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Von Asen & Devas

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Pläne, Erkenntnisse und Geheimnisse

Es war jetzt Sommer, Anfang August um ganz genau zu sein… Und ein normaler Nachmittag in der Villa Phantomhive. Heute sollte ich das große Bad des jungen Herrn putzen. Wie ich grad aus der Besenkammer Lappen, Besen und Putzeimer geholt hatte, kam Maylene mit ein paar Briefen herbei.

„Wigburg! Wigburg! Die Post ist da! Es ist auch ein Brief für dich und Lisabeth da!!“

„Echt!? Zeig!!!“ Und sie gab mit den einen Umschlag und ich sah auf den Absender.

„Er ist von meinem Vater!“

„Oh wie schön!!!“

„Ja, endlich, seit Weihnachten und Ostern hat er nicht mehr geschrieben.“

„Mach auf!!! Was schreibt er denn?!!“

Ich machte den Brief auf und überflog die Zeilen. Aber je weiter ich las, desto finsterer wurde mein Gesicht.

„Wigburg? Ist was passiert?“, fragte Maylene besorgt. Ich schnaubte wütend.

„Lies doch mal vor! Was steht drin?“

„Willst du das wirklich wissen? Ok… Papa schreibt…

„Hallo meine süßen Engelchen,

wie geht es euch? Das mit Oma Inges Erbe ist geklärt, alles ist gut…“

„Eure Großmutter ist tot?“, fragte Maylene betroffen.

„Ja, seit Anfang des Jahres, sie war sehr krank gewesen und auch recht alt. Es kommt aber noch dicker:

"…außerdem habe ich noch tollere Nachrichten für euch! Zwei gute Geschäftspartner von mir haben Söhne in eurem Alter. Die sind noch Junggesellen und rechtschaffende, helle Burschen. Die werden euch gefallen, ich hab auch schon alles geplant und abgesprochen! Wenn ihr demnächst wieder zurück nach Deutschland kommt, wird Hochzeit gefeiert. Ist doch toll oder nicht?

Schreib mir doch mal wann ihr überhaupt nach Hause kommt. Bis dahin haltet euch wacker.
 

In Liebe euer euch Liebender Vater...,""
 

Den letzten Satz las ich mit Abscheu vor, weil es in meinen Ohren wie Hohn klang.

"Oh... Ihr... Heiratet bald?", fragte Maylene vorsichtig.

"Er hatte uns versprochen, dass wir selber unsere Ehemänner aussuchen!!!! Und schon wieder hat er uns betrogen, schon wieder sein Versprechen gebrochen und über unseren Kopf... Ach was sag ich, unseren Arsch entschieden!!!! Als ob wir Ziegen auf dem Wochenmarkt wären!!!!" Ich knäulte den Brief zusammen und pfefferte ihn in die Ecke. Knurrend schnappte ich meine Putzutensilien und wollte gehen.

"Dass du dich betrogen fühlst, glaube ich dir, aber er ist dein Vater. Du solltest mit ihm reden... "

„Ein Dutzend Mal hab ich ihn darauf angesprochen, immer kam ein „Ja, gut, hab verstanden…“ und am nächsten Tag hat er es wieder vergessen mit der Ausrede „Ich will doch nur das beste“. Deshalb haben Lieschen und ich dann sämtliche Freier, die unser Vater vorgesetzt hat, mit verschiedenen Tricks weggekelt, um unseren Vater so eins reinzuwürgen. Er kriecht allen in den Hintern, pfeift auf die Gefühle seiner Töchter, nur damit die Leute auf der Straße nicht sowas wie „Guckt mal, dem Hermans älteste ist schon 19 und immer noch nicht verheiratet.“! So ein feiger Hund ist er geworden…“

„Sag ihm doch einfach dass du und Lisabeth bereits verliebt seid.“ Ich zuckte zusammen.

„Stimmt’s oder habe ich Unrecht?! Du bist verliebt Wigburg, oder?“ Ich seufzte frustriert. Maylene hatte mich erwischt.

„Ja… ich bin verliebt…“

„In wen??? Ich werd schweigen wie ein Grab, Hausmädchen-Ehrenwort!“

„Wirklich? Ok… na gut… es ist Agni den ich liebe…“

„Ha, hab ich mir schon gedacht, auch wenn du in letzter Zeit weniger mit ihm geredet hast. Und Lisabeth in den Prinzen? Er ist nämlich total in sie vernarrt!“, lachte Maylene fröhlich.

„Mein Vater würde das nicht dulden… Na gut, weil Lieschen die Chance hat die Kurtisane eines orientalischen Prinzen zu werden, würde mein Vater in dieser Richtung dulden, aber ich… ich musste mich in einen Diener verlieben…“

„Ich würde trotzdem mit deinem Vater reden. Er will doch bestimmt trotzdem nur euer bestes, erinnere ihn nochmal dran. Er muss auf dich hören, er ist immerhin dein Vater.“ Ich wusste zuerst nicht was ich sagen sollte. Was anderes blieb mir nicht übrig. Da hatte Maylene Recht.

„Ok… ich werde darüber nachdenken… Ich danke dir Maylene… Ich muss jetzt aber los, der junge Herr will bis heute Abend in seinem Bad baden.“

„Natürlich, wir sehen uns. Bis dann Wigburg.“

Im Bad musste ich mich zuerst sammeln, weil der Brief und das Gespräch mit Maylene mich völlig aufgewühlt hatten. Aber wie sollte ich es meinem Vater beibringen? Mir wäre es am liebsten ihm es persönlich zu sagen, aber es wird schwierig…

Seufzend begann ich dann zuerst den Boden zu wischen und kam doch auf andere Gedanken. So nach und nach, besonders als ich mich der Badewanne zu wand, begann ich so verträumt zu singen. Keine Ahnung wie ich auf Runenverse kam, aber ich begann norwegische Runengedichte zu singen, natürlich auf Deutsch wie es meine Großmutter es mir und Lieschen beigebracht hatte.

„Gold verursacht Streit unter Gefolgsleuten; der Wolf lebt im Wald…“ So gedankenverloren sang ich und putzte.

„…Wasser ist, was vom Berge fällt; Es ist eine Kraft, doch Goldgeschenke sind teuer…“ Dabei hatte ich grad den Wasserhahn des Waschbeckens poliert. Keck fuhr ich mit dem Finger drüber, wobei diese Fingerbewegung von der Form an einen kleinen Haken oder eine Musiknote ohne Kopf erinnert. Da…! Mir war als ob mein rechtes Auge kurz warm geworden ist. Wie ich mich kurz ans Auge fasste, bemerkte ich aber, dass der Wasserhahn auf einmal bebte.

„Was zum…?“

PONG!!!!! Ich konnte rechtzeitig dem Wasserhahn ausweichen, der grad aus seiner Verankerung ausschoss, sonst hätte er mich zwischen die Augen erwischt, und kurzdarauf ergoss eine wahre Sintflut sich aus dem Rohr ins Badezimmer und ertränkte mich fast, hätte mich die Woge nicht gegen die Tür geschleudert und ich diese nicht aufgekriegt hätte.

„HILFE!!!!! DER WASSERHAHN IST EXPLODIERT UND ÜBERFLUTET ALLES!!! HILFE!!!“ Ich konnte nicht mal die Tür zumachen, so stark war der Wasserschwall, so dass auch der Flur überflutet wurde.

„HILFE!!!!“, konnte ich nur schreien, wenn ich grad mal kein Wasser im Mund hatte.

„Was ist los…?“

„Wigburg?!“ Bard und Maylene kamen grad herbei und waren schockiert.

„Was ist denn hier los?“

„Ich weiß es nicht!! Der Wasserhahn ist einfach explodiert!!“

„Ach du meine Güte!!! Ich hole Sebastian!!!“ Und Maylene stürmte los, während Bard mir auf die Beine half und versucht die Tür zuzuhalten. Aber dann ließ der Wasserdruck hinter der Tür nach und auch die Flut ließ nach. Kurz darauf kam Maylene mit Sebastian zurück. Dieser hatte offenbar das Wasser abgestellt.

„Was ist passiert Wigburg?“, fragte dieser mit genervter Miene.

„Ich… Ich weiß es nicht… Der Wasserhahn ist aus seiner Verankerung geflogen und das Wasser ist dann einfach rausgeschossen.“

„Mir ist egal wie du das angestellt hast, aber du wirst alles wieder trocken wischen! Um den Wasserhahn kümmere ich mich später.“ Ich konnte nichts dazu sagen.

„Aber Sebastian!“, sagte Bard. „Wie soll unsere Wiggy das hingekriegt haben?! Zaubern kann die ja nicht und so stark ist die net.“ Aber immer noch schwieg ich weil ich nachdachte. Hatte es mit dem Runenvers zu tun den ich zuvor gesungen hab?

Als ich ENDLICH und zu meinem Glück, rechtzeitig fertig geworden war, war ich in meinem Zimmer und wollte mich grade abtrocknen, als es an der Tür klopfte.

„Herein…“, sagte ich automatisch. Aber wie ich erkannte, wer da rein kam, erschrak ich mich doll.

„Chela, ist dir was passiert?“ Agni war grad eingetreten und sah sehr besorgt aus.

„Öh…! Was?! Wie?!!! Äh… Nein… alles gut, alles gut… ich bin nur nass bis auf die Knochen…“

„Bard hatte mir erzählt dass etwas im Bad passiert ist und es deshalb eine Überschwemmung gab.“

„J… ja… und ich kann es mir absolut nicht erklären… Der Wasserhahn ist einfach explodiert und dann… hrmpf… Es frustriert mich einfach, dass ich es nicht erklären kann!“ Agni zeigte dann doch Erleichterung in seinem Gesicht und lächelte wieder freundlich, wie es seine Art war.

„Wie es passiert ist, ist unwichtig. Hauptsache dir ist nichts passiert…“

Wie er das sagte, musste ich wieder rot werden und senkte den Kopf.

“Komm Chela, ich werde dich abtrocknen.“, sagte Agni lächelnd und nahm das Handtuch vom Spiegeltisch.

„Äh… Nein!!! Ich kann mich selbst abtrocknen.“

„Aber das macht mir keine Umstände.“

„Nein, danke Agni, ich mache das selber!“

„Du musst aber schnell trocken werden, eh du noch krank wirst.“

„Ich bin zwar weder Siegfried noch Baldur, aber so schnell werde ich nicht krank!“

Das Protestieren half nichts, er legte mir das Handtuch über den Kopf und begann sanft mein Haar trocken zu reiben. Ich rührte mich nicht und konnte nur noch roter werden, während ich seine Hände auf meinem Kopf fühlte.

„Deine Haare sind so schön…“, hörte ich leise von ihm. Ich dachte schon ich hätte mich verhört.

„Wie bitte?!“

„Oh!“ Agni fühlte sich offenbar ertappt. „Ich meinte… dein Haar ist schon schön…“ Ich starrte ihn verwirrt an. Bildete ich mir das jetzt ein? Agni räusperte sich verlegen.

„Du… ähm… willst dich bestimmt umziehen? Oder?“

„J… ja… Könntest du… dann mich bitte alleine lassen…?“

„Oh, ja, natürlich… Wir sehen uns noch.“ Ich nickte nur bevor er ging. Wieder brannte diese Scham in mir die ich seit dieser Nacht mit Sebastian hatte. Aber diese Scham kämpfte auch mit dem Kribbeln im Bauch, wodurch wieder das bekannte Wonnegefühl dann doch die Oberhand gewann.

„So was wie mit meinen Haaren, sagt er bestimmt nicht so frei raus zu Soma… und dabei bin ich doch eigentlich… oder glaub ich, eine normale Sterbliche für ihn…“ Immer noch mit kochendem Blut begann ich mich auszuziehen. Ich erwischte mich allerdings dabei bei der Vorstellung wie er meine bloße Haut berührte. Eindeutig, ich schwärmte nicht mehr für ihn wie ein junges Mädchen, ich empfand sogar richtiges Begehren, wie es wohl erwachsene Frauen empfanden, von ihm geküsst zu werden reichte mir nicht mehr, ich wollte ihn berühren. Zum Teil schämte ich mich dafür.

„Verdammt… Agni… du machst mich verrückt…“
 

Inzwischen, auf dem Weg zur Küche, denn der Nachmittagstee und das passende Dessert musste ja vorbereitet werden, traf Agni auf Sebastian.

„Ah, Mister Agni, gut dass ich sie treffe. Ich wollte mit ihnen was Wichtiges besprechen.“

„Was Wichtiges? Worum geht es?“

Sebastian zog ein zerknülltes Stück Papier aus seiner Hosentasche und zeigte ihm es nach dem er es etwas entknäult hatte.

"Das ist ein Brief von Peter Herman aus Deutschland an seine Töchter. Den hatte Maylene vorhin entsorgen wollen."

"Oh... Und was steht drin?", fragte Agni.

"Er teilt Wigburg und Elisabeth mit, dass sie bei ihrer Rückkehr nach Deutschland, dann verheiratet werden. Offenbar hat Peter Freier für seine Töchter gefunden."

Diese Nachricht traf Agni wie ein Schlag in den Magen, was er in seinem Gesicht nicht ganz verbergen konnte.

"Stimmt etwas nicht, Mr. Agni?"

"N... N... Nein, nein alles gut. Das... Das ist doch eigentlich eine gute Nachricht.", sagte er und versuchte sogar zu lächeln.

"Allerdings ist mir aufgefallen dass die Mädchen sehr viel Zeit mit Prinz Soma verbringen. Die drei scheinen sehr aneinander zu hängen."

"Natürlich! Die drei sind doch enge Freunde! Auch wenn die Mädchen bürgerlicher Herkunft sind, hätte der Prinz keine besseren Freunde als die beiden finden können."

"Und deshalb wollte ich mit ihnen reden. Ich möchte sie darum bitten, dafür zu sorgen dass der Prinz weniger Zeit mit den Mädchen verbringt."

"Wie... Wieso?"

"Bedenken Sie doch. Dem Prinzen wird es sehr schwer fallen sich von den beiden zu trennen und je mehr Zeit er mit ihnen verbringt, umso schmerzlicher wird der Abschied. Sie wollen doch nicht dass sich das Drama um Meena wiederholt, oder?"

"Nein, natürlich nicht!!!" Agni war schon recht aufgebracht.

"Dann haben sie mich verstanden?"

"ja..."

"Dann ist es geklärt. Ich bedanke mich für ihr Verständnis." Sebastian wollte schon weiter.

"Wann...", fragte Agni leise. "Wann werden die beiden in ihre Heimat zurückkehren?"

"Wenn alles gut geht, nächstes Frühjahr oder Sommer. Die Aktion in der Walpurgisnacht, hat die Queen sehr imponiert, so dass sie den Mädchen einen Bonus gezahlt hatte, wovon ein beträchtlicher Teil auf die Schulden ging. Der junge Herr musste ihr ja auch erzählen dass die beiden sich freiwillig als Köder für die Menschenhändler angeboten hatten." Sebastian lachte leise und vergnügt, als er ging. Agni dagegen, stand einfach nur eine Weile da und versuchte das zu verarbeiten was er grad vernommen hatte.
 

In der Küche saß Agni auf einem Stuhl und rieb sich frustriert das Gesicht.

„Wigburg… und Elisabeth… werden heiraten… Wie soll ich das nur dem Prinzen beibringen?“

Er steckte in einer Zwickmühle. Sebastian hatte Recht, würde Agni nichts sagen würde er denselben Fehler machen wie bei der Sache mit Meena. Aber würde er es Soma sagen, würde das ihm auch wehtun.

"Was soll ich nur tun? Der Prinz liebt Elisabeth. Es wird ihm das Herz brechen wenn er erfährt dass sie bald mit einem anderen..."

Ihm huschten auf einmal auch Bilder von mir durch seinen Kopf, wo ich gehüllt in einem Schleier war und ein fremder Mann neben mir vor einem Altar steht und ich dann diesem Mann meine Hand reichte. Der Gedanke machte ihn fast wahnsinnig und er war nah daran zu weinen.

"Vielleicht mag Wigburg diesen Mann nicht! Oder er behandelt sie schlecht!" Er war völlig unruhig, inzwischen ist er schon aufgestanden und wanderte in der Küche um her. Bis ihm ein Gedanke kam.

"Nein... So grausam ist ihr Vater nicht! Er hat bestimmt diese Männer sehr sorgfältig ausgesucht. Er muss ein guter Mann sein, sonst hätte er nicht so gute Mädchen als Töchter. Ja, er würde bestimmt nur gute Männer für seine Töchter haben wollen... Hoffe ich zumindest... Und hoffentlich wird der Prinz es auch glauben wenn ich es ihm so erkläre." da hörte er von draußen zwei vertraute Stimmen und sah aus dem Küchenfenster, wie Soma und Lisabeth grad vom Treibhaus kamen und Lisabeth dabei einen Korb voll Erdbeeren bei sich hatte. Bei dem Anblick flossen ihn doch die Tränen.

" Nein... Es wäre zu grausam wenn ich dieses junge und reine Glück jetzt zerstören würde. Der Prinz sollte jeden Moment genießen den er noch mit seiner Geliebten hat. Wenn der Zeitpunkt da ist, werde ich ihn darüber aufklären, bis dahin sollte er sein Glück genießen."

"Agni?"

Überrascht wandte er den Kopf und sah mich und Finny in der Küchentür stehen. Finny schleppte die schwere Milchkanne und ich hatte Mehl, Zucker und Eier dabei.

"Ist etwas?", fragte Finny verwirrt.

„Ist dein Gesicht etwa nass? Hast du geweint?"

"Äh, kann sein...", wimmelt er ab und wischte sich das Gesicht ab. „Ich war etwas verzweifelt weil ich dachte wir hätten nicht genug Zimt im Haus für das Dessert."

"Wigburg, war gestern nicht erst neue Gewürze ins Haus gekommen?", fragte Finny jetzt mich.

"Ja, also ist alles gut. Mach dir keine Gedanken."

Tröstend strich ich Agni über die Schulter.

"Legen wir aber mal los um rechtzeitig das Dessert für den Nachmittagstee zu zubereiten. Der junge Herr kriegt heute Lindenblütentee dazu soll Erdbeer-Parfait serviert werden. Legen wir schon los, Lieschen müsste bald mit den Erdbeeren vom Treibhaus kommen. "

"Jawohl!"
 

Zwei Tage später, standen Lieschen und ich in ihrem Zimmer und hatten unsere neuen Sommerkleider an, die die Schneiderin des jungen Herrn angefertigt hatte, auch wenn sie unserer Meinung nach ein bisschen zu lange uns vermessen hatte, besonders am Busen und Po. Den kleinen Luxus, an feinen Kleidern wollten wir uns aber gönnen.

„Ahhhh, guck Schwesterherz! Wir sehen wundervoll aus in unseren Sommerkleidern.“

„Ja, das tut ihr…“ Völlig überraschend stand der junge Earl in der Tür. „Nina hat gute Arbeit geleistet und gute Diener brauchen ab und zu eine Belohnung.“

„Ähm… danke Mylord.“, meinten wir etwas verwirrt und knicksten.

„Aber deswegen bin ich nicht hier. Übermorgen reise ich nach Deutschland und möchte dafür eine von euch mitnehmen. Wir werden im Auftrag der Königin dort sein.“

„Was?! Warum nicht uns beide?“, fragte ich getroffen.

„Ich brauche eine von euch hier. Meine anderen Bediensteten nehme ich zwar auch mit, aber eine von euch muss hier auf Prinz Soma und seinen Butler achtgeben. Aber ich möchte auch eine „Expertin“ für Deutschland dabei haben und wenn ich schon Eingeborene im Haus hab…“ Dann wandte er sich an Lieschen.

„Ich möchte dass du hier bleibst und Wigburg mich nach Deutschland begleitet.“

„Warum muss ich hier bleiben?“

„Weil du den meisten Einfluss auf Prinz Soma hast. Selbst Wigburg ist mir zu nachgiebig und wenn du den Prinzen im Griff hast, dann hast du auch seinen Butler im Griff. Sebastian wollte zwar auch, dass ihr beide zusammen mit uns geht, aber ich will auf Nummer sicher gehen.“

„Verstehe…“, meinte Lieschen traurig.

„Mädels, ich verstehe euch sehr gut, dass ihr ungern getrennt sein wollt, aber ich finde dass es so das Beste ist. Wenn ihr wollt, fahren wir auch in den Ort wo eure Familie wohnt so, dass Wigburg ein paar Grüße ausrichten kann.“

„Sehr gerne!“

„Ja, Mylord. Ihr seid zu gütig.“

„Dann ist alles klar. Du packst morgen deine Sachen Wigburg.“ Und Ciel verließ das Zimmer.
 

Nur zwei Tage später waren wir im Herzen Deutschlands, auf den Weg ins Königreich Bayern, genauer Richtung Nürnberg. Wie seltsam es sich anfühlte, wieder die eigene Muttersprache zu sprechen. Aber noch eigenartiger war es ohne Lieschen zu reisen.

„Niemals werden wir auseinander gehen, oder?“, hatte ich einmal zu ihr gesagt.

„Niemals, niemals.“, hatte sie darauf geantwortet. Wie gerne hätte ich sie bei mir gehabt.

„Naja… dann hat sie ein wenig Ruhe und Zeit für Soma…“ Ich musste etwas schmunzeln bei den Gedanken.

…“Agni… Agni…“ Was war das für eine verlockende Stimme? Die kannte er doch. So schummerig erkannte er wie eine weibliche Gestalt auf ihm saß. Er konnte ihr Gesicht nicht erkennen, war sich aber sicher sie schon mal gesehen zu haben.

„Wer… bist du?“ Sie kicherte verspielt.

„Warum fragst du? Du kennst mich doch…“ Sacht strich sie mit ihrer Hand über seine Brust. Die Hand war warm und war sehr leicht rau, offenbar war sie körperliche Arbeit gewöhnt.

„Ich will trotzdem wissen, wer…“

„Pscccchhhhh…“ Wie sie den Finger auf seinen Mund legte, wallte sein Blut auf.

„Denk nicht nach… Küss mich einfach…“ Und daraufhin, spürte er ihren Mund auf seinem. Ihre Lippen waren weich und anschmiegsam. Er konnte oder wollte sich nicht dagegen wehren, das wusste er selber nicht. Trotzdem schloss er die Augen und legte die Arme um sie. Während sie ihn küsste, roch er den Duft ihrer Haut. Der kam ihm auch vertraut vor. Wildkräuter? Er machte die Augen auf und da!!! War da nicht ein grünlicher Schimmer in ihren Augen?

„Chela!!!!“…

Agni wachte schweißgebadet aus seinem Traum auf. Er schämte und ärgerte sich über diesen Traum. So einen Traum hatte er jetzt zum zweiten Mal gehabt, seit ich mit dem jungen Herrn nach Deutschland aufgebrochen bin.

„Kama… hör auf deine Narreteien an mir auszuleben. Unmöglich dass du einen deiner Pfeile auf mich geschossen hast!“
 

Wir kamen in einem Dorf, Wolfsschlucht genannt an. Dort soll die „grüne Hexe“ leben, die die Gegend mit einem Fluch belegt hatte. Das Dorf wirkte wie als wenn die Zeit nie vergangen wäre, die Bewohner, bis auf den Butler der Hexe alles Frauen, trugen altertümliche Kleidung, auf dem Dorfplatz waren mittelalterliche Folterinstrumente ausgestellt. Obwohl die grüne Hexe sich als 11-jähriges Mädchen mit schwarzen Haaren und smaragdgrünen Augen entpuppte, war es mir doch etwas mulmig. Hatte der junge Herr vielleicht doch mich mit nach Deutschland genommen, wegen meiner „Hexen-Vergangenheit“, denn Sebastian wusste es ja bereits. Das kratzte schon etwas an meinen seelischen Wunden, aber ich versuchte es zu verbergen. Nach dem Essen und einem erschütternden Vorfall im Dorf, herrschte eine bedrückende Ruhe im grünen Schloss. Ich ging, da ich nichts mehr zu tun hatte, im Schloss herum und fand die Bibliothek. Endlich mal ein Raum der beruhigend auf mich wirkte. Ich stöberte etwas in den Regalen, mir fiel allerdings auf, dass die Bücher hauptsächlich Heilkräuter, Geschichten über die Hexen und moderne Chemie behandelten. Eigenartig, dachte ich. Dann entdeckte ich eine deutsche Übersetzung der Edda, quasi die Bibel der Normannen. Diese kannte ich von meiner Großmutter Renate. Meine andere Großmutter Inge, die ja tot war, war einmal ausgeflippt, wie sie gesehen hatte, dass Oma Renate Edda und Bibel neben einander im Regal stehen hatte. Heidnisch und heilig sollten nicht bei einander stehen, hatte sie gesagt doch Renate hatte gesagt, dass die Edda auch heilig ist, wie die Bibel. Etwas wehmütig nahm ich das Buch und blätterte drin rum.

„Das altisländische ist auch drin?“

„Ich wusste du bist anders als die anderen Fremden!“ Ich erschrak und ließ das Buch fallen. Sieglinde Sullivan, die grüne Hexe, hatte mich grad beim Lesen erwischt. Allerdings wurde sie nicht von ihrem Butler Wolfram getragen, wegen ihrer verkümmerten Füße, sondern hatte einen Reifen umgeschnallt an dem Ballons hingen. Offenbar konnte sie so alleine gehen.

„Tut mir leid, Fräulein Sieglinde! Ich… Ich…“ Dabei wollte ich das Buch aufheben.

„Alles in Ordnung. Mir ist aufgefallen, dass du normal redest, anders als die anderen.“

„Ja, ich bin ja auch Deutsche, so wie Ihr und Euer Butler. Die anderen kommen ursprünglich aus England. Okay, Tanaka-san ist Japaner und Bard ist Amerikaner.“

„Aha?! Sehr interessant! Aber ihr seid alle aus der Außenwelt. Wie ist es denn dort?!“ Aufgeregt setzte sie sich auf einen Stuhl und guckte mich mit großen Augen an.

„Tja… äh… anders halt… schwer zu beschreiben… Habt ihr wirklich noch nie das Dorf verlassen?“

„Nein. Ich bin hier solang wie ich denken kann.“

„Bis vor über einem halben Jahr, hatte ich auch meine Heimat auch nicht verlassen, das ist aber eine lange Geschichte.“

„Ach so… Sag mal…“

„Nennt mich Wigburg, Fräulein…“

„Ok… Wigburg… Gibt’s da draußen viele Männer?“

„Öhm… ja… bestimmt genauso viele wie Frauen… Ihr habt bestimmt auch nicht viele Männer gesehen.“

„Nö… den einzigsten Mann den ich kenne ist Wolf, aber der ist ja nur mein Wachhund…“

„Ja, stimme ich euch zu, er benimmt sich schon etwas wie ein knurrender Hund. Mich würde es nicht wundern wenn er ein Werwolf ist…“

„Ist er nicht!!!“, schnitt sie mir das Wort ab.

„Okay?“ Dabei lächelte ich verlegen. Jetzt sah sie mich wieder mit diesen großen Glubschäuglein an, wodurch sie noch niedlicher wirkte als ohnehin.

„Also zurück zu den Männern. Du hattest bestimmt schon ein paar gehabt, oder?!“

„ÄH???“ Was hatte sie grad gefragt?

„Hihihi, na komm keine falsche Bescheidenheit. Bei den dicken Dingern die du hast, müssen die Männer ja Schlange bei dir stehen.“, sagte die Kleine und stupste mit dem Finger gegen eine meiner Brüste.

„FRÄULEIN SIEGLINDE!!!! WAS FÄLLT EUCH EIN!!!“

„Entschuldige, ich dachte ja nur… Du hättest mir auch gleich sagen können dass du noch Jungfrau bist…“

„Nein…“, sagte ich und versuchte meine Tränen zu unterdrücken. „Ich… bin seit einiger Zeit keine Jungfrau mehr…“

„Oh! Und? Wie war es?!!!“

„Ihr… wollt das ernsthaft wissen?!“

„JA!!! Komm erzähl schon! Wie hatte es sich angefühlt? Hattest du sogar einen Orgasmus?!“

„Nein… es war alles andere als schön…“ Meine Gedärme verknäulten sich bei der Erinnerung.

„Was? Aber in meinen Büchern steht was anderes. Da steht es sei eines der schönsten Sachen die es gibt!“

„Vorausgesetzt man will es und man liebt sein Gegenüber…“

„Oh, dann war das bei dir nicht so?“

„Nein… und es hatte sehr wehgetan…“

„Wirklich?“

„Ja… und es floss sogar Blut… dabei…“ Jetzt konnte ich meine Tränen nicht mehr zurück halten. „Ich hab mich so geschämt… Ich wollte mein erstes Mal mit einem anderen Mann haben und zwar mit dem den ich liebte, aber…“ Ich konnte nicht weiter sprechen, denn alles kam in mir wieder hoch.

„Och, komm weine nicht…“ Sie ist von ihrem Stuhl aufgestanden und umarmte mich, auch wenn sie bis zu meinem Bauch reichte.

„Das hab ich nicht gewusst, es tut mir leid… aber bestimmt kommst du mit deinem Liebsten zusammen und dann wirst du bestimmt auch die schöne Seite „davon“ erleben.“

„Ich glaube nicht dass ich je wieder….“

„Ganz bestimmt, immerhin willst du bestimmt später einmal Kinder haben, oder?“

„…Ja… Aber ich will nur welche von ihm… und von niemand anderen…“

„So klingst du schon besser. Alles wird wieder gut, Wigburg!“ Sieglinde lächelte mich fröhlich und kindlich an.

„Danke, Fräulein… Dass ihr an mich glaubt…“ Auch ich konnte wieder lächeln. Schon wollte ich das Buch wieder zurück ins Regal stellen.

„Das kannst du ruhig behalten. Ich hab es schon zweimal durch gelesen, zumindest den deutschen Teil.“

„Wirklich? Danke, Fräulein!“

„Bitte schön, Wolfram und meine Zofen mochten es eh nicht dass ich es lese.“

„Danke Fräulein. Und gute Nacht.“

„Gute Nacht Wigburg.“ Ich ging dann mit dem Buch Edda in mein Zimmer.

„Die kann mir erzählen was sie will! Ich will es tun und weshalb sonst sind die Fremden sonst hergekommen?“
 

Lieschen schlurfte grad früh morgens in die Küche. Obwohl sie sich körperlich erholt fühlte, fühlte sie sich seelisch völlig fertig. Auf den Weg zum Speisesaal traf sie auf Agni, der grad Somas Frühstück dahin brachte.

„Elisabeth? Alles in Ordnung?“

„Alles ok… ich hatte einen schlechten Traum…“

„Oh… wirklich? Ich hatte auch einen schlechten Traum gehabt.“

„Wirklich? Oh… nicht gut? Worum ging es?“ Er schwieg zuerst.

„Das möchte ich dir besser nicht erzählen. Das ist nichts für die Ohren junger Mädchen.“

„Hmmmm, ok….“ Er wollte nicht unbedingt meiner Schwester erzählen dass ich durch seinen Traum gegeistert bin.

Etwas später, wie Soma dann am Tisch saß und frühstückte, standen Agni und Lieschen daneben, wie es sich gehörte. Dann aber seufzte Soma etwas und er sah zu den beiden.

„Das ist doof… setzt euch beide zu mir.“ Die beiden guckten verdutzt.

„Prinz?“

„Aber…“

„Wenn eh alle weg sind, vergessen wir diese Regeln! Frühstücken wir doch zusammen!“

„Prinz… also das…“

„Ok!“, warf Lieschen dazwischen. „Ich hole fix Teller!!“ Gesagt, getan und dann wurde zu dritt gefrühstückt. Agni fand das komisch, aber wie Lieschen und sein Herr zusammen aßen, fand er es dann doch nicht so schlimm. Fast den ganzen Tag danach, wollte Soma dass Lisabeth bei ihm ist. Selbst im Veden-Unterricht sollte sie dabei sein, wobei Soma aber ordentlich abgelenkt wurde, besonders weil sie immer wieder die Übersetzung der heiligen Hindu-Verse hören wollte. Das ärgerte Agni doch etwas, aber nichtdestotrotz merkte er schon dass sein Herr ganz offensichtlich vor Freude strahlte.

„Auch wenn das gegen jede Regel verstößt, so könnte der Prinz doch Elisabeths Herz erobern.“
 

Der junge Herr war verletzt und traumatisiert. Nur Finny ließ er zu sich. Komischerweise fiel auf dass er seinen Namen in der Art rief als ob er eine andere Person meinte.

„Ciel! Es soll aufhören wehzutun!!“ und so sprach er. Sein Geist schien wohl so verwirrt zu sein dass er nicht mehr klar denken konnte, so schien mir und dachte mir nichts. Sebastian wollte bis zu der Genesung seines Herrn Fräulein Sieglinde als Butler dienen, sehr zum Ärger von Herrn Wolfram. Aber Sebastian schien andere Pläne zu haben. Oft lungerte er in der Nähe des Kellers rum, wobei er versuchte Wolframs wachhundartigem Verhalten zu entgehen. Dann aber, unter dem Vorwand er wolle mit mir etwas aus dem Keller holen, buchsierte er mich mit sich.

„Ähm… sollte ich Herrn Wolfram lieber nicht beim Würzen helfen? Er ist darin eher mittelmäßig gut…“

„Doch du wirst mitkommen, das befehle ich dir!“ Da spürte ich es wieder, jenes Ziehen im Herzen, dieses Mal stärker als sonst und mein Geist war auf einmal betäubt, als ob ich im Traume war.

„Ja… Meister…“, sagte mein Mund. Wir traten durch ein Loch das wohl Sebastian in die Wand gerissen hat. Er nahm mich auf den Arm und sprang mit mir in die Tiefe. Mein Geist war immer noch betäubt und mein Wille war schwach. Träumte ich? Wir landeten in einem Raum auf dessen Boden ein Kreis mit eigenartigen Symbolen zu sehen war, mit einer Art kleinem Altar und einem Mondzepter drauf. Ich nahm das nicht wirklich wahr und stand nur teilnahmslos da.

„Nun…“, sagte Sebastian. „…Wollen wir sehen was du drauf hast. In deiner Beweglichkeit kommst du mir gleich, aber auch nur wenn du willst. Also, Wildröschen, was siehst du hier?“

„Was soll ich sehen?“, fragte ich tonlos.

„Jetzt tu nicht so, ich hab dich erkannt. Nutze deine Augen, was siehst du, wenn etwas da ist.“

„Ich sehe nichts…“

„Du hast es nicht mal versucht. Du kennst die Rune dazu. Tu es! Enthülle was dieser Ort verbirgt!“

„Ich weiß es nicht… Ich sehe nichts…“ Immer noch sagte ich es tonlos, wie im Schlaf.

„As! Es ist die Rune As! Sag es! Es ist was versteckt! Enthülle es!“

„As… As…“ Was war auf einmal mit meinem rechten Auge?

„As… As… ist der Allvater, von Asgard der König, und Wächter von Wallhall…“, murmelte ich vor mich hin und mein rechtes Auge glühte.

„JA!! Nutze deine Macht und enthülle das Geheimnis in diesem Raum!“

„…enthülle das Geheimnis in diesem Raum…“ Da plötzlich änderte sich mein Blick, alles schillerte in fremden und düsteren Farben und eine schwarze Gestalt stand vor mir, mit rot glühenden Augen, spitzen, scharfen Zähnen und einem Federkleid von finsterstem Schwarz. Bei dem Anblick wurde mein Geist schlagartig aus seiner Lähmung geholt und ich schrie vor Angst.

„Jesus und heilige Jungfrau, beschützt mich!!! DER TEUFEL!!!“

Fast panisch gab Sebastian mir einen Schlag in den Nacken, so dass ich das Bewusstsein verlor.

„Verflixt! Hat sie meine wahre Gestalt gesehen. Ihre Macht ist stärker als ich dachte… Nun, durch sie werde ich wohl nicht hinter das Geheimnis der grünen Hexe und der Werwölfe kommen…“ Und er trug mich wieder hoch. Wolfram sagte er, ich habe mich in der Dunkelheit gestoßen und sei deshalb ausgeschaltet.
 

Es war Nachmittag, Teatime war rum und Lisabeth saß draußen, in ihrem neuem Sommerkleid und flocht zum Zeitvertreib Blumenkränze. Erst später merkte sie, dass Soma zu ihr kam.

„Oh, hey Soma. Was machst du hier?“

„Och… Einfach dir Gesellschaft leisten.“ Dabei setzte er sich zu ihr. „Machst du die Blumenkränze für deinen Gott?“, fragte er neugierig.

„Ähm… Nein, einfach so… wie kommst du drauf?“

„In unseren Tempeln werden die Statuen unserer Götter mit Blumenketten geschmückt. Deshalb dachte ich das…“

"Ach so. Sag mal...", begann Lisabeth vorsichtig, während sie eine weitere Blume in ihren Kranz flocht.

"Stimmt es dass man euren Göttern Menschenopfer darbringt?" Soma sah Lisabeth auf einmal an als ob sie ihn beleidigt hätte.

"Wer sagt das?!"

"Das hatte mir ein Geschäftspartner von meinem Großvater erzählt, aber ich war da klein. Er hatte mir erzählt wie er gesehen hat, wie eine Jungfrau ganz in weiß auf einem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Das war so erschreckend, dass ich dann geweint hatte. Mama hatte dann aber geschimpft." Sie lachte amüsiert.

"Das war ganz bestimmt keine Jungfrau.", grübelte Soma.

"Woher willst du das wissen?"

"Die einzigen Frauen die in Indien komplett weiß tragen, sind Witwen."

"Witwen???"

"Ja Witwen. Offenbar hat dieser Mann eine verbotene Witwen-Verbrennung, einen Sati-Ritus, gesehen."

"Witwen-Verbrennung?", fragte sie entsetzt.

"Ja, früher war es oft so, dass Witwen mit ihren verstorbenen Ehemännern verbrannt worden sind. Aber das soll abgeschafft werden, weil diese Tradition oft missbraucht wurde, weil man an das Erbe der Witwe wollte. Mein Vater hat schon Gesetze dagegen erlassen."

"Ach so... Bei uns wird so was nicht gemacht. Also hat er das gesehen und gedacht eine Jungfrau wird geopfert. In Wirklichkeit war es dann nur eine recht junge Witwe."

"Ja genau."

"Bei uns tragen die Witwen schwarz und Bräute weiß, als Zeichen ihrer Reinheit und somit Jungfräulichkeit."

Soma lachte.

"Bei uns tragen die Bräute rot, als Glücksfarbe." Jetzt lachten beide.

"Weißt du... Meine Vorfahren hatten wirklich Menschen geopfert...", sagte Lieschen etwas verlegen.

"Was?! Verlangt der Christen-Gott das?!"

"Hihi, nein... Meine Vorfahren hatten zu anderen Göttern gebetet... Aber man opferte Menschen damals nur in höchster Not und der König der germanischen Götter hatte sich für Wissen geopfert. Neun Tage später ist er von den Toten auferstanden."

"Echt? Dann hat dein Volk schon immer an Wiederauferstandene geglaubt!"

"Ja." Beide lachten wieder herzlich. Soma merkte dann dass Lieschen fast keine Blumen mehr für ihre Kränze hatte.

"Ich hole neue Blumen!" Und er eilte davon. Lisabeth lächelte ihm hinterher. Kurze Zeit später kam Soma wieder, mit einem Haufen Blumen verschiedenster Farben.

"Sehr lieb von dir, danke!"

"Bitte schön.", lächelte Soma, ihm machte es sogar nichts aus, dass seine Hände jetzt schmutzig sind. Er sah einfach nur Lieschen zu während sie einen neuen Kranz begann.

"Später möchte ich auch mal ganz in weiß heiraten.", fing sie wieder an.

"Aha?!"

"Ja, mit langem Schleier und Myrtenkranz..."

"Kein Goldschmuck?"

"Hihi... Nein, bei dem Vermögen was meine Eltern haben, nicht."

"Ach ja, stimmt... Das würde ich dir gerne erfüllen!"

"Was?!"

"Ja, das würde ich für dich gerne machen." Dabei grinst Soma breit. Lisabeth wurde rot bei der Vorstellung.

"Mein Brautkleid... Das öhm..."

"Oh!" Soma merkte das und wurde selbst rot.

"Ähm einfach um mal eine Braut in weiß gesehen zu haben... Und weil du mir viel bedeutest..." Verlegenes Schweigen.

" Du hast aber viele Wegwarten gepflückt.", sagte Lieschen, als sie eben eine der hellblauen Blumen hervor zog.

"Ähm... Ja da wuchsen so viele am Wege vorne und ich hab die genommen, weil die so blau sind wie deine Augen..." Er wurde wieder tiefrot und kratzte sich am Kopf. Lisabeth kicherte, bevor sie eine der Wegwarten-Blüten nahm und sie Soma in sein lila Haar steckte.

"Das steht dir recht gut, Soma."

"Danke, Lisabeth..." Beide sahen sich tief in die Augen.

Beide hatten nicht gemerkt, dass Agni die beiden eine Weile durch das Fenster beobachtet hatte. Wie sein Herr da zusammen mit Lisabeth im Garten saß und recht glücklich dabei war, machte ihn auch glücklich. Soma war also schon längst über Meena hinweg gekommen. Dann aber ging er in den Garten.

"Prinz! Die Currybrötchen sind fertig, gehen wir gleich in die Stadt!"

"Ach ja, stimmt. Wir wollten heute ja wieder Currybrötchen an die armen Kinder verteilen, kommst du mit Lisabeth?"

"Gerne! Da werden bestimmt viele kleine Mädchen dabei sein, die würden sich über meine Blumenkränze freuen."

"Das ist eine sehr gute Idee, Elisabeth!", stimmte Agni zu.

"Dann los geht's!" Soma nimmt Lisabeth bei der Hand und ging mit ihr zur Villa, ein wenig Agni entgegen.

"Ähm, bevor ihr Currybrötchen verteilt, solltest du dir besser die Hände waschen, Soma!"

"Stimmt Prinz!" Jetzt hatte Agni das auch bemerkt. "Das solltet ihr besser machen."

"Mensch, Agni! Elisabeth!! Ich bin doch kein kleiner Junge mehr!!!"

"Nein, aber trotzdem! Komm gehen wir.", lachte Lieschen und beide gingen ins nächste Bad.
 

Das Geheimnis der grünen Hexe war doch gelüftet und es war ein Programm des deutschen Militärs zur Entwicklung einer neuen Waffe gewesen. Mit knapper Not konnten wir entkommen, auch wenn Wolfram, der Butler der grünen Hexe schwer verletzt wurde. Aber so zäh wie er war, würde er es bestimmt überleben. Unsere Reise konnte wieder zurück nach England gehen. Wie sehr sehnte ich mich nach meiner Schwester und meinen Freunden. Dann aber, zwei Tage später kamen wir in einer Stadt an. Marburg! Das war nur anderthalb Stunden mit der Kutsche entfernt von meiner Heimatstadt. Der junge Herr wollte in Marburg Station machen, auch wegen Wolframs Wunden. Ich bat den jungen Herrn darum mir für, zumindest heute, mir frei zu geben damit ich nach Birrekopp fahren konnte um meine Mutter zu besuchen, denn es war heute ihr Geburtstag. Wie ich das dem jungen Herr sagte, schwieg er kurz und ich meinte einen Hauch von Trauer gesehen zu haben, bestimmt weil er kurz an seine eigne Mutter denken musste, gab mir aber frei. Sebastian würde mich zu gegebener Zeit abholen. Endlich, endlich!!! Da war ich wieder daheim! Die Linde auf dem Marktplatz, wo die Gasthäuser standen. Die vielen Gassen mit verschiedenen Winkeln und Größen, gepflastert mit Kopfstein, die sich alle dem Burgberg raufschlängelten. Es fühlte sich seltsam vertraut fremd an, nach einem halben Jahr wieder hier zu sein… Mit Mamas Geschenk und gekleidet in meinem schönen neuem Sommerkleid, lenkte ich meine Schritte zu ihrem Haus und klingelte.

„Komme schon!“ Das war die Stimme meiner Großmutter Renate! Die Freude stieg in mir.

Ihre graublauen Augen mit den braunen Flecken leuchteten vor Freude wie sie mich in meinem Sommerkleid und dem kleinen Päckchen in der Hand, vor der Tür stehen sah.

„Nein, sowas?!!! Wiebchen!!! Martina, Kleines!! Guck mal, wer da ist!!!“

„Wer?“ Ich hörte wie ein Stuhl verschoben wurde und dann trat meine Mutter in den Flur. Ihre Augen, so grün wie meine, weiteten sich vor Staunen, bevor einen Moment später ihr wilder dunkelbrauner Lockenschopf mir fast die Sicht versperrte.

„Wiebchen!!! Schnakenhälschen!!! Ach, wie schön dich wieder zu sehen! Was für ein tolles Kleid du trägst! Ist es etwa soweit, habt ihr die Schulden zurückgezahlt?“

„Nein, Mama.“, sagte ich mit Freudentränen. „Aber der junge Herr war wegen eines Auftrags unterwegs in Deutschland und hat mir freigegeben. Und…“ Ich übergab meiner Mutter ihr Geschenk.

„…das ist für dich, alles Gute zum Geburtstag!“

Sie packte es ganz gespannt aus. Es war ein neues Buch.

„“Eine Studie in Scharlachrot“?“, las sie den Titel.

„Ein Kriminalroman, der ist echt gut! Sebastian hat für eine deutsche Übersetzung gesorgt. Den Autoren haben Lieschen und ich sogar persönlich getroffen!“

„Das ist ja toll, danke Wigburg.“ Und küsste mich auf die Wange.

„Du bist aber grade rechtzeitig gekommen, der Erdbeerkuchen ist grad fertig geworden.“, sagte Oma während wir in die Stube gingen.

„Ahhhhhhh!!! Erdbeerkuchen!!“, jauchzte ich voller Vorfreude. „Abgesehen von Agnis Currys, gibt es nichts Leckeres als deinen Erdbeerkuchen, Omi!“

„Wer?“, fragte Oma und Mama lachte.

„Ist das dieser Inder von dem du so viel geschrieben hast, Wiebchen?“, fragte sie dann lächelnd.

„Äh… ja. Der ist es.“ Ich wurde rot vor Verlegenheit und Mama lachte herzlich, während wir uns an den Tisch setzten und Oma mir ein extragroßes Stück Erdbeerkuchen auf den Teller legte. Fast den halben Kuchen verspeiste ich während Mama und Oma mir erzählten was so in Deutschland passiert war, zum Beispiel dass meine Tante Karla Mutter geworden ist und mein Vetter Johannes sein Jura-Studium nächstes Jahr fertig haben würde. Ich erzählte was ich und Lieschen in England erlebt hatten auch das mit den explodierten Wasserhahn, das ich im Grunde jetzt eher komisch als seltsam fand, als ich aber dann zum Vorfall mit der Walpurgisnacht kam, hatte ich zu spät gemerkt, dass ich mich verblabbert hatte, als ich die verdutzten und beinah entsetzten Blicke meiner Mutter und meiner Großmutter sah.

„Was?! Ihr seid in die Fänge von Menschenhändlern geraten?!“ Mama war deutlich erschüttert.

„Ja, aber Agni und Prinz Soma haben uns gerettet, weil sie uns hinterher geschlichen sind. Wir haben nicht mal nen Kratzer bekommen.“

„Dann bin ich beruhig….“

„Wie bitte?“, fragte nun meine Großmutter. „Ihr habt Albträume gehabt die sehr real wirkten und eigenartige Tiere gesehen?“

„Ja… Angeblich soll Agni ein Kreuz in meinem Auge gesehen haben und er und Soma meinten wir hätten geschrien und wie besessen gewirkt.“

Meine Mutter und Großmutter sahen zuerst mich und dann sich gegenseitig an, als ich geendet hatte.

"Ähm, Mama, Oma?"

"Ich glaube, du und Lieschen habt euer Erbe entdeckt.", sagte Oma bedeutungsvoll.

"Erbe? Was?"

"Und bei der Sache mit dem Wasserhahn, ich glaube du hast deinen ersten Runenzauber getan."

"Runenzauber? Sag mal seh ich aus wie Wodan? Das ist doch unmöglich."

"Nun ja, aussehen tust du zwar nicht wie er, aber du hast ein paar seiner Kräfte." Meine Großmutter sah jetzt sehr geheimnisvoll drein.

"Was?!"

"Mama!", warf jetzt meine Mutter ein. "Bitte, lass es! Sie ist dem nicht gewachsen!"

"Martina!", sagte Oma jetzt etwas streng. "Das hast du vor drei Jahren schon mal gesagt! Jetzt ist sie sogar vor dem kaiserlichen Gesetz erwachsen und sie hat bereits gemerkt, dass sie anders ist! Es weiter zu verschweigen hat also keinen Sinn mehr!" Dann wandte sie sich wieder an mich.

"Wigburg, du weißt doch noch was Walas sind, oder?"

"Ja natürlich Oma. Es sind Zauberinnen und Seherinnen aus dem Norden, wo sie Völvas genannt werden, und teilweise unserer Vorfahren. Einige ihrer Prophezeiungen haben auch die Götter erschüttert. Als ich und Lieschen klein waren hast du von fast nichts anderem geredet."

"Und ihr beide habt auch schön fleißig Runen und Runenlieder gelernt."

"Ja und haben Oma Inge damit fast zur Weißglut gebracht. Wir würden heidnisches Zeug lernen, sagte sie."

"Nun ja, aber Protestanten wurden auch als Heiden bezeichnet als sie auf der Bildfläche auftauchten. Aber ihr beide habt es gelernt, weil es euer Erbe ist. WIR sind nämlich Walas. Und du bist eine ganz besondere Wala, Wigburg." Ich starrte meine Großmutter an.

"W... Wir sind Walas?"

"Ja...", gab auch meine Mutter zu. “Wir sind Nachkommen einer Blutlinie von Walas, die im Namen Wodans gedient haben. Unsere Aufgabe, und auch die anderer Walas war es, Könige zu wählen und diese mit unserer Macht zu leiten. Nicht jede Wala trägt den Segen eines Gottes aber sie hatte diese Aufgabe. Aslaug Sigurdsdottir zum Beispiel, unterstand keinem Gott und half ihrem Mann, Ragnar Lodbrock, zur Macht. Eigentlich hätten wir es dir und Lieschen zu eurem 16. Geburtstag enthüllen sollen, aber ich… ich hatte zu viel Angst, ob ihr dem gewachsen seid."

"War... War Aslaug mit uns verwandt?"

"Nein, weil sie nicht den Segen eines Gottes genossen hat. Aber wir, haben den Wodans. Dem König der nordisch-germanischen Götter, Gott der Weisheit, der Magie, des Schicksals, aber auch des Krieges und des Todes."

"Ja und was ist denn mit mir? Oma sagte ich sei eine besondere Wala."

"Bei deiner Geburt habe ich eine Rune in deinem Auge gesehen. Und, erinnerst du dich noch als diese beiden jungen dich verprügelt und dann vor dir geflohen sind?", fragte mich jetzt Oma.

"Ja... Mein Auge hatte sich so warm angefühlt und..."

"Geleuchtet? Ich hatte damals gelogen wie ich sagte, ich würde nichts sehen in deinem Auge, um dich nicht noch mehr zu verängstigen. Ich hatte damals klar und deutlich noch die Rune gesehen, bevor sie nach und nach wieder verschwand."

"Wigburg...", ergriff nun meine Mutter das Wort und sah aus als wenn es ihr schwer fiel es mir zu sagen.“... Du besitzt das rechte Auge des Gottes Wodan... Es verleiht dir große Macht über die Runen."

"Auge... Wodans?..." Dabei fasste ich mir ans Auge.

"Ich habe euch beide auch die Geschichte erzählt, wo Wodan eine Wala von den Toten erweckt hatte.“, fuhr Oma fort. "Sie war unsere Stammmutter, die erste Trägerin von Wodans Auge. Ihre Vorhersagen waren so aufsehenerregend, dass selbst die Götter auf sie aufmerksam geworden sind. Wodan stellte sie in seinen Dienst indem er sie Wasser aus dem Brunnen der Weisheit zu trinken gab, was ihr große Weisheit gab, aber auch Hunger nach Wissen. Und als Zeichen ihres Paktes mit Wodan, bekam sie eine Rune in ihr Auge geritzt. Die Rune "As" weil sie vom Asenkönig erwählt wurde."

"...und da sie so gute Vorhersagen gemacht hatte, hatte Wodan unsere Stammesmutter später wieder von den Toten erweckt um sie nach Baldurs Alpträumen zu befragen, richtig?"

"Ja. Die Kräfte der Walas wurden dann von Generation zu Generation, von der Mutter an die Tochter vererbt, und alle paar Generationen wird eine von uns mit einer Rune im Auge geboren. Welche Rune sie bekam, hing davon ab was das Leben ihr bestimmt hatte. Du bist die amtierende Trägerin mit der Rune "Naud", der Schicksalsrune."

"Das war also das schiefe Kreuz von dem Agni erzählt hatte!!!“

„Ja, das war es. „Naud“ sieht ja auch aus wie ein Kreuz mit einem schiefen Querbalken.“

„Lieschen hatte vermutet, dass es „Naud“ oder „Ar“ war. Aber... Was macht eine Wala genau aus? Was sind unsere Fähigkeiten?“, fragte ich nun.

"Sie hat die Gabe Runenzauber zu verwenden, allerdings wirkt diese maximal 3 Stunden. Die Trägerin von Wodans Auge kann aber längere Zauber wirken. Angeblich kann sie sogar Tote wieder erwecken, wie einst Wodan. Von einem Fall hab ich gehört, allerdings starb diese Wala als sie ihren König ins Leben zurück gebracht hatte. Sie gab ihr Leben für ihren König. Das war die Bedingung dafür, dass die Trägerin von Wodans Auge sich für ihren König opfert. Natürlich kann das nur eine erfahrene Wala, du bist noch Anfängerin und ich bete darum, dass du dich nicht für deinen Königskandidaten opfern musst."

"Wir sind also doch irgendwie Hexen?"

"Nein, was einer Hexe am nächsten kommt, ist eine Seidr. Aber diese wählen keine Könige, was unsere Aufgabe ist und haben keine prophetischen Träume. Alle Walas können Visionen aus der Zukunft empfangen, entweder im Schlaf oder unter dem Einfluss betäubender Substanzen. Ich fürchte, das was du und Lisabeth gesehen habt, war eine Vision."

Ich schwieg und versuchte mich an die Geräusche zu erinnern, die ich in diesem Augenblick wahrgenommen hatte. Pistolenschuss und klingen einer Klinge gehörten wahrlich nicht zu einem Hirsch und einem Wolf.

"Ob... Etwas passieren wird... Was schreckliches?"

"Ich fürchte ja, der Hirsch war oft in Visionen das Symbol für den König den man gewählt hat. Den Rest kann ich nicht erklären...", sagte meine Großmutter besorgt. "Weiß du wer es sein könnte? Dein Königskandidat?"

"Naja... Soma würde einen guten König abgeben. Seitdem er in England ist, hat er sich gut entwickelt, ist nicht mehr so egozentrisch und verwöhnt. Unseren Kirschmichel zum Beispiel isst er gerne, trotz dass altes Brot drin ist."

"Hmmm, ein verwöhnter Prinz der Bescheidenheit gelernt hat... Klingt nicht schlecht...", meinte Mama.

„Aber… eines verstehe ich nicht… Wenn ich es von Geburt an hatte, warum ist es mir erst in letzter Zeit aufgefallen?“

„Nun ja, ich vermute es ist Angst.“, sagte meine Mutter. „Da dich die anderen Kinder immer drangsaliert haben, hast du aus Angst dich verstellt und somit deine Kräfte unterdrückt. Das ist wohl immer ausgebrochen wenn du wütend oder aufgeregt warst.“

„Stimmt, der Vorfall mit Sahra, am Tag bevor sie… Das hatte sie, wie Jungen für den bösen Blick gehalten.“

„Etwas muss deine Angst gelöst haben, so dass es wieder zum Vorschein kommt. Aber du musst trotzdem lernen deine Kräfte zu kontrollieren!“

„Ja, ist mir klar. Ich glaube ich weiß auch was meine Angst gelöst hatte…“ Beim letzten Teil des Satzes hatte ich verträumt die Lautstärke meiner Stimme gesenkt.

"Ich hätte nicht gedacht, dass wir doch noch mal einen König wählen würden. Ich hab sogar gedacht Wodan hätte uns vergessen und wir würden aussterben. Aber offenbar hat er Großes vor.", sagte Oma euphorisch.

"Mama, das können wir nicht wissen, aber alleine, dass eine neue Trägerin geboren wurde, zeigt doch, dass Wodan uns nicht vergessen hat. Und so schnell sterben wir nicht aus!", sagte meine Mutter streng.

"Ich habe was ähnliches wie Agni...", flüsterte ich mit glühenden Wangen. Darauf wurde meine Mutter aufmerksam.

"Was? Was hast du ähnliches, Schnakenhälschen?" Dabei lächelte sie verschmitzt.

"Du, Mama... Der indische Butler hat was Ähnliches wie ich! Mit der rechten Hand Kalis ist er unglaublich stark und präzise! Seine Gewürzmischungen sind einmalig!"

"Hmm... Stammt er aus einer ähnlichen Blutlinie wie wir?", meinte Oma nachdenklich, während meine Mutter ein fröhliches Lächeln trug.

"Ähm... Das weiß ich nicht..."

"Hast du ihm mal gefragt?"

"Ja schon... Irgendwie, aber wie ich ihn gefragt hatte, was er gemacht hatte bevor er in Somas Dienste ging oder ob er Geschwister hat, da weicht er mir immer aus und wechselt das Thema."

"Du weißt also gar nichts von ihm?", fragte nun meine Mutter, doch etwas besorgt.

"Doch ich kenne ihn!!!!", widersprach ich. "Er ist warmherzig, gütig und würde niemals jemanden wehtun! Nicht nur seinen Herrn, sondern auch mich hatte er oft genug beschützt! Agni ist ein wunderbarer Mann, den man völlig vertrauen kann!" Mama lächelte wieder.

"Du bist in ihn verliebt, oder?"

"Ähm... Ja..."

"So wie deine Augen das letzte Mal geleuchtet haben, hattest du von Timtheus geschwärmt, weißt du noch? Der Neffe vom Bürgermeister."

"Timtheus? Ach der!!! Den hab ich völlig vergessen!"

Meine Mutter lachte dann fröhlich.

"Das ist wohl wahre Liebe, wenn dieser Mann dir Timtheus aus dem Kopf vertreiben konnte. Also gut... Ich würde gern ihn und seinen Herrn kennenlernen, die beiden Männer die meine Töchter vor Menschenhändlern gerettet haben. Und ich möchte auch gerne wissen wie euer Königskandidat ist."

"Gerne Mama, Lieschen würde dir Soma vorstellen, sie liebt ihn wie ich Agni liebe."

"Hihi, der Klassiker, die Wala verliebt sich in ihren eigenen Königskandidaten.", meinte Oma.

„Oma…“,sagte ich etwas herausfordernd. „…Sowohl ich als auch jede weibliche Verwandte von uns sind Walas und können Runenzauber benutzen, richtig?“

„Ja, meine Großmutter, Mutter aber auch meine Schwester konnten es, ebenso deine Mutter und deine Tanten und Basen. Später auch deine Töchter und Nichten und deren Töchter, wenn ihr lernt und trainiert.“

„Kannst du mir eine Kostprobe geben, liebstes Omchen?“ Oma lächelte verschmitzt, wie ich es von ihr kannte.

„Meinetwegen, schau!!“ Sie deutete auf die Tasse, aus der sie grad Kaffee getrunken hatte. Dann zeichnete sie mit dem Finger eine Rune drauf, die an ein „F“ erinnerte.

„Vergolde dich, FE!“ Und die Tasse glänzte wie Gold. Ich staunte.

„Wahnsinn!!!!“

„Du übertreibst mal wieder, Mama!“, lachte meine Mutter.

„Ach was, in drei Stunden sieht die Tasse wieder normal aus.“

„Ich will es auch versuchen!!!“ Und schnappte meine Tasse, zeichnete die Rune „Fe“ drauf und wiederholte: „Vergolde dich, FE!!“ Nichts passierte.

„Du bist noch Anfängerin. Für den Anfang sagst du den passenden Runenvers dazu. Allerdings gibt es Unterschiede ob du isländische oder norwegische Verse verwendest. Wenn du isländische Verse verwendest, sind die Zauber gezielter, kosten aber mehr deiner Lebensenergie.“

„Was? Lebensenergie?“

„Von nichts, kommt nichts, das habe ich euch auch beigebracht!“, sagte Oma. „Einige Zauber wie für „Kaun“, „As“ oder „Madur“ verbrauchen besonders viel Energie. Verbrauchst du alle Energie in dir, hast du nicht mal mehr Kraft um deinen letzten Atemzug zu machen.“

„Verstehe… also isländische Verse bringen höhere Präzision aber höherer Energieaufwand…“

„…Und norwegische weniger Aufwand, dafür weniger Präzision, wie bei der Sache mit dem Wasserhahn. Aber vielleicht entwickelt es sich mit den kommenden Generationen.“

„Ok… Verstanden. Nochmal…“ Nun malte ich wieder die Rune auf die Tasse und sprach: „Es ist der Freunde Zwist und Feuer der Meere und des Lindwurms Lager. Vergolde dich, FE!!“ Und tatsächlich!!! Die Tasse wurde golden, aber auch der Kaffee und die Untertasse!!!

„Hoppla!“

„Ach herrje! Schnakenhälschen… das war zuviel des guten…“, meinte meine Mutter aber mit deutlichem Stolz im Gesicht.

„Wie gesagt, du hast zwar Wodans Auge, musst aber trotzdem deine Kräfte beherrschen lernen.“, sagte Oma. „Versuch es rückgängig zu machen, mit derselben Rune.“ Zum Glück gelang es mir, aber dann spürte ich ein Sausen im Ohr.

„Was hab ich auf einmal?“

„Das war genug für heute! Noch mehr und du wirst ohnmächtig. Aber das kannst du wie gesagt trainieren, wie Muskeln. Deswegen wurden wir früher gejagt und gefürchtet. Man wollte uns entweder benutzten oder vernichten. Das ist zum Glück heutzutage anders.“

„Ok, verstehe… Und der Beruf des Kräuterweibes war Tarnung… aber ich werde Üben und Lieschen zum Training bringen!“

„Sehr gut, Wigburg…“ Da klingelte es an der Tür und meine Mutter ging dahin.

„Frau Schmidt?“

„Ah, Frau Herman!“ Es war die etwas sehr neugierige Nachbarin. „Ich wollte nur ihnen Kuchen vorbeibringen, vielleicht auch eine Tasse Kaffee mit ihnen zu ihren Geburtstag trinken.“

„Nein danke, und ich habe es ihnen gesagt, dass ich wieder Smets heiße!“

„hmmm na, „was Gott zusammen bringt, soll der Mensch nicht trennen.“ Ich glaube fest daran dass Sie und ihr Mann wieder zusammen kommen, ihre Töchter brauchen ihren Vater, sonst tanzen sie ihren späteren Ehemännern auf den Nasen rum!“

„Sagen sie, das den Witwen mit Töchtern und den Teufel werde ich tun und mit diesem Wendehals von Mann wieder zusammenkommen!“

„Sie sind aber seine Ehefrau…“

„GEWESEN!!!“ Mama wurde wütend.

„Naja… ich wollte sagen, dass ich Gerüchte gehört habe dass ihr Mann in der Gegend ist. Vielleicht ergibt sich ein Gespräch…“

„Ich sehe es nicht ein dass ich mein Versprechen ihm gegenüber einhalte, während er seines kackendreist bricht! Zu einer guten Ehe gehören zwei! Und beide müssen diese Ehe erhalten!“

„Naja… Männer haben Schwächen…“

„Ein guter Mensch beherrscht seine Schwächen, das gilt für Männer und Frauen!! Und jetzt verschwinden Sie!!!“ Dabei hielt sie abweisend die Hand entgegen und Frau Schmidt erzitterte.

„Frau… Herman…“

„Verschwinden sie!“ Sie ließ den Kuchen fallen und rannte davon. Oma trat zu ihr.

„Du hast die Rune „Thurs“ an ihr verwendet, Martina!“

„Ja… Diese Frau geht mir seit Ewigkeiten auf den Geist“

„Wir Walas verwenden nicht unsere Kräfte für persönliche Zwecke!!! Hast du das vergessen?!“

Ich hatte nur zugehört und war erschüttert.

„Thurs?“

„Diese Rune weckt Angst im Herzen, vermutlich weil man dadurch wie ein Riese wirkt.“

„Verstehe… Aber was hat Papa in der Gegend zu suchen? Hast du nicht im letzten Brief erwähnt dass er nun in Köln arbeitet?“

„Ich weiß es auch nicht… Aber es ist ein Gerücht.“, sagte Mama seufzend und setzte sich wieder an den Tisch.

„Oma, erzähl mal, was für Wirkung jede Rune hat.“

„Na gut, gerne. Vielleicht fallen dir mehr Kombinationen ein als mir in deinem Alter.“ Und so verbrachten wir die nächsten 4 Stunden mit reden über Runenzauber und deren Wirkung und Kombinationen.

„… Und „Kaun“ und „Sol“ ergeben Feuer!“

„Ja, Wigburg! Sehr gut! Das mit dem bösen Doppelgänger hätte ich nicht erdacht!“, sagte Oma amüsiert.

„Oh ja, das wäre was für Streiche.“

„Vergiss nicht!!! Nicht für persönliche Zwecke verwenden!“

„Och Oma… nur ein kleiner Spaß…“

„Wann musst du wieder zu dem Earl, Wigburg?“, fragte Mama.

„Um sieben wollte sein Butler Sebastian mich auf dem Marktplatz abholen.“

„Es ist schon halb sieben, du solltest dich besser auf den Weg machen!“, mahnte Mama.

„Och schade… ich wäre gerne länger geblieben.“

„Geh schon… schließlich wartet Lieschen in England auf dich.“, sagte Mama.

„Stimmt! Ich bestelle schöne Grüße von euch beiden.“

„Mach das und vergiss nicht: Offenbare Lisabeth euer Erbe und passt ihr beide auf euren Königskandidaten auf!“

„Mach ich Omi.“
 

Da war ich nun auf dem Marktplatz, grad wollte, um mir die Zeit totzuschlagen, ich eine Tüte Kirschen kaufen als ich meinen Namen hörte.

"Wigburg?!" Ich kannte die Stimme sehr gut und drehte mit großen Augen mich um. Der blonde Mann mit backen- und Schnurrbart und einer Andeutung einer Glatze hatte dieselben himmelblauen Augen wie Lisabeth.

"Papa! Was machst du denn hier? Mama sagte du arbeitest in Köln."

Ehe ich eine Antwort bekam drückte mein Vater mich eng an sich und knuddelte mich vor allen Leuten.

"Papa!!"

"Ach Engelchen!!! Endlich sehe ich dich wieder!!! Du hast mir noch gar nicht geschrieben! Ich hab überhaupt nicht mit dir gerechnet, ich dachte ihr kämt später nach Hause! Hätte ich das gewusst hätte ich zu meiner Reise noch ein paar Tage frei genommen, ich bin nämlich geschäftlich in der Gegend. Wie schön, dass ihr wieder da seid!"

"Papa! Nur ich bin nach Deutschland gekommen. Der junge Herr hatte hier einen Auftrag im Namen von Queen Victoria machen müssen."

Sofort ließ er mich los und guckte mich etwas verwirrt an.

"Ach wirklich?"

"Ja. Ich bin hier in Birrekopp, nur weil wir in Marburg Station gemacht haben, wegen der Gesundheit einer unserer Mitreisenden und weil Mama Geburtstag hat."

"Ach so, na das ist ja nett von dem Earl dir frei zu geben. Aber egal, lass dich mal anschauen! Dünn bist du geworden! Gibt man dir und Lieschen nicht genug zu essen?!!"

"Nein Papa, Im Gegenteil. Wäre die körperliche Arbeit im Haus nicht da, würden Lieschen und ich wegen der Kochkünste von Sebastian und Agni..." Ich stockte weil mir was Wichtiges einfiel.

"Ach so... Na wenn das so ist dann ist es ja doch gut. Aber du musst doch wieder was auf die Rippen kriegen! Komm gehen wir ins Kaffeehaus, ich gebe dir ordentlich Kuchen und Kaffee aus."

"Mir wäre Tee lieber... und ich hatte schon Kuchen bei Mama…"

Aber wirklich, seit ich in England war, trank ich eher Tee als Kaffee. Zum Glück hatte das Kaffeehaus schwarzen Tee im Angebot, nur leider nicht von so hoher Qualität wie in England.

"Nun Engelchen, erzähl mir mal was du und Lieschen erlebt habt. Und wie es in England so ist."

Und ich begann dann zu erzählen, auch wenn ich den größten Teil meiner Erzählung in meinen Briefen geschrieben hatte. Nur mit der Walpurgisnacht erzählte ich nicht, Papa hätte sich dann nur wieder mal unnötig aufgeregt.

"Ohhh!!!! Ihr habt wirklich die Königin in Fleisch und Blut gesehen?! Und einen echten orientalischen Prinzen habt ihr im Hause?", fragte Papa nun, wodurch ich den Eindruck bekam, dass er unsere Briefe wohl nicht gelesen hatte.

"Ja und er ist mein und Lieschens bester Freund. Wir haben ihn schon dazu gebracht Kirschmichel zu essen und er hatte ein beinah essbares Brot selbst gebacken." Bei der letzten Sache musste ich kichern, weil Soma Stärke anstatt Mehl verwendet hatte und er am Ende total mit dem klebrigen Teig zugekleistert war. Zum Glück war Agni an dem Tag nicht im Haus, sondern sollte mit Sebastian was in der Stadt besorgen, der hätte ein großes trara gemacht.

"Ach wirklich, na sowas. Ihr seid ja immer noch so kleine Wirbelwinde wie daheim! Am Ende wäscht der Prinz ja noch seine eigene Wäsche alleine, wenn ihr ihn so weiter behandelt."

"Hihi, keine Sorge, das würde sein Butler nicht zulassen." Da musste ich mein Lächeln doch wieder zurück nehmen, als ich an Agni dachte und dabei meinen Vater ansah. Ich musste es tun! Ihn seine Hochzeitspläne ausreden. Für Lieschen, für Agni und für Soma. Wie genau wusste ich immer noch nicht, aber ich dachte an die Kraft in meinem Auge, und wollte mich auf meinen Instinkt verlassen.

"Ähm Papa..."

"Ja, Engelchen?"

"Du... Ähm... Hast Freier für mich und Lieschen gefunden oder...?"

"Ja das hab ich und ich bin mir sicher ihr vier werdet euch prächtig verstehen! Dieses Mal hab ich die Jungs besonders sorgfältig ausgesucht. Der eine hat sogar dunkle Haare, solche Männer magst du doch besonders gerne..."

"Papa, es ist so... Nun ja... Lieschen und ich... Wir beide haben je jemanden kennen gelernt..."

"Wie bitte?!", mein Vater starrte mich an.

"Zwei wunderbare Männer... Ehrlich und freundlich... Wir..."

"Haben etwa..." Papa war von seinem Stuhl aufgesprungen.

"Haben etwa zwei englische Gentlemen euch den Hof gemacht?!", fragte er mit freudigem Glänzen in den Augen.

"Ähhhh... Nicht ganz... Aber wir verstehen uns echt gut... Es ist so..."

"Sind die beiden adelig?!" Mein Vater geriet fast in Euphorie.

"Ähm... Ja..." Was redete ich da?! Nur Soma ist adelig! Doch schon machte mein Vater ein Freudentänzchen bevor er mich wieder an sich drückte.

"Das sind ja tolle Neuigkeiten!!! Ohhh, Wiebchen, Wiebchen, Wiebchen, ich kann dir gar nicht sagen wie glücklich mich das macht! Ich freue mich so sehr für dich und Lieschen! Du musst mich unbedingt den beiden mal vorstellen! Ich will gerne die Burschen kennen lernen, die um die Hände meiner über alles geliebten Töchter anhalten!"

"Heißt das, wir werden nicht heiraten?“

"Aber Engelchen, wenn du schon jemanden kennen gelernt hast, der dir auf Anhieb gefällt, werde ich dich doch nicht in etwas hinein zwingen, was du nicht willst! Die beiden Jungs die ich ausgesucht habe werden es verstehen, mach dir keine Gedanken darum, aber stelle mich doch bei Gelegenheit den beiden vor."

"Ähm... OK, Papa... " Nur wird er nicht wirklich glücklich darüber sein, dachte ich mir. Es würden zwei Inder sein und einer ist nicht vom adeligen Stand. Lieschen würde nur hoffen können Somas Frau zu werden, sie könnte besten falls seine Kurtisane werden. Agni würde mich schon ernähren können aber er ist nur ein Diener. Papa würde nicht glücklich sein, aber zumindest hab ich diese ungewollte Hochzeit verhindert. Doch dann sah ich eine Kutsche vor der Haustür und ein schwarzhaariger junger Mann stieg aus.

"Oh!! Da ist Sebastian!", sagte ich leise. Nur leider haben Papas Rhabarber-Ohren das mitgekriegt und er wandte den Kopf.

"Ohhhh... Was ist das denn für einer?", fragte er beeindruckt.

"Ich geh kurz auf die Toilette, er ist gekommen um mich abzuholen." Und ich verschwand. Dagegen ging mein Vater nach draußen, schnurstracks auf Sebastian zu, um ihn wie irrer die Hand zu schütteln. Sebastian sah nur verdattert den blonden Mann mittleren Alters mit Freudentränen in den Augen an, während dieser beim Händeschütteln mit sehr gebrochenen Englisch auf ihn einredete.

"Mein Herr...", sagte Sebastian höflich mit akzentfreiem Deutsch, aber mit deutlichem Spott im Gesicht.

"Sie können ruhig in ihrer Muttersprache mit mir reden, geben sie sich nicht die Mühe..."

"Sie sprechen auch deutsch?! Oh Mann, das freut mich! Junger Mann, sie sind wahrlich ein Mann von Stand, das sieht man ihnen auch an, kein Wunder, dass meine Tochter in sie vernarrt ist!"

"Ihre Tochter? Sie sind doch nicht etwa Peter Wolfgang Adolf Herman?"

"Ganz recht mein Junge! Wigburg, meine älteste hat davon geredet, dass sie und meine jüngere Tochter sich zwei ehrenwerten Gentlemen versprochen haben. Sie... Entschuldigen Sie, ihr Name ist mir entfallen..."

"Sebastian Michaelis, das ist mein Name mit dem mein Herr mich ruft."

"Ihr Herr? Ah, bestimmt sind sie Fürst im Gebiet eines Herzogs! Michaelis, das ist ein echt edler Name, mich würde es ehren wenn mein Fleisch und Blut ihn bald tragen würde! Sie und Wigburg, ihr beide habt meinen Segen und ich bitte, dass Sie gut mit meiner Tochter umgehen. Ich habe einige Dinge getan auf die ich nicht stolz bin und ich will daher, dass meine Töchter es später besser haben als jetzt. Versprechen sie mir, dass sie gut für meine Tochter sorgen? " Über Sebastians Gesicht huschte ein teuflisches Lächeln.

"Keine Sorge, ich werde ihre wertvolle Tochter hüten wie meinen Augapfel."

"Danke mein Junge." Schließlich kam ich wieder und ich verabschiedete mich von meinem Vater, bevor ich zu Sebastian in die Kutsche stieg.

"Dieser närrische und oberflächliche Mensch. Er sieht nur das, was er sehen will. Das einzige gute was er wohl vollbracht hat ist, die Trägerin von Wodans Auge zu zeugen und groß zu ziehen. Aber ich werde mich gut um seine Tochter kümmern, sogar um beide."

„Und Wigburg… Hast du den Tag mit deinen Eltern genossen?“, fragte mich Sebastian als wir losfuhren.

„Ähm… ja, es war toll. Und recht lustig. Ich hab sie so vermisst… Schade dass Lieschen nicht dabei war…“

„Ja wirklich schade… Lisabeth hätte mit dir, deiner Mutter und Großmutter bestimmt viel zu plaudern gehabt, nicht wahr.“ Dabei legte er den Arm um mich und sah mir tief in die Augen. Woher wusste er dass ich mit Oma geredet hatte? Doch plötzlich spürte ich wieder einmal dieses Ziehen im Herzen. Ich glaubte sogar, keine Luft mehr zu bekommen.

„Ihr habt bestimmt ein sehr tiefes Familiengespräch geführt, nicht wahr? Hast du eventuell neue Talente entdeckt, Wildröschen?“

„Se…bastian… Was, zum Geier bis...“ Dann schwand alles um mich…
 

Es war wieder ein normaler Tag, der zu Ende ging. Allerdings fürchtete Agni sich wieder vorm Schlafen. Immer wieder hatte er diese seltsamen Träume wo er mich, nackt und mit süßen Worten flüsternd, bei sich hatte. Ihm graute es fast davor von mir im Traum geküsst zu werden. So war es aber auch diese Nacht. Er träumte, ich umarme ihn von hinten und würde mit weichen Lippen seinen Hals und Schultern küssen. Agni kniff dabei die Augen fest zu und versuchte sich im Griff zu halten. Er spürte auch meine Brüste auf der Haut seines Rückens.

„Bitte, lass mich…“, sagte er mit zitternder Stimme.

„Warum? Das wünscht du dir doch, oder?“

„…Irgendwie… aber ich darf nicht, du gehörst bald einem anderen…“

„Ist das der einzigste Grund?“

„Ich… will… ich will auch nicht dich anlügen… oder dass du mich für die Wahrheit hasst…“

„Ob ich dich hasse oder nicht, entscheide ich… und ich werde die Wahrheit herausfinden… Auf der Schwelle des Todes…“

Irritiert von dieser Aussage, wandte er den Kopf aber…
 

Agni erwachte und starrte in das Dunkle.

„Ich muss auf andere Gedanken kommen… Warum muss Wigburg auch mit solchem Liebreiz gesegnet worden sein? Lakshmi hatte es zu gut gemeint bei ihr…“

Er zog sich an, hing sich den Mantel um und ging raus, ohne dass sein Herr oder Lisabeth was merkte.

Die kühle Luft der Nacht vertrieb ein wenig seinen Gedanken. Ziellos wandert Agni durch die Straßen Londons und landete im Eastend. Er erinnerte sich noch gut, vor einem halben Jahr war er mit seinem Herrn zum ersten Mal Ciel und Sebastian begegnet. Zwei Tage später waren er und Soma auch mir und Lisabeth… Agni ärgerte sich etwas weil er wieder mich in seinen Gedanken hatte. Er seufzte traurig und überlegte zurück zu gehen. Das sah er jemanden an der Straßenlaterne vorbei huschen. Er konnte nur erkennen, dass es eine Frau mit langem, braunem Haar war.

„Wigburg?“, dachte er sich und ging hinterher, obwohl er wusste dass es unmöglich ich sein konnte. Er erreichte sie und fasste sie sacht von hinten an der Schulter.

„EY!!! Pfoten weg, du…!“ Beinahe hatte die Frau ihm eine geknallt, hätte Agni nicht rechtzeitig den Kopf weggezogen.

„Oh Verzeihung, Miss! Ich wollte Sie nicht belästigen…“

„He, eine ganz originelle Ausrede. Und warum hast du es doch getan?!“, fragte sie zickig. Agni hatte aber genug Zeit, die Frau näher zu betrachten. Sie war stark geschminkt, hatte eingefallene Augen und Wangen, aber trug sehr offenherzige Kleidung. Ganz offensichtlich hatte er eine Prostituierte vor sich, die, wie auch andere arme Frauen, ihrem Geschäft im Eastend nachging.

„Ähm… für einen Augenblick haben Sie mich an jemanden erinnert.“

„Hmmm, an die Lady bei der du wohnst und auf die du stehst?“, fragte sie nun spöttisch lächelnd.

„Nein! Ühm… an eine sehr liebe Freundin von mir. Momentan ist sie im Ausland…“

„Und du fühlst dich einsam?“, löcherte sie ihn weiter und strich mit dem Finger sacht über seine Brust. Agni biss sich auf die Lippe und versuchte nicht in ihren Ausschnitt zu starren.

„N…Nein… Ich wollte nur auf andere Gedanken kommen… Und ich konnte vorhin nicht schlafen…“

„Vielleicht kann ich dir dabei helfen, dich auf andere Gedanken zu bringen…“ Dabei kam sie noch ein Stückchen näher. Agni fühlte sich nicht wohl in seiner Haut.

„N…n…nein danke… Ich sollte lieber wieder heimgehen.“ Er wollte sich schon umdrehen aber sie hielt ihn an der Schulter fest.

„Warum denn? Ich seh es dir doch an, dass dich was bedrückt. Bestimmt verspricht dir diese Freundin als was und lässt dich zappeln, das wird aber heute ein Ende haben. Normalerweise bediene ich keine Inder, aber da du so nett zu mir bist, mach ich bei dir eine Ausnahme.“

„Aber… ich hab kein Geld dabei…“

„Du kannst auch morgen zahlen. Aber vergiss es nicht, sonst verpetzt ich dich an Scotland Yard!“ Und die Prostituierte lenkte ihre Schritte die Straße hinunter. Agni zögerte und sah ihr nach. Er dachte nach. War das ne gute Idee? Würde es ihm wirklich helfen etwas „Dampf abzulassen“?

„Vielleicht hilft es mir wirklich auf andere Gedanken zu kommen, auch wenn das da eine schmutzige Dirne ist! Anders als sie…“

Sie erreichten die Wohnung der Prostituierten, die nur aus einem Zimmer mit einem Waschbecken, Tisch, Stuhl und einem Bett in der Mitte ausgestattet war. Sie zog ihr Schulter Tuch ab und begann sich auszuziehen. Etwas zögerlich zog sich auch Agni seinen Umhang, Turban und Schärpen aus. Wie er sie dann sah, nur noch bekleidet in Mieder und Unterrock, war Agni wieder als ob ich es wäre, die da so vor ihm stand. Seufzend nahm er sie rücklings in den Arm und kuschelte sich an sie.

„Oh, hey! Nicht so schnell!! Du musst aber sehr ausgehungert sein.“

„Verzeihung… es ist wirklich lange her, dass ich eine Frau hatte und…“

„Hast du etwa an sie gedacht? Vergiss sie mal und entspann dich…“ Und sie begann seinen Sherwani auf zu knöpfen. Wie sie das Kleidungstück von seinen Schultern strich, betrachtet sie seinen Oberkörper.

„Ohh… siehst gar nicht so übel aus… Die Kleine hat keine Ahnung was sie verpasst…“, sagte die Prostituierte während sie über Agnis Brust streichelte. Dieser fühlte sich allerdings nicht besser.

„Ich… ich glaube, ich kann das nicht!“ Er schob sie sacht von sich weg. „Ich kann das nicht. Das fühlt sich falsch an. Als… als ob ich sie betrügen würde…“ Daraufhin lachte sie.

„Hahahahaha!!!! Das hatte ich eher von hässlichen Männern gehört! Mann, vergiss sie doch! Diese Schnepfe die nur dir was vormacht, ist es nicht wert! Sie spielt nur mit di…!“ Da war Agni so wütend geworden, dass er ihr ins Gesicht schlug.

„Dreckige Hure!!! Du weißt absolut gar nichts über Wigburg!!! Niemals hatte sie mir irgendwas versprochen oder mich mit Absicht gereizt! Sie ist keine der Sorte Frauen, die mit Männern spielen!!“ Er hatte sich nun nicht mehr im Griff und ließ seinen Gefühlen freien Lauf.

„Die Unschuld eines Kindes und die Weisheit eines alten Mannes, zusammen im reinen, unberührten Körper einer jungen Frau…Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen sie ist eine der lieblichen Apsaras, vom Gott Indra zu den Menschen gesandt und ich darf diese Ehre haben, dass sie mich ihren Freund und Lehrer nennt. Wenn sie mich immer ansieht mit diesen sanften, verträumten, grünen Augen, ist es wie der Schein des Abendsterns, der die Schrecken der Nacht besänftigt…“

Mit Erstaunen hatte die Prostituierte dem zugehört.

„Oh… Oh, ich verstehe… Du bist nicht einfach nur scharf auf sie und sie ist wohl wirklich ehrlich mit dir. Du bist wohl wirklich in sie verliebt.“

Sie hatte genau das ausgesprochen, was Agni sich niemals zugestanden hatte. Er vergrub das Gesicht in seinen Händen und wimmerte. Der Gesichtsausdruck der Prostituierten wurde weich und mitleidsvoll.

„Das habe ich zwar selten gehört, aber hier spricht ein Mann mit seinem Herz und nicht mit seinem…“

„Bei allen Göttern! Ich wollte doch niemals so weit gehen und mich in sie verlieben!!“

„Was ist denn so schlimm daran? Das was du gesagt hast klingt doch gut. Ich finde du solltest es ihr sagen.“

„Das könnte ich… aber dann müsste ich ihr von meiner Vergangenheit erzählen und dafür würde sie mich bestimmt hassen, weil sie unter ähnlichen Leuten wie mir gelitten hatte. Und vor ihrem Hass habe ich mehr Angst als vor dem Tod. Und selbst wenn, es ist zu spät… Ihr Vater hat die Hochzeit von ihr und ihrer Schwester geplant…“

„Oh… Das ist besonders hart. Aber ich finde trotzdem du solltest mit ihr reden, noch ist es nicht zu spät. Sag es ihr, vielleicht liebt sie dich auch…“

„Sie verdient jemanden besseren, der nicht in seiner Vergangenheit Menschen verletzt und über die Götter gelästert hatte… Ich will nur, dass sie glücklich wird. Ich danke dir trotzdem für deine Hilfe. Gute Nacht…“ Nachdem er sich wieder alles angezogen hatte kehrte Agni zurück zur Villa.
 

…Schmerzensschreie hallten an den Wänden wider. Meine Schreie! An den Handgelenken gefesselt und nackt hing ich knapp über den Boden, während Eiszapfen sich unterhalb meiner Rippen sich in mich bohrten. Warmes Blut! Mein Blut, es floss an meinen Seiten entlang und färbte das Eis unter meinen Füßen rot. Ich hing in einer Eishöhle, schwarzer Nebel hing in der Luft, wie ein Schleier. Auch wenn niemand anders da war, spürte ich Blicke auf mir.

„Du hast dich von mir abgewendet! Wolltest du etwa vor mir fliehen, Menschenkind?“

„Fliehen? Wovor? Ich habe nichts Unrechtes getan!“

„Du wolltest dich meinem Band entwinden, dabei war ich es der dich erkannt hat. Ich war es der eure wahre Bestimmung erkannt hatte!“

„Wahre Bestimmung? Nein… Du…“ Ich stockte erschrocken. „Egal wie du es herausgefunden hast, die Macht meines Auges gehört nur meinem König!!“

Ein diabolisches Lachen ertönte, das durch das Echo noch grauenhafter klang.

„Bist du dir sicher? Du hast deine Wahl getroffen? Nun, ich bin mir nicht sicher ob es deiner Schwester gut tun wird…“ Dann hörte ich Lieschen weinen.

„Du Bastard!!! Lass sie aus dem Spiel! Du willst nur mein Auge, stimmts!!?“

„Allein deine Abstammung hat mir gereicht. Aber nun… Bedenke deine Wahl, Wodans Magd! Oder lass deine Schwester weiter leiden!“

„Lass Lieschen da raus!!!“ Mein Auge leuchtete und Bilder und Töne schossen mir durch den Sinn. Nach einem erneuten Aufschrei durch Schmerzen, verursacht durch die Eisdornen, bäumte ich mich unwillkürlich auf und sprach mit verzerrter Stimme: „Sobald das Opfer zurückkehrt und die Wahrheit zur Lüge macht, wird der Tod überlistet und ein Büßer gerettet. Sobald ein neuer Stern am östlichen Horizont geboren wird und ein neuer Baum wächst, geht mein König der neuen Zeit entgegen. Der Mond gewinnt die Krone für sich!“

Ein Beben durch zog die Eishöhle, Eis bricht von der Decke, meinem Mund entwich ein eigenartiger, durchdringender, tiefer Ton und ich erwachte grad als, ich mit Sebastian in der Kutsche unser Gasthaus in Marburg erreichte.
 

…Schmerzensschreie hallten an den Wänden wider. Lisabeths Schreie! An Hand- und Fußgelenken nackt und kniend, am Boden gekettet, der aus schroffen Vulkanstein bestand, genau wie die Höhle in der sie sich befindet. Sie fühlt wie kochend heißes Wasser auf ihr nieder prasselt und ihre Knie waren aufgescheuert. Das waren unerträgliche Schmerzen und sie weinte bitterlich.

„Hör bitte auf!! Warum tust du mir das jede Nacht an…“

„Du hast dich von mir abgewendet! Wolltest du etwa vor mir fliehen, Menschenkind?“, antwortete eine körperlose Stimme.

„Ich… ich wollte nicht fliehen, warum sollte ich denn? Ich hab doch nichts getan…“

„Du wolltest dich meinem Band entwinden, dabei war ich es der dich erkannt hat. Ich war es der eure wahre Bestimmung erkannt hatte!“

„Welche Bestimmung? Ich weiß nicht wovon du redest, wirklich nicht!!“

„Bist du dir sicher? Du hast deine Wahl getroffen? Nun, ich bin mir nicht sicher ob es deiner Schwester gut tun wird…“

„Was?!! Lass Wigburg in Ruhe!!! Bitte tu ihr nichts!!“

„Allein deine Abstammung hat mir gereicht. Aber nun… Bedenke deine Wahl, Wodans Magd! Oder lass deine Schwester weiter leiden!“ Doch dann wurde ihr Blick leer und sie sah verschwommene Bilder und hörte eigenartige Töne.

„Sobald das Opfer zurückkehrt und die Wahrheit zur Lüge macht, wird der Tod überlistet und ein Büßer gerettet. Sobald ein neuer Stern am östlichen Horizont geboren wird und ein neuer Baum wächst, geht mein König der neuen Zeit entgegen. Der Mond gewinnt die Krone für sich!“ Dann hörte sie einen eigenartigen, durchdringenden, tiefen Ton der die Höhle erzittern lässt.

„Hilfe! Ich hab Angst!“ Lisabeth war aber als ob das heiße Wasser nachließ und als ob sie jemand umarmt. In englischer Sprache mit rollenden und babbelnden Akzent hörte sie: „Weine nicht mein Lieschen… Ich bin für dich da und werde dich immer trösten…“ Die Höhle und der grauenhafte Traum löste sich auf, bevor Lisabeth in einen traumlosen aber erholsamen Schlaf rüber gleitet…
 

Am nächsten Morgen, war Agni wie immer sehr früh wach. Ein Bote war mit einem Telegramm von jungen Herrn gekommen das verkündete, dass er in zwei Tagen zurück sei, mit zwei Gästen aus Deutschland. Als er aber dann in die Küche wollte um das Frühstück vorzubereiten, sah er wie sein Herr vor Müdigkeit gähnend aus der Richtung der Bedienstetenunterkunft schlich.

„Prinz Soma?“

„Ups! Agni!“ Soma war recht erschrocken.

„Was macht Ihr hier?“ Dann ging Agni ein Licht auf. „Habt Ihr etwa bei Elisabeth übernachtet?!“

„Hmm…mmmja… aber auch nur weil ich sie im Schlaf weinen gehört hatte!!!“

„Was? Sie hat geweint? Hatte das Euch geweckt?“

„Ne, ich war durstig und wollte nach dir rufen, aber du warst nicht da.“ Das war Agni peinlich, weil er wegen seinem gestrigem Nachtspaziergang nicht an so eine Gefälligkeit gedacht hatte.

„Oh! Verzeiht, mein Prinz!!! Ich konnte gestern nicht schlafen und war etwas spazieren…“

„Das ist jetzt unwichtig…“ Von der Antwort war Agni überrascht. „Ich wollte selber in die Küche gehen um etwas Wasser zu trinken, da hörte ich Lisabeth wimmern. Und sah nach ihr. Mein armes Lieschen… Es hatte mir sehr wehgetan sie weinen zu sehen. Also hatte ich mich zu ihr gelegt und sie in den Arm genommen um sie zu trösten. Es hat geholfen, sie hatte nicht mehr geweint und sie schlief ruhig. Ich wollte bei ihr bleiben bis zum Morgen, damit sie keine Alpträume mehr hat.“

„Da ist was dran… seit Wigburg mir Earl Ciel England verlassen hat, hat Elisabeth immer wieder Alpträume.“

„So sehr vermisst sie ihre Schwester? Warum hat Ciel sie nicht mitgenommen?!“

„Weil er nicht nachempfinden kann, wie tief Geschwisterliebe ist, er hat ja keine Geschwister.“

„Nein, aber trotzdem!! Und außerdem, wollte ich auch Deutschland sehen!!!“

„Ärgert Euch nicht Prinz.“, versuchte Agni seinen Herrn zu beruhigen. „Legt Euch besser wieder zu Bett, ich werde später das Frühstück Euch bringen.“

„Nein, ich werde nicht wieder ins Bett gehen, aber lassen wir Lisabeth noch etwas schlafen. Und ICH bring ihr das Frühstück!! Sie muss sich gut ausruhen und wieder zu Kräften kommen!“

„Ganz wie ihr wünscht, Prinz.“, lächelte Agni gerührt und hatte vorerst das Telegramm vergessen.
 

Aber zwei Tage später, waren wir wieder da, nach einem kleinen Zwischenstopp bei der Schneiderin, damit das Fräulein Sieglinde und ihr Butler Wolfram neueingekleidet werden. Natürlich mussten Lieschen und ich uns ganz dolle knuddeln beim Begrüßen. Aber ich bat sie dann später in mein Zimmer zu kommen um was zu verkünden. Das hatte aber Agni nebenbei gehört und verspürte wieder einen Stich.

„Was verkündigen?“

„Eine Überraschung!!Das wird klasse!!! Warts nur ab!“ Ich merkte nicht wie Agni den Raum verließ.

„Hat Papa wieder was gedreht?“, fragte Lisabeth entnervt.

„Nein! Aber es hat mit mir, dir, Mama und Oma zu tun. Soma und Agni sollten sich das auch anhören.“

„Ok, wenn du meinst… Wo ist Agni eigentlich? Der war doch grad eben hier?“

„Keine Ahnung… Vielleicht will er Tee für uns machen.“

„Das kann sein. Ich sag Soma Bescheid und werde mich um die Wäsche des jungen Herrn kümmern. Auf seiner Reise hatte er bestimmt viel seiner Kleidung verbraucht.“

Ich ging in die Küche, fand aber Agni nicht. Dann aber als ich an der Tür zur Speisekammer kam, hörte ich darinnen ein Schluchzen. Zaghaft klopfte ich.

„Agni? Bis du da drinnen?“

„Wigburg?“, hörte ich eindeutig Agnis Stimme und trat ein. Da saß er am Boden und ich meinte gesehen zu haben, wie er sich ganz flüchtig das Gesicht abgewischt hatte.

„Was ist denn los?“

„Nichts… ich hab… ähm…“

„Was ist los?“, fragte ich etwas streng, was ihm offenbar etwas Angst machte. „Irgendwie benimmst du dich so komisch!“ Er brachte aber kein Wort heraus und sah mich nicht an. Vielleicht war ich doch zu harsch im Ton.

„He…“, Sacht drehte ich sein Gesicht in meine Richtung. „Ich hab das nicht böse gemeint… Ich mach mir nur Sorgen um dich… Etwas betrübt dich doch… Sag es doch einfach…“ Stattdessen zog mich Agni eng an sich und umarmte mich.

„Ag…ni?“ Kurz konnte ich nicht anders als die Umarmung zu erwidern.

„Egal was kommen mag, ich bin immer für dich und deine Schwester da. Ich werde dir immer ein treuer Freund sein.“

„Wovon redest du denn? Es klingt wie ein Abschied.“

„OH! Das wollte ich nicht dass es so klingt…“

„Jetzt raus mit der Sprache! Was geht hier vor?“ Agni schien für einen mit sich zu ringen, als Bard in die Szene reinplatzte. „EY!! Wiggy!! Da bist du! Der junge Herr und Fräulein Sieglinde sollen ihren Nachmittagstee bekommen! Beeil dich! Und du kannst mithelfen, Agni!“

„Jawohl!“, antworteten wir beide wie aus einem Mund. „Fräulein Sieglinde ist schwarzen Tee, geschweige denn Chai nicht gewöhnt, versuchen wir erst mal Kamillentee.“

„Okay, dazu sollten wir vielleicht Obst servieren.“

„Ich schau mal nach was wir haben. Ach ja!!“ Da fiel mir noch ein was ich noch wollte. „Agni, ich wollte doch noch was sagen. Du und Soma sollt nachher zu mir in mein Zimmer kommen.“

„Warum?“ Ich lachte etwas vor Vorfreude.

„Hihihi! Ich wollte euch beiden und Lieschen was sehr wichtiges erzählen!“ Agnis Augen waren auf einmal vor Angst geweitet.

„Was… Wichtiges? Hat es mit deinem Vater zu tun?“, fragte er und hätte sich fast selbst verraten.

„Wie kommst du denn auf meinen Vater? Nein, im Gegenteil. Es hat mit meiner Mutter und Großmutter zu tun. Und dass wir in gewisser Weise was gemeinsam haben.“ Ich zwinkerte geheimnisvoll mit dem rechten Auge.

„Sei gespannt! Das wird für uns alle spannend!!“
 

„W… Was?“ Soma fiel die Kinnlade vor Staunen runter, Lieschen sah mich an als ob ich verrückt wäre und Agni schien was anderes erwartet zu haben als die Enthüllung meines und Lisabeths Familiengeheimnis.

„Also ehrlich… wenn du Oma und Mama da nicht erwähnt hättest, hätte ich gedacht du bist mal wieder zu hart auf deinem Kopf gelandet, Schwesterherz.“

„Aber es ist wahr!!! Und noch doller: ich habe das rechte Auge Wodans!“

„Nicht dein Ernst!!“

„Moment!“, warf Soma ein. „Wer ist Wodan?“

„Von ihm hab ich dir schon mal ein wenig erzählt.“, antwortete Lieschen. „Wodan, oder Odin wie er in Nordeuropa genannt wird, war der Herrscher und Vater jener Götter, an die unserer Vorfahren geglaubt haben. Er war Gott der Weisheit, der Magie, des Schicksals, des Krieges und des Todes. Man sagt, am Anfang der Welt sei er umhergewandert und habe einen Riesen namens Mimir getroffen, der einen Brunnen bewacht hatte, dessen Wasser Weisheit demjenigen verleiht der es trinkt. Wodan wollte davon trinken, aber Mimir wollte es nicht einfach so hergeben. Als Gegenleistung riss sich Wodan ein Auge aus und gab es dem Riesen für das Wasser. Mimir war davon so beeindruckt, dass er Wodan gewähren ließ und so gelang Wodan an einen Teil seiner Weisheit.“

„Deshalb stellt man Wodan immer mit einem Auge dar, manchmal hat er den Kopf von Mimir bei sich.“, fügte ich zu.

„Erinnert etwas an den Kopf vom Dämon Raktabija, den Kali immer bei sich hat.“, sagte Agni.

„Nur dass Wodan nicht selber Mimir den Kopf abgeschlagen hat und dieser nach dem Tod Wodan immer wieder Ratschläge gibt.“

„Es kommt noch etwas.“, sagte ich. „Um die Magie der Runen zu erlernen, hatte Wodan sich mit seinem eigenen Speer am Weltenbaum Yggdrasil festgenagelt. Neun Tage hing er tot da und als er wieder erwachte, konnte er die Macht der Runen entfesseln.“

„Stimmt von der Geschichte hat Lisabeth mir erzählt.“, sagte Soma.

„Lieschen und ich sind Nachfahren von Walas, also so etwas wie Seherinnen oder Zauberinnen, die eben diesem Gott gedient haben und ich habe seine Macht in meinem Auge. Agni!“ Dabei sah ich ihn an. „Du sagtest du hättest ein schiefes Kreuz in meinem Auge gesehen. Es war die Rune „Naud“ die mich als Trägerin von Wodans Auge zeichnet. Meine Großmutter hatte sie bei meiner Geburt auch gesehen. Sie sagte auch, dass meine Zauber stärker sind als die normaler Walas. Aber ich habe genau solche Zukunftsvisionen, wie normale Walas.“

„Das glaube ich erst wenn ich das sehe!“, sagte Lisabeth skeptisch.

„Ok! Ich bring euch den Beweis!“ Und ging zu der leeren Waschschüssel die auf dem Spiegeltisch stand. Mit dem Finger malte ich in die Mitte der Schüssel einen kleinen Haken, wie beim Wasserhahn damals und sagte dabei: „ Es ist der plätschernde Bach, und die brodelnde Quelle, und Lebensfeld der Fische. Füll es auf, Lögur!“ Und die Schüssel füllte sich wie aus dem Nichts mit Wasser.

„Unglaublich!“

„Wigburg, dein Auge hat dabei orange geleuchtet!“, sagte Agni erstaunt.

„Ja…“ Dabei wandte ich mein Gesicht zu ihm zu und er, aber auch Soma und Lisabeth konnten die Rune in meinem Auge glimmen sehen.

„Wahrlich!“, sagte Lisabeth ehrfurchtsvoll. „Die Schicksalsrune „Naud“…“

„Was bedeutet diese Rune?“, fragte Soma etwas nervös.

„Eigentlich bedeutet sie schwere Zeit und Leiden, solches Leid was man nicht umgehen kann, wie ein Nackter im Schnee frieren muss. Wodan wusste dass du schwere Zeiten durchmachen musstest und hat dir deshalb diese Rune ins Auge geritzt, stimmt’s?“

„Ja, Lieschen.“, sagte ich, allerdings mit einem gewissen Stolz in mir. „Jede Trägerin hat ihre eigene Rune gehabt, je nachdem was in ihrem Leben vorkam. Die erste von uns, die Wodan persönlich ausgewählt hatte, bekam von ihm die Rune „As“, die Götterrune. Vielleicht habe ich deshalb Naud, weil Wodan mich härten wollte. Jedenfalls kann ich diesem Schicksal nicht ausweichen, was mir wohl auferlegt wurde.“

„Dieser… Wodan scheint mir ein gruseliger Gott zu sein…“, stammelt Soma zitternd.

„Hey!!! Babys als Ohringe, Arme als Rock und immer Blut trinken?? Ich finde Kali ist gruseliger!“, protestiert Lisabeth lachend.

„Sie benutzt wenigstens nicht den Dämonenkopf als Ratgeber!“, konterte Soma.

„Hey, ihr beiden hört auf!!!“, versuchte ich, nicht minder schmunzelnd, die beiden zu beruhigen. Agni stand stattdessen daneben und sah mich erstaunt an.

„Sie will ihrem Schicksal nicht ausweichen, was ihr auferlegt wurde? Ich verstehe. Ich dachte sie wollte ihre und Lisabeths Hochzeit verkünden. Sebastian hatte mir erzählt sie sei ihren Eltern in Deutschland begegnet. Vielleicht hatte sie mit ihrem Vater geredet und zumindest, die Hochzeit ihrer Schwester abgewendet, fügt sich aber selber dem Vater…“ Agni war gerührt bei den Gedanken. „Sie opfert ihre Möglichkeit ihr Schicksal selbst zu bestimmen für das Glück ihrer Schwester! Das muss es sein, es ihr zu verschweigen macht keinen Sinn. Sie opfert sich, um ihre Schwester und den Prinzen zusammen zu bringen. Dieser Gott hätte niemand mit edleren Herzen für sein Auge wählen können.“

Wenn er nur wüsste was ich wirklich gemacht hatte bei meinem Vater…



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