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Ress

Mein neuer Diener
von

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Ress

Ich bin ehrlich: Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn er nicht so unsagbar gut ausgesehen hätte. Menschen sind oberflächliche Wesen, zumindest in der ersten Zeit. Das ist kein Geheimnis und ich stehe dazu. Rückblickend gesehen, war es kein Fehler gewesen, ihn in mein Haus zu lassen.

Ich hatte damals angst um ihn. Angst davor, was mit ihm passieren würde, wenn ich ihn ablehnen würde.

Ich empfand das nicht für ihn, weil ich ihn kannte oder mochte. Ich tat es, weil es kein Mensch verdient hatte zu leiden. Wenn er so sehr darauf bestand jemandes Besitz zu sein, dann wollte ich es ihm wenigstens ermöglichen, ein angenehmes Leben zu führen. Das gestaltete sich allerdings nicht gerade einfach.
 

Das Zusammenleben mit Ress begann an jenem morgen vor meiner Haustür, an einem Tag, der nicht so normal war, wie er schien. Doch Normalität, und das lernte ich sehr schnell, war ein sehr fluides Konzept.

Zuerst einmal gab es da ein kleines Problem. Denn 'ich muss mich um meinen neuen Diener kümmern' war leider keine Ausrede, die ein Chef für einen ausfallenden Arbeitstag akzeptieren würde. Es war schlimm genug, dass ich zu spät kommen würde.

"Ehm... Ress. Ich.. eh.. ich..." Ich war überfordert und hatte beim besten Willen keine Ahnung, was ich tun sollte.

"Mach dir keine Sorgen um mich." Seine Stimme klang weiterhin so herrlich dunkel, wenn auch kalt. "Ich komme zurecht. Du musst sicherlich arbeiten."

"Ah, ja! Ich bin schon viel zu spät dran!" Aber die Höflichkeit verbot es mir, jetzt einfach abzuhauen. Stattdessen wandte ich mich zur Seite und deutete nach drinnen.

"Komm aber erst mal rein, okay?" Irgendwie hatte ich Angst, dass er sonst den ganzen Tag draußen herum stehen würde.

Er tat wie ihm geheißen und trat ein.

"Du solltest wirklich gehen. Es ist nicht notwendig wegen mir noch später zu kommen."

"Aber..."

"Ich sagte doch, mach dir keine Sorgen um mich. Geh schon. Ich komme zurecht."

Ich seufzte ergeben, griff Jacke, Tasche und Schlüssel und.. stoppte dann wieder. Unschlüssig starrte ich auf meinen Haustürschlüssel und wusste nicht recht, was ich tun sollte. Konnte ich ihm tatsächlich meinen Schlüssel anvertrauen? Er war ein vollkommen Fremder. Alles in mir sträubte sich dagegen jemandem, den ich nicht kannte, derartigen Zugang zu meinem Haus zu überlassen, aber ich sträubte mich noch viel mehr davor, ihn im Haus einzusperren und von ihm verlangen zu müssen, dort zu bleiben. Es blieb mir keine Wahl.

Ich entfernte den Schlüssel aus dem Ring und sah auf.

"Ress?"

Aufmerksam sah er mich an. Wenn er nicht so selbstsicher und kühl gewirkt hätte, hätte er mich an einen Hund erinnert. Ich streckte meinen Arm aus und ließ den Schlüssel in seine offene Hand fallen.

"Der Haustürschlüssel. Ich bin gegen 18 Uhr wieder da. Die Tür kann nicht ohne Schlüssel von außen geöffnet werden, also wäre es schön, wenn du zu Hause wärst, wenn ich heim komme. Ansonsten musst du nicht hier sein oder hier bleiben. Ich hoffe das weißt du. Uhm... sieh dich einfach in Ruhe um und tu was du willst."

Seine Hand schloss sich um das Stück Metall und er ließ den Arm wieder sinken.

"Es gibt keinen Grund besorgt zu sein. Ich werde dich nicht enttäuschen, Shiroto-san."

"Oh, ja. Das. Nenn mich einfach Yuri, ja? Wir wohnen jetzt immerhin zusammen. Alles andere wäre merkwürdig."

"Wie du willst, Yuri."

Ich lächelte ihm vorsichtig zu, erhaschte dann aber einen Blick auf die Uhr.

"Bis heute Abend!", sprach ich noch schnell. Dann machte ich mich auf den Weg.
 

Der Arbeitstag verlief schwierig. Ich war die ganze Zeit mit meinen Gedanken bei meinem neuen Gast. Ein Gast, der sich nicht als solcher sah und sich merkwürdig benahm. Ich fragte mich, wie er das freiwillig mit sich machen lassen konnte. Er wirkte so unglaublich stolz und so distanziert. Sein Wille war nicht gebrochen, er war nicht traumatisiert, dann benahm man sich anders. Aber was wusste ich schon? Er war ein Sklave.. oder wie auch immer man das bezeichnete. Ich begann ihn als 'Diener' zu bezeichnen, weil das Wort 'Sklave' nur Übelkeit in mir hervorrief. Eigentlich, versuchte ich im Allgemeinen nicht daran zu denken. Er war ein Gast, ein Mitbewohner, mehr nicht.
 

Allerdings dachte wohl nur ich so.

Als ich nach einem ewig langen Arbeitstag wieder heim kehrte, traf mich schier der Schlag. Ich bin mir ziemlich sicher, dass meine Wohnung zu diesem Zeitpunkt noch nie so ordentlich und sauber gewesen war. Außerdem konnte ich frisch gekochtes Essen riechen, was eigentlich nicht möglich war. Mein Kühlschrank war seit ein paar Tagen leer. Derzeit war der Lieferservice mein bester Freund.

"Ress?", fragte ich mit Grauen in der Stimme und schlich langsam Richtung Küche. Er hatte die Tür einen Spalt für mich offen gelassen. Wahrscheinlich, damit ich nicht klingeln musste.

"Willkommen zu Hause, Yuri. Was kann ich für dich tun?"

"Hast du.. eingekauft?"

"Ja."

"Und.. aufgeräumt?"

"Ja."

"Und gekocht?"

"Ja. Ist etwas nicht in Ordnung? Du siehst blass aus."

Natürlich war etwas nicht in Ordnung!

"Ress... du.. du weißt, dass du das nicht machen musst, oder? Ich hab den Vertrag nicht unterschrieben, damit du mein... Diener oder so was bist. Wenn dich die Unordnung gestört hat, was mir wirklich äußerst unangenehm ist, dann sag mir das und ich räume auf. Du musst dich um so etwas nicht kümmern."

"Hör bitte auf dir Sorgen um mich zu machen. Du hattest sicherlich einen anstrengenden Tag, ich habe mich lediglich etwas nützlich gemacht."

"Aber du musst wirklich nicht..."

"Ich weiß. Wenn es anders wäre, wäre ich nicht hier. Aber ich will hier sein und ich möchte dir helfen."
 

Das war doch alles gelogen. Ich konnte ihm das nicht glauben. Nicht, solange er diesen Gesichtsausdruck drauf hatte. Egal, was er sagte, er sah dabei immer vollkommen kalt und emotionslos aus. Vollkommen desinteressiert. So benahm sich niemand, dem es ein Bedürfnis war, anderen zu helfen.

"Du musst das nicht sagen.", versuchte ich es verzweifelt. Doch es brachte nichts. Stattdessen drehte er sich einfach um und widmete sich dem Abendessen, das, nebenbei, einfach nur unglaublich lecker roch.
 

Eine Weile lang starrte ich ihn einfach nur an. Jede seiner Bewegungen schien so unglaublich perfekt. Er hatte seinen Mantel mittlerweile abgelegt. Darunter trug er eine Art Weste. Ebenfalls schwarz, mit einem silbernen Reißverschluss in der Mitte. Schwarze Halbhandschuhe gaben langgliedrige Finger frei die elegant das Kochgeschirr umgriffen.

Er hielt in seinen Bewegungen nicht inne und drehte seinen Kopf nur leicht, so dass seine grauen Augen mich dunkel fixieren konnten. Seine Lippen zierte ein kühles Lächeln.

"Ich neige dazu, so etwas auszulösen."

Verwirrt hob ich eine Augenbraue:

"Was auszulösen?" Nun ja, irgendwie konnte ich mir denken, was jetzt kam, schließlich war er sich seiner Attraktivität sicherlich bewusst. Obwohl, andererseits stand nun wirklich nicht jeder auf dermaßen viel schwarz.

Doch er schüttelte einfach nur den Kopf und wandte sich wieder den Töpfen zu.

"Setz dich, Yuri. Das Essen ist fertig."

Damit war das Thema für ihn wohl abgeschlossen. Ob ich versuchen sollte, mehr aus ihm heraus zu bekommen? Ich beschloss es nicht zu tun. Es war ein langer Tag für uns beide gewesen und er war sicherlich auch müde. Müde...

"Ah verdammt! Ich habe noch gar nicht darüber nachgedacht, wo du schläfst."

Das Haus, das ich noch einige Jahre abbezahlten würde, war klein. Ich hatte kein Gästezimmer. Einen Keller, ja, aber der war nicht ausgebaut. Mein Wohnzimmer war recht groß, aber da stand kein Bett.

"Mach dir keine Sorgen um mich."

"Das sagst du jedes Mal. Aber du bist mein Gast hier. Du solltest ein Zimmer haben."

"Das stimmt nicht. Ich bin nicht dein Gast. Ich bin für dich hier. Du hattest einen langen Tag. Iss erst einmal. Wenn es dich so sehr stört, können wir danach darüber reden."

Ich gab mich geschlagen, weil ich nicht streiten wollte und weil das Essen wirklich lecker roch. Mein Magen stimmte mir da leise knurrend zu.

Also nahm ich mir einen Teller und schaute über die verschiedenen Töpfe. Ress ließ mir den Platz den ich brauchte und beschäftigte sich, in dem er den Tisch deckte. Es war mir etwas unangenehm, aber wenigstens ließ er mich selbst mein Essen nehmen.
 

Kurze Zeit später saßen wir dann beide am Tisch, doch nur ich hatte einen Teller vor mir.

"Isst du nichts?" Ich machte mir ein wenig Sorgen darum, dass er vielleicht dachte, dass er keine Erlaubnis dazu hatte oder so etwas. Ich konnte einfach nicht einschätzen, wie er bisher behandelt worden war.

"Ich habe keinen Hunger."

Ob er sich doch Sorgen um die neuen Verhältnisse machte und ihm deshalb der Appetit fehlte? Plötzlich hatte ich selbst keinen Hunger mehr.

Etwas mutlos ließ ich meine Stäbchen sinken und starrte auf das wundervoll duftende Essen.

"Was ist los, Yuri?"

Ich wusste nicht, wie ich das loswerden sollte, was mir auf der Seele lag, aber ich musste es wissen, damit ich einigermaßen im Reinen mit mir selbst sein konnte. Damit ich wusste, wie ich ihn behandeln sollte und damit ich erahnen konnte, was er dachte und empfand. Aber so etwas fragte man nicht. Eigentlich sollte ich warten, bis er es von sich aus erzählte, ihn nicht dazu drängen. Aber es zerfraß mich innerlich, es nicht zu wissen.

"Ress.... ich... darf ich dich etwas fragen?"

"Alles, was du willst."

Die Antwort versetzte mir einen unangenehmen Stich in meinem Herzen. Solch eine Antwort war so unglaublich unnatürlich. Das sagte man nicht zu einem Fremden.

"Wie... wie hat mein Onkel dich behandelt?"

Ich hörte meine eigene Stimme kaum und eigentlich wollte ich die Antwort auch nicht hören. Ich hatte Angst vor ihr. Ich hatte Angst, dass ein Familienmitglied einen anderen Menschen misshandelt haben könnte. Mir stiegen Tränen in die Augen. Tränen der Angst, des Ekels und des Mitleids.
 

Ich hörte wie Ress aufstand und um den Tisch herum kam. Als ich aus den Augenwinkeln sah, wie er sich neben mich kniete, wandte ich mich verwundert zu ihm. Er umschloss vorsichtig meine Hände, eine Geste, die ich nicht erwartet hatte und die so warm und mitfühlend wirkte, dass sie den Damm brach und die ersten Tränen aus meinen Augen tropften.

Ob Ress schon immer so kalte, verschlossene Augen gehabt hatte? Oder ob sie einst voller Leben gewesen waren? Hatte mein Onkel dafür gesorgt, dass er nichts anderes mehr als Kälte empfand?

Zärtlich wischte er mir die Tränen von den Wangen.

"Du weinst um mich, Yuri? Um mich, einen vollkommen Fremden?"

Ich brachte nichts weiter heraus als ein leises Glucksen. Ich wollte meine Augen von ihm abwenden, aus Scham, weil ich so weich war und weil ich die Wahrheit, die ich meinte, hinter seinem Blick zu erkennen, nicht ertrug. Aber ich konnte nicht. Irgendwas hielt meinen Blick gefangen.

"Ich werde aus Respekt nicht über ihn reden, aber ich versichere dir, dass er mir kein Leid zugefügt hat. Ich war gerne bei ihm. Ich habe ihm gerne mein Leben gewidmet. Ich sehe, dass es dir schwer fällt das zu glauben und ich weiß, in dieser Welt ist meine Einstellung nicht normal. Aber bitte vertraue mir, wenn ich dir sage, dass ich nirgendwo lieber wäre, als hier an deiner Seite. Die Tränen die du für mich weinst, sind mir Grund genug dafür."
 

Er zog mich an sich, dass ich vom Stuhl rutschte, und schloss mich in seine Arme. Trotz seiner so wundervollen Worte fühlte ich mich schlecht, denn ich konnte spüren, dass etwas furchtbares dahinter lag. Ich spürte es tief in meinem Herzen, aber für den Moment war ich erleichtert, dass es nicht die Schuld meines Onkels war.

"Mach dir keine Sorgen um mich, Yuri. Es ist alles in Ordnung."

Und zum ersten Mal, seit er heute angekommen war, hatte ich das Gefühl, dass er die Wahrheit sprach.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Mabisu
2016-11-30T00:18:11+00:00 30.11.2016 01:18
Hey :)
Tut mir leid, dass ich nicht früher kommentieren konnte >. < ich hab so viel um die Ohren, dass ich nicht mehr weiß wo hinten und vorne ist >. <

Aber nun zu diesem Kapitel :)
Ich bin begeistert :) man kann so gut mit Yuri mitfühlen :) und ress.. Ja. .. Ist undurchschaubar... Menno :D
Ich bin gespannt wie sie beiden sich in der neuen Situation zurecht finden, was hinter ress steht und und was noch alles passieren wird :3

Hat Spaß gemacht und war eine schöne Ablenkung :3
Liebe Grüße :)
Von: AomaSade
2016-11-21T20:53:50+00:00 21.11.2016 21:53
Hallo Lyndis,

ich bin eben auf deine Story gestoßen und finde den Auftakt sehr interessant. Du hast mich richtig neugierig gemacht. Was hat es mit Ress auf sich? Ich bin gespannt auf die nächsten Kapitel.

Liebe Grüße
AomaSade
Antwort von:  Lyndis
21.11.2016 21:55
Hallo^^

Es freut mich, dich hier als Leser begrüßen zu dürfen! Vielen lieben Dank für deinen Kommi.
Freue mich darauf mehr von dir zu hören.

Liebe Grüße

Lyn


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