Zum Inhalt der Seite

All of our Flaws

Vi/Cait
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kapitel 12: Distanz und Resonanz (Zensiert)

Kapitel 12: Distanz und Resonanz
 

Gestresst strich sich Caitlyn eine lose Haarsträhne hinters Ohr und blickte die hübsche junge Frau aufmerksam an, die vor ihr stand. Blond, gute Figur, aufdringlicher Gesichtsausdruck und ein Klemmbrett in den schlanken Händen. Caitlyn seufzte unhörbar.

„Wann genau hat der Anschlag stattgefunden?“, fragte die Blondine mit hoher Stimme, aber nachdrücklichem Tonfall. Caitlyn wusste, dass Widerworte oder Ausflüchte nichts bringen würden, also würde sie einfach ehrlich antworten.

„Vor zwei Stunden. Im Westflügel der Wache“, sagte sie ruhig und nahm einen Schluck Tee. Sie hatte ihrem ´Gast` ebenfalls welchen angeboten, aber sie hatte abgelehnt. Allgemein war Caitlyn von Besuchen seitens Mitarbeiter des Stadtrats nicht begeistert, doch dieser hier… war noch einmal eine Spur schlimmer. Denn heute musste sie Auskünfte über etwas geben, das ihr schwer im Magen lag: Ein Angriff auf ihre eigene Wache. Und nicht nur das… Es hatte Tote gegeben.
 

Die Angestellte des Stadtrates notierte Caitlyns Auskunft. „Wie sieht es mit den Verlusten aus?“, fügte sie hinzu und taxierte den Sheriff mit einem beinahe schon abwertenden Gesichtsausdruck.

Caitlyn wusste warum. War sie jetzt schon so nachlässig geworden, dass sie nicht einmal ihr Hauptquartier sichern konnte? Konnte man ihr noch vertrauen? Sollte man die Sicherheit der Stadt vielleicht in die Hände einer fähigeren Person geben? In letzter Zeit hatte es viele ungelöste Fälle gegeben, an denen sie und Vi stark zu knabbern gehabt hatten. Dann noch das Attentat auf Vi‘s Wohnung und jetzt das hier. Caitlyn wusste nicht recht, ob sie es als eine Pechsträhne abtun sollte oder langsam an sich zu zweifeln beginnen sollte.
 

Schnell verbannte sie diese Gedanken, straffte ihre Haltung und hielt dem Blick ihres Besuchs stand. „Zwei Tote und vier Verletzte, darunter auch zwei Büroangestellte. Die Bombe ging im Verwaltungstrakt hoch.“

„Haben Sie schon Spuren?“, fragte die Beamtin streng, nachdem sie die Eckdaten notiert hatte. „Und wie steht es mit dem Sachschaden?“

Die Tatsache, dass Caitlyn mit diesen Männern jahrelang zusammengearbeitet hatte, sie – zumindest auf die Arbeit bezogen – gut kannte und sie ein großer Verlust für die Wache und die Stadt sein würden, überging diese Büroschickse einfach. Innerlich brodelte Caitlyn, doch sie stand brav Rede und Antwort: „Wie sich der Sachschaden verhält, kann ich noch nicht genau sagen, dazu muss die Spurensicherung den Rest des Gebäudes erst freigeben. Ebenso steht es mit den Spuren. Sobald sich etwas tut, werde ich Sie direkt unterrichten.“
 

„Es handelt sich hierbei um einen direkten Angriff auf die Stadt Piltover und ihr Rechtssystem. Wenn wir der Meinung sind, dass Sie nicht mehr Herr der Lage sind, werden wir eigene Ermittlungen anstellen“, erwiderte die Beamtin kühl und setzte einen Schlussstrich hinter ihre Aufzeichnungen. „Entschuldigen Sie mich jetzt bitte, ich habe Bericht zu erstatten.“ Sie erhob sich von ihrem Stuhl und verließ das Büro ohne weitere Worte. Caitlyn wartete, bis die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war und lehnte sich dann in ihrem Stuhl zurück, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen.
 

Ihr persönlich war klar, wer für diesen Anschlag verantwortlich war. Und der Ausdruck in Vi‘s Gesicht, als sie den Tatort direkt nach der Explosion betreten hatte, hatte ihre Vermutung noch bestätigt.

Ihre Partnerin war sofort durch die noch rauchenden Ruinen des Westflügels gesprintet, hatte das Gebäude mit einem beherzten Sprung aus dem ersten Stock verlassen und hatte sich an die Verfolgung gemacht. Bisher war sie noch nicht zurückgekommen.

Keine Zeichen von Graffiti an den Wänden, präzise Zerstörung. Dieser Anschlag deutete nicht auf Jinx hin, sondern auf Vi‘s alte Freunde. Und ihre Partnerin schien das zu wissen.

Langsam lief die ganze Angelegenheit aus dem Ruder. Seit dem Anschlag auf Vi‘s Wohnung vor etwas über einer Woche war ihre Partnerin unaufmerksam geworden. Sie war häufiger zu spät zur Arbeit erschienen und wirkte unausgeschlafen und übermüdet. Dunkle Ringe verunzierten ihre Augen und sie zeigte lange nicht mehr so viel Spaß an der Arbeit wie früher. Caitlyn machte sich Sorgen um sie. Und sie machte sich Sorgen um ihre Wache.
 

Vi hatte ihr verboten, eigene Nachforschungen anzusetzen, doch dieses Versprechen würde sie jetzt wohl brechen müssen – sie hatte keine Wahl. Ihre Wachstation war angegriffen worden. Es hatte Tote gegeben. Und der Stadtrat klebte ihr im Nacken. Dies hier war nicht mehr nur Vi‘s Angelegenheit – es war nun auch ihre.

Caitlyn wollte sich gerade von ihrem Stuhl erheben, als die Tür zu ihrem Büro ohne Warnung geöffnet wurde und Vi eintrat. Sie sah abgekämpft aus, in Haaren und Kleidung klebten noch immer Reste von Ruß und Bauschutt.
 

Ohne sich hinzusetzen, fixierte Vi ihre Partnerin mit einem schwer zu deutenden Blick und knurrte: „Ich bin raus.“

„Raus?“, fragte Caitlyn verwundert und auch ein wenig müde. Vi‘s ständige Stimmungsschwankungen, ihre unberechenbare Art und ihre problematischen Angewohnheiten stressten sie schon an guten Tagen, doch gerade heute konnte sie das alles nicht gebrauchen. „Was meinst du damit?“, hakte sie etwas ungehalten nach.

„Raus aus der Wache. Zumindest für `ne Weile“, antwortete Vi und schloss zumindest die Tür hinter sich. Noch immer machte sie keine Anstalten, sich zu setzen.

„Du willst alles einfach hinschmeißen?“, fragte Caitlyn und kniff ihre Augen ein wenig zusammen. „Vi, wir müssen jetzt zusammenarbeiten. Ich habe den Stadtrat im Nacken. Wir müssen diese Angelegenheit aufklären und die Schuldigen hinter Gittern bringen. Keine Zeit für Alleingänge.“

Vi jedoch schüttelte den Kopf: „Die sind nur hinter mir her. Ihr seid denen egal. Die wollen mich aus der Reserve locken und aus der Wache vertreiben. Wenn ich hier bleibe, seid ihr alle in noch größerer Gefahr.“
 

Sie blickte sich kurz im Büro um. Es wirkte beinahe, als wolle sie Caitlyn nicht in die Augen sehen. Schließlich fuhr sie fort: „Ich nehm Urlaub. Bis ich die Sache geklärt hab. Dann begeb nur ich mich in Gefahr und niemand sonst. Das ist meine Sache. Nicht deine.“

Caitlyn erhob sich von ihrem Stuhl, umrundete den Schreibtisch und trat zu Vi, packte ihren Oberarm – die Unterarme steckten noch immer in den Kampfhandschuhen, um sie dazu zu zwingen, sie anzusehen. „Wie oft soll ich es noch sagen, Vi. Wir sind Partner. Und wir lösen diesen Fall zusammen.“
 

Vi erwiderte ihren Blick nun. Matt, müde und ein wenig traurig. „Lieb von dir, Cupcake. Aber ich will dich da nich mit reinzieh‘n. Will nich, dass du verletzt wirst. Und mach dir keinen Kopf – ich pass‘ schon auf mich auf.“ Vi schwieg für einen kurzen Moment, dann hob sie sehr, sehr vorsichtig ihre rechte Hand und legte so vorsichtig wie möglich die metallenen Finger des Handschuhs, der weit größer war als Caitlyns Kopf, an die Wange ihrer Partnerin. Überrascht von der Sanftheit, mit der Vi ihre sonst nur für Zerstörung benutzten Werkzeuge benutzen konnte, zuckte Caitlyn ein klein wenig zusammen, spürte dann jedoch der Berührung nach als käme sie von Vi‘s warmen, rauen Händen selbst. „Ich könnt mir nie verzeihn, wenn du wegen mir verletzt wirst, Cupcake. Nich‘ wegen dieser scheiß dummen Sache aus meiner Vergangenheit. Nimm mich aus‘m Dienst und vertrau mir. Ich komm zurück. Versprochen.“
 

Caitlyn spürte beinahe, wie Vi‘s weiche, sanfte Stimme tief in ihr widerhallte und einen Schauer ihren Rücken hinunter jagte. Sie konnte ihr nicht mehr widersprechen.

„In Ordnung“, antwortete sie schließlich mit leicht belegter Stimme. „Bitte pass gut auf dich auf, Vi.“

Vi nickte, löste ihre Hand von Caitlyn, nahm ihre Tasche, die noch auf ihrer Seite des Schreibtisches stand und verließ ohne auch nur ein weiteres Wort oder einen weiteren Blick das Büro.

Caitlyn blickte ihr lange nach, dann ließ sie sich wieder an ihrem Schreibtisch nieder, zog Vi‘s Dienstplan heraus und notierte ein ‚Auf unbestimmte Zeit beurlaubt‘.
 

-----------------------------------------------------------------------------------
 

Hektisch sprintete Caitlyn die Treppe der Wache hinab, schlug den Weg zu ihrer Rechten ein und stieß die Türen des Leichenschauhauses der Wache auf. Einer der Mitarbeiter, der einen weißen Kittel und eine Schutzbrille und Handschuhe trug, fuhr herum, als er seine Chefin so außer Atem und in Eile erblickte und trat ihr aus dem Weg, damit sie an ihm vorbeirennen konnte. Am Ende des Ganges angekommen, erkannte Caitlyn durch die Glastür, dass zwei ihrer Kollegen gerade mit einem der Pathologen über eine Leiche gebeugt waren, von der sie gerade erst erfahren hatte. Sich gerade noch zurückhaltend, nicht die Tür einzurennen, öffnete Caitlyn diese und trat ein, schritt ohne weitere Worte zu ihren Kollegen und warf einen Blick auf die tote Frau… und sank dann mit einem erleichterten Seufzen auf einen in der Nähe stehenden Stuhl.
 

Als sie im Funk gehört hatte, dass man eine Frauenleiche in einem der Lagerhäuser in den Randbezirken von Piltover gefunden hatte, hatte Caitlyn schon das Schlimmste befürchtet. Bilder von Vi, ermordet, von einer Explosion erwischt, abgestochen oder erschossen, waren vor ihrem inneren Auge erschienen und hatten ihr keine Ruhe gelassen und erst jetzt, da sie sich persönlich davon überzeugt hatte, dass diese Frau auf gar keinen Fall Vi sein konnte, spürte sie, wie sie sich langsam beruhigte.

Es war fast drei Wochen her, dass sie ihre Partnerin das letzte Mal gesehen hatte und jeden Tag machte sie sich beinahe unerträgliche Sorgen um Vi. Bei jedem Funkspruch erwartete sie, dass man sie tot oder verletzt gefunden hatte, bei jedem Notruf fürchtete sie, dass ihr etwas geschehen sein konnte. Das war doch nicht normal.
 

‚Ich will nicht dass dir etwas passiert.‘ Pah. So wie es momentan war, wäre Caitlyn lieber mit Vi zusammen im Kreuzfeuer zwischen Explosionen und einer Bande von radikalen Verbrechern gefangen als diese Tortur des Wartens zu ertragen.

Seit sie Urlaub genommen hatte, hatte Vi sich nicht mehr gemeldet und Caitlyn hasste sie beinahe dafür, wenn sie auch verstand, warum sie es tat. Sie wollte es so erscheinen lassen, dass sie jegliche Kontakte mit der Wache gekappt hatte. Und Caitlyn fühlte ich furchtbar damit.
 

Marshall, einer ihrer Kollegen bei der Wache, trat einen Schritt von der Leiche weg und musterte sie aufmerksam und ein klein wenig besorgt: „Alles in Ordnung, Sheriff? Sie sehen blass aus.“

Caitlyn straffte ihre Haltung. Auch wenn wohl jeder der Mitarbeiter der Piltover‘schen Wache wusste, warum sie momentan so im Stress war, wollte sie dennoch so wenig Schwäche wie möglich zeigen. „Alles in Ordnung, Marshall. Weitermachen.“

Sie erhob sich von ihrem Stuhl und verließ nach einem letzten Blick auf die drei Kollegen, die sie beinahe ein wenig entgeistert ansahen, das Leichenschauhaus.
 

-----------------------------------------------------------------------------------
 

Hinter den entfernten Bergen ging langsam die Sonne unter und Caitlyn seufzte leicht, als sie mit flatterndem Magen auf der Fensterbank des Warteraumes in der Liga der Legenden saß. Ihre Waffe lehnte unbenutzt neben ihr und sie baumelte nervös mit einem Fuß, während sie ungeduldig darauf wartete, dass Vi aus der Umkleidekabine kam.
 

Wie alle Champions von Piltover war sie heute ins Kriegsinstitut gerufen worden – ein wichtiges Match gegen Noxus hatte angestanden, bezüglich einiger beschlagnahmter Waffenlieferungen, die durch den Piltover‘schen Untergrund gelaufen waren. Sie selbst war nicht auf die Beschwörerplattform gerufen worden, statt ihr war diesmal Ezreal beschworen worden, der gerade von seiner Ausgrabung in Shurima zurückgekehrt war. Also hatte sie gerade ihre Sachen packen und in den Zuschauerraum gehen wollen, als Vi‘s Name gefallen war. Ihre Parterin war nicht mit ihr zusammen im Warteraum gewesen, doch wenn sie jetzt aufgerufen worden war, bedeutete das unweigerlich, dass sie anwesend war.
 

Vi in ihrer gewohnten Rüstung und mit ihren Handschuhen bewaffnet auf dem großen Übertragungsbildschirm der Liga zu sehen, zu beobachten, wie sie kämpfte, obwohl sie definitiv müde aussah, hatte ihr ein Gefühl der Erleichterung beschert, das sie selbst kaum glauben konnte. Die Anspannung der letzten Wochen war von ihr gefallen. Zumindest für den Moment. Und sie hatte in dem Moment entschieden, es nicht mehr so weit kommen zu lassen.

Vi wollte diese Sache alleine klären. Aber sie konnte und wollte nicht in der Ungewissheit leben, ob sie ihre Partnerin dabei verlieren würde.
 

Nach dem Ende des Matches war sie in den Warteraum zurückgekehrt und Ezreal, der sich gerade hatte auf den Weg machen wollen, hatte ihr gesagt, dass Vi noch unter der Dusche war.

Also wartete sie nun. Auf ihre Partnerin. Wieder einmal.

Schließlich hörte sie hinter sich das Geräusch einer sich öffnenden Tür, erhob sich von der Fensterbank und blickte hinüber. Vor ihr stand Vi, in einem abgewetzten Trainingsanzug, mit nassen Haaren und ihrem alten Seesack über der Schulter, das Gesicht abgehetzt und übermüdet, eine große Schramme über der Nase und mit angeschlagenem Körper – definitiv keine Spuren des Richtfeldes.
 

„Vi...“, sagte Caitlyn schlicht und suchte den Blick ihrer Partnerin. Diese zögerte kurz und erwiderte ihn dann: „Warum biste noch hier, Cupcake?“

Sogar diesen dämlichen Spitznamen zu hören, bereitete Caitlyn eine dermaßene Erleichterung, dass sie es kaum in Worte fassen konnte. Mit wenigen, schnellen Schritten hatte sie die Distanz zwischen ihnen beiden überbrückt und schlang die Arme um Vi‘s Hals, zog sie an sich und atmete den vertrauten Geruch ein. „Ich habe mir Sorgen um dich gemacht“, murmelte sie gegen Vi‘s Hals, in dem sie ihr Gesicht vergraben hatte. Sie spürte die Nässe der feuchten Haarsträhenen auf ihrem Gesicht und atmete tief durch, als sie fühlte, wie Vi sich nach kurzem Zögern in ihrer Umarmung entspannte und ebenfalls die Arme um sie legte. „Sorry, Cupcake. Das Ganze dauert länger als ich dachte.“
 

Einen langen Moment schwieg Caitlyn, die Augen geschlossen, an ihre Partnerin gelehnt, bis sie schließlich antwortete: „Kannst du mir nicht wenigstens ab und an ein Lebenszeichen schicken?“ Nach einer kurzen Pause gab sie kleinlaut zu: „Ich weiß, dass du auf dich aufpassen kannst, aber ich würde mich dann besser fühlen.“

Vi löste die Umarmung und schob Caitlyn ein Stück von sich weg, das Gesicht wieder abwehrend und verschlossen: „Ich kann nich einfach bei der Wache auftauchen, wenn ich mir schon so viel Mühe geb, von der Bildfläche zu verschwinden.“

„Und eine Nachricht? Kannst du mir nicht wenigstens irgendwo einen Zettel oder etwas ähnliches hinterlassen?“, fragte Caitlyn mit Nachdruck, beinahe enttäuscht darüber, dass die friedliche Umarmung beendet und die Diskussion eröffnet war.
 

Vi jedoch schüttelte den Kopf: „Eher nich. Zu gefährlich.“

„Nichtmal zu mir nach Hause?“, fragte Caitlyn unnachgiebig. Sie würde Vi nicht eher gehen lassen, als bis sie ihr entgegengekommen war. Nochmal würde sie diese vier Wochen nicht durchstehen. „Niemand weiß, wo ich wohne, Vi. Niemand kennt meine Adresse. Die Nachbarschaft ist völlig anonym. Wirf mir einfach einen Zettel in den Briefkasten, damit ich weiß, dass es dir gut geht.“

Vi biss sich auf die Unterlippe: „Wird schwer, Cupcake.“

Dass Vi nicht einmal etwas so Einfaches tun wollte, um ihr die Seele zu erleichtern, machte Caitlyn ein wenig wütend, doch sie war noch nicht gewillt aufzugeben. „Wo wohnst du überhaupt zurzeit? Du siehst nicht aus, als würdest du besonders viel Schlaf bekommen“, wechselte sie für den Moment das Thema und hob die Hand, um über Vi‘s malträtiertes Gesicht zu fahren.
 

Vi zuckte mit den Achseln: „Eigentlich bleib ich nie lang am selben Ort. Wie früher halt. Klapper alte Bekannte ab, forder‘ Gefallen ein. Leider bisher ohne Ergebnisse.“

Caitlyn nickte ruhig und überlegte einen Moment. „Wie wäre es denn...“ Sie brach kurz ab, sammelte sich und fuhr mit klopfendem Herzen fort. „Wie wäre es denn, wenn du für die Zeit bei mir einziehst. Dann sehe ich dich ab und an, kann sichergehen, dass du wenigstens ab und an mal schläfst und etwas isst… Niemand weiß, wo ich wohne und wenn du ein wenig vorsichtig bist, bleibt das auch so. Und du kannst wenigstens nachts sicher sein, dass dir niemand in den Rücken schießt, während du schläfst. Was meinst du?“

Vi kniff die Augen zusammen und musterte ihre Partnerin. „Ich will nich riskieren, dass dein Wohnort auffliegt.“
 

Caitlyn nickte: „Ich weiß. Pass auf, welche Wege du nimmst, park dein Motorrad an immer anderen Orten und nimm ein paar Umwege. Dann sollte das Ganze problemlos funktionieren. Und ich würde mich besser fühlen.“

Der Gedanke, ihre Wohnung für die nächste Zeit mit ihrer Partnerin zu teilen, versetzte sie in innere Unruhe und Aufregung und für einen kurzen Moment blitzte vor ihrem inneren Auge das auf, was sie vor einiger Zeit in Vi‘s Wohnung… getrieben hatten. Bislang war es ihr recht gut gelungen, das Ganze zu verdrängen, doch gerade in diesem Moment kehrten die Erinnerungen sehr intensiv zurück. Natürlich schalt sie sich sofort dafür aus und versuchte, sich wieder zu konzentrieren. Bei der aktuellen Situation waren dergleichen Gedanken doch wirklich mehr als nur unangebracht, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass sie eigentlich nicht vorgehabt hatte, das Ganze zu wiederholen.

Vi schwieg eine ganze Weile, den Blick von Caitlyn abgewandt und fuhr sich schließlich mit der Hand über ihre rasierte Kopfseite. „Also gut“, antwortete sie seufzend. „Wenn du dann Ruhe gibst.“

Caitlyn war sich nicht ganz sicher, aber sie meinte, einen leichten Rotschimmer auf Vi‘s Wangen zu sehen, während ihr eigener Magen vor Freude flatterte.
 

-----------------------------------------------------------------------------------
 

„Soll ich dir ein Gästebett besorgen?“, fragte Caitlyn und drehte sich zu ihrer Partnerin um, die gerade ihren Seesack und den Werkzeugkoffer, den sie bei ihrem Motorrad aufbewahrt hatte, auf die freie Fläche neben dem Sofa warf. „Ne, passt schon. Das Sofa reicht mir“, antwortete Vi, ließ sich auf das Sofa fallen und streifte ihre Schuhe mit einem Seufzen der Erleichterung ab. Caitlyn blickte von der Küche aus zu Vi hinüber und stellte fest, dass es sich inzwischen nicht mehr ungewohnt anfühlte, ihre Partnerin hier in der Wohnung zu haben. Und die Tatsache, dass sie wohl für eine kleine Weile hierbleiben würde, gefiel ihr irgendwie, auch wenn sie sich sicher war, dass sie sich spätestens in zwei Tagen, wenn das Chaos in ihren gewohnt ordentlichen vier Wänden ausgebrochen war, dafür hassen würde. Es fing ja jetzt schon an. Vi‘s Jacke lag über einem Stuhl des Esstisches, die Schuhe unordentlich neben und unter dem Couchtisch und das Gepäck wahllos in die Ecke geworfen.
 

Caitlyn versuchte, sich nicht davon stören zu lassen und stattdessen eine gute Gastgeberin zu sein, so wie ihre Mutter es ihr beigebracht hatte: „Möchtest du etwas trinken? Oder etwas zu essen? Du hattest sicherlich seit dem Ligamatch nichts mehr.“

„Warum nich“, antwortete Vi und drehte den Kopf zu Caitlyn hinüber. „Was schlägste vor?“

„Ich könnte etwas kochen“, bot Caitlyn an und verfluchte sich im nächsten Moment dafür. Sie konnte nicht kochen. Überhaupt nicht. Eigentlich hatte sie nicht einmal wirklich Zutaten zuhause, um etwas zu kochen, das über Tee hinausging.

Vi zog eine Augenbraue hoch: „Seit wann kannst du kochen?“ Dann grinste sie: „Aber klar, mach ma. Ich bin gespannt.“

Mist. Caitlyn nickte und wühlte ein wenig in ihren Küchenschränken herum, um irgendetwas zu finden, was sie ihrem Gast vorsetzen konnte und was unter den Begriff ‚kochen‘ fiel. Schließlich öffnete sie ein paar Dosen, rührte eine Tomatensoße zusammen und brachte ein paar Nudeln auf den Herd. Während sie sich am Herd abmühte, wanderte ihr Blick immer wieder zu Vi, die ihren Werkzeugkasten auf dem Wohnzimmertisch ausgebreitet hatte und nun damit beschäftigt war, ihre Handschuhe zu warten. Der Geruch von Motoröl wurde nur knapp von dem der Tomatensoße überdeckt, doch Caitlyn beschwerte sich nicht. Dies war für die nächste Zeit auch Vi‘s Zuhause und sie wollte, dass sie sich wohlfühlte.
 

Als ihre Partnerin jedoch in die Tasche griff und sich eine Zigarette anzündete, musste sie etwas traurig lächeln. Schade. Vi hatte so gute Fortschritte gemacht…

Als sie schließlich fertig war und die Soße nach bestem Wissen und Gewissen abgeschmeckt hatte – viel mehr als Salz und Pfeffer und irgendeine Kräutermischung, die sie gefunden hatte, waren sowieso nicht drin – packte sie zwei Portionen auf Teller und begab sich hinüber zu ihrem Esstisch, den sie bereits gedeckt hatte. „Du kannst kommen“, rief sie Vi herbei, die sich die Hände abklopfte, ihre Werkzeuge beiseite legte und sich auf einem der gedeckten Plätze niederließ.

„Guten Appetit“, wünschte Caitlyn und stellte die zwei Teller mit Nudeln und Tomatensoße auf den Tisch. Vi blickte zuerst auf den Teller, dann auf Caitlyn und dann wieder auf den Teller. „Dir auch“, erwiderte sie nach einer kurzen Pause und wartete tatsächlich mit dem Essen, bis Caitlyn sich auch hingesetzt hatte.
 

„Es ist nichts Besonderes. Ich… bin keine erfahrene Köchin. Aber vielleicht schmeckt es dir ja trotzdem“, meinte Caitlyn etwas verlegen und begann mit dem Essen. Vi schwieg einen kurzen Moment, blickte ihrer Partnerin dann in die Augen und meinte mit einem leicht schiefen Grinsen: „Große Konkurrenz haste nich, Cupcake. `S hat noch nie jemand für mich gekocht.“ Mit diesen Worten begann sie, ihre Portion in sich hineinzuschaufeln. Sie hatte ziemlich offensichtlich in den letzten Wochen nicht besonders viel Zeit dazu gehabt, in Ruhe zu essen.

„Dann sollte ich das vielleicht öfter machen“, antwortete Caitlyn mit einem leichten Lächeln. „Das hätte nur Vorteile. Du würdest ab und an eine vernünftige Mahlzeit in den Magen bekommen und ich lerne etwas für‘s Leben.“

„Deal“, antwortete Vi mit vollem Mund und hob grinsend den Daumen.
 

-----------------------------------------------------------------------------------
 

Ein lautes Türenschlagen riss Caitlyn aus dem Schlaf und ließ sie senkrecht im Bett auffahren. Ein Blick auf den Wecker zeigte ihr, dass es mitten in der Nacht war. Ihr Herz hämmerte panisch, sie griff nach der Handfeuerwaffe, die immer in ihrem Nachttisch lag und spähte aus dem Schlafzimmer ins Wohnzimmer hinein.

Als sie Vi erkannte, die gerade von einem ihrer nächtlichen Rundgänge durch die Außenviertel von Piltover zurückkam, atmete sie zittrig tief durch und ließ die Waffe sinken, um sie dann wieder in der Schublade zu verstauen. Dann trat sie aus der Schlafzimmertür zu ihrer Partnerin ins Wohnzimmer. „Vi, da bist du ja endlich“, rief sie, ein wenig ungehalten über die Verspätung und das unsanfte Wecken.
 

Vi, noch in voller Montur – diesmal sogar in Rüstung – ließ mit klobigen Bewegungen ihrer Kampfhandschuhe ihre Tasche auf die gewohnte Stelle neben der Couch fallen und blickte Caitlyn mürrisch an. Ihre Augenringe waren in den letzten vier Tagen, die sie nun schon zusammen wohnten, nicht wirklich weniger geworden. Zwischen ihren Zähnen hatte sie eine Zigarette geklemmt, die schon zur Hälfte abgebrannt war und ihre Haare waren zerzaust. Caitlyns sonst so sauberer Wohnung wurde von dem Geruch nach Alkohol, Tabak und Motoröl durchströmt.

„Hab‘ doch gesagt, ich muss nachts raus“, presste Vi heraus, die Lippen zusammengepresst, um die Zigarette nicht zu verlieren.
 

„Kannst du dann wenigstens ein klein wenig leiser dabei sein?“, fragte Caitlyn mit leicht zusammengekniffenen Augen. „Ich muss früh aufstehen.“

„Schonmal versucht, mit Panzerhandschuhen `ne Tür leise zuzumachen?“, knurrte Vi ungehalten und hielt zum Verdeutlichen ihrer Aussage ihre Hände hoch.

„Ich weiß genau, dass du damit mehr Fingerspitzengefühl hast als du zugibst“, antwortete Caitlyn ruhig und rief sich den Moment in ihrem Büro in Erinnerungen, als Vi ihre Wange berührt hatte. Allein die Erinnerung ließ einen leichten Schauer über ihren Rücken rinnen.

„Hab ich das?“, fragte Vi, spuckte die Zigarette in den Aschenbecher, den Caitlyn ihr inzwischen besorgt hatte und kam zu ihr hinüber. Obwohl Vi müde war, kamen ihre Bewegungen Caitlyn wie die eines Raubtieres vor.
 

„Ja, hast du“, antwortete Caitlyn mit einem kleinen Zögern in der Stimme, das sie sich selbst nicht recht erklären konnte. „Also würde ich dich bitten, nächstens ein wenig Rücksicht auf meinen Schlaf zu nehmen. Und wenn du ungehalten bist, weil du keine Spuren findest, dann lass sie bitte an etwas anderem als meiner Haustür aus.“

Vi stand nun direkt vor ihr, nah genug, dass sie ihren Atem spüren und riechen konnte. Alkohol und Tabak. „Hast du getrunken?“, fragte sie kritisch.

„Und wenn schon. Hast du ein Problem damit?“, fragte Vi und Caitlyn hörte den leicht drohenden Unterton in ihrer Stimme.

„Ich hasse es, wenn du trinkst“, antwortete Caitlyn jedoch kühl, entschlossen, sich nicht einschüchtern zu lassen.

Vi schnaubte: „Du hast mir nichts vorzuschreiben, Cupcake. Ich bin hier, weil du gejammert hast, dass du dir Sorgen um mich machst. Kann auch wieder geh‘n.“

„Mir war wohl einfach nur nicht klar, dass du deine ‚Ermittlungszeit‘ damit verbringst, dich zu betrinken. Dann hätte ich dich vielleicht nicht unter den Leichen aus dem Randviertel gesucht, sondern unter den Schnapsleichen in der Ausnüchterungszelle“, fauchte Caitlyn. Es war unverantwortlich von Vi. Da hielt sie ihr wochenlang vor, dass dies alles viel zu gefährlich war, betrank sich aber, statt auf sich aufzupassen.
 

Scheinbar hatte sie mit ihrer Aussage jedoch übertrieben. Mit einer einzigen, schnellen Geste hatte Vi ihren Handschuh mit ausgestreckten Fingern gegen die Wand nur wenige Zentimeter neben Caitlyn gerammt und sie hörte ein leises Bröckeln von Putz. Zum Glück hatte Vi nicht mit voller Kraft zugeschlagen, sonst wäre von der Wand nicht mehr viel übrig.

Obwohl sie überrascht war, zuckte Caitlyn nur minimal zusammen und hielt Vi‘s Blick stand. „Willst du jetzt meine Wohnung demolieren?“, fragte sie kühl und lehnte sich gegen die Wand hinter ihr. Sie war eingekesselt, das war ihr bewusst. Und Vi war eine gefährliche Person, das wusste sie aus den Akten und aus dem, was sie bereits gemeinsam erlebt hatten. Und obwohl sie beide schon so viel gemeinsam durchgemacht hatten, war sie sich nicht sicher, wie sie Vi in diesem Moment einschätzen sollte. Sie war angetrunken und gereizt, übernächtigt und genervt. Würde sie ihr gegenüber gewalttätig werden?
 

Über all ihre Bedenken, die in diesem Moment hochkamen, bemerkte Caitlyn allerdings noch etwas anderes… Und zwar, dass Vi ihr gerade sehr, sehr nahe war. Ihre Oberkörper trennten nur noch wenige Zentimeter und Caitlyn konnte beinahe die Hitze spüren, die von ihrer Partnerin ausging. Unwillkürlich fühlte sie, wie ihr Herz schneller zu schlagen begann… ob nun vor Furcht oder Aufregung oder beidem konnte sie jedoch nicht wirklich sagen.

Vi schien die Veränderung auf Caitlyns Gesicht nicht zu entgehen, denn ein leichtes Grinsen trat auf ihre Lippen. „Aber nich doch. Hab doch Fingerspitzengefühl, wie du sagst“, antwortete sie und schob auch die andere behandschuhte Hand nach vorne, legte einen Finger unter Caitlyns Kinn und hob ihr Gesicht an, sodass sie sich nun direkt ansahen. Caitlyn spürte das kalte Metall nur allzu deutlich an ihrer Haut, doch die Besorgnis, von der sie eben noch erfüllt war, verschwand nun auf einmal. Es war erstaunlich, wie Vi‘s Stimmung umschwingen konnte. Und es war ebenso erstaunlich, wie zärtlich sie mit diesen groben Zerstörungswerkzeugen sein konnte.

„Ja… Hast du“, antwortete Caitlyn ein klein wenig atemlos und blickte ihrer Partnerin in die Augen. Als sie sah, dass sich Vi‘s Gesicht ihrem näherte, schlossen sich ihre Augenlider flatternd.
 

Vi‘s Lippen waren rau, aufgerissen und trocken und schmeckten nach Tabak und Alkohol. Dennoch störte sich Caitlyn nicht daran. Im Gegenteil.

Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und schlang die Arme um Vi‘s Hals, zog ihre Partnerin enger an sich und spürte, wie diese einen Arm um ihre Taille legte. Seit der Nacht in Vi‘s Apartment hatten sie sich nicht mehr geküsst und plötzlich spürte Caitlyn, wie sehr sie es eigentlich gewollt hatte. Wie sehr sie es vermisst hatte. Wie ausgehungert sie war.
 

Als sie den Kuss keuchend lösten, öffnete sie ihre Augen wieder und sah in Vi‘s Gesicht, dass es ihr nicht anders ging...



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück