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Etwas ganz Besonderes

Eine Stolz & Vorurteil Geschichte
von

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Es war ein schöner, sonniger Frühlingstag. Einer jener Tage, an denen man mit guter Laune und voller Energie aufwachte und wo nichts diese Laune trüben konnte – auch nicht die Aussicht, die Energie dafür einzusetzen, die Fenster des gesamten Hauses zu putzen. Umso überraschter war Sarah, das Hausmädchen, als sie an diesem Tag ein leises, unglückliches Weinen vernahm. Entschlossen, dass niemand an einem so schönen Tag traurig sein sollte, folgte sie dem Geräusch und entdeckte schon kurz darauf die Quelle.

„Miss Kitty!“, rief Sarah und eilte zu dem kleinen Mädchen, das verloren auf der gepolsterten Fensterbank im ersten Stock saß. „Ist etwas passiert? Haben Sie sich wehgetan?“ Schließlich war Catherine Bennet gerade einmal vier Jahre alt, da war es nicht ungewöhnlich, sich das Knie aufzuschlagen oder schmerzhaft mit dem Ellenbogen gegen einen Türstock zu stoßen. Andererseits hätte das Kind dann viel lauter geheult und so schon längst die Aufmerksamkeit der Familie auf sich gezogen. „Was ist? Warum weinen Sie?“

Es dauerte eine Weile, bis sich das Mädchen beruhigt hatte, schließlich aber flüsterte sie: „Ich bin allein. Jane hat Lizzy und Lizzy hat Jane. Mama hat Papa und Jane und Papa hat Mama und Lizzy. Und Mary hat das Klavier. Und das Klavier hat Lizzy und Mary. Aber ich allein.“

Sarahs erster Impuls war es, diesen Worten zu widersprechen und dem Kind zu versichern, dass seine Eltern und Schwestern es liebten und es keineswegs allein war, doch sie zögerte. Denn was Miss Catherine angesprochen hatte, bezog sich weniger auf die allgemeine Zuneigung, die Familienmitglieder füreinander empfanden, als vielmehr diese innige Beziehung, die selten mehr als zwei Menschen miteinander teilten und dafür sorgte, dass die jeweiligen Menschen sich als etwas Besonderes fühlten. Und was das betraf, hatte das Mädchen nicht ganz unrecht gehabt.

Zwar hätte man annehmen sollen, dass Catherine als das jüngste Kind eine besondere Beziehung zu ihrer Mutter gehabt hätte, wie das bei so vielen Familien der Fall mit den Letztgeborenen war, doch Sarah wusste, dass dieser besondere Platz im Herzen Mrs. Bennets auf immer jenem kleinen Würmchen gehörte, das keine achtzehn Monate nach Miss Catherine auf die Welt gekommen war und doch nie einen Atemzug gemacht hatte. So aber galt die Aufmerksamkeit der Mutter nun fast ausschließlich ihrer ältesten Tochter, einem wirklich hübschen und liebenswerten Mädchen. Und was den Vater betraf, so hätte allenfalls ein Sohn noch auf eine enge Beziehung zu ihm hoffen können, doch dieser war der Familie verwehrt worden, insbesondere nachdem der Arzt nach der letzten Niederkunft Mrs. Bennet vor einer weiteren Schwangerschaft gewarnt hatte. Statt eines Sohnes hatte der Vater sein Herz für die zweitgeborene Tochter gefunden, denn mit ihrer lebhaften Art war sie in vielerlei Hinsicht so, wie man sich einen Jungen in dem Alter vorstellen mochte, auch wenn dies ihre Mutter regelmäßig zur Verzweiflung brachte.

Doch es war das, was das kleine Mädchen über ihre nächstältere Schwester gesagt hatte, dass Sarah eine Idee gab, wie sie dem Kind vielleicht helfen konnte. Denn in Bezug auf Mary hatte Catherine nicht von einem Menschen, sondern von dem Klavier gesprochen, das der dritten Bennet-Tochter half, sich als etwas Besonderes zu fühlen. Was also, wenn sie Miss Kitty zu ihrem eigenen, besonderen Talent verhalf? Doch was konnte sie, ein Hausmädchen, schon der Tochter der Herrschaft beibringen? Ihre Aufgaben erstreckten sich schließlich auf die Hausarbeit und der Herrschaft zu Diensten zu sein, wann immer diese ihrer bedurften. Sei es, zu wissen, wann Mrs. Bennet ihr Riechsalz benötigte, oder hastig noch eine Schleife in das Haar des Wildfangs Lizzy zu binden, ehe diese zum Abendessen ging. Tatsächlich war wohl die Beobachtungsgabe das größte Talent eines Dienstboten, der so schon wusste, was die Herrschaft brauchte, ehe diese sich dessen wirklich bewusst wurde. Und diese Gabe war einer der Gründe, weshalb Sarah die Stellung als Hausmädchen überhaupt bekommen hatte, statt nur einfache Küchenmagd zu sein. Es war aber zugleich auch eine Gabe, die man trainieren konnte. Und wie Miss Kitty bereits bewiesen hatte, besaß sie die Veranlagung hierfür. Noch ehe sie sich dessen bewusst geworden war, hatte sie Catherine einen Vorschlag unterbreitet: „Wie wäre es, wenn es ein Spiel gäbe, dass nur Sie allein unter Ihren Geschwistern spielen können?“ Sie begann zu umschreiben, was sich durch Beobachtung alles bewirken ließ. Dass man Menschen besser verstand. Dass man ihnen helfen konnte. „Sie könnten allein heute schon damit anfangen, dass Sie sehen, ob Ihre Schwester Elizabeth ordentlich aussieht, wenn sie zu Ihrer Mama gerufen wird.“

Wie um zu zeigen, dass sie sofort verstanden hatte, worauf Sarah hinaus wollte, nickte Kitty eifrig. „Mama ist immer so aufgebracht, wenn Lizzy nicht so hübsch zurechtgemacht ist wie Jane. Und dann ist Lizzy immer unglücklich. Und Jane ist dann auch unglücklich, weil Lizzy unglücklich ist.“

Sarah nickte. „Und morgen können Sie mir dann von Ihren Beobachtungen erzählen.“
 

So begann Catherine Bennet ihre Umgebung zu beobachten. Es änderte zwar nichts daran, dass sie sich immer noch oft genug unbeachtet fühlte und deshalb traurig war, doch in diesen Moment erinnerte Sarah sie dann daran, dass man besser beobachten konnte und mehr erfuhr, wenn man selbst nicht so beachtet wurde. Und es war nicht so, dass niemandem auffiel, wie aufmerksam Kitty war. Denn ihre Schwestern merkten sehr bald, dass das Familienleben harmonischer zu verlaufen schien, doch es dauerte eine Weile, bis sie erkannten, dass es an Kittys leisen Hinweisen lag. So fand Mrs. Bennet weniger an Lizzy auszusetzen, wenn diese nicht mit schlammbespritzten Schuhen in den Salon kam, weil Kitty sie rechtzeitig abgefangen und ihr ein Paar saubere Slipper gegeben hatte. Doch Kittys größter Erfolg war vermutlich Mary. Sie hatte beobachtet, dass ihr Vater häufig angestrengt dreinblickte, wenn er die Bücher kontrollieren musste, und dass dann Tonleiterstudien und Etüden diesen angestrengten Blick noch verstärkten.

„Aber Kitty, ohne Tonleitern und Etüden werde ich nie schwierigere Stücke spielen können, einfach weil meine Finger dann über die Tasten stolpern. Und wenn ich schon nicht so schön wie Jane oder so lebhaft und geistreich wie Lizzy sein kann, dann will ich mich wenigstens über mein Klavierspiel auszeichnen.“

„Und du spielst ja auch schon viel schwierigere Stücke als Lizzy. Aber Mary, das heißt nicht, dass du immer Etüden spielen musst. Du weißt doch, dass Papa heute über den Büchern sitzt. Meinst du nicht, dass es ihm viel leichter fiele, die Zahlen zu ordnen, wenn du etwas Fröhliches für ihn spielst?“

Mary blickte zuerst skeptisch drein, doch Kitty sah sie so treuherzig an, dass sie es nicht übers Herz brachte, ihre kleine Schwester zu enttäuschen. Und tatsächlich sah der Vater beim Mittagessen weniger angespannt aus. Kitty grinste und zwinkerte Mary zu.

Entsprechend fiel auch ihr Vorschlag leise Stücke zu spielen, wenn Mrs. Bennet sich schlecht fühlte, auf fruchtbaren Boden und Kitty war sogar in der Lage, Mary dazu zu bringen, bei ihrem Debut beim örtlichen Ball in Meryton auf das komplizierte Konzert zu verzichten und stattdessen eine fröhliche Gigue zu spielen, wenn die anwesenden Damen gebeten würden, das pausierende Quartett zu vertreten. „Wäre es nicht viel besser, wenn du schaust, wer alles noch etwas vorträgt, und dann diese Damen fragst, ob sie daran interessiert wären, mit dir zusammen einen musikalischen Abend zu organisieren? Ich habe in Mamas Zeitschrift gelesen, dass derartige Abende in London eine angenehme Abwechslung zu Bällen und Theaterbesuchen bilden. Nun haben wir kein Theater, aber einen musikalischen Abend könnte man organisieren. Und dann würden alle Besucher auch ein Konzert erwarten, während die Menschen heute Abend nur Tanzen im Kopf haben und dein Talent gar nicht zu würdigen wüssten.“

Tatsächlich wurden die musikalischen Abende, die fortan Merytons Gesellschaftskalender erweiterten, ein voller Erfolg und sorgten so dafür, dass Mary ihren festen und angesehenen Platz in der Gesellschaft hatte, der auch dafür sorgte, dass sie bei Bällen zu dem ein oder anderen Tanz aufgefordert wurde.
 

Kurz vor Catherines eigenem Debut schien ihre Mutter zu beschließen, dass ihre bislang unbeachtete Tochter nun doch der Beachtung wert war und was sie sah, gefiel ihr ganz und gar nicht. Kitty war ihrer Mutter jedoch schon längst einen Schritt voraus und hatte sich diesbezüglich mit Sarah besprochen.

„Kitty, du musst dich mehr an den Unterhaltungen beteiligen! Als Mauerblümchen wirst du nie einen Ehemann finden. Und du weißt sehr wohl, dass wenn nicht wenigstens eines von euch Mädchen eine gute Partie macht, wir alle künftig unser Heim in den Hecken am Straßenrand haben werden! Und starr die Leute nicht so an. Das gehört sich nicht!“

„Aber Mama, ich starre doch gar nicht. Würde ich starren, hätte bestimmt schon längst einer unserer Nachbarn etwas gesagt. Vielmehr beobachte ich die Menschen, um später einmal eine so gute Gastgeberin zu werden wie du. Schließlich ist bekannt, dass deine Dinnerparties die besten der ganzen Nachbarschaft, vielleicht sogar von ganz Hertfordshire sind. Und wie, wenn nicht durch Beobachtung hätte ich herausfinden sollen, dass Mrs. Hartwick keine Karotten mag und Mrs. Long bei Tisch besser nicht in der Nähe von Mr. Thornton sitzen sollte?“

Ihre Mutter sah sie einen Moment lang sprachlos an, begann dann aber über die Aussage ihrer jüngsten Tochter nachzudenken. Zweifelsohne war diese nicht so schön wie Jane und vermutlich nicht einmal so hübsch wie Lizzy. Und im Gegensatz zu Mary hatte Kitty auch keinerlei Talent für das Klavier. Da war es vielleicht gar nicht verkehrt, wenn das Mädchen sich bemühte, wenigstens eine gute Gastgeberin zu sein. Schließlich nickte sie. „Aber um eine gute Gastgeberin zu sein, reicht es nicht, die Tischordnung und das Menü zu beherrschen. Deine Dinnergesellschaften werden langweilig sein, wenn du deine Gäste nicht zu unterhalten weißt.“

Catherine nickte, vermied es aber, ihrer Mutter zu sagen, dass das ein Punkt war, wo Mrs. Bennet zu oft über das Ziel hinausschoss, denn die Konversation zu dominieren, wie sie es oft tat, verhinderte, dass andere sich an dem Gespräch beteiligen konnten und so zwar gesättigt aber geistig hungrig aufstanden. Aber sie hatte sich diesbezüglich schon einen Plan zurechtgelegt. Einen Plan, für den sie wiederum die Hilfe ihrer Mutter brauchte. „Meinst du, Papa wäre bereit, jeden Abend mit mir über ein paar Artikel aus der Zeitung zu sprechen? So wäre ich über aktuelle Entwicklungen informiert. Wir könnten das gleiche vormittags mit den Modemagazinen machen, die Tante Gardiner uns immer schickt. So hätte ich sowohl gegenüber Gentelmen als auch den Damen etwas zur Unterhaltung beizusteuern.“

„Wie klug du bist, Kitty! Ich werde gleich mit deinem Vater darüber sprechen.“

Catherine lächelte. Genau darauf hatte sie gehofft. Denn ihre Mutter war weit besser darin, den Vater von etwas zu überzeugen, das dieser eigentlich nicht wollte, und sei es, dass er nur zustimmte, um seine Ruhe zu haben. Diesbezüglich war ihre Mutter mit einer Beharrlichkeit gesegnet, die Ihresgleichen suchte. Und es war letztlich nichts Unvernünftiges oder unvernünftig Teures, das sie dieses Mal von ihm verlangen würde, weshalb Kitty zuversichtlich war.
 

Trotzdem alle Bennet-Mädchen so in der Nachbarschaft, jede auf ihre Ar,t ein angemessenes Debut hinlegte, verhinderten die politischen Entwicklungen, dass sie trotz all ihrer Qualitäten die erhoffte gute Partie machten. Viele der jungen Männer zogen in den Krieg und nur wenige kehrten zurück. Und so gab es in der Nachbarschaft eine beklagenswerte Diskrepanz zwischen der Anzahl der jungen Damen, die eines Ehemanns bedurften und der Anzahl junger Herren, die die notwendigen Qualifikationen für diese Position mitbrachten.

Entsprechend groß war die Aufregung, als das Anwesen von Netherfield einen neuen Pächter erhielt. Einen jungen, unverheirateten Pächter, mit einem unabhängigen Einkommen, das den Gerüchten zufolge gut doppelt so hoch war wie das Einkommen der Bennets.

Es folgte ein Reigen von Willkommensbesuchen und Gegenbesuchen und schon hatte Mrs. Bennet beschlossen, Mr. Bingley zu einem von Kitty zu planenden Dinner einzuladen, wo alle ihre Töchter mit ihren jeweiligen Talenten glänzen konnten, als die Nachricht die Runde machte, dass Mr. Bingley nach London gereist war und nur die Aussicht, dass er in die Stadt gefahren sei, um eine Hausparty zu organisieren, die dann auch beim örtlichen Ball zugegen wäre, beruhigte sie ein wenig. Auch wenn die Zahl der Damen, die Mr. Bingley mitzubringen gedachte, trotz aller variierenden Gerüchte, unbotmäßig hoch war. Entsprechend erleichtert war die Mutter, als am Abend des Balls die Hausparty aus lediglich fünf Personen im Ganzen bestand: Mr. Bingley, seine älteste Schwester und deren Gatte, seine jüngere Schwester, und sein bester Freund.

„Lizzy, was ist los?“, fragte Kitty, als ihr Partner sie vom eben zu Ende gegangenen Tanz zu ihrer Schwester herüber geleitete. „Du siehst so unentschlossen aus.“

Elizabeth ließ ein kleines Lachen hören. „Oh Catherine, du kennst mich einfach zu gut. Ich bin tatsächlich unentschlossen. Ich weiß nicht, ob ich amüsiert oder erbost sein soll.“

„Wenn du mich fragst, dann auf jeden Fall amüsiert. Erbost steht dir nicht“, erwiderte Kitty ebenfalls lachend.

„Also gut, dann will ich dir die amüsante Variante erzählen“, sagte Lizzy und berichtete ihrer jüngsten Schwester von dem unfreiwillig mit angehörten Gespräch zwischen Mr. Bingley und Mr. Darcy.

„Ich gestehe, dass das wirklich abscheulich von ihm war“, gab Kitty zu. Ihr Blick suchte die hochgewachsene Gestalt Mr. Darcys. Doch was sie sah, ließ sie weniger harsch über ihn urteilen, als Lizzy dies getan hatte. „Er tut mir leid.“

„Er tut dir leid?“, fragte ihre Schwester überrascht.

„Sieh ihn dir an. Er ist angespannt. Er möchte nicht hier sein. Er sieht aus wie Papa bei jener Dinnergesellschaft zu Ehren von Maria Lucas‘ Debut. Du weißt doch, als die Stute fohlen sollte und das Kleine sich noch nicht gedreht hatte und zu befürchten war, dass wir sowohl das Fohlen als auch die Stute verlieren.“ Ihr Vatter hatte nicht zu dem Abendessen gehen wollten, hatte stattdessen sehen wollen, ob nicht die Möglichkeit bestand, das Fohlen im Mutterleib zu drehen, war doch der Hufschmied, der bei solchen Situationen sonst helfen konnte, derzeit mit einem gebrochenen Bein verhindert. Doch seine Frau hatte darauf bestanden, dass er an dem Dinner teilnahm. Zum Glück hatten die Nachbarn Verständnis für seine geistige Abwesenheit an dem Abend, wäre es ihnen in seiner Lage doch nicht anders gegangen. Schließlich war ein Pferd ein wertvoller Besitz und sein Verlust nicht so einfach zu verkraften.

„Willst du damit sagen, Mr. Darcy macht sich um sein Pferd Sorgen?“, lachte Lizzy. „In dem Fall müsste ich sagen, dass er sich den Verlust eines Pferdes bei einem Einkommen von Zehntausend im Jahr durchaus leisten kann.“

„Kein Pferd, Lizzy.“ Kitty schüttelte nachsichtig den Kopf. Sie wusste, dass ihre Schwester sehr wohl verstanden hatte, dass ihr Beispiel nicht wortwörtlich zu nehmen war, sondern lediglich dazu diente, aufzuzeigen, dass Mr. Darcy einen innerlich sehr angespannten und besorgten Eindruck machte. Nur dass ihn die Nachbarn nicht gut genug kannten, um zu fragen, was ihn bedrückte und er so als arrogant und abweisend herüberkam. „Aber wieso versuchst du nicht, herauszufinden, was ihn besorgt? Ein Gespräch mit dir dürfte ihm lieber sein, als von Mrs. Long verhört zu werden. Auch wenn er das offenbar einem Gespräch mit Miss Bingley vorzieht“, schlug Catherine nun vor, hatten sie doch beide den Gentleman weiter beobachtet und so gesehen, wie dieser, um der Schwester seines Gastgebers zu entkommen, sich freiwillig einer Gruppe örtlicher Matronen soweit genähert hatte, dass Mrs. Long ihn direkt ansprechen konnte, ohne so laut werden zu müssen, dass es vulgär gewirkt hätte.

Lizzy sah Kitty skeptisch an, doch diese ließ sich nicht beirren. „Komm, wir beide holen je eine Tasse mit Punsch, ich biete meine Tante Philipps an und du die zweite Mrs. Long. Und dann fragst du Mr. Darcy einfach, wo er jetzt am liebsten wäre, wenn er nicht gerade hier wäre. Ich bin mir sicher, dass er so überrascht sein wird, dass er unwillkürlich wahrheitsgemäß antworten wird.“

„Und wieso fragst du ihn nicht selbst?“, wollte Elizabeth nun wissen.

„Weil ich nicht unbewusst von ihm beleidigt wurde und somit mir keine zweite Meinung bilden muss. Auch wenn ich nichts dagegen hätte, wenn du ihn mir hinterher vorstellst“, sagte Kitty schelmisch.
 

Lizzy hielt Wort und stellte Mr. Darcy ihrer Schwester vor, doch war es für alle nur allzu bald offensichtlich, dass Mr. Darcy weit mehr an der schlagfertigen Elizabeth interessiert war als an Catherine. Kitty nahm es gelassen hin, denn sie wusste genau, dass, sollte entweder Jane Bingley heiraten oder Lizzy Darcy, ihre eigenen Zukunftssorgen vorüber wären. Zudem würde ihr Schwager es ihr mit Sicherheit ermöglichen, andere unverheiratete Männer von Stand kennenzulernen. Auch wenn sie nichts dagegen hätte, wenn dieser Mann eine Uniform trug. Denn wie das Miliz-Regiment, das kurz nach Bingleys Ankunft in Meryton einquartiert worden war, ihr leuchtend vor Augen geführt hatte, sahen Männer in Uniform sehr schneidig aus. Zugleich wusste sie aber dank ihrer Beobachtungsgabe sehr wohl hinter die Fassade des roten Rocks zu blicken und so musste sie ein wenig wehmütig feststellen, dass mit Ausnahme von Colonel Forster keiner der Offiziere zu mehr als einem Tanzpartner bei einer Ballveranstaltung taugte. Manch einer hielt ja nicht einmal seine Verpflichtung gegenüber der Miliz ein und desertierte bereits nach weniger als vier Wochen wie jener Lieutenant Wickham. Und was den Colonel betraf, so war dieser leider bereits verlobt.

Insgesamt hatte Kitty aber keinen Grund, sich zu beklagen. Die Bälle waren heiter, die Nachbarschaft so lebhaft wie schon lange nicht mehr und ihre Zukunft sah eindeutig rosiger aus als noch zuvor. Sie konnte deutlich sehen, dass Mr. Bingley nur nach einer passenden Gelegenheit suchte, um Jane den langersehnten Antrag zu machen und sie tippte auf den Heiligabend mit einer Hochzeit zu Ostern. Bei Mr. Darcy war sie sich nicht ganz so sicher, hatte doch der unverhoffte Besuch von Mr. Collins ihn ein wenig aus der Bahn geworfen.

Der entfernte Bennet-Cousin und Erbe Longbourns hatte versucht, mit der Familie Frieden zu schließen und war zu diesem Zweck – und um sich unter seinen unverheirateten Cousinen eine Braut zu wählen – nach Hertfordshire gereist. Zunächst war Mrs. Bennet von seinen Absichten überaus angetan gewesen und auch Mary hätte sich eine solche Verbindung durchaus vorstellen können, doch als Mrs. Bennet pflichtgemäß Mr. Collins informierte, dass ihre beiden ältesten Töchter derzeit von zwei angesehen Gentlemen hofiert wurden, hatte Mr. Collins in der Folge so vehement die Ansicht vertreten, dass seine Cousine Lizzy nicht gut genug für Mr. Darcy, den Neffen seiner ehrbaren Patronin Lady Catherine de Bourgh, sei, dass Mrs. Bennet kurz davor gewesen war, mit allen Bräuchen der Gastlichkeit zu brechen und ihn des Hauses zu verweisen. Lediglich ein Besuch von Charlotte Lucas, die, auf einen diskreten Hinweis von Kitty hin, Mr. Collins nach Lucas Lodge einlud, verhinderte dies. Dennoch hatte Mr. Collins es als seine Pflicht angesehen, Mr. Darcy davon zu informieren, dass seine Tante wohl kaum einer Verbindung mit Elizabeth Bennet ihren Segen geben würde, wo doch jeder wisse, dass Mr. Darcy mit Miss de Bourgh verlobt sei.

Darcy versicherte Lizzy zwar sofort, dass er ungebunden sei, doch es war offenkundig, dass er sich durchaus Gedanken über die Reaktion seiner nächsten Verwandten machte, sollte er sich entschließen eine Frau zu heiraten, die keinerlei Mitgift oder hochrangigen Verbindungen mit in die Ehe brachte. Dabei wäre die offenkundigste Lösung einfach Lizzy und seine Familie zusammenzubringen, damit sie selbst sehen konnten, dass Lizzy die Richtige für ihn war. Schlussendlich schien er ähnliche Gedanken zu haben, denn er lud mit Bingleys Zustimmung seine Schwester und seinen Cousin für Weihnachten nach Netherfield ein.

Leider gab es zuvor noch einen ungebetenen Verwandtenbesuch, denn Lady Catherine hatte von Mr. Collins von der Situation erfahren und war direkt nach Hertfordshire gefahren, doch nicht etwa um Mr. Darcy zurecht zu weisen, sondern um Lizzy käuflich das Versprechen abzuringen, nie einen Antrag von Darcy anzunehmen.

„Ich werde nicht eher abfahren, ehe ich nicht das Versprechen erhalten habe, wegen dem ich hier her gekommen bin!“, erklärte die formidable Dame bei ihrer Zusammenkunft mit einer durchaus sturen Elizabeth.

„Dann werde ich Fitzwilliam bitten, uns ein Zelt zu schicken, denn unter keinen Umständen werde ich es zulassen, dass du mit dieser Einstellung die Bennets terrorisierst“, erwiderte Darcy nicht minder entschlossen und trat hinter der Hecke vor, wo er sich verborgen hatte, als er bei seinem Eintreffen gesehen hatte, dass seine Tante und Elizabeth trotz der Dezemberkälte in den Garten gingen.

„Darcy, du vergisst dich. Du vergisst deine Stellung und deine Pflichten gegenüber deiner Familie. Wer sind schon diese Bennets außer einer Bande käuflicher Intriganten!“, ereiferte sich Lady Catherine.

„Ich kann wohl kaum als käuflich bezeichnet werden, wenn ich Ihren Vorschlag einer Zahlung von mehreren tausend Pfund für mein Wort, niemals mich mit Mr. Darcy zu verloben, ausgeschlagen habe“, mischte sich nun Elizabeth ein und bewies durchaus, dass sie sich zu behaupten wusste.

„Das ist doch bloß alles ein Trick von Ihnen. Ich habe Sie längst durchschaut. Sie wollen damit lediglich den Preis hochtreiben.“

„Genug!“, donnerte Darcy. „Entweder ich geleite dich nun zu deiner Kutsche, Tante, und du fährst zurück nach Kent oder ich frage Mr. Bennet, ob er dich im Stall einquartieren kann bis das Zelt eintrifft.“

Wutentbrannt rauschte Lady Catherine davon, während Elizabeth und Darcy sich bei einander für die Szene entschuldigten. „Zum Glück sind weder mein Cousin, der Colonel, noch meine Schwester meiner Tante ähnlich“, versuchte Darcy sie und auch sich selbst zu beruhigen.

Kitty, die die Szene vom Salon aus beobachtet hatte, war erleichtert, dass Darcy sich nicht von Lady Catherine in die Flucht hatte schlagen lassen. Andererseits tat ihr Charlotte Lucas leid, die mit Mr. Collins verlobt war und diesen Anfang Januar heiraten würde. Das Leben in Kent würde nicht einfach für sie werden. Aber wie Charlotte ihnen versichert hatte, ging sie mit offenen Augen in diese Ehe und Kitty musste zugeben, dass sie es vielleicht wirklich tat.
 

Letztlich behielt Kitty Recht und Bingley machte, sehr zum Verdruss seiner Schwestern, Jane am Heiligabend den erhofften Antrag, während Darcy noch bis Valentinstag wartete. Die Wahl des Datums war Georgiana Darcy zu verdanken, die trotz persönlicher Enttäuschungen noch jugendlich romantisch genug war, um den Tag der Liebenden als perfekten Tag für einen Heiratsantrag zu erachten. Doch was weit wichtiger war: Valentinstag war vor Ostern und so konnten Lizzy und Darcy am gleichen Tag wie Jane und Bingley heiraten.

Was Marys und Kittys weiteres Schicksal betraf, so brachte ihnen die Hochzeit ihrer älteren Schwestern die erhoffte Erweiterung des Bekanntenkreises und so machten auch sie in den folgenden Jahren eine angemessene Partie – Mary heiratete einen Cousin Hursts, der, ähnlich wie sein Cousin Speis und Trank zugetan war, sich für die Künste interessierte, und Kitty einen Pfarrer, der eine wohlhabende Pfründe in Derbyshire besaß. Hier kam ihr ihre Beobachtungsgabe bei der Sorge um die Gemeinde sehr zu Pass und so führte sie hier ein glückliches und ausgefülltes Leben, gemeinsam mit dem Mann an ihrer Seite, für den sie etwas ganz Besonderes war.



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