröffnet! Seena sprintete auf der Außenbahn der Albano-Kurve als Erste um das Fass. Neben ihr war Yurist nur schlecht weggekommen und wurde bereits von Isaac überholt. Dahinter stauten sich die anderen Fahrer noch, weil es so eng war. Und auch, weil Moose, das riesige Pelztier, alle anderen aufhielt! Auf der nächsten Gerade wäre der Große aber fällig. Seena, Isaac und Yurist heizten an der Spitze um die Links-Haarnadel um den Brunnen herum. Dahinter versuchte Deckard um den Brunnen außen an Moose vorbeizugehen. Ein radikales Manöver, denn dafür müsste er schon viel schneller sein, damit das gelänge! Aber Deckard war zu schnell, da rutschte ihm das Vorderrad seines Bonanzarades weg. Ein Crash! Der Pirat prallte mit der Schulter auf den Boden. "Ah, verdammt!" brüllte er am Boden liegend. Aima bremste vor Deckard ab und fragte: "Bist du okay?" Alle anderen wichen auf der Innenseite aus und fuhren daran vorbei. Und Deckard klopfte sich den Staub ab und hob seine Maschine wieder auf. "Lasse mich doch nicht unterkriegen! Fahr weiter Aima, du hast ein Rennen zu gewinnen!" stachelte er beide an, und sie fuhren dem Feld hinterher.

Moose hatte auf der heiligen Geraden keine Möglichkeit, die anderen hinter sich zu halten, da er über keine Gangschaltung an seinem Hochrad verfügte und die Strecke breit genug zum Überholen war. Nacheinander sausten Ruby, Wain und Melfis/Randolf an dem Pelztier vorbei, um nicht den Anschluss an die vorderen Drei zu verlieren. Denn an der Spitze gab Seena alles, um sich einen Vorsprung zu verschaffen. Sogar durch den Linksknick auf der Hinterhausgerade flitzte die Wahrsagerin mit vollem Krafteinsatz hindurch. Ein kurzer Schulterblick: Isaac immer noch hinten dran. Der Blick auf die nächste Kurve war aber viel wichtiger! Fast hätte sie vergessen, vor der Baumschlage zu bremsen, sodass Seena im allerletzten Moment den Bremshebel zog, woraufhin es ohrenbetäubend laut quietschte. Gleichzeitig bewegte sie ihre Pedale hektisch zurück für die Rücktrittbremse, dabei blockierte das Hinterrad sofort. Quietschend und rutschend gleitete Seena auf die enge Rechtskurve zu. Das Hinterteil des Fahrrads machte, was es wollte, nur nicht bremsen! In Panik zog Seena noch stärker am Bremshebel, sodass die Drahtseile schon knackten, aber mehr ging nicht. Irgendwie wurde ihr Fahrrad tatsächlich langsamer, doch nur der weite Bogen um den ersten Baum war möglich. Nicht ganz optimal, da Isaac auf der Innenbahn Platz hatte zum Überholen, doch er blieb lieber dahinter. Schweißgebadet hetzte Seena um die nächsten Kurven. Sie hatte gerade eine Runde überstanden und atmete ungesund stoßweise. So würde sie keine weiteren neunundachtzig Runden durchhalten. Ruhe bewahren...

Im Mittelfeld hatte Dei bereits Milka und Moose leichtfertig auf der langen Geraden überholt und musste nun den Anschluss an das königliche Tandem wiederherstellen. Doch Melfis/Randolf zogen auf den Geradeausstücken immer davon, weil sie gemeinsam mehr Krawall machen konnten. Wain war am Ende der Geraden nur knapp davor, konnte aber in den Kurven und bei den Kanten schneller fahren. Doch auf der Geraden donnerte das Tandem immer wieder heran. Wain heizte auf das Fass in der Albano-Kurve zu. So eng wie möglich musste es daran vorbeigehen! Autsch, dieses Mal berührte Wain mit der Schulter die Innenseine des Fasses. Fast wäre er daran hängen geblieben und es hätte ihn heruntergerissen! Rasend schnell musste Wain sich aufrichten und sein Gleichgewicht wiederfinden, kam dadurch aber aus dem Tritt. Zumindest hatte er keinen Sturz hingelegt. Aber der Bremspunkt für die Fugo-Haarnadel passte nicht mehr ganz, und Wain schoss über die Ideallinie heraus. Das kostete Zeit! Plötzlich war das Tandempaar hinter ihm, die ihren ganzen Rückstand aus den Kurven aufgeholt hatten. Melfis sah die Gerade und die sich auftuende Möglichkeit vor sich und kommandierte: "Jetzt volle Fahrt voraus!" Randolf und Melfis gaben einmal alles, was sie hatten, und bewegten damit ihr Tandem auf Wains linke Seite. Die Innenbahn für das scharfe Eck gehörte ihnen! Wain versuchte, so spät wie möglich zu bremsen, doch es reichte nicht, er hatte den fünften Platz durch seinen eigenen Fahrfehler abgeben müssen. Gleich darauf änderte Melfis ihre Taktik: "Gut gemacht! Auf den Geraden jetzt Ruhe bewahren, er kommt nirgends an uns vorbei!" Wahre Worte der Prinzessin, denn auf den Geraden ist ihr Tandem zu schnell, und in den Kurven zu sperrig, um überholt zu werden. Frustriert haute Wain auf seinen Lenker, doch so schnell würde er sich nicht abschütteln lassen. Plötzlich zischte Dei links an Wain vorbei. Der Ärger hatte ihn glatt vergessen lassen, dass hinter im noch weitere Positionsgegner lauerten! So brachte die Wut für das Rennen also überhaupt nichts, außer ihn aus dem Konzept. Wain musste sich zwingen, sich auf Deis Hinterrad zu fokussieren, sein nächstes zu erreichendes Ziel.

Auf den letzten Plätzen waren immer noch Aima und Deckard. Erst in Runde 8 hatten sie ihren Rückstand durch den Startunfall auf Moose aufgeholt und überholten ihn. Aima ging das alles nicht schnell genug, denn sie wollte eigentlich das Rennen gewinnen. "Deckard, lass uns zusammenarbeiten und einen Zug bilden! Ich gebe das Tempo vor und du hängst dich in meinen Windschatten, dadurch sind wir nämlich schneller. Später wechseln wir." "Verstehe, also ein Nichtangriffspakt. Gut, du bist der Kapitän.", antwortete Deckard.

An der Spitze hetzte Isaac schon seit zehn Runden Seena um den Kurs. Sie hatten bereits einen großen Vorsprung von 13 Sekunden auf den Rest des Feldes. Seena wusste nicht, wie der eigentlich unsportliche Wissenschaftler Isaac immer noch an ihrem Hinterrad kleben konnte, wo sie doch seit Beginn des Rennens alles gab! Lange würde sie das hohe Tempo an der Spitze auch nicht mehr durchstehen. Tatsächlich stiegen die Rundenzeiten von Seena und Isaac schon, sodass Yurist und Ruby auf den Plätzen 3 und 4 langsam aufholten. Wenn auch nur ein paar Zehntelsekunden pro Runde, aber auf Dauer gesehen wäre der Rückstand irgendwann aufgeholt. Das Tandem mit Melfis/Randolf verlor etwas Zeit nach vorne, hielt aber die hinter sich Fahrenden Dei und Wain auf. Dei war zunehmend verärgert über die Situation, dass er mit freier Fahrt so viel schneller fahren könnte, aber an diesem sperrigen Tandem einfach nicht vorbeikam! Da sah Dei plötzlich Moose in der Ferne auftauchen, der bald überrundet werden würde. Wäre das die perfekte Möglichkeit, bei der Melfis/Randolf selber kurz aufgehalten würden? Es passierte vor der winkeligen Baumschlange, als Moose den schnelleren Fahrern im Weg stand. Doch Melfis konnte ihr Tandem selber nicht so schnell an Moose vorbeimanövrieren, denn dafür war es einfach zu lang. Auf der Außenbahn vor der letzten Kurve probierte die Prinzessin, langsam und vorsichtig an Moose vorbeizugehen. Und Dei, der machte einfach eine weitere Innenbahn auf! Aggressiv bremste er sich Innen an Moose vorbei, berührte dabei leicht sein weiches Fell, und fuhr dann mit Randolf auf gleicher Höhe. Auch hier kam es zum Kontakt, und Deis Schulter drängte sich an Randolfs Kriegerrüstung. Jetzt gab Dei einmal alles, denn er musste unbedingt an diesem Tandem vorbei! Sonst wäre der Siegeszug an der Spitze bald abgefahren. Mit voller Kraft konnte er auf der kurzen Start-/Ziel-Geraden bis zu Melfis aufschließen. Beide Kontrahenten schauten sich für eine Millisekunde mit fletschenden Zähnen in die Augen. Wer später bremsen würde, der hätte die Kurve für sich entschieden! Es war Melfis, die ihren Verstand benutzte. Das schwere Tandem war schwieriger abzubremsen als Deis leichtes Rennrad. Sie warf den Anker als Erste und Dei flitzte durch auf Platz 5. "Geschickt gemacht.", erkannte Melfis an. Auch die Zuschauer an der Strecke applaudierten verhalten. Der Dieb hatte sich gerade in Albano ein wenig beliebt gemacht.

Dei zeigte nun sein Potenzial auf dem vermutlich schnellsten, wenn auch nicht bequemsten, Fahrrad im Starterfeld. Er holte Sekunden um Sekunden auf Yurist und Ruby auf und war in Runde 22 bereits an ihnen dran. Auf der langen Geraden setzte Dei sich in Rubys Windschatten. Aber Ruby merkte das und fuhr auf die linke Straßenseite, sie verteidigte also die Innenbahn für das Scharfe Eck. "Halt," brüllte Ruby, "so nicht!" Sie wollte mit allem kämpfen, was sie hatte, auch wenn es nur ein hübsches Damenrad war. Dei konnte sich auf der Außenbahn neben Ruby heranbremsen. Seite an Seite ging es durch das scharfe Eck. Beide blieben auf ihren Fahrspuren. Dei konnte sein Fahrrad auf der langsameren Außenspur trotzdem danebenhalten, und im Beschleunigungsduell besiegte er recht klar Ruby, die einfach nicht so viel Kraft hatte. Direkt davor war Yurist, der vor der Baumschlange die Innenbahn freiwillig hergab. Dei bedankte sich, nicht unnötig aufgehalten worden zu sein, und Yurist setzte seine ruhige Fahrt hinter dem Dieb fort. "Ach, wie ein flinker Hase!", meinte Yurist. Dei konnte nun die beiden Führenden schon sehen und würde versuchen, sie einzuholen.

Währenddessen wechselten Aima und Deckard ihre Positionen in dem Zug, den sie bildeten. Mit Volldampf voraus! Die Beine von beiden Helden schienen synchron in die Pedale zu treten, wie die sich auf- und abbewegenden Stangen an den Rädern einer Dampflokomotive. Niemand konnte diesen Lauf stoppen. Milka war schon längst überholt worden und so schlossen Deckard und Aima auf die Gruppe Melfis/Randolf und Wain auf. Sie durften auf keinen Fall ewig hinter dem Tandem festhängen! "Was nun? Hast du eine Idee?", fragte Aima. "Deckard zeigte in Richtung Himmel: "Schau mal, Regenwolken! Die machen wir uns zunutze. Lass mich mal vor, wenn es nass wird. Ist genau mein Element.", antwortete Deckard.

An der Spitze hetzte eine merklich trübe dreinschauende Seena in ihre 27. Runde. Sie war am absoluten Limit, aber so sah nunmal jemand aus, der ein Rennen gewinnen wollte! Koste es, was es wollte. Hinter ihr immer noch der alte Mann, Isaac, doch da kam jetzt noch jemand Neues hinzu. Die Dinge erschienen ihr nicht mehr ganz klar, und sie dachte, es wäre die Höllenfürstin Erim auf einem Fahrrad. Erim war wieder auferstanden? Der Gedanke war so beängstigend und absurd zugleich, dass Seena lieber gar nicht weiter nach hinten schauen wollte. Die nächste Kurve kam ja auch. Wohin nun? Ach ja, links herum um den Brunnen. Da stand plötzlich die Höllenfürstin Erim mitten auf der Strecke! Seena verstand nicht mehr, die war doch ausgelöscht worden. Irgendwas in ihrem Körper drehte sich um. Sie stellte sich vor, es wäre ihr erschöpftes Herz, was mal eine Pause bräuchte. Nein, die ganze Welt drehte sich um.

Seena hielt ihren Körper nicht mehr auf dem Fahrrad. Sie rutschte links an ihrem Lenker vorbei und hatte das Gleichgewicht verloren. Der Aufschlag auf den Pflastersteinen war hart, erfolgte aber bei langsamer Geschwindigkeit. Das Fahrrad kratzte noch ein wenig über die Strecke, bis es liegenblieb. Seena lag schon, schwarz vor Augen von dem undurchstehbaren Wahnsinn, den sie ihrem Körper zugemutet hatte.

Den Zuschauern am Brunnen war Entsetzen ins Gesicht geschrieben, wie sie die leblose Seena auf der Straße liegen sahen. Isaac und Dei sausten an der Unfallstelle vorbei und verstanden noch gar nicht, was gerade passiert war. Sie wollten schließlich nur das Rennen gewinnen. Ein Albano-Onkel und ein Albano-Bruder hechteten über die Strecke zu Seena, um irgendetwas für sie zu tun. Als nächstes fuhr Yurist an der Unfallstelle vorbei, doch die Szene eines verletzt am Boden liegenden Menschen löste eine blitzartige Reaktion in ihm aus. Eine Erinnerung an die dunklen Tage der Höllenfürsten. Damals wurde in seinem Heimatdorf sein Kumpel bei dessen eigener Hochzeit von seiner Ehefrau erstochen, weil der Höllenfürst Daos Wahnsinn und Terror säte. An diesen scheußlichen Moment musste Yurist denken. Er stieg vom Fahrrad, schmiss es hin, lief zu Seena. Sprach einen "Sammeln"-Zauber, der die Besiegten wieder zu Kräften kommen lässt. Die beiden Stadtbewohner trugen Seena von der Strecke, um sie in das weichste Bett der Stadt zu hieven. Kurz blickte Yurist auf die Strecke und die vorbeizischenden Fahrräder von Melfis/Randolf, Wain, Deckard und Aima, die allesammt von dem Unfall neben der Strecke keine Notiz genommen hatten. "Was hat das noch vom Einklang mit der Natur zu tun... im Kreis Fahren bis wir tot umfallen? Schande über uns, dass wir uns so sinnlos quälen...", schüttelte Yurist den Kopf und verschwand zwischen der Menschenmenge, die gebannt das Rennen verfolgen wollte.

Das Rennen hatte eine dramatische Wendung genommen. Yurist und Seena waren nicht mehr Teil des Feldes. An der Spitze machte Dei jetzt Druck auf Isaac, der aber problemlos sein Tempo steigern konnte. Nun wurde ein Zirren an Isaacs Fahrrad lauter. Keiner vermochte zu sagen, ob das auch schon vorher komische Geräusche gemacht hat. War damit noch alles in Ordnung? Dei gab alles was, er konnte. Doch Isaac konnte immer das Bisschen schneller fahren, was er zum erfolgreichen Verteidigen brauchte. Dei war sauer: "Hier stimmt doch was nicht! Wie kann der alte Mann denn so schnell sein?" Diese Geschwindigkeit war es, was Seena in die Bewusstlosigkeit getrieben hatte. Im direkten Zweikampf konnte niemand etwas gegen Isaac ausrichten, selbst der schnelle Dei auf seinem geliehenen Rennrad nicht. Auf einmal fasste sich Dei an seinen Fuß und ächzte lautstark: "Ein Krampf, nein! Oh weh, es brennt." Mit schmerzverzerrtem Gesicht versuchte er, seinen Fuß auf dem Fahrrad zu strecken, um den Krampf loszuwerden. Für Vortrieb wurde dabei freilich nicht gerade gesorgt. Als Isaac sich umdrehte, sah er den zurückfallenden Dei. Leise murmelte er: "Dann kann ich meine Maschine wieder ein bisschen schonen, ein Glück!" Isaac betätigte einen Schalter an seinem Lenker und augenblicklich wurde das Surren an seinem Fahrrad leiser. Dei wurde immer langsamer und reihenweise zogen Ruby, Melfis/Randolf, Wain, Deckard und Aima an ihm vorbei. Doch der Dieb dachte gar nicht ans aufgeben, er hatte den Krampf durch ordentliche Fußmuskelanspannung beseitigen können und fuhr weiter. Wirklich schnell sah das aber nicht aus.

Isaac hatte nun bei Rennmitte einen riesigen Vorsprung von 20 Sekunden auf die Zweitplatzierte, Ruby. Da bemerkte er einen Regentropfen auf seiner Brille. Oder einen Schweißtropfen? Nein, denn der blaue Himmel war hinter hellgrauen Wolken verschwunden, die die Rennfahrer bald mit viel Wasser beschenken würden. Bereits eine Runde später setzte ein Nieselregen ein, der schnell die Farbe der Pflastersteine in Albano änderte; hier war es also nass. Rutschiger war es ebenfalls, und Isaac könnte sicherlich den entsprechenden Faktor berechnen, um den die Oberfläche nun weniger Haftung besäße. Am Streckenrand spannten einige Zuschauer ihre Regenschirme auf. Ruby schmollte wegen des Regens, sie mochte es nicht, nassgemacht zu werden. Randolf nahm seinen Soldatenhelm ab und reichte ihn Melfis. "Hier, gegen die Nässe. Ihr braucht doch noch eine klare Sicht und einen klaren Kopf." Melfis setzte sich diese Schüssel auf. So könnte sie glatt Kommandantin Melfis sein. Mit dem Helm schien sie auch schneller zu fahren, es schien zu beflügeln. Eigentlich waren es aber eher die Anderen, die langsamer fuhren. Besser gesagt, fahren mussten, denn es wurde immer nasser auf der Strecke, und das lange Tandem war für den Regen besser ausbalanciert. Einmal musste Wain seinen Fuß schnell vom Pedal nehmen und sich bei der Baumschlange abstützen, sonst wäre er weggerutscht. Deckard nutzte diese Unsicherheit gleich und fuhr direkt hinter Wain über die Start-/Ziel-Gerade. Wain blickte sich kurz um, und sah Deckard wie einen Tsunami heranstürmen. Nun müsste er mehr aus sich herausholen, um zu verteidigen. Wain bremste spät vor der Fugo-Haarnadel, dabei blockierte ihm zum ersten Mal das Hinterrad! Wie in Schockstarre wusste der Schwertkämpfer sich nicht mehr zu helfen, als mit dem linken Fuß auf dem Boden entlangzuschlittern, aber dadurch kam er aus dem Gleichgewicht. Zwar kein Sturz, aber er rutschte nach Außen, und wurde damit von Deckard innen überholt. Es war bis jetzt nicht das Rennen des Wain, erst rundenlang hinter dem Tandem festgehangen und dann auch noch im Regen nicht klargekommen. Deckard machte das besser, der fuhr nämlich mit jedem Regentropfen in seiner Umwelt schneller. Er liebte das Wasser mit seinem muffigen und sumpfigen Geruch, den die Rennfahrer nun auch bemerkten. Das kühle Nass verändert den Körper, es lässt Grenzbereiche aufweichen, weil man in eine unkomfortable Situation begeben wird. Ein Körper in einem schmutzigen Modus, wie wenn er durchnässt wurde, kümmert sich weniger um sich selbst, sondern kann mehr an sein Limit herangehen. Er ist auch gleichzeitig kühler, da Regen immer ein Stück weit abkühlend wirkt. Aber auch schwerer, weil die Kleidung Wasser aufnimmt. Nun reagierte jeder Rennfahrer auf den Regen anders, und Deckard gefiel es am Besten. Er ging das Tempo von Melfis/Randolf mit, während Wain und Aima etwas zurückblieben. Aima machte in dieser Rennphase eine Pause, sie schloss manchmal sogar ihre Augen auf der Geraden. Sie atmete sichtlich ruhig und fuhr mühelos genauso schnell wie Wain vor ihr, ließ sich also praktisch mitziehen. Am Wetter konnte Aima nichts ändern. Daran, dass sie bis Rennende durchhalten musste, allerdings sehr wohl. Die verbleibende Distanz war schließlich lang, 40 Runden noch zu fahren!

Vom Himmel aus fielen weitere Regentropfen, aber dieses Mal besonders viele. Ein kurzweiliger Starkregen machte die nassen Rennfahrer noch nasser. Mittlerweile bildeten sich auf der Strecke Pfützen an den Stellen, wo sich eine minimale Senke am Boden befand. Diesen Auszuweichen war kein Kunststück, denn sie waren vor allem neben der Strecke anzutreffen. Die Strecke hatte aber durch den Regen noch eine weitere Veränderung bekommen. In der Baumschlangen-Kurvenkombination wurde die Erde aufgeweicht und von den darüberfahrenden Reifen auf den Pflastersteinen verteilt. Nun bildete sich dort eine schlammige Spur, die diesen ganzen letzten Abschnitt zu einer noch größeren Rutschpartie werden ließ!

Unbeirrt setzte Isaac seine Fahrt an der Spitze fort. Das ganze Rennen schien ihn erstaunlich wenig angestrengt zu haben. Zwischen den Regentropfen auf seiner nassen Brille konnte er Milka und Dei erkennen, die nun in der 55. Runde zum ersten Mal überrunden werden würden. Nun musste auch jeder Betrachter zweimal hinsehen: Milka bremste sich an Dei vorbei, und zwar vor der Baumschlange, der schmutzigen Kurve. Bei dem Dieb ging nicht mehr viel vorwärts, seit er den Krampf hatte. Isaac murmelte zu dieser Situation etwas vor sich hin: "Der schmutzige Boden. Dünne Rennradreifen haben die geringste Haftung." Milka war nun auf Platz 7 und konnte sich durch die verschmutzten Kurven schnell absetzen. Dei war nun direkt vor Isaac. Der Dieb blickte sich um, und als er den Wissenschaftler sah, verzog sich sein langes Gesicht zu einem schelmischen Grinsen. Hatte etwas Aggressives an sich. Natürlich sah so jemand aus, der einen Plan hatte. Welchen, sollte Isaac noch erfahren. Nun musste er schließlich an Dei vorbeikommen und das dürfte schwieriger als geplant werden. Dei blockierte die Innenbahn in der Albano-Kurve und bremste Isaac aus. Letzterer musste also außen vorbei, da drängte ihn Dei von der Strecke ab. Als Isaacs Vorderrad und Deis Hinterrad sich berührten, schnatterte das Gummi laut. Isaac erschrak und hielt sich lieber für die nächste Kurve zurück. Allerdings wartete Dei bereits auf seinen Widersacher. Dei positionierte sich Innen für den Brunnen, während Isaac nur zaghaft außen entlang rollte. Der Dieb spielte völlig verrückt, was hatte er vor? Dei wartete, bis Isaac neben ihm war. Dann fuhr er immer weiter nach rechts und drängte Isaac erneut ab. Mitten auf eine Parkbank zu! Jetzt musste schnell gehandelt werden: Isaac zog am Bremshebel und blitzschnell betätigte er zwei Schalter an seinem Lenker. Wieder gab es ein lautes Zirren zu hören. Isaac wollte auf Deis linke Seite gelangen. Da setzte auch der Power-Schub ein, mit dem Isaacs Fahrrad deutlich schneller als Dei vorwärts katapultiert wurde! Jetzt konnte jeder Zuschauer an der Strecke sehen, dass Isaac einen Beschleunigungsvorteil in seinem Fahrrad eingebaut hatte. Dei blickte sich um, war nun überrascht, Isaac links von sich zu finden. Und dass auch noch mit unglaublicher Geschwindigkeit. Dei zog einfach links herüber, ohne Rücksicht auf Verluste. Die Schultern prallten zusammen, Isaac versetzte es ein ganzes Stück nach links, nah an eine Hauswand heran. Da war eine große Pfütze am Boden, die nun unausweichlich war. Er rauschte durch, Wasser spritze an beiden Seiten hoch und machte Dei fast ein bisschen nass. Buummm! In dem Moment explodierte etwas während dieses Zweikampfes. Eine Bombe? Bei den Tricks, mit denen während dieses Rennens gearbeitet wurde, musste mit Allem gerechnet werden! Die Auswirkung war zumindest, dass Isaac langsamer wurde. Pechschwarze Rauchwolken stiegen aus seinem Fahrradrahmen auf. Kleine Flammen züngelten ebenfalls, trotz des Regens! Isaac stieg vom Sattel ab und parkte an der Rückseite eines der Häuser neben einem Wasserfass, von dem er Wasser gegen den Brand abschöpfen wollte. Vorher brüllte er dem unbeschädigt davonfahrenden Dei hinterher: "Du hast die Arbeit eines Genies ruiniert, du Fehler!" Dei hatte noch Zeit, zu antworten: "Seit wann gibt es denn rauchende Fahrräder? Geschieht dir recht, Betrüger!" Und er verschwand zackig hinter der nächsten Kurve. Insgeheim lachte Dei nun in sich hinein, denn nun könnte er all seine Kraft ausnutzen um all die anderen Fahrer wieder zu überholen bei noch 36 verbleibenden Runden. Seine Rundenzeiten waren in der ersten Hälfte des Rennens die besten gewesen, das Überholen hat auch geklappt, er war fit durch den rundenlangen Schongang, um wieder vor Isaac zu landen... auch wenn sein Plan auf eine andere Art und Weise aufgegangen war. Uninteressant, jetzt gäbe es für Dei beste Chancen, dieses nasse Rennen zu gewinnen! Jetzt musste Dei alles geben, um aufzuholen! Grinsend bremste er die Baumschlange an, Rechtskurve, Umsetzen für die Linkskurve, durch die Erde und wammm, da zog es Dei das Vorderrad weg, ausgerutscht auf der Erde. Ein langsamer und ungefährlicher Aufprall, aber Dei war erstmal bedient. Blieb ein paar Sekunden dort liegen, verkeilt in sein intaktes Rennrad. Das war's, Rennsieg verloren durch eigene Gier. Da sich die Strecke durch den Regen völlig verändert hatte, gab es für ihn noch keine Erfahrungswerte beim Fahren am Limit auf der schmutzigen Fahrbahn. Ein zutiefst geknickter Dei richtete sein Fahrrad auf und trottete wieder ins Rennen.

So war es Pokerface Ruby, die nun überraschend auf dem ersten Platz fuhr. Den Ärger darüber, dass ihre 'heiße Wette' brennend neben der Strecke stand, konnte sie verbergen. Doch ließ sich auch die Anstrengung von 56 gefahrenen Runden verbergen? Von außen betrachtet sah es nicht mehr ganz unbeschwert aus, wie Ruby aus den Kurven herausbeschleunigte. Sichtlich schwer fiel ihr das In-die-Pedale-Treten auf der Geraden. Die Konkurrenz war jetzt gegen Rennende schneller, vor allem in Form von Melfis/Randolf und Deckard! Jede Runde schmolz der Vorsprung von Ruby um einige Zehntelsekunden zusammen. Sechs Runden später hatte Melfis soweit aufgeholt, dass sie einen Angriffsversuch auf der Geraden unternehmen konnte. Mit dem Helm auf dem Kopf drehte sie sich nach hinten zu Randolf um. Der sah jedoch äußerst unterkühlt und kaputt aus! Klar, er hatte ja seinen schützenden Helm der Prinzessin gegeben. Ein weiterer Spurt wäre wohlmöglich zuviel. "Randolf! Hör auf so stark in die Pedale zu treten. Wenn du mir jetzt vom Fahrrad fällst, sind wir beide draußen, klar?", befahl Melfis. Sichtlich fertig japste Randolf nach Luft: "Aber Prinzessin... wir wollen doch... das Rennen gewinnen!" Melfis antwortete: "Ja, aber dafür müssen wir erstmal ins Ziel kommen. Und ich kenne dich schon lange, du würdest dich hier zu Tode fahren, um mich zu unterstützen. Aber das ist eine mieserable Option, denn der Weg ist noch lang, hörst du? Ich werde uns die nächsten Runden über Wasser halten." Randolf nickte beschämt und nahm sich in den folgenden Runden ein wenig zurück. Damit war allerdings auch der Vorwärtsdrang des Gespannes gestoppt, und nun musste Melfis alles geben, um denn immer stärker drängelnden Deckard nicht gewähren zu lassen. In der nächsten Runde jedoch erwischte Deckard einen besonders guten Kurvenausgang in der Fugo-Haarnadel, kam also besonders schnell durch die verregnete Kurve. Melfis stieg aus dem Sattel und versuchte, so schnell wie möglich zu beschleunigen. Aber das Tandem fehle es an Wumms, seit sich Randolf etwas schonte. Deckard zog einfach links daneben und schloss das Überholmanöver noch vor der nächsten Kurve ab. Nun war Deckard nicht mehr aufzuhalten, denn er war bereits hinter Rubys Hinterrad. Ruby blickte kurz zurück: "Verflucht, was habe ich gegen ihn noch in der Hand?" Tatsächlich nicht mehr viel. Denn Deckard konnte ebenfalls auf der Langen Geraden unspektakulär an Ruby vorbeiziehen, weil er einfach mehr Kraft übrig hatte. Nun lag der Pirat also in Führung bei noch sechsundzwanzig zu fahrenden Runden.

Kurz darauf ebbte der Regen ab. Am Besten zu sehen an den Pfützen, wo die Ringe durch herunterfallende Tropfen nun ausblieben. Erstaunlicherweise kamen schnell danach schon die ersten Sonnenstrahlen zwischen den grauen Wolken hervor. Der Wetterumschwung ließ auch die Gesichter der Figuren auf der Rennstrecke umschwingen. Deckard fuhr nun auf den Geraden absichtlich durch manche Pfützen, so sehr vermisste er das Wasser schon.

Auf Position 5 erwachte Aima aus ihrer entspannenden Meditation. Mit glasklarem Blick für das Ziel, den Sieg bei diesem Fahrradrennen, aktivierte sie all ihre Reserven, um nun den gesammten Rest des Rennens wie eine Geisteskranke in die Pedale zu treten. Ihr Fahrrad krächzte unter der Belastung, der es ausgesetzt wurde. Auf der Hinterhausgeraden startete Aima deswegen einen Überraschungsangriff auf Wain, der von dieser plötzlichen Erstarkung Aimas nichts ahnen konnte. Aima bremste sich als neue Viertplatzierte in die Baumschlange hinein. Doch Wain ließ nicht abreißen, sondern hängte sich sofort hinten dran. Er wollte nämlich den Aima-Zug in Richtung Spitze nicht verpassen. Ein Zwanzig-Runden-Sprint stünde ihnen noch bevor. Würde die Kraft dafür noch reichen?

Die drittplatzierten Melfis/Randolf waren schnell eingeholt. Randolf bemerkte die heranstürmende Gruppe: "Prinzessin, nun lasst uns wieder alles geben, sonst werden wir überholt!" Direkt vor ihnen war Ruby, die ihre Schwachstelle auf der Geraden hatte. Melfis wollte das ausnutzen, und flüsterte Randolf zu: "Auf der zweiten Geraden machen wir's." Die lange Gerade wurde somit locker dafür genutzt, um sich möglichst dicht an Ruby heranzufahren. Dann kam das Scharfe Eck... das Tandem konnte dranbleiben. "Volle Kraft, jetzt!" Hinter dem Linksknick lenkte Melfis das Tandem auf Rubys rechte Seite, die Innenbahn für die Baumschlange. In einem späten Moment sah Ruby dies, sie versuchte noch verzweifelt die Innenbahn zu schließen. Eine Berührung! Ruby bekam durch das schwere und schnelle Tandem einen Rammstoß verpasst und wurde unsanft auf die Außenbahn gedrückt. Doch auch Melfis hatte ihre Schwierigkeiten, die außer Kontrolle geratene Situation abzufangen. Sie verpasste den Bremspunkt völlig und rutschte zu weit über die Kurve hinaus. Das unwendige Tandem war nicht leicht wieder auf Kurs zu bringen. Das nutzten Aima und Wain dankend aus und schlüpften auf der inneren Ideallinie einfach durch. Als sich Melfis und Ruby auf den Plätzen 4 und 5 zurück ins Rennen begaben, wurde sich herzhaft angefaucht, gegenseitig für das Missgeschick verantwortlich zu sein. Es brachte ihnen letzten Endes nichts mehr, denn der geballten Power der Top-3-Fahrer hatten sie für diese letzten Runden körperlich nichts mehr entgegenzusetzen.

Deckard hatte nun einen Vorsprung von zehn Sekunden auf den Aima-Zug mit Lokführerin Aima und Zugbegleiter Wain. Mit aufgerissenen Augen erblickte Aima ihren Widersacher am Ende der langen Geraden. Diesen Abstand müsste sie Runde um Runde langsam zufahren. Bei noch zwölf zu fahrenden Runden müsste sie jede Runde immer ein kleines Stück des Vorsprungs abknabbern. Das Ziel dabei so vor Augen zu haben, half ungemein. In den Baumschlangen-Kurven konnten die Kontrahenten auch gut beobachten, wie sich ihr Abstand zueinander veränderte. Deckard merkte, dass auf ihn aufgeholt wurde, doch er probierte schon alles! Aima schien gegen Ende des Rennen in besserer Verfassung zu sein. Doch Heranfahren war das eine, Überholen wäre noch eine ganz andere Hausnummer.

Runde 80 von 90. Deckard sah auf der langen Geraden den gemäßigt fahrenden Dei vor sich. Dei fuhr unentschlossen in der Mitte der Strecke. Innen wäre es zu riskant geworden, zu überrunden, deswegen probierte es Deckard auf der Außenbahn. Dei rechnete jedoch nicht damit, und fuhr seinen weiten Bogen um das Scharfe Eck, da er dem Bordstein ausweichen wollte. Das brachte Deckard zum Kochen, denn hier wurden gerade wertvolle Sekunden im Kampf um den Sieg verschenkt. "Idiot! Mach Platz!", brüllte der Pirat. Dei entschuldigte sich kleinlaut, denn er hatte schon zu viel Schaden in diesem Rennen angerichtet. Freiwillig machte er deswegen die Straße frei, damit Deckard an ihm vorbeifahren konnte. Und der Aima-Zug konnte bei der Gelegenheit auch gleich mitdurchgelassen werden.

In der 84. Runde hatte Aima es geschafft, sich direkt im Windschatten von Deckard zu platzieren. Und Wain war in ihrem Windschatten, somit waren die drei ersten Fahrer nun direkt hintereinander! Der kleinste Fehler würde nun über Sieg oder Niederlage entscheiden. Jede Überrundung wurde zur Zerreißprobe! Vorsicht, da tauchte Moose auf der Hinterhausgeraden vor Deckard, Aima und Wain auf. Der Waldgeist nahm die enge Innenbahn für die Baumschlange, doch Deckard wollte trotzdem schon an ihm vorbei. Er bremste spät, sehr spät! Außen setzte er sich daneben, und es klappte. Deckard huschte über das Erdstück nur einen Millimeter vor Moose und hatte damit einen kleinen Abstand zu Aima und Wain gewonnen, die Moose erst zwei Kurven später überrunden konnten. Es mussten nun etwa zwei Sekunden Abstand zwischen ihnen sein.

Doch Aima ließ sich nicht unterkriegen, sondern starrte immer noch konzentriert auf ihr Ziel, das hieß Deckard. Zwei Runden später war sie bereits wieder in seinem Windschatten. Auf der langen Geraden zog sich Aima so heran und zückte heraus, doch Deckard bremste spät genug, um vor dem Scharfen Eck vorne zu bleiben. Allen versetzte es einen kräftigen Schlag beim Holpern über den Bordstein, den Aimas Schrottmühle nicht so gut wegsteckte wie die gefederten Fahrräder von Deckard und Wain. Rumms! Es schepperte laut, und Aima bemerkte ein nun permanentes Klappern direkt hinter ihr. Ein kleiner Blick an ihr Hinterrad verriet ihr, dass eine Haltestange des Schutzbleches gerade gebrochen war und nun unkontrolliert gegen die Radspeichen hämmerte! So würde sie nicht mithalten können, deswegen beugte sich Aima auf der Hinterhausgeraden schnell zum Heck ihrer Schrottmühle, noch mit einer Hand am Lenker, während sie mit ihrer zweiten Hand diesen abgebrochenen Bügel irgendwie abreißen musste. Mit einem kräftigen Ruck gelang es! Klirrend fiel die kaputte Stange zu Boden. Wain hatte allerdings die Situation nutzen können, und sich an Aima vor dem Linksknick vorbeigeschoben.

Noch drei Runden. Wain blies zur Attacke auf Deckard und klebte sich regelrecht an sein Hinterrad. Auf der langen Gerade sah er seine Chance! Wain holte all seine Reserven aus seinem verbrauchten Körper heraus und trat schnaufend mit voller Kraft in die Pedale. Deckard verteidigte die Innenbahn, doch Wain hatte einen Überschuss und konnte sich außen daneben bremsen. Seite an Seite ging es durch das Scharfe Eck! Wain lag leicht vorne! Aber nun beschleunigte Deckard auf der nächsten Geraden mit allem, was er noch in sich hatte, und fuhr wieder auf gleiche Höhe. Nebeneinander heizten Deckard und Wain durch den Linksknick, dabei wurde die dort liegende Stange klirrend aufgewirbelt und hochgeschleudert. Egal, denn nun hatte Wain die Innenbahn für die Baumschlange. Er bremste so spät es ging, dabei blockte das Hinterrad! Der leichte Rutscher war unvermeidbar, konnte aber mit einem Gegenlenker korrigiert werden. Doch die beiden Spitzenfahrer berührten sich leicht und kamen so nicht ganz perfekt durch die erste Baumschlangen-Kurve. Jetzt hatte Wain aber die Nase vorn und ging damit in Front. Deckard direkt dahinter. Wer davon profitierte? Aima war nun wieder an den Kampfhähnen dran. "Streit kostet Energie...", sagte Aima zu sich selbst. So sah es nämlich aus, die zwei Führenden hatten eine Menge Kraft verbraucht, sich gegenseitig zu überholen.

Vorletzte Runde! Jetzt warf Aima all ihre Reserven auf der langen Geraden in die Waagschale und drückte die Pedale mit aller Kraft von sich weg, als ob sie etwas Abstoßendes zu Boden treten würde. Ihr ganzes Fahrrad knackte, knarrzte, schabte, ratterte, eben alle Geräusche, die ein Fahrrad machen kann! Trotzdem wurde es verdammt schnell. Schneller als Jenes von Deckard! Der konnte vor dem Scharfen Eck Aima nichts mehr entgegensetzen. Aima auf Platz 2! Und Wain musste nun mitansehen, wie Aima ihm im Abschnitt Baumschlange mitten auf Genick saß.

Letzte Runde! Wain direkt vor Aima und zwei Sekunden dahinter Deckard, der damit geschlagen war. Das Feuer in Aimas Augen verriet: Wain, auf der Geraden bist du fällig! Und das Feuer in Wains Augen verriet: Du glaubst wohl, ich werde es dir einfach machen. Pah! Hindurch ging es durch die schnelle Albano-Kurve, in Schräglage über die Bordsteinkante, sodass blitzschnell umgesetzt werden musste für die langsame Linkskurve um den Brunnen. So spät wie möglich wurde gebremst, um sich eben nichts zu schenken. Die lange Gerade das letzte Mal vor ihnen. Wain gab alles, Aima gab alles. Ratsch! Irgendetwas klimperte, dann kratzte es. Aima rutschte vom Pedal, hielt das ausbrechende Fahrrad aber noch. Hinter Aimas Schrottmühle schleifte die Kette über den Pflastersteinen hinter ihr her. Sie sah, wie Wain langsam von ihr wegdüste. Deckard rauschte wenig später vorbei. Aima stieg vom Sattel, dieses Mal kein Kung-Fu-Sprung. Vor Erschöpfung knickten ihr die Beine weg. Sie saß auf der Straße neben ihrem Fahrrad und hob die verrostete Kette auf. Bei genauerer Betrachtung ein so schön simpel zusammengebauter Gegenstand...

Wain hatte damit den Rücken frei. Jetzt nur nicht den Vestand verlieren, es waren noch einige schmutzige Kurven zu durchfahren. Tosender Applaus von den Zuschauern! Doch Wain verstand es, kein Riskio mehr einzugehen, und rollte langsam über die Start-/Ziel-Gerade. Dort hatte Fugo eine karierte Flagge hin der Hand und wedelte damit wild dem Sieger zu. Wain hatte das Rennen gewonnen! Er lehnte sich auf seinen Lenker und schaute den Boden an, der unter ihm davonzurasen schien. Endlich durchatmen! Deckard fuhr neben ihm und war knallrot im Gesicht. Der Pirat riss Wains Arm in die Höhe, was dieser nur schmerzvoll mit sich machen ließ. Die Zuschauer jubelten Wain zu. "War das geil. Geiles Manöver, Wain! Schau mal, wie geil die Menschen das finden, was du Geiles organisiert hast.", sprach Deckard. Wain rang noch nach genug Luft. Auf der langen Geraden saß Aima neben ihrem kaputten Ding und applaudierte den beiden Bestplatzierten zu, als sie langsam heranrollten. Und Wain verbeugte sich in Ehren vor der Mönchin, die wahrscheinlich gewonnen hätte, wäre ihre Kette nicht gerissen. Doch auch die Maschine musste die Strapazen erstmal durchstehen.

Währenddessen fuhren Melfis/Randolf überrascht als Drittplatzierte über die Ziellinie. Glücklich darüber, es durchgestanden zu haben, klatschten sich beide gegenseitig in die Hände. Vierte wurde Milka, die ein ganz unauffälliges Rennen gefahren war, aber mit einem Schlussspurt Ruby besiegen konnte. Dann kamen noch Dei und Moose über die Ziellinie, die beide überrundet wurden. Ein Schnellschreiber notierte alles und reichte Fugo einen Zettel, auf dem das Ergebnis stand:
 

1. Wain, 90 Runden

2. Deckard, 90 Runden, 2 Sek. zurück

3. Melfis und Randolf, 90 Runden, 18 Sek. zurück

4. Milka, 90 Runden, 27 Sek. zurück

5. Ruby, 90 Runden, 29 Sek. zurück

6. Aima, 89 Runden, Kette gerissen

7. Dei, 89 Runden

8. Moose, 72 Runden

X. Isaac, 55 Runden, Feuer?

X. Yurist, 26 Runden, aufgegeben

X. Seena, 26 Runden, Sturz

In Führung: Seena (R.1-26) Isaac (R.27-55) Ruby (R.56-63) Deckard (R.64-87) Wain (R.88-90)
 

Langsam rollten die im Rennen verbliebenden Fahrer ins Zentrum von Albano zurück. Wain stieg mit letzter Kraft vom Sattel und rutschte mehr oder weniger zu Boden, so erschöpft waren seine Glieder. Die Pause hatte er sich verdient. Schulterklopfer von allen Seiten. "Das war ein klasse Duell mit dir!", rief Melfis dem Rennsieger zu.

Isaac und Aima waren in ein Gespräch vertieft und kamen zum Zentrum dazu. Aima war offenbar über etwas erstaunt: "...was zum Geier? Du hast die Bremsenergie in deinem Fahrrad gespeichert und dann zum Beschleunigen benutzt?" Isaac antwortete: "Ja, genau. Bis ich durch die Wasseransammlung gefahren bin und es einen Kurzschluss gab. Da sind mir die Akkumulatoren hochgegangen." Dei ging auf Isaac zu. "Hör mal, Isaac. Ich muss mich bei dir entschuldigen für dieses dumme Verhalten. Irgendwie ist mir im Eifer des Gefechts eine Sicherung durchgebrannt. Und dann ist an deinem Fahrrad eine Sicherung durchgebrannt..." Dei strecke dem Wissenschaftler seine rechte Hand hin und der nahm den Handschlag an. "Ja, schon vergessen. Immerhin hast du mir gezeigt, was an meiner Konstruktion noch zu verbessern ist. Ich werde nie wieder so eine unfunktionale Dichtung einbauen! Versprochen, dieser Defekt passiert nicht nochmal."

"Wow, Wain. Das war eine großartige Veranstaltung! Und beste Glückwünsche zum Sieg." Bürgermeister Fugo stand neben Wain, der sich immer noch am Boden erholte. Langsam richtete er sich auf und nahm die Glückwünsche entgegen. "Hat Spaß gemacht, glaub es mir. Seit dem Endkampf vor einem Jahr habe ich mich nicht mehr so angestrengt... ist aber ein schönes Gefühl, ja." Fugo fügte noch hinzu, dass Wain, wann immer er wollte, ein Fahrradrennen in Albano veranstalten dürfte. Dann überreichte er Wain die Ergebnisliste. Wain sah sich suchend um: Wo war eigentlich Seena?

Im Gästehaus lag Seena im weichsten Bett der Stadt mit Blick durch eines der Fenster auf die Rennstrecke. Eine leckere Kartoffel-Käferlarven-Brühe hatte sie wieder zu Kräften gebracht. Der Sturz würde sicherlich ein paar blaue Flecken hinterlassen. Die schwarzen Flecken im Gedächtnis würden wohl bleiben, denn so ganz klar waren ihr die Umstände nicht mehr. Die Belohnung für den Wahnsinn war nun das weichste Bett der Stadt, aber auch eine tiefe, innere Zerstörung. Das Ende des Rennens war zwar noch spannend gewesen, doch nun schlief Seena seelenruhig ein, damit die Zeit alle Wunden heilen konnte.



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