Ich komme gerade nach Hause. Es ist ungefähr vier Uhr in der Früh. Die meisten schlafen um diese Zeit noch. Daher und dank der Dunkelheit, falle ich also nicht weiter auf, wenn ich in einem zerfetzten, blutverschmierten Hemd durch die Straßen laufe.
Zerfetzt und blutverschmiert? Ja, das ist nichts Neues. Beinahe alltäglich würde ich sagen. Aber glücklicherweise bin ich dieses mal glimpflich davon gekommen. Ein paar kleine Kratzer auf dem Oberkörper, die in wenigen Tagen als nichts weiter als ein heller Strich zu erkennen sind.
Wie auch immer. Ich gehe auf direktem Wege ins Badezimmer und werfe den überflüssigen Stofffetzen, mehr ist wirklich nicht übrig geblieben, in den Müll.
Dann greife ich nach dem Erste-Hilfe-Koffer, um nach einem Verband zu greifen. Mist. Ich dachte mir gestern Abend schon, dass ich den mal wieder auffüllen sollte.
Ich verdrehe leicht die Augen und hole stattdessen aus der Küche eine Rolle Zewa. Mit etwas Desinfektionsmittel säubere ich die Wunden und tupfe dann vorsichtig mit einem Tüchlein darüber. Danach tränke ich ein sauberes Handtuch in Wasser und binde es mir um den Oberkörper. Das sieht jetzt nicht sonderbar toll aus, wird aber bis morgen früh, oder eher gesagt später reichen.
Nach gefühlten Stunden lege ich mich ins Bett und schlafe ohne Probleme ein.
Ja, ungefähr so verläuft jede Nacht.
Als ich gegen Mittag aufwache, ist eigentlich schon alles Schnee von gestern. Lediglich die Wunden zeigen, was sich gestern Nacht abgespielt anhaben könnte und selbst die, sehen schon um einiges besser aus. Aber selbst wenn ich es jemanden sagen würde, würde es mir niemand glauben.
Und warum nicht? Weil ich ein Doppelleben führe. Genauer gesagt, bin ich ein Halbblüter. Zur Hälfte Mensch, zur anderen Hälfte ein Wolf. Zumindest ein Teil von mir ist das.
Meine Großmutter hatte sich einen Kampf mit einen Wolf geleistet, als sie noch jung war. Dabei wurden sowohl sie, als auch der Wolf verletzt. Lauter meiner Mutter hatte sich dann das Blut des Wolfes mit ihrem vermischt, wodurch sich Teile der Wolfs-DNA in ihre eingepflanzt haben. Ob das alles stimmt, kann ich nicht sagen, aber so lautet eben die Familiengeschichte und somit auch gleichzeitig das Familiengeheimnis. Jedenfalls wird seit dem das Gen auf der männlichen Seite der Swartz Familie weiter vererbt. Und ja - ich bin davon eben nicht verschont geblieben.
Wie auch immer. Nachdem ich mir ein ordentliches Frühstück geleistet hab, was etwa ein Dutzend Pancakes beinhaltet hat, ziehe ich mir etwas an und mache mich auf den Weg zur Apotheke. Die wundern sich bestimmt schon, wofür ich all den Verband brauche, den ich meist einmal die Woche holen gehe, aber das interessiert mich eigentlich recht wenig. Solange sie nichts über mich und meines Gleichen wissen, ist alles im grünen Bereich.
Als ich wieder zu Hause bin, mir letzten Endes doch den Verband um den Oberkörper gebunden habe und alles, was in irgendeiner Hinsicht darauf verweisen könnte, wie es letzte Nacht ausgegangen ist, also zerfetztes Shirt, blutiges Handtuch und rote Küchentücher, beseitigt habe, setze ich mich für einen Moment auf die Couch. Ich bin nicht viel zu Hause, deshalb ist es immer ganz schön, mal fünf Minuten seine Ruhe zu haben.
Wenn ich nicht gerade im Wald bin, sitze ich meist am See und spiele Gitarre. Mit meinen eigenen Texten und eigener Musik habe ich das Gefühl, dass es mich ausgleicht und so wieder Ruhe in mein Leben einkehrt.
Und weil ich nicht arbeiten gehe, kann ich meine Wohnung zwar bezahlen, allerdings nur sehr knapp. Deshalb suche ich nach einem Mitbewohner. Bzw. ich habe schon jemanden gefunden. Das Mädchen, das sich für das Zimmer interessiert kommt in ein paar Tagen. Ihrer Stimme nach zu urteilen ist sie etwa in meinem Alter. Aber auch wenn sie bereits Ü50 wäre, wäre es mir egal, denn ich brauche nur jemand, der mir hilft die Miete zu bezahlen und der Rest an ihr interessiert mich nicht.
Natürlich ist mir klar, dass das angesichts meines Geheimnisses nicht sehr schlau ist, aber sonst müsste ich umziehen und so Zentral finde ich so günstig keine andere Bleibe, aber doch so abgelegen, dass ich gleich am Wald bin. Es ist eben ideal.
Es klingelt. Ich zucke leicht zusammen, da ich damit nicht gerechnet habe. Ich bekomme nie Besuch. Ich stehe auf und gehe zu der Tür.
Als ich aufmache, sehe ich ein Mädchen vor mir. Sie ist sehr zierlich und schlank. Hat lange Blonde Haare und graue Augen. Mehr interessiert mich im Moment nicht
„D-Daemon?“, fragte sie mich geschockt und unsicher zugleich. Ich frage mich, woher sie mich kennt, denn ich habe hier in der Stadt keine Freunde oder Bekannte. Nicht mal dem Mädchen, das hier einzieht, habe ich meinem Namen verraten. Glaube ich zumindest.
„Kennen wir uns?“, frage ich gleichgültig und schau sie mit einem arroganten Blick an.
„Ich.. ähm.. nein. Ich bin Melody. Aber alle Leute nennen mich Mel. Ich wollte mir das Zimmer ansehen“, sagte sie, nachdem ich sie offenbar leicht aus dem Konzept gebracht habe. Ich nicke ihr leicht zu und lasse sie eintreten. Ich sage nicht viel, außer, dass ich sie kurz begrüße und ihr dann ihr Zimmer zeige. Es ist nichts besonderes, aber im Gegensatz zu anderen WG-Zimmern doch recht groß. Kurzerhand zeige ich ihr Küche, Bad und Wohnzimmer und in weniger als fünf Minuten ist alles abgeklappert.
„Es ist schön hier. Ich hätte nicht gedacht, dass es so... sauber ist“, sagt sie ruhig und lächelt mich sanft an, welches ich aber nicht erwidere.
„Ich bin nicht oft zu Hause. Was machst du überhaupt schon hier? Du wolltest doch nicht vor Mittwoch kommen“, sage ich etwas vorwurfsvoll, weil ich eigentlich die letzten wenigen Tage noch genießen wollte. Es wären die letzten gewesen, an denen ich ich selbst sein kann.
„Wollte ich auch. Aber ich habe morgen ein Fotoshooting und hatte gehofft, dass ich schon ein wenig früher kommen kann“, antwortet sie leise und man merkt an, dass sie doch ziemlich unsicher ist, weil sie früher gekommen war.
Ich verdrehe die Augen, aber so, dass sie es nicht sieht. Sie hilft mir immerhin, dass ich hier wohnen kann.
Gut, ob sie jetzt vier Tage früher oder später hier einziehen würde, wäre dann auch egal.
Ich bestätige ihr schließlich, dass sie bleiben kann. Nachdem sie sich gefühlte Tausend mal bedankt hat, geht sie die Treppen hoch und in ihr Zimmer. Naja, ist zumindest an zu nehmen.
Ich hingegen gehe in die Küche. Jeden Abend koche ich. Auch, als ich noch allein war, denn ich brauche die Kräfte für die Nacht. Ich entscheide einfach für uns beide und Koche Spaghetti. Ich gehe einfach davon aus, dass das jeder mag und somit auch Melody.
Nach etwa 20 Minuten höre ich, wie sie die Treppe runter schleicht und zu mir in die Küche kommt.
Sie stellt sich hinter mich, um mir über die Schulter zu schauen. Nah. Zu nah und zu aufdringlich.
„Was machst du da?“, fragt sie gut gelaunt und ich frage mich innerlich, ob es nicht offensichtlich ist, dass ich nicht gerade koche.
„Sieht man doch. Billard spielen“, gebe ich kalt und auch ein wenig genervt zurück. Ich bin es nicht gewohnt, dass mir jemand über die Schulter schaut. Nicht nur Sprichwörtlich, sondern auch in echt. Zudem war das auch nicht wirklich möglich. Viele kommen nicht damit klar, dass ich das sage, was ich denke. Ich bin zu direkt. Und somit gleichzeitig wohl ein absolutes, egoistisches, selbstsüchtiges Arschloch.
„Oh, sind wir heute mit dem falschen Fuß aufgestanden?“, fragt sie leicht lachend und knufft mich leicht in die Seite.
Ich sehe sie irritiert an. Bisher verließen immer alle den Raum, wenn ich das aussprach, was ich dachte. Ließen mich in Ruhe oder sie wurden nervös.
Aber nein. Sie lachte. Ich sah in ihre wunderschönen grauen Augen. Erst jetzt fielen sie mir wirklich auf. Sie waren hellgrau und um die Iris bildete sich ein dunkler Rand. Kurz glaubte ich, ich hätte diese Augen schon einmal gesehen, aber schüttelte den Gedanken sofort wieder ab. Ich war nicht gut darin, soziale Kontakte zu pflegen, also war es unmöglich, derartige Augen schon einmal gesehen zu haben. Aber sie faszinierten mich.
Sie schienen zu leuchten, zeigten keine Angst oder Scheu. Nein, sie strahlten etwas selbstbewusstes aus. Und ja.. es gefiel mir.
„Nein. Gar nicht. Nur nicht sehr gesprächig“, gebe ich immer noch in einem gleichgültigen Ton zurück und mache mich dann an die Spaghetti, um sie abzugießen.
„Oh... okey...“, gibt sie leise zurück. Ihr Stimme wirkte jetzt nicht mehr fröhlich, sondern eher niedergeschlagen. Es stimmt also doch, dass Frauen derartige Stimmungsschwankungen haben. Unglaublich, wie schnell das geht.
Wir sitzen am Tisch und essen unser Abendessen. Ich musste ehrlich gesagt aufpassen, dass mir nicht der Geduldsfaden reißt, denn Melody redet wirklich ununterbrochen. Und nachdem sie dann gefühlte 1000x erzählt hat, wie lecker das Essen doch sei, konnte ich mich nicht mehr zusammenreißen.
„Ja, ich hab's verstanden. Willst du es vielleicht noch auf ein T-shirt drucken?“, platze es plötzlich aus mir heraus und starrte ihr genervt in die Augen. Ich weiß selbst, dass meine Kochkünste ganz gut sind. Sonst wäre ich längst verhungert, bei den Mengen die ich esse. Aber reicht es nicht, es einmal zu erwähnen und es dann einfach dabei zu belassen?
Sie schaut mich leicht schockiert an. Lächelt aber dann.
„Gar keine schlechte Idee. Wäre bestimmt witzig“, lacht sie schüchtern und konzentriert sich dann wieder auf die Nudeln. Allerdings war mir doch dieses eine kleine Funkeln nicht entgangen. Ich sah, dass ich sie damit verletzt hatte und es zerriss mich fast selbst, was für ein Arsch ich mal wieder war.
Aber es war besser so. Je weniger sie mich mochte und je weniger ich mit ihr zu tun hatte, desto besser für mich und meines Gleichen.