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Wo du Zuhause bist

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Sturm

Kapitel 8: Sturm

 

Nein. Das konnte einfach nicht sein. So war es nicht richtig.

Um Anna herum hasteten die Zwerge in Aktion. Thorin brüllte etwas, doch alles was zu ihr durchdrang war das Rauschen der reißenden Flut, den Anblick, den sie nicht aus ihrem Kopf verbannen konnte. War diese Abweichung allein ihre Schuld? Konnte sie überhaupt für eine Flut verantwortlich sein? Sie hatte doch nichts falsch gemacht? Wie hätte sie das verhindern können? Oder was, wenn es nie ihre Aufgabe war, die Prinzen zu retten? Anna konnte bei all diesen Gedanken nicht mehr atmen, einzig als der blonde Haarschopf aus den Wassermassen auftauchte, holte sie wieder Luft. Fíli versuchte nach allem zu greifen, das im strömenden Fluss Halt gab. Schließlich bekam er einen tief hängenden Ast zu fassen, das weiteres Fortspülen für den Moment stoppte. Aber wo war Kíli? Sie konnte Kíli nicht sehen!

Thorin stieß die Menschenfrau grob zur Seite, sodass diese den Weg an der Spitze der Erhöhung freigab. Er erspähte seinen Thronerben rasch, doch von seinem anderen war keine Spur. „Kíli?!“, rief er laut nach seinem Neffen in den finsteren Wald hinein, in der Hoffnung eine Antwort aus den Schatten heraus zu erhalten. „Wir werden ihn finden.“ Thorin blinzelte zu seiner Seite und blickte in das entschlossene Gesicht Dwalins, der ihm ein Seil gegen die Brust drückte, jenes er sogleich fest mit seinen Händen ergriff. „Zu erst Fíli.“, verließ es seinen fähigsten Krieger, der einen klaren Kopf bewies. Thorin nickte. Im Augenblick musste er all seine Sinne auf die Rettung Fílis fixieren, drängte somit erst einmal den Gedanken an Kíli zurück. Mit kurzem Abschätzen seiner in der Dunkelheit angepassten Augen, warf er seinem Neffen das rettende Seil zu. Es verfehlte sein Ziel, sowie weitere Seile seiner Mithelfer. Schnell holte er es wieder ein, nur einen weiteren Versuch zu starten, während er weiterhin Ausschau hielt. Und er atmete erleichtert auf als eines der Seile Fíli erreichte. Jener packte es, welches sofort von Dori und Nori eingeholt wurde. Plötzlich schnürte es Thorin die Kehle zu als hinter seinem blonden Neffen aus dem Wasser der Kopf von Kíli auftauchte. Doch er bewegte sich nicht, es war allein Fíli, der seinen Bruder mit sich zog. „Kíli!“, verließ es diesmal lauter seine Kehle, aber es folgte keine Reaktion. Sein Neffe rührte sich nicht. Selbst als er mit Fíli aus dem Wasser auf die Anhöhe gezogen wurde, wachte er nicht auf. Er lag auf dem nassen Boden, sein Gesicht größtenteils durch seine Haare verklebt und reglos. Nein, bei Mahal, das konnte nicht sein! Direkt fiel er neben seinem Neffen auf die Knie, die Luft anhaltend als er seine Hand zögerlich auf die Brust legte, um zu fühlen ob noch Leben in ihm wohnte. Doch alles war still. Es bewegte sich nichts. Kíli atmete nicht. „Kii?“ Es war die leise Stimme Fílis, die zittrig nach seinem Bruder fragte als er sich über Kíli beugte, ihm behutsam die Haare aus dem Gesicht strich. Thorin schloss für einen Augenblick seine Augen. Was hatte er getan, das Mahal ihn so bestrafte? Er hatte versagt. Sich, Fíli und auch seine Schwester enttäuscht. Er war ein Narr gewesen, seinen Neffen zu erlauben mit auf die Reise zu gehen! Was hatte er sich nur dabei gedacht?! Das war es, was er für seine Torheit bitter bezahlte. Mit dem Leben seines Neffen, der ihm wie ein eigener Sohn war.

Um ihn herum war alles in schwerem Schweigen gehüllt. Niemand seiner Gefolgsleute sagte etwas. Nicht einmal sein alter Freund Balin fand dazu Worte. „K-Kii? Kannst du mich hören?“ Thorin nahm seine Hand von der leblosen Form seines Neffen und legte sie stattdessen Fíli auf die Schulter, die er leicht drückte. Fíli schüttelte sie ab, griff an den Schultern seines Bruders, die er begann sachte zu rütteln. „Nein! Kíli! Wach auf!“ Das Rütteln wurde stärker. „Fíli.“, versuchte es Thorin sanft, doch er hörte nicht. Plötzlich trat Óin heran, nickte ihm zu und er machte für den Heiler platz. Fíli hielt inne, bedachte Óin mit einem flehenden, Tränen verklärten Blick. „Bitte! Er ist nur bewusstlos. Gebt ihm etwas, womit er wieder aufwacht.“ Der alte Zwerg legte seine Hörtrompete an die Brust Kílis, Momente vergingen und Thorin spürte, wie noch ein Rest Hoffnung aufkeimte. Vielleicht war sein Urteil zu schnell gefällt worden. Doch schon kurz darauf ließ der Heiler ab und Thorin erkannte in dessen Gesicht, das all die Hoffnung umsonst war. Alles was er dann zur Antwort gab war ein vernichtendes Schütteln seines Kopfes. Fílis Gesicht wandelte sich, verlor jeglichen Ausdruck als er begann zu verstehen, dass sein Bruder nie mehr die Augen aufschlug. Nie mehr würde man seine Stimme hören, nie mehr sein Lachen. All das war nur noch eine Erinnerung, die mit den Jahren verblasste. Dann zerriss Fílis Schluchzen die Stille, brach allen nur mehr das Herz und die Kompanie ließ die Köpfe hängen, wissend, sie hatten soeben ihren Prinzen und auch Freund verloren.

„H-Halt!“, durchschnitt dann die von Panik ergriffene Stimme der einzigen Frau in der Gefolgschaft. Thorins Augen fixierten sie zornig, während sie sich durch die Zwerge nach vorn drängte. Wie konnte es dieser Mensch wagen das Wort in diesem Moment zu ergreifen? „Wartet! Vielleicht -“ „Schweigt! Ihr habt kein Recht hier zu sprechen! Dwalin, Glóin.“ Sofort wurde die Menschenfrau gepackt, ehe sie einen Schritt weiter machen konnte, jene jedoch begann sich heftig in dem Griff zu winden. „Lasst mich los! Vielleicht ist es noch nicht zu spät!“ Thorin ignorierte das Betteln der Frau. „Bitte! Thorin!“, schrie sie, doch er hörte es nicht. Er hatte andere Sorgen. Wie konnte er seinem Neffen ein angemessenes Grab geben? Sie waren mitten in der Wildnis, viele Wochen von einer Zwergensiedlung entfernt. Er weigerte sich seinen Erben in einem dreckigen Loch aus Erde zu begraben. Er gehörte in eine steinerne Gruft, wie jeder Prinz Durins. Bevor Thorin weiter darüber nachdenken konnte, wandte sich Gandalf an ihn. „Thorin.“, begann er, lehne sich schwer auf seinen Stab als er zu ihm hinunter blickte. „Es gibt Nichts, was Euren Neffen noch angetan werden könnte, was nicht schon geschehen ist. Lasst es Fräulein Schubert versuchen.“ „Was kann diese Frau schon tun, Zauberer? Dieser Kampf ist verloren. Niemand holt die Toten zurück.“, entgegnete Thorin scharf. Gandalf presste seine dünnen Lippen aufeinander. „In der Tat. Doch vielleicht ist das der Grund, warum sie gesandt wurde.“, verließ es den alten Mann hastiger. Thorin verengte seine Augen, bedachte Gandalf mit einem langen harten Blick. „Ihr wollt mir sagen, dass diese Menschenfrau hier ist, um meinen Neffen vor dem Tod zu bewahren?“, fragte er misstrauisch. „Hört auf zu diskutieren! Bitte!“, mischte sich die Frau erneut ein, sodass seine Augen wieder auf sie fielen. „Bitte...“ Die Menschenfrau flehte ihn weiter an, doch Thorin blieb hart. Keiner konnte seinen Neffen von den Toten zurückholen. Der Zauberer irrte sich. „Bitte! Je länger wir nichts tun, desto wahrscheinlicher ist sein Tod!“ „Versteht Ihr nicht, Weib?! Er ist bereits bei seinen Vorvätern!“ „Nein, du Sturkopf! Vielleicht ist er das noch nicht! Lass mich es doch versuchen! Wir können ihn doch nicht einfach sterben lassen! Es ist Kíli, verdammt noch mal! Ich gebe ihn nicht auf! Hört mir hier keiner zu?!“ Wie hatte sie ihn eben genannt? Und was verstand diese Frau nicht an seinen Worten? Thorin baute sich zu seiner vollen Größe auf. Er war mehr als bereit dieses respektlose Weibsbild ein für alle Male aus seiner Gefolgschaft zu entfernen. „Onkel.“, unterbrach die heisere Stimme Fílis und Thorin stoppte. Fíli hatte ihn das letzte Mal mit Onkel angesprochen, da war er noch ein Zwergling gewesen. „Ich werde mir nie verzeihen, wenn ich nicht alles dafür unternommen hätte meinen kleinen Bruder zu retten.“, verließ es seine raue Kehle unter dem Regen, seine Schultern tief hängend. Thorin zögerte. Wie sollte sie in der Lage sein Kíli zurückzuholen? Sie machte es nur schlimmer für Fíli die Tatsache zu akzeptieren. Doch wer war er, wenn er dem Wunsch seinem einzig verbliebenen Neffen nicht nachkam? Ein schwerer Seufzer entfuhr ihm, ehe er seinen Kriegern mit einer Handbewegung signalisierte, sie freizulassen. Kaum war dies getan, eilte sie an Kílis toten Körper.

„O-Okay...“, stammelte Anna, ihre Unterlippe vom Beißen ganz wund. Sie musste sich konzentrieren und versuchte sich an all die Dinge zu erinnern, die sie vor all den Jahren in einem Erste-Hilfe-Kurs gelernt hatte. Hoffentlich war es noch nicht zu spät. Zeit war hier mit der wichtigste Faktor. „Ich muss seinen Oberkörper freimachen... ja? Habe ich deine Erlaubnis alles zu tun, was nötig ist?“, wandte sie sich an Fíli, der neben ihr saß. In seinem Gesicht las sie deutlich die Verwirrung, doch trotz dem nickte er zum Einverständnis. Umgehend legte sie die Taschenlampe neben Kíli auf den Boden, sodass er erhellt wurde und sie griff hinten an ihren Gürtel, wo das Messer sicher festgeschnürt war. Ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden, zerschnitt sie dann die Schnüre seiner nassen Hemden und legte so die muskulöse, behaarte Brust von Kíli frei. Anna schluckte einmal stark als sie auf seinen Oberkörper starrte, unsicher wo sie beginnen sollte. „Wie war das nochmal... Handballen auf die Brust, mit gestreckten Armen Druck ausüben. 30, 2, 30, 2. Halt erst den Kopf.“ Anna steckte das Messer weg, fasste Kíli vorsichtig an den Kopf, überstreckte diesen behutsam, während sie mit wild pochendem Herzen in sein lebloses Gesicht sah. Würde es funktionieren? Sie hatte nur einmal, und das vor Jahren, einen einzigen Kurs besucht! In Filmen und Serien sah es alles so einfach aus, doch es war die Realität. Panik ergriff sie, doch musste sie es versuchen. Ruhig bleiben und alles in ihrer Macht stehende tun, um Kíli zurückzuholen. Heute war nicht der Tag, an dem er starb. Heute war nicht das letzte Mal, dass sie mit ihm gesprochen hatte. Zaghaft legte ihren Handballen dort auf, wo sie sein Herz vermutete und platzierte ihre zweite Hand darüber, stellte sich auf ihre Knie, drückte ihre Arme durch und mit all ihrem Gewicht und ihren Hoffnungen begann sie mit der Wiederbelebung. Nein, Kíli durfte sie nicht verlassen. Nicht jetzt und nicht bei der Schlacht der fünf Heere - dafür war sie doch hier!

„28, 29, 30.“, flüsterte sie unter der Anstrengung, ließ von seiner Brust ab und ohne eine weitere Sekunde verstreichen zu lassen, sog sie die Luft tief ein, hielt ihm die Nase zu, zog seinen Mund auf, versiegelte ihn vollständig mit ihrem eigenen und füllte so Kílis Lungen mit Sauerstoff. „W-Was tut sie da?!“ „Mi targê!“ „Warum küsst sie ihn?!“ Die Zwerge riefen entsetzt durcheinander, das Anna vollkommen ausblendete, zu sehr auf die Wiederbelebung fixiert. Nachdem sie Kíli zwei mal Luft gespendet hatte, fuhr sie mit der Herzdruckmassage fort. Es waren endlose Minuten, die immer schwerer wurden. Sie begann zu schwitzen, ihre Arme schmerzten und je öfter sie ihre Handlungen wiederholte, desto mehr schwand ihr Glaube. War es wirklich schon zu spät? All ihre Bemühungen völlig umsonst? Tränen mischten sich mit den Regentropfen auf ihren Wangen. Das war nicht wahr. All das hier war doch nur ein Albtraum. Gleich würde sie aufwachen, oder Kíli einfach die Augen öffnen und sagen, dass es nur ein ganz schlechter Scherz gewesen war. „Kíli!“, schrie sie verzweifelt seinen Namen, während ihr Druck kraftvoller und gewaltsamer wurde. Doch es tat sich nichts. Wie oft sie es noch versuchte, ihre Anstrengungen verdoppelte. Kíli gab kein Lebenszeichen von sich. Er war gestorben, mit ihm sein unverwechselbares Lächeln und sein Lachen, das sein ganzes Gesicht aufhellte. Anna verlangsamte den Rhythmus und stoppte letztendlich. Es war zu spät. Und es machte sie wütend. Warum war sie überhaupt hier, wenn sie ihn nicht retten konnte?! „Komm zurück … Komm zurück!“ Mit all ihrer verbliebenen Kraft schlug sie ihm mit ihren geballten Fäusten auf die Brust und sank darüber weinend zusammen, vergrub ihre zitternden Finger tief in seinen Hemden. „Kíli...“ So sollte es nicht laufen! Was wollten die Valar von ihr?! War sie nicht hier um diese Tode zu verhindern?!

Es waren sanfte Hände, die sie von Kíli zogen, auf die Beine stellten und sie fand sich in den Armen von Bofur wieder. „... W-Warum?“ Anna verschluckte sich heftig an ihren Tränen, die nicht aufhören wollten. „Shhh. Es ist nicht deine Schuld.“, versuchte er sie zu beruhigen, doch es machte es nur schlimmer. War es wirklich nicht ihre Schuld? Es musste ihre Schuld sein! Genau wie damals! Anna schüttelte schwach ihren Kopf, drückte sich von Bofur ab und blickte jenem in die Augen. „Es ist meine Schuld. Ohne mich... ohne mich...“ Ihre Kehle fühlte sich kratzig an und ihre Worte waren schwach, dennoch erreichten sie Bofur. Verwirrt zog er seine Stirn in Falten. „Wie -“ Anna ließ ihn nicht ausreden, sondern zog sich aus seinen Armen, suchte schnell die Einsamkeit auf der anderen Seite der Erhöhung bei den restlosen Ponys auf, wo sie ihre Hände an ihre Ohren drückte, um all die Stimmen um sie herum zum Schweigen zu bringen – weit weg von all den Zwergen und besonders dem einen, der mittlerweile mehr geworden war als nur ihr Freund und Beschützer. Und er würde keines von beidem mehr sein können. Es war alles ihre Schuld.

Er versuchte Luft zu schnappen, doch es gelang ihm nicht. Stattdessen rollte er aus einem Impuls heraus auf die Seite und erbrach sich. Um ihn herum hörte er Stimmen, doch sie verschwammen ineinander und wirkten für den ersten Moment stumpf, ehe sich der Schleier in seinem Kopf lichtete. Kíli hustete stark, spuckte noch mehr Wasser und den restlichen Mageninhalt in das Gras neben sich. Was war passiert? Plötzlich wurde er sachte vom Boden aufgehoben und blickte hinauf in das sorgenvolle Gesicht seines Bruders. „Nadadith? Kannst du mich hören?“ Da bemerkte er, dass er halb auf dem Boden lag und die gesamte Kompanie um ihn herum stand, in ihren wohlbekannten Gesichtern lag Erleichterung, Unglauben und Freude. Die Größte fand er bei seinem Onkel. „Fii..?“, kam es rau über seine Lippen und ein Husten folgte. „Hast du irgendwo Schmerzen?“ „...Nein.“ „Mahal sei Dank.“, flüsterte Fíli in seine Haare als er die Umarmung etwas verstärkte. Kíli schloss seine Augen, noch zu kraftlos um sich zu bewegen. Aus irgendeinen Grund fühlte er sich erschöpft. Das Letzte woran er sich erinnerte war das Wasser und ein Schmerz an seinem Kopf. „Nicht nur Mahal sei gedankt.“, drang die fröhliche Stimme des Spielzeugmachers in Kílis Ohren. „Es hat funktioniert!“ An dieser Stelle öffnete er wieder seine Augen, die Augenbrauen fragend zusammen gezogen. Wovon wurde gesprochen? „Ja, in der Tat.“ „Vielleicht hat sie gar nichts damit zu tun und es war Mahal selbst.“ „Unsinn! Du hast es doch auch gesehen oder bist du blind?“ „Wo ist Frau Anna?“, beendete dann die Stimme des Hobbits den raschen Wortwechsel. Unweigerlich suchten seine Augen nach ihr. Unter all den Gesichtern, die auf ihn hinab und um sich blickten, konnte er eines nicht entdecken. Ihres. Wo war Anna? Ging es ihr gut? Kíli spannte sich merklich an, bereit sich jeden Moment aus der Umarmung seines Bruders zu lösen als er spürte, wie Fílis Oberkörper vor Lachen leicht vibrierte. Sein Bruder lächelte ihm mit einem schwachen Kopfschütteln entgegen. „Soll ich dir helfen?“, lenkte Fíli die Aufmerksamkeit auf sich. „Nein. Ich schaffe das allein.“ Seine Muskeln fühlten sich noch immer sehr steif an, doch biss er die Zähne zusammen als er sich aus den Armen seines Bruders befreite und sich für den ersten Moment wacklig auf seine Füße stellte. Sofort war Fíli an seiner Seite und stützte ihn. „Du musst das nicht tun. Wenn es dir nicht gut geht-“ „Fii, es geht mir gut.“ Auch wenn er deutlich die Sorge in seinen Augen erkennen konnte, akzeptierte es sein Bruder stumm. Kaum hatte sein Körper das nötige Gleichgewicht, drückte er den Arm von seinem Bruder weg. Bevor er jedoch einen Schritt tun konnte, stand sein Onkel vor ihm. Überrascht blickte er jenem lang in die Augen, der ihn dann ohne ein Wort in eine kurze aber kräftige Umarmung schloss. Anschließend legte er dessen Stirn an seine, während er eine Hand an seinen Nacken legte, um den Druck leicht zu erhöhen. Ein kleines Seufzen folgte. Kíli verstand nicht, was das alles bedeutete.

„Onkel?“ „Ich bin froh dich wieder unter den Lebenden zu wissen.“ Erschrocken zog Kíli seinen Kopf zurück, blickte irritiert auf das sanfte Lächeln seines sonst strengen Onkels. „Lebenden?“ Das Lächeln verschwand, machte stattdessen für ein starkes Runzeln auf der Stirn platz. „Wir fürchteten du seist schon in Mandos Hallen bei deinen Vorvätern.“, erklärte ihm sein Onkel, das für Kíli jedoch keinen Sinn ergab. Bei seinen Vorvätern? Aber er lebte doch. Wie konnte das sein? Und warum war Anna nicht da? Warum wurde so von ihr gesprochen? „Was hat das mit Anna zu tun?“ Direkt verschränkte sein Onkel die Arme vor der Brust, seine Augen wurden dunkler, sein Ausdruck härter. „Wie es scheint, hat diese Menschenfrau dich zurückgeholt.“ Als er einen unsicheren Seitenblick zu seinem Bruder wagte, der mit einem entschiedenen Nicken die Worte bestätigte, schlug sein Herz höher. „Und bevor du fragst. Das mit der Kleidung war auch sie.“, meinte dann Fíli mit einem amüsierten Zwinkern. Prompt sah er an sich hinunter und stellte verblüfft fest, was sein Bruder meinte. „Warum hat sie das getan?“ Kíli fasste an den zerschnittenen Schnüren seiner Hemden, welche sich ganz leicht heraus zupfen ließen. „Oh, du wärst überrascht was sie noch getan hat.“, setzte sein Bruder vergnügt, wie auch geheimnisvoll nach, was sofort Kílis Neugier weckte. „Wo ist sie?“ Fíli lachte und klopfte ihm auf die Schulter. „Sie wird nicht weit sein und ich glaube nicht, dass sie schon von ihrem Glück weiß. Lass sie nicht warten.“, meinte dann Fíli mit einem Grinsen und einem kleinen Schubser in eine Richtung, sodass er kurz strauchelte. Sein Onkel machte ihm mit einer hochgezogenen Augenbraue zögerlich Platz, ließ ihn so passieren, wie auch die restlichen Zwerge. „Sie ist zu den Ponys gegangen. Und an deiner Stelle würde ich mich bei Gelegenheit großzügig bedanken.“, gab ihm Bofur zwinkernd mit auf dem Weg.

Und dort mitten im Regen stand sie mit dem Rücken zu ihm, am Rand des Plateaus, die Arme eng um ihren schmalen Körper geschlungen. Die Ponys wieherten nervös als er an ihnen vorbei ging und er so sein Kommen ankündigte. Doch Anna schien es nicht zu bemerken und Kíli verstand kaum einen Moment später warum. Es war ihr Weinen, das immer lauter wurde je näher er kam. Sie trauerte um ihn. Einem Zwerg aus einer anderen Welt, den sie kaum zwei Monde lang kannte. Ihr lag aufrichtig Etwas an ihm. Dieser Gedanke hinterließ ein eigenartiges, angenehmes Gefühl in seiner Brust, von dem er nicht wusste woher es kam. Es war wie ein schwaches Kribbeln, das sich in alle Richtungen verbreitete. Wie von selbst tat er einen weiteren Schritt auf sie zu, blieb so dicht hinter ihr stehen, dass er beinahe ihren Rücken berührte. Für einen Moment war er verwundert. Warum war er ihr so nah gekommen?

Anna schien nun seine Anwesenheit zu spüren. Ihr Körper spannte sich sichtbar an, ihr Weinen brach abrupt ab und er hörte sie stark die Luft einziehen. Dann in einer schnellen Bewegung drehte sie sich um, stieß dabei fast gegen ihn. Ihre blauen Augen schimmerten unter ihren Tränen groß hervor, ihr Mund war weit geöffnet und Brustkorb hob und senkte sich stark. Sie konnte nicht glauben, dass er vor ihr stand. „Du ...“ Ihre Stimme versagte und er war versucht leise zu lachen, sich einen Scherz zu erlauben, als sie plötzlich ihre Hand hob, ihre Finger nach ihm ausstreckte, im Begriff etwas zu tun, das er hätte verhindern sollen. Doch er konnte nicht. Und so ließ er es geschehen, neugierig, was folgen würde. Seine Atmung wurde flach, sein Herz überschlug sich als ihre Finger seine Wange nur knapp über seinen Bartansatz berührten. Kíli schloss seine Augen, verlor sich für einen flüchtigen Moment in ihren sanften Fingern, wie sie über seinen Bart strichen, eine warme Spur zogen, weiter hinunter an seinem Kiefer und als ihr Daumen dann seinen Mund streifte, schnappte er unbewusst nach Luft. Schlagartig öffnete er seine Augen. Was er sah, ließ sein Herz nur wilder, unkontrollierter schlagen. Ihre himmelblauen Augen waren voller Wunder, die jedes Detail in seinem Gesicht genau betrachteten als habe sie nie etwas Schöneres gesehen. Dann breitete sich ein Lächeln auf ihren vollen Lippen aus, wo sein Blick kurz verharrte. Kíli fühlte sich aus irgendeinem Grund dort hingezogen. Ein Gefühl, das er nicht kannte und ihn verunsicherte. „Du bist es wirklich. Keine Einbildung! Du lebst!“ Ihr freudiger Ausruf holte ihn aus seiner Starre. Geradezu schüttelte er leicht seinen Kopf, um den Rest seiner Gedanken fortzujagen, die er nicht verstand. Mit ihrer Hand an seinem Gesicht, war er versucht sich erneut in diesen neuen Gefühlen zu verirren, umfasste daher jene mit seiner größeren, brachte so Abstand. Plötzlich starrte sie darauf, zog diese mit einem unsicheren Lächeln rasch zurück. „T-Tut mir leid, ich hätte das nicht tun dürfen. Aber ich dachte, ich bilde mir wieder irgendwas ein. Ich wollte nur sichergehen.“ Über ihre Worte verwundert, hoben sich seine Augenbrauen an. Annas Augen weiteten sich erschrocken. „W-Wie geht es dir?”, setzte sie hastig nach, darauf bedacht das Thema zu wechseln. Kíli wollte wissen, was sie damit meinte. Aber er wollte sie nicht zu etwas drängen, was sie nicht wollte. Sie sollte sich bei ihm wohl und sicher fühlen. Ein Wunsch, der in den letzten vergangenen Augenblicken sehr gewachsen war. „Gut. Obwohl es obenrum recht zugig ist.”, meinte er ungeniert und sie begann schief zu lächeln, während ihr Blick nun immer wieder zu seinem Oberkörper huschte und letztendlich dort an dem Spalt freier Haut hängen blieb. „Ja,... sorry deshalb. Ähm… ihr Zwerge habt wirklich … beeindruckende Muskeln.” Kíli von diesen Worten angestachelt, streckte er seine Brust nun extra heraus. „Hast du denn schon viele gesehen?” Anna riss ihren Blick von seiner Brust los, begegnete seinem mit einem kleinen Lächeln. „Daran würde ich mich erinnern. Alleine schon wegen der vielen Haare.“ Viele Haare? Kíli zuckte mit seinen Schultern. „Du müsstest mal Onkel sehen.“ Prompt blinzelte sie verstärkt als sie seine Worte überdachte. Dieser Gedanke schien ihr nicht zu gefallen, da sie ihr Gesicht in eine Grimasse verzog. „... Na, danke für das Kopfkino. Wie ein richtiger Bär, was? Nein, halt. Antworte darauf bloß nicht.“ Anna schüttelte sich nachträglich noch einmal, das ihn leise lachen ließ. „Was ist Kopfkino?“, fragte er mit einem breiten Lächeln, welches so schnell verschwand wie es gekommen war als ihre Augen wieder begannen feucht zu schimmern. Hatte er etwas Falsches gesagt? „Kíli, bitte. Mach so etwas nicht noch mal.“ Ihre zerbrechliche Stimme erreichte ihn kaum unter all dem Rauschen des Wassers und dem Wiehern der Ponys. „Du darfst nicht sterben... Versprich mir, du stirbst nicht.“, flehte sie ihn an als sie einen Schritt auf ihn zu tat, ihre Hände auf seinem nassen Hemd legte und hoffnungsvoll in seine Augen blickte. Kíli dachte nicht nach, sondern ergab sich dem ersten Impuls. Er schloss Anna in seine Arme. Sie schmiegte sich sofort leise schluchzend an ihn, ihr heißer Atem streifte seinen Hals stoßweise, ihr Griff in sein Hemd wurde fester und er drückte sie nur enger an sich. Er konnte ihr nicht die Worte geben, nach denen sie flehte. Zögerlich legte er seinen Kopf an den ihren, sein Mund nah an ihrem Ohr. „Ich kann es dir nicht versprechen, aber ich werde mein Bestes geben.“, flüsterte er ihr zu, bevor er seine Nase in ihr feuchtes Haar über ihrem Ohr vergrub und tief ihren süßen Duft einatmete. Möge Mahal Gnade mit ihm haben, denn er konnte sich nicht helfen.

 
 

Kaum war sie mit Kíli zurückgekehrt, erkannte sie in vielen der bärtigen Gesichtern Freude. Selbst Thorin starrte nicht so voller Verachtung, wie er es sonst tat. Ehe sie sich dazu einen Gedanken schaffen konnte, bombardierten die Zwerge sie mit Fragen, ganz besonders Óin. Wie hatte sie das geschafft? Erschöpft lächelte sie in die Runde und sagten jedem, sie würde es ihnen bei Gelegenheit erklären. Das wäre dann wahrscheinlich am nächsten Tag, so wie sie die Zwerge einschätzte. Viel mehr war sie nun darauf fokussiert ihre Kopfschmerzen und die unsägliche Kälte zu verbannen. Die Umarmung Kílis hatte dabei nicht geholfen, es sogar noch schlimmer gemacht. Seine Nähe war so angenehm warm und beruhigend gewesen, dass sie am liebsten die ganze Zeit in seinen starken Armen geblieben wäre, die sie sanft und doch bestimmend an ihn gedrückt hatten. Plötzlich wurde ihr wärmer als sie an etwas Anderes denken musste. Seine tiefe, dunkle Stimme, die ihr Worte ins Ohr flüsterten. Sein warmer Atem, der ihr Gesicht und Ohr streiften. Sein betörender Geruch, der sie fast verrückt machte. Ihr ganzer Körper kribbelte wieder, wenn sie nur daran zurück dachte. Es war gut gewesen, dass er sie in diesem Moment festhielt, denn ihre Beine waren noch eine Weile danach taub gewesen. Als er dann Abstand nahm, schlug die Kälte um ein Vielfaches zurück, hinterließ es eine eisige Berührung auf ihrer Haut, sodass sie mit der Idee gespielt hatte, sich ihm einfach aufzudrängen.

Zufrieden, dass der Regen endlich aufgehört hatte, legte Anna ihre durchnässte Bettrolle aus und setzte sich darauf. All die Zwergen um sie herum taten dasselbe. Sie suchten sich ein kleines Plätzchen, das jeder für sich in Anspruch nahm, um sich zur Ruhe zu legen. Sie war allerdings noch zu aufgekratzt, als das sie nun hätte schlafen können. So war sie gerade dabei ihre Taschenlampe in ihrem Rucksack zu verstauen, die ihr freundlicherweise Ori gegeben hatte, und zog anschließend ihre Lederjacke heraus als sie zu ihrer Linken eine Bewegung wahrnahm. Sie war schon dabei Bilbo zu begrüßen, wie sie es jeden Abend tat, doch statt Bilbo sah sie jemand anderem ins Gesicht und erstarrte. Ihr Herz überschlug sich bei dem breiten Lächeln Kílis, der seine Bettrolle neben ihrer ausbreitete als hätte er nie etwas anderes getan. Was machte er da? Er hatte sich noch nie neben sie gelegt und die Vorstellung allein löste Unruhe aus. Noch dazu bemerkte sie, dass sein Hemd noch immer geöffnet war, somit weiterhin schamlose Einsicht gewährte. Bevor sie es aufhalten konnte, stieß sie bei dieser verbotenen Aussicht sehnsüchtig die Luft aus. Dabei mochte sie eigentlich gar keine Brustbehaarung, wovon er wirklich genug besaß. Frustriert über sich selbst, wandte sie ihren Kopf ab und ihre Augenbrauen schossen prompt hoch. Fíli war dabei sich rechts von ihr den Platz zu sichern. Was passierte hier? Es war ein Überfall, der sie komplett unvorbereitet traf. „Was ist mit Bilbo?“, fragte sie dann nach einer kleinen Pause in keine bestimmte Richtung, da ihr Blick von einem Bruder zum nächsten wechselte. Es war Fíli, der ihr antwortete. „Er entschied sich dazu seinen Platz aufzugeben.“, verließ es ihn in einer verdächtigen Tonlage, woraufhin sie ihre Augenlider verengte. Da war etwas faul. „Freiwillig?“, hakte sie nach und der blonde Prinz lachte nervös. „Nicht ganz.“ „Fii!“, beschwerte sich Kíli, der sich damit als Drahtzieher entpuppte. Anna seufzte als sie den braunhaarigen Prinzen mit einem strengen Blick fixierte, der sich mit einem ertappten Lächeln am Hinterkopf kratzte. „Sagt mir, ihr beide wart nett zu ihm.“, wollte sie sich vergewissern, indessen sie ihre Lederjacke unter dem Umhang anzog. Das wäre nicht sehr bequem in der Nacht, aber ein wenig Wärme würde es spenden. „Wir haben ihm eine Extraration zugesagt.“, meinte Kíli schulterzuckend, zog etwas nebenher aus seiner Tasche und Anna lachte prompt. Hobbits waren anscheinend sehr leicht mit Essen zu bestechen. Aber wen wunderte das? „Und … wir mussten ihm etwas versprechen.“ Das Lächeln von Kíli wurde schief als verstand er nicht recht, warum Bilbo es verlangt hatte. „Du, Bruderherz. Nicht wir.“, lachte Fíli vergnügt neben ihr. Jetzt war sie wirklich neugierig und ihr Blick heftete sich wieder aufs Kílis Hemd, das er begann mit einem neuen Band zuzuschnüren. Seine Finger wirkten gegen das dünne Band dick, welches er dennoch mit geschickten Bewegungen einfädelte. Zögernd riss sie sich davon los, unterdrückte dabei den starken Drang ihre Gedanken wandern zu lassen. „W-Was denn?“ Kurz herrschte Stille, in der sie Fíli verhalten Lachen hörte. „Ich soll meine Hände bei mir behalten.“, nuschelte er unter seine Stoppeln und vermied den Augenkontakt mit ihr. „Das hat er verlangt?“ „Ja und mein Bruder -“ Weiter kam Fíli nicht, da Kíli irgendetwas in Khuzdûl knurrte und ihn so harsch unterbrach. Es folgte ein Lachen vom blonden Zwerg, dem sie dann ins Gesicht sah. Er warf ihr ein Zwinkern zu, ehe er sich auf seine Decke legte, einfach seine Augen schloss und sie so im Ungewissen ließ. Ihr Kopf schnappte zurück zu Kíli und fing seinen Blick auf. Ein unschuldiges Lächeln legte sich auf seine Lippen. Fein, wenn sie eben keine Antwort bekam. „Wirst du denn deine Hände bei dir behalten?“, fragte sie interessiert, das ihn sofort in seinen Bewegungen stoppte. Überrascht weiteten sich seine Augen. Er hatte etwa nicht mit einer solchen Frage gerechnet? Ein zaghaftes Grinsen umspielte seinen Mund. „Würdest du das wollen?“, kam es zurück, unterdessen seine braunen, dominanten Augen sie regelrecht mit einer solchen Intensität gefangen nahmen, dass ihr die Fähigkeit zu sprechen versagte. War das noch harmloses, unbedeutendes Flirten? Kíli wirkte nicht wie sonst. Hatte sich etwas verändert? Oder begann sie sich etwas einzubilden? Anna lächelte vorsichtig, strich sich nervös eine verirrte Strähne hinter ihr Ohr, während es sich in ihrem Kopf begann zu drehen. „Langsam kann ich verstehen, warum Bilbo darauf bestand.“, zerstörte Fíli erfolgreich den Moment, was auch immer das für einer gewesen war. Direkt wandte Anna sich mit rasendem Herzschlag und einem Kribbeln im Bauch von Kíli ab. Sie war wirklich hoffnungslos verloren. Wie konnte es nur soweit kommen? Er war ein Prinz, ein Zwerg und lebte in Mittelerde. Es hatte keine Zukunft und dennoch fühlte sie sich so stark zu ihm hingezogen. So legte sie sich mit einem mulmigen Gefühl still auf ihre feuchte Decke und drehte dem braunhaarigen Prinzen vorsichtshalber den Rücken zu, sodass sie auf Fílis stierte. Für ihren Geschmack war heute viel zu viel passiert. „Gute Nacht, Kíli...“ Hinter ihr hörte sie Kleidung rascheln. „Gute Nacht, Anna.“

 

Der Schleier ihres Schlafes lichtete sich, atmete sie tiefer die schwere Luft des Morgens ein, der sich mit etwas Vertrautem mischte. Die Vögel sangen ihre Morgenlieder und sie fühlte die Wärme der Sonne. Es war als sei nichts von all dem gestern passiert. Die Welt drehte sich einfach weiter. Als sie dann ihre Augen langsam öffnete, begegnete sie einem Anblick, mit dem sie nicht gerechnet hatte und so umgehend das letzte bisschen Schlaf verbannte. Kaum einen halben Meter entfernt sah sie Kíli direkt ins Gesicht. Sein Haar verdeckte einen Teil, legte jedoch eines seiner großen Ohren frei, auf welchem sie ungeniert starrte. Zwerge besaßen wirklich große Ohren. Nicht, dass sie dem bisher viel Aufmerksamkeit geschenkt hatte, aber bei Kíli wirkte es irgendwie wie ein Magnet, wie eigentlich der ganze Rest an ihm. Aber seit wann fand sie Ohren faszinierend? Nein, seit wann fand sie überhaupt etwas an Männern faszinierend. Sie könnte sich auf Anhieb an kein einziges Körperteil ihres Ex-Freundes erinnern, das sie in dem Maße anziehend fand. Natürlich hatte sie ihn geliebt und fand seinen Körper attraktiv, aber warum hatte sie nicht einen Punkt bei ihm so besonders gefunden? Es hinterließ ein seltsames Gefühl. Vielleicht war ihre Anziehung bei ihrem Ex eher auf seinen Charakter zurückzuführen gewesen? Sie hatte seinen Humor sehr gern gehabt. Gern. Diese Gedanken begannen sie zu verwirren, weshalb sie frustriert tief aus ihrer Seele heraus seufzte. Kílis Mundwinkel zuckten plötzlich verdächtig als kämpfte er gegen ein Lächeln oder Grinsen an. Aber das war unmöglich, oder? Träumte er vielleicht? Nein... oder war er wach? Wie lange schon? Wieso hatte er nichts gesagt und tat so als schliefe er noch? Erschrocken sog sie die Luft auf, was ihre Erkenntnis wohl verriet. Kíli öffnete seine Augen, auf seinen Lippen lag ein unverschämtes Lächeln. Er war wirklich die ganze Zeit wach gewesen! Dann hatte er mitbekommen, dass sie ihn angestarrt hatte? Anna kam ins Schwitzen. „Kíli!“ Unbeabsichtigt rutschte ihr Ton eine Oktave höher und Kílis Lächeln wandelte sich in ein Grinsen. „Ich könnte die Augen noch mal schließen, wenn du noch einen Moment brauchst.“ Sein Zwinkern toppte das Ganze und sie wusste nicht, ob sie empört oder belustigt sein sollte. Sie entschied sich für die einzig beste Option. Angriff. „Besserer Vorschlag. Du kommst näher.“, flüsterte sie, nur für seine Ohren bestimmt. Kílis Augen wurden groß als sein Kopf leicht hochschoss. Sein Ausdruck verlor jeglichen Scherz, stattdessen öffnete er seinen Mund einen Spalt, doch kein Ton kam darüber. Er wusste nicht was er sagen sollte, somit war es an ihr zufrieden zu grinsen. „Was? Schockiert?“ „Aufstehen! Es geht weiter.“, ordnete im Hintergrund Thorin an, was das Lager mit einigem Grummeln und Stöhnen zum Leben erweckte. Nur nicht Kíli, er verharrte in seiner Position mit seinen großen, braunen Augen nur auf sie fixiert. „Ist dein Vorschlag ernst gemeint?“, fragte er verunsichert nach und sie konnte ein Kichern nicht unterdrücken, während sie sich aufsetzte und sich erst einmal gähnend streckte. Plötzlich saß Kíli an ihrer Seite, der sie voller Neugier anstarrte. „Weißt du was? Das sag ich dir nicht.“ „Warum?“ „Darum.“ Kíli zog seine Augenbrauen so stark zusammen, dass sie sich fast trafen. „Was ist das für ein Grund?“ Anna lachte leise über seinen Unmut als sie sich umdrehte und begann ihr Bett zusammen zu rollen. „Anscheinend ist das Grund genug.“, stimmte Fíli amüsiert mit ein, somit bewies, der er alles mitangehört hatte. „Misch dich nicht ein, Fíli.“ „Jetzt bin ich nur Fíli? Das schmerzt mich, Bruder.“ Ein Seitenblick zu Kíli und sie konnte sich ein richtiges Lachen nicht verkneifen. Er zog eine solche Schnute, das sie einfach nicht anders konnte. Ihr Lachen zog gleich die Aufmerksamkeit des halben Lagers auf sich. „Jetzt sei keine beleidigte Leberwurst und krieg dich wieder ein.“ „Oh, was würde ich jetzt für ein Stück Leberwurst geben.“, kam es von Bombur und einstimmiges Seufzen folgte. Hier hörte wirklich jeder zu, weshalb sie geistig notierte öfter zu flüstern. Anna schüttelte ihren Kopf. „Leberwurst ist doch langweilig. Ein fetter Burger, das wärs. Oder eine Pizza... oder einfach nur eine Currywurst Pommes mit Mayo...“ Jetzt hatte sie definitiv alle Ohren sämtlicher Zwerge und einem Hobbit.

 

Das Thema Essen beendete nicht nur das Gespräch mit Kíli, sondern verbreitete bei allen ein derartiges Hungergefühl. Es wurde ordentlich gemotzt, wieso sie nicht wenigstens einmal in irgendeinem Gasthaus gehalten hatten. Ob sich nun mit Bier volllaufen zu lassen, oder sich ordentlich die Wänste vollzustopfen. Beinahe fühlte sich Anna schuldig, dieses Gesprächsthema ins Rollen gebracht zu haben als ihr etwas sehr Wichtiges bei dem Beladen der Ponys einfiel. Khal Drogo war am Vorabend im Chaos verschwunden, zu ihrem tiefen Bedauern auch nicht zurückgekehrt, obwohl die Flut längst verebbt war. Jetzt stand sie zwischen den Zwergen, die just in diesem Moment bemerkten, das auch eines der Ponys fehlte. Es war das, welchem Kíli hinterher geeilt war und mit jenem mehr als die Hälfte der Vorräte futsch, was leider dazu führte, dass nur ein paar Äpfel zum Frühstück verteilt wurden. Damit fiel die Laune so stark, dass sie schon in den Minusbereich rutschte. Dennoch hatte Anna jetzt ein großes Problem. Es gab kein weiteres freies Reittier. Vorsichtig lugte sie zu Kíli, der sein braunes, zotteliges Pony sattelte. Sollte sie ihn fragen? Bei dem Gedanken sich tagelang ganz unschuldig an seinen Rücken zu schmiegen, schlug ihr Herz schneller. Aber war das wirklich eine gute Idee? Sie musste ihren Wahn nicht noch extra verstärken. Schon wollte sie auf Bilbo zugehen als sie sah, wie er ein vollbeladenes Pony bestieg. Damit schied ihr kleiner Hobbitfreund wohl aus. „Was betrübt Euch, mein Liebes?“ Es war Gandalf mit einem milden Lächeln, der sie unter seinem Hut er anblickte, während er schwer auf seinem Stab lehnte. Sie zuckte hilflos mit den Schultern. „Khal Drogo hat gestern beschlossen mich zu verlassen und jetzt...“ Der Zauberer verstand sofort und sein Gesicht zeigte aufrichtiges Mitgefühl. „Oh, das ist bedauerlich. Er war eine sanfte Seele.“, ließ er verklingen, setzte jedoch nach. „Nun. Es findet sich sicher jemand, der gern mit Euch ein Pony teilt.“ Das Zwinkern, was Gandalf ihr schickte, war mehr als verdächtig. Sofort verkrampfte sie sich. „Was soll das denn heißen?“ Gandalf stellte sich an seinem Stab gerade, seine Lippen in einem geheimnisvollen Lächeln verstrickt. „Das Ihr bereits Freunde habt, auf die Ihr Euch verlasst könnt, junge Dame. Was hattet Ihr im Sinn?“ Anna grummelte unzufrieden, was langsam ein eindeutiges Anzeichen dafür war, dass sie zu viel Zeit mit den Zwergen verbrachte. Dachte Gandalf tatsächlich sie sei so begriffsstutzig und bemerkte nicht, das er auf irgendetwas anspielte? Oder bildete sie sich das wirklich ein? Und sie sah überall nur noch Anspielungen, die gar nicht stimmten? Anna warf besiegt ihre Hände hoch. Darüber nachzudenken brachte nur Kopfschmerzen. „Dann werde ich mir jetzt einen Freund suchen, der gern mit mir ein Pony teilen will.“ Gandalf schüttelte amüsiert seinen Kopf, während er ein leises Lachen nicht zurückhalten konnte.

So schlurfte sie langsam an Fíli heran, welcher gerade fertig war sein graues Pony zu satteln. Sein Blick fiel gleich auf sie und deutete eine stumme Frage an. „Ich machs kurz und schmerzlos. Mein Pferd ist desertiert. Jetzt suche ich jemanden der sich heldenhaft opfert und mich mitnimmt.“ Langsam wanderten Fílis Augenbrauen fast hinter seinem Haaransatz, seine Verwirrung so offensichtlich, dass Anna begann auf ihrer Unterlippe herum zu kauen. Warum schaute er denn so verblüfft? „Du fragst mich?“ Oh nein, sie hatte es befürchtet. Nicht Fíli auch noch. Gandalf hatte gereicht. „... Ja?“ „Was ist mit meinem Bruder?“, fragte er die finale Frage, die sie eigentlich vermeiden wollte. Sie seufzte leise und spähte zu dem besagten Zwergenprinzen hinüber, der ihr Gespräch mit seinem Bruder noch nicht bemerkt hatte. Was sollte sie Fíli sagen? Die Wahrheit wohl kaum. Was war eigentlich die Wahrheit? „I-Ich weiß nicht genau?“, verließ es verwirrt ihren Mund. Fíli besah sie einen Moment, zuckte schließlich mit seinen Schultern, sodass ihr ein Stein vom Herzen fiel. Ihm schienen die Worte zu genügen. Das Grinsen, was dann wieder seine zwei geflochtenen Zöpfe an den Mundwinkeln in Schwingung brachte, gefiel ihr nicht. „Ich wusste, du würdest dich für den Richtigen entscheiden.“, kam es salopp aus seinem frechen Mundwerk, woraufhin sie die Augen verdrehte, aber doch kein Kichern zurückhalten konnte. Er hörte sich wirklich exakt wie Magnus an. „Heißt das, du hast auf mich gewartet? Wann bekomme ich meinen Antrag? Und wehe die Hochzeit wird nicht gigantisch. Das erwarte ich nämlich bei einem Prinzen.“ Fíli lachte so herzlich auf, dass sich um seine Augen herum tiefe Falten bildeten. Amüsiert besah sie ihn und bemerkte, wie ihre eigene Laune stieg. Es war tatsächlich die richtige Entscheidung Fíli zu nehmen. Mit ihm verstand sie sich gut, mochte seine Gesellschaft und konnte sich entspannen. Wenn sie nur daran dachte bei Kíli hinten auf dem Pony zu sitzen, ihre Arme um seinen gut gebauten Oberkörper geschlungen und ständig seinen Geruch einzuatmen, würde sie wahnsinnig werden. Die Vorstellung dann noch ihre Hände wandern zu lassen, um zu erkunden was Kílis Kleidung noch verbarg, war zu viel. Sie saß wirklich in großen Schwierigkeiten. „Worum gehts?“, steckte dann Kíli seine Nase in die Unterhaltung. Bei den nicht so unschuldigen Fantasien erwischt, schnappte sie hastig nach Luft. Was dachte sie denn da? Sie war nicht hier um den Prinzen zu verführen, sondern zu retten. „Wir planen unsere Hochzeit.“, entgegnete Fíli ohne mit der Wimper zu zucken. Entweder um seinen Bruder zu ärgern, oder anzustacheln mit einzusteigen. Nichts von Beidem passierte. Kíli wurde kreidebleich. „Was?“, war alles was er schluckend herausbrachte und Fíli musste bei diesem Anblick erneut auflachen, gab seinem Bruder auch anschließend einen Klopfer auf die Schulter. „Keine Sorge, du bist eingeladen.“ Bevor Kíli allerdings tatsächlich daran glaubte, Fíli und sie würden heiraten, was in diesem Augenblick schwer danach aussah, lächelte Anna beschwichtigend. „Nein! Nein, ich habe... ich habe ihn nur gefragt, ob ich mit ihm reiten kann. Mein Pferd ist weg und ich brauche wen, der mich - “ Das letzte Wort kam nicht über ihre Lippen als sie sah wie sich Kílis Augen erst mit Unverständnis und dann mit Schmerz füllten. Sofort zweifelte Anna an ihrer Entscheidung. Vielleicht hätte sie ihn doch einfach fragen sollen, egal wie nah sie ihm dabei gekommen wäre. „Warum?“, formten seine Lippen leise, welche in einer geraden Linie keinerlei Regung zeigten. Anna konnte ihm nicht antworten, blickte sie nur in seine braunen Augen, die seinen Selbstzweifel widerspiegelten. Fíli begriff sofort, das etwas nicht stimmte und die Situation ernst wurde. Verschwunden war sein Lächeln, stattdessen bedachte er seinen Bruder mit einem stillen, aufmerksamen Blick. „Kíli, das war -“ „Warum fragst du erst meinen Bruder?“, verdeutlichte Kíli nun mit mehr Kraft in der Stimme, überging die Worte seines Bruders einfach. „Ich... und Fíli...“ Ja, was sollte sie sagen? Sie konnte ihm nicht sagen, was wirklich ihr Grund war. Dass sie bei seiner Nähe einfach nicht richtig denken konnte, dass es sie nur verrückter nach ihm machen würde, und vor allem dass sie vergaß wer sie wirklich war und der Grund ihrer Anwesenheit. Plötzlich verdunkelte sich Kílis Gesicht, seine Augenbrauen zogen sich stark zusammen und seine Nasenlöcher weiteten sich von seinen tiefen Atemstößen. Er war wütend. Richtig wütend. Wie ein Stier, der Rot sah. „Nadadith, das hat nichts -“ „Ich habe verstanden. Macht was ihr wollt.“, presste er zwischen seinen Zähnen heraus, das spätestens jetzt Interesse unter den restlichen Anwesenden weckte. „Kíli!“, rief sie synchron mit Fíli nach dem braunhaarigen Zwerg, der auf dem Absatz kehrt gemacht hatte und ohne einen Blick zurück sein Pony an den Zügeln von der Erhöhung auf den matschigen Boden führte. Anna fühlte sich hilflos. Das hatte sie nicht gewollt. Was hatte sie sich dabei nur gedacht? Sie war hier um Tode zu verhindern, nicht sich zu verlieben und daraus ein Problem zu machen. Besonders wenn sie in das traurige Gesicht Fílis sah, das ihr Herz so schwer werden ließ. Wie konnte sie nur so egoistisch sein? Ihre Gefühle spielten hier keine Rolle.

Denn am Ende änderte es nichts. Anna würde diese Welt verlassen und nie mehr zurückkehren.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Teshy
2017-10-06T23:24:06+00:00 07.10.2017 01:24
Och nö, schon zuende. Es war so schön romantisch und eine Träne oder zwei sind sogar gekullert bei der ganzen Rettungsaktion. Killi ist verletzt, Filli ist verletzt und so auch Anna. Arg, das kann nicht wahr sein, dabei lief es doch so gut. ;; Trozdem ein super tolles Kapitel wieder! Am liebsten würde ich gleich weiterlesen, dankeschön auch dieses Mal!
Antwort von:  Xynn
08.10.2017 19:17
Hey Teshy :)

Irgendwie kann ich das verstehen, mit dem 'Och nö, schon zuende'. Eigentlich ist total viel in diesem Kapitel passiert, aber dann doch gar nichts. Bei mir hat es einen leeren Eindruck hinterlassen. Obwohl ich sagen muss, dass es vielleicht auch am Ende lag. Du hast wirklich ein oder zwei Tränen vergossen? :D Wusste gar nicht, dass das dann doch so emotional wurde. Freut mich auf eine diabolische Art und Weise. Hehe.
Romantisch... hmh. Sagen wir, es wurde nun ziemlich deutlich was empfunden wird - was die ganze Sache noch viel komplizierter macht. Wie man auch am Ende lesen konnte. Leider ist Anna Fíli sehr nahe und Kíli hat es eben falsch interpretiert, daher war der Streit vorherzusehen. Finde es auch doof, wie sie am Kapitelschluss auseinander gegangen sind, aber so ist das halt :D Sonst wärs auch langweilig. Und Langweiliges wollen wir nicht lesen!
Und hey! Freut mich immer sehr von dir zu lesen! Und es motiviert natürlich. Hab auch schon einiges in meinem Kopf, einige Szenen/Ideen aufgeschrieben und dann kommt noch das dazu, was ich spontan einbauen werde. Noch dazu werden die Trolle nächstes Kapitel definitiv kommen. Es wird also nächstes mal EINIGES zu lesen geben. Kannst dich also freuen - und bekanntlich ist Vorfreude, die beste Freude :D
Ein Dankeschön muss ich dir geben, liebe Teshy, nicht andersherum. Danke für deine lieben Worte. Danke für ein so schönes Kommentar! Danke für dein Lesen :)
Freue mich aufs nächste Mal - denn das kommt ganz sicher :)


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