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Malstrom

von

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Auf der Stelle verharrte er, mit einem Bein im nächsten Raum und einer Hand an der Klinke. Nur seine Liebste drehte ihren Kopf überrascht zum Mechaniker um, der immer noch am Kastenwagen lehnte, allerdings den Augenkontakt vermied. Was er wohl mit diesem geheimniskrämerischen Getue bezwecken wollte?

„Etwas, was sämtliche eurer Bedürfnisse erfüllen dürfte und zugleich erschwinglich ist.“ Als Reaktion darauf wagte sich Karl in den Verkaufsraum zurück und ließ das Gesagte ruhig auf sich einwirken, ehe er auf einmal lauter wurde:

„Dann warum sagst du uns das erst jetzt?!“ Das Baby erschrak durch die deutlich erhöhte Lautstärke und weinte, weswegen Tanja zunächst ihren Mann ausschimpfte, jedoch war ihm das im Moment gleichgültig. Wieso verschwendete Calensk deren Zeit mit dem Geplänkel um seine schlechte Lage, Steel Lagoon und Zahlungsarten, wenn er ihnen den passenden Wagen längst hätte verkaufen können? Lag es denn nicht in seinem Interesse, jedes Fahrzeug schnell an den Mann zu bringen? War es etwa zu günstig, sodass die Gewinnmarge im Nichts verpuffte? War er also hinter dem netten, wenn auch exzentrischem Äußeren stets ein Halsabschneider gewesen, der mit den bezahlbaren Waren erst dann rausrückte, wenn ihm die Kunden wegzulaufen drohten?

Blieb nur die Frage: Wo war dieser Wagen, wenn nicht hier?

Was Calensk allerdings emotionslos antwortete, brachte seine Kunden zum Stutzen:

„Weil ich euch schützen möchte.“
 

Schützen? Vor einem toten Objekt, das ohne Fremdeinwirkung ohnehin keine Gefahr darstellte?

„Herr Medvedeva“, sprach Tanja nervös, „Was geht hier vor sich? Was verbergen Sie vor unseren Augen, das so gefährlich zu sein scheint, dass Sie uns anlügen müssen?“

Ohne Worte setzte er sich in Bewegung, winkte sie zu sich rüber und lotste sie zum anderen Ende des Raumes zur Wand, wo eine weitere schlechte Fotografie eines Asiaten in Muscle-Car-Optik hing. Bis auf dieses war die Wand jedoch leer.

„Mir gefällt das Ganze nicht“, flüsterte die Dame ihrem Mann zu, „Gehen wir nach Hause und überdenken unseren Plan, Morgen ist auch noch ein Tag.“

„Da bin ich ganz auf deiner Seite“, flüsterte Karl zurück, „Aber ich möchte wenigstens sehen, was er da hat. Notfalls ist noch Voss da, richtig?“ Das zumindest konnte Tanja beruhigen, und im Fall der Fälle wäre sie bereit, ihr Kind mit ihrer Schusswaffe zu verteidigen. Aber wie kamen sie überhaupt auf den Gedanken, gleich vom Schlimmsten ausgehen zu müssen? Calensk war allein, also für das Ehepaar in einem Kampf sicherlich kein unüberwindbares Hindernis und das, was auf sie wartete, „nur“ ein Auto; eine Maschine ohne Herz und Seele, einfach tot … oder?

So nahm der Inhaber das Bild von der Wand und die Kunden staunten nicht schlecht: Darunter kam doch tatsächlich ein Knopf zum Vorschein. War die Werkstatt nun größer als angenommen oder würden sie in die Tiefe fahren? Wer wusste, was Calensk nach seiner merkwürdigen Verhaltensänderung sonst noch in petto hatte?
 

Zuvor jedoch richtete der Mechaniker ein mahnendes Wort an sie, während die Hand auf dem Schalter ruhte:

„Bevor wir eintreten, möchte ich euch zunächst warnen: Für Unkundige ist der Wagen in seiner gegenwärtigen Ausstattung, gepaart mit dem niedrigen Kaufpreis sehr verlockend und sie glauben, ihren Traumwagen gefunden zu haben. Doch wie so oft verschwenden sie aus purer Euphorie über den ach so tollen Kauf keinen Gedanken mehr über die Folgen. Sprich, ob sie überhaupt die Unterhaltskosten tragen können oder die nötige Erfahrung und Fähigkeit mitbringen, das Fahrzeug zu kontrollieren.“ Bislang klang das Gerede wie das von Eltern, die ihr übereifriges Kind davon abhalten wollen, mit ihrem Ausbildungsgehalt loszurennen und sich den exotischen Sportwagen ihrer Träume zu kaufen, der zu verführerischen Preisen in Portalen angeboten wird. Nur um dann festzustellen, dass die Unterhaltskosten ihr Budget maßlos überstiegen und die Eltern dazu zwangen, in die Bresche zu springen. Nicht unbedingt die besten Voraussetzungen, den Familienfrieden zu erhalten.

„Darum bitte ich euch, das Auto nicht blind zu kaufen, sondern sehr sorgfältig zu überlegen, ob es nicht doch das Beste wäre, sich bis auf Weiteres mit eurem Zweisitzer zu arrangieren, bis sich irgendwann eine bessere Alternative finden lässt.“

„Wir haben keine Alternativen“, raunte Karl genervt. Hielt sie Calensk für dumm? Zumindest Karl behauptete von sich selbst, erfahren genug zu sein um zu wissen, ob das Fahrzeug seinen Preis wert war und deren Anforderungen genügte. Nachdem ihr Gegenüber zudem sagte, dass es immer Alternativen gäbe und alles besser wäre als diesen Wagen, war er mit seiner Geduld am Ende und forderte ihn schlicht dazu auf, endlich den Knopf zu drücken.
 

„Also gut“, sprach Calensk mit ernster Miene, „Dann dürfte es euch bestimmt interessieren, dass der Wagen für einen Tausender zu hab...umpf!“ Sofort traf ihn Karls Körper, als sich Letzterer mit vollem Elan und quietschend auf den Meister warf, um anschließend seine Arme um ihn zu schlingen und zu drücken. Tanja grinste zwar beim Anblick dessen, wie Calensk ähnlich einem Plüschtier geknuddelt und eifrig von ihrem Mann mit Lobhudeleien überschüttet wurde, runzelte allerdings die Stirn, nachdem sie über den Preis nachzudenken begann. Zweifelsohne schien die Lösung für ihre Probleme zum Greifen nahe, aber wurden solch niedrige Summen denn nicht normalerweise für Fahrzeuge verlangt, die gar niemand erwerben wollte? Etwa für uralte Exemplare, die ausschließlich Materialwert besaßen und darum vorrangig als Ersatzteillager dienten? Sollte es deswegen außer Sicht bleiben, weil Interessenten eventuell den Schluss ziehen konnten, Calensk würde ihnen billigen Schrott andrehen? Bei einem läppischen Tausender sah Tanja die Chance, Qualitätsware zu erhalten, gegen null sinken und wäre Karl nicht hier, wäre sie danach lachend abgezogen.

Oder war das eine beabsichtigte Taktik?

„Ja ja, ist ja schon gut“, versuchte der Inhaber den allzu anhänglichen Kunden loszuwerden und schob ihn sanft weg, „Wollen wir loslegen?“

Nachdem Karl eifrig zugestimmt und Tanja nur zögerlich genickt hatte, betätigte Calensk schließlich den Knopf.
 

Unter dem Surren arbeitender Elektromotoren teilte sich die Wand in der Mitte, schob sich zu beiden Seiten auseinander und ermöglichte immer mehr Einblick in den Raum dahinter. Was das Paar aber entgegen ihren Erwartungen sah, erschreckte sie.

Statt eines gut beleuchteten und angenehmen Interieurs, das Kunden gleich Lust auf mehr bereitete und Übersicht gewährleistete, empfing sie eine grässliche Dunkelheit. Wie Nebel löste sie sich erst langsam durch den plötzlichen Lichteinfall auf, aber selbst als das Tor letztlich soweit geöffnet war um einen PKW durchzulassen, war es finster genug, um die hinteren Ecken uneinsehbar zu machen. Kein Zweifel, es passte nur ein Auto auf der Fläche, vielleicht zwei wenn man die komplette Wand entfernen würde, dennoch versuchte sich Karl nicht von der Schwärze einschüchtern zu lassen. Obwohl er sich durchaus fragte, warum das Fahrzeug vom regulären Verkaufsraum gesondert aufbewahrt wurde und vor allem, wieso es dort drin anscheinend dunkel sein musste. Gab es überhaupt Lampen?

Und da stand es. Bloß einen Meter vor ihnen, Karl und Tanja aus zwei runden Scheinwerfern, je eines auf jeder Seite, anstarrend, ähnlich einer leblosen Porzellanpuppe, von der man meinte, sie würde ihren Besitzer verfolgen. Trotz der ungünstigen Lichtverhältnisse sah der Vater genug von der Front, um seine Einschätzung der beiden Scheinwerfer zu revidieren, und …

„ARGH!“

Karl wich kreischend zurück und stolperte nach hinten mit der Hand am Holster. Tanja sah ihn nur irritiert an und Calensk lachte, woraufhin er sich der Dame widmete mit den Worten: „Keine Angst, das ist nur, weil es so düster ist. Einen Moment, ich hole eine Taschenlampe.“
 

Während der Mechaniker rüber in die Werkstatt ging, rappelte sich Karl auf und erklärte auf Tanjas amüsierten Gesichtsausdruck hin, dass er glaubte, ein Monster gesehen zu haben. Da dies sie aber zum Grinsen brachte und er nicht als Angsthase dastehen wollte, stellte er sich aufrecht hin, nahm eine heroische Pose ein und ging letztlich erhobenen Hauptes auf den Wagen zu. Bevor er das Vehikel allerdings berühren konnte, wie zur Verifikation des Todes einer Kreatur, fiel ein heller Strahl auf die Front.

„He he, hast du wirklich Schiss vor einer Maschine?“, fragte Calensk vergnügt und Karl errötete, „Es wird dich schon nicht fressen. Komm, sehen wir uns dieses …“ So gute Laune er in dem Moment auch hatte, das nächste Wort sprach er mit solchem Abscheu aus, dass sich seine Kunden fragten, was denn vorgefallen sei: „Monstrum … mal an.“

Mittig auf dem Kühlergrill im Gittermuster war ein silberner, rotäugiger Wolfskopf eingelassen, so wie es allgemein bei sämtlichen anderen hergestellten Zivilfahrzeugen des Regimes der Fall war. Daneben verliefen zwei parallel übereinander laufende weiße Linien, die dort aufhörten, wo die Scheinwerfer montiert waren.

Was zuerst aussah wie Zwei, entpuppte sich in Wahrheit als Vier, wobei nur die Hälfte zur Verbesserung der Sicht des Fahrers zu dienen schien. Jene saßen jeweils an der Innenseite, während sich die anderen beiden, die ihm soeben einen gehörigen Schrecken eingejagt hatten, an den Rändern befanden. Der Linke glich dem Auge eines Drachen und der Rechte war sogar zerbrochen, weshalb man dadurch den roten Photorezeptor sehen konnte, wie er für die künstlichen Intelligenzen notwendig war.

Calensk erläuterte in Hinblick auf die linke Lampe:„Einer der Vorbesitzer muss ein Faible für die Augen der militärischen Senkrechtstarter gehabt haben. Es ist auch beweglich, aber nur, wenn die KI aktiv ist."

Unter dem Schein der Taschenlampe ging Karl näher an den Kühlergrill heran. Dort, oben rechts über dem Markenzeichen, stand etwas in weißer Schrift geschrieben, seiner Vermutung nach der Name des Modells.
 

„Malstrom ..?“
 

„Ja, Malstrom“, bestätigte Calensk Karls ausgezeichnete Lesekünste, „Noch nie davon gehört?“ Das Ehepaar verneinte und der Inhaber lächelte, als ob er damit gerechnet hätte. „Klar, warum auch. Den Karren gibt es nur ein einziges Mal in den Weiten des Sternenmeers.“ Dann, kaum hörbar, grummelte er: „Und das ist schon einer zu viel.“

Das konnten beide nicht so recht glauben, darum erkundigte sich Karl sogleich bei Viktor, ob es denn auch stimmte und nicht irgendwo in den abgelegensten Flecken des Herrschaftsgebietes noch weitere Exemplare in Betrieb waren.

„Rufe zentrales Fahrzeugregister auf, bitte warten …“ Auf Calensks Einwurf, es würde eine Weile dauern, hin, borgte sich Karl nach dessen Einverständnis die Taschenlampe und besah das Fahrzeug genauer.

Bis auf die schwarz glänzende Motorhaube war die gesamte Karosserie in einem feurigen Rot-Metallic lackiert, von der Aufbauart her eine eckige Kombilimousine, dessen auffälligstes Merkmal der große zusammenlaufende Heckspoiler war, wie sie unter anderem bei älteren japanischen Sportwagen aus derselben Zeit des Malstroms vorkamen. Dunkle Kunststoffleisten verliefen mittig von vorne bis hinten und Schmutzfänger verrichteten ihren Funktion an den Hinterrädern, graue, schmucklose zahnradartige Felgen aus Plastik tragend. Am Heck selbst war lediglich erneut der Modellname aufgetragen, sowie die Bezeichnung des Herstellers.

Doch was hatte der an einem Seil befestigte, rostige Anker im Kofferraum zu suchen? Wo war der Auspuff?
 

In das Interieur geleuchtet, entdeckte Karl einen uralten Plastikbomber: In der Mittelkonsole zwei separate Schieberegler für die Heizung, einzelne Knöpfe für die unterschiedlichen Einstellungen der Scheinwerfer und Scheibenwischer, ein Radio mit Suchnadel, dessen Frequenzen manuell per Drehknopf gesucht werden mussten, ein dünnes, unhandliches Zweispeichen-Lenkrad auf dem ebenfalls der Modellname eingefräst war, verdreckte Fußmatten und bunt gestreifte Sitzbezüge aus Stoff. Als jemand, der wesentlich modernere Cockpits gewohnt war, die unter anderem mit Touchscreens und Assistenzsystemen arbeiteten, ganz zu schweigen von Multifunktionslenkrädern und Klimaanlagen, hatte er so etwas noch nie zuvor gesehen. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn diese Gurke über keine Servolenkung und ein zerbrechliches Fahrwerk verfügte. So also sahen die Wagen von damals im Inneren aus? Jede Menge Plastik und rein mechanisch? Das müssten mindestens 90 Jahre her sein!

So richtig war Karl von der angeblichen Gefährlichkeit nicht überzeugt. Er fragte Calensk:

„Hm, könnten wir vielleicht den Schlüssel bekommen? Wir würden uns gerne reinsetzen und schauen, ob es sich für unsere Bedürfnisse eignet.“

„Natürlich, kein Thema“, antwortete der Meister unnatürlich ruhig, zückte einen Autoschlüssel und warf es ihm zu – Karl griff daneben, Tanjas Gekicher mit einem verschmitzten Lächeln beantwortend. Nun begab sich das Ehepaar zum Auto und Karl checkte zuvor die Motorhaube; durch die dunkle Farbe musste ihm völlig entgangen sein, dass sie um einiges höher war als gewöhnlich und vorne einen sehr breiten Lufteinlass gänzlich ohne Abdeckung besaß.
 

Mithilfe der Lampe konnte er zwar nicht den Motorblock sehen, dafür jedoch den pfeilförmigen Vergaser und davon seitlich ausgehende Rohre. Diesen folgend, fand er insgesamt Sechs in schwarzem Lack, drei zu beiden Seiten, durch die Wände nach unten über den Radkästen verlaufen. Ein kurzer Blick unter die Türen offenbarte ihm sogleich das Ergebnis seiner Annahme: Sportliche Seitenauspuffe lugten schwer sichtbar, ja, zögerlich hinter den Schwellern aus Kunststoff hervor. Als hätte man versucht, das Erscheinungsbild einer Familienkutsche zu bewahren, ohne zu sportlich zu wirken. Ob das angesichts der auffälligen Motorhaube so recht funktionieren wollte, sei dahingestellt.

„Also wenn du mich fragst“, meinte Tanja wenig begeistert, „Sieht es mir nach einem dieser verbastelten Autos Marke Eigenbau aus, wie sie sonst bei Protzern mit geringem Selbstbewusstsein vorkommen. Da KANN nichts Gutes bei rauskommen.“

„Ach komm, gib dem Malstrom doch eine Chance“, versuchte Karl sie versöhnlich zu stimmen, „Hauptsache er fährt und fällt nicht nach paar Metern auseinander, 'ne?“

„Also d...“ Calensk wollte etwas zum Gespräch beitragen, da öffnete sich plötzlich die Tür zur Rezeption und zwei Soldaten traten hindurch, Voss selber lugte neugierig hinter dem Türrahmen hervor. Einer trug offen ein Sturmgewehr, während dieses beim Anderen hinterm Rücken befestigt war und Jener stattdessen einen motorisierten Entersäbel schwang. Nur zwei Worte ließ einer verlauten:

„Calensk, mitkommen.“

Die Augen zuerst weit aufgerissen, dann aber geschlossen um anschließend zu grummeln, sagte der Meister zu seinen Kunden:

„Seht euch ruhig im Malstrom um, ich bin gleich wieder da.“ Zustimmend genickt, verließ der Meister danach den Salon mit dem Trupp und schloss die Tür.
 

Das Ehepaar nutzte die Gunst der Stunde und entriegelte das Fahrzeug. Während Tanja mitsamt des Babys die Rückbank begutachtete, setzte sich Karl auf den Fahrersitz, steckte den Schlüssel in den Schlitz und prüfte das Getriebe.

Zu seiner Überraschung handelte es sich dabei um ein 6-Gang-Schaltgetriebe, dessen Beschriftungen mit der Zeit verblichen waren und das Kunstleder zerrissen war. „Wie neu“ sah für ihn anders aus, aber solange es funktionierte?

„Nun, was hältst du jetzt vom Malstrom? Ein bisschen Retro-Flair ist doch auch was Schönes, finde ich.“ Seine Frau ließ sich neben Maik nieder, tastete die Materialien ab, prüfte den Freiraum zwischen Kopf und Decke und schnallte sich an. Das Kind unterdessen fasste die Inneneinrichtung mit ungeschickten Armbewegungen und ausgestreckten Fingern an und sonderte seltsame Geräusche ab.

„Na ja, ich weiß nicht“, entgegnete die Frau, nachdem sie die ausgeleierten Gurte abgelegt hatte, „Es ist einfach so … alt. Schau dir doch mal die vergilbten Ablageflächen an. Oder die gerissenen Stoffe.“ Karl rollte mit den Augen und erwiderte:

„Meine Güte, dann waren die Vorbesitzer halt nachlässig. Das können wir doch nachbessern lassen und dann sieht es fast wie neu aus. Außerdem wissen wir doch gar nicht, ob es wirklich nur ein Bastelwagen ist.“

„Aber selbst wenn nicht, das Auto sieht aus wie eines, dessen Preis zu schön ist um wahr sein, verstehst du? Ich habe Angst davor, dass es am Ende noch mehr Geld in den Werkstätten lässt als unser jetziger Zwerg. Geld, das wir nicht haben, wohlgemerkt.“
 

„Also schlimmer als jetzt kann es bestimmt nicht mehr werden. Denk doch mal daran, was so ein altes Auto besser macht als der neumodische Kram heutzutage! Du kannst noch selber Reparaturen durchführen, ohne wegen jedem Firlefanz sofort in die Werkstatt zu dackeln und für wenig Leistung viele Scheine dazulassen. Weniger Elektronik bedeutet auch eine geringere Fehleranfälligkeit und somit eingesparte Kosten. Ist das denn nichts?“

„Beim besten Willen, Karlchen, aber wenn du mir schon so kommst, können wir für das gleiche Geld bestimmt hochwertigere Autos erhalten. Der hier ist nur noch abgeledert und reif für die Schrottpresse.“

„Ach ja, und wo, bitteschön?“, fragte der Vater zunehmend verärgert über den Pessimismus seiner Frau, „Wir haben die ganze verdammte Stadt abgesucht und nichts gefunden! Glaubst du wirklich, wenn wir rausgehen, steht der Wagen unserer Träume plötzlich vor uns?“

„Nicht in diesem Ton, mein Lieber!“, entfuhr es Tanja bestimmt, „Nein, das glaube ich zwar nicht, aber ich warte lieber ab und suche weiter, als mich einfach so auf das nächstbeste Auto einzulassen, das sich wahrscheinlich als Mist herausstellt. Ginge es nach dir, hätten wir diesen Japaner mit Versicherungsgebühren aus der Hölle behalten! Ein zweites Mal ziehe ich dich ganz sicher nicht da raus!“ Davon getroffen, versuchte Karl seinen Lippen etwas Schlagkräftiges entweichen zu lassen, aber außer einem lauten „Äh“ kam nichts heraus. Als wäre das nicht genug, begann Maik zu weinen, sodass Tanja ihn in ihre Arme nahm und flüsterte:

„Keine Angst, guck nicht auf den bösen Papi, ich bin ja da.“
 

Am Ende seiner Weisheit gab er schlicht zurück:

„Ach, du hast doch keine Ahnung, was gut für uns ist.“ Tanja quittierte das mit einem belustigten „Hmpf!“, was den Vater nur noch mehr aufregte, weswegen er sich auf den Motor konzentrierte und den Schlüssel umdrehte.

Abgesehen vom Turbinengeräusch der Zündung, typisch für alle Fahrzeuge innerhalb des Sternenmeers, arbeitete das Soundsystem wie es sollte und erfüllte die Räumlichkeiten mit einem kernigen Brüllen, nahezu identisch mit dem von Muscle-Cars.

Doch … Darunter hörte er noch etwas anderes heraus. Nicht das Turbinengeräusch, denn das war immer präsent, wenn man ganz genau lauschte. Nein, unterschwellig hatte es sich eingefügt, eine Art akustischer Eindringling, verzerrte den Ton zu etwas Unharmonischem. Karl trat nach kurzem Handzeichen nochmal drauf und horchte: Ja, da war was! Ebenfalls ein Brüllen, wenn auch leiser. Allerdings keines, wie es Muscle-Cars und Hochglanz-Japaner zum Besten gaben, sondern … Er wusste nicht, wie er es beschreiben sollte. Infernalisch? Brutal? Außerweltlich? Er wollte sich hüten, „dämonisch“ zu sagen, da er noch nie einen dämonischen Motor gehört hatte, aber wenn er gezwungen wäre, es jemandem nahezubringen, hätte er das Geräusch mit einem König der Unterwelt verglichen, der sich laut tobend auf sein Opfer stürzte, um es mit bloßen Händen zu zerreißen. War das „nur“ der Motor oder die Luftzufuhr?
 

Und dem ihm unbekannten Geräusch und der hoffnungslos veralteten Technik zum Trotz überkam ihn ein wohliges Gefühl, nein, breitete sich in ihm aus wie ein Leuchtfeuer und drängte ihn, zum dritten Mal Gas zu geben und den Drehzahlmesser in die Höhe schnellen zu lassen. Und zum Vierten. Und Fünften. Und …

Ein kindliches Grinsen – und Maiks Lachen.

„Männer …“, äußerte Tanja leicht abfällig, obwohl sie sich darüber wunderte, wie der Motorenlärm das Kind erfreuen konnte. Ihrer Meinung nach war es bloß Krach und würde jemand damit in ihrer Nachbarschaft seine Runden drehen, wäre der Weg zum Telefon nicht weit. Aber wer war sie, den Jungs ihren Spaß zu verwehren?

Da Karl aber nicht mehr aufzuhören schien und ihr der Lärm auf die Nerven ging, stupste sie ihn an der Schulter an und fragte, ob er das noch den ganzen Tag machen wolle oder auch beabsichtige, noch einen Wagen zu erwerben. Zunächst reagierte er nicht, doch als Tanja ihn anstieß, nahm er mit einem beleidigten „Okay, ist ja schon gut, meine Güte!“ den Fuß vom Gas und stellte den Motor ab. Danach öffnete er mit einem Hebel im Fußraum die Motorhaube, stieg aus, raunte „Nicht mal Spaß gönnt sie mir …“ und ging zum Motor, wo er die Haube anhob. Zu seiner Überraschung klappte nur der obere Teil der Lufthutze auf und er blickte gespannt auf das, was er vorfand. Das, was er vorhin als pfeilförmig erachtet hatte.

Ein Herz.

Keines aus Fleisch und Blut, auch keines, das wie ein unförmiger Knubbel aussah und den Lebenssaft durch den Organismus pumpte, sondern eines, mit dem Liebe und Zuneigung dargestellt wurde. In dem Falle aus Metall, starr verbaut und ohne bewegliche Teile um ein Schlagen zu simulieren. Passend zum Eindruck waren an der Unterseite der Hauben rippenähnliche Streben verschraubt, offenbar als zusätzlichen Schutz bei Kollisionen. Groß thronte das „Herz“ über dem Reaktor auf einer spiralförmigen Scheibe und trug eine rote Kunststoffleiste, dessen weiße Beschriftung mutig dem Zahn der Zeit trotzte:

„V12 Biturbo … Hm! Ich schätze, 500 Pferdchen dürften mindestens drin sein.“
 

„Ich WUSSTE es!“

Karl zuckte zusammen und trat einen Schritt zurück, als Tanja ohne Vorwarnung neben ihm aufgetaucht war. „Also ist es doch ein schrottiges Bastelauto mit mehr Leistung als nötig! Hast du eine Vorstellung davon, was uns allein der Unterhalt wieder kosten wird?“ Gegen ihre ökonomische Rationalität konnte Karl zugegebenermaßen nicht ankommen, aber kampflos wollte er sich ebenso wenig geschlagen geben. Deswegen probierte er es auf pragmatische Art und Weise:

„Aber denk' doch an das zusätzliche Platzangebot! Wir können endlich Großeinkäufe machen, ohne mehrmals fahren oder den Lieferservice beanspruchen zu müssen! Oder selbstständig in den Urlaub fahren, ohne teuren Mietwagen! Nicht zu vergessen, dass wir die hohe Leistungsstärke für Sonntagsfahrer und Mittelspurschleicher ausnutzen können! Ist es denn nicht das, was du willst?“

„Doch“, antwortete Tanja und Karl wähnte sich siegessicher, „Aber mit einem wichtigen Unterschied, den du wieder vergessen hast, Karlchen.“ Die Laune auf der Stelle abgesackt, grübelte der Mann bereits an einen Plan B und ließ Tanja ausreden: „Nicht um jeden Preis.“

So nahm sie Maik aus dem Malstrom und ging mit ihm rüber zum Kinderwagen, ihren Ehemann zerknirscht stehenlassend.
 

So leicht durfte er nicht aufgeben! Es stimmte, der Malstrom schien uralt und ein Groschengrab zu sein, aber ewig konnten sie auch nicht nach dem perfekten fahrbaren Untersatz suchen; vor allem, weil ein solches Vehikel gar nicht existierte. Auch vermeintlich hochwertige Wagen konnten ärgerliche Defekte entwickeln und Werkstattaufenthalte nach sich ziehen, die den Wert um ein Vielfaches übersteigen. Unter diesen Aspekten war Karl vollkommen überzeugt, das ideale Fahrzeug entdeckt zu haben, weil kaputte Teile noch mit dem nötigen handwerklichen Können selbst repariert werden konnten. Nur wie konnte er sie davon überzeugen ..?

„Äh, Karl?“, meldete sich mittendrin Viktor besorgt über das Kommunikationsarmband und brachte Karl aus der Fassung.

„Was ist, ich stecke gerade in einer Krise!“ Ohne die Unsicherheit in der Stimme abzulegen, fuhr die KI fort:

„Dann wird das, was ich dir jetzt zu sagen habe, vermutlich eine Midlife-Crisis auslösen. Bereit?“ Das Gesicht verzogen, die Hände zu Fäusten geballt und die Zähne zusammengedrückt, sagte Karl am Ende seiner geistigen Kräfte:

„Okay, was steht an?“

„Ich habe die relevanten Daten über den Malstrom in Erfahrung gebracht“, gab die KI Auskunft, „Und tatsächlich ist der Wagen ein Einzelstück, Steel Lagoon-Import. Aber das größte Problem ist die Anzahl der Vorbesitzer, wenn es sich hierbei nicht um einen Datenbankfehler handelt.“ Das gefiel Karl so wenig, er überlegte ernsthaft, es seiner Frau zu verschweigen aus Sorge darüber, sich den Kauf endgültig abschminken zu können. Deswegen gebot er Viktor kurz zu warten, damit er sich ins Auto setzen konnte, wo er dann schließlich die Antwort wissen wollte …

„Sage und schreibe neunzehn.“
 

Erstarrt spürte Karl, wie ihm sein Herz in die Hose rutschte. Neunzehn Vorbesitzer! Wie konnte das sein?!

„Ich hoffe, du scherzt!“, sagte Karl erschüttert, „Oder willst du mir weismachen, dass der Wagen ganze neunzehn zerstörerische Unfälle hatte, aber wie von Zauberhand wieder auftaucht?“

„Leider ist es genau das. Den Letzten, ein gewisser Kane Haynes, hatte es erst vor einigen Monaten erwischt, und zwar, indem er auf der langen Landstraße bei circa 240 Stundenkilometern gegen Bäume geflogen ist. Der Malstrom ist unter der sportlichen Fahrweise buchstäblich auseinandergefallen.“ Dann senkte der Mann das Haupt, legte die Hände auf das Lenkrad und murmelte vor sich hin; ob er doch lieber vom Kauf absehen sollte? Eine derart gefährliche Maschine durfte er nicht auf seine Familie loslassen!

Allerdings …

„Moment. Heißt das, dass dieser Kane nur getötet wurde, weil er den Malstrom sportlich bewegt hat?“

„Kann man so sagen, ja. Strukturelle Scans der Konstruktion zeigen unter anderem ein zu schwaches Fahrwerk für das Gewicht des Motors, sowie Bereifung und Bremsanlagen, die auf eine Höchstgeschwindigkeit von rund 180 Kilometern pro Stunde ausgelegt sind.“ Schon hellte sich Karls Gesicht auf. Vielleicht war sein Tag doch noch gerettet?

„Wenn ich das Auto also im gesetzeskonformen Bereich fahre, kann dann überhaupt noch etwas Gefährliches geschehen?“

„Eigentlich nicht, denn ich werde immer aufmerk...“

„Dann worauf warten wir denn noch?!“, meinte Karl erfreut, entfernte den Schlüssel und stieg aus.

„Hey, ich bin noch nicht fertig! Du wirst regelmäßig Teile austauschen müssen!“ Das jedoch interessierte den Vater nicht mehr. Seiner Ansicht nach stand einem neuen Auto nichts mehr im Wege und solange er nicht damit heizte wie bekloppt, hätte er nichts zu befürchten. Er war kein Raser wie die vorherigen Eigentümer! Heute würde er beweisen, dass er dazu auserkoren war, den Wagen zu seiner Bestimmung zu lenken.
 

Maiks Geschrei füllte den Salon. Eifrig fütterte Tanja das Baby mit einer Milchflasche, in der anderen Hand die Gasmaske haltend, was Karl aber nicht scherte, da er es gewohnt war. Erhobenen Hauptes und vor Stolz geschwellter Brust stellte er sich breit vor seiner Frau hin, die ihm keines Blickes würdigte und kündigte großspurig an:

„Schatz, wir werden den Malstrom kaufen.“ Immer noch das Kind fixiert, antwortete Tanja ruhig:

„Schön.“ Schön? Das klang nun nicht wirklich überzeugend, mehr desinteressiert und gleichgültig. Irritiert fragte Karl darum:

„Äh, also hast du nichts dagegen, wenn wir damit in den Urlaub fahren?“

„Nein, aber du kannst ja ruhig alleine fahren.“ Etwas stimmte hier nicht. Warum war sie von ein auf dem anderen Moment so widerspenstig? Welches Spiel wurde hier gespielt?

„Aber … warum? Was habe ich jetzt schon wieder angestellt?“ Schneller als er gucken konnte wandte sie sich ihm zu und drückte ihren Zeigefinger auf seine Brust, was erstaunlich schmerzhaft war und sprach erbost:

„Hast du schon vergessen, wie fürchterlich schief der erste Kauf gegangen ist? Als du dich bei den Unterhaltskosten völlig verschätzt hattest und du allein das Geld nicht mehr aufbringen konntest, weil Elektriker nunmal nicht so gut bezahlt werden? Als ich dann mit dem bisschen Geld als Putzfrau einspringen musste, sodass wir uns sogar keine Kleidung und Möbel mehr für Maik leisten konnten?“

„Ich … ich …“, versuchte Karl zu Wort zu kommen, aber vergeblich. Tanja indes redete weiter:

„Und hast du mir das jemals gedankt?! Nein! Und jetzt nochmal derselbe Mist?!“
 

Nach diesen Worten setzte sie Maik die Maske wieder auf und positionierte sich hinter dem Kinderwagen. Jäh dämmerte es Karl, was sie vorhatte und unternahm einen letzten Versuch, sie für seinen Plan zu gewinnen:

„Aber ich verspreche dir, dass es diesmal n...“

„Ja ja ja“, unterbrach sie ihn barsch, sodass er verstummte, „Versprechen tust du vieles, aber halten? Davon will ich gar nicht erst anfangen. Vergiss' ja nicht, dass es unser gemeinsames Geld ist, das du für so teuren Unsinn aus dem Fenster werfen willst! Wenn es sich erneut als eine einzige Kostenfalle entpuppt, dann HÜTE dich, wieder angekrochen zu kommen und zu betteln! In diesen Schrotthaufen reinsetzen würde ich mich mit Maik sowieso nicht!“ Danach setzte sich Tanja mitsamt des Kinderwagens in Bewegung, schob die Tür zum Empfang auf und ließ ihren Mann sprachlos zurück.

Konnte sich Karl eine derartige Abfuhr bieten lassen? Er war sich sicher, diesmal würde es anders laufen! Doch fehlten ihm die passenden Argumente und wie es derzeit schien, würde er es später wieder probieren müssen. Könnte er sie irgendwie versöhnlich stimmen ..?

Der Malstrom!

Genau, gegen ein Geschenk würde sie sich unmöglich wehren können! Natürlich wäre sie davon keineswegs begeistert, wenn nicht gar angewidert; jedoch könnte es ihm gelingen, ihre Meinung zu ändern, wenn sie immer mehr Zeit mit dem Wagen verbringen und dessen Vorzüge kennenlernen würde.

„Nun das ging mächtig in die Hose“, tat Viktor seine Meinung unschuldig kund, „Das wird Zuhause wieder ohne Ende Krach geben.“

„Still jetzt, ich habe einen ausgezeichneten Plan. Wo zum Henker ist Calensk, wenn man ihn braucht?“
 

Wie man vom Teufel sprach, kam just in dem Moment der Werkstattinhaber in den Salon, sein Mund bereits von einem schelmischen Grinsen gezeichnet.

„Na, wieder deine Alte verprellt?“

„Genau das brauche ich jetzt“, entgegnete Karl wütend, „Wärst du früher gekommen, wäre es bestimmt nicht so weit gekommen.“ Calensk legte den Kopf schief, hob die Hände und zuckte mit den Schultern.

„Tut mir leid, Kumpel. Aber die Kerle waren echt scharf darauf zu wissen, warum bei mir immer derselbe Kunde mit einer Platzwunde auf der Straße liegt.“ Danach legte er Karl eine Hand auf dessen Schulter und fragte lächelnd:

„Und, wie sieht's aus? Gefallen am Malstrom gefunden?“ Der Kunde sah kurz zu Boden, schaute dann dem Meister in die Augen und antwortete entschlossen:

„Ja. Definitiv.“

„Hervorragend, das freut mich für dich. Wirklich.“ Mehrere Sekunden vergingen, begleitet von einer unangenehmen Stille, bei der es jedem der beiden die Sprache verschlug. Dann hielt es Karl nicht mehr aus und er wollte erfahren:

„Also kann ich ihn haben?“

„Nö.“

Der Besucher runzelte die Stirn und sein Kopf nahm eine ungesunde rötliche Färbung an. Zum einen, weil er nicht verstand, wieso Calensk den Wagen trotz Karls Willensbekundung nicht abtreten wollte und zum anderen, da sich eine weitere Zeitverschwendung anbahnte.
 

„Das ist jetzt wohl nicht dein Ernst, oder?“, fragte der Vater aufgebracht, worauf Calensk aber keinerlei Regung zeigte, „Warum hast du ihn dann überhaupt in erster Linie gezeigt, nur um ihn dann doch nicht zu verkaufen?“

„Ich hatte es anfangs doch gesagt: Weil ich euch schützen möchte. Genauer gesagt, vor einem grausigen Tod, wie ihn all die Vorbesitzer ereilt hatten. Für den Fall, dass ihr den Malstrom eines Tages bei einem anderen Händler wiederfindet und somit wisst, wovon ihr die Finger lassen müsst.“

„Unsinn!“, brüllte Karl daraufhin, „Viktor hatte mir alles erzählt, inklusive dem Rat, ihn nicht wie einen Sportwagen zu fahren, damit er nicht plötzlich auseinanderfällt. Solange ich ihn gemäßigt bewege, wird mir nichts passieren.“ Calensk lächelte und kicherte, ehe er sagte:

„Hehe, genau das hatten sich die anderen Vorbesitzer sehr wahrscheinlich auch gesagt. Und der Malstrom hat sie trotzdem geholt. Was also gibt mir die Gewissheit, dass dir nicht dasselbe widerfährt?“ Schwer atmend und kochend vor Wut starrte Karl ihn mit zuckendem Auge an – genau die Reaktion, die der Meister erwartet hatte und ihn den Kopf schütteln ließ.

„Genau deshalb habe ich die Entscheidung getroffen, die Bestie genauso plötzlich wieder verschwinden zu lassen, wie sie auf meinem Hof mit der Bitte um Verkauf wieder aufgetaucht ist: Es wird verschrottet, ohne Wenn und Aber.“ Nun steigerte er seine Tonhöhe und fuhr mit bebender Stimme fort:

„Ich habe endgültig die Schnauze voll davon, immer mit ansehen zu müssen, wie der Malstrom ganze Leben und Existenzen vernichtet, nur um jedes Mal von amoralischen Werkstätten wieder repariert und unters Volk gebracht zu werden! Mit mir wird dieser Kreislauf ein Ende finden, und wenn ich meine eigene Lebensgrundlage auf's Spiel setzen muss!“
 

„Aber ich brauche ihn!“

Überrascht blickte er Karl an. Nicht, weil er, wie Calensk bereits damit gerechnet hatte, die Verschrottung ablehnte, sondern Karls Gesichtsfarbe die Zornesröte rasch verlor und nun bleich geworden war. Bestimmt hatten die Vorbesitzer den Malstrom in gewisser Weise ebenfalls gebraucht, und nie war es gut ausgegangen. Doch bei ihm hieß es Endstation für dieses dämonische Gefährt!

„Nirgendwo sonst finde ich ein geeignetes Auto für uns!“, wollte Karl ihn verzweifelt umstimmen, „Alle Autohändler hatten wir abgesucht und alle waren zu teuer! Die öffentlichen Verkehrsmittel saugen unser letztes Geld aus, nicht zu vergessen unser Elefantenrollschuh! Ich habe nur das Beste für Frau und Kind im Sinn, versteh' das doch bitte!“ Allerdings starrte Calensk ihn nur ablehnend an.

„Nein. Der Malstrom würde dich vernichten, besonders weil du glauben wirst, ein wenig Spaß mit den vielen PS würde nicht schaden.“

„Ich bin nicht so wie die vorherigen Eigentümer! Im Gegensatz zu ihnen werde ich aufpassen!“

„Ich sagte nein! Die Wahrscheinlichkeit, dass ausgerechnet du es anders machen wirst, liegt bei genau einem einzigen Prozent!“

„Aber ein Prozent ist noch im Bereich des Möglichen, garantiert!“

„Nochmal, nein.“

„Bitte.“

„Nein!“

„Bitte!“

„NEIN!“

„BITTE!“

„VOSS!“
 

Sofort kam Voss, seines Zeichens gehorsamer Soldat, in den Salon, sah beide abwechselnd an und fragte anschließend, was los sei. Während Karl ihn nur entsetzt anblickte, erklärte Calensk mit Augen auf den Malstrom:

„Schaff' den Kerl hier raus, es ist nur zu seinem Besten.“ Wortlos packte die Wache den Kunden an seinem Arm und begann, ihn herauszuzerren. „Außerdem will ich ihn nicht mehr sehen, bis der Wagen weg ist“, fügte der Meister noch hinzu und hörte weg, als Karl noch rief, er möge doch bitte ein Herz haben, wobei dieser zugleich versuchte, sich am Türrahmen festzuhalten. Doch es nützte nichts: Trotz gesetzlich festgeschriebener Grundausbildung hatte er gegen den Berufssoldaten keine Chance und wurde letztlich wie ein unartiges Kind entfernt.

Jetzt war Calensk allein im Verkaufsraum. Zusammen mit dem Malstrom.

Dem Gefährt, das, obwohl „bloß“ ein gewöhnliches motorisiertes Fortbewegungsmittel, zahlreiche naive Fahrer auf dem Gewissen hatte und sich immer wieder aufs Neue dazu erdreistete, von den Toten zu erstehen. Er glaubte nicht an den esoterischen Kram, geschweige denn an Geister und Dämonen und würde ihm jemals jemand erzählen, der Malstrom sei verflucht, würde er in Gelächter ausbrechen. Nein, stattdessen musste es etwas in den Köpfen der Fahrer sein, das sie das Offensichtliche ausblenden und sorglos in den Tod rasen ließ. Wenn der Malstrom dann nur auf ewig ins Nirwana übergehen und nicht wieder woanders neugebaut werden würde!

Aber wie lautete nochmal dieses Zitat, dass ihm die menschliche Rasse beigebracht hatte?

Was einmal gedacht wurde, kann nicht wieder zurückgenommen werden.
 

Indes kehrte Voss in den Salon zurück und hielt dabei den Autoschlüssel in der Hand.

„Ist erledigt, Boss. So wie der aber drauf ist, fürchte ich, dass er versuchen könnte, sich den Malstrom … nun, zu ,borgen´ oder zumindest abzufangen, wenn er auf dem Schrottplatz kommt.“ Ohne ihn anzusehen, erwiderte Calensk:

„Richtig. Deshalb …“ Er nahm den Schlüssel von der Wache entgegen und ging auf das Auto zu. „... werde ich höchstpersönlich seine Verschrottung beaufsichtigen. Auch wenn das nur eine temporäre Lösung ist.“

„Du wirst den Malstrom selber fahren, Boss?“, fragte Voss erstaunt, „Bist du dir da sicher?“ Daraufhin drehte sich der Werkstattinhaber zu ihm um und nickte. „Aber du weißt doch selber, wie gefährlich er ist!“

„Stimmt. Genau das befugt mich ja dazu, ihn ohne Zwischenvorkommnisse zu bewegen. Solange mir keine Flachzange die Vorfahrt nimmt, dürfte mir nichts passieren.“

„Na schön, wie du meinst, Chef. Willst du jetzt los?“ Erneut nickte Calensk und sagte:

„Ja, ich breche auf der Stelle auf. Öffne bitte die Tore und räume die Wagen aus dem Weg.“ Ohne zu zögern tat der Soldat, wie ihm geheißen und er verließ den Raum, um sich die Schlüssel zu besorgen.

Abermals allein, widmete sich der Meister dem Wagen und musterte ihn verächtlich. Gleich würde die Schreckensherrschaft des Malstroms enden!

Nur – für wie lange?

„Es wird mir auf ewig ein Rätsel bleiben, wie die Menschen dort auf der Erde so ein Monster wie dich konstruieren konnten, ohne von Mitarbeitern mit Sinn und Verstand aufgehalten zu werden. Du hättest niemals entstehen dürfen.“
 

Danach warf er einen Blick auf den Autoschlüssel in seiner Hand … und grinste breit.
 

„Es ist lange her, dass ich auf abgelegenen Straßen so richtig die Sau rausgelassen habe. Bestimmt wird der Schrotthändler eine weitere Stunde Wartezeit verkraften können, nicht? Was spricht denn schon gegen ein bisschen Spaß auf der Arbeit …“



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