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Wo du Zuhause bist

von

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Der Wald

„Klingt das nicht nach einem Abenteuer?“, kam es vom anderen Ende der Leitung.

„Onkel, da gibt es sicher eine gute Erklärung“, begann sie gelassen. Alleine die Vorstellung, was ihr Onkel ihr sagen wollte und versuchte, klang verrückt. „Alles kann man heutzutage logisch erklären.“

„Wenn ich es dir doch sage, Kleines. Hier im Wald geht etwas vor sich. Etwas, was sich nicht erklären lässt“, sprach er unbeirrbar weiter. „Und du warst immer drauf und dran alles zu erkunden.“

„Da war ich noch ein Kind.“ Sofort dachte sie lächelnd an die an die vielen Abenden, in denen sie vollkommen verdreckt in der Haustüre stand. Ihre Tante war nie sonderlich glücklich darüber gewesen, hatte dennoch immer ein warmes Lächeln auf den Lippen. „Deine Geschichten von Waldfeen und Elfen waren wirklich sehr schön, aber heute ist das nichts mehr für mich.“

„Das ist sehr schade“, kam es traurig durch den Hörer. „Du hast sie immer gemocht.“

Kaum hörbar seufzte sie, denn er hatte recht. Kurz besah sie ihr großes Bücherregal, das vollgestopft war mit Fantasie-Büchern und allerhand Fanartikel. Heute sowie damals liebte sie solche Geschichten. Aber das es real sein sollte war vollkommener Unsinn. Vielleicht brauchte ihr Onkel auch nur wieder Gesellschaft, damit er wieder reden konnte. „Wenn ich dich wieder besuchen kommen soll, brauchst du es nur zu sagen.“

Ein tiefes Lachen war zu hören. „Das wäre schön“, drang es ihr nun sanft ans Ohr. „Ich wasche auch extra deine Lieblingsdecke.“

Kichernd legte die junge Frau den Kopf schief. Wie konnte sie da nein sagen? Alleine der Gedanke, wieder darin eingewickelt einzuschlafen, wie sie es als Kind tat, weckte starkes Heimweh.„Einverstanden. Ich komme dich morgen besuchen. Mein Chef hat die Halle gerade sowieso für eine Woche geschlossen.“
 

Nachdenklich fuhr sie mit ihren Fingerspitzen über die vielen Bücherrücken, die fein säuberlich einsortiert und abgestaubt waren. Was ihr Onkel erzählte, klang mehr als seltsam. Sollte das nur ein Versuch gewesen sein, dass sie ihn so schnell wieder besuchte? Oder war mehr daran? Dieser Gedanke beunruhigte sie. Als Kind hörte sie gerne Geschichten von allerlei Fantasie-Gestalten, begann sogar schließlich ihr allererstes Buch zu lesen. Vorsichtig nahm sie eine Figur aus dem Regal neben den Büchern. Eine kleine Statue, die sie teuer hatte bezahlen müssen. Der Schriftzug zu Füßen der Figur besagte Thorin Eichenschild, der inzwischen, dank der Filme, ein Gesicht besaß. Lächelnd stellte sie Thorin wieder ins Regal, zu seiner Zwergenkompanie und dem Hobbit. Doch jetzt war sie mittlerweile Mitte zwanzig und glaubte schon lang nicht mehr an Fabelwesen. Oder andere übernatürliche Dinge. Also warum erzählte ihr Onkel davon? Wollte er wirklich nur wieder Gesellschaft? Nein, etwas musste anders sein. Und wenn sie es zugab, reizte dieses kleine Abenteuer. Ganz egal was es nun war.

Kurz blickte sie auf ihre Handyuhr. Wenn sie richtig vorbereitet sein wollte, sollte sie jetzt anfangen einzupacken. Sein Häuschen hatte zwar alles was man so brauchte als Einsiedler, aber auf ein paar Dinge wollte sie nicht verzichten. Weshalb sie sich aufraffte, zum Schrank ging und einen alten großen Rucksack herauszog. Mit einem Lächeln betrachtete sie ihren alten Freund, dem man die vielen Jahre bereits ansah. Das braune Leder war schon an einigen Stellen etwas brüchig, aber dennoch stabil. Es war ausgezeichnete Handarbeit und sie konnte sich noch gut daran erinnern als sie die Tasche kaufte. Es war auf einem Mittelaltermarkt, an einem belebten Stand, der nur handgemachtes verkaufte. Sie war richtig stolz eine bekommen zu haben. Sogar ihr bester Freund war etwas neidisch, da viel hinein passte und dennoch handlich war. Ganz davon abgesehen, dass es zum mittelalterlichen Stil passte, in dem sie sich auf solchen Veranstaltungen kleideten.

Als die junge Frau in die Tasche sah, bemerkte sie gleich eine Taschenlampe. Stirn runzelnd testete sie gleich, ob sie noch immer funktionierte. Kurz schüttelte sie sie, drückte auf den An-Knopf und staunte, dass sie noch ging. Das Ding war schon so oft benutzt worden, es grenzte an ein Wunder, dass sie noch ging. Eine batterielose Taschenlampe war unschlagbar. Ein Geschenk von ihrem Onkel, der öfter mit ihr auch des Nachts in den Wald ging. Auch er setzte auf eine solche Taschenlampe. Man lief nie Gefahr, dass die Batterie plötzlich den Geist aufgab – und das war mitten im Wald schon sehr praktisch.

Schließlich legte sie das alte Teil wieder in den Rucksack und fand dabei ein ledernes Bündel. Vorsichtig nahm sie es in die Hand und legte es auf den leeren Schreibtisch. Mit einer Handbewegung rollte sie es aus. Vor ihr entfalteten sich diverse Messer in verschiedenen Größen, welche sie behutsam ein nach dem anderen berührte. Das Messerbündel war für die Jagt bestens geeignet, auch wenn das letzte mal schon ein paar Monate zurücklag, wusste sie jedes einzelne gut einzusetzen. Jetzt, da sie ihren Onkel besuchen ging, brauchte sie das Bündel. Er musste immer ein paar Tiere schießen. Kranke, verletzte oder auch Tiere, die sich zu stark fortpflanzten. Da dachte sie vor allem an die Wildschweine. Plötzlich fiel ihr auf, dass eines der kleinen Messer fehlte. Angestrengt zog sie ihre Augenbrauen zusammen. Wo hatte sie das Messer gelassen? „Ah“, stieß sie gedankenlos aus. Sie hatte es doch ihrem langjährigen und besten Freund geliehen. Was auch immer er damit anstellte, da es doch viel zu klein war, wenn es nach seinem Geschmack ging. Zum Glück aber war er ebenfalls schon Zuhause. Prompt verließ sie ihr Zimmer und steuerte auf seines zu. Beherzt klopfte sie an das Zimmer ihres WG Bewohners – und Freundes.

„Ja?“, folgte es unverzüglich als hätte er sie bereits erwartet. Als sie seine Tür öffnete, wunderte sie kaum das Chaos, was sie vorfand. Ihr Blick fiel schließlich auf den verantwortlichen Chaoten, welcher in seinem Kleiderschrank verzweifelt etwas zu suchen schien.

„Du hast noch eines meiner Messer, Mag“, setzte sie an und betrachtete kurz seinen breiten Rücken, blieb aber mit ihren Augen an dem lustigen Etwas hängen, das sich mitten auf seinem Kopf befand. Es machte es Eindruck eine Vierjährige habe ihm einen kleinen Zopf verpasst. Zumindest hielt es ein paar seiner langen, wilden blonden Haare davon ab, in sein Gesicht zu hängen.

„Kann schon sein“, meinte er angestrengt, während er nun schon fast im Schrank verschwand und seine tiefe Stimme mit ihm. „Aber du hast auch noch was von mir. Schon vergessen?“

Direkt kam sie ins Schwitzen. Richtig. Es gab einen Grund, wieso sie ihn schon seit ein paar Tagen so gut es ging mied. „Ich weiß nicht wovon du sprichst“, sagte sie wie aus der Pistole geschossen. Wie sollte sie es ihm schonend beibringen? „Es ist nur so“ Sie räusperte sich und kratzte sich an der Schläfe.

„Ich höre, Anna Maria Schubert.“

Angewidert verzog Anna ihr Gesicht. „Meinen vollen Namen? Was habe ich dir nur getan, Magnus Haakon Svensson?“ Ein Lachen kam aus dem Schrank und mit ihm der Eigentümer. Magnus wandte sich ihr zu und seine braunen Augen blickten sie amüsiert an. Sie hatte Mühe anhand seines Grinsens beleidigt drein zu blicken, da sie wusste, was folgte.

„Gib es zu, mein Name ist sexy“, meinte er und wackelte demonstrativ mit seinen Augenbrauen.

„Großer Gott, Mag“, versuchte sie verzweifelt gegen den innerlichen Drang anzukommen ernst zu wirken. „Zu viel Ego heute gefrühstückt?“

„Wieso gefrühstückt. Ich bin von Natur aus so unwiderstehlich.“, zwinkerte er ihr zu, während er über seinen gepflegten Bart strich.

„Du? Davon träumst du also Nachts?“, kommentierte sie, konnte aber ihr Grinsen nicht mehr zurückhalten, welches nun von einem Ohr bis zum anderen reichte. Wenn sie nicht seine beste Freundin wäre, würde sie ihm bestimmt zustimmen. Magnus verkörperte buchstäblich das Bild eines großen, starken Wikingers. Ein markantes, breites Gesicht, dennoch stachen warme braune Augen und einem geheimnisvollen Lächeln hervor.

„Also sag an. Hast du meine Notizen nun dabei, oder nicht?“ Magnus verschränkte seine muskulösen Arme vor der Brust. Wenn der Zopf nicht wäre, würde er tatsächlich einschüchternd wirken.

„Hab' Tee drüber gekippt“, piepste sie schließlich und blickte verschämt auf den Boden vor sich.

„Du hast was?“, hörte sie ihn sagen und wagte wieder den Blick zu heben. Er hatte seine rechte Hand vors Gesicht gelegt und versank fast dahinter. Entnervt stöhnte er auf, während er seine Hand wieder vom Gesicht nahm. „Das gibt’s doch nicht. Ist dir klar, was du da gemacht hast?“ Seine Augen suchten in den ihren eine Antwort.

Langsam nickte Anna beschämt. Er hatte sich mit den Notizen Mühe gegeben. Es war sogar in seiner Schönschrift verfasst gewesen – was so gut wie nie vor kam. Und sie kannte ihn bereits fast 20 Jahre, praktisch ihr ganzes Leben.

„Herr im Himmel, warum hab ich es dir geliehen. Du bist so tollpatschig manchmal.“ Der Norweger schüttelte leicht den Kopf.

„Tut mir leid? Kann ich es irgendwie wieder gutmachen?“, lenkte sie versöhnlich ein und schenkte ihm eines der Lächeln, die bisher nie deren Wirkung verfehlte. „Bitte?“ Durch sein aufkommendes breites Grinsen breitete sich ein ungutes Gefühl in ihrer Magengegend aus.

„Einen Monat lang meine Wäsche. Und damit meine ich auch meine Socken.“

„Was? Das ist Folter!“ Alleine der Gedanke an seinen Socken, ließ sie schaudern. Diese Dinger stanken schon zehn Kilometer gegen den Wind.

„Ja. Und“, fuhr er fort. „du nimmst an meinen Trainingsstunden teil.“

„Worauf habe ich mich da nur eingelassen?“, knirschte sie mit den Zähnen. Er war ein unerbittlicher Lehrer. Das hieße wieder Muskelkater in den Beinen für mindestens eine Woche. „Aber fein. Schließlich hab ich deine Notizen versaut.“

„Braves Mädchen.“ Zustimmend nickte Magnus als ihm etwas einzufallen schien. Seine Stirn legte sich in Falten. „Weswegen bist du nochmal da?“

„Du bist echt ein Sieb“, murmelte sie belustigt vor sich her. „Dem Messer von mir.“

„Ach ja, richtig“, gab er von sich und ging hinüber zu seinem Bett, unter dem er eine Kiste hervor zog. „Wozu brauchst du es? Gehst du wieder mit deinem Onkel jagen?“

Bestätigend nickte Anna als sie sich einfach auf sein Bett setzte. Er setzte sich kurzerhand dazu und reichte ihr schon das kleine Messer, welches sie ihm abnahm. Nachdenklich sah sie es an, drehte und wendete es. Sie musste wieder an die Geschichte denken, welche ihr Onkel weismachen wollte. War vielleicht doch etwas in dem Wald? Oder ging es ihrem Onkel nicht gut?

„Alles klar, Nana?“

„Ja, schon“, sagte sie nachdenklich als sie ihm einen Seitenblick zuwarf. Nana nannte er sie selten. Und auch nur er tat es. Ein Überbleibsel der gemeinsamen Kindheit. Doch schließlich seufzte sie. War wirklich alles okay? Anna wusste es nicht. „Ach, keine Ahnung. Mein Onkel hat irgendwas erzählt, von wegen da wäre was im Wald. Komische Geräusche, die er bisher noch nie gehört hat. Ein seltsames Gefühl und all so Zeug.“ Sie drehte letztlich ihren Kopf zu ihm und blickte Magnus an, der seinen Mund kräuselte und eine seiner dicken Augenbrauen hochgezogen hatte.

„Sollte er da nicht besser die Polizei rufen? Er kennt den Wald immerhin schon knapp 30 Jahre. Da wird er wohl wissen, wenn was nicht stimmt.“, meinte er nachdenklich.

„Ich weiß. Aber er klang nicht wirklich ernsthaft besorgt. Er meinte eher, es wäre ein tolles Abenteuer sich das mal anzusehen. Zu erforschen wo es her kommt“, setzte sie dem entgegen. „Dann kann es doch nicht gefährlich sein, wenn er mich dazu ermuntert nachzusehen. Ich vermute eigentlich, dass er mich damit ködern will, damit ich ihn wieder besuche.“ Das hoffte sie. Nicht das ihr Onkel begann verrückt zu werden.

Magnus verzog leicht seinen Mund und strich sich gedankenverloren durch seinen getrimmten Bart. „Wäre es denn so schlimm?“

„Seit dem Tod meiner Tante ist er einfach nicht mehr derselbe“, äußerte sie mit Bedenken. Genau das war es, was ihr Sorgen machte. Was war, wenn er Realität nicht mehr von Fiktion unterscheiden konnte?

„Wen wundert es? Deine Tante und dein Onkel waren ein Herz und eine Seele“, sagte Magnus mit einem ehrlichen Lächeln, das auch seine Augen zu erreichen schien. „Weißt du noch das eine Wochenende, als wir da waren und die beiden einen kurzen Streit hatten?“

Direkt musste Anna leise lachen. „Ja, natürlich. Der Streit ging ganze drei Minuten und danach haben sie sich so oft entschuldigt, dass es unheimlich wurde. Als ob dieser winzige Streit den Weltuntergang herauf beschworen hatte. Dann lagen sie sich in den Armen. Zum Glück sind wir aus der Hütte raus.“ Sie ließ ihre Schultern hängen. Die Erinnerung an ihre Tante nagte an ihr. Sie war wie eine Mutter für sie gewesen. Hatte sie so akzeptiert wie sie war als alle anderen ihr den Rücken zudrehten. Dabei hatte sie nicht einmal das Gesetz gebrochen. Anna entsprach einfach nicht der Norm. Ob Beruf, Äußeres oder ihren Vorlieben. Ihre Eltern hießen nichts davon gut, weshalb sie früh von Zuhause ausgezogen war.

Eine Stille legte sich über den Raum, in welcher wohl nicht nur Anna ihren Gedanken nach hing. Erst als sie eine Hand sanft an ihrem Oberarm spürte, löste sie sich aus ihrer Trance. Sie blickte zu Magnus, jener ihr ein aufmunterndes Lächeln schenkte.

„Soll ich mitkommen? So wie in alten Zeiten?“, fragte er schließlich mit einem freundlichen Lächeln und nahm seine Hand von ihrem Arm.

Wundert blinzelte Anna einige male. Magnus war schon oft mit ihr zu ihrem Onkel gefahren. Schon seit sie Kinder waren, aber sie hatte das Gefühl, sie sollte diesmal alleine gehen. „Nein“, meinte sie und griff nach seiner Hand, die sie vor wenigen Momenten noch berührt hatte. Geistesabwesend besah sie seine große Hand, die von seiner harten Arbeit bereits hart und etwas zerfurcht war. Dennoch drückte er fast zärtlich die ihre. „Du bekommst doch eh nicht so schnell frei. Das schaff ich schon allein“ Mit einem Nicken seinerseits lächelte Anna ihm nochmals zu, ehe sie sein Zimmer verließ.
 

Am Mittag bog sie mit ihrem Kleinwagen auf die kleine Waldstraße, die sie zu dem Haus ihres Onkels brachte. Kaum hatte sie die Grenze vom Wald passiert, sprang etwas auf die Straße. Sofort trat sie voll auf die Bremse. Der Wagen kam ruckartig zum Stehen und beinahe hatte sie sich den Kopf am Lenkrad aufgeschlagen. Schockiert und einem hämmernden Herzen, schaltete sie den Wagen aus, schnallte sie sich ab und stieg halb aus dem Wagen um nachzusehen. Doch mit einem irritierten Blick stellte sie fest, dass sich gar nichts auf der kleinen Straße befand. Vielleicht war es direkt geflüchtet? Oder war das nur Einbildung gewesen? „Jetzt fange ich auch noch an zu spinnen.“, sagte sie zu sich selbst, während sie einen Rundblick wagte. Es war windstill und trotzdem schienen sich die Blätter der Bäume zu bewegen. Die Luft roch stark nach aufgewühlter Erde und irgendwie nach Regen, obwohl es bisher nicht geregnet hatte. Zumindest konnte sie durch das Blätterdach keinerlei Wolken erkennen. Etwas stimmte definitiv nicht, weshalb sie ganz aus dem Auto stieg. Plötzlich stellten sich ihr die Nackenhaare auf. Ein Gefühl beobachtet zu werden, festigte sich immer deutlicher, jedoch ließ sich niemand entdecken, ganz egal wie oft sie sich umsah. Ob sie ihren Onkel anrufen sollte? War es das, was er meinte? Das musste es sein und die Vorstellung, dass er die ganze Zeit in diesem Wald war, machte ihr große Sorgen. Unschlüssig was sie nun tun sollte, kratzte sie sich an der Schläfe. Vielleicht sollte sie der Sache gleich auf den Grund gehen? Nein, es war unsinnig schon jetzt loszuziehen ohne vorher ein Wort mit ihrem Onkel gesprochen zu haben.

Als Anna sich wieder in den Wagen setzte, dabei war den Motor zu starten, passierte es erneut. Etwas sprang auf die Straße und dieses mal blieb es stehen. Große runde Augen blickten sie panisch durch die Frontscheibe an. Ein Reh, welches die Ohren vollkommen aufgestellte. Angespannt hielt sie den Atem an. Ein hohes Kreischen durchbrach den Moment, was durch den kompletten Wald hallte. Das Reh flüchtete und Anna krallte sich entsetzt an das Lenkrad vor sich. Was war das gewesen? So ein Kreischen hatte sie noch nie zuvor in ihrem Leben gehört. Nervös drehte sie den Schlüssel im Zündschloss, doch selbst nach unzähligen Versuchen und wachsender Angst, sprang der Motor nicht an. Verzweifelt holte sie ihr Handy aus dem Rucksack, jener auf dem Beifahrersitz lag, schaltete es schnell ein, um anschließend festzustellen, dass es keinen Empfang anzeigte. Ihr blieb nur die Option für einen Notruf. Ob sie jetzt die Polizei rufen sollte? Was konnte sie denen schon erzählen? Sie befand sich nicht unmittelbar in einer Gefahr. Anna steckte ihr Handy wieder in den Rucksack, zog diesen zu sich und verließ damit das Auto. Immer wieder blickte sie über ihre Schultern, während sie zum Kofferraum ging. Noch immer schien sie jemand zu beobachten, weshalb es ihr eiskalt den Rücken herunter lief. Mit eiligen Handgriffen öffnete sie den Kofferraum und atmete beinahe erleichtert aus. Ihr Hobby, das sie zum Beruf gemacht hatte, schien ihr jetzt ein Lebensretter zu sein. Sofort nahm sie ihren Recurvebogen in die Hand, sowie den Köcher mit Pfeilen, welchen sie sich auf den Rücken mit dem Rucksack schnallte. Die Waffe gab ihr in dieser Situation die nötige Sicherheit, sodass sie das Auto abschloss und sich mit gezogenem Bogen auf die Straße vorwagte, die nun viel länger und dunkler erschien.

Anna wusste nicht wie lang sie auf dieser Waldstraße ging, aber es kam ihr fast so vor als sei eine Ewigkeit vergangen. Ständig auf der Hut, beobachtete sie den Wald. Jeder weitere Schritt ließ ihr Herz höher schlagen, sodass sie es laut in ihren Ohren pochen hörte. Das war auch das einzige, was sie hörte. Der Wald schien stumm geworden zu sein. Als ob jemand die Zeit stoppte und jedes Geräusch aufgesogen hätte. Eine unheimliche Stille, die sie zu ersticken versuchte. Schwer nach Luft schnappend, fasste sie sich an den Hals, welcher sich zusammenzog als würgte sie jemand. Die Straße vor ihr verschwamm, das fahle Licht durch die Baumkronen blendete sie, Farben tanzten vor ihren Augen. War das ihr letzter Moment? Kraftlos sackte sie auf ihre Knie ehe alles schwarz wurde.
 

Rotgoldenes Licht durchflutete das Blätterdach als Anna langsam ihre Augenlider öffnete. Direkt begann sie stark zu husten, setzte sich auf und blickte sich mit aufgerissenen Augen um. Wo war sie? Es dauerte nur einen Moment bevor sie alles einholte. Der Wald. Aber wo war die Straße, auf der sie lang gegangen war? Ein Knacken zu ihrer Seite ließ sie aufschrecken, sodass sie sich herum riss, sofort ein Pfeil aus dem Köcher zog und den Bogen spannte. Doch ihre Augen fanden kein Ziel, nur einen großen alten Baum, sodass sie ihre Waffe langsam wieder senkte. Irritiert blinzelte sie. Verwundert nahm sie die neue Umgebung wahr. Noch immer roch es nach aufgewühlter Erde und Regen, doch dieses mal waren all die Geräusche zurückgekehrt. Das Rascheln der Blätter, das Rauschen des Windes, das leise Knacken von Holz. Fast fühlte es sich magisch an, wie ein Knistern in der Luft, das einem Gänsehaut bescherte. Wo war sie? Wie konnte sie plötzlich hier sein, wenn sie doch noch auf einer Straße gewesen war? Anna verschluckte sich leicht an ihrem Speichel. Was, wenn sie jemand hierher verschleppt hatte? Der Verzweiflung nahe, drehte sie sich panisch blickend im Kreis. Es war niemand hier. Nur unendlich viele Bäume, welche nun viel näher wirkten als noch wenige Sekunden zuvor. Das Rascheln und Knacken wurde lauter und nur noch eines setzte ein. Schiere Panik. Anna begann ziellos loszurennen. Und beinahe stolperte sie über jede Wurzel, schien jede Ranke, jeden Ast zu streifen, bis sie schließlich ganz das Gleichgewicht verlor. Vorn über landete sie hart auf dem Waldboden. Kurz benommen, fasste sie sich an den Kopf. In diesem Augenblick wurde ihr klar, dass die Wurzel vor ihr sich tatsächlich bewegte. Blitzschnell raffte sie sich auf, wich dem Geäst aus, das nun begann nach ihr zu schlagen. „Scheiße! Was geht denn hier ab?!“, schrie sie schrill. Ihr Herz hämmerte gegen ihren Brustkorb, ihr Kopf pochte vor Schmerz. Was passierte hier? Träumte sie? Lag sie vielleicht noch auf der Straße und fantasierte all das? Eines war klar, sie musste hier weg, ob Traum oder Fantasie. Raus aus diesem verfluchten Wald, weshalb sie erneut zu rennen begann.

Plötzlich fand sie sich auf einer Lichtung wider. Außer Atem keuchte sie, während ihre Lungen brannten. Wenige Schritte taumelte sie auf die kahle Lichtung, nahm erst langsam ihre Umgebung wahr. Es sah stark verbrannt aus, ebenso roch die Luft danach. Hier hatte es ein Feuer gegeben und das war noch nicht sehr lange her. Zwischen Asche und Kohle trat sie weiter in die Mitte und wagte endlich einen Blick in den blanken Himmel, wo sie entsetzt feststellte, dass es bereits später Nachmittag war. Wie lange war sie bewusstlos gewesen? Und viel wichtiger war, was tat sie jetzt? In einem unbekannten Wald, der lebendig war und unendlich zu sein schien. Tränen sammelten sich in ihren Augen. Warum? Wieso war sie hier? War sie gestorben und das war die Hölle? Die Fragen hörten nicht auf, quälten sie weiter bis die erste Träne sich löste. Hilflos blickte sie sich nochmals um. Es musste doch ein Zeichen geben. Irgendetwas das ihr weiterhalf. Aufgeben lag nicht in ihrer Natur. Nicht jetzt. Es war nur ein Wald, wenn auch lebendig, aber es musste einen Ausweg geben. Wozu lebte sie praktisch ihr halbes Leben bei ihrem Onkel, in einem Wald, wenn sie keinen Weg hinaus fand?

Neuen Mut geschöpft, strich sie sich die letzten Reste der Tränen weg und amtete einige male tief ein und aus, sodass sie sich beruhigte. Da fiel es ihr auf. Schritte und Hufabdrücke in der Asche auf der sie stand. Auch wenn die Fußabdrücke klein waren, bildeten sie eine Spur, der sie begann zu folgen. Quer über die Lichtung, führte es sie wieder zum Waldrand, doch diesmal war dort ein kleiner Weg. Platt getreten vom vielen Laufen, eine Richtung, der sie folgen konnte. Fest entschlossen zurrte sie nochmals ihren Rucksack und Köcher fest. Hoffentlich dauerte es nicht lang bis sie hinaus fand.

Die Sonne versank langsam hinter dem dichten Blätterdach, es wurde kühler und auch dunkler. Zudem knurrte ihr Magen laut und ihr Durst war unerträglich geworden. In diesem Zustand hätte sie auch von einer Pfütze getrunken. Doch waren nur Bäume in Sicht. Ganz egal wohin sie sah, überall Bäume. Als sich dann nach einer weiteren Ewigkeit die Bäume endlich zu lichten begannen, hätte sie vor purer Freude weinen können. Schnellen Schrittes trat sie aus dem Wald und blickte auf eine unberührte Landschaft. Staunend schulterte sie ihren Reflexbogen, während sie weiter dem winzigen Weg folgte, der an einem breiten Pfad endete. Mit einem Blick nach Links und Rechts stellte sie fest, dass es wohl eine Straße sein musste, allerdings nur aus platt getretener Erde bestand. Entweder war in der Nähe ein großer Festivalplatz, sodass Massen von Menschen den Weg über das Gras hatten nehmen müssen oder sie war auf einen geheimen Pfad ins Nirgendwo gestolpert, der schon seit Jahrzehnten oder Jahrhunderten existierte. Anna konnte sich nicht entscheiden was logischer klang, oder ob es überhaupt Sinn ergab an Logik zu denken. Alles was sie bisher erlebte war vollkommen absurd.

Hufgetrampel ließ Anna herum fahren, sodass sie zur Quelle blickte. Ein Reiter näherte sich rasant, was sie erstaunte und gleichermaßen erfreute. Ein anderer Mensch! Sie war gerettet. Aber ein Reiter? War sie auf einem Reitpfad gestoßen? Als die Gestalt näher kam erkannte sie schon aus der Ferne einen spitzen Hut, eine wehende Robe und einen langen Stab, jener steil in die Luft ragte. Spätestens jetzt war sich Anna sicher, sie war in der Nähe von irgendeinem Rollenspielspektakel. Wenn sie nicht am Verhungern und Verdursten wäre, würde sie gleich mitmachen, vorausgesetzt sie hätte die richtige Kleidung dabei. Außerdem verlangte die Frage, wo sie sich befand, noch immer nach einer Antwort. Und zwar dringend.

Als der Reiter seine Geschwindigkeit verringerte und in guter Reichweite kam, blinzelte Anna verstört. War das ein alter Mann auf dem Pferd? Sein langer grauer Bart reichte tief, ebenso seine wallenden Haare. Sein Gesicht wurde jedoch durch seinen Hut verdeckt. Wenn sie es nicht besser wüsste, dachte sie, Gandalf kam vor ihr zum Halt. Aber das war schließlich unmöglich.

„Hallo“, begann sie krächzend und räusperte sich direkt, um das Kratzen im Hals zu verbannen. „Können Sie mir vielleicht sagen wo ich bin? Bitte?“ Der alte Mann hob seinen Kopf an, sodass Anna ihm direkt ins Gesicht blicken konnte. Sprichwörtlich fielen ihr die Augen aus dem Kopf. Das war Gandalf. Gandalf der Graue! Sie träumte definitiv.

Gandalf lächelte milde und zog seine buschigen Augenbrauen hoch. „Seid gegrüßt, junge Dame“, begann er. „Oh, die Bitte einer so hübschen jungen Frau kann ich nicht abschlagen“ Seine Augen blitzen amüsiert auf. „Ihr seid in Mittelerde, Liebes.“ Gandalfs Lippen formten sich zu einem mysteriösen Lächeln. „Ich habe bereits auf Eure Ankunft gewartet.“



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