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Die Weltenwandlerin

von

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Entscheidungen

Als die Schwärze um mich herum verschwindet, befinde ich mich wieder an einem anderen Ort. In dem Moment, als ich das registriere, weiß ich auch sofort, dass das hier meine Welt ist. Doch sie ist nicht so wie ich sie zurückgelassen habe.
 

Ich betrachte die Szene vor mir: Drei Mädchen albern herum, sie scherzen und lachen, scheinen die besten Freundinnen zu sein. Sie wirken unbeschwert und unbesiegbar – als könnten sie sich stets aufeinander verlassen und gemeinsam alles durchstehen. Ich wundere mich nicht wenig als ich mich selbst unter den Dreien erkenne… Was ist hier wieder los?
 

„Das ist dein Leben wie es hätte sein können…“, ertönt da die dunkle Stimme von vorhin. Ich blicke mich um, doch wieder ist niemand zu sehen. Wie eine Erzählerstimme von oben fährt der Unsichtbare fort: „… wie es hätte sein können, wenn dein Wesen ein anderes wäre…“
 

Die darauffolgende dramatische Pause erfüllt ihren Zweck voll und ganz; ich halte den Atem an, darauf wartend was als Nächstes kommt.
 

Aber da kommt nichts mehr. Offenbar bin ich wieder an der Reihe etwas zu tun oder zu sagen. „Sie sieht so… glücklich aus…“ Ich wage es fast nicht, dieses Wort auszusprechen, setze seine Buchstaben ganz vorsichtig zusammen, so als wäre es zerbrechlich. Glücklich… ein Wort, das zu selten auf mich zutrifft. Umso seltsamer kommt mir das hier vor, das, was ich gerade erlebe, was mir gezeigt wird, so unwirklich… Ist es im Grunde ja auch, oder?
 

„Es hätte ebenso real sein können wie dein jetziges Ich…“, kommentiert die Stimme von oben. „Doch die Entscheidung fiel anders aus…“
 

Diese Aussage kann ich natürlich nicht so einfach auf sich beruhen lassen. „Die Entscheidung??? Wessen Entscheidung denn bitte???“
 

Die Antwort erfolgt kryptisch: „Nicht immer ist es eine einzige, große Entscheidung, manchmal stecken viele, kleine dahinter…“
 

„Soll das heißen, ich habe mich dafür entschieden so zu sein wie ich bin?“ Ungläubigkeit macht sich in mir breit. Das kann doch nicht sein, oder? Dass ich selbst mich für ein Leben entschieden habe, das mich vor so viele Schwierigkeiten stellt…
 

„Es ist ein Wechselspiel von Aktion und Reaktion, von innen und außen, von du und ich…“, meint die Stimme geheimnisvoll. Langsam aber sicher geht sie mir auf die Nerven mit ihrer rätselhaften Art. Doch bevor ich mich aufregen kann, fährt sie schon fort: „Was wäre, wenn ich dir sagen würde, dass du die Wahl hast? Du kannst dich jetzt für die Alternative entscheiden, für das Leben dort drüben…“
 

Ich zögere. Warum zögere ich? Sollte ich nicht vor Freude einen Luftsprung machen und bedenkenlos zustimmen?
 

„Wie sieht ihr Leben sonst aus?“, frage ich, meinem Bauchgefühl folgend, das plötzlich ein ungut-komisches Gefühl bei der Sache hat.
 

„Ist dir das noch nicht genug?“, will die unsichtbare Stimme in einem Ton wissen, der eigentlich keinen Widerspruch duldet.
 

„Na ja…“, entgegne ich kleinlaut. „Ich bin mir nicht ganz sicher…“
 

„Wie du willst…“, meint die Stimme ohne weiteren Kommentar.
 

Im nächsten Moment finde ich mich neben meinem alternativen Ich in mehreren Bildern und Szenen wieder und habe so die Möglichkeit, Einblick in ihr Leben zu erhalten. Ganz egal ob in der Familie, bei der Arbeit oder unter Freunden, eines ist mir schnell klar: Ihr Leben unterscheidet sich wesentlich von meinem. Es ist nicht ohne Probleme und Sorgen, aber dennoch erscheint es mir tausendmal einfacher als meines. Sie fühlt sich wohl unter Menschen, ist angenommen und geliebt, fühlt sich nie einsam und lacht viel mehr als ich.
 

Dennoch bleibt dieses kleine, nagende Gefühl in mir, das mich zur Vorsicht ermahnt. Als wir wieder zur ersten Szene mit den drei Freundinnen zurückkehren, kommen die folgenden Worte wie von selbst aus meinem Mund: „Sie schreibt nicht, oder?“ Es kommt mir so vor als wären dies die Worte eines anderen; in dem Moment, als ich sie ausgesprochen habe, kommt es mir wie eine Erkenntnis vor, die mein Geist ohne mein Wissen erlangt hat.
 

„Nein, das tut sie nicht“, ertönt die Stimme, die sich während der Bilderfolge erstaunlicherweise im Hintergrund gehalten und geschwiegen hat.
 

Ich überlege. Wäre ein Leben ohne Schreiben so schlimm? Mein alternatives Ich hat auf mich einen recht zufriedenen und glücklichen Eindruck gemacht; so als bräuchte es das Schreiben ganz einfach nicht… Mein Bauchgefühl aber sagt mir, dass ich auf der richtigen Fährte bin. Irgendetwas übersehe ich hier…
 

„Du suchst nach einem Haken…“, stellt der Unsichtbare für mich fest. „Nach Schwarz in Weiß, nach einem Grund, warum dieses Leben dort doch nicht so ‚perfekt‘ ist…“
 

Ich nicke noch bevor ich mir darüber klar bin.
 

„Dann stell mir die Frage“, kommt es von oben.
 

Noch ehe ich überlegen kann, was damit wohl gemeint sein könnte, sage ich folgende Worte: „Zeig mir bitte noch eine Szene… Zeig mir das Leben meines anderen Ichs mit Thranduil…“
 

„Wie du wünschst…“
 

Die Szene wechselt. Doch statt dem Grün des Düsterwalds, statt dem prächtigen Elbenreich und Thranduils liebevollem Blick ist da nur Schwarz. Ich warte, doch es kommt nichts. Nur ein Kommentar von oben: „In deinem anderen Leben gibt es keine Szene mit Thranduil und dir. In keinem der anderen Leben. Dein anderes Ich verknüpft nichts mit dem Namen des Elben; er ist höchstens eine weit entfernte, nicht greifbare Figur aus einer Geschichte…“
 

Plötzlich überkommt mich Panik. Ich fühle den mir bekannten Druck auf der Brust und die Enge im Hals. Ich versuche, dagegen anzukämpfen. Gleichzeitig stürmen gefühlt tausend Stimmen auf mich ein: Ein Leben ohne Thranduil? Ist es das wert? Geliebt in meiner Welt aber dafür keine andere? Wäre es nicht viel einfacher? Braucht es das Schreiben überhaupt? Was will ich denn nun überhaupt? Wofür entscheide ich mich?...
 

Ein immenser Druck befällt mich. Ich habe das Gefühl, davon erdrückt zu werden. Die Luft wird knapp. Wollte ich nicht immer, dass mein Leben anders wäre? Und sah mein anderes Ich nicht unendlich glücklich aus? Wie kann ich so ein Leben ablehnen?
 

„Die Entscheidung ist gefallen“, ertönt da von oben die tiefe, dunkle Stimme. „So sei es.“
 

Endgültigkeit klingt in diesen Worten mit. Wie ein Richtspruch, der nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Meine Panik vertausendfacht sich von null auf hundert. Welche Entscheidung? Ich habe doch gar nichts entschieden…!
 

Die Welt um mich herum beginnt sich aufzulösen. „Lebe wohl, Weltenwandlerin…“ Meine Gedanken rasen, aber ich bekomme kein Wort heraus. „Halt! Warte!“, will ich sagen. „Ich habe es nicht so gemeint!“ Was habe ich nur getan?
 

Ich verstehe nicht, was in meinem Inneren vor sich geht. Dafür geht alles viel zu schnell und ist viel zu tiefschichtig. Ich weiß nur, dass da eine riesige Angst ist. Sie wird größer und größer, bis ich glaube, es nicht mehr aushalten zu können. Und dann, plötzlich, ist es vorbei.
 


 


 


 

Ein Knall lässt mich nach vorne taumeln. Ich warte darauf zu fallen, aber dazu kommt es nicht. Stattdessen riecht es plötzlich nach Wald und alten Büchern, nach Frühling. Eine Stimme ruft meinen Namen. Das Schwarz verschwindet. Graublaue Augen schauen mich an. Ich bin zuhause.



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