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Tears and Laughter

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
So!
Hier bin ich wieder, trotz aller Widrigkeiten!
Da ich euch nicht weiter warten lassen wollte, lade ich Skylers PoV einfach als einzelnes Kapitel hoch und schiebe Undertakers PoV als Kapitel sobald ich es fertig habe hinterher.
Da ich nicht mehr so viel Zeit zum Schreiben habe, ist dies ein Schema das ich (auch für euch) wahrscheinlich beibehalten werde.

Ich hoffe ihr habt immer noch Spaß daran, die Geschichte zu lesen!
Stay tuned! Komplett anzeigen

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Sky

Der Totengräber saß auf dem Sargdeckel, bis ich meine Suppe zu Ende gelöffelt hatte.

Wir redeten über alles und nichts, und Undertaker lachte wieder so viel und so laut, wie man es von ihm gewohnt war.

Ich fühlte mich in dem verschrobenen Bestattungsunternehmen wieder so wohl wie vorher und dadurch fühlte ich mich sogar körperlich um einiges weniger schlecht.

Sobald die Schüssel in meinen Händen leer war, schaute mich Undertaker mit einem weiten Grinsen im Gesicht an und nahm mir das Geschirr aus der Hand: „Du solltest dich nun ein bisschen ausruhen, meine schöne Puppe.“

„Aber…“, ich würde mich gerne weiter mit ihm unterhalten, hatte ich diese Art von Unterhaltungen doch so bitterlich vermisst und so furchtbar gebangt sie nicht wieder führen zu können.

Doch mit dem langen Zeigefinger an meiner Nase unterbrach der Bestatter mich: „Nichts aber. Es gibt keinen Grund gezwungen wach zu bleiben. Morgen ist Samstag. Wochenende. Ruhe dich aus, nichts läuft dir weg.“

„Wirklich?“, fragte ich kleinlaut.

War eigentlich alles wieder gut, so ganz erholt hatte ich mich von der letzten Woche noch nicht und etwas in mir befürchtete immer noch Undertaker könnte seine Meinung wieder ändern.

„Natürlich nicht!“, an meiner Nase drückte der Totengräber mich in die Polster des Sarges. Ein mildes Lächeln umspielte seine Lippen und ergänzten seine, im halbdunklen wieder nur durch den großen Kerzenständer erhellten Laden, glänzenden Augen einfach nur perfekt: „Hier kommt nichts hinein. Hier drin kann dich nichts jagen. Du bist hier sicher, vertraue mir“, seine lange Hand strich sanft über meine fieberheiße Wange: „Gute Nacht und schlafe gut.“

Ich schaute in sein mild lächelndes Gesicht und fühlte mich so wohl wie schon lange nicht mehr. Die Polster des Sarges hießen mich so gemütlich Willkommen, dass mir umgehend meine Augen zufielen und ich machtlos meinem Fieber und meinem Schlafmangel erlag.

Ich schlief besser als man in einem Sarg schlafen sollte – eigentlich hatte ich noch nie wirklich besser geschlafen – doch wurde ich irgendwann von einem scharfen Hustenanfall wachgerüttelt. Ich setzte mich auf um besser abhusten zu können, doch brauchte ich trotzdem einige Minuten bis der Anfall abgeklungen war.

Mir war furchtbar heiß, doch ich zitterte.

Mein Mund war ganz trocken und mein Hals gereizt.

Ich brauchte dringend etwas zu trinken, ich spürte den nächsten Hustenanfall schon in den Startlöchern.

Ich räusperte mich und schaute mich um.

Der Laden lag dunkel und still vor mir.

Nächtlich und ohne Licht war er um einiges weniger heimelig. Eigentlich war der Laden des morbiden Bestatters bei Nacht nur noch exorbitant gruselig.

Die ganzen Särge waren dunkle Schatten, die das Schwarz fleckig und stellenweise nur noch schwärzer machten.

Ich wusste nur zu gut wie viele Augen mich aus den Gläsern in den Regalen heraus anstarrten. Ihre toten Blicke bohrten sich in meinen Rücken.

Als ich mich umschaute fiel mein Blick auf einen bleichen Totenschädel in einem Regal, dessen Elfenbeinweiß im Dunkeln fast zu leuchten schien und die hohlen Augenhöhlen wie endloses schwarzes Nichts wirken ließ. Er starrte mich an, unverhohlen und augenlos.

Ich schauderte.

Doch um wegzuschauen brauchte ich Minuten.

Die Tatsache, dass ich in einem Sarg lag, kam mir auf einmal nicht mehr halb so gemütlich vor wie vorher.

Mein Blick wanderte weiter durch den Laden.

Wo war Undertaker?

Ich hörte nichts. Durch den Laden ging nicht einmal die Idee eines Geräusches.

Hier herrschte – sehr wörtlich genommene – Totenstille.

Es war offenkundig mitten in der Nacht, vielleicht lag der Bestatter in einem der Särge und schlief ebenfalls. Ich wusste, dass er seine Särge zum Schlafen schloss.

Mein Blick fiel unwillkürlich auf einen kleinen, einfachen Beistelltisch aus dunklem Holz der neben dem Türbogen stand. Dort drauf stand immer ein kleiner, filigraner runder Spiegel, rechts und links davon zwei einfache goldene Kerzenständer.

Doch bekam ich einen mittelschweren Herzanfall, als ich auf den Tisch schaute. Vor dem Spiegel lag ein Totenschädel. Ich könnte schwören, der hatte da bevor ich eingeschlafen war noch nicht gelegen!

Auch kam er mir gefährlich bekannt vor.

Ganz langsam wanderten meine Augen zu dem Schädel im Regal… der nicht mehr im Regal lag.

Ein erschrockenes glucksendes Geräusch entfloh meiner Kehle und etliche Glassplitter fuhren durch meine Wirbelsäule, als ich auf die leere Stelle im Regal starrte.

Hier kommt doch nichts rein, hatte Undertaker gesagt!

Ich bin hier sicher, hatte er gesagt!

Vertrau mir, hatte er gesagt!

Das hier augenscheinlich schon was drin war, hatte er nicht gesagt!

‚Du kannst mich maaaal~‘

Ich schaute zurück zu dem kleinen Tisch auf dem nur noch der kleine Spiegel und die zwei Kerzenständer mit ihren angebrochenen Kerzen standen.

Mir war gar nicht mehr wohl.

Fieber hin oder her, nun war mir kalt! Richtig kalt!

‚Wo ist das Ding?‘, oh, ich mochte nicht mehr!

Ich spürte, dass mich meine Gesichtsfarbe verlassen hatte. Genau wie Gottes Segen.

Ich war mir im Übrigen sehr sicher, dass ich Gottes Segen jetzt sehr gut gebrauchen könnte.

Doch der kam hier wahrscheinlich wirklich nicht rein!

Etwas Helles erschien in meinem Augenwinkel.

Langsam, wie betend, drehte ich meinen Kopf wieder nach vorne.

Dann war ich mit einem spitzen Aufschrei und einem großen Satz aus dem Sarg gesprungen.

Denn auf dem zugeklappten Deckelteil des Sarges, in dem ich geschlafen hatte, auf dem auch der Bestatter gesessen hatte, lag urplötzlich dieser grässliche Schädel. Er hatte den Kiefer nun soweit aufgesperrt, dass er fast aus den Gelenk rutschte.

In meinem Schreck stolperte ich rücklings Richtung Ladentheke und starrte diesen Schädel an.

Ich ließ ihn nicht aus den Augen, damit er nicht verschwinden und mich fressen konnte.

„Oh mein Gott“, japste ich vollkommen atemlos: „Oh mein Gott, was ist das? Das Ding will mich fressen. Ich schmecke ganz labberig, überhaupt nicht knackig! Oh Himmel, ich bin doch viel zu jung zum AAAAHHHH!“

Während ich vor mich hin japste und nach hinten tapste, griff mich aus dem Nichts etwas von hinten an beiden Schultern.

Mein schriller Schrei zerriss die Totenstille im Laden.

In dem Wissen, mein Leben sei vorbei, setzte mein Denken komplett aus.

Ich trat nach hinten aus und traf etwas, von dem ich aber nicht wusste was es war.

„Au!“

Mein Ellbogen fuhr ebenfalls nach hinten und bohrte sich in etwas Hartes.

„Hirks!“

Ich zog die Faust des nachhinten gesausten Arms nach oben und traf wieder auf einen beachtlichen Wiederstand.

„Hmpf!“

Mit meinem letzten bisschen Geistesgegenwart griff ich das Metalltablett auf dem die leere Schüssel und die Messbecher standen. Sie rasselten laut auf den Ladentresen, als ich es an mich riss und damit das, was mich attackiert hatte, so fest wie mir irgend möglich niederschlug. Ein blechernes Scheppern ging durch das dunkle Bestattungsunternehmen.

„Jau! Au! Au! Au!“

Stille im Laden.

Das beachtlich zerbeulte Tablett wie eine Waffe erhoben stand ich vor dem Tresen und starrte schwer atmend in die Dunkelheit. Mein Herz wummerte und meine Venen brannten vor Schreck und Adrenalin.

Dann klang ein lautes Schnipsen durch die Düsternis.

Alle Kerzen in dem Verkaufsraum flackerten auf und vertrieben die albtraumhaften Schatten aus Undertakers kleinem Laden.

Ich ließ das Tablett ein Stück sinken. Erst jetzt fiel mir auf, dass überall Kerzen standen. Der Bestatter hatte unzählige davon! Auf Tischen, auf dem Boden, in Regalen, begleitet von dem großen 25-Arm-Leuchter neben dem Tresen.

Ein Ächzen ließ mich mein Tablett wieder heben und meinen Kopf zum Tresen fahren.

Eine lange bleiche Hand mit langen schwarzen Fingernägeln erschien über der Tischplatte und hielt sich daran fest.

Kurz darauf hievte Undertaker seinen Oberkörper auf den Tresen und grinste mich mit, von seinem Pony doch recht wirr verhangenen Augen, an: „Geht es dir nun besser, meine Liebe?“

Ich blinzelte den Bestatter verwirrt und immer noch recht außer Atem an: „… Was?“

„Nihihihi! Na, ob es dir nun besser geht?“

„Wie…“, ich schüttelte irritiert den Kopf und ließ das Tablett sinken: „Wie meinst du das?“

„Nun“, der Bestatter stand auf, ging um den Tresen herum und rieb sich den Hinterkopf: „Ich stelle immer wieder fest, du bist kräftiger, als du aussiehst. Ih hi hi!“

„Ich bin…“, es schepperte ein weiteres Mal, als ich das Tablett losließ um die Hände vor meinen Mund zu schlagen. Noch während ich den Satz verarbeiten wollte, hatte ich verstanden was ich gerade getan hatte: „Oh mein Gott!“

Ich wedelte hilflos mit den Händen: „Es tut mir leid! Es tut mir so unendlich leid!“

Ich hatte Undertaker verprügelt!

Mit einem Metalltablett!

Der Totengräber lachte und schnappte beide meiner Hände mit einer Hand: „Lass Gott aus dem Spiel. Fuhuhuhuhu! Der hat hier nichts zu suchen.“

Gestresst schaute ich in Undertakers verhangenes Gesicht: „Der ist zu 100% auch nicht hier…“

„Kehehe! Das hoffe ich!“, der Bestatter legte den Kopf schief. Seine Haare rutschten dadurch von einem Auge: „Das wäre auch Hausfriedensbruch! Nehehehe! Doch das beiseite. Ich habe dich schreien hören. Was war?“

„I-i-ich“, ich drehte mich um und eroberte eine Hand zurück: „Da!“, um auf den Totenschädel auf dem Sarg zu zeigen… der weg war!

Ich ließ die Schultern hängen, als ich versuchte zu verarbeiten was gerade passierte. Da ich es um biegen und brechen nicht schaffte, flog mein Gesicht hilfesuchend zu Undertaker: „Da war eben noch ein Totenschädel! Der war überall! Einfach so! Kaum habe ich weggeschaut da…“

„Der hier?“

„WAAAAAAH!“, mit einem Satz war ich über die Tischplatte hinter dem Tresen verschwunden, nachdem mir Undertaker diese verdammte Totenfratze vollkommen unvermittelt mitten ins Gesicht gehalten hatte! Ich lugte mit einem bösen Funkeln über die Tischplatte: „Du Idiot!“

„Fuhuhuhuhu“, Undertaker wankte kurz in einem kleinen Lachanfall hin und her: „Gihihihihi! Schlechte Angewohnheit, es tut mir leid!“

„Tut es überhaupt nicht!“

„Doch, tatsächlich!“, er wischte sich ein paar Lachtränen aus den Augen: „Aber es kommt immer einfach so über mich! Kehehehe! Und deine Reaktionen sind so goldig!“

„Oh, du kannst mich mal!“

Er legte den Kopf schief und stemmte die freie Hand in die Hüfte: „Ja, was denn?“

„Äh…“, ich stockte: „Also… also… Äh“, dann sprang ich zurück in den Stand: „Mir den Buckel runter rutschen!“

„Oh“, er kam einen Schritt auf mich zu und legte mir mit einem weiten Lächeln die Hand auf die Wange: „Das meinst du nicht so.“

„Äh… äh… Also…“, in meinem Gehirn herrschte Ebbe. Undertaker hatte sich mal wieder um meine Wut herumgemogelt.

Er schaute auf den Totenschädel und dann wieder zu mir: „Hat dich der kleine Kerl so erschreckt?“

Ich nickte: „Ja…“

„Hmmm“, der Totengräber stemmte wieder die freie Hand in die Hüfte und beschaute den Schädel, den er vor sein Gesicht hielt: „Den hatte ich ganz vergessen…“, er grinste mich entschuldigend an: „Vergib mir, meine Schöne. Ich habe an den kleinen Schalk hier gar nicht mehr gedacht.“

Was ich vergessen hatte waren mein Schreck und meinen Ärger. Ich musste anfangen zu kichern.

Undertaker ließ den Schädel ein Stück sinken und schaute mich ein wenig irritiert an: „Worüber lachst du?“

„Hi hi. Sein oder Nichtsein“, ich kicherte weiter. Undertaker hätte mit dem nachdenklichen Blick auf diesen erhobenen Schädel auf eine Bühne gehört: „Du siehst aus wie Hamlet!“

„Ihihihihi! Oh, danke für die Blumen, meine Teuerste“, der Bestatter verbeugte sich einmal kurz ebenso bühnenreif und grinste mich an: „Aber auch du, liebe Sky, begehst den verbreiteten Fehler Hamlets Monolog aus der 1. Szene des 3. Aufzug mit der Friedhofszene aus dem 5. Akt zu verwechseln. Beim Monolog gab es keinen Schädel. Leider. Ehehehe!“

„Du…“, ich blinzelte: „Du bist ein Shakespeare-Fan?“

Undertaker wandte sich breit grinsend wieder dem Schädel zu und hob eine Hand: „Ach armer Yorick! - Ich kannte ihn, Horatio; ein Bursch von unendlichem Humor, voll von den herrlichsten Einfällen. Er hat mich tausendmal auf dem Rücken getragen, und jetzt, wie schaudert meiner Einbildungskraft davor! Mir wird ganz übel“, er fuhr mit dem Finger über die Mundpartie des Totenschädels: „Hier hingen diese Lippen, die ich geküsst habe, ich weiß nicht wie oft“, er hob wieder fragend seine Hand: „Wo sind nun deine Schwänke? Deine Sprünge? Deine Lieder, deine Blitze von Lustigkeit, wobei die ganze Tafel in Lachen ausbrach? Ist jetzt keiner da, der sich über dein eigenes Grinsen aufhielte? Alles weggeschrumpft? Nun begib dich in die Kammer der gnädigen Frau und sage ihr, wenn sie auch einen Finger dick auflegt:“, er hob den Zeigefinger der erhobenen Hand: „So'n Gesicht muss sie endlich bekommen; mach sie damit lachen! - Sei so gut, Horatio, sage mir dies eine!“

Mir stand der Mund offen: „Das zitierst du?! Einfach so?!“

„Aber ja!“, der Bestatter machte eine weite Geste mit dem Schädel, der in seiner Hand seinen Grusel doch sehr schmählich eingebüßt hatte und zu Requisite verkommen war: „Eine Abhandlung über einen Witzbold anhand seines verwitterten Totenschädels, begleitet von einem singenden Totengräber! Vorzüglich! Meine Lieblingsszene mit großem Abstand! Ich habe Shakespeare verschlungen!“

Ich blinzelte wieder. Diese Abhandlung war so unglaublich bedenklich, wie sie für den Bestatter passend war: „Das glaube ich dir sofort… Und… Ich hoffe du meinst du hast seine Werke verschlungen und auch das hoffentlich nur im übertragenen Sinne…“

Undertaker legte grinsend die Hand an seine Brust: „Aber natürlich“, dann fiel sein Kopf zur Seite: „Wobei ich auch seine Seele geholt habe. Kihihihihi! Es war definitiv ein sehr interessanter Record!“

Ich zog die Augenbrauen hoch: „Okaaaaaay… Andere fragen nach einem Autogramm, aber warum nicht auch so.“

„Autogramm! Awuhuhuhuhuhuhuhuhuhu!“, Undertaker verstrickte sich in einem längeren Lachanfall. Als er sich einigermaßen gefangen hatte, stupste er mir auf die Nase: „Nihihihihi! Literatur ist etwas Feines. Lesen ist großartig!“

Ich schaute kurz auf Undertakers Finger und dann in sein Gesicht: „Liest du viel?“

„Wenn ich sonst nichts zu tun habe“, der Bestatter grinste breiter: „Also ja.“

„Und Shakespeare ist dein Lieblingsautor?“

Undertaker drehte seine freie Hand: „Er war ein großartiger Dramatiker, aber nein.“

„Wer dann?“

Der Totengräber legte wieder die Hand auf seine Brust: „’Ist Besuch wohl‘, murrt’ ich:‘ Was da pocht so knöchern zu mir her – das allein – nichts weiter mehr.‘ “

Ich schüttelte lächelnd den Kopf: „Ehrlich? Poe?“

„‘Der Rabe‘ ist fantastisch!“

Ich lachte auf: „Das passt so gut zu dir.“

„Deswegen ist es wohl auch so. Kehehehe!“

Ich seufzte und lehnte mich gegen den Tresen. Jetzt wo der Schreck verschwunden war kam der Schwindel wieder. Und die Müdigkeit. Ich rieb mir durch die Augen.

Eine Hand in meinem Gesicht ließ mich aufschauen: „Du bist noch so warm. Verzeih‘ mir, dass ich zuließ, dass dich dieses Ding so erschreckt. Mir selbst fällt seine Gegenwart einfach nicht mehr auf.“

Ich schüttelte meinen Kopf, was Undertaker dazu brachte seine Hand herunter zu nehmen: „Ist ok… Was ist das überhaupt?“

Undertaker schaute auf den Schädel und dann mit einem entschuldigenden Lächeln wieder auf mich: „Ich weiß es nicht.“

„…Bitte?“

„Ehehehe! Ich habe keine Ahnung! Ich fand ihn irgendwann, irgendwo. Selbst das habe ich vergessen. Es ist ein Schädel, ganz offensichtlich, doch nicht ganz normal, ebenso offensichtlich. Deswegen entschloss ich mich ihn zu behalten.“

„Geht dir das Ding nicht auf die Nerven?“

„Nein“, Undertaker schnaubte amüsiert: „Kihihi. Es bewegt sich, wenn überhaupt, nur nachts und traute sich nie an mich heran.“

Meine Augen fielen zu Boden: „An mich schon…“

„Und genau deswegen“, ein trockenes Knacken ließ mich wieder aufschauen. In Undertakers Fingern lag Spannung, auch wenn sie seinem grinsenden Gesicht fernblieb und Risse zogen sich durch den morschen Knochen. Dann sprang er mit einem knarzenden Geräusch in viele zu Boden fallende Teile: „Muss er gehen“, giggelnd zwinkerte Undertaker mir zu: „Au revoir. Ne he he!“

Ich legte eine Hand vor dem Mund: „Du musst wegen mir doch nicht deine Sachen kaputt machen…“

„Wer weiß, was es angestellt hätte“, er wischte sich beiläufig Knochenmehl an der schwarzen Jeans ab, was daran elfenbeinfarbene Striemen hinterließ. Dann drehte er sich zu mir: „Selbst wenn es dich nur erschrecken wollte, du brauchst deine Ruhe. Alles, was dies stört, muss weg.“

Mit einem schlechten Gewissen und herabgefallenen Blick schlang ich meine Arme um meine Brust. Ich traute mich nicht zu sagen, dass sein Laden an sich furchtbar gruselig war, sobald kein Licht mehr schien. Er gab sich doch so viel Mühe. Also lächelte ich ihn an: „Danke sehr.“

Undertaker legte den Kopf schief: „Ist noch etwas?“

„Nein“, machte ich, doch Undertaker wirkte nicht recht überzeugt: „Wirklich?“

Ich nickte.

Er legte seinen Kopf auf die andere Seite: „Du weißt welche Strafe auf lügen steht. Auch wenn ich es habe ein wenig schleifen lassen, zugegeben.“

Ich zog eine Augenbraue hoch: „Du hast heute einiges davon nachgeholt.“

„Ah ah ah“, er wedelte mit dem Zeigefinger: „Ich kam in dem Bestreben dir zu helfen und du hast mich dafür getreten, geschlagen und es mir mit einem Tablett gedankt! Auf den Kopf! Mehrfach!“

„Weil du mich erschreckt hast!“

„Ich wollte verhindern, dass du gegen den Tresen läufst.“

Ich stockte: „… Wäre ich…?“

„Ja“, verschränkte Undertaker die Arme.

„Oh…“

„Und wenn ich mich bemerkbar gemacht hätte, hättest du dich vor meiner Stimme erschreckt. Meine Möglichkeiten waren arg eingeschränkt, findest du nicht?“

„Äh… äh… äh…“, ich hasste es, wenn er Recht hatte!

Undertaker schüttelte giggelnd den Kopf: „Ki hi. Lege dich wieder schlafen. Ich glaube, ich habe sonst nichts mehr was nachts umher wandert.“

Ich hustete einmal trocken: „Hättest du noch ein Glas Wasser für mich?“

Mit einem Lächeln verschwand der Totengräber in der Türe und kam keine Minute später mit einem Becher Wasser wieder. Ich kippte es hinunter und atmete erleichtert aus: „Besser…“

„Dann“, Undertaker nahm unvermittelt meine Hand und führte mich zurück an den Sarg. Beide Hände auf einmal an meiner Taille legte er mich nonchalant hinein: „Gute Nacht.“

„Gute Nacht“, lächelte ich müde und kuschelte mich in die Armee von Wolldecken.

Undertaker richtete sich auf und pustete einmal auf seine Handfläche. In diesem Moment gingen mit einem leisen Flackern alle Kerzen wieder aus.

Dann hörte ich wie seine Schritte verschwanden.

Skeptisch lugte ich nur mit den Augen über den Rand des Sarges. Sicher fast eine halbe Stunde beschaute ich den Laden und achtete darauf ob sich irgendetwas bewegte. Doch jede der vielen Bewegungen, die ich meinte im Augenwinkel gesehen zu haben, stellten sich als Hirngespinst oder meine eigenen Haare heraus.

Mir war schwindelig, warm und ich war müde.

Doch es war so gruselig, mit all den Schatten und komischen Silhouetten...

Ich fühlte mich wieder alleine hier im Dunkeln - umgeben von all den makaberen Dingen, die Undertaker so sammelte und mittlerweile selber vergessen zu haben schien, woher das ein oder andere kam oder was es konnte – überhaupt nicht wohl.

Irgendwann zog ich meinen Kopf zurück in den Sarg, doch Schlaf fand ich aufgrund der ganzen eingebildeten tanzenden Schatten nicht.

Die Decke bis zur Nase gezogen sah ich trotz der Düsternis aufgrund meiner blühenden Paranoia jedes Staubkorn und stufte es als potenziell tödlich ein. Zumindest dachte ich, es seien Staubkörner… oder hoffte es. Mein Herz schlug konstant einen Takt zu schnell und ich hatte ein ungutes Gefühl in Magen und Wirbelsäule.

Zwar wusste ich, dass Straßenlaternen in der Gasse standen, doch kein Licht fiel durch die Fenster des kleinen Ladens. Es schien, als haben selbst die Lichtstrahlen Angst vor ihm.

Ich setzte mich auf und ließ meinen Blick wieder durch den Laden wandern. In den Regalen standen ein paar Statuen und einige mir ganz unbegreifliche Dinge, die schon erleuchtet keinen schönen Anblick abgaben, doch ihre Schemen war einfach nur grausig.

Ich zog meine Lippen in meinen Mund, als mir klar wurde ich würde einfach keine Ruhe finden.

Nicht solange mich mein merklich schlagendes Herz so nervös machte.

Ich entschloss mich mir noch etwas Wasser zu besorgen. In der kleinen Teeküche konnte ich bestimmt Licht anmachen und abwarten bis ich mich wieder beruhigt hatte. Sicherlich wirkt der Laden nicht mehr so gruselig, wenn ich aus meinem Alarmzustand herausfand.

Ich kletterte aus den Sarg und musste mich kurz an dem Rahmen festhalten. Mein Kopf schwirrte zwar nur unterschwellig, aber unangenehm. Das Intermezzo mit dem Schädel war wohl doch zu aufregend gewesen.

Seufzend warf ich mir eine der Wolldecken über die Schultern und wickelte mich darin ein.

Ich war so müde.

Als ich mich hingelegt hatte dachte ich, ich würde schlafen und nie wieder aufwachen. Doch ich war nicht mal im Schlafen gut. Ich schlief nur selten gut.

Recht tapsig ging ich auf die Türe hinter dem Tresen zu.

Ich war mir sicher es war in Ordnung hindurchzugehen, schnell in der Küche zu verschwinden und mir etwas zu trinken zu holen, doch mit der Hand an der Türklinke zögerte ich.

Es war etwas anderes in seine Privaträume zu gehen, anstatt in dem Verkaufsraum zu sein. Der Verkaufsraum stand prinzipiell jedem offen, doch eine ruhig Rückzugsmöglichkeit –Raum für sich selbst – war vielen Leuten wichtig.

Ich drehte meinen Kopf ab, als ich meine Idee verwerfen wollte. Allerdings stierte ich just in diesem Moment einem Glas in einem Regal entgegen aus dem zwei Augen zurück schauten.

In einer Bewegung war ich durch die Tür und schloss sie hinter mir.

Ich lehnte mich auf der anderen Seite mit einem Seufzen dagegen.

Auch ein Lieblingsgruselkabinett war immer noch ein Gruselkabinett.

Nach ein paar Sekunden ging ich einen Schritt in den kleinen Zwischenraum, indem es wärmer war als im Verkaufsraum. Ich musste mich kurz orientieren. Schließlich hatte ich die hinteren Räume nur einmal kurz gesehen. Ich schaute nach rechts und stockte erneut.

Der Raum war erleuchtet.

Sanfter orangener Schein flackerte sachte über Wände und den Boden. Es knisterte hin und wieder friedlich und die Atmosphäre war auf einmal eine ganz andere.

Heimischer.

Zögerlich, aber wie eine Motte vom Licht angezogen, tat ich einen Schritt in den kleinen Raum.

Das milde Leuchten ließ die Couch und den kleinen Queen-Anne-Style-Couchtisch in der Raummitte lange gemächlich tanzende Schatten auf den Boden und den schwarzen Teppich werfen, die schon fast träge und müde wirkten.

Was allerdings auf jeden Fall müde wirkte war die Gestalt, die auf dem schwarzen viktorianischen Sofa lag und mich erst dazu bewogen hatte die kleine Kammer überhaupt zu betreten.

Seitlich auf den anscheinend herausnehmbaren dicken Samtpolstern liegend, eines der schwarz-braun floral bestickten Akzentkissen und die gerollte, ebenfalls dick gepolsterte und mit braunen Leder bezogene Armlehne als Kopfkissen benutzend, war Undertaker Gesicht halb in seiner Armbeuge verschwunden. Die andere Hand hing hinunter und mein Blick fiel auf das Buch, welches fast aus seinen langen Fingern rutschte und halb auf den Boden zwischen den restlichen Zierkissen und Undertakers Schuhen lag. Ich sah mit einiger Verwunderung, dass es sich tatsächlich um ein gealtertes Magazin handelte. Darauf stand groß »Weird Tales« und das Cover sah, mit dem blauen Hintergrund auf dem ein paar unbekleidete, aber mit Goldschmuck und Rosen behangene Männer und Frauen zu sehen waren, doch eher komisch aus.

Ich ging so leise es mir möglich war einen Schritt näher an das mit braunem Leder und schwarz-braunen floral gemusterten Samt bezogene Sofa mit der geschwungenen durch elegante Schnitzereien verzierten Rückenlehne heran, auf dem der Totengräber über seinem Lesestoff eingeschlafen zu sein schien.

Sein Pony war von seinen geschlossenen Auge gerutscht und ich konnte erkennen wie sich ganz leicht, aber gleichmäßig und friedlich seine Brust hob.

Ich nahm mir kurz die Zeit mich in dem kleinen Raum umzusehen, der wirkte wie ein Lese- oder Studierzimmer, welches man aus einem viktorianischen Herrenhaus geklaut hatte:

Rechts von mir war der leise säuselnde Kamin, der recht groß für den kleinen Raum war und fast die komplette kurze Wand einnahm. Er war gehauen aus grauem Stein, ich tippte auf Marmor, da er durchzogen war von weißen Äderchen und Flöckchen. Verziert war er mit schlicht gehaltenen Pilaster, Sockel und Sims, aber mit reich detaillierten Konsolen. Er wirkte massiv wie dezent und das lauschige Feuer vertrieb meinen Grusel.

Die gegenüberliegende kurze Wand und die Hälfte der rechts angrenzenden langen Wand war gesäumt von fast deckenhohen Bücherregalen, die fast aus allen Nähten platzten. Einige beherbergten nur, mal ältere, mal neuere Bücher und waren noch recht ordentlich. Doch in anderen stapelte sich wirr kreuz und quer Papier, mal in Ledermappen, mal als zusammengebundenes Packet, mal als ein Berg von Rollen und mal als loses Durcheinander. Doch was meinen Blick an diesem Raumende wirklich fing war ein Möbelstück, welches man heutzutage fast gar nicht mehr sah. Ich kannte es lediglich aus der immer noch recht viktorianisch angehauchten Bibliothek des Weston College, wo eine Handvoll davon ausgestellt waren, allerdings nicht benutzt werden durften:

Ein alter englischer Sekretär mit Hocker.

Dieses massive Möbelstück sah nicht aus, wie ein Nachbau. Der Stehrücken war aus einem gestanzten Muster geformt. Eine Falltür könnte die Innen- und Schreibfläche abdecken, doch stand sie offen und erlaubte den Blick auf einen darauf liegenden Stapel dicker Bücher, zwei einzelne aufgeschlagene, einige halb beschriebene Papierbögen und einem Tintenfässchen, in dem eine Feder steckte. Eine einzelne Schublade mit stilvollen Metallgriffen, sowie niedrigere offene Regale - ebenfalls vollgelegt mit Büchern und Papier - bestärkten mich in dem Glauben, es handelte sich um ein viktorianisches Original.

Die antiken Möbel wirkten nicht gepflegt, eher teilweise nicht oft benutzt und die Arbeitsfläche des Sekretärs hatte Kratzer und Katschen. Doch ich war mir sicher, in dem kleinen Raum stand an Interieur ein kleines Vermögen.

Ich schaute wieder zu Undertaker auf dessen bleiches und glattes Gesicht ebenfalls der Schein des Kaminfeuers hin und her tanzte.

Ich beschaute ein paar Minuten wie friedlich der Totengräber in seinem Schlummer wirkte und beschloss dann ihn darin nicht stören zu wollen.

Mit einem Schritt rückwärts wollte ich so leise aus dem Zimmer verschwinden wie ich gekommen war, doch stolperte ich über eins der auf dem Boden liegenden Zierkissen und stieß mit den Waden gegen den dunklen Holztisch. Ich verzog das Gesicht, als die alte Tischuhr darauf klapperte und ein hölzernes Knarzen durch den Raum ging, welches mir sicher viel lauter vorkam, als es war.

Undertakers Kopf zuckte hoch und er stemmte sich sofort auf die Arme.

Mit verschlafenen, wirr halb verhangenen, halb entblößten Augen plinkerte er mich an. Das orangene Dämmerlicht des Karminfeuers brach sich in seinem Chartreusegrün, welche in der schummrigen Kammer selbst zu glänzen begonnen hatte und verschlug mir den Atem.

Diese Augen gehörten unter normalen Umständen schon verboten, doch wenn sich der Schein von Feuer im Halbdunkeln darin brach war dies ein Lichtspiel, welches ich mit keinen mir bekannten Wort wirklich beschreiben konnte.

Magisch beschrieb es wohl am besten, doch erfasste auch dies dieses Funkeln, Glitzern und Leuchten nicht ganz. Das Blitzen von Orange und Grün, seine tiefschwarzen Pupillen, die jedes Licht, welches von seiner Iris abstrahlte, verschlang, nahmen meine Gedanken gefangen.

„Sky?“, weckte mich Undertakers etwas verwunderte Stimme. Er setzte sich ganz auf und legte das alte Magazin neben sich auf das dicke Polster: „Was möchtest du hier?“

Ich blinzelte angestrengt.

Mein noch von seinen Augen überforderter Verstand wusste nicht, ob er nur etwas verblüfft war mich zu sehen oder ob er mir durch die Blume suggerieren wollte, dass es ihm nicht gefiel, dass ich so ungelenk in seine Privatsphäre gestolpert war.

„I-i-ich…“, begann ich furchtbar ungeschickt: „Ich wollte mir nur etwas zu trinken holen…“

Undertaker machte zwei weitere schnelle Lidschläge und deutete dann mit seiner rechten Hand zur Tür: „Die Küche ist allerdings da lang.“

„I-i-ich weiß, doch…“, was sollte ich ihm denn sagen?

Dass sein Laden mir Angst einjagte und ich von den vielen dunklen Schatten geflohen war, die mich gruselten, obwohl er sich so viel Mühe gab, dass ich gut schlafen konnte?

Dass ich dann sein schlafendes Gesicht gesehen hatte, welches ich mochte seitdem ich es Halloween das erste Mal sah, weil es so unendlich friedlich aussah, und einfach näher an ihn herangeschlichen bin?

Ich konnte ihm nicht sagen, dass all seine Bemühungen an einer irrationalen Furcht meinerseits scheiterten.

Ich konnte ihm nicht sagen, dass ich ihn frech und ungeniert im Schlaf bemustert hatte.

„Was machst du dann hier?“, fragte der Bestatter ein weiteres Mal mit schlafschwerer Stimme nach, als ich nicht weiterkam.

„I-ich…“, mir war immer noch keine gute Ausrede eingefallen.

Undertaker legte den Kopf schief: „Es war schon etwas nicht in Ordnung bevor du dich wieder schlafen legtest, richtig?“

„A-also…“, ich druckste hin und her: „‘Nicht in Ordnung‘ ist so ein harter Ausdruck…“

Er brachte wieder seinen Kopf ins Lot und beschaute mich abschätzend, wenn auch noch ein wenig verschlafen: „Aber genau passend. Nun sprich. Warum schläfst du nicht? Es kann nicht daran liegen, dass du nicht müde seiest.“

Ich hob eine Hand und begann auf dem Fingernagel meines Mittelfingers herumzukauen. Ich wusste nicht, wie ich erklären sollte hier zu sein…

Ein verstehendes sanftes Lächeln legte sich auf Undertakers Lippen, welches mir sagte, dass er die Antwort schon lange kannte: „Mein Laden gruselt dich, richtig?“

Ich schaute ihn kurz an. Dann fielen meine Augen zu Boden. Nach ein paar Sekunden der Überwindung nickte ich langsam, immer noch verzweifelt auf meinem Nagel kauend. Es war bis ins Letzte undankbar, dass ich mich in seinem Laden fürchtete, doch dieser Totenschädel und diese Schatten hatten meinem angeschlagenen Gemüt den Rest gegeben. Ich wollte nicht mehr allein in dem dunklen Raum mit seinem sonderbaren Sammelsurium sein. Nicht allein zwischen den dunklen Silhouetten der ganzen Särge und den vielen huschenden Schatten, die ich mir des Weiteren sicher nur einbildete. Doch diese Gewissheit machte es leider nicht erträglicher.

Ich merkte ein paar Tränen der Schuld und Schande in meinen Augen. Kaum mit ihm vertragen trat ich seine Bemühungen mit Füßen…

Eine Hand griff meine und zog sie behutsam aus meinem Gesicht. Dann ließ mich ein kleiner unerwarteter Ruck nach vorne kippen. Im Straucheln drehte mich etwas und ich landete auf dem dicken Polster des Sofas und in zwei starken Armen.

Irritiert schaute ich mich um.

Links und rechts von mir sah ich ein Bein in einer schwarzen Jeans.

Sofort schoss mir mit großen Augen die Schamesröte ins Gesicht, als ich erkannte, dass ich zwischen Undertakers Beinen gelandet war!

Ich schaute augenblicklich über meine Schulter in das vernarbte Gesicht des unmenschlichen Totengräbers. Ich wollte ihn fragen, was das sollte - was ich hier sollte! - doch mein offenstehender Mund bekam keinen Ton heraus.

Er beschaute kurz mein Gesicht, dann nahm er eine Hand und wischte mir sachte die Tränen aus den Augen: „Na, na. Warum die feuchten Augen?“

Meine Verwirrung aufgrund meines unvorhergesehenen Positionswechsels verflog und ich schlug die Augen nieder: „Ich… Ich wollte nicht undankbar sein. Du hast sogar deine Sachen kaputt gemacht, damit ich in Ruhe schlafen kann und ich bekomme es nicht hin, weil mein Kopf mir Streiche spielt…“

Ein Finger an meinem Kinn hoben meine Augen wieder in Undertakers warm lächelndes Gesicht: „Es gibt nichts Verständlicheres, als sich in meinem Laden zu gruseln, meine Schöne.“

„Aber… du hast dir so viel Mühe gegeben…“

Undertaker schloss kurz die Augen, während er den Kopf schüttelte: „Was nützen denn Bemühungen, die nicht fruchten?“, er schaute mir direkt in die Augen und strich mir aufmunternd über die Wange. Die Kälter seiner Finger zog angenehm durch mein Fieber: „Wenn du keine Ruhe findest, sage es. Das hat nichts mit Undankbarkeit zu tun. Du bist krank und müde. Sage mir was ich tun kann, damit du schlafen kannst.“

„Ich…“, mein Kopf ratterte verzweifelt: „Ich möchte einfach nicht im Dunkeln dort allein sein…“

„Wenn es sonst nichts ist“, grinste Undertaker und ich merkte, wie er seinen Arm bewegte. Doch dass er das Magazin von dem Polster auf den Tisch warf, erkannte ich nur durch das leise Aufkommen des Papiers.

Ich sah, wie er ein Bein wieder auf die Polster legte und gegen die Rücklehne winkelte. Dann merkte ich Druck unter meinen Waden. Fast erschrocken sah ich wie er seinen zweiten Fuß unter meine Beine geschoben hatte. Mit einem weiteren kleinen Ruck landeten sie mit seinem auf dem breiten Sofa. Mein Oberkörper drehte sich ein Stück und kam in eine liegende Position.

Meine Augenlider flackerten verwirrt, mir stieg die Schamesröte in Scharen ins Gesicht und ich merkte, dass sich langsam hob und senkte worauf ich lag.

Ich drehte mich auf die Seite, suchte Platz um mich aufzustützen und schaute Undertaker ins Gesicht, während gefühlt immer mehr Blut in meine Wangen schoss: „Wa-wa-was wird das?!“

Undertaker lächelte mich, einen Arm hinter seinem Kopf verschränkt, wieder auf seiner Armlehne und dem kleinen Kissen liegend an: „Du sagtest doch, du willst nicht alleine sein, oder nicht?“

„Ja, aber…“, ich kam wieder nicht weiter. Ich dachte, vielleicht machte er mir eine Kerze an oder eine Lampe, aber das?!

Undertaker legte lächelnd eine Hand in meinen Nacken.

Ich schaute in seine glänzenden grünen Augen und hatte das Gefühl mein Herz und die Zeit blieb gleichzeitig stehen. Ich vergaß zu atmen.

„Nicht gut?“, fragte er nach nur einer gefühlten Ewigkeit.

„Nei-Nein“, stammelte ich unbeholfen: „So meinte ich das nicht. Ich…“

„Dann ist doch alles fein“, er drückte mit sanftem Druck meinen Kopf auf seine Brust: „Du solltest endlich etwas schlafen, so wirst du nie gesund.“

„Ich…“, mir fehlten die Worte zum Widersprechen.

So wie ich lag hörte ich das Klopfen seines Herzens. Es war ganz langsam, doch ruhig und gleichmäßig. Kräftig.

Ein beruhigend einschläferndes Geräusch.

Ich merkte wie schwer meine Lider waren.

„Ok“, gab ich mich der Situation, dem Wohlgefühl und meiner Müdigkeit geschlagen.

„Gute Nacht, meine schöne Puppe.“

Ich konnte Undertaker nicht mehr antworten. Begleitet von seinem Gute-Nacht-Gruß dämmerte ich augenblicklich davon.
 

Es weckte mich ein frecher Sonnenstrahl.

Ich rümpfte widerwillig die Nase und hörte mich selbst kurz unbegeistert murren. Ich war müde und wollte noch nicht wach sein. Mein Kopf fühlte sich heiß und schwer an und doch lag ich unglaublich gemütlich.

Es war warm. Kuschelig.

Mehr als nur schlaftrunken kuschelte ich mich mehr in die Wolldecke, die um mich gewickelt war und an das worauf ich lag.

Meine Unterlage bewegte sich daraufhin, ich rutschte ein kleines Stück zur Seite und etwas zog sich enger um meinen Rücken und zusätzlich um meine Beine. Leichter Druck erschien auf meiner Stirn. Verwunderung kroch in meine schlafschweren Gedanken.

Langsam öffnete ich die Augen.

Mit einem unwillkürlichen Keuchen realisierte ich wo ich war.

Ich musste meinen Kopf ein Stück zurücknehmen, um Undertaker in sein schlafendes Gesicht schauen zu können. Dabei wurde ich mir bewusst, dass mein Bewegungsspielraum extrem eingeschränkt war.

Meine Augen wanderte die Couch hinab und wieder hinauf.

Da ich den Kopf in den Nacken legen musste, um ihm ins Gesicht zusehen und da ich eben noch Gewicht auf meiner Stirn gespürt hab, war ich mir sicher er hatte seine Stirn an meine gelegt, bis ich mich bewegt hatte. Sein Pony hing wirr und nur halb in seinem Gesicht mit den friedlich geschlossenen Augen. Sein Kopf lag auf einem seiner Ellbogen. Den anderen Arm hatte er um meinen Rücken gezogen. Der Bestatter musste sich auf meine Bewegungen hin wohl auf die Seite gedreht haben, denn ich war in einem Spalt zwischen ihm und der Couchlehne gerutscht, spürte so jedes Heben und Senken seiner Brust überdeutlich. Einer seiner Füße war um eine meiner Waden gezogen.

Der Kamin knisterte nicht mehr.

Meine Augen huschten kurz über Undertakers Schulter.

Friedlich lag der Raum vor mir, spärlich erleuchtet von ein paar Strahlen warmer Herbstsonne, die sich durch die halb zugezogenen schwarzen Gardienen neben den vollgestopften Bücherregalen schlichen und einen goldenen Herbsttag ankündigten. Durch das geschlossene Fenster hörte ich kurz einen Vogel zwitschern, daraufhin ein beleidigtes Krähen und dann ein flatterndes Davonfliegen.

Mein Blick fand das Ziffernblatt der alten Steeple Clock im gotischen Stil. Eines der kleinen Türmchen links des spitz zulaufenden Mahagonigehäuses war abgebrochen. Es hatte außerdem einige angekratzte und eingedrückte Stellen, sowie abgeplatzten Lack an der ein oder anderen Ecke. Das Mattglas hatte florale klare Aussparungen, die allerdings durch etliche Kratzer ein wenig an Form eingebüßt hatten. Dahinter schwang selig das Messingpendel und tickte leise vor sich hin. Die Zeiger über dem Zinkzifferblatt mit römischen Ziffern zeigten mir 08:57 Uhr an, auch wenn ich kurz überlegen musste, welcher Zeiger der Kleine war, da einem ein Stück abgebrochen war. Es lag ein wenig traurig wirkend unter dem Ziffernblatt der schönen und sicherlich ebenfalls antiken Uhr. Neben der Uhr lag etwas Rundes auf dem Tisch, doch ich konnte nicht ausmachen was es war.

‚Noch ganz früh‘, dachte ich mir und meine Augen wanderten kurz durch das kleine Zimmer mit seinem ganz eigenen Charme: ‚Ich muss noch nicht aufstehen. Ich…‘, obwohl etwas in mir peinlich berührt war, konnte ich nicht sagen, dass mir meine Position nicht gefiel. Ich fühlte mich wohl: ‚… Möchte noch ein bisschen liegen bleiben…‘

Meine Augen wanderten zurück in das Gesicht des Totengräbers.

Nur schauten mir auf einmal zwei strahlend grüne Augen über einem verschlafenen Lächeln entgegen: „Guten Morgen.“

Unwillkürlich zuckte ich zusammen, war ich mir fast sicher gewesen der Bestatter schlief noch. Er zog ein bisschen die Augen zusammen, allerdings sein Lächeln weiter: „Ist alles in Ordnung?“

„Na-natürlich“, ich blinzelte, selbst noch nicht ganz in der wachen Welt angekommen: „Ich… dachte nur du schläfst noch.“

„Hmmm…“, surrte der Totengräber dämmrig mit seiner schlafrauen Bassstimme: „Nein, nicht mehr.“

Seine leise, ein wenig kratzende tiefe Stimme war ein ganz eigenes Geräusch.

Ich mochte sie.

Sie wirkte entspannt, mit seinen schläfrigen Augen und dem verschlafenen Lächeln unbeschreiblich friedvoll. Dieser Ausdruck, dieser Ton, zündete einen warmen Funken in meinem Bauch an und vertrieb ein wenig mehr das kränkliche Gefühl.

„Ich… sehe es“, ich konnte nicht anders als meinen Mund zu einem Lächeln zu ziehen, als ich es nicht schaffte meinen Blick aus dem verträumt schläfrig lächelnden Gesicht des morbiden Bestatters zu nehmen, der gerade eher harmonisch wirkte, als wie üblich endlos gruselig: „Guten Morgen.“

Das schlaftunkende Lächeln des Inkognito-Shinigamis wurde noch weiter: „Hast du gut geschlafen?“

Ich nickte: „Ja.“

Undertaker zog den Arm unter seinem Kopf hervor. Mit für jeden anderen sicherlich sehr umständlich verdrehtem Handgelenk schubste er ein paar Strähnen aus meinem Gesicht: „Das höre ich gerne. Wie geht es dir?“

„Besser.“

„Aber noch nicht gut.“

Ich schüttelte den Kopf: „Das wird noch ein oder zwei Tage brauchen.“

„Sicherlich“, Undertakers Hand löste sich von meinem Rücken, erschien auf meinem Hinterkopf und drückte meine ohne Ankündigung vor seine Stirn. Ich blinzelte perplex, musste meine Augen allerdings fast vorm zufallen bewahren, als die Kälte seiner Haut anfing durch mein Fieber zu kriechen. Sofort büßte ich meine Körperspannung ein.

„Vielleicht auch drei oder vier“, schwebte die samtschwarze Stimme zu mir herüber: „So warm wie du bist.“

„Es ist nur eine Erkältung…“

„Ich hoffe, du hast Recht.“

Ich hob meine Augen an und fand seinen Blick: „Was sollte es denn sonst sein?“

„Mittlerweile? Eine Nasennebenhöhlenentzündung oder eine Bronchitis, vielleicht auch eine blühende Lungenentzündung oder Herzmuskelentzündung, Meningitis…“

„Mach mal ‘nen Punkt“, unterbrach ich ihn: „Wenn man dich hört, bin ich ja so gut wie tot.“

„Das kann schneller gehen, als manch einer denkt.“

Ich blinzelte: „Undertaker… Mach einen Punkt.“

Der Bestatter lachte schlafrau: „Kehehe! Ist ja gut.“

Ich seufzte. Dann schmunzelte ich: „Du rechnest wirklich immer mit dem Schlimmsten, oder?“

„Dann kann man nur noch positiv überrascht werden.“

Ich lachte auf: „Das stimmt wohl.“

Plötzlich hörte man von Draußen ein Flattern, dann ein erschrockenes Krächzen gefolgt von einem dumpfen Geräusch.

Mein Kopf zuckte hoch und ich schielte zum Fenster: „Was war das?“

„Merkenau.“

Ich schaute Undertaker wieder an: „Merkenau?“

Dieser streckte kurz den Arm, der mich nicht hielt, und klemmte ihn mit einem schläfrigen Gesichtsausdruck wieder unter seinen Kopf: „Hmhm. Ich habe ihn rausgesetzt. Er hat gelernt zu fliegen“, es schielte einmal an die Decke: „Es fehlt ihm allerdings teilweise noch an, ehehehe, Raffinesse.“

„Merkenau…fliegt?“, in meinem Kopf machte es Klick und ich setzte mich ein Stück auf: „Und er ist draußen?! Was ist, wenn er wegfliegt und nicht wiederkommt?!“

„Dann ist dem so“, Undertaker schaute mich an, als sei das keine große Sache. Ich würde den kleinen Vogel furchtbar vermissen: „Aber…!“

„Soll ich ihn einsperren?“, setzte mich der Totengräber sofort schachmatt: „In einen kleinen Käfig, wenn er die Welt haben kann? Wenn es ihm hier gefällt, kommt er von selbst zurück. Alles andere wäre grausam, oder nicht?“

Ich schlug die Augen nieder: „Natürlich… Ich…“, ich hatte nicht nachgedacht. Ich stellte fest, dass es für Menschen nur allzu alltäglich geworden war, andere Lebewesen einzusperren und ihre Lebenswelt auf ein Minimum zu reduzieren: „… Würde ihn nur vermissen und habe…“

Eine Hand an meiner Wage ließ mich aufschauen.

Undertaker lächelte milde und schüttelte dann kurz den Kopf: „Ich weiß, dass du es nicht böse meintest. Hin und wieder braucht man jemanden, der Dinge anders sieht, um alte Muster zu überdenken.“

„Ich bin sicher, du bist sehr oft dieser Jemand.“

„Na“, er schaute kurz an die Decke: „Ich glaube, ich bräuchte hin und wieder selbst dringend so einen Jemand.“

„Warum?“, ich hatte dieses Gefühl nicht. Von Undertakers Weltsicht war ich ein ums andere Mal total fasziniert! Auf viele verschiedene Weisen.

„Naja, ich lebe schon das ein ums andere Jahr. Da schleift sich einiges ein und sicherlich nicht nur Gutes.“

Ich schenkte dem Bestatter ein ehrliches Lächeln: „Ich habe nichts zu meckern.“

Der Totengräber lachte auf: „Gehehehe! Dafür meckerst du aber ziemlich oft mit mir!“

Ich knuffte ihn vor die Schulter: „Mach nicht alles kaputt was ich sage!“

Undertaker lachte noch einmal. Dann legte er wieder eine Hand auf meinen oberen Rücken und zog mich zurück in die Polster und in seinen Arm: „Etwas was sich eingeschleift hat ist zum Beispiel ein ausgeprägter Egoismus. Lässt du mich egoistisch sein?“

Ich lugte in sein Gesicht: „Inwiefern?“

Der Bestatter schloss seine Augen mit den langen silbernen Wimpern: „Ich finde es gemütlich so. Ich will noch nicht aufstehen. Was im Rückkehrschlussbedeutet, dass du es auch nicht tust.“

„Ich glaube“, ich kuschelte mich noch ein Stück mehr in seinen Arm und merkte wie er sein Kinn auf meinem Kopf ablegte. Wonnig schloss ich meine Augen: „Damit kann ich leben.“

Auf das Lachen des Totengräbers folgte ein langes wohliges Schweigen.

Ich schlief nicht, aber döste vor mich hin, das Ticken der Tischuhr im Ohr, das Klopfen von Undertakers Herz unter meinen Fingern. Mit Nichts wollte ich in diesem Moment tauschen.

Wenn mich mein Dämmern kurz in die wache Welt entließ und ich in das Gesicht des Bestatters lugte, lächelte er mich mit seinen unglaublichen Augen an, die er öffnete, sobald er merkte, dass ich den Kopf bewegte. Mit einem Lächeln meinerseits im Gegenzug driftete ich immer recht schnell wieder weg. Meine Erkältung und der Schlafmangel zerrten doch an mir. Doch die Gegenwart des morbiden Totengräbers hatte etwas derart Friedvolles, dass sie sich in hohem Maße heilsam anfühlte.

Irgendwann schaute ich aus meinem Dämmerzustand über Undertakers Schulter ein zweites Mal auf die Uhr. Sie zeigte 11:23 Uhr an.

„Wir haben bald halb Zwölf…“, murmelte ich müde.

„Och nein“, säuselte Undertaker noch dämmriger, als ich mich fühlte: „Tue so etwas nicht. Das klingt nach aufstehen…“

„Faule Socke“, schmunzelte ich.

Der Totengräber lachte schlafschwer: „Kehehe. Du hast noch gar keine Vorstellung, wie faul.“

„Ich muss irgendwann auch wieder nach Hause.“

„Ich weiß“, Undertaker öffnete seine Augen und grinste mich an: „Vielleicht morgen.“

Ich zog meine Augen zusammen: „Wie?“

„Vielleicht lasse ich dich morgen wieder nach Hause gehen“, sagte er mit einem triezenden Grinsen, was verriet dass er nur herumalberte: „Wenn ich gütig bin, was ich nicht bin.“

„Du kannst mich doch nicht hier einsperren!“

„Wer hält mich davon ab?“

„Na ich!“

Urplötzlich hatte ich Undertakers zweite Hand am Kinn. Sein Arm zog sich fester um meinen Rücken und er mein Bein zwischen seine.

„Dann mach“, grinste er, als sich unsere Nasenspitzen trafen.

Ich blinzelte irritiert, dann versuchte ich mich irgendwie heraus zu winden: „Das ist doch ein schlechter Scherz!“

Ich hatte keine Chance. Natürlich hatte ich keine Chance!

„Nein“, grinste der Bestatter belustigt: „Du sagtest doch, du hältst mich davon ab. Zeig!“ Meine Arme waren zwischen seinen und meinen Torso eingeklemmt und nutzlos. Ich versuchte mit meinen Beinen zu wedeln und selbst das funktionierte nur mit einem.

„Undertaker!“, ich versuchte weiter vergeblich mit allem zu wedeln, was ich hatte: „Du hast deinen Spaß gehabt!“

Er verzog eine Schnute: „Nur ich?“

Sofort erschien ein sattes Rot in meinem Gesicht: „Also… Äh… Also… Äh…“

„Hm?“, legte er den Kopf schief, seine Hand immer noch an meinem Kinn.

Was sollte ich denn sagen?

Ich wusste nicht wie ich verpacken sollte, dass es mir gefallen hatte so mit ihm auf der Couch zu liegen: „Also… ich… eigentlich... Nein“, ich atmete tief durch: „Nicht nur du…“

Sein Lächeln wuchs von einem Ohr zum Anderen: „Musik in meinen Ohren.“

Ich lachte einmal beschämt: „Danke, Undertaker.“

Der Bestatter nahm die Hand von meinem Kinn und setzte sich auf: „Nicht dafür. Kehehehe! Schließlich kam ich wieder nicht drum herum dich zu ärgern.“

Ich stemmte mich auf die Arme: „Das bist halt du. Mit sowas muss man bei dir halt rechnen. Eigentlich wusste ich, dass du nur Quatsch machst.“

„Gut“, er lächelte mir entgegen: „Ich würde dich nie zu irgendetwas zwingen, es sei denn es ist ganz eindeutig zu deinem Besten.“

„Wow“, machte ich schmunzelnd: „Das ist allerdings doch ein bisschen beängstigend.“

„Warum?“, Undertaker legte den Kopf schief: „Du bist mir wichtig. Dann ist so etwas doch normal, oder? Wahrscheinlich die einzige normale Eigenschaft, die ich habe. Ehehehehe!“

Mein Schmunzeln wurde ein kleines Lächeln: „Stimmt.“

Ich war zutiefst gerührt, doch wusste ich nicht wie ich es ausdrücken sollte. Es fühlte sich so gut an, wenn er sagte ich sei ihm wichtig. Dass er sich um mich sorgte.

Jedes Gefühl von Verlassenheit verließ mich in seiner Gegenwart.

Undertaker schwang seine Beine von der Couch und weckte mich damit aus meinen Gedanken.

„Was machst du?“, fragte ich verwirrt.

Er stand auf: „Du wolltest doch heim.“

Nun… war ich ein wenig traurig es angesprochen zu haben. Ich meinte damit doch nicht genau jetzt. Doch abwinken konnte ich es auch nicht mehr. Ich sollte aufhören Steine so voreilig ins Rollen zu bringen…

Undertaker schlüpfte mit den Zehen in einen seiner Lackschuhe. Dann nahm er den Fuß nach oben um ihn mit seinem langen Zeigefinger über seine Hacke zuziehen. Während er das tat sah ich seine Schuhsohle.

Sie war total abgelaufen!

Etwas in mir schwur dieses Muster zu kennen.

Vollkommen intuitiv griff ich ihn am Knöchel, als er seinen Fuß hinunternehmen wollte und zog seine Sohle zu meinem Gesicht.

Undertaker strauchelte aufgrund des unvorhergesehenen Rucks und rettete mit einem kleinen Scheppern seiner Unterarme auf dem Couchtisch seine Balance.

Ich musterte die abgelaufene Sohle seiner Schuhe: ‚Das ist doch…!‘

Obwohl ich den Gedanken nicht ganz zu Ende denken konnte, war mir klar, dass es das Muster auf meinem Schulblock war! Ich wusste erst nicht, was ich sagen sollte. Undertaker war in meinem Zimmer gewesen!

„Dürfte ich erfahren, was du da tust?“, ich schaute zu Undertakers Stimme auf, von meiner Entdeckung geschockt, und sah durch die Lücke, die seine Beine und seine Arme freigeben auf sein kopfüberhängendes Gesicht. Der Bestatter grinste in seiner komischen Position: „Nicht, dass es mich stören würde. Ich kenne die Rollenverteilung lediglich anders herum. Kehehehe!“

„Rollen…“, ich stockte verwirrt, meine Entdeckung fast wieder vergessen: „…Verteilung…?“

Undertaker lachte dreckig, wie verschmitzt: „Nihihihi! So wie du es machst, könnte das ein oder andere schwierig werden, aber ich bin ja immer offen für Neues. Fuhuhuhu!“

Meine Augen wurden weit, als bei mir fast schmerzlich der Groschen fiel. Mir schoss das Blut ins Gesicht, als mir klar wurde in was für eine Position ich Undertaker gebracht hatte! Er stand vorne über auf seinen Unterarmen auf den für seine Körperlänge viel zu niedrigen Tisch gebeugt und auf einem Bein. Aufgrund der Tatsache, dass ich seinen zweiten Fuß in den Händen und hochhielt standen sie ein Stück auseinander. Nach ein paar unendlich geschockten Sekunden ging mir auf WORAUF ich schauen würde, würde ich nicht unter seinem Körper hinweg in sein Gesicht lugen, sondern geradeaus schauen und auf WAS er seine Aussage bezog!

Ich bekam einen Herzanfall, den auch sein amüsiertes Kichern nicht verhindern konnte.

Mit einem kleinen Aufschrei ließ ich seinen Fuß los und flüchtete hinterrücks ins Polster der Couch: „Du Schwein!“

Undertaker kam mit einer bemerkenswert eleganten Halbdrehung und dem Gesicht in meine Richtung wieder auf die Füße. Er legte die Hand auf seine Brust: „Ich? Die Initiative, meine Liebe, hast du ergriffen. Doch ich glaube mit deinem Gesundheitszustand ist heute nicht die Zeit für so etwas. Kehehehe!“

„Da-da-das“, ich fand meine Sprache kaum wieder. Mein Gesicht brannte! Ich hatte das Gefühl ich finge Feuer: „Ist nicht dein Ernst!“

„Ist es auch nicht“, er stemmte grinsend eine Hand in die Hüfte: „Ich würde trotzdem gerne erfahren, was du da getan hast.“

Ich lachte gestresst auf.

Undertaker hatte mich wieder einmal geneckt.

Hatte ich nicht noch großkotzig gesagt, bei ihm muss man mit sowas halt rechnen?

Retourkutschen…

… ich hasse sie.

„Ich…“, ich holte tief Luft, mir bewusst werdend, dass ich etwas gefunden hatte um ihm den Wind mal ordentlich wieder aus den Segeln zu nehmen: „Du warst in meinem Zimmer!“

Undertaker machte sofort große Augen. Er blinzelte mich 3-mal an.

„Bitte?“, kam es schließlich doch sehr ertappt aus seinem Mund.

‚Die Rache ist mein!‘, triumphierte etwas in mir. Etwas anderes war jedoch bei der Situation von vor ein paar Momenten sehr elendig gestorben und etwas Drittes wollte sehr genau wissen, was sein Schuhabdruck auf meinen Schreibtisch zu bedeuten hatte!

„Dein Schuhabdruck war auf einem meiner Schulblöcke auf meinen Schreibtisch!“

Undertaker klappte tatsächlich ein Stück der Mund auf. Er blinzelte wieder ein paar Mal. Dann lachte er.

„Schlaues Mädchen“, grinste er plötzlich gefällig: „Ich hätte es wissen müssen. Irgendwie kommst du hinter alles, scheint es.“

Ich schüttelte den Kopf: „Denke nicht du kommst drum herum, indem du mir Honig ums Maul schmierst.“

„Natürlich nicht“, er verbeugte sich halb: „Du hast mich erwischt“, er stellte sich wieder hin: „Ich wollte nicht, dass eurer komischer Besuch dich im Schlafbesuchen kommt.“

„Das…“, ich stockte wieder: „Heißt?“

„Ich war jede Nacht bei dir“, antwortete er mir gerade heraus.

Mir klappte der Kiefer auf: „Bitte was?! Das erzählst du?! Einfach so?!“

Er nickte: „Du wolltest es doch wissen.“

„Du“, ich bekam meine Gedanken nicht mehr sortiert: „Warst jede Nacht…“

Er kniete sich vor mich hin, nahm mein Gesicht in beide Hände und sah mir genau in die Augen: „Was soll ich denn tun, wenn dir etwas Ernsthaftes passiert? Ich machte mir Sorgen.“

Der weiche Ausdruck in seinem Grün vertrieb meinen Ärger: „Aber…“

Es gab eine Menge Aber’s.

Doch ich bekam keines mehr hinaus. Eher freute sich etwas in mir, dass er sich trotz unseres Streits - oder was auch immer das gewesen war - so viele Sorgen um mich machte und die ganze Zeit auf mich aufgepasst hatte.

Er hatte mich nie alleine gelassen.

Viele Menschen, die mir wichtig gewesen waren und denen ich hätte wichtig sein sollen, hatten mich einfach alleine gelassen.

Meine Eltern, diverse Pflegeeltern…

Doch nicht Undertaker.

Ich hatte ihn unfair behandelt damit weggelaufen zu sein.

Was ich an diesem Freitag getan hatte, hatte die darauffolgende Woche für uns beide in einen wackeligen und auszehrenden Drahtseilakt verwandelt.

Er hatte sogar geweint.

Auch er hatte in den letzten Tagen scheinbar wohl etwas eingesteckt.

Und trotz all dem hatte er mich nie allein gelassen.

Auch wenn seine Methoden fragwürdig waren, er hatte mich nie wirklich verlassen.

Und diese Erkenntnis wurde mir sofort unendlich wichtig.

„Verzeihe mir“, sprach er mit einem schuldbewussten Lächeln: „Ich weiß, dass dies ein massiver Eingriff in deine Privatsphäre war. Wenn du sauer auf mich bist, ist dies verständlich.“

Doch wie war man sauer auf jemanden, der sich die Nächte um die Ohren schlug, damit man nicht von einem komischen Zombie-Vieh gefressen wird, dass keiner wirklich einschätzen konnte?

Ich wusste nur, dass ich nicht recht sauer war. Eher war ich gerührt und überrascht.

„Undertaker“, ich legte meine Hände auf seine in meinem Gesicht: „Ich… bin nicht sauer, doch… mach sowas nicht mehr einfach so, ok? Sprich vorher mit mir.“

Er nickte: „Dein Wunsch sei mir Befehl.“

Dann verließen seine Hände mein Gesicht und er zog sich den zweiten Schuh an.

„Du bist ein erstaunliches junges Ding“, meinte er dabei recht zusammenhanglos.

„Wie?“, fragte ich verwirrt.

„Nun“, er lächelte mich an: „Andere hätten ganz anders reagiert.“

Ich legte den Kopf schief: „Nun... Ich bin aber nicht irgendjemand anderes.“

„Ich weiß“, spielerisch tippte er mir gegen die Nasenspitze: „Mir gefällt, wie du bist.“

Ich konnte mir ein Lächeln einfach nicht verkneifen.

Undertaker lächelte zurück, doch dann seufzte er durch die Nase: „Wir sollten los. Du solltest dich dringend weiter ausruhen. Selbst dein Lächeln sieht immer noch recht müde aus.“

Ich war müde.

Ich fühlte mich nicht mehr so erbarmungslos erschlagen, wie die Tage zuvor und ich war mir sicher meinen Schlafmangel zu einem Teil aufgeholt zu haben, aber ich war noch nicht auskuriert.

„Aber“, ich schaute zu Boden: „Bei mir da… kann ich doch kaum schlafen…“

Es war halb die Wahrheit… und halb der Versuch meinen so voreilig angestupsten Stein wieder ein Stück zurück zu rollen.

„Deswegen“, Undertaker zwinkerte mir zu, was mein Herz einen Schlag überspringen ließ: „Habe ich mir etwas ausgedacht.“

„Hast du?“, brachte ich irgendwie heraus.

Undertaker setzte sich neben mich auf die Couch und griff das runde Etwas neben der Uhr. „Nimm dies“, sagte er mit einem milden Lächeln und hielt mir das Runde hin.

Jetzt erkannte ich was es war… und konnte fast nicht mehr aufhören zu blinzeln.

„Ist das…“, ich war mir sicher es zu erkennen, auch wenn es alles andere als traditionell designt war. Ein kreisrunder Rahmen, groß wie Undertakers lange Hand, umwickelt mit einem dünnen, schwarzen Wildlederband. An einer Stelle war das Band braun, dünner und hielt einen viel kleineren, gleich umwickelten Ring im Inneren des Größeren. In dem kleinen Ring spannte sich ein sternförmiges Netz aus silbernen glänzenden Fäden, in dessen Mitte ein recht großer, schwarzer und von Rillen durchzogener Stein eingeflochten war. Zwischen dem großen und den kleinen Ring spannten dieselben Silberfäden ein ineinander verwobenes V-Muster. So wirkte das Geflecht und die runden Rahmen wie ein Sichelmondmotiv und war sicher alles andere als leicht zu fädeln gewesen. Von dem großen Ring hingen 3 Lederbänder hinab. An deren Ende hing jeweils eine große schwarze Feder, darüber kleinere schwarze Federn, über denen wiederum pro Band 3 schwarze Perlen aufgefädelt waren, auf denen man ebenfalls feine Rillen erkannte. Nur die große Feder an dem mittleren Band schien im strahlensten Weiß, das ich je gesehen hatte: „Ein Traumfänger?“

Undertaker nickte: „In der Tat. Ich bin mir nicht sicher, was dieses Wesen ist, aber ich habe eine Theorie, auch wenn sie unbestätigt ist. Sollte ich richtig liegen, wird das kleine Ding hier dich sehr zuverlässig schützen können. Das macht dich allerdings zu einer Art Versuchskaninchen, auch wenn dies nie der Vater des Gedankens war“, er hielt mir den schön gearbeiteten Traumfänger in Sichelmondoptik näher hin: „Ich möchte, dass du sicher bist. Deswegen trage bitte die Kette und nehme dieses bescheidene kleine Geschenk an.“

Zögerlich nahm ich den Traumfänger an mich. Ich beschaute ihn mit großen Augen. Die silbernen Fäden glänzten seidig in den paar Sonnenstrahlen. Der Stein passte toll dazu: „Was ist das für ein Stein?“

Ich mochte Edelsteine, war allerdings nicht sonderlich bewandert. Und der nachtschwarze Stein war schön!

„Schwarz Turmalin“, antwortete Undertaker grinsend: „Er gilt als einer der stärksten Schutz- und Heilsteine gegen negative Einflüsse und schützt vor allem gegen negative Fremdenergie. Außerdem wird er in Kombination mit dem Sternzeichen Skorpion und dem Monat Oktober als äußert effektiv eingestuft und nun rate mal welches schöne Skorpion-Mädchen im Oktober Geburtstag hat.“

„Ich“, lächelte ich kleinlaut.

„Exakt“, Undertaker tippte mir wieder auf die Nasenspitze, was mich kichern ließ. Ich möchte es, wenn er das tat: „Ich war so förmlich gezwungen ihn zu benutzen. Ich hoffe, er funktioniert.“

„Gezwungen…?“, ich schaute von dem Fänger zu Undertaker: „Hast du den wieder selbstgemacht?“

„Solche Dinge müssen gut zugeschnitten sein, ansonsten funktionieren sie kaum“, er rollte die Augen an die Decke und zeigte mit einem Zeigefinger über seine Schulter: „Oder es geht nach hinten los.“

„Undertaker“, ich legte den Fänger auf mein Herz und lächelte in sein Gesicht: „Danke.“

„Nicht dafür“, grinste der Bestatter. Dann stand er auf und hielt mir die Hand hin: „Sollen wir?“

Ich nahm sie mit einem Nicken und er zog mich auf die Füße.
 

Ich verließ die Privaträume des Bestatters. An dem Sarg wo ich anfänglich geschlafen hatte, legte ich die ganzen Wolldecken zusammen. Ihre Farben irritierten mich schon ein bisschen: Eine rot, eine grün, eine blau, eine beige. Obwohl Amy mal anmerkte, er möge pink, wirkten diese nicht wie die Farben, die sich der Bestatter aussuchen würde. Ich glaubte trotz allem bevorzugte er schwarz, grau, silber, oder weiß. Am meisten Schwarz. Wahrscheinlich, weil schwarz seinem Job so eng verbunden war und er aus Prinzip alles zu mögen schien, was mit seinem Job zu tun hatte.

Nach ein paar Minuten kam auch Undertaker mit einem Holztablett auf der ein Glas, eine Urne , eine dampfenden Schüssel und zwei ebenfalls dampfende Messbecher Tee standen in den Laden.

„Hier“, reichte er mir die Schüssel und stellte einen Messbecher vor mir ab: „Du solltest etwas Frühstücken.“

„Suppe zum Frühstück?“, lächelte ich.

Undertaker setzte sich auf seinen Stuhl, nahm das Glas, welches ich als ein Glas Marmite erkannte, schraubte es auf, nahm einen Kekse aus der Urne, holte damit einen großen Klecks der dunkelbraunen Abscheulichkeit aus dem Glas und grinste: „Kihihihi. Ich glaube, die Alternativen gefallen dir nicht.“

Mir klappte der Mund auf: „Du wirst doch nicht et…!“

Mit seinem weiten Grinsen biss er das Ende mit Marmite ab.

Mein Magen drehte sich dreimal um sich selbst: „…Doch… Du wirst…“

„Das ist lecker“, mampfte er zufrieden und recht unmanierlich. Er wirkte dabei trotzdem furchtbar knuffig. Er wiederholte diese unheilige Prozedur und hielt mir das angeknabberten mit Marmite beschmierten Keksende hin: „Probieren?“

„Äh-äh“, machte ich verstört: „Nicht einmal, wenn mein Leben davon abhinge…“

„Dann iss die Suppe“, grinste er weiter: „Nihihihihi! Oder ich füttere dich zwang. Die ganze Urnenfüllung voll.“

Sofort schob ich mir einen Löffel Suppe in den Mund.

„Braves Mädchen“, schob er den Keks in den Mund, den er tatsächlich geschafft hatte in etwas noch Furchtbareres zu verwandelt, als er eh schon war. Er griff sich den nächsten Kecks und dippte ihn wieder in die zähflüssige Höllenpampe.

Ich versuchte mich auf den Geschmack der Suppe zu konzentrieren, um mir nicht vorzustellen wie das schmecken musste: „Ich bin kein Hund. Bei dir kommen mir allerdings leichte Zweifel…“

Undertaker lachte amüsiert.

Ich versuchte ihn beim Essen nicht anzuschauen. Was er da – ich wusste nicht ganz, ob das Wort noch passte – ‚frühstückte‘ war für einen Menschen mit normalem Geschmacksempfinden der purre Graus. Undertaker hingegen wirkte recht selig und knusperte einen Keks nach dem anderen.

Nach einer Weile gefräßigen Schweigens war meine Schüssel, sowie die Teebecher leer und ich schaute zu Undertaker.

Dieser kaute zwar noch mit fröhlich wackelnden Kopf hatte allerdings das mittlerweile halb leere Marmiteglas zugeschraubt.

Er stellte es auf den Tresen: „Sollen wir?“

Ich nickte, stand auf, ging zu der Garderobe und wickelte mich in meinen Poncho.

Undertaker langte in eine Schublade und wollte ein Handy in seine Hosentasche stecken.

„Zeig mal!“, unterbrach ich ihn und ging wieder zum Tresen.

Undertaker legte den Kopf schief und hielt mir das Handy hin.

Ich beschaute es. Ein Galaxy S4 in schwarz. Es war in Ordnung, hatte jedoch hier und da leichte Gebrauchsspuren.

„Second-hand?“, fragte ich und schaute wieder in Undertakers Gesicht.

Er nickte: „Von Lee. Er braucht es wohl nicht mehr und gab es mir.“

„Cool“, lächelte ich: „Und ist es so schlimm?“

Undertaker rollte wieder die Augen an die Decke: „Eigentlich nicht. Doch das ständige Vibrieren nervt mich und einige Dinge verstehe ich nicht.“

„Zum Beispiel?“

Der Bestatter schaute mir wieder ins Gesicht und steckte sein Handy ein: „Beispielweise habe ich keine Idee was ein ‚Smiley‘ sein soll.“

Sofort erinnerte ich mich, dass diese Frage seinerseits von der ‚Fantom-Talk‘-Truppe einfach ignoriert worden war.

Ich musste kichern.

Undertaker verschränkte die Arme: „Ki hi. Wenigstens belustigt es dich.“

„Ich wollte dich nicht auslachen, es tut mir leid“, ich wedelte mit den Händen: „Lass mich es wieder gut machen.“

„Ich habe damit kein Problem. Ich mag lachende Wesen. Warum sie es tun ist zweitrangig, wenn ich dafür sorgen kann umso besser. Ehehehehe! Du musst nichts wieder gut machen.“

„Ich möchte es aber“, ich ging ganz an den Tresen heran: „Hast du ein Blatt Papier und einen Stift?“

Undertaker zuckte mit den Schultern, griff wieder in eine Schublade und gab mir einen recht entstellten Notizblock und einen alten Füller. Ich malte ein ‚;-)‘ auf die erste leere Seite und drehte sie zu ihm: „Das ist ein Smiley.“

Undetrakers Augenbraue wandert in die Höhe: „Und was will mir das sagen?“

„Das ich dir zuzwinkre.“

Die zweite Braue folgte der ersten auf dem Fuße: „Wie das denn?“

„Ein Smiley ist eine ziemlich abstrakte Art von Bildsprache“, ich drehte den Block um 90° und skizzierte kopfüber um den Smiley einen Kopf, einen Körper und eine wilde Frisur: „Erkennst du es jetzt?“

„Oh!“, Undertaker fing an zu lachen: „Kehehehe! Ein Gesicht!“

Ich nickte: „Bestanden.“

Undertaker lehnte sich auf die Ellbogen und streckte mir seine Nase ins Gesicht.

„Und mit welcher Note?“, rollte sein kalter Atem über meine Wangen. Er roch nach Früchtetee mit Minze, hatte allerdings eine leichte Note von Marmite und Hundekeksen. Doch war sie kaum merklich schwach und von dem prägnanten Teegeruch doch deutlich übertüncht. Gänsehaut rieselte über meinen Körper und ich starrte einen Moment in seine leuchtend grün-gelben Augen.

Nach ein paar Sekunden blinzelte ich meinen Verstand frei und schaute nach unten, als ich sehr genau einen roten Schimmer über mein Gesicht huschen spürte.

„Nun“, ich zog den Block zu mir: „Das müssen wir noch herausfinden.“

„Inwiefern?“

Wieder kopfüber malte ich ein ‚:-)‘ auf das Papier: „Was meint der?“

„Kihihi. Oh, ein kleiner Test“, Undertaker legte sein Gesicht auf einer Hand ab: „Ein bisschen unfair. Kihihihi. Schließlich hatte ich keine Zeit zum Üben. Oder etwas, was ich hätte üben können! Fuuhuhuhu“, trotz seiner Beschwerde, die sich nicht im mindesten wie eine Beschwerde angehört hatte, drehte er den Block um 90° und nach nicht mal einer Sekunde wieder zurück: „Ein Lächeln.“

„Richtig“, nickte ich und malte ein ‚:-D‘: „Und das?“

Er drehte den Block wieder, wieder zurück und kicherte: „Nihi! Ein Lachen.“

„Wieder richtig“, ich malte ein ‚:-(‘: „Und der?“

Wieder ein Drehen um 90° des Bestatters, der gut amüsiert wirkte: „Kihi. Der ist traurig“, er drehte den Block zurück: „Den werde ich nie benutzen! Tihihi!“

„Wahrscheinlich wirklich nicht“, schmunzelte ich und hatte ebenfalls meine Freude an dem kleinen Spielchen. Ich malte ein ‚;-(‘: „Der?“

Undertaker drehte den Block und wog seinen Kopf kurz hin und her: „Nun ja, ein trauriges Zwinkern ergibt wohl keinen Sinn… Ah!“, er zeigte mit dem Zeigefinger auf mich: „Er weint!“

„Genau!“, grinste ich: „Du bist gut!“

„Oh, danke für die Blumen“, legte er sein heiteres Gesicht schief: „Aber es ist nicht so schwer, wenn man das Schema verstanden hat“, er zeigte auf die Doppelpunkte: „Augen“, auf den Bindestrich: „Nase“, und auf den dritten Teil des Smileys: „Mund. Man malt ein sehr minimalistisches Gesicht!“, er streckte mir wieder die Nase ins Gesicht: „Habe ich bestanden?“

„Äh…“, als ich leicht nickte berührte ich mit meiner seine Nasenspitze. Etwas in mir zuckte daraufhin zusammen und ich schaffte es nicht aufzuschauen: „Ja.“

Seine Hand zwang mich allerdings dazu.

„Und wie gut?“, funkelten mir seine kristallklaren Augen entgegen.

„Nu-nun…“, meine Gedanken flüchteten sich zurück in das kleine Spiel und schafften es dadurch nicht wie üblich durch seine Augen abzudriften: „Den Kindergarten hast du mit einem Sternchen abgeschlossen. Bei einigen kannst du das Schema vergessen.“

„Tatsächlich?“, funkelten seine Augen mir weiter entgegen und ich musste mit Mühe meine Gedanken zusammenhalten. Mein Gesicht wurde wärmer: „Ähm… Ja.“

Der Totengräber nahm die Hand von meinem Kinn und schob mir den Block hin: „Zeig!“

„Interessiert dich das wirklich?“, fragte ich verwirrt. Das passte nicht zu seiner üblichen Handy-Aversion.

„Natürlich“, Undertaker hob eine Hand: „Das ist wie eine neue Sprache lernen! Auch wenn man sie nicht sprechen kann.“

Ich kam um ein Lächeln nicht herum: „Du willst wirklich alles lernen was es zu lernen gibt, oder?“

Er drehte seinen Zeigefinger um meine Nase: „Komme du mal in die Bredouille so gut wie alles mindestens einmal gemacht zu haben und du wirst verstehen“, er hob lachend eine Hand: „Selbst gestorben bin ich schon! Mir gehen die Tätigkeiten aus!“

„Das“, ich stockte: „Ist nichts, was man so heiter erwähnen sollte, oder?“

Er öffnete die Hand fragend: „Es ist halt so. Ein Fakt. Eine Tatsache. Weiter nichts.“

„Okay“, ich fand diese Aussage nicht wirklich besser.

„Nun mach schon“, grinste der Bestatter uns zurück zum Thema: „Tihihi! Ich bin neugierig.“

„Ok, ok“, ich nahm den Stift wieder auf und zeichnete ein ‚XD‘: „Was denkst du bedeutet der?“

Undertaker zog die Augenbrauen zusammen: „Nun, in erster Linie sind es zwei Buchstaben, die zusammen überhaupt keinen Sinn ergeben“, er drehte den Block: „Und er hat keine Nase.“

„Der Strich für die Nase wird mittlerweile eigentlich fast immer weggelassen.“

„Interessant“, sein Finger wanderte einmal zum ‚:-D‘ und dann zurück zum ‚XD‘: „Der Mund ist derselbe. Lachen beide?“

„Lass‘ ich gelten“, nickte ich gönnerhaft: „Das ist der Smiley für einen Lachanfall oder etwas extrem Amüsantes. Das ‚X‘ steht für die Lachfalten um die Augen herum.“

„Oh ho! Das ist gut zu wissen! Eine wirklich kreative Idee“, der Totengräber giggelte belustigt: „Gihihi! Und wirklich sehr abstrakt.“

„Es geht noch besser!“

„Zeig!“

‚T,T‘ ← Hier war ich mir sicher, musste selbst der pfiffige Bestatter anfangen wirklich zu grübeln. Denn die Methode das Papier um 90° zudrehen funktionierte nicht mehr und es gab keinen Mund.

Undertaker schaute ein paar Sekunden, drehte dann den Block und musterte ihn weiter. Es musste für ihn wohl immer noch keinen Sinn machen, denn er nahm mir den Füller aus der Hand. Er zeichnete ein fahriges Strichmännchen um den Smiley und ich musste anfangen zu kichern, da das Gesicht des Smileys so um 90° verdreht war. Der Bestatter schaute mich kurz an, nochmal auf das Strichmännchen, kritzelte dann den Körper weg, drehte den Block wieder richtig herum und zeichnete das Strichmännchen nochmal. Dann tippte er ein paar Mal mit dem Füller auf das Blatt.

Mit einem triumphierenden kleinen Lächeln war ich mir meines Sieges fast sicher… dann malte er einen kleinen traurigen Mund unter das Komma: „Gihihi! Der weint in Strömen!“

Mir klappte der Mund auf.

Undertaker schaute mich grinsend an: „Richtig?“

Ich nickte langsam, von jeglichem Triumph verlassen: „Ja, das… stimmt im Detail.“

Undertaker lachte laut und gab mir den Stift wieder: „Mehr!“

Und anstatt loszufahren kritzelte ich eine halbe Stunde 3 Blockseiten mit Smileys voll, die hier und da durch Überlegungen und ausprobieren des unmenschlichen Bestattern zu sehr außergewöhnlichen Strichmännchen wurden.

Undertaker war definitiv ein sehr flexibler Denker. Obwohl man merkte, dass er keinen kannte, erschloss er sich die Smileys ausnahmslos alle selbst.

Irgendwann legte ich den Stift hin: „Mir fallen keine mehr ein. Tut mir leid.“

„Ach papperlapapp!“, Undertaker grinste breit und verschränkte die Fingerkuppen: „Das waren viele! Außerdem war es ein sehr unterhaltsames kleines Spielchen, ich habe dir zu danken!“, ich grinste zahnvoll: „Habe ich denn bestanden, Frau Lehrerin?“

„Lehrerin?“

„Na“, er breitete die Hände aus: „Ich sagte doch, es ist wie eine neue Sprache lernen! Und du warst eine gar exzellente Lehrerin.“

„Ich war… öhm“, ich lachte: „Danke!“

„Gihihi, wie gesagt das Danken liegt bei mir. Habe ich bestanden?“

„A+“, lachte ich: „Volle Punktzahl. Ich befinde dich hiermit für Chattauglich!“

„Nihihihihi! Welche eine Ehre!“

Ein langes doppelstimmiges Lachen erfüllte den kleinen Laden.

Als es abgeflaut war musste ich ausladend gähnen. Ich hatte noch nicht viel gemacht, doch mir war schon wieder nach ins Bett gehen… Nach letzter Nacht wurde mir allerdings auch eine Couch vollkommen ausreichen. Ich schüttelte den Gedanken weg. Was Undertaker dazu bewogen hat mich zu sich auf die Couch zu ziehen wusste ich nicht. Doch ich hatte so gut geschlafen wie schon lange nicht mehr.

Undertaker ging um den Tresen herum und hielt mir seine Hand hin: „Wir sollten. Dieser kleine Exkurs hat doch mehr Zeit in Anspruch genommen. Verzeih mir und meiner unsäglichen Neugierde.“

„Oh, nein, nein“, ich nahm seine Hand in beide Hände: „Es war lustig! Ich war… froh dir etwas Neues zeigen zu können.“

Doch meine Augen fielen herab.

Seit Ronald es mir in der Bibliothek der Sensenmänner erzählt hatte, waberte dieser Fakt in meinem Unterbewusstsein. Dass Undertaker es betont hatte, hatte ihn hervorgeholt:

Er war schon mal gestorben.

Es war eine unfassbar lange Zeit her, doch der mehr als heitere Bestatter hatte sich irgendwann tatsächlich das Leben genommen.

Dieses Wissen löste etwas in mir aus - eine Art Bedauern.

Denn man nahm sich nicht das Leben, wenn man glücklich war. Also muss der Totengräber irgendwann sehr, sehr traurig gewesen sein…

Eine Hand hob mein Gesicht an: „Was beschäftigt dich, meine Schöne?“

„Ich…“, ich seufzte: „Mir läuft es ein bisschen hinterher, wie… wie man zum Sensenmann wird.“

„Warum?“

„Es… ist doch traurig… Ich meine… glückliche Menschen töten sich nicht selbst“, ich schaute zu Boden: „Das tun nur sehr traurige, deswegen denke ich…“

„Dass alle Sensenmänner, die du nun kennst, irgendwann mal so traurig und verzweifelt sein mussten, dass nichts mehr Sinn machte und sie sich entschieden zu gehen?“

Ich nickte.

„Sky“, Undertakers Hand hob mein Kinn wieder an und ich schaute in seine sanften Augen: „Wir erinnern uns nicht. Wir haben keine Ahnung, wie unser Leben als Mensch gewesen ist. Ein Leben, das - wie du sicher richtig denkst - wahrscheinlich recht traurig war. Die Erinnerungen sind fort. Wir haben ein neues Leben. Wir machen jetzt neue Erinnerungen. Wirken wir auf dich traurig? Oder verzweifelt?“

„Manchmal…“, erinnerte ich mich an den Schatten, der immer mal wieder Undertakers Augen befiel. Der wirkte furchtbar traurig.

„Wirken wir in diesem Sinne traurig?“

„Nein…“

„Also“, er lächelte weiter: „Was interessiert der Schnee von gestern? Vor allem wenn man sich nicht einmal erinnert?“, er zog mich an sich heran, schlang den Arm um meine Taille und verschränkte seine langen Finger mit meinen, während er meine Augen nie aus seinem Blick ließ: „Hilfst du mir neue Erinnerungen zu machen?“

Ich war erst perplex.

Von der plötzlichen Umarmung.

Von dieser außergewöhnlichen Bitte.

Doch dann nickte ich: „Auf jeden Fall.“

„Dann“, Undertaker lachte auf: „Ihihihihi! Bin ich ja in besten Händen.“

Irritiert zuckte mein Kopf ein Stück weg: „Wie?“

Undertaker lachte lauter: „Gihihihihi! Wenn ein Mensch wie du sich meiner annimmt. Was soll dann noch schief gehen?“

„Was“, in meinem Kopf blinkte mehr als ein überfordertes Fragezeichen: „Für ein Mensch bin ich denn?“

Undertaker legte den Kopf schief: „Ein fürsorglicher, kreativer natürlich! Wie schusselig und wechselhaft, was macht alles nur noch viel besser macht!“

Mir klappte der Mund auf. Dann schoss mir die Zornesröte ins Gesicht: „Was soll das denn bitte besser machen?!“

Ständig tat ich mir weh, landete auf der Nase oder starb ganz langsam an Scham und Schande! Was machte das denn bitte besser?!

Der Bestatter grinste breit: „Es ist erheiternd!“

Natürlich.

Es ging ihm mal wieder nur um sein Amüsement. Das war so typisch.

„Er-“, mein Auge zuckte, als mir dies klar wurde: „Erheiternd?!“

„Aber ja! Im hohen Maße sogar!“

Ich schloss die Augen, verschränkte die Arme, drehte mich weg und so aus seinem Arm: „Arschloch!“

„Hm?“, kam es neben mir von dem Totengräber: „Warum?“

Die Tatsache, dass sein Tonfall glauben ließ er verstand es wirklich nicht, machte die Sache nicht gerade besser: „Du benutzt mich als Witzfigur!“

„Tue ich nicht!“

Ich drehte mich zu ihm: „Hast du dir eigentlich selbst zugehört? Ich bin nicht dein Clown!“

„Was ich mit keiner Silbe gesagt habe.“

„Du sagtest es sei ‚erheiternd‘. Mir passieren ständig dumme Dinge! Ewig tu‘ ich mir weh und darf mich schämen und du findest das lustig!“, ich drehte mich wieder mit verschränkten Armen weg: „Du bist wirklich ein Arsch, Undertaker!“

„Ich finde es doch nicht lustig, dass du dir weh tust. Eher das“, ich schaute mit zusammen gezogenen Augen zu Undertaker, der seinen Satz kurz unterbrach. Er schien mit einem nachdenklich in der Luft kreisenden Zeigefinger nach der richtigen Umschreibung zu suchen.

Ich war ja gespannt welche Juwelen diese Suche zu Tage fördern sollte.

Breit grinsend öffnete er die Hände: „Drum herum!“

Ich blinzelte perplex.

Wenn er tatsächlich nach den richtigen Worten gesucht hatte…

Das waren sie nicht.

Ich zog eine Augenbraue hoch: „Warum habe ich mich noch mal entschuldigt dich mit einem Tablett verprügelt zu haben?“

„Weiß ich nicht.“

„Du…“, ich streckte die Hände in die Luft: „Arg!“

„Ist alles in Ordnung?“

„Nein!“

„Was hast du denn?“

„Dich, du Pfosten!“, ich drehte mich mit erhobenen Händen zu ihm: „Wenn sich jemand alle Nase lang auf die Nase legt, ist das nichts was man als ‚erheiternd‘ titulieren sollte, auch wenn es lustig aussieht!“

„Achso“, Undertaker legte eine Hand an sein Kinn: „Aber es sieht wirklich lustig aus.“

Ich schüttelte wie vom Donner gerührt den Kopf: „Du bist… ein… ich finde kein Wort dafür!“

„Umschreibe es“, grinste der Bestatter unschuldig: „Vielleicht kann ich helfen.“

„Eine Steigerung von Arschloch!“

„Kann man Nomen steigern?“

„Darum geht es nicht!“

„Worum dann?“

„Um dich!“, ich schüttelte ihn an den Schultern: „Und der Tatsache, dass du dich benimmst wie ein Elefant im Porzellanladen! Auf einem Fahrrad! Den man eben erst die Stützräder weggenommen und die Bremse abgeschraubt hat!“

Ehrlich.

Ein normaler Elefant im Porzellanladen benahm sich um Längen eleganter!

„Oh“, Undertaker kratzte sich nachdenklich am Kinn: „Du bist sauer auf mich.“

Ich schlug die Hand vor die Augen: „Bei dir fällt der Groschen pfennigweise, oder?“

„Das ist nichts Neues. Ehehehe!“, nach dem kurzen Lachen blinzelte mich Undertaker an: „Aber womit genau habe ich dich verärgert?“

Wut schlug in Verzweiflung um.

Mit hängenden Schultern drehte ich die Augen an die Decke: „Manchmal bist du echt schwer von Kapee…“

Ich schaute Undertaker wieder an und stockte.

Er hatte die Arme verschränkt und trug einen recht nachdenklichen Gesichtsausdruck, die schlanken Augenbrauen ein wenig zusammengezogen. In seinem Gesicht stand, dass er wirklich verstehen wollte, aber es nicht tat.

„Ich wollte dir suggerieren, dass deine Unbeholfenheit etwas Niedliches hat“, er streckte eine Hand erklärend nach vorne und ich verschluckte bei dem Wort ‚niedlich‘ meine Zunge: „So wie deine ganze Art, die einfach unnachahmlich ist. Ich rede nicht darüber mich über Situationen zu belustigen, die irgendwie geartet schmerzhaft enden. Deine natürliche Schusseligkeit hat etwas Faszinierendes. Gerade dadurch, dass du auch die unschönen Situationen meistern kannst. Du bist erheiternd, Sky. Und das ist bei weitem keine Beleidigung. Du bringst mich zum Lachen. Mit deiner wechselbaren Mimik und deiner ganzen einzigartigen Art. Es ist doch gut jemand zum Lachen zu bringen, oder? Lachen wurzelt auf Freude und Freude ist gut, oder nicht? Das heißt doch Wesen, die einem zum Lachen bringen können, sind unglaublich viel wert“, Undertaker lächelte sein unverschämt süßes Lächeln: „Zumindest bist du mir deswegen unglaublich viel wert.“

Mir klappte der Kiefer auf.

Innerhalb kürzester Zeit hatte er aus allem, was er gesagt und mich wütend gemacht hatte, ein Kompliment gemacht.

Abgesehen davon, dass es unmöglich war seinem Lächeln und Grinsen lange böse zu sein.

Ich hasste es, wenn er das tat.

Gleichzeitig war ich doch sehr geschmeichelt und peinlich berührt.

Ich drehte trotzdem mit verschränkten Armen meinen rot werdenden Kopf ganz weg, bestrebt den Bestatter noch mit etwas Wut zu strafen: „Das hättest du besser rüberbringen können!“

Doch ich konnte ein Lächeln von meinen Lippen nicht fernhalten.

Er hatte gesagt, ich sei niedlich: ‚Gihi!‘

Zwei Arme zogen sich von hinten um meine Taille und etwas Spitzes erschien auf meiner Schulter, was definitiv das Kinn des Bestatters war: „Verzeihe mir.“

Ich drehte meinen Kopf von der Schulter weg auf der sein Kinn lag, damit er meinen Gesichtsausdruck nicht sah: „Das war echt unmöglich.“

Doch mein Lächeln wurde weiter.

Er hatte gesagt, ich sei faszinierend: ‚Nyaaaa!‘

„Es tut mir leid. Eigentlich wollte ich dir sagen, du bist ein herrlicher Mensch.“

„Das musst du echt noch ein bisschen üben“, rekte ich meine Nase höher in die Luft. Doch mein Lächeln schwang fast in ein hörbares Kichern um.

Er hatte gesagt, ich sei einzigartig: ‚Awwww!‘

„Es war wirklich nett gemeint.“

Irgendwie war Undertakers unbeholfene Art ja furchtbar süß.

Ich war schon lang nicht mehr wütend. Eher musste ich mein geschmeicheltes Schmunzeln unterdrücken: „Das solltest du das nächste Mal dazu erwähnen.“

Er hatte gesagt, ich sei ihm unglaublich viel wert: ‚AAHHH~!‘

„Ich wollte dir eigentlich ein Kompliment damit machen.“

Ich wirbelte herum und streckte ihm protestierend meine Nase ins Gesicht: „Es klang anfangs nicht halbwegs nach einem Kompliment!“

Daraufhin schnappte mich Undertaker vollkommen unvermittelt wieder an der Taille und zog mich näher zu sich. Er streckte sein Gesicht gleichzeitig ein Stück nach vorne. Als sich unsere Nasenspitzen berührten huschte seine Nase über meine.

Von links nach rechts.

Von rechts nach links.

Überrascht fror ich ein.

Ich schaute von ganz nah in seine schmalen fluoreszierend grünen Augen und verlor den Bezug zu der Welt um mich herum. Meine Wut verflog endgültig. Sie verschwand im tiefen Grün. Von meiner Nasenspitze breitete sich ein surrendes Kribbeln bis in meine Finger und meine Bauchgegend aus, von der aus wiederum ein warmes Gefühl in meinen Kragen und von dort aus in mein Gesicht kroch.

„Es war nicht meine Absicht dich zu beleidigen“, surrte seine tiefe Stimme durch meine Ohren in alle meine Nerven.

Eine Zeit lang starrte ich nur in seine unglaublichen Augen.

Ich vergaß zu blinzeln und brauchte eine Zeit lang, um zu der eigentlichen Situation zurück zu finden. Schließlich gewann ich meine Contenance zurück.

„Okay, ich verzeihe dir“, machte ich gönnerhaft.

„Zu liebenswürdig“, lächelte er mir entgegen und ich musste mir Mühe geben nicht wie eine Kerze in der Sonne davonzufließen.

Ich wollte etwas erwidern, doch schüttelte mich vorher ein fieser Husten.

Undertaker nahm mich an den Schultern: „Wir sollten wirklich los. Schließlich wolltest du doch Heim.“

Von ‚wollen‘ konnte keine Rede mehr sein. Wenn es nichts nachts, alleine und in einem Sarg war, könnte ich auch noch eine Nacht bleiben…

Oder zwei…

Oder drei…

Doch konnte ich Undertakers Gastfreundschaft auch nicht direkt so überstrapazieren. Also nickte ich: „Gut.“

Ich folgte Undertaker in das Hinterzimmer, um von dort zu dem Parkplatz seines alten Leichenwagens zu kommen.

Kaum war ich durch den Türbogen getreten traf mich der Schlag.

„Oh“, machte der Totengräber: „Ehehehe! Es scheint, als habe ich gestern etwas Arbeit liegen lassen. Schaue besser nicht allzu genau hin.“

Ich glaubte genau, weil er das sagte, tat ich es.

Mir wurde übel.

Und ganz anders.

Ich sah den Raum das erste Mal durch das Tageslicht, was durch ein Fenster fiel, erleuchtet. Auch hier standen neben den Kühlzellen mehrere Regale an den Wänden. In den Regalen standen etliche Gläser gefüllt mit komischen Flüssigkeiten und/oder Organen. Es lagen auch unzählige gruselige Instrumente darin herum. Meine Augen wanderten über die Tische.

Böser Fehler.

Denn natürlich lagen dort zwei Leichen, nur halb verdeckt unter hellblauen Lacken.

Mein Magen drehte sich um.

Denn viel schlimmer als ihre bloße Anwesenheit war, WIE sie dort lagen!

Das Gesicht einer Leiche war nicht mehr als ein blutiger und schmieriger Krater. Zumindest der sichtbare Teil, der nicht durch ein Stück zurückgeklappter Kopfhaut samt Haaren verdeckt war. Die Schädeldecke lag noch neben etlichen Instrumenten und einem Messbecher mit einem frisch eingelegten Gehirn auf der Ablage des Seziertisches.

Einer jungen Dame daneben hingen Venen und Arterien aus beiden Seiten des Halses. Sie waren fixiert und in ihnen steckten Kanülen, von denen eine zu einer komischen Apparatur mit großem Glaszylinder führte. Er war noch halb gefüllt mit einer klaren Flüssigkeit und faste sicherlich an die 6 Liter. Die Andere führte zu einem anderen ähnlich großen Glasbehälter auf den Boden, halb gefüllt mit etwas Rotem. Mir schwante was es war.

Ansonsten sah die Frau eigentlich gar nicht so übel aus.

Neben ihrem wirklich hübsch, stimmig und akkurat geschminkten Gesicht stand ein großer, dreistöckiger Schminkkoffer von Zoeva, der sündhaft teuer war. Das wusste ich genau, da ich mit so einem Mal geliebäugelt hatte. Es verwunderte mich irgendwie wie hübsch sie geschminkt war.

Von gekonnter Hand.

Und diese Hand war Undertakers gewesen.

Der bizarre Totengräber hatte sehr wohl einen ausgezeichneten Sinn für Ästhetik.

„Mein Gott!“, entfuhr es mir trotz allem: „Was machst du hier?!“

„Arbeiten“, konterte Undertaker giggelnd: „Nihihihi! Ich sagte nicht umsonst, du sollst nicht zu genau hinschauen.“

„Aber… Was hat die Frau da am… am Hals?!“

„Ich war dabei sie einzubalsamieren. Tehehehe! Willst du wirklich Details?“

„Und… und der Mann…?“

„Das gehört zu Aristokraten-Geschäften. Tehehehe!“, er grinste: „Lasse dort lieber deine zarten Finger heraus. Ich brauche mir auf jeden Fall nicht die Mühe geben, seine Totenmaske zu restaurieren. Schließlich kann ich nichts restaurieren, was nicht da ist. Kehehehe!“

„Gehört das alles wirklich zu den Aufgaben eines Bestatters?“, fragte ich sichtlich bleich um die Nase.

„Nicht zwingend, hehehehe!“, zog er mich an einer Hand weiter: „Aber ich bin auch qualifizierter Thanatopraktiker und erledige so auch Aufgaben, die über die normale hygienische Totenversorgung hinausgehen.“

„Thanatopraktiker? Hygienische Totenversorgung?“, fragte ich, als wir am Auto angekommen waren: „Ich habe von alldem keine Ahnung, das musst du mir erklären.“

Undertaker setzte mich an der Hand ins Auto. Dann setzte er sich neben mich, setzte die Brille auf die Nase UND schnallte sich an. Ich merkte eine kleine Freude über meinen Erziehungserfolg, trotz der unangenehmen Konfrontation mit Undertakers Arbeit.

Ich schnallte mich ebenfalls an und er fuhr vom Hof.

„Hygienische Totenversorgung ist die Standardaufgabe eines Bestatters“, erklärte der Totengräber und lenkte auf die Straße: „Also das, was man sich so unter meiner Arbeit vorstellt: Waschen, frisieren, schminken, anziehen und ein bisschen mehr, aber das ist wirklich ziemlich unappetitlich und du möchtest auch gar nicht mehr darüber wissen, glaube mir. Tehehehe! Thanatopraxie ist eine Zusatzqualifikation. Damit ist gemeint Leichen wiederherzustellen, die durch, zum Beispiel Unfälle, Krankheit, Verfärbungen, zu schnelle Verwesung, Suizid, oder ein paar übergroßen Höllenhunden und ähnlichem, ein bisschen… durch den Wolf gedreht wurden, hehehehe! Sie zu konservieren fällt auch darunter. Tihihi!“

„Konservieren?“, fragte ich, als wir gemütlich über die Straße rollten. Das war ja alles schon interessant. Verstörend anzusehen und ich riss mich wirklich nicht darum dieses Erlebnis zu wiederholen, aber interessant zu hören. Es wunderte mich des Weiteren gar nicht, dass Undertaker diese komische Zusatzqualifikation hatte. Wenn es um seinen Job ging hatte er wahrscheinlich alles, was man haben konnte und wahrscheinlich noch viel viel mehr.

„‚Modern Embalming‘“, grinste er: „Der Fachausdruck. Im Volksmund sagen die meisten nur ‚einbalsamieren‘. Durch eine Pumpe wird das Blut herausgedrückt und durch Formalin ersetzt. Eine Mischung aus Alkohol, Formaldehyd und Lanolin. Dadurch wird Autolyse und Fäulnis bis zu 8 Wochen aufgehalten. Nehehehe! Doch interessiert dich das wirklich? Nihihihi! Die Meisten brechen bei der Hälfte.“

Appetitlich war das Thema wirklich nicht. Aber irgendwie spannend. Die Lebenswelt des Bestatters interessierte mich, auch wenn ich sie nicht visuelle vor Augen haben musste. „Was ist Autolyse?“, fragte ich also nach und ignorierte seine Frage einfach.

Undertaker lachte angetan: „Hehehe. Die Selbstauflösung abgestorbener Körperzellen durch Enzyme. Der erste Verwesungsprozess nach dem Tod, bevor es zu der bakteriell bedingten Fäulnis kommt. Fu fu! Dir ist wirklich noch nicht schlecht?“

„Nein!“, rief ich: „Das ist voll interessant.“

Undertaker lachte lauter und schloss dabei die Augen: „Pahahahaha! Das höre ich sehr sehr selten!“

„Schau auf die Straße!“

„Tue ich!“

Wir fuhren lachend zurück zum Wohnheim, während ich den Bestatter weiter über seine Arbeit ausfragte. Er erzählte davon mit einer ungeahnten Begeisterung. Wahrscheinlich mit viel zu viel davon. Doch wenigstens lenkte mich das Gespräch von meinem warmen kranken Körpergefühl ab.

„Du sag mal?“, fragte ich nach einer Zeit grinsend an einer roten Ampel: „Kriegst du eigentlich Geschäftskundenrabatt bei Zoeva?“

Undertaker schaute mich irritiert an: „Zoeva?“

„Na, die Make-up Marke, die du benutzt!“

„Die Make-up… Ah! Du hast den Schminkkoffer gesehen, ehehehehe! “

Ich neigte den Kopf: „Ich bin ein Mädchen, natürlich habe ich den Schminkkoffer gesehen.“

Undertaker kicherte schrill: „Ich glaube so etwas hat Grell auch schon mal gesagt. Hihi! Aber ja, ich bekomme Geschäftskundenrabatt.“

„Oh, wie cool! Wie viel?“

Der Bestatter schaute mich immer noch rätselnd an: „Äh…Ehehe! 25%. Aber warum fragst du?“

Ich schlug die Hände zusammen: „Diese Dinger sind so cool! Ich wollte schon immer einen haben! Leider sind sie nur genauso cool, wie sie teuer sind und waren für mich deswegen immer unerschwinglich...“

Der Bestatter lachte, doch bevor er mir antworten konnte hupte es hinter uns mehrmals gereizt. Wie schauten uns um. Die Ampel war grün geworden und die Fahrer hinter uns reichlich ungeduldig. Undertaker drehte den Kopf zur Straße, legte den Gang ein und fuhr weiter: „Tehehehe! Und nun denkst du, dass du dir über mich einen erschummeln kannst.“

„Natürlich!“, antwortete ich, hob die Hände und schob sie abwechselnd verschwörerisch nach vorne: „Und das hier ist ein Zeichen, dass einer mir gehören soll. Du kannst dich dem Schicksal nicht erwehren, Undertaker! Du MUSST mir helfen!“

„Ah ah ah!“, lachte der Bestatter: „Wenn ich mich dem Schicksal nicht erwehren könnte, wärst du mittlerweile mein Geschäftskunde und könntest mich nicht um meinen Geschäftskundenrabatt anbetteln, vergessen? Kehehehe!“

Ich zog eine Schnute: „Du bist so was von gemein… Wie lange willst du mir meine Dummheit noch vorhalten?“

„Weiß ich noch nicht, tehehehehe! Sicherlich noch eine Zeit lang. Vielleicht auch immer mal wieder. Nehehehe!“

Ich seufzte und lies den Kopf hängen.

Dann hatte ich eine Idee.

Sie war tot sicher.

In diesem Fall ein bisschen zu wortwörtlich.

Aber ich war mir sicher, dass ich im Umgang mit dem morbiden Bestatter genau solche Dinge brauchte.

Undertaker sollte nicht denken, dass er der einzige war der Spiele spielen konnte!

Mit einem verschwörerischen Grinsen schaute ich den Bestatter an: „Wie heißt das Lieblingslied eines Hirntoten?“

Seine Augen wanderten langsam zu mir. Dann zog er sie zu Schlitzen: „Du kleines Schlitzohr.“

Ich kicherte.

Der Totengräber hat prompt verstanden worum es ging.

Seine Augen wanderten wieder auf die Straße: „Was du hier gerade tust, ist höchst verwerflich.“

Mein Grinsen wurde weiter: „Aber du willst die Antwort wissen, ich weiß es.“

Ich wusste, dass schon der Auftakt des Witzes bei ihm genau ins Schwarze traf. Es war ein Witz, das reichte eigentlich schon, doch man konnte ihm schon anhören wie rabenschwarz er war und er hatte etwas mit dem Tod zu tun. Der Bestatter konnte gar nicht widerstehen! Außerdem war ich mir ziemlich sicher, dass Undertaker eine unausgesprochene Pointe nicht ertragen konnte.

„In der Tat“, grinste der Bestatter.

„Du kannst dir den Preis denken“, lachte ich gehässig.

„Hey! Warte mal. Nicht ich bezahle dich, sondern du bezahlst mich, meine Schöne.“

„Gut“, verschränkte ich Arme und Beine und schaute aus der Windschutzscheibe: „Dann erzähle ich ihn dir eben nicht.“

„Was?!“, hörte ich ihn entgeistert rufen: „Das kannst du nicht machen!“

„Klar.“

„Nein!“

„Aber hallo.“

Undertaker fuhr auf den Parkplatz vor dem Schultor und stellte den Motor ab. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie er sich mit einem Arm auf dem Lenkrad zu mir drehte: „Du kannst mir nicht einen halben Witz erzählen und den Rest für dich behalten! Das ist grausam!“

Ich hatte recht behalten. Undertaker konnte keine halb erzählten Witze vertragen.

Ich drehte den Kopf zu ihm: „Ich habe nie gesagt, dass ich nett bin.“

Der Bestatter zog eine Augenbraue hoch: „Du bist auf jeden Fall berechnend und unerhört hinterhältig.“

Ich zeigte nur grinsend meine Zähne.

Undertaker schnaufte durch die Nase: „Nun gut.“

Triumphierend legte ich meinen Kopf schief: „Aha? Ich höre.“

Undertaker zog wieder seine Augen unter der dicken Brille zusammen: „Du bist ein durchtriebenes, kleines Miststück.“

„Nooot!“, machte ich und schnallte mich ab: „Falsche Antwort.“

„Was?! Ich habe doch schon eingewilligt!“

Ich öffnete die Tür: „Hast du nie gesagt.“

Er haspelte kurz: „Ätähe! Du kannst mich nicht so hier sitzen lassen! Das bringst du nicht fertig!“

„Und wie“, ich streckte ein Bein aus dem Auto.

„Das ist unfair!“

Ich streckte mein zweites Bein heraus: „Mir ständig zu deiner Belustigung meine Fehler vorzuhalten ist auch unfair. Oder mein Pech zu deiner Erheiterung zu benutzen. Beschwere ich mich?“

„Ja! Jedes Mal!“

Ich stockte: ‚Mist… stimmt...‘

Gott sei Dank sah Undertaker mein Gesicht nicht.

Ich war trotz dieses Schnitzers immer noch in der überlegenden Position! Das musste ich ausnutzen: „Gut, hast recht. Aber du hast trotzdem nie zugestimmt!“, ich seufzte gespielt und wollte aufstehen: „Ich sag dann mal bis die TAH!“

Eine Hand griff mich am Kragen und zog mich zurück, als ich halb aufgestanden war. Ich verlor meine Balance und rasselte hinten über. Ich blinzelte meine Augen auf und die Welt hörte auf sich zu drehen. Von unten blinzelte ich den Bestatter entgegen.

Von unten?!

Ich schaute mich um und mein Herz blieb stehen. Ich war mit meinem Kopf auf dem Schoß des Bestatters gelandet!

Mein Herzschlag wurde sofort zur 0 Linie, als ich ihm wieder ins Gesicht schaute.

Entgeistert, überfordert und rot wie eine Clownsnase.

„Denk ja nicht, dass du mir so davon kommst“, schaute mich Undertaker immer noch mit beleidigt zusammengezogenen Augen an. Irgendwie war dieser Ausdruck… furchtbar… furchtbar niedlich! So richtig süß!

Ich hatte übrigens schon wieder vergessen, dass ich eigentlich meinen Kopf aus seinem Schoß nehmen wollte.

Undertaker drehte den Zeigefinger auf meiner hochroten Nasenspitze: „Ich werde dir nie vergessen, dass du für einen Schminkkoffer soweit gehst mich zu quälen.“

Ich grinste ihn entgegen: „Ich bin halt ein Mädchen.“

„Nicht einmal Grell traut sich so etwas.“

„Ich bin nicht Grell“, grinste ich ihn an: „Sprich es laut aus und ich erzähle dir die Pointe.“

Undertaker schnaubte durch die Nase: „Gut, ich besorge dir einen.“

„Versprochen?“

„Ja.“

„Wirklich?“, ich kicherte und konnte nicht anders, als ihn noch ein bisschen zu quälen. Als Rache für so viele Situationen, in denen er mich halb zu Tode erschreckt hatte!

Undertaker verstand dies allerdings sofort und zog eine Augenbraue hoch: „Macht es Spaß?“

„Joa“, grinste ich weiter: „Ist nicht schlecht. Wie ist es auf der anderen Seite des Witzes? Neuen Lieblingsplatz gefunden?“

Undertaker verzog eine Schnute. Ich kicherte. Das sah so niedlich aus! So unendlich niedlich! So dermaßen knuffig, ich glaubte es kaum!

„Nein“, antwortete er: „Definitiv nicht. Ich habe getan was du wolltest. Also!“

„Gut.“ grinste ich weiter: „Aber das ist ein Frage-Antwort-Witz. Du musst erst eine Lösung vorschlagen. So verlangt es die Tradition!“

Ein breites Grinsen erschien wieder auf Undertakers Gesicht: „Du erzählst mir jetzt die Pointe! So verlangt es dein Schminkkoffer!“

Mir klappte der Mund auf. Dann zog ich eine Schnute: „Traditionen sind nicht so deins, hm?“

„Auf einen Witz zu warten ist nicht so meins“, machte er mit erhobener Augenbraue und in einem genervten Tonfall, wie ich ihn von ihm noch nie vorher gehört hatte.

Dieser Tonfall ließ mich kichern: „Tihi. Merkt man.“

Undertaker schnappte sich meine Nasse und wackelt daran: „Jetzt erzähl!“

„Ok, ok“, lachte ich, zog seine langen Finger von meiner Nase und schaute ihn wieder an: „My Heart will go on!“

Stille.

Undertaker schaute mich nur an.

Ein mulmiges Gefühl erschien in meinem Magen. Wenn der Witz jetzt nicht gut war, durfte ich sicherlich wieder zum Staubwischen antreten… Oder schlimmerem… Was ich mir nicht ausmalen wollte.

„Ni-nicht gut?“, stammelte ich angesichts der Strafen, die ich schon auf mich zukommen sah.

Undertaker klimperte stumm mit den Augenlidern.

„Hallo?“

Plötzlich brach ein so derart lautes Lachen aus ihm heraus, dass ich Angst um die Autofenster hatte. Der Schoß des Bestatters hüpfte auf und ab und damit auch mein Kopf. Erst jetzt realisierte ich wieder worauf ich lag. Ich wollte gerade aufstehen, da beugte sich der Bestatter nach vorne und legte, schreiend und weinend vor Lachen, seine Stirn auf meine.

Ich fror ein.

Ich hatte das Gefühl mein Herz und die Welt hatten Schneckentempo angenommen. Der Moment zog sich endlos und war trotzdem viel zu schnell vorbei.

„My Heart will go on!“, quietschte er lachend: „Nihhihihihihihihihi! Tahahahahaha! Wie rabenschwarz! Ich fasse es nicht! Uhuhuhuhuhuhuhuhu, den kannte ich noch nicht! Herrlich! Wehehehehehe! Einfach herrlich, ahahahaha!“

Er nahm schwer atmend seinen Kopf hoch und wischte sich die Tränen aus den Augen: „Awuhuhuhu! Dafür hättest du alles verlangen können. Tehehehe! Wirklich alles!“

„Ein Schminkkoffer reicht. Ich gebe dir das Geld wieder.“

„Fuhuhuhuhuhuhuhu! Wird gemacht, meine Schöne. Tehehehe! Für den Witz bekommst du ihn auch geschenkt!“

„Nicht nötig“, setzte ich mich auf: „Der Rabatt ist schon schick genug.“

„Ah ah ah“, machte Undertaker immer noch giggelnd: „Puhuhuhu! Ehre, wem Ehre gebührt! Du hast ihn dir verdient!“

„Du hast mich eben noch als Miststück bezeichnet!“, kicherte ich, was meinem Protest doch sehr viel Wind aus den Segeln nahm. Doch ich konnte einfach nicht anders. Undertakers Erheiterung steckte mich zu sehr an: „Und du bezeichnest mich als wechselhaft?“

„Gihihihihihihihi! Ich sagte nie ich sei es nicht!“, lachte Undertaker weiter.

„Ja, ne! Ist klar! Du Hohlfrucht!“, schwirrte unser gemeinsames Gelächter fröhlich über den kleinen Parkplatz.
 

Als wir in die Stube des kleinen Internatsapartments ankamen war dort einiges los.

„Hab‘ ich“, machte ich zögerlich und blinzelte durch den Raum: „Die Einladung zur Party verpasst?“

Ich schaute irritiert Amy an aufgrund von Freds, Lees, Ronalds, Grells, Williams und auch Sebastians Anwesenheit.

Die Reaper und die 2 jungen Männer schauten mich mit unbegeisterten Gesichtsausdrücken an. Der Butler stand ein Stück abseits, abgedreht und telefonierte mit einem Handy.

Amy hob die Hände, Augen zur Decke gedreht: „Ich hab sie auch nicht bekommen…“

Ich schaute in die Runde: „Nicht, dass ich etwas dagegen hätte, aber… was macht ihr alle hier?“

„Wir haben das Apartment durchsucht“, stemmte Fred die Hände in die Hüfte.

„Und den ganzen Rest der Schule“, seufzte Ronald.

Ich zog eine Augenbraue hoch: „Warum?“

„Der Earl Phantomhive bat uns“, William schob seine Brille hoch: „Aufgrund der Umstände, die ihr beiden zu erleiden habt.“

„Oh“, machte ich erkennend: „Der Zombie.“

„Da Undertaker dem Earl glaubhaft versichern konnte“, ein strafender Blick Williams zu dem Bestatter ließ diesen kichern: „Es ist nichts was seinem sonderbaren Humor entsprang, bat er uns nach Hinweisen zu suchen.“

„Und?“, blinzelte ich.

„Nichts“, hob Ronald die Hände: „Diese Schule ist so ordinär, dass es langweilig ist.“

„Wir haben den ganzen Vormittag dafür in den Sand gesetzt“, Grell fuhr sich durch den Pony: „Für nichts und wieder nichts.“

„Der Meister“, Sebastian steckte sein Handy weg und kam in den Kreis: „Ist zur Zeit nicht erreichbar. Doch ich denke es wäre in seinem Interesse die jungen Damen anderweitig unterzubringen, solange die Sache nicht geklärt ist.“

„Und wie willst du das den Lehrern schmackhaft machen?“, fragte Amy.

Der Butler grinste: „Indem die Lehrer durch einen netten Verweis auf den monatlichen Beitrag des Meisters daran erinnert, dass der Kunde König ist.“

Amy seufzte: „Geld regiert die Welt.“

Lee grinste: „Schulen wie Weston sind halt sehr darauf bedacht den einflussreichen Eltern ihrer Schützlinge zu gefallen.“

„Das gilt für Amy“, seufzte ich: „Nicht für mich.“

Fred schmunzelte: „Glaube mir, Sebastian und mein Vater sind sehr überzeugend.“

Ich legte den Kopf schief: „Wo du recht hast.“

Das war wohl ein Fakt, der einfach nicht anzuzweifeln war.

Was der Earl Phantomhive wollte, bekam er wohl auch.

„Ah!“, kreischte Grell plötzlich und wirbelte zu Undertaker: „Da fällt mir noch was ein!“

„Und was?“, kam es gleichzeitig von Amy, Fred, Lee und mir, auf der gemeinsamen Suche nach dem Kontext.

Es gab keinen.

Ein kleiner Windstoß ging durch den Raum. Undertaker strauchelte einen Schritt nach hinten, als Grell ihm auf einmal um den Hals hing: „Ich hab‘ dir was versprochen!“

Undertakers Augen wanderten zu Grells Gesicht: „Nihihihi! Aha?“

Grell drückte Undertaker aus dem Nichts einen langen Kuss auf die Wange: „Das!“

Mit klappte der Kiefer auf.

„Den hast du dir verdient, Liebelein!“

Ich wusste nicht, was ich denken sollte. Ich stand vor den beiden Männern und fühlte mich wie vom Blitz getroffen.

„Du bist einfach der Beste“, kuschelte sich Grell immer enger an Undertaker: „Der Hammer!“

Mit wurde heiß und kalt.

Und das lag nicht an meinem Fieber.

„Eigentlich hast du dir mehr als einen verdient!“, Grell drückte ihm noch einen Kuss auf die Wange.

Fassungslos blinzelte ich der Szenerie entgegen.

„Und den auch!“, Grell drückte noch einen Kuss auf Undertakers bleiche Wange: „ Ach Quatsch! Nicht ein oder zwei! Ganz viele!“

Wie ein Maschinengewehr verteilte Grell Küsschen auf Undertakers Wange.

Kurz verschwand meine Überraschung in einer eisigen Ruhe.

Keine Sekunde später ging mir die Hutschnur.

Hast du sie noch alle?!“, ich packte Undertaker am Schlafittchen und zog ihn ohne Vorwarnung an mich heran. Dadurch strauchelte der Bestatter und fiel mir in die Arme. Ich schnappte seinen Kopf und drehte mich halb weg: „Bist du denn von allen guten Geistern verlassen?!“

„Bist du von allen guten Geistern verlassen?!“, Grell blitzte mich böse an: „Ich wollte mich nur gebührlich bedanken! Kein Grund mich anzuschreien!“

„Dann sag einfach danke!“, zischte ich zurück.

Die restlichen Personen im Raum blinzelten perplex. Selbst William und Sebastian.

Grell drückte seine Nase auf meine: „Was soll das, du Ziege?!“

Ich drückte seinen Kopf nach hinten: „Du kannst doch nicht einfach anfangen fremde Männer abzuknutschen!“

Grell drückte meinen Kopf zurück: „Und warum genau hast du zu entscheiden, wen ich zu küssen hab?!“

Ich drückte wieder seinen Kopf zurück: „Das verrät der Anstand, du Crétin!“

Grell zog mit einem empörten Luft einziehen den Kopf zurück: „Für wen hälst du dich?! Den Knigge der Neuzeit, oder was?!“

„Ich habe wenigstens Manieren im Gegensatz zu dir!“

„Natürlich! Jemanden in deiner Oberweite zu versenken ist auch so viel manierlicher!“

Ich blinzelte: „…Was?“

Ronald, der wie ich jetzt bemerkte schon seit einiger Zeit kicherte, fing lauthals an zu lachen und drehte sich mit einer weiten amüsierten Geste weg.

„Ignoriert mich“, hörte ich ein Kichern von unten: „Kehehehe! Mir geht es hier gut!“

Ich schaute nach unten.

Undertaker winkte mir breit grinsend…

Mit seinem Kopf von mir selbst gegen meine Brust gedrückt…

Oder eher…

In meine Brust!

„AH!“, ließ ich ihn mit einem spitzen Schrei los.

Mit einem erschrockenen Laut rasselte er zu Boden.

„Wieso?“, jaulte der Totengräber auf den Dielen: „Ich habe doch gar nichts getan!“

Ronald hing lachend über der Couchlehne und schien recht fertig mit der Welt zu sein.

Amy, Fred und Lee hatten angefangen zu kichern.

William und Sebastian rollten simultan die Augen an die Decke.

„Aber er hat Recht“, schmunzelte Lee amüsiert: „Es kommt nicht oft vor, aber er ist vollkommen unschuldig.“

Fred hatte seine Augen kichernd hinter einer Hand versteckt: „Was die Sache noch viel besser macht.“

„Oh mein Gott“, ich schlug eine Hand vor den Mund: „Undertaker, es tut mir leid!“

„Und wann entschuldigst du dich bei mir?!“, pikierte sich Grell.

„Gar nicht!“, knurrte ich ihn an und steckte ihm die Nase ins Gesicht: „Ich war noch viel zu nett zu dir, du Knallerbse!“

Grell quetschte wieder meine Nase ein: „Du Elster!“

„Idiot!“

„Zimtzicke!“

„Vollpfosten!“

„Ziege!“

„Du…“, meine Konter verschwand in einem trockenen Husten und ich drehte meinen Kopf ab. Angestrengt kniff ich die Augen zusammen. Mein Fieber und der heiße Ärger zogen schmerzhaft durch meinen Kopf.

„Meine Damen, nicht doch“, hörte ich ein altbekanntes Giggeln.

Ich konnte nicht hinschauen. Mein Husten ebbte nicht ab. Ich hatte mich so dermaßen über Grell geärgert und es so wohl übertrieben.

„Es gibt keinen Grund zu streiten“, Hände erschienen auf meinen Schultern. Mit einem raschelnden Atmen zwang ich meinen Hustenreiz herunter und schaute über meine Schulter in das Gesicht des Bestatters. Er grinste nicht. Eher schaute er mir reichlich besorgt mit zusammengezogenen Augenbrauen entgegen: „Du solltest dich ausruhen und nicht so furchtbar aufregen, denkst du nicht?“

„Aber…“, ich drehte mich zu dem Totengräber: „Er hat dich abgeknutscht!“

„Das macht er doch ständig!“, lachte Undertaker und hob eine Hand: „Wo ist das Problem?“

„Stört dich das nicht?“, schaute ich ihn mit zusammengezogenen Augen entgegen.

Etwas in mir hoffte er sagte einfach ja.

Etwas in mir wollte es störte ihn so massiv wie mich.

Ich hatte es einfach nicht ausgehalten zu sehen, wie Grell Undertaker küsste. Auch wenn es nur auf die Wange war.

Weil Undertaker gut aussah!

Weil der Bestatter einen so unglaublichen Charakter hatte!

Das war Grell sicherlich auch aufgefallen. Und dass Grell am anderen Ufer fischte, war nun mehr als nur offensichtlich.

Von mir aus soll er sich an der seufzenden Spaßbremse und dem dämonischen Mädchen für alles gütig tun, aber ich wollte, dass er Undertaker in Ruhe ließ!

„Nein“, machte Undertaker und klimperte mit den Augen.

Diese Antwort traf mich wie ein Hammerschlag.

Und seine Mimik ebenfalls.

Weil ich diesen Gesichtsausdruck kannte:

Undertaker verstand (mal wieder) das Problem nicht.

„Siehst du!“, funkelte mich Grell mit verschränkten Armen an.

„Ruhe auf den billigen Plätzen!“, fauchte ich zurück, durch meine innere Abgeschlagenheit reichlich aufgekratzt.

„Stört es dich?“, fragte Undertaker mit rätselnder Mine.

„Ja!“, antwortete ich wie aus der Pistole geschossen.

Es störte mich massiv!

Undertaker war nicht Grells Teddybär!

„Warum?“, legte der Totengräber den Kopf schief: „Du hast mir gestern doch auch einen Kuss gegeben.“

Ich hielt wie vom Donner gerührt inne.

„I-ich… äh… Ich… Ich…“, doch weiter kam ich nicht.

Es war auch nicht so, dass ich mehr zu sagen gehabt hätte.

Ich konnte weder Undertaker einfach so erklären, warum es mich störte, noch konnte ich irgendwie auf seine Feststellung reagieren.

Natürlich wusste ich warum es mich störte.

Ich war verliebt, ganz davon abgesehen wie sehr ich auf verlorenem Posten kämpfte. Doch ich wollte nicht, dass jemand in meiner Gegenwart einfach den Bestatter abknutschte, als gäbe es keinen Morgen mehr!

Doch mit einem schrillen Quietschen schlang Grell die Arme um Undertaker und mich und entließ mich so aus der Pflicht Rede und Antwort zu stehen: „AH! Hat sie?! Oh mein Gott, wie süß!!~♥“

Undertakers und meine Nase stupsten gegeneinander.

Der Bestatter lächelte mich kurz an, dann drehte er seine strahlenden Augen nach oben: „Sind wir heute wieder emotionsflexibel?“

Mit einem leisen ‚Rumps‘ rutschte Ronald von der Couchlehne und landete auf dem Boden.

Sebastian und William seufzten tief.

„Das ist total knuffig!“, quietschte Grell weiter.

Undertaker schaute mich schmunzelnd an: „Ja, sind wir.“

Ich lachte debil auf: „Ehehehe… Ja, voll…“

„Sutcliff!“, eine Astschere traf hart Grells Kopf: „Benimm dich!“

„Aua!“, Grell ließ uns los: „Willi!“

Ich strauchelte, als der rote Reaper mich losließ, doch Undertaker schnappte mich an der Taille und bewahrte mich so vorm fallen.

„Nenne mich nicht Willi!“

„Womit habe ich diese Behandlung eigentlich immer verdient?!“

„Mit deinem Benehmen“, schien Fred eher auf Williams Seite zu sein.

„Was aber unglaublich unterhaltsam ist“, lächelte Lee, der wohl eher zu Team Grell gehörte.

Die beiden Jungen schauten sich mit verschränkten Armen an.

Fred genervt.

Lee breit grinsend.

Ronald starb derweilen auf unserem Dielenboden.

Undertaker ließ meine Taille los, als auch er anfing mit zu kichern und seine hängende Hand vor den Mund hob.

Sebastian legte mit erhobener Augenbraue eine Hand ans Kinn.

Mir entfleuchte eine Mischung aus Seufzen und Schmunzeln, als die Runde sich in einem konfusen hin und her verstrickte, was wohl mal ein Gespräch werden wollte.

Dann musste ich wieder husten.

Eine Hand erschien auf meiner Schulter: „Geht’s, Süße?“

Ich schaute Amy an und nickte: „Irgendwie.“

Amy schüttelte mit einem milden Lächeln den Kopf: „Was machst du denn auch für Sachen? Was ich dir geraten habe, war nie als Kamikazeaktion gemeint.“

„Du sagtest doch selbst, wenn es zu lange so läuft vertue ich wahrscheinlich meine Chance.“

„Er hätte aber anders reagiert hätte er gewusst, dass du krank bist.“

„… Denkst du?“

Amy nickte: „Er hat sich doch prompt um dich gekümmert, oder nicht? Das hätte er so oder so getan.“

Ich schaute lächelnd schräg zu Boden: „Weißt du… Ich bin eigentlich nur froh, dass alles wieder so ist wie vorher. Egal, wie es dazu kam.“

„Und weiter?“

Ich zuckte die Schultern und schaute auf den Bestatter, der wie gewohnt wie ein Verrückter lachte. Ich schaute zurück zu Amy mit einem Blick, der ihr zu verstehen gab, dass ich hier nicht frei reden wollte.

Amy nickte. Dann schaute sie auf die Szene im Wohnzimmer.

„Weißt du woran mich das erinnert?“, fragte sie mit einem verträumten Tonfall.

„An ein Irrenhaus?“, klang meine Stimme in Kontrast dazu reichlich trocken.

„Nein“, schmunzelte Amy. Dann neigte sie den Kopf: „Oder ja, ein bisschen. Aber ich will eher darauf hinaus, dass ich gestern Abend mit Lee ‚Die Schöne und das Biest‘ geschaut habe und mich dieser Taubenschlag, Schrägstrich, Hühnerstall irgendwie furchtbar an die vielen schrägen Gestallten erinnert.“

„Mit Lee, ja?“, grinste ich.

„Was man mit seinem Freund halt so tut“, schlug mich die Phantomhive nach dem ersten Satz.

Ich seufzte: „Check Mate.“

Dann schaute auch ich über das Bild der wirren Diskussion, dessen Thema ich schon gar nicht mehr verfolgen konnte: „Erinnert es dich wirklich daran? Ich fand ‚Alice im Wunderland‘ schon sehr passend.“

„Klar“, lachte Amy: „Aber schau mal.“

Sie zeigte auf Ronald: „Der Jungspund: Tassilo.“

Ich beschaute den jungen Reaper, der im Schneidersitz auf dem Boden saß und versuchte den Lachtränen und eigenem Gelächter endlich Herr zu werden.

Dann zeigte Amy auf William: „Die Spaßbremse: Von Unruh.“

Ich zog amüsiert eine Augenbraue hoch, als ich den Reaper beschaute, der immer noch mit seiner Death Scythe auf Grell einschlug, in dem Bestreben für manierliche Besserung zu sorgen.

„Ja, doch. Die Uhr passt“, nickte ich in der Erkenntnis, dass William sicherlich nie zu spät kam: „Aber das Läuten würde ihn nerven.“

„Das ist das tolle daran“, grinste Amy und wir kicherten synchron im Tuschel-Modus.

Dann zeigte Amy auf Grell: „Madam Kommode, selbstredend.“

„Faust aufs Auge“, nickte ich mit verschränkten Armen.

Die Phantomhive deutete auf ihren Bruder: „Mister ‚Ich bin ja so erwachsen‘: Madame, oder in dem Fall, Monsieur Pottine.“

Mein Kopf zuckte zu Amy: „Wäre er dann nicht Ronalds Vater?“

„Er wird es überleben“, grinste die Adelstochter und zeigte auf Sebastian: „Witherspoon.“

„Sebastian, die Brieftaube“, ich schmunzelte: „Der wird dir danken.“

„Tut er eh schon“, winkte Amy ab. Dann zeigte sie mit kreisenden Zeigefinger auf Undertaker: „Lumiére. 1:1.“

Ich schaute auf den Bestatter und musste fast laut loslachen, als ich ihn mir als kleinen Kerzenständer vorstellen musste: „Hihihi! Wo du Recht hast. Es gibt ja leider niemanden, der in einen Sarg verwandelt wurde.“

„Nein, Lumiére ist seiner. 100%“

„Diese Vorstellung“, lachte ich in meine Hand.

Amy lachte mit: „Ich find den Gedanken daran bei allen gut!“

„Schon“, ich wischte mir die Kichertränen aus den Augen: „Aber Undertaker als Lumiére schlägt so schnell nichts“, dann schaute ich zu Amy: „Und du selbst?“

Amy legte eine Hand auf die Brust: „Schön, anmutig, belesen, schlau“, sie grinste mich an: „Belle natürlich!“

„Wow. Warst du schon immer so eingebildet?“

„Klar!“

Ich schüttelte den Kopf: „Der Wahnsinn“, ich schaute zu Lee, der auf Freds Schulter lehnte: „Ich habe eine Ahnung, wer das Biest ist.“

„Steht ihm, oder?“, Amy grinste breiter und klatschte in die Hände: „Ich habe Bilder im Kopf! Ganze Filme!“

Ich zog eine Augenbraue hoch: „Mit ‘ner Trilogie kämst du nicht aus, oder?“

„Natürlich nicht!“

Ich blinzelte: „Würdest du den Fluch überhaupt brechen wollen?“

„Ja, im Leben nicht!“, lachte Amy vollkommen selbstverständlich: „Überlege mal was für Potenzial das hätte! Das wäre der Stoff aus dem Legenden sind“, sie stemmte die Hände in die Hüften: „Ich habe unzählige Szenen vor Augen. Allesamt zum Schreien! Das wäre der Burner!“, sie lächelte mich unschuldig an: „Und das recht wortwörtlich, weil du in 50% davon von Undertaker angezündet wirst.“

„Angezündet?“, ich zog die Augenbrauen zusammen: „Zu was willst du mich machen? Dem Hocker?“

„Du bist doch kein Hund!“, machte Amber: „Zu Babette, natürlich!“

Mich traf der Schlag: „Warte!... War Babette nicht…“

Amy grinste so breit, ich hatte Angst ihr fielen die Zähne aus: „Die Romanze von Lumiére? Genau!“

„Was?!“

„Passt doch!“

„Nein!“

„Aber klar!“

„Spinnst du?!“, ich wedelte mit den Händen: „Davon sind wir meilenweit, nein Kilometer, nein, hektarweit entfernt!“

Ich seufzte kurz: ‚Und… das wird sich wohl nie ändern…‘

„Aber als Sinnbild…“

„Nein!“

„Ach, komm schon!“

„Amber!“

„Skyler!“

„Noah!“, ich drehte mich ab und schüttelte den Kopf. Kurz folgten meine Augen Ronald, der sich ein Glas Wasser aus unserem Wasserhahn nahm, um seinem Glucksen Herr zu werden. Dann schaute ich wieder zu ihr: „Du bist sowas von un…“

Ich brach ab.

Ein ekliger Gestank schlug mir aus dem Nichts entgegen.

Meine weiten Augen klebten an dem Anblick hinter Amys Rücken.

„Amy“, ich nahm sie an der Hand: „Geh‘ da weg.“

Amys Augen wurden riesig: „… Riechst du das?“

„Ja“, nickte ich, die Augen an dem abstoßenden Anblick förmlich festgenagelt. Ich zog an ihrer Hand: „Komm da weg.“

Doch die Phantomhive wirbelte herum: „Scheiße!“

Vor ihr stand der Zombie mit ausgestreckter Hand: „Gib mir…“

Dass Zombie-Vieh tapste nach vorne.

„Amy!“, schrie ich aus voller Kehle und zog an ihren Arm.

Die Phantomhive strauchelte nach hinten, gegen mich und zwang mich ein paar Schritte mit ihr zu gehen.

„Geh weg!“, schrie die Adelstochter voller Panik.

Das Stimmengewirr, was beständig durch den Hintergrund unserer Konversation gerauscht war, verstummte.

„Wer?“, fragte Lee irritiert.

„Das Vieh!“, antwortete ich panisch.

„Wo?“, der Butler zückte fünf Silbermesser.

„Direkt vor ihr!“, kreischte ich.

Der Asiate machte einen Satz über den Kaffeetisch in unsere Richtung.

Williams Death Scythe schwirrte los.

Ronald und Grell zückten ihre.

Ronald sprang auf die Couchlehne und wollte ein Satz darüber machen.

Grells Death Scythe heulte, als er mit langen Schritten durch den Raum hechtete.

Undertaker und Fred stürzten nach vorne.

Natürlich war der Bestatter viel schneller als der Earl in spe.

Doch keiner und nichts erreichte uns rechtzeitig.

„Gib mir Leben!“, griff das Vieh Amy am Arm.

„AH!“, nach Amys lautem Angstschrei raste ein ohrenbetäubendes Sirren, gefolgt von einem heftigen Windstoß und eine leuchtende Welle weißem Lichts durch den Raum.

Die Fenster stoben.

Lee, der zu Amy wollte, wurde aus dem Sprung nach hinten gerissen und landete klirrend in dem Glascouchtisch, der in tausend Teile sprang.

Fred flog auf den Rücken.

Ronald wurde von der wegfliegenden Couch geweht.

Grell zog die Arme über den Kopf und machte sich klein, um wenigstens halbwegs stehen zu bleiben.

William wehte die Brille von der Nase, als er nach hinten strauchelte.

Sebastian warf die Messer, doch ich konnte nicht erkennen ob er traf.

Denn ich wurde brachial von meinen Füßen hintenüber gerissen.

Zwei Arme fingen mich.

Ich sah noch kurz Undertakers ernsten Gesichtsausdruck, bis er mich in seine Arme zog, mein Gesicht in seiner Brust vergrub und sich über mich beugte.

Der Windstoß drückte mich gegen ihn und hätte mich allein umgeschubst. Doch der Bestatter stand wie ein Fels in der Brandung.

Das gleißende Licht verschlang in Sekunden den ganzen Raum und alle, die darin waren.

Die Realität sprang wie Glas und verging in einem schwarzen Nichts.
 

Als ich meine Augen wieder öffnete, war um mich herum alles dunkel.

Benommen blieb ich einige Minuten liegen.

Meine Ohren sausten und mir war schwindelig. Doch nach einiger Zeit fiel mir auf, dass etwas fehlte:

Ich fühlte mich nicht mehr fiebrig.

Träge hob ich meine Hand an meine Stirn.

Ich fühlte nichts.

Ich hatte das komische Gefühl, dass meine Hand nicht recht fühlen konnte. Doch sie fühlte sich nicht taub an. Dieses Empfinden war sehr seltsam.

Ich vermisste die kranke Zerschlagenheit nicht, die mich jetzt schon seit einer knappen Woche quälte. Allerdings fühlte sich mein Körper stumpf an.

Stumpf und steif.

Schließlich setzte ich mich auf und stierte in die Dunkelheit.

Meine Augen hatten sich daran gewöhnt, trotz allem sah ich nur wage Umrisse, so düster war es.

Ich meine Regale zu erkennen, in denen verschiedene Dinge standen. Ichkonnte nicht erkennen welche, doch die Schemen wirkten riesig.

Ich wollte meine Beine bewegen um aufzustehen.

Da stockte ich.

Irritiert zuckte ich mit meinen Beinen. Sie fühlten sich an, als seien sie zusammengebunden.

Fest.

Keinen Millimeter konnte ich sie auseinander bewegen. Auch meine Füße konnte ich nicht bewegen.

Ich konzentrierte mich drauf…

…Doch ich hatte das Gefühl sie seien gar nicht da.

Ich zuckte immer panischer mit meinen Beinen.

Mein Herz sackte ab und schlug wie verrückt.

War ich gefesselt?!

Schnürten mir zu eng gezogene Fesseln das Gefühl in meinen Füßen ab?

Hatte mich irgendwer gefesselt und in einen dunklen Raum gesperrt?

Ich konnte meine Knie knicken und strecken, doch ich schaffte es einfach nicht meine Beine auseinander zu ziehen!

Ich tastete sie ab.

Da stockte ich erneut.

Warum sollte jemand meine Beine fesseln, aber meine Arme nicht?

Die Arme fesselte man doch eigentlich zu erst.

Ich schüttelte den Gedanken weg und tastete weiter.

„Was zur…?“

Ich fühlt keinen Spalt zwischen meinen Beinen. Was ich ertastete fühlte sich an wie eine solide Einheit.

Ich schaute mich um.

Das Ohrensausen war abgeklungen. Nun war es einfach nur noch gespenstig still.

Dafür schlug mir mein Herz noch lauter bis zum Hals.

„Hallo?!“, rief ich.

Wo waren die Anderen?

Wir waren doch alle zusammen gewesen!

Undertaker hatte mich sogar im Arm gehabt!

Wo war ich?!

„Ist hier jemand?!“

Stille.

Paniktränen stiegen in meine Augen.

Ich hatte Angst.

Furchtbare Angst.

Da ich nicht wusste wo ich war.

Ob ich alleine war.

Warum sich mein Körper so komisch anfühlte und ich mich nur eingeschränkt bewegen konnte.

Ich verstand das alles nicht!

„Undertaker?!“

Keine Antwort.

Wäre der Bestatter hier gewesen, hätte er mir 100% geantwortet!

Egal was war!

Tränen rollten aus meinen Augen. Doch wie sie über meine Wangen rollten spürte ich nicht.

„Amy?!“

Stille.

Ich wedelte weiter mit den Beinen und versuchte was mich zusammenschnürte abzuschütteln.

Vergebens.

Ich zerrte und zog mit meinen Knien.

Keine Chance.

Tastete wie von Sinnen meine Beine ab. Ich suchte Riemen oder Seile, irgendetwas was mich fesselte, damit ich es runter streifen konnte.

Doch meine Finger fanden nichts.

„Grell?!“

Tränen rollten weiter aus meinen Augen.

Panisch und voller Angst verfiel ich in eine hastige Schnappatmung.

„Ronald?!“

Wo waren alle hin?!

„William?!“

Wie viel Zeit war vergangen?!

„Fred?! Lee?!“

Was war überhaupt passiert?!

„Sebastian?!“

Doch meine Rufe blieben unerhört.

Nun war ich mir sicher:

Ich war allein.

Unkontrolliert fing ich an zu zittern.

Was sollte ich denn jetzt tun?!

Die Hände vor mein Gesicht geschlagen zwang ich mich durchzuatmen.

Ich krabbelte auf meine Knie und hüpfte irgendwie nach vorne.

Es muss irgendwo eine Türe gegeben!

Ich musste sie finden!

Während ich nach vorne robbte, versuchte ich verzweifelnd mein Herzrasen und die Schnappatmung in den Griff zu kriegen.

Dann rutschten meine Hände ab.

Der Boden war zu Ende!

Mit einem spitzen Schrei rasselte ich in die Tiefe.

In eine sehr tiefe Tiefe.

Mehre Sekunden dauerte es, bis es blechern schepperte und mein Fall sehr unsanft gestoppt wurde.

Benommen schüttelte ich meinen Kopf und setzte mich wieder auf.

Dann blinzelte ich wieder verwirrt.

Ich hatte mir nicht weh getan.

Ich hatte mir gar nichts getan!

Nicht, dass es mir missfallen würde, doch es war unlogisch.

So tief wie ich gefallen war, hätte ich mir Knochen brechen müssen!

Ich war mir sicher!

Doch ich hatte noch nicht einmal an den Stellen Schmerzen, mit denen ich aufgekommen war.

Ich verstand die Welt nicht mehr, was meine Panik anfeuerte und mich nach Luft hecheln ließ.

„Hilfe!“, schrie ich durch meinen Tränenschleier.

Auf den Knien tastete ich mich über den Boden. Jeder Hüpfer wummerte blechern, als würde man etwas Hartes gegen Metall schlagen.

Irgendwann fanden meine Hände eine Wand und irgendwie schaffte ich es mich daran hoch zu ziehen und auf meine gefühlt nicht vorhandenen Füße zu stellen: „Ist hier denn niemand?! Hilfe! Bitte! Hilfe!“

Etwas quietschte.

Ich schaute an die Decke.

Das Geräusch kam von oben!

War das ein Scharnier?

Licht sickerte in den Raum.

Um mich herum war alles silbern.

Blech!

Ich schaute aus einer runden Öffnung in den Raum, indem ich aufgewacht war.

Es standen Regale an den Wänden.

Regale mit Haushalts- und Putzutensilien. Ich sah Handbesen, Kehrbleche und Besenstiele.

Ich blinzelte vollkommen überfordert.

War das eine Besenkammer?

Hockte ich in einem Eimer?

Doch… Wie?!

Ich war nicht groß, doch wie sollte ein Mädchen von 1,72 Metern in einen Blecheimer passen?!

Und warum waren die Regale und alles darin so groß?!

„Sky?“

Die bekannte Stimme hatte etwas Erlösendes.

„Amy!“, schrie ich schrill: „Ich bin hier!“

Das Gesicht der Phantomhive erschien in der runden Öffnung, aus der ich in die holzverkleidete Kammer schaute.

Meine Erleichterung verflog.

Amy war groß!

Quatsch!

Ein Riese!

„Hey Süße“, lächelte die Phantomhive und stellte einen dreiarmigen Kerzenständer, der die kleine Kammer mit dem durch die Türe sickernden Licht erleuchtete, auf einem Regalbrett ab. Dann fischte sie mich aus meiner Falle.

Da erkannte ich erschrocken, dass ich kniend in ihre Hände passte!

Amy kicherte: „Gut siehst du aus. Richtig knuffig.“

„Wa… Knu…“, ich schaute Amy an und war total verwirrt.

Ihre langen blau-schwarzen Haare waren in eine elegante Flechtfrisur hochgesteckt und sie trug ein aufwendiges lichtblaues Abendkleid, mit etlichen Verzierungen und mehrfach gerafften langen Rock.

„Was… Knuffig? Warum? Wie… Wie siehst du eigentlich aus? Was trägst du da? Warum bist du so riesig?!“

„Ich bin nicht riesig, Sky. Du bist klein“, Amy wog den Kopf: „Ich denke… 30 cm Grifflänge… und mit Wedel ca. 60 cm.“

„60cm!?“, entfuhr es mir schrill: „Griff?! Wedel?! Amy, was redest du da?!“

Die Phantomhive schaute sich um. Dann schob sie mich auf eine ihrer Hände. Da ich doch nicht klein genug war auf eine Hand Amys zu passen, baumelten meine Beine ihre Handkante herunter. Sie griff ein teilweise angelaufenes Metalltablet: „Hier.“

Obwohl es nicht im besten Zustand war, sah ich in dem Tablet mein Spiegelbild. Auch wenn ich es erst nicht recht als meins erkannte.

Mit offenen Mund starrte ich ihm entgegen.

Ich erkannt meine Haare. Hinter meinen Pony saß ein schwarzes Haarband und mein Halbzopf hielt kein Gummi, sondern eine plüschige schwarze Schleife was mir fremd war, doch es waren meine Haare. Ich erkannte mein Medaillon und meinen Pentagrammanhänger um meinen Hals. Auch erkannte ich meine Augen.

Das Gesicht was mir entgegen schaute war definitiv meines.

Und doch sah es komplett anders aus.

Mein ganzer Körper sah komplett anders aus!

Ich fuhr mit meiner Hand über mein Gesicht, welches mir haselnussbraun und hölzern entgegen schien.

Dann schaute ich auf meine Hände.

„…Holz…“

Sie waren aus Holz!

Ich hatte meine üblichen fliederfarben lackierten Fingernägel und um meine Handgelenke zogen sich zwei breite weiße Armbänder, doch meine Hände… meine Arme waren aus Holz: „Was zur Hölle?!“

Ich schaute auf meine Beine, die überhaupt keine Beine mehr waren!

Anstatt meiner Füße starrte ich auf endlos viele braune und weiße Bosten, die durch zwei goldene metallische Ringe, dort wo meine Waden hätten sein sollen, mit einem massiven Holzstab verbunden waren. Ich konnte ihn dort knicken, wo eigentlich meine Knie hingehörten.

Ich schaute wieder in das Tablett. Um meinen Körper zog sich ein schwarzes Kleid mit weißen Saum, kurzen Puffärmelchen und quadratischen Ausschnitt, die in kleinen Rüschen abgenäht waren. Darüber zog sich eine enge Schürze mit runden Rock, die unter meiner Brust endete. Von ihr zogen sich zwei dünne Träger mit Rüschen über meine Schultern. An meiner Taille wurde die Schürze von einigen großen Holzknöpfen geschlossen.

Ich drehte meinen Kopf zu Amy: „Ich bin ein Staubwedel!“

Der Groschen in meinem Kopf rang plötzlich ohrenbetäubend laut.

„Ich…“, ich schaute von Amy auf das Tablett und zurück: „Ich bin Babette!“

Amys lächelte verunglückt: „So… sieht es aus.“

Ich blinzelte sie an.

„Wie…“, meine Gedanken überschlugen sich: „Warum?!“

„Das wissen wir nicht“, tönte es durch ein Flattern. Groß wie eine Taube landete Sebastian auf Amys Schulter. Anstatt Füße hatte er ein vogelähnliches Paar Krallen und aus seinen Armen wie hinteren Jackettschoss schauten große, graue Federn. Doch ansonsten wirkte der Butler wie immer.

„Witherspoon…“, hauchte ich.

Sebastian nickte: „So scheint es.“

„Das ist alles ziemlich verrückt“, stellte Amy das Tablett wieder in den Schrank und half mir mit der nun freien Hand auf die Füße… Borsten… was auch immer.

Ich stand recht wackelig und ruderte mit dem Armen, sodass ich mich halb umgefallen an Amys Brust abstützte.

„Verrückt ist leicht untertrieben!“, versuchte ich auf den komischen Borsten meine Balance zu finden: „Ich habe keine Beine mehr! Geschweige denn Füße!“

Ich schaute als ich stand noch einmal in das auf dem Regalbrett aufgestellte Tablet, in der naiven Hoffnung es zeige mir nun etwas anderes.

Was es nicht tat.

Eher erkannte ich etwas noch Schlimmeres: „Was ist denn das?!“

„Was?“, fragte Amy verwirrt.

„Dieser Fummel!“, ich drehte den Rücken zum Tablet und schaute über die Schulter. Hecktisch zog ich an dem Rocksaum herum: „Der ist viel zu kurz!“

„Machst du dir gerade tatsächlich sorgen um dein Outfit?“, fragte die Phantomhive trocken wie verständnislos.

„Sagt diejenige im schicken Ballkleid!“

Amy fing an zu lachen: „Haben wir nicht wichtigere Probleme?“

Ich zupfte weiter an dem Rocksaum herum: „Es gibt Kleidungsstücke, die eine gewisse Länge haben sollten! Und der Rock einer Hausmädchenuniform gehört definitiv dazu!“

Amy lachte weiter: „Hast du Angst jemand kommt auf falsche Gedanken oder guckt dir was weg? Es ist ja schon fraglich, ob du im Moment etwas zum Weggucken hast.“

„Wir werden es nicht herausfinden, klar?!“, keifte ich.

Jetzt fing sogar Sebastian zu Schmunzeln an.

Auch Amy grinste noch breiter: „So kurz ist er auch nicht.“

„Warum trage ich so ein Ding überhaupt?!“

„Weil Babette das Hausmädchen ist und dementsprechend auch eine Hausmädchenuniform trägt“, erläuterte Sebastian den Fakt, den ich mir selbst habe erschließen können und nicht wirklich vor Augen geführt haben wollte. Der Dämon schaute zu Amy: „Allerdings sind sie traditionellerweise tatsächlich etwas länger.“

Amy kicherte: „Ich finde, das steht dir gut.“

„Das steht mir gut?!“, ich legte eine Hand über die Augen: „Ich sehe aus wie ein Flittchen…“

„Nihihihihihihi! So schlimm ist es auch wieder nicht!“

Ich fror ein.

„Amy“, ich schaute durch zwei Finger: „Sag‘ bitte nicht das war…“

„Der Kerzenständer“, nickte sie breit grinsend.

Ich zog die Augenbrauen zusammen: „Der was?“

Amy deutete mit dem Daumen auf das Regalbrett: „Der Kerzenständer.“

Langsam drehte ich meinen Kopf zu dem auf dem Regalbrett neben dem Tablett stehenden dreiarmigen Kerzenständer…

… der mir breit grinsend zu winkte.

Meine Hand fiel herunter und mir klappte der Kiefer auf.

Was ich sah war ebenfalls eine komische Mischung aus altbekannten Zügen in neuer Facette.

Ein scharf geschnittenes Gesicht geformt aus Wachs. Darin eingekerbt eine lange Narbe. Auf dem Kopf stand eine große Kerze, die gemächlich vor sich hin loderte und mindestens genauso schief und scheel wie sein ganzer Charakter war. Seine langen Haare hingen als tropfender Wachsstrom über seine Schulter und versauten seinen großen achteckigen Standfuß und den Boden um ihn herum mit kleinen eierschalenweißen Tröpfchen. Sein Oberkörper steckte in einem royal wirkenden langen, offenen, schwarzen Mantel mit Stehkragen, breitem Revers und silbernen Säumen. Die Ärmel waren nur ¾ lang und einmal umgeschlagen. Unter dem Mantel trug er ein nicht ganz zugeknöpftes weinrotes Hemd mit schwarz-silberner Weste und seinen Pentagrammanhänger. So gab sein Assemble den Blick auf die goldenen metallischen Unterarme und die Schlüsselbeinpartie frei. Dort waren die Narben zusammengenietete Risse im Metall. Seine Beine waren nur noch der metallische Schaft eines Kerzenständers. Trotz der schimmernden goldenen Farbe wirkte der metallische Körper eher ramponiert. Abgesehen von den geflickten Rissen, waren noch einige Platten aus silbernen und bronzenen Metall an seinem goldenen Körper fest genietet. Um seine Hüfte war ein ebenfalls weinrotes Tuch gebunden, um das seine goldenen Anhänger hingen. Seine langen schwarzen Fingernägel wirkten auf den wächsernen Händen wie Dochte. Auf dem Mittelfinger jeder Hand flackerte eine orangene Flamme.

Ich blinzelte der Gestalt entgegen, die mir so fremdartig vertraut war: „…Undertaker?“

„Nihihihi!“, Undertaker verbeugte sich überkorrekt: „Nun, ich glaube im Moment ist mein Name Lumiére.“

Ich fasste nicht was ich sah.

Natürlich war es komisch den Bestatter in Form eins dreiarmigen Kerzenständers wiederzusehen. Doch viel komischer war, dass ihn diese Form noch nicht mal verschandelte.

Im Gegenteil!

Der schwarze Mantel stand ihm gut. Hatte ich den Totengräber auch vorher nie rot tragen sehen, es kleidete ihn. Seine Optik hatte etwas kaum beschreibliches, doch ich fand ihn immer noch überaus ansehnlich.

Gut gebaut in golden.

Es hätte ihn schlimmer treffen können.

Doch ich war mir fast sicher, dieser Mann würde auch dann noch gut aussehen, wenn er den bellenden Hocker erwischt hätte!

Schöne Menschen entstellte wohl wirklich nichts. Dasselbe galt wohl auch für geistig entartete Todesgötter.

Und Undertaker war in so gut wie jeder Lebenslage schon fast unverschämt attraktiv.

Sein übliches albernes Grinsen war ansteckend.

Sein Lächeln verursachte ein warmes Gefühl in der Brust.

Schlafend wirkte er richtig friedlich und verschlafen fand ich ihn furchtbar niedlich!

Sein ertapptes und entschuldigendes Grinsen war unerhört süß.

Sein Gesichtsausdruck wenn er grübelte machte sofort auf seine Gedanken neugierig und wenn er etwas dümmlich durch die Gegend blinzelte, fand ich es meist unglaublich komisch!

Wenn er traurig schaute hatte er eine ganz eigene Ausstrahlung. Melancholisch und alt. Wobei alt hier nicht ansatzweise negativ zu werten ist. Schließlich war der Bestatter wohl auf ewig in seinen goldenen 30ern hängen geblieben, wirkte dadurch reif, aber nicht gealtert. Eher strahlt er eine gewisse Weisheit aus.

Selbst sein gruseliger Gesichtsausdruck, dieser dunkle böse Schimmer, hatte etwas was an Reiß grenzte. Seine Präsenz explodierte förmlich. Das war einschüchternd und furchterregend, aber irgendwo auch sehr faszinierend.

Undertaker sah einfach gut aus!

Er war groß, recht drahtig und sein Gesicht war bis auf der asymmetrischen Narbe, komplett symmetrisch. Das wirkte einfach!

Allerdings schluckte sein üblicher dreilagiger Aufzug mit Hut und Pony fiel davon.

Ein Großteil seiner Mimik ging verloren. Sein Mund machte meist das Gleiche, man brauchte seine Augen und seine Augenbrauen um herauszufinden, was für eine Art von Grinsen er gerade aufgelegt hatte. Der weite zweite Mantel schluckte viel seiner athletischen Figur. Der Zylinder war so alt und abgetragen, dass er seine Optik sogar ein bisschen verramschte.

Wenn er zuhause war, seinen zweiten Mantel samt Hut an die Garderobe gehängt hatte und seinen Pony nach hinten gewischt hatte mochte ich ihn am liebsten. Der untere Mantel war im Vergleich zu dem ersten extrem figurbetont, eher eine Robe, und sah man seine Augen kam jede Hilfe eh viel zu spät.

Und da auch dieses Hemd verboten gut saß, konnte ich nicht wegschauen.

Oder meinen Mund zumachen.

Oder realisieren, dass ich ihn mit offenstehendem Kiefer anstarrte.

„Fuhuhuhu!“, die Stimme des Bestatters weckte mich aus meinem ungenierten Mustern. Ich klappte meinen Kiefer zu, als mir peinlich erschrocken auffiel, dass ich ihn mehr als einen Augenblick mit offenen Mund begafft hatte. Doch der Totengräber wirkte davon vollkommen unbegeistert: „Ich, zumindest, sehe das Problem nicht. Weder an deinem modischen Zustand noch an der Tatsache keine Beine zu haben!“

Ich schaute den Kerzenständer weiter an mit meinem und seinem Aussehen noch gänzlich überfordert.

Undertaker allerdings hüpfte kichernden und scheppernd von rechts nach links und zurück, wackelte dabei tänzelnd mit den Armen: „Kehehehe! Man gewöhnt sich daran! Ich finde es ja äußerst spannend! Probiere es! Nihihihihihi!“

„Undertaker“, seufzte ich mit hängenden Armen: „Du bist wahrscheinlich wirklich der Einzige, der so einer Situation etwas Gutes abgewinnen kann…“

„Ich bin von Natur aus neugierig“, grinste der Bestatter und bog sich lachend zur Seite: „Kehehehe! So etwas hatte selbst ich noch nicht!“

„Ganz toll…“, machte ich.

Der Bestatter neigte sich zur anderen Seite: „Nihihi! Du hast die Anderen noch nicht gesehen!“

„Brauch ich auch nicht“, seufzte ich. Dann strauchelte ich ging in die Knie und hielt mich wieder an Amys Finger fest: „Ich will meine Beine zurück!“

„Wir sind alle eifrig auf der Suche nach einem Weg“, legte Sebastian die Hand auf die Brust.

„Wie sind wir überhaupt hier hingekommen?“, ließ ich die Schultern hängen: „Warum sehen wir so aus?“

„Da hat unsere kleine Leuchte die beste Theorie“, deutete der Butler mit einer Verbeugung in Undertakers Richtung.

Ich schaute den Bestatter wieder an.

Dieser hatte die Arme verschränkt, musste allerdings seine brennenden Hände etwas abwinkeln.

Mit einem breiten Grinsen schaute er mich an: „Ni hi hi. Ein Alp.“

„Ein“, ich blinzelte: „Ein Alp?“

„In der Tat“, grinste der Kerzenständer weiter.

Amy schnappte ihn an der Säule und setzte mich auf ihren Unterarm daneben.

Undertaker in der Hand, mich auf dem Unterarm und den Butler auf der Schulter ging Amy aus der Kammer und gab sicherlich ein drolliges Bild ab.

Trotz meiner fragwürdigen Position in diesem Bild, traf mich die Vorstellung wie ein Geistesblitz.

Wenn ich doch nur eine Leinwand hätte…

Amy betrat einen Flur der so prunkvoll ausgekleidet und dekoriert war, dass die Villa Phantomhive dagegen wirkte wie eine bessere Stadtwohnung.

Während Undertaker erzählte schweifte mein Blick über den roten Teppich, die hellen Steinfliesen, verzierte Kerzenleuchten und die unzähligen teuren Gemälde: „Ich denke, diese ganze Szenerie ist gar nicht echt.“

Ich schaute zu dem Bestatter: „Inwiefern nicht echt?“

„Wir schlafen und all das hier ist nur ein Traum. Entsprungen der blühenden Fantasie unserer jungen Lady Phantomhive“, giggelte der Bestatter.

„Ja ja“, stöhnte Amy: „Nun bin ich es wieder schuld.“

„Warte!“, mein Kopf wirbelte herum: „DU stehst im Moment total auf die Schöne und das Biest und DAS ist genau die Rollenverteilung, die DU dir ausgedacht hattest!“

„Ich gebe ja zu“, die Adelstochter wog den Kopf: „Es gibt Parallelen…“

„Amy!“

„Ist ja gut“, sie seufzte: „Es ist alles genau so, wie ich es mir vorgestellt hatte.“

„Alles?!“

„Ja, alles.“

Ich schaute auf meinen Rock und wieder in Amys Gesicht.

„Auch das“, nickte sie.

Ich zog meine Augen zu Schlitzen: „Das vergebe ich dir nie.“

Amy seufzte erneut.

Der Kerzenständer neben mir fing an zu lachen.

Ich schaute ihn an und wedelte mit den Händen: „Ok! Oder eben nicht! Also: Das hier ist Amys verquere Traumwelt, aber wo sind dann wir? Also, die wirklichen wir. Und wie können wir alle dasselbe träumen?“

„Ein Alp… Huch!“, Undertaker hob einen brennenden Zeigefinger. Er war wohl unabsichtlich dem Mittelfinger zu nah gekommen und der Bestatter schaute ihn erst doch recht scheel an. Dann pustete er ihn aus, hob ihn erneut und grinste als sei nichts gewesen: „Ist ein Geist, welcher die Möglichkeit hat das Vorstellungsvermögen von Menschen zu kontrollieren“, er legte den Kopf schief: „Und es zu verspeisen.“

„Was?“, machte ich verwirrt: „Ein Alp ist ein Geist? Sind Alps nicht eigentlich fiese, kleine Fabelwesen?“

„Was ihr Menschen als Fabelwesen bezeichnet, sind meistens Geister. Oder Engel in Verkleidung. Oder Dämonen, die Langeweile haben. Oder Sensenmänner auf Abwegen, ehehehe!“, Undertaker hob eine Hand: „Es gibt unzählige Arten zu sterben. Und jede Art hat einen Effekt auf die verstorbene Seele, sollten die Reaper schlampen und ein Geist dabei herauskommen. Menschen, die beispielsweise unverrichteter Dinge sterben, bleiben meist optisch dieselben. Abgesehen davon, dass sie auftauchen und verschwinden können, wie sie lustig sind. Kehehehe! Oft werden sie zu Poltergeistern, da die Menschen, mit denen ihr unvollrichtetes Geschäft zusammenhing, vorher starben, sie es so nicht zu Ende bringen konnten und verrückt werden. Menschen, die sehenden Auges den Tod starben, vor des sie sich am meisten fürchteten, werden oft ein Alp. Sie sind angefüllt von Angst, von negativer Energie, sodass sie verzweifelt versuchen es wieder auszugleichen. So fressen sie die guten Träume ihrer Opfer, werden dadurch auch stärker. Die Kraft der Gedanken ist nicht zu unterschätzen. Was für ihre Opfer übrig bleibt sind die Alpträume, in denen das Alp meist die Hauptrolle spielt. So gesehen ist ein Alb ein Gedankenparasit. “

„Ok“, machte ich: „Glaube ich… Aber wie kommen wir hier wieder raus?“

„Das ist die große Frage“, sagte Sebastian.

„Vielleicht haben die Anderen eine Idee“, grübelte Amy: „Lasst uns so oder so zu ihnen gehen.“

„Wie haben sie es aufgefasst?“, schaute ich Amy an: „Also ihr… Make over?“

Undertaker fing neben mir so dreckig an zu lachen, dass ich eine Antwort Amys eigentlich gar nicht mehr brauchte.

„Einstimmig“, sagte die Phantomhive zögernd.

„Dagegen“, ergänzte der Bestatter giggelnd.

„Es sind leider nicht alle so offen wie Undertaker“, seufzte Amy.

„Lasst mich raten“, machte ich und hob eine Hand: „Du und Undertaker finden das alles furchtbar lustig, während jeder der Anderen seine ganz persönlichen Art von Anfall bekommt?“

„Jap“, machten die beiden Scherzkekse wie aus einem Munde und grinsten dabei so breit sie konnten.

Ich seufzte und schüttelte den Kopf.

Ich wollte meine Beine zurück und meinen Tastsinn wieder zu bekommen fände ich auch ganz fein.

Doch schien die Lösung für unseren ‚Zustand‘ noch nicht einmal in den Kinderschuhen zu stecken.

Amy bog in eine Tür ein.

Mir klappte der Kiefer auf.

Wir kamen in eine Bibliothek.

Eine riesige Bibliothek!

Für einen Moment vergaß ich die Tatsache, dass mich Amys eigentümliche Fantasie in einen Staubwedel verwandelt hatte und beschaute mit großen Augen die vielen Bücher.

Neben mir hörte ich ein Lachen.

Ein gefälliges Lachen.

Ich drehte meinen Kopf mit zusammengezogenen Augen zu dem Bestatter: „Was lachst du?“

Er stützte seinen Ellbogen auf den anderen Arm und seine Wange in die Hand: „Ke he he, zumindest die Bibliothek scheint dir zu gefallen.“

Doch ich schaffte es nicht ihm zu antworten.

Kaum hatte er sein Gesicht in seine Hand gestützt, musste ich anfangen furchtbar zu lachen.

Undertaker zog ein wenig verwirrt eine Augenbraue hoch: „Nihi! Was ist so lustig?“

Ich musste noch mehr lachen, da der Totengräber nicht zu verstehen schien, was er gerade eigentlich tat!

Ich zeigte ihn sein Gesicht.

„Dein Gesicht ist aus Wachs!“, japste ich durch mein Lachen recht atemlos.

„Ja“, machte Undertaker langezogen und hob die Hand fragend, auf der eben noch sein Gesicht gestützt war: „Und?“

„Und dein Mittelfinger brennt!“

Bei Undertaker fiel der Groschen.

Nur fiel die rechte Seite seines Gesichts schneller. Die war schon halb seine Schulter hinunter!

Ich atmete ein paar Mal tief durch, doch Herr wurde ich meinem Lachen nur bedingt: „Wie das aussieht!“

„Deswegen sehe ich so komisch!“

Es sah so dösig aus.

Eigentlich sehr morbide, schließlich floss dem Bestatter gerade das rechte Auge davon, aber auch wirklich dösig.

„Du siehst etwas?“, unterbrach eine bekannte Stimme die Situation, durch ein lautes Poltern.

Ich wischte mir mit meinen stumpfen Holzhänden durch mein Gesicht und drehte mich um.

Dann fiel mir der Kiefer hinunter.

„Ja ja“, machte Grell: „Schau nur. DAS hat die feine kleine Lady Phantomhive mir angetan!“

„Ich habe mich doch schon entschuldigt!“

Doch Grells säuerlicher Gesichtsausdurch unter seiner roten Brille ließ sich durch nichts erweichen, was Amy hätte tun können.

Er hatte genauso das Holz-Los gezogen wie ich, das verriet schon sein Gesicht unter der roten Mähne. Doch war sein Holz viel rötlicher als meines. Sein Oberkörper war ein kleiner, geschwungener, schön mit Gold verzierter Schrank mit 2 Türen aus dessen Seite 2 Arme in Rüschenärmeln wuchsen. Dieser stand auf einem größeren rechteckigen Schrank mit 3 Schubladen. Um seinen Hals zog sich eine edle weiße Schleife.

Der rote Reaper verschränkte seine Arme vor seinen Türen: „Ich bin ein beschissener Schrank!“

„Gihihi! Was ist daran so schlimm?“

„Ich habe noch nicht mal Beine!“

„Meine Rede“, stimmte ich Grell mit verschränkten Armen und einem Nicken zu.

„Und meine Silhouette ist versaut!“

„Oh man…“, Amy drehte die Augen an die Decke: „Noch jemand, der sich über Nebensächlichkeiten pikiert…“

„Hast du dir mal angeschaut wie ich aussehe!“, Grell drehte sich und wackelte provokativ mit seinem Unter…schrank: „Quadratisch, praktisch, gut!“

„Na, ih hi hi! So dramatisch ist es auch nicht.“

Grell fuhr herum: „Bist du eigentlich…!“, dann zog er recht perplex eine Augenbraue hoch: „Was zum Henker tust du da?“

Ich drehte mich um.

Undertaker hatte sich die Hände gelöscht und war damit beschäftigt seine rechte Gesichtshälfte wieder neben die linke zu schieben.

Über den Erfolg dieser Unternehmung konnte man allerdings streiten.

Ich kicherte in meine Hand als ich sah, wie der Bestatter sich das Wachs ins Gesicht drückte damit es ihm nicht endgültig davon lief.

Mit ‚Formschönheit‘ hatte was dabei herauskam allerdings nicht mehr viel zu tun.

Oder einem Gesicht.

„Nun“, der Bestatter lachte und hob mit einem Schulterzucken die Hände, in denen er noch Wachs von seinem Gesicht hielt. Es tropfte gemächlich zu Boden: „Ich versuche mein Gesicht zu retten!“

Grell schüttelte den Kopf: „Erfolglos.“

Undertaker grinste mit dem Mundwinker, den er noch übrig hatte: „So scheint es, kehehe!“

Amy wischte sich mit der verbliebenen Hand durch ihr Gesicht: „Ich organisiere gleich ein Messer. Grell? Wo sind die Anderen?“

„Messer?!“, entgeistert schaute ich zu Amy.

Warum wollte die Phantomhive denn mit einem Messer auf Undertaker los gehen?!

Sie hob eine Augenbraue: „Soll ich ihm sein Gesicht mit den Fingernägeln zurecht schnitzen?“

„Ehehehe…“, lachte ich debil. Im Nachhinein war es so offensichtlich, dass mein Ausbruch mal wieder nur noch peinlich war: „Klar, natürlich. Hast recht…“

Amy schüttelte mit einem Schmunzeln den Kopf und wandte sich zu Grell: „Und?“

Dieser stemmte seine Hand in die Kurve des oberen Schrankes, der entfernt an eine Taille erinnerte: „Da wo sie vorher waren. Die sind gerade nicht so gut zu Fuß.“

Ich schaute Amy an: „Hat irgendwer noch Füße?“

„Nun, Sebastian, Lee und ich“, Amy setzte sich in Bewegung und Grell watschelte ihr beschwerlich hinterher. Erst die linken zwei Füße, dann die rechten.

Das sah zwar noch ein wenig ungeübt aus, war aber an sich keine schlechte Taktik.

Ich schaute auf meinen Wedel.

Mit einigen Mühen, schaffte ich es ihn in der Mitte ein bisschen abzuteilen. Vielleicht konnte ich mir so etwas ermogeln was Füßen ein bisschen ähnlich war und halbwegs laufen…

In einer Ecke der großen Bibliothek flackerte ein prunkvoller Kamin. Riesig, wie alles in diesem… Haus?

Nein.

Ich war mir sicher, dass hier war ein Schloss.

Wäre ich nicht ein kleiner Staubwedel und würde mehr tragen, hätte dieser Traum definitiv Potenzial.

Vor dem Kamin stand ein dick gepolsterter Sessel und ein großer, verzierter Holztisch.

Auf dem Sessel saß eine komisch geartete Gestalt.

Ich erkannte den Mann und machte große Augen: „Lee!“

Der Asiate drehte sein Gesicht vom Tisch weg und stand auf.

„Wen haben wir denn hier?“, fragte er und kam mit einer weiten Armgestehe auf uns zu. Er beugte sich zu mir hinunter: „Wenn das nicht die entzückende Babette ist!“

Ich schaute in Lees schmale Augen, die mich mit katzenartigen Pupillen in der haselnussbraunen Iris zurück anschauten. Er grinste mich sicherlich eigentlich freundlich an, doch die scharfen Zähne in seinem Mund nahmen dem doch ein großes Stück Sympathie.

Aus seinen dunkelbraunen Strubbelhaaren schauten zwei große Hörner heraus. Er trug einen reinweißen Gehrock, ein weißes sehr prunkvolles Rüschenhemd, schwarze Halbschuhe und eine elegante schwarze Hose. Um seinen Hals hingen neben seinem Pentagrammanhänger noch einige Goldketten und an seinen Fingern blitzten neben einigen großen Ringen spitze schwarze Klauen anstatt Fingernägel.

Ich staunte nicht schlecht aufgrund der Veränderungen an dem jungen Asiaten.

Das komischste an seinem Aussehen war allerdings eine dicke Blutspur, die wenn auch sehr gemächlich aus einer klaffenden Wunde an seinem rechten Hals in seine strahlendweiße Oberkörperbekleidung sickerte und so unendlich makaber, wie besorgniserregend wirkte.

Ich schaute ein weiteres Mal zu Amy: „War das Biest nicht eigentlich hundeähnlich?“

Die Phantomhive grinste ein wenig ertappt: „In meinem Kopf habe ich das vielleicht ein bisschen… ummodelliert.“

„Ich sehe es“, etwas verstört schaute ich auf die rote Spur: „Aber was soll die Wunde?“

„Die“, Amy sah ein wenig besorgt aus: „Kommt nicht von mir.“

„Wie?“, verwirrt schaute ich sie mit klimpernden Augen an.

„Hier scheint wirklich alles auf meinem Mist gewachsen. Außer das.“

Ich schaute zu Lee: „Die sieht übel aus.“

Lee befühlte seinen Hals: „Das sagen alle. Sie brennt auch ganz furchtbar. Doch ich denke, es handelt sich um einen Effekt. Blut in weißen Klamotte sieht doch extra dramatisch aus.“

„Gihi“, kam es von neben mir: „Das ist allerdings ein Traum. Und in einem Traum hat man keine Schmerzen.“

Lee zuckte die Schulter: „Für die Größe müsste es auch mehr bluten.“

„Das ist wohl wahr“, kippte Undertaker seinen Kopf zur Seite.

„Aber das ist doch Amys Traum“, schaute ich dem Totengräber in sein verpfuschtes Gesicht: „Warum gibt es dann Dinge, die gar nicht aus Amys Kopf kommen?“

„Sofern wir richtig liegen“, klang es durch ein mehrstimmiges Klacken und Klickern.

Ich drehte meinem Kopf zu dem Tisch.

Darauf standen eine Uhr, eine Teekanne und eine Teetasse mit eher sparsamen Gesichtsausdrücken.

Das diese Gegenstände einen Gesichtsausdruck hatten war ebenfalls der Ca­sus knack­sus.

William, Frederic und Ronald schienen mit ihrem Zustand wirklich nicht glücklich.

Williams Körper war nicht mehr, als das Gehäuse einer schön gearbeiteten antiken Tischuhr. Auf Brusthöhe prangte ein großes, rundes Ziffernblatt mit römischen Ziffern und schön verschnörkelten Zeigern. Der braunrote Lack war verziert mit goldenem Muster und jeder Rand abgesetzt mit verschnörkelten Gold. Unter dem Ziffernblatt schwang hinter einem Glas ein rundes Bronzependel. Über dem Ziffernblatt schaute Williams Kopf, seine Schultern und Arme heraus. Er trug ein braunes Jackett mit langen hinterem Schoss, der über einen großen Teil des hinteren Gehäuses fiel, ein schlichtes weißes Hemd und eine Ascot-Krawatte. Seine Haut war so rostrot lackiert wie die Uhr und auf seiner Nasenspitze saßen 2 weitere Zeiger. Über besagte Zeiger hinweg schob William seine Brille hoch: „Hat hier ein Alp die Finger mit im Spiel. Das erweitert die Zahl an Optionen um einiges.“

Frederic schaute William zerknirscht an. Sein Aufzug war insofern auffällig, da er im Kontrast zu allen anderen reichlich fantasielos war.

Auf dem Deckel einer bauchigen elfenbeinfarbenen Kanne mit naviblauen Muster, saß sein Oberkörper mit elfenbeinweißer Haut, bekannten königsblauen Augen und schwarzblauem Schopf. Dieser Oberkörper steckte in einem weißen, dünnen Hemd und einem elfenbeinweißen Gehrock mit naviblauen Revers und einem Paar Taschen.

Neben ihm verschwand Ronalds Oberkörper in einer kleinen Tasse, die dasselbe Muster trug wie Frederics Kanne. Die beiden hatten auch dieselbe Hautfarbe. Ronald trug ein pfefferminzteebraunes Hemd, bei dem die ersten Knöpfe offenstanden und seinen Pentagrammanhänger sehen ließen, mit elfenbeinweißer Anzugweste und schwarzen Ärmelschnallen. Er hatte die Arme auf dem Tassenrand und sein Porzelankinn auf seinen Armen abgelegt: „Und es spielt uns jetzt schon ganz gut übel mit.“

Ich schaute durch die Reihen der in Haushaltsgegenstände verwandelten Aristokraten und Reapern.

Abgesehen von der verbliebenen Hälfte von Undertakers Gesicht, waren die Gesichtsausdrücke eher frustriert oder recht säuerlich. Man merkte, dass die Moral der Gruppe einen Knick abbekommen hatte.

Und auch meine Moral fühlte sich reichlich geknickt an.

Ich war generell nicht wirklich nützlich, abgesehen von der Tatsache, dass ich irgendwie Dämonen über die Steinamulette hin spüren konnte. Doch was uns hier übel mitspielte war kein Dämon. So war ich mit meinen nicht existierenden Beinen nicht mehr als vollkommen nutzlos.

Und das fühlte sich so schlimm an…

Doch Undertakers nach wie vor strahlend grünes Auge flog durch die Reihen: „Nihihi! Scheint, als mache nicht nur ich ein langes Gesicht.“

„Kannst du mal die Klappe halten, du alter Irrer?“, knurrte Grell: „Nicht jeder ist so bescheuert wie du und findet das hier lustig.“

„Und was nützt es uns die Köpfe in den Sand zu stecken?“, quittierte Undertaker mit seinem halben Grinsen, welches ihm nicht ansatzweise irgendetwas an Selbstvertrauen zu nehmen schien: „Es gibt immer einen Ausweg, kehehehehe! Nur die wenigstens sind mit einem kleinen, sympathisch leuchtenden, grünen Schildern ausgeschildert. Man muss ihn schon selbst finden.“

Ronald rieb sich denkend die Stirn: „Aber… kreieren Alps nicht Alpträume?“

„Ja“, grinste Undertaker: „Denk weiter Ronald. Kehehehe!“

Ronald schaute ihn blinzelnd an: „Ähm… aber… das hier ist kein Alptraum. Amy hat Spaß daran.“

„Sicher?“, Undertaker legte seine gelöschte Hand an seine zerlaufende Wange: „Wie starteten wir in diesen Traum?“

„Ich habe mich zu Tode erschreckt!“, polterte Grell wütend: „Meine schöne Figur! Ich habe gedacht ich bekomme einen Herzinfarkt!“

„Ich habe mich auch erschreckt“, gestand Fred: „Damit habe ich nicht gerechnet.“

Sebastian neigte den Kopf: „Ich würde lügen, würde ich leugnen überrascht gewesen zu sein.“

William drehte den Stundenzeiger von seinen Augen: „Ich bin nicht erfreut. Nicht im Mindesten.“

Lee rieb sich den Hals: „Ich weiß nicht, was mir mehr Sorgen macht: Mein Aussehen oder dieser Krater.“

Amy legte ihm die freie Hand auf die Schulter: „Ich war nur verwundert. Ich habe mich aber auch nicht viel verändert.“

„Es muss ja nicht jeder schlecht dran sein“, zwinkerte Lee.

Eigentlich war dieses Verhalten für ihn normal.

Es war immer sehr deutlich gewesen, dass Lee eine sehr kokette Art hatte.

Es wirkte für mich wahrscheinlich nicht ganz normal, da ich wusste was alles hinter diesem Zwinkern steckte.

Der Asiate und die Adelstochter tauschten ein recht verhaltenes Lächeln. Ein Lächeln, was versteckte, was wirklich zwischen den Beiden lief. An die große Glocke hängen wollten sie dies wohl noch nicht.

Doch auch der Kerzenständer neben mir hatte einen wissenden Ausdruck in seinem halben Gesicht.

Der Rest schaute eher abschätzend, aber mitnichten ideenlos. Vor allem Frederic musterte seine Schwester und seinen besten Freunden reichlich skeptisch.

Doch im Endeffekt waren die Umstände, in denen wir uns hier befanden, viel zu wichtig um sich nun Gedanken über die Beziehungen einzelner Personen zu machen.

„Ich hab erst meinen Augen nicht getraut“, seufzte Ronald: „Wer denkt schon, dass er als Tasse aufwachen könnte?“

Der Kopf des blonden Reapers drehte sich zu Amys Arm: „Und ihr?“

„Öhm…“, machte ich kurz, doch Undertaker sprach schneller: „Ich war definitiv überrascht! Nehehehe! Das ist neu für mich. Spannend, definitiv.“

Ich schaute auf den Boden: „Ich… hatte nur Angst… Wo ich aufgewacht bin, war es komplett dunkel. Ich habe alles nur gefühlt und erst nichts gesehen… und ich war dort ganz allein.“

Ein Finger erschien unter meinem Kinn und hob meinen Kopf an.

„Du bist nie wirklich allein, glaube mir“, schien mir Undertakers grünes Auge entgegen.

Selbst in seinem ramponierten Gesicht faszinierte mich dieses Grün aufs Neue. Ich hatte seinen Augen einfach nichts entgegen zu setzten.

Auch Undertakers halbes Lächeln wirkte trotz seines Gesichtsdilemmas unendlich warm und weich.

„Wie…“, meine Frage brach ab.

Ich erinnerte mich an den Schuhabdruck auf meinem Schreibtisch.

An das, was ich Undertaker übelnehmen müsste, doch es nicht tun konnte.

Mein Mund zog sich zu einem kleinen Lächeln: „Ich weiß.“

Undertaker giggelte kurz.

Dann stellte Amy ihn auf den Tisch: „Ich besorge mal ein Messer. Vielleicht kriegen wir das gerettet was mal dein Gesicht war.“

Undertaker zuckte wieder mit der Schulter: „Selbst wenn nicht, was ist dabei? Ehehehe!“

„Wir müssen dich ansehen“, feixte Grell: „Meine armen Augen halten das nicht aus.“

Amy setzte mich neben Undertaker. Dann verschwand sie von dem Tisch.

Seufzend blieb ich sitzen.

Ich konnte mir den Borsten eh nicht laufen.

„Warum so resigniert?“, hörte ich wieder die Stimme des Totengräbers.

Ich schaute auf die Tischplatte: „Ich… kann nicht laufen. Die Borsten sind zu weich und knicken immer weg…“

Eine wächserne Hand erschien vor meinem Gesicht: „Lass mich dir helfen, meine Schöne.“

Zögerlich schaute ich dem Totengräber in sein halbes Gesicht: „Warum…?“

Er lächelte: „Weil man nicht alles alleine schaffen muss, oder nicht?“

Ich nahm seine Hand und er zog mich auf die Borsten.

Natürlich strauchelte ich und kippte. Doch weit bevor ich aufkam, schnappten mich zwei Arme und hielten mich aufrecht.

Als ich über eine Schulter schaute lächelte Undertaker mich an: „Siehst du? Du stehst. Ke he he.“

Ich lächelte zurück und wischte mir eine Haarsträhne hinter mein Ohr: „Stimmt.“

Einige Zeit lang übte ich mit Unterstützung des Totengräbers laufen.

Er hielt von hinten meine Hände während ich auf meinen zwei geteilten Wedel hin und her eierte. Meine Technik, auf die mich Grell gebracht hatte, funktionierte besser, als ich selber dachte, was mich ein wenig überraschte. Nach ca. 10 Minuten konnte ich eigenständig stehen. Nach einer gefühlten halben Stunde schaffte ich es - wenn auch recht wackelig – alleine ein gutes Stück nach voran zu tapsen.

Ich drehte mich zu dem Bestatter um.

Auf seinem halben Gesicht stand ein stolzes Lächeln und er klatschte ein paar Mal in seine wächsernen Hände: „Ke he he! Bravo, meine Schöne.“

Ich konnte nicht verhindern breit zu grinsen zu beginnen.

Ein Seufzen von Lee brachte mich dazu meinen Blick von Undertakers chartreusegrünem Auge zu nehmen.

Der Asiate saß wieder in dem Sessel. Trotz orangenen Kaminfeuerscheins wirkte sein Gesicht ein wenig blass.

Fred hüpfte ein Stück zur Tischkante: „Alles ok?“

Lee nickte: „Schon. Ich fühle mich nur ein bisschen schlapp.“

„Deine Wunde vielleicht?“, mutmaßte Grell: „Die blutet immer noch.“

Ich beschaute die Wunde genauer.

Es war nicht viel, eher ein kleines Rinnsal, doch es züngelte beständig in seine weiße Garderobe.

Lee zuckte mit den Schultern: „Es ist gerade eh eher fraglich, was wahr ist und was nicht. Genau wie fraglich ist, was von Amy kommt und was von unserem Freund.“

Ich drehte mich ein Stück und schaute in Undertakers Gesicht: „Können wir das irgendwie unterscheiden?“

Undertaker schüttelte den Kopf: „Ich weiß es nicht. Mich hat noch nie ein Alp erwischt.“

„Warum dann jetzt?“, fragte ich und schlug eine Hand vor meinen Mund. In dem Moment wo ich es aussprach fiel mir auf, wie frech diese Frage eigentlich war: „Es tut mir leid! Ich…“

Doch Undertaker lachte einmal auf: „Kehehe! Du musst dich nicht schämen zu fragen! Ich war abgelenkt.“

„Wovon?“, blinzelte ich.

Undertaker lächelte mich ein Stück weiter an: „Ich wollte nicht, dass du dich verletzt. Deswegen kam ich nicht rechtzeitig weg. Ich hatte die Wahl davon zu springen oder dich aufzufangen. Sie fiel mir nicht schwer.“

Mir fiel mit großen Augen der Kiefer hinunter.

Ich konnte nicht darauf antworten.

Ich war vollkommen perplex!

Diese Antwort traf mich wie ein Schlag!

Undertaker war in diesen Traum gezogen worden, weil er mich aufgefangen hatte. Ich hatte so dicht bei Amy gestanden, es war mir unmöglich gewesen dem auszuweichen was passieren würde und Undertaker hatte mich gefangen, bevor es der harte Boden getan hätte. Dafür war er allerdings zur Gefahrenquelle hin und nicht von ihr weg gehechtet.

Doch mein Gesicht zog sich ganz von allein in ein Lächeln: „Das ist süß von dir, aber“, ich schaute auf die Tischplatte. Vermisste fast das warme Gefühl in meinem Gesicht, welches mich jetzt sicher ergriffen hätte: „Sowas musst du nicht wegen mir in Kauf nehmen…“

„Oh doch“, surrte seine Stimme in mein Ohr: „Ich bereue nichts! Kehehehe!“

Mein Kopf flog zu ihm: „Was?“

Er grinste mir mit seinem zahnvollen, wenn im Moment auch nur halben Grinsen entgegen: „Ich bereue nichts! Ich bin recht sicher, deinem Körper ist in der wachen Welt nichts passiert und dieser Traum ist doch sehr interessant! Was soll ich also bereuen?“

Ich schmunzelte kurz mit geschlossenen Augen: „Herrje. Diese Antwort war so typisch.“

„Was soll ich denn sonst antworten? Nihihihi!“

Ich lachte ihn an: „Nichts anderes. Das bist du und das ist gut so.“

Der Bestatter grinste immer noch: „Ein Kompliment aus so einem schönen Mund ist mir unbeschreiblich viel wert.“

Ich schaute peinlich berührt und doch geschmeichelt zur Seite: „Charmeur.“

„Njaaaa“, machte Grell: „Der Ansatz war nicht übel.“

Ich schaute Grell mit einem Kopfschütteln an. Doch irgendwie fand ich seinen Kommentar ganz lustig: „Du bist mit nichts zufrieden, oder?“

Grell zwinkerte einmal: „Ich hege an Männer hohe Ansprüche.“

„Du Diva“, lachte ich.

„Auf den Punkt“, lachte Grell zurück.

„Wie ich sehe habt ihr euren Humor doch nicht ganz verloren“, drehte ich mich zu Amys wieder aufgetauchter Stimme. Sie hatte ein Buttermesser in der Hand und Sebastian stand immer noch auf ihrer Schulter.

„Darf ich?“, fragte sie mit einem wissenden Lachen und zog Undertaker näher an die Tischkante.

Die Frage gefiel mir nicht, durch Amys Tonfall hatte sie einen komischen Nachgeschmack, den ich sehr gut mit dem erklären konnte, was Amy in Bezug auf Undertaker von mir wusste. Ich wollte nicht, dass sie dieses Wissen durchscheinen ließ… Doch ich wollte mich nicht damit blamieren, mich irgendwie zur Wehr zu setzen und mich am Ende noch irgendwie zu verraten.

Ich wusste nicht… was ich tun würde, würde ich einen Korb von dem Bestatter bekommen.

Ich wusste nur…, dass der Schaden an meiner Seele immens sein würde.

Ich schaute zur Seite, wissend, dass ich mir den Schmerz, der darauf folgen würde, doch nur vage vorstellen konnte. Denn ich hatte die letzte Woche nur einen Vorgeschmack darauf bekommen.

Und der war schon unbeschreiblich grausam gewesen.

Außerdem war es wirklich nötig, dass jemand das eigentlich sehr ansehnliche Gesicht des Bestatters wieder in Form brachte und ich wusste, dass Amy dafür die beste Wahl war.

Sie setzte mich also auf die Tischkante und mein Wedel hing hinunter. Über die Schulter beschaute ich, wie Amy behutsam anfing in Undertakers Gesicht mit dem Messer herum zu werkeln.

„Sebastian hatte übrigens einen guten Einwand“, sagte sie währenddessen: „Wiederholst du es bitte?“

„Natürlich, junge Lady“, verbeugte sich der Butler kurz: „Ich denke dies ist noch kein Alptraum, da das Alp nicht nur an den Träumen der jungen Lady zerrt.“

Ich verstand nur halb, doch Undertaker lachte, was Amy dazu brachte kurz ihr schnitzen zu unterbrechen um nicht mehr kaputt als heil zu machen:„Nehehehehe! Du denkst, da 9 Leute in dem Traum gefangen sind, bleibt er solange recht stabil, bis die positive Energie von allen aufgebraucht ist.“

Sebastian nickte: „Ich halte es allerdings für sehr wahrscheinlich, dass der Traum langsam kippt. Je weniger positive Energie beigesteuert wird, desto grausamer entwickelt sich der Traum. Wir sind gerade erst hier erwacht, folglich noch nicht lange am Schlafen. Noch hat das Alp wohl nicht viel gefressen.“

„Dies klingt logisch“, sprach William in einem trocknen Ton, der jegliche Anerkennung vermissen ließ.

In meinem Kopf klingelte ein Gedanke: „Könnte…“

Doch ich brach ab.

Von allen hier hatte ich die wenigste Ahnung.

Ich hatte überhaupt keine Ahnung!

Alles, was ich beisteuerten könnte, wäre sicher nur vollkommen wirres Gerede, was keinem weiterhelfen konnte. Ich zog meinen Finger um die Tischkante und schaute auf meinen Wedel.

„Könnte?“, schaute Lee mich von seinem Sessel aus an.

Ich schüttelte den Kopf: „Vergesst es. Ein fixer Gedanken, doch sicher unqualifiziert. Ich habe von allem hier ja gar keine Ahnung…“

„Kihihihi!“, lachte es hinter mir: „Wir haben alle keine Ahnung! Es sind alles durch und durch nur Mutmaßungen, auch wenn sie logisch klingen.“

Ich schaute über meine Schulter: „Wie… meinst du das?“

Undertaker lachte noch einmal und drückte Amys Hand nach unten. Er drehte sich zu mir. Sein Gesicht war noch nicht fertig, doch Amy hatte zumindest die Gesichtskonturen zurecht, den Mund auf- und das Auge angeschnitten.

„Niemand von uns wurde schon einmal in ein Objekt verwandelt. Keiner von uns war schon Mal in einen Traum gefangen. Niemand von uns ist sich überhaupt sicher, ob der kleine Trickster ein Alp ist. Genau genommen ist keiner hier sicher, ob es wirklich ein Traum ist. Niemand hier, schöne Sky, hat eine Ahnung von dem was hier vor sich geht“, der Bestatter hüpfte die 2 Hüpfer, die uns trennten, auf mich zu: „Dein Kommentar kann unter diesen Umständen gar nicht unqualifiziert sein“, er ging in die ‚Knie‘ und schaute mir direkt ins Gesicht: „Gihihihi! Und ich bin furchtbar neugierig darauf es zu hören! Nun mach schon!“

Erst klimperte ich ihn nur vollkommen überfahren mit den Augen entgegen. Dann schaute ich zur Seite: „Ich… dachte…, wenn das Alp unsere Träume, also unsere positive Energie, frisst, verlässt sie uns doch und naja… Lee fühlt sich schlapp…“

„Das.“

Ich kniff die Augen zusammen.

Sicher unterbreitete mir Undertaker jetzt wie sinnlos das war. Wahrscheinlich drückte er mir einen Spruch à la ‚Es gibt keine dummen Fragen – Ok, das war eine dumme Frage‘.

Eine Hand griff fest und doch behutsam mein Kinn und drehte mich zu Undertakers Gesicht: „Ist ein fantastischer Gedanke.“

„Es tut mir…!“, ich schaute den Totengräber verwirrt an: „Was?“

„Das ist logisch“, Undertaker grinste soweit, wie es ihm möglich war. Er schaute mich mit einem warmen Schimmer in seinem strahlend grünen Auge an, der mein Herz dazu brachte im Schlag zu stoppen: „Gut geschlussfolgert. Es könnte wirklich sehr gut sein, dass alles was an Lee nicht Amys Vorstellungen entspricht die Handschrift des Alps trägt“, er wuschelt mir durch die Haare: „Schlaues Mädchen.“

Ich konnte mir ein geschmeicheltes Kichern nicht verkneifen.

Amy schüttelte schmunzelnd den Kopf und zog den Bestatter wieder zu sich, um weiter zu werkeln.

„Dann“, Williams Stimme ließ mich zu ihm schauen. Er hatte die Arme über dem Ziffernblatt verschränkt: „Wäre die Wunde an seinem Hals das erste Zeichen eines Alptraums.“

Frederic schaute Lee ernst an: „Die ist auch wirklich alptraumhaft.“

Lee allerdings lächelte ihr wenn auch etwas müde entgegen: „Mir geht es gut.“

„Noch“, machte der Phantomhive trocken.

„Da frisst ein Vieh meinen Traum“, Lee hob die Hände: „Daran werde ich schon nicht sterben.“

„Um genau zu sein.“

„Will“, versuchte Grell den strengen Sensenmann noch aufzuhalten: „Überlege bitte gut was du…“

„Kannst du das sehr wohl.“

„…sagst…“, erfolglos.

„Hm“, giggelte Undertaker: „Aber ich bin taktlos, ki hi.“

Amy ließ das Messer sinken und schaute William kreidebleich an.

Undertaker drehte sich zur Runde. Amy hatte ganze Arbeit geleistet und Undertakers Gesicht wieder genauso symmetrisch zurechtgeschnitten, wie es zu sein hatte. Doch wirklich freuen konnte ich mich darüber gerade nicht.

Auch Lee nahm was geschah, seinem Gesichtsausdruck nach, wohl nicht mehr auf die leichte Schulter. Zumindest legte sein aufgeklappter Kiefer diese Vermutung nahe: „Ich kann… Wie?!“

„Es ist immer noch Energie, die das Alp frisst. Energie, die erst dem Geist und irgendwann auch dem Körper fehlen wird, da unser Körper und unsere Seele immer versuchen Ungleichgewichte auszugleichen“, William schob seine Brille hoch: „Das hier ist kein lustiger Traum, in dem einer von uns ‚Wünsch dir was‘ spielt. Das hier ist bitterer Ernst. Für wirklich jeden hier extrem gefährlich.“

Ich schaute zu Undertaker.

Er grinste, doch erreichte sein albernes Grinsen sein Auge nicht mehr. Darin stand, dass ihm was gesprochen wurde nicht gefiel.

„Jeden hier?“, fragte ich trotzdem ein wenig ungläubig. Schließlich waren die meisten hier keine Menschen und Undertaker war wohl eh mit nichts wirklich vergleichbar.

Undertakers Augen wanderten zu mir: „Jedem hier.“

Etwas in mir zögerte immer noch: „Auch dir?“

Undertaker nicke für seine Verhältnisse recht knapp: „Auch ich bin wahrscheinlich am Schlafen und ich werde schlafen bis wir einen Weg hinausfinden. Ich denke, dass dieses Alp an mir, kehehehe, eine Weile knabbern muss, doch wenn es geschickt ist und mich lang genug halten kann bin ich irgendwann genauso aufgebraucht wie jeder andere hier. Im Moment sind wir wahrscheinlich nicht mehr, als ein großes All-you-can-eat-Buffet.“

„Das meinte es mit ‚Gib mir Leben‘“, hauchte Amy fast tonlos: „Es frisst unsere Lebenskraft…“

„Aber… wir sind zu neunt“, ich schaute in die Runde: „Bis das Alp uns alle durch hat wird es eine Menge Zeit brauchen, oder? Außerdem sind Sensenmänner und Dämonen doch viel stärker als wir Menschen und haben so auch viel mehr Energie. Ihr müsst ihm doch eine Menge Zeit kosten.“

„Sicher“, William nickte: „Doch wie es scheint tut sich unser Gegenüber erst an den Menschen gütig.“

„Somit rennt euch vieren“, Grell sah überhaupt nicht glücklich aus, als er uns vier Menschen musterte: „Die Zeit doch ein wenig davon. Wir können euch im Moment nicht davor bewahren auf Energiebasis verspeist zu werden.“

„Es muss einen Weg geben“, Undertakers Tonfall wirkte eine Spur ernster.

Ronald nickte: „Ich glaube es mangelt nicht an unserer Motivation, die Menschen hier lebend rauszubringen. Doch wir haben keine Ahnung wie wir hierherkamen, mit was wir es genau zu tun haben und warum es Amy und Sky das Leben überhaupt schwer macht. Des Weiteren bekommen wir gerade eher schlecht als recht unsere eigenen Körper unter Kontrolle. Um eine Lösung zu finden, müssen wir das Problem einkreisen. Hypothesen bringen uns nicht weiter.“

Ein grübelndes Schweigen folgte.

In meinem Kopf klickte es ein weiteres Mal.

Doch wieder hatte ich Angst es könnte ein dummes Kommentar dabei herum kommen.

Ich schaute zu Undertaker.

Was mir eingefallen war brannte mir unter den Fingernägeln, doch was ist wenn es nicht gut war?

Hin und her gerissen zwischen dem Bedürfnis mich mitzuteilen und der Angst dummes Zeug zu reden, schaute ich wieder auf die Tischplatte.

Eine Hand auf meiner Schulter zeigte mir allerdings, dass Undertaker meinen Blick schon bemerkt haben musste: „Sprich es aus, mein kluges Mädchen.“

Ich schaute Undertaker wieder an: „Ich… weiß nicht.“

„Dein letzter Einfall war auch gut“, lächelte mir der Totengräber entgegen.

„Gut…“, ich räusperte mich ein bisschen gequält: „Wir gehen davon aus, dass das hier ein Alptraum von dem Alp ist. So, wie Amy und ich sie vorher hatten. Nur halt… zu neunt, oder?“

„Ja“, Undertakers Gesichtsausdruck hatte etwas Gefälliges. Er schien sich auf das, was kommen würde, zu freuen.

Das war etwas… was ich kaum kannte.

Eher war ich es gewohnt, dass man mir sagte ich solle meinen Mund halten und nicht, dass mich jemand bestärkte auszusprechen was ich dachte.

Ich wusste nicht recht damit umzugehen.

Also konnte ich nur versuchen nicht meine Zunge zu verschlucken: „Ähm… also… ähm… Das Alp ist doch immer Teil des Alptraums. Wenn das hier also ein Alptraum von einem Alp ist…“

Ich schaffte es einfach nicht zu Ende zu sprechen. Ich hatte viel zu viel Angst, ich könnte Mist erzählen. Undertaker jedoch zeigte plötzlich riesig breit grinsend seine Zähne, als ich immer leiser wurde und schließlich abbrach: „Ni hi hi hi! Ist es hier irgendwo.“

„Dann können wir es suchen!“, plötzlich wurde ich geschnappt. Ich schaute Grell von seiner Hand aus entgegen. Er ballte eine Faust und sah wild entschlossen aus: „Und dem kleinen Mistvieh seinen Hintern bis zur Stirnaufreißen! Dem ramme ich meine polierten Standfüße dahin, wo er sie definitiv NICHT haben will!“, dann lächelte mich der rote Reaper an: „Sky, du bist ein Goldstück! Das ist endlich mal ein Ansatz aktiv etwas zu unternehmen! Ich könnte dich in Grund und Boden knutschen!“

Mit schockgeweiteten Augen sah ich wie Grell seine Lippen spitzte.

„Nein!“, ich hielt mit beiden Händen seinen Mund auf, bevor er mein Gesicht erreichte: „Keine Küsse!“

Grell sah ein bisschen frustriert aus, während er eine Hand in die ‚Hüfte‘ stemmte: „Du hast was gegen Küsse, hm?“

„Ich“, ich drehte mich ab und griff mit einer Hand meinen Oberarm: „Denke nur das ist etwas, was man nicht einfach so verteilt…“

Grell setzte mich wieder auf den Tisch: „Wenn du es so siehst, dann gebe ich dir halt keine Küsschen.“

Ich schaute Grell an: „Einfach so?“

Es wunderte mich, dass der so willensstarke Grell einfach so nachgab.

„Klar“, Grell stemmte die Hände in seine Seiten und legte den Kopf schief: „Ich will doch nicht, dass du dich schlecht fühlst.“

„Willst du… nicht?“, murmelte ich und schaute Grell lange an.

Er wollte nicht, dass es mir schlecht ging?

Im Umkehrschluss hieß dies doch, dass er wollte es ginge mir gut.

Oder?

Doch warum?

Was hatte Grell davon?

Leute, die mir näher gestanden hatten als Grell – Leute, die mich hätten lieben sollen - war es vollkommen egal gewesen, ob oder wann ich mich schlecht gefühlt hatte.

Ich wusste auf diesen Kommentar keine Antwort.

Ich war verwirrt und kannte noch nicht einmal das Gefühl, welches mich nun gepackt hatte.

„Natürlich nicht“, Grell blinzelte mich kurz irritiert an: „Was für eine Frage.“

„Keiner hier möchte das“, ich drehte meinen Kopf zu der tiefen Stimme neben mir. Undertaker lächelte mir warm entgegen: „Schließlich bist du jetzt ein Teil unserer illustren kleinen Runde. Eh he he!“

Ein kleines Lächeln flog auf mein Gesicht.

Fühlte sich mein Körper auch so stumpf an, in meiner Brust erschien ein herrlich warmes Gefühl.

Ich drehte meinen Kopf wieder zu Grell: „Danke!“

Grell schüttelte den Kopf immer noch ein bisschen irritiert, schloss aber gefällig die Augen: „Nicht dafür, Herzchen. Wirklich nicht. Wenn du allerdings noch ‘nen pfiffigen Gedanken hast, nur raus damit.“
 

Ich legte überlegend den Kopf schief: „Nun ja… Das Alp erschien in den Träumen immer an einen wichtigen Ort. Zum Beispiel bei Amy in dem Wald bei dem Manor. Gibt es hier einen wichtigen Ort?“

Undertaker hob lachend die Hände: „Ich habe keine Ahnung! Kehehehe! Ich kenne diese Geschichte kaum!“

„Echt nicht?“, fragte ich verwundert: „Auch nicht das Original ‚Die Schöne und das Tier‘ von 1740?“

Der Bestatter hatte einen Fabel für alte Geschichten, das war allseits bekannt. Vielleicht rührte das daher, da er einige wohl schon kurz nach ihrer Entstehung gehört haben könnte. Er hatte schließlich auch einen Hang zur Nostalgie.

Undertaker schaute an die Decke: „Die kenne ich. Aber ich habe mich nie gesteigert dafür interessiert und es deswegen nicht gerade präsent“, er breitete grinsend die Hände aus: „Romanzen sind nicht mein Steckenpferd, nehehe!“

„Das ist aber eine schöne Geschichte“, legte ich den Kopf schief.

Auf einmal streckte Undertaker mir seine wächserne Nase ins Gesicht: „Dann kannst du mich ja irgendwann erleuchten, meine Schöne. Nihihihi!“

Ich blinzelte kurz verwirrt aufgrund seiner plötzlichen Nähe. Dann lächelte ich wieder und drehte ein wenig peinlich berührt mein Gesicht ein bisschen weg: „Mach ich. Aber dafür müssen wir erst nach Hause kommen.“

„Der Westflügel!“, alle Köpfe wirbelten zu Amys aufgeregter Stimme.

„Westflügel?“, fragte Frederic ein wenig überfahren von Amys Aufregung.

„Klar!“, Amy schaute Lee an: „Das Zimmer mit der Rose, erinnerst du dich? Das wichtigste Zimmer in der ganzen Geschichte!“

Lee, der ebenfalls erst etwas überfahren wirkte, schien die Erleuchtung zu kommen: „Stimmt. Das Biest versucht jeden fern zu halten, damit der Rose nichts passiert, die den Fluch bindet.“

„Genau“, Amy schnappte Lee am Ärmel und Undertaker an der Säule. Dann zog sie den Asiaten hoch und recht ruppig mit einem erschrockenen Laut seinerseits hinter sich her: „Undertaker! Zünd‘ die Hände an, wir haben zu tun! Komm beweg dich, Lee!“

„Warte!“, rief ich Amy hinterher, die aber schon mit den beiden Männer im Schlepptau und dem Butler immer noch auf ihrer Schulter im Flur verschwunden war: „Was ist mit uns?!“

„Wartet! Ihr wartet mal!“, Grell stemmte wieder eine Hand in seiner Seite und kreiste den anderen Zeigefinger in der Luft: „Ich bin ein verdammter Schrank wegen einer verkorksten Rose?“

„Das ist gerade vollkommen nebensächlich, Sutcliff“, grummelte William anfänglich genervt.

„Nebensächlich?!“, pikiert wandte sich Grell zu dem Tisch: „Ich bin QUADRATISCH! Meine wohlgeformten Kurven sind IM EIMER! Das ist alles andere als nebensächlich! Ich bin ein scheiß Schrank, verdammt!“

„Und ich bin eine Teekanne“, zog Fred eine Augenbraue hoch: „Tauschen?“

„Sollten wir nicht eher Amy hinterher?“, ich stand auf: „Amys Idee ist nicht schlecht.“

„Genau“, Ronald verschränkte die Arme: „Du wolltest doch für dein kantiges Unterteil grausame Rache nehmen.“

„Kantig!?“, in Grell Augen erschien ein ganz komischer Schimmer, der in mir sofort ein schlechtes Gefühl verursachte. Ungefähr so schaute ein Bulle, vor dessen Nase man mit einem roten Tuch wedelte: „Kantiges Unterteil?! Mein schöner Hintern! Niemand tut Grell Sutcliffs wohlgeformtem Hinterteil ungestraft so etwas an!“

Er setzte mich aus dem nichts - ich war zu überrascht um mich zu wehren - auf seine Schulter. Dann schnappte er - wenn auch unter massiven Protest – William und setzte ihn auf die Andere. Er öffnete eine Schranktür und verstaute darin kurzerhand Ronald und Frederic.

„Auf zum Westflügel!“, klang Grells Ausruf eher wie ein Kampfschrei, als er einen Zeigefinger nach vorne streckte und dann im Schrankgalopp aus der Bibliothek fegte.

Ich hielt mich an seiner Schleife fest um nicht herunter geweht zu werden.

Ich war so erschrocken aufgrund der Geschwindigkeit, ich konnte noch nicht einmal schreien.

Probleme mit dem Laufen schien der rote Reaper wundersamer Weise keine mehr zu haben.

„Sutcliff!“, eschauffierte sich William, der von der Schulter gerutscht war und in Grells langen Haaren hing: „Stopp!“

„Sei mal ein bisschen vorsichtig!“, hört man aus dem Schrankinneren: „Wir sind aus Porzellan, verdammt!“

„Seid ihr Männer oder Milchbrötchen?!“, kam es von Grell sehr abgedroschen als Antwort: „Das Mistvieh schnappen wir uns und dann mach ich Guacamole aus dem Bastard!“

„Wir sind ein Porzellanservice!“

Ich sah vor uns eine Treppe.

Spätestens da, so dachte ich, muss der Lauf des Rennschrankes einen Dämpfer bekommen.

Oder wir würden einfach sterben.

Ich hoffte auf ersteres.

Ich nahm mir kurz darauf vor nicht mehr zu hoffen, als Grell immer noch mit dem Tempo eines gut trainierten Rennpferdes die Treppe hoch preschte. Wie genau er das bewerkstelligte sah ich nicht. Ich wusste auch nicht, ob dies physikalisch überhaupt möglich gewesen wäre. Ich wusste nur, dass Grell unter 4 Minuten ein ganzes Stück Flur und eine lange Treppe gut gemacht hatte und nun polternd und unter einigem Geschrei aus seiner Körpermitte durch die erste Etage jagte.

„Woher weißt du überhaupt wo du hin musst?!“, rief ich irgendwann durch den Fahrtwind, der mich dazu zwang mich mit aller Kraft an der Schleife festzuhalten. Ich konnte die Augen nicht schließen und mir rutschte das Herz in die Hose, als an einer Seite der Flur und an der anderen das Geländer, das uns von dem Abgrund trennte an mir vorbei sausten. Ich hoffte nur, dass es in der wachen Welt nicht mit uns vorbei war, sollten wir hier über den Jordan gehen.

Es war sicherlich nicht gut neben einem eine Etage tiefen Abgrund auf einem wild gewordenen Kleiderschrank vorbei zu jagen.

„Weiß ich gar nicht!“, rief Grell: „Ich gehe davon aus ihr sagt was, wenn ich falsch bin!“

„WAS?!“, kam es von William und mir.

Der in eine Uhr gepferchte Aufsichtsbeamte war mit den Haarsträhnen, an denen er sich festhielt, über Grells Schulter geweht und flog nun hinter dem Rotling her. Er war sichtlich überhaupt nicht begeistert.

„Wie sollen wir denn was sagen!“, rief Ronald von hinter der Schranktür: „Hier drin ist es stockfinster und eine Wildwasserfahrt ist ein Scheißdreck gegen das, was wir gerade zu überleben versuchen!“

„WAH!“, polterte es kurz hinter der Tür.

„Fred, alles ok?“, hörten wir Ronald rufen.

„Ich glaub ich hab ‘nen Sprung!“

„Wo bist du?!“

„Ein Regalbrett weiter unten!“

„Anhalten, Sutcliff!“, kommandierte William von hinten: „Auf der Stelle!“

„Wir sind noch nicht da!“

„Aber wir wissen auch nicht, wo wir hin müssen!“, rief ich.

„Westflügel sind im Westen, oder?“, Grell fegte weiter über die Galerie: „Und wir gehen nach Westen!“

„Das nennst du gehen?!“, ich strauchelte und rutschte von Grells Schulter. Ich krallte mich fester in die Schleife, um nicht den Abgang meines jungen Lebens zu machen. Schließlich war rechts neben mir nur ein Holzgeländer zwischen mir und dem Erdgeschoss: „Atmest du überhaupt?!“

„Das ist ein Traum! Ich muss nicht atmen!“

„Stoooooop!“, riefen zwei Stimmen in Grell: „Bitte!“

„Ihr Memen!“

Vor uns ging eine Türe auf.

„Zum Himmel und zur Hölle“, erschrocken sah ich wie Amy und Fred herauskamen und meine Stimme bestieg Oktaven, von denen ich nicht wusste, dass ich sie schaffen konnte: „Grell, Stopp!“

Aufgrund von Grells ohrenbetäubendem Getöse drehten die beiden sich um.

Amy schrie und hob die Hände.

„Bremsen!“, sprang Lee mit ausgebreiteten Armen vor Amy. Auch wenn ich nicht ganz wusste, was Lee gegen einen Massivholzschrank mit Rekordtempo ausrichten wollte.

Es quietschte als Grell in die Eisen ging.

Durch den hölzernen Körper des Reapers ging ein starker Ruck und die Trägheit tat ihr übriges.

So kam Grell zwar zum Stehen bevor er frontal in Lee und Amy krachte, für alle anderen nahm dieser Ritt allerdings kein so einfaches Ende.

Grells Haare flogen nach vorne.

Mit ihnen William, der endgültig den Halt verlor.

Er flog und klatschte Lee mitten ins Gesicht.

Erschrocken strauchelte der Asiate mit wedelnden Armen nach hinten.

Mein Gewicht zog durch den Schwung die Schlaufe komplett aus dem Knoten und ich sauste ebenfalls nach vorne.

Mir entfuhr ein spitzes Kreischen und ich kniff die Augen zusammen, als ich mich auf einen doch sehr tiefen Fall gefasst machte.

Ich hörte Grells Schranktüren aufklappen und Frederic und Ronald im Chor schreien.

Kurz nachdem ich nach vorne gefallen war blieb ich an den Händen hängen.

Ich blinzelte meine Augen auf und schaute Undertaker in sein grinsendes Gesicht: „Ke he he! Was ein Auftritt! Geht es dir gut?“

Der Bestatter hatte mich an den Handgelenken gefangen und sogar daran gedacht vorher seine Hände auszupusten, wie mir die kleinen Rauchringel über seinen nicht brennenden Mittelfingern verrieten.

„J…“, ich schluckte. Mein Herz klopfte mir bis zum Hals: „Ja.“

„Kehehehe! Gut.“

Dann sprühte ich einen Ruck an meinen Borsten.

Ich schaute über meine Schultern nach unten.

Ronald hatte sich an meinem Wedel festgehalten, um nicht abzustürzen.

„Alles in Ordnung?“, rief ich zu ihm hinunter.

„Ja, alles…“, Ronald schaute zu mir hoch. Dann klimperte er mit großen Augen, bevor er ein schäbiges Grinsen aufzog: „Ulala! Ich kann mich nicht beklagen. Die Aussicht ist nicht schlecht!“

Mit riesigen Augen erinnerte ich mich meines schändlich kurzen Rockes und mir wurde klar auf welche ‚Aussicht‘ sich Ronald bezog.

Immer noch an Undertakers Händen hängend begann ich wie wild mit meinem Wedel zu wedeln: „Lass das! Du Perversling!“

„Hör‘ auf damit! Ich stürz noch ab!“

An meinen Händen ruckte es.

Undertaker zog mich hoch, schlang eine Hand um meine Taille und pflückte Ronald an seinem Ohr aus meinen Borsten.

Als würden wir beide nichts wiegen, hielt er uns fest.

Der Bestatter schaute mich an: „Was ist los?“

„Ronald hat mir unter den Rock geschaut!“, es war mir so hochgradig peinlich und da ich nicht wusste wohin mit meiner Scharm, stieg sie mir als Tränen in die Augen.

Langsam, sehr langsam, drehte Undertaker seinen Kopf zu dem jungen Reaper: „Aha?“

„A-also“, Ronald wedelte mit den Händen, den Weltuntergang im Gesicht stehen: „Das war ein Unfall! Und es gab auch gar nichts zu sehen! Wirklich!“

„Gar… Gar nichts zu sehen?!“, die Schamestränen liefen über meine Wagen, als ich die Augen zukniff und in verzweifelter Wut und peitschender Peinlichkeit meine Hände über mein Gesicht schlug. Die Tatsache, dass man unter meinen Rock wohl nichts mehr wegschauen konnte, fühlte sich auch nicht wirklich besser an.

„Es kam so über miiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiich!“

Ich öffnete die Augen und ließ die Hände sinken.

Ronalds Ausruf war nicht nur sehr lang, sondern wurde auch immer leiser.

Als ich zu ihm schauen wollte war Undertakers zweite Hand geöffnet und leer.

Es schepperte laut auf den Boden: „Aua!“

Ich schaute runter und auf dem Boden lag nur der Oberkörper eines Ronalds in den Überresten einer gesplitterten Tasse: „Was sollte das denn?!“

„Gihihihihi! Es kam so über mich!“, lachte der Bestatter mehr als schäbig.

„Ronald!“, ich schlug eine Hand vor meinen Mund und schaute wieder zu dem Bestatter: „Er ist kaputt gegangen!“

Dieser legte nur grinsend den Kopf schief, sich sichtlich keiner Schuld bewusst: „Niemand bringt ungestraft schöne Mädchen zum Weinen.“

Mit verwirrt blinzelnden Augen ließ ich die Hand sinkend: „Du hast das gemacht wegen… mir?“

Undertaker legte seinen Kopf auf die andere Seite. Er hob seine nun freie Hand und wischte mir sanft die Tränen von den Wangen und aus den Augen: „Ni hi hi. Aber natürlich! Das war gemein und unfair. Er hat es verdient.“

Ich spürte seine Hände in meinem Gesicht nicht.

Das fühlte sich komisch an und ich bedauerte es zutiefst. Ich mochte Undertakers Berührungen.

„Aber“, ich hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen. Als ich runter schaute sah ich wie Ronald herum robbte und seine Scherben einsammelte. Sie fielen beim Weiterrobben immer wieder aus seinen Armen.

Eine wahre Sisyphos-Arbeit.

Ich schaute Undertaker wieder an: „Das ist doch viel zu viel des Guten…“

„Der fängt sich wieder“, grinste Undertaker, der nichts zu bereuen schien.

„Was zur Hölle“, die Stimme lenkte mich von Undertaker ab, der gerade Ronald in sieben Jahre Glück verwandelt hatte und ich schaute zu Lee. Dieser pflückte William von seinem Gesicht: „Verzapft ihr da?“

Grell hob die Hände: „Wir wollten das Alp finden.“

William richtete in Lees Hand seine nun doch einmal wirklich schief sitzende Brille: „Korrektur. Mr. Sutcliff wollte und hat unseren Tod dabei billigend in Kauf genommen.“

„Ich habe einen Sprung in der Kanne…“

Ich drehte mich zu Amys anderer Hand. Darin hielt sie ihren Bruder, den sie wohl noch fangen konnte, als er ihr entgegen geflogen kam. Er beschaute einen dicken Riss in seiner bauchigen Kanne.

„Tauschen?“, hörte man von unten.

„Das bist du selbst Schuld“, hatte auch Frederic kein Mitleid mit dem zerlegten Ronald.

„Herrje“, seufzte Lee und schmunzelte, sich die Nase reibend.

Er setzte William auf Amys Arm und schob Ronald inklusive seiner Porzellanscherben in seine Hand.

„Lasst uns zurück in die Bibliothek und euch Helden reparieren“, sagte der Asiate halb lachend: „Wir haben auch etwas herausgefunden, was interessieren könnte.“

„Was?!“, Grell stemmte die Arme in die Seiten: „Wieder runter?! Wisst ihr wie anstrengend es war hier hoch zu kommen?!“

Ich seufzte gestresst.

Mit der Welt war ich fertig. Endgültig.

„Niemand hat dich gezwungen, wie ein Irrer hier hoch zu jagen“, ging Amy mit uns und Lee einfach an Grell vorbei.
 

Es dauerte ein bisschen, aber wir endeten alle wieder vor dem Kamin in der Bibliothek.

Lee hatte nach etlichen Suchen etwas Ton gefunden, mit dem er Rons Tasse und Amy Frederics Sprung wieder zusammen kittete.

Grell wirkte tatsächlich ziemlich außer Atem, als er als letzter in die Bibliothek kam, kam deswegen aber nicht an einer 35-minutigen Standpauke von William vorbei. Amy und Lee versuchten gar nicht dagegen anzugehen und das Thema darauf zu lenken, dass sie etwas gefunden hatten, was uns wirklich weiterhelfen könnte, sondern kümmerten sich in dieser Zeit einfach um die mehr oder weniger geschundenen Mitglieder der Gruppe.

Das Geplapper der angesäuerten Tischuhr ging als weißes Rauschen an mir vorbei. Es hatte nur den Vorteil, dass ich schätzen konnte, dass wir ungefähr schon 3 Stunden in der Traumwelt verbracht hatten. Vorausgesetzt die Zeitrechnung war hier die Gleiche.

Irgendwie wurde mir frisch.

Ich schob es auf die Müdigkeit, da es ja nicht möglich war, dass mir kalt wurde.

Ich rollte mich auf den Tisch zusammen und schaute in die orangenen Flammen, die gemächlich in dem großen Karmin zügelten.

Sie erinnerten mich an den Karmin in Undertakers Zimmer und meine Gedanken flatterten zurück zu gestern Abend, wo mich der Totengräbereinfach zu sich auf die Couch gezogen hatte.

Unwillkürlich fing ich an zu lächeln, als ich mich erinnerte wie gemütlich es gewesen war und wie friedlich der Bestatter schaute, wenn er schlief. Meine Augen wanderten über den Tisch und blieben an dem Totengräber hängen, dessen Standfuß über die Tischplatte bummelte und unter einem heiteren Pfeifen seinerseits vor und zurück schwang.

Es war wirklich nicht verwunderlich, dass Undertaker dieses Abenteuer nicht als Problem sah, wie so ziemlich alle anderen. Er freute sich wahrscheinlich etwas Neues zu erleben. Doch wenn über das Problem hinter dieser doch sehr verrückten Situation gesprochen wurde, war Undertakers Blick eine ganze Spur ernster. Obwohl ihn das hier alles außerordentlich zu amüsieren schien, auf die leichte Schulter nahm er es nicht.

„Deine Hände zittern“, merkte Frederic irgendwann und entlockte mir einen Seitenblick: „Und deine Finger wirkten steif.“

„Ich habe das Gefühl, ich hab‘ kalte Hände“, entgegnete Amy.

„Das Alp?“, schaute Lee zu Amy.

Sie zuckte mit den Schultern: „Ich weiß nicht.“

„So, genug zu dem Thema“, zerriss Williams Stimme das kleine Gespräch. Er hatte sich zu uns gedreht und war augenscheinlich mit seiner Ansprache fertig: „Lady Phantomhive, was habt ihr…“

William brach ab.

Sehr unfreiwillig.

Denn seine neue Physiologie entschied sich zuzuschlagen.

Mit großen Augen hüpfte William ein paar Zentimeter über den Tisch, als sein Uhrwerk laut zu gongen begann.

Kurz war es danach still im Raum.

Dann brach ein schrilles und vollkommen haltloses Lachen durch den Raum.

„Buhahahahahahahaha! Ich fass es nicht!“, Undertaker hielt sich den Bauch: „Fufufufu! Er klingelt wirklich! Puhhahahaha! Dieses Gesicht! Kehehehe!“

Schnell hörte man auch Amy, Lee, Ronald und Frederic mitlachen.

Auch ich kam nicht um ein Schmunzeln herum.

William hatte überhaupt keine Routine darin irgendwie überrascht zu werden.

Er hatte sich vollkommen versteift.

Ronald hörte nach einem Killerblick Williams sofort auf zu lachen.

Abgesehen von Undertaker beruhigten sich auch die anderen recht schnell wieder.

„Hach, William“, Lee rieb sich eine Lachträne aus dem Gesicht: „Eine wohltuende Abwechslung, wirklich.“

William richtete angelegentlich seine Brille und Haare: „Eine Ehre, wenn ich helfen konnte. Doch nun zurück…“

„Ehre?! Huhuhuhuhuhuhu! Belügst du gerade uns oder dich selbst? Puhuhuhuhuhu!“

William blinzelte ein paar Mal: „Ich wusste nicht, was es besser machen sollte, sich jetzt lange daran aufzuhalten. Zurück zu den wichtigen Dingen: Was habt ihr herausgefunden?“

Amy schaute von Frederic auf: „Wir haben den Zombie gesehen.“

Ich stützte mich sofort hellhörig auf und krabbelte auf ‚die Knie‘ um alle sehen zu können.

„Was?!“, kam es von Grell entsetzt: „Gesehen?! Mehr nicht?!“

„War zu schnell weg“, Lee stellte Ronald ab, der seine gekittete Tasse sehr geknickt beschaute. Der Asiate ließ sich in den Sessel fallen: „Hat sich die Rose geschnappt und ist aus dem Fenster raus.“

„Ein wahrlich bemerkenswerter Kadaver“, lachte Undertaker: „Diese Form der Verwesung. Dieses Odeur! Eine Wasserleiche, ohne Zweifel.“

Frederic verschränkte die Arme: „Damit ist fast sicher: Das hier ist ein Traum und unser Gegenspieler ist ein Alp.“

Amy legte den Rest Ton weg und hockte sich neben Lee.

Auch Undertaker drehte sein Gesicht in die Runde, schwang seinen Standfuß auf den Tisch und stand auf.

„Damit ist auch fast sicher“, Undertakers Augen huschten mit im halbdüstern leuchtende Pupillen über die Anwesenden: „Dass wir hier gefangen sind, bis wir die Spielregeln des Alps herausgefunden haben.“

Ich wollte fragen, wie genau er das meinte, doch ein leises Ächzen ließ mich meinen Kopf zu Lee drehen.

Er rieb sich den Hals. Die Hand, die er danach beschaute, war komplett rot: „Es blutet immer noch…“

„Wir sollten sie abbinden“, zog Amy besorgt die Augenbrauen zusammen: „Auch wenn das hier ein Traum ist, ich will nicht herausfinden, ob du hier verbluten kannst.“

Lee schaute Amy müde an: „Womit denn?“

Amy schaute auf ihren Reifrock. Dann nahm sie den Saum und zog kräftigt daran. Es ratschte laut und Amy hatte ein langes Stück Stoff in der Hand.

Grell schlug die Hände in sein Gesicht: „Das schöne Kleid!“

William drehte sich zu ihm um: „Was aus der 15-minütigen Passage über ‚Nebensächlichkeiten‘ soll ich wiederholen, Mr. Sutcliff?“

Grell wedelte mit den Händen: „Himmel Herrgott, gar nichts!“

William drehte sich wieder ab.

Amy band derweilen das Stoffstück um Lees Hals.

„Mach es nicht zu fest“, hüpfte Frederic zur Tischkante: „Oder du findest heraus ob er ersticken kann.“

„Ich weiß“, fauchte Amy: „Bevormunde mich nicht immer!“

Frederic verschränkte die Arme: „Jetzt zick nicht so rum. Ich will auch, dass dein kleiner Liebling hier heil wieder herauskommt.“

Amys Gesicht fuhr mit großen Augen herum zu ihrem Bruder: „Mein… was?“

Frederics Kopf fiel zur Seite: „Ich bin nicht blind.“

Amys Augen flitzten durch die Runde: „So offensichtlich?“

Zustimmendes Kopfnicken und Schulterzucken von Ronald, Grell und Undertaker. Ronald und Grell sahen recht zwiegespalten drein. Was Undertaker darüber dachte, versteckte sich wie üblich hinter seinem Grinsen. Selbst Williams und Sebastians Gesichtsausdruck konnte man entnehmen, dass sie sehr wohl verstanden hatten was vor sich ging, nur sahen sie dabei auch noch sehr düster unangetan aus. Amy und Lee waren wahrscheinlich in der ersten Minute bei wirklich allen aufgeflogen.

„Dad springt im Dreieck“, setzte Frederic nach.

„Vielleicht auch im Viereck…“, Amy schlug entmutigt die Augen nieder.

Mitfühlend legte Lee ihr eine Hand auf den schwarzblauen Schopf. Die Phantomhive schaute hoch und tauschte einen Blick mit dem Asiaten.

Lee lächelte sie sanft an, aufbauend, während Amy recht niedergeschlagen dreinschaute.

Es dauerte ein paar Sekunden, dann nahm Lee Amys Hand und die Adelstochter schaute ihren Bruder an: „Verrätst du mich?“

Fred schnaubte. Einige Momente musterte er mit ernsten Gesichtsausdruck seinen besten Freund, der die Hand seiner kleinen Schwester hielt.

Ich stellte mich auf meine Borsten und fand nach 2-maligen mit-den-Armen-Rudern meine Balance. Ich hörte es drei Mal auf dem teuren Holztisch klacken und sah aus dem Augenwinkel, dass Undertaker nun neben mir stand.

Frederic schloss kurz die Augen: „Nein, aber es ist keinen gute Idee Dad im Dunkeln zu lassen.“

Amys Gesicht streifte ein kleines Lächeln: „Ich weiß. Danke, Brüderchen.“

„Ach“, Frederic winkte ab. Dann schaute er Lee ärgerlich an: „Und nun zu dir: Du bist mein ältester und engster Freund. Wie kannst du es wagen hinter meinem Rücken etwas mit meiner kleinen Schwester anzufangen?“

Lee sah schuldbewusst aus, aber nicht im mindesten bedauernd oder reumütig.

Ganz im Gegenteil.

Er grinste.

„Es ist schwer sich gegen etwas zu wehren was beide wollen, Fred“, entgegnete ihm der Asiate recht lässig, was dem Erben der Phantomhive sichtlich sauer aufstieß.

Unwillkürlich schaute ich zu Undertaker.

Ich schaute zu Undertaker, weil ich ihn auch so haben wollte, wie Amy und Lee nun einander hatten.

Das Verrückte, was in diesem Moment passierte war, dass auch Undertaker sein Gesicht zu mir drehte.

Dieser Blick, den wir beide tauschten, fühlte sich komisch an. Beschreiben konnte ich das Gefühl nicht. Doch es fühlte sich an, als hörte die Uhr kurz auf zu ticken. Für den flüchtigen Moment dieses Blickes, lief alles ganz langsam ab. Auch Undertakers Blick an sich ließ mich stocken. Er sah nicht verstimmt aus, grinste oder lächelte aber auch nicht. Er schaute mich einfach nur an. Mir war, als wollten mir seine chartreusegrünen Augen irgendwas sagen. Doch sie sprachen eine Sprache, die ich nicht verstand.

Ich wusste allerdings, dass der Bestatter im Leben nicht so fühlen wird wie ich.

Ich war ganz und gar niemand, den Undertaker auf diese Art mögen würde. Jemand, den Undertaker so mögen würde, musste etwas ganz Besonderes sein und nicht nur jemand mit besonders viel Pech, worüber er sich amüsieren konnte.

Schließlich wirkte es, als könnte sich der Bestatter über die gesamte Weltbevölkerung amüsieren. Und die gesamte Bevölkerung anderer Welten.

Sofort fühlte ich mich wie eine unter knapp 8 Milliarden und mehr.

Klein, unsichtbar und vollkommen unbedeutend.

Also drehte ich mein Gesicht schnell wieder zu Amy, Fred und Lee.

Frederics Ärger schien durch eine Welle Unglauben angefacht worden zu sein: „Das ist alles, was du zu deiner Verteidigung zu sagen hast?“

„Du verwechselst da ein paar Sachen, Fred“, der Asiate schickte dem Phantomhive einen gestandenen Blick entgegen. Ein Blick, der klar machte, dass Frederic den jungen Asiaten nicht ins Straucheln bringen würde: „Ich muss mich nicht dafür verteidigen glücklich sein zu wollen.“

Es war schwer zu sagen, was der Erbe der Phantomhives in dem Moment genau dachte. Sein Gesicht wirkte immer noch nicht begeistert, doch in seinen blauen Augen arbeitete etwas.

„Und Amy muss es auch nicht. Egal vor wem“, setzte Lee hinterher.

Amy warf Lee einen Blick zu und ich sah, wie sie seine Hand fester hielt.

Ich legte eine Hand auf die Brust.

Persönlich sah ich keinen Grund warum Amy nicht mit Lee gehen konnte.

Zumindest auf den ersten Blick.

Auf den Zweiten war Lee natürlich ein Drogenbaron mit fast monopolartiger Vorherrschaft in ganz London und Umgebung und dementsprechend auch eine sehr mächtige und gefährliche Person. Jemand, der kein Problem damit hatte sich die Hände richtig schmutzig zu machen und dem sicherlich auch alle Mittel recht waren, die ihm die Situation bot. Ich konnte nichts Negatives über Lee sagen. Zu mir war er stets nett gewesen, doch ich konnte mir sehr gut vorstellen, dass er keine Samthandschuhe anzog, gab man ihm einen Grund verstimmt zu sein.

Aber Lee wirkte nicht wie ein charakterlicher Krimineller. Eher war es schwer zu glauben, dass dieser fröhliche junge Mann ein gefährlicher Krimineller war.

All diese Fakten beiseite, passten er und Amy einfach gut zusammen. Ich hatte prinzipiell ein gutes Gefühl und glaubte die beiden könnten eine wirklich gute Zeit zusammen haben. Auch glaubte ich nicht, dass Lee Amy jemals etwas tun würde.

Doch das dachte ich, ein Mädchen aus dem Pflegeheim, welches keine Ahnung hatte was der Begriff ‚Behütet werden‘ wirklich bedeutete.

Frederic, der definitiv eine sehr genau Vorstellung von diesem Begriff hatte, stemmte die Hände in die Seite: „Willst du das meinem Vater sagen?“

„Ja.“

„Dann lässt er Sebastian dich auseinandernehmen.“

„Soll er.“

Ich schaute als er erwähnt wurde zu Sebastian, der seit wir wieder in die Bibliothek gekommen waren mit uns auf dem Tisch stand. Er hatte die Arme verschränkt, verfolgte das Geschehen sehr aufmerksam, wenn er auch betont teilnahmslos aussah. Für die Gefühle der hier Anwesenden interessierte er sich sicherlich wirklich nicht, aber er war sich genauso sicherlich bewusst, dass Alexander es tun würde. Als sein Name fiel, blitzte etwas in den Augen des Butlers auf und ich war mir sicher es war kein Widerwille. Er schien sofort bereit zuzuschnappen, sollte sein Meister es so wollen.

Dieser Blick machte mich nervös. Ich bekam Angst um Lee.

Gleichzeitig fragte ich mich wie viel es Amy und Lee wirklich brachte, dass Frederic sie nicht an Alexander verraten wollte. Sie hatten kein so emotionales Band zu dem Dämon, dass ihm irgendwie den Mund zu band. Wer wollte den Butler also dann daran hindern, seinem Meister die Beziehung seiner Tochter auf dem Silbertablet zu servieren?

Ich schaute intuitiv hilfesuchend zu Undertaker.

Weil ich immer bei ihm Hilfe suchte, wenn es mir irgendwie nicht gut ging und ich selbst nichts dagegen tun konnte. Und bei dem Gedanken, was der Butler alles mit Lee anstellen konnte, ging es mir überhaupt nicht gut! Ich zwang mich mit meinen Gedanken nicht ins Detail zu gehen.

Ich sah fast erleichtert wie Undertaker mit verschränkten Armen, einem streitlustigen Grinsen und gar eiskalten Augen den Butler anschaute.

Der Dämon schaute zurück und man konnte es zwischen den Blicken der beiden unmenschlichen Männern fast blitzen sehen.

Diese Spannung beruhigte mich tatsächlich.

Undertakers Blick transportierte nämlich eine ganz eindeutige Nachrichten zu dem Butler, die mir sehr gefiel:

Mit Sicherheit nicht.

Ich war mir sicher Undertaker mochte Lee. Und das würde auch ein Aufstand Alexanders nicht ändern. Also war ich mir auch sehr sicher, dass Lee zumindest körperlich nichts passieren würde. Eher hatte Alexander mit einem Aufstand von Undertaker zu rechnen. Da der Earl seine Vertrauten lange und gut genug kannte, wusste er dies sicherlich genauso gut wie ich und hatte keine Lust sich das anzutun, sollte er noch alle Tassen im Schrank haben.

„Mutig“, Frederic verzog seinen Mund und ich wandte meinen Blick von den Männern ab: „Und dumm.“

„Fred“, Lee schüttelte den Kopf: „Schieb nicht deinen Vater vor. Gerade ist das Problem, dass es dir nicht passt.“

Frederics Blick wurde eine Spur härter. Dann wandte er die Augen ab: „Ich fühle mich… von dir verraten.“

„Was zwischen Amy und mir läuft, hat nichts mit dir und mir zu tun.“

„Natürlich hat es das“, verschränkte Amys Bruder die Arme.

Lee schüttelte den Kopf: „Amy ist kein Ding was euch gehört, noch nehme ich sie irgendjemandem weg. Sie bleibt deine Schwester, egal was passiert.“

Nun wedelte Amy mit den Händen und stand auf.

„Hört auf zu streiten, es reicht“, sie seufzte und schaute Lee recht gepeinigt an: „Wenn mein Vater etwas nicht will, dann… kann ich machen was ich will, es wird nicht passieren. Es tut mir leid, Lee. Es geht nie darum was… ich gerne hätte…“

Ich sah aus dem Augenwinkel wie Undertaker die Arme wechselte. Meine Augen huschten in die Winkel und ich erhaschte einen Blick auf Undertakers Mine. Er grinste noch, doch kleiner und seine Augen waren etwas zusammengezogen. Gefallen schien dem Bestatter was vor sich ging überhaupt nicht.

Ich fragte mich, ob ihm wie allen anderen diese Beziehung nicht gefiel oder ob ihm die schlechte Resonanz dieser Beziehung gegenüber nicht gefiel.

Ich wandte meinen Blick wieder ab.

Ein beklemmendes Gefühl zog in meine Brust. Ich wusste ganz deutlich, dass mir nicht gefiel, wie Amy und Lee sich dafür verteidigen mussten sich ineinander verliebt zu haben und dies leben wollten.

Niemand sollte so hineingeredet bekommen.

Von Niemandem.

Lee kreuzte Arme und Beine. Der Asiate schaute Amy kurz eindringlich an. Dann schaute er weg, versuchte es zu überspielen, doch der Ausdruck in seinen Augen war eindeutig gewesen: Amy hatte Lee mit ihrer Aussage hart getroffen.

„Deine Entscheidung“, machte der Asiate viel zu trocken und das Gefühl in meiner Brust wurde aufgrund seiner Tonlage drückender: „Wie gesagt, du bist kein Ding was mir gehört.“

Amy schüttelte niedergeschlagen den Kopf: „Frederic ist dein bester Freund. Wenn ihr schon deswegen so zankt, wie soll es denn dann bitte losgehen, wenn mein Vater davon erfährt?“

Doch Lee schaute die Adelstochter nicht wieder an und selbst das weiche Kaminfeuer konnte nicht verhindern, dass die Atmosphäre immer mehr abkühlte: „Ich wiederhole: Deine Entscheidung. Was nützt eine Beziehung, hinter der nur einer steht?“

Das traf wiederum Amy sehr hart und sehr offensichtlich. Das Kaminfeuer knackte laut in dem Moment, als in ihren Augen etwas auseinandersprang. Sie biss sich auf die zitternde Unterlippe, krallte ihre Finger in ihren Reifrock und hatte Tränen in den Augen stehen.

Ich tauschte einen Blick mit Undertaker.

Keiner von uns beiden musste etwas sagen. An diesem Blick sah ich ganz deutlich, dass er dasselbe Problem hatte wie ich. Wir dachten das Gleiche. Seine grünen Augen stimmten mir stumm zu.

Ich sah im Vorbeischauen kurz in Frederics Gesicht, als ich mich wieder zu Amy wand. Bei dem traurigen Anblick seiner Schwester hatte sein Gesicht einiges an Härte wieder eingebüßt und Mitleid sickerte durch seinen geübt seriösen Ausdruck.

Amy blieb noch ein paar Sekunden stehen und schaut ihr Biest an. Als sie die erste Träne nicht mehr halten konnte, drehte sie sich ab und hob ihren Rock an.

„Sorry…“, flüsterte sie und lief schnell vom Tisch.

Doch sie kam nicht weit.

Sofort hielt etwas ihre Hand fest und sie drehte sich um.

Lee saß in dem Sessel, das Gesicht auf eine Hand gestützt, die andere um Ambers Handgelenk: „Bitte sage mir nicht, ich habe mit meiner Einschätzung Recht.“

„We…“, Amy schluchzte einmal: „Welcher?“

„Das nur ich hinter uns stehe.“

Amys Unterlippe zitterte. Dicke Tränen tropften von ihrem Kinn und sie kniff die Augen zusammen: „Ich… ich…“

Ich schaute hoch zu Amy.

Kurz musterte ich meine am Boden zerstörte beste Freundin und kam nicht drumherum sofort mit ihr zu leiden.

Sie tat mir so leid.

Und ich war auf ihre Familie so wütend.

Ich begann an ihrem Kleid hoch zu klettern.

Weder war ich eine erfahrene Bergsteigerin, noch war dies ohne Beine sonderlich einfach. Ich kam so nicht recht voran, egal wie sehr ich mich mühte.

Etwas schnappte mich und setzt mich auf Amys Schulter.

Als ich umwand sah ich Grell, der seine helfenden Hand zurückzog und mir zunickte.

Ich schaute zu Lee.

Auch er nickte, mit einem hoffenden und ich würde fast sagen einem flehenden Ausdruck in den Augen.

Lee schien, was hier auf Spannung stand, wirklich wichtig.

Ich nickte beiden zurück, rutschte auf dem Po bis zum Ellbogen Amys an Lees Hand hängenden Arm hinunter und zupfte an Ambers gerafften Ärmel: „Amy?“

Amy blinzelte mir ziemlich verwundert entgegen: „Sky? Was… machst du?“

„Nun“, ich schickte ihr ein Lächeln entgegen: „Du denkst nicht wirklich, dass ich dich jetzt allein lasse, oder?“

Amy wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Dann rang sie sich zu einem Lächeln durch: „Nein, aber… du kannst mir leider auch nicht helfen.“

Ich legte den Kopf schief: „Erkläre mir erst einmal wo das Problem liegt, ok?“

„Mein Dad“, resigniert schüttelte Amy den Kopf: „Ach! Du verstehst das nicht, Süße. Sei einfach froh, dass du keine Daddy-Probleme hast…“

„Naja“, ich verschränkte die Arme: „Von ‚Daddy-Problemen‘ kann ich dir ein ziemlich langes Lied singen. Das hat nur keine sonderlich schöne Melody.“

Amy blinzelte mir entgegen.

„Tut mir leid“, seufzte sie schließlich und lies wieder den Kopf hängen: „Ich sollte mich echt nicht beschweren. Dein Vater ist ein Problem. Ich bin dagegen nur eine verzogene Göre, die von Daddy ihren Willen nicht bekommt...“

„Stimmt doch gar nicht“, ich würde sie so gerne in den Arm nehmen und trösten, aber es fehlte es mir einfach an Größe. Doch so konnte ich ihr wenigstens von unten in ihr hängendes Gesicht schauen: „Deine Probleme sind nicht weniger schlimm, nur weil sie anders sind. Also, was genau ist mit deinem Dad?“

Amy atmete tief durch: „Er wird mir nie erlauben mit Lee zusammen zu sein…“

„Weil?“, fragte ich langezogen.

Die Sache muss wirklich ernst sein, wenn sich Amy die Details so aus der Nase ziehen ließ.

„Weil er einer der Aristokraten ist“, Amber schaute zur Seite: „Und mein Vater viel besser weiß als ich, was Lee alles auf dem Kerbholz hat. Ich weiß, dass es einiges ist, doch ich habe im Gegensatz zu meinem Vater keine Details.“

„Aber“, ich legte grübelnd eine Hand an mein Kinn: „Dein Vater vertraut Lee doch.“

„Aber da hört die Freundschaft auf“, sie nickte Richtung Schloss: „Das mit Fred ist doch das beste Beispiel. Das Theater hoch 300 und du hast die Show, die mein Vater abziehen wird.“

„Dein Vater muss doch einsehen, dass du nun erwachsen bist.“

„Mein Vater muss gar nichts. Und er wird es auch nicht.“

Ich kratze mich am Kopf: „Alexander übertreibt es wohl ein bisschen mit der väterlichen Fürsorge, hm?“

„Ein bisschen?“, Amy fing sarkastisch an zu lachen: „Ich glaube am liebsten würde er mich einsperren, damit mir auch ja nichts passiert. Ich weiß was Lee macht. Doch ich weiß genauso gut, dass er mir nie etwas tun würde. Auch, wenn es irgendwann wieder vorbei sein sollte. Erweitert um die Tatsache, dass er sich ziemlich klar darüber ist, dass unser Butler ein verdammter Dämon ist und man sich deswegen drei Mal überlegt, was man tut auch wenn man wütend, verletzt oder traurig auf oder über jemanden ist. Was auch gleichzeitig das nächste Problem ist…“

„Ja?“, neigte ich wieder mit einer langgezogenen Frage den Kopf.

„Wenn ich auf Stur schalte und mein Ding einfach mache…“, Amy schaute Lee mit tränennassen Gesicht an: „Bringe ich dich damit in Gefahr…“

Etwas blitzte durch Lees Augen, er nahm sein Gesicht aus der Hand und ließ Amys Handgelenk los.

„Du denkst wirklich dein Dad würde Sebastian auf Lee hetzen?“

Amy schaute zu Sebastian und nickte mit dann mit verzweifelt verzerrtem Gesicht zu: „Mein Vater bekommt was er will, wann er es will und wie er es will. Glaube mir. Was ich wollte war in meinem eigenen Leben immer zweitrangig. Mein Vater ‚weiß es einfach besser‘. Ganz toll, hm?“

„Fabulös“, seufzte ich mit einen Seitenblick auf den Butler, dem seine Meinung zu seiner Position in diesem Gebilde nicht anzusehen ist: „Aber wenn du das alles weißt, warum hast du es dann überhaupt angefangen?“

„Weil… ich ihn haben wollte“, Amy schaute zu Boden: „Und mir irgendwann alles egal war. Mir waren die Konsequenzen egal. Ich wollte… nur einmal selbst entscheiden und tun was ich wirklich wollte und er… hat sich nicht wirklich gewehrt, wenn du verstehst.“

Einen Moment schaute ich Amy in ihr niedergeschlagenes Gesicht. Dann kletterte ich ihren Arm hoch. Auf ihrer Schulter angekommen legte ich ihr die Arme soweit um den Hals wie ich es schaffte.

Amy legte eine Hand auf meinen Rücken…

… und fing ein weiteres Mal zu weinen an.

„Es ist schwer sich gegen etwas zu wehren was beide wollen, hm?“, zitierte ich den jungen Chinesen. Diese Worte hatten sich in meinen Gedanken eingebrannt in dem Moment, wo ich sie gehört hatte. Ich wusste nicht recht wieso.

„Bis fast unmöglich“, schluchzte Amy: „Doch ändern tut das auch nichts.“

Ich legte meinen Kopf an ihre Wange.

„Beruhige dich“, flüsterte ich irgendwann: „Irgendwie wird alles gut.“

„Ach!“, Amy rieb sich durch die Augen: „Wie denn?“

Eine Hand mit langen Krallen anstatt Nägeln erschien auf ihrer Schulter: „Indem jemand dem feinen Earl Phantomhive mal richtig die Meinung geigt. Aber das mache ich nicht allein.“

Amys Kopf flog hoch.

Auch ich schaute auf.

Lee war aufgestanden und hatte seine Hand auf ihre Schulter gelegt.

Von seiner Schulter winkte uns ein Kerzenständer mit siegreichem Grinsen entgegen. Ich sah Undertaker an und schüttelte schmunzelnd den Kopf, ihm anerkennend, dass er sich wohl nicht ganz aus der Situation rausgehalten hatte.

Undertakers Gesicht allerdings verriet, dass Amy und Lee einen sehr guten Verbündeten gefunden hatten.

„Lee?“, blinzelte Amy recht überfordert: „Was… machst du?“

Lee legte beide Hände auf Amys Wangen und wischte ihre Tränen weg: „Das Richtige.“

„Aber“, Amys Augen fielen nach unten: „Mein Vater, er…“

„Muss einsehen, dass du kein kleines Mädchen mehr bist“, beendete Undertaker ihren Satz.

Amy schaute den Totengräber auf Lees Schulter an: „Aber wie soll ich ihm das klar machen?“

„Ich habe schon zu Lee gesagt“, Undertaker legte seinen grinsenden Kopf schief: „Wenn es euch beiden ernst ist und ihr euch aller Konsequenzen bewusst seid, so werde ich euch helfen.“

Amy blinzelte mit beiden Augen: „Echt? Aber… warum? Du bist einer von Dads loyalsten Gefährten.“

„Und deswegen ist es meine Pflicht ihn zu wecken, sollte er sich verrennen.“

Lee schaute nach oben: „Ich musste einen Eid leisten, damit er uns hilft. Aber das war es mir wert.“

Amber und auch ich zogen die Augenbrauen zusammen.

Es kann wirklich alles bedeuten, wenn man Undertaker einen ‚Eid leisten‘ musste.

Wirklich alles.

Die Adelstochter und ich schauten uns kurz an. Dann schauten wir zurück zu Lee.

„Einen Eid?“, sprach Amy unsere stumme Frage aus.

„Jup“, Lee grinste einmal: „Ich musste schwören, dass ich ein Profi bin. Dass ich mir darüber bewusst bin, dass ich dich, auch sollte es mal mit uns zu Ende gehen, immer wiedersehen werde, da ich immer ein Aristokrat sein werde. Und dann muss ich mich dir und deiner Familie gegenüber ordentlich verhalten. Auch darf, was auch immer zwischen uns läuft, nie zwischen mir, dem Wachhund und den anderen Aristokraten stehen. Ansonsten darf ich mir probeweise die Radieschen ein paar Tage von unten ansehen.“

„Das“, mein Kopf fiel zur Seite: „Ist mehr, als man beim Hören denken könnte.“

Undertaker nickte: „In der Tat. Doch genau darüber müssen sich beide im Klaren sein. Dies ist keine Beziehung, die gänzlich aufhören kann. Die Beiden kennen sich ihr ganzes Leben. Und das Leben der Phantomhives und der Fengs sind so miteinander verworren, dass sie sich nie ganz los werden werden“, Undertaker schaute Amy eindringlich an: „Ist dir das bewusst, Amber?“

Amy nickte: „Ja, ist es.“

„Willst du es trotzdem?“

„Undertaker“, Amy schaute einmal zu Lee, dann wieder zu dem Bestatter und fing tatsächlich an zu schmunzeln: „Die Gefühle sind schon da.“

Der Bestatter neigte den Kopf „Also?“

Amy grinste: „Natürlich will ich das trotzdem!“

Der Totengräber hob lachend die Hände: „Ni hi hi! Was will ich auf so eine Antwort noch sagen? Dann werde ich euch helfen.“

Amy legte ihre Hand auf Undertakers Rücken und kuschelte ihn mit ihrer Wange: „Du bist der Beste, Onkelchen!“

„Kehehehehehe!“, lachte der Bestatter amüsiert: „Alles, damit du nicht so bitter weinen musst!“
 

Amy zog ihren Kopf wieder zurück und schaute Lee an.

Der Asiate seufzte: „Ich war viel zu schnell eingeschnappt. Doch es klang so, als sei dir das alles gar nicht wichtig genug. Es tut mir leid.“

Amy schüttelte den Kopf: „Du warst zurecht eingeschnappt. Ich wollte schließlich sofort vor meinem Vater kapitulieren.“

„Aber das machst du nicht“, Lee grinste breit: „Meine kleine Rebellin.“

Dann fielen sich die beiden Turteltauben um den Hals.

Da ich auf Amys und Undertaker auf Lees Schulter saß, saßen wir auf einmal sofort voreinander.

„Oh mein Gott!~♥“, hörte ich Grell aus dem Hintergrund quieken: „Ist das süß!“

Der Bestatter grinste mich an: „Ki hi. Amber gut, alles gut.“

„So sieht es aus“, lachte ich glücklich darüber, dass meine beste Freundin nicht mehr so traurig war: „Sage noch einmal du seist kein Held.“

„Gihihi“, Undertaker lehnte sich lachend ein Stück nach hinten. Ich kannte diesen Habitus. Hätte er Beine, hätte er sie nun überschlagen: „Held ist doch ein bisschen hochgegriffen, oder?“

Ich legte den Kopf schief: „Nicht jeder Held muss Drachen töten, Undertaker. Abgesehen davon, dass du das sicher auch schon getan hast.“

„Pahahahaha! Den ein oder anderen!“

Ich lachte mit: „Siehst du, Siegfried!“
 

Als Undertaker und ich wieder auf dem Tisch standen, sah Frederic ziemlich nachdenklich aus, musterte seine Schwester und seinen besten Freund, schien sich aber nicht dazu durchringen zu können zu sagen, was er fühlte. So beschied er zu schweigen.

„Vielleicht“, erhob William die Stimme. Er hatte sicherlich überhaupt keine Lust auf weitere emotionale Ausschreitungen: „Sollten wir uns wieder um das Wesentliche kümmern. Unsere Körper sind gerade vollkommen unbeaufsichtigt.“

„Ki hi hi. Das“, Undertaker legte eine Hand an sein Gesicht: „Ist wohl wahr.“

„Mit uns kann also gerade alles passieren“, schlussfolgerte Ronald: „Und keiner weiß wo wir sind und in was für einem Schlamassel wir stecken.“

„Was gut und schlecht zugleich ist“, hob Grell erklärend eine Hand.

„Weder unsere Feinde, noch unsere Freunde können uns finden“, erkannte Ronald nickend.

„Wir können nur hoffen, dass der Earl uns vermisst, bevor uns jemand findet, der uns nicht finden sollte“, William wirkte ernster als sonst, was wirklich nichts Gutes verheißen konnte: „Doch der Earl wägt seine Tochter sicherlich in Sicherheit, da sie mit dem Butler und uns zusammen ist und wird nicht sofort losziehen um sie zu suchen. Erweitert darum, dass wir nie eine Zeit veranschlagt haben, zu der wir zurück sind. Wir wollten die Schule durchsuchen und uns um das kümmern, was wir finden. Dem Unterfangen kann man einige Zeit zusprechen, denn auch Undertaker zu treffen war nie geplant. Auch wissen wir nicht, ob eine Minute hier auch eine Minute in der wirklichen Welt ist.“

Das stimmte wohl.

Niemand konnte ahnen, dass das Etwas gleich alle übernatürlichen Begleiter außer Gefecht setzte.

Gleichzeitig.

Inklusive der menschlichen und Amy selbst.

Noch wussten wir nicht, auf wie viele Art und Weisen diese Welt verzerrt war.

Wir lagen also alle zusammen ausgeknockt im Wohnheim und wurden nicht vermisst.

Lee setzte sich tief seufzend wieder auf den Sessel: „Wir haben also keine Zeit zu verschwenden…“

„Geht es?“, fragte Amber mit besorgt zusammen gezogenen Augenbrauen.

Doch Lee winkte ab: „Ja, es geht. Ich bin nur müde.“

Amy sah nicht beruhigt aus.

Auch ich war unruhig.

Wir konnten nur spekulieren, dass es an ausgesaugten Träumen lag, dass mit Lee etwas nicht stimmte. Der Stofffetzen, der Lee als sehr provisorische Bandage diente, war mittlerweile komplett durchgeblutet, was nur zusätzlich dramatisch aussah.

„Wirklich nicht“, betonte William: „Wir müssen das Alp finden. Die Lady Phantomhive ist zwar der Wirt dieses Traums, aber das Alp hält uns hier gefangen. Da wir Lady Phantomhive nichts tun wollen, müssen wir das Alp ausschalten. Wenn es ausgeschaltet ist, muss auch der Traum enden.“

„Dann suchen wir es!“, nach dem vorherigen Höllenritt, gefiel mir Grells Feuereifer ein bisschen weniger als vorher: „Was stehen wir hier noch herum?!“

„Wir sind nicht so gut zu Fuß“, zog Fred eine Augenbraue hoch.

Grell öffnete eine Schranktüre.

„Knick es“, machte Ronald trocken mit einem Kopfschütteln: „Im Leben kein zweites Mal.“

„Ihr Hasen“ verschränkte Grell die Arme und schaute zur Seite: „Wie langweilig ihr seid.“

Ronald zeigte auf seine lädierte Tasse: „Siehst du das?!“

„Das, mein Freund“, Grell zeigte auf das gekittete Porzellan: „Kommt davon, dass du meintest Sky unter den Rock gucken zu müssen. Vor Undertakers Nase.“

Ich verstand nicht ganz, was Undertakers Anwesenheit damit zu tun hatte. Man schaute einfach niemandem unter den Rock!

„Egal!“, keifte Ron schließlich: „Wie sollen wir das Alp finden?“

„Nun“, Amy legte den Kopf schief: „Sebastian kann fliegen.“

Alle schauten den Butler an, der ja nun eine halbe Taube war.

Dieser neigte den Kopf: „In der Tat.“

„Sebastian sucht draußen“, dirigierte Frederic: „Der Rest teilt sich auf und durchsucht den Palast.“

„Ist ja nur ein riesen Ding“, stemmte Grell eine Hand in die Seite.

„Wir müssen irgendwie anfangen“, erkannte Fred ganz richtig: „Wir haben drei in Lebensgröße: Amy, Lee und Grell. Der Rest teil sich auf diese Drei auf.“

„Ich“, Amy schnappte sich schnell Undertaker und mich: „Nehme Sky und Undertaker mit.“

Ich tauschte mit dem geschrumpften Bestatter einen lachenden Blick und ein Schulterzucken.

„Ich geh mit Lee“, sagte Fred.

„Ich auch“, hob Ronald die Hand.

„Dann bleibt für Grell nur…“, Lee schaute zu William und fing an zu lachen.

William schaute erst zu Lee. Dann schaute er zu Grell, der ihm einen Luftkuss zuwarf und winkte. Seufzend rollte die Tischuhr ihre Augen an die Decke.

Lee stand auf und nahm das Porzellan-Duo auf die Hände.

Widerwillig hüpfte William auf Grells Unterschrank.

„Nicht auf die Schulter“, grummelte er, als Grell ihn auf die Hand nehmen wollte.

„West“, sagte Amy.

„Süd“, nickte Lee.

„Nord“, meldete sich Grell.

Der Butler schwang sich in die Luft und wir anderen trennten uns nach der Bibliothekstür.
 

Im Gegensatz zu unserem ersten Besuch war der Westflügel nicht mehr ausgeleuchtet. Die Dochte der Kerzen waren kalt und die Wandleuchten wirkten, als hätten sie Jahre nicht mehr gebrannt.

Undertaker hatte alle 10 Finger angezündet. Trotzdem sahen wir alle nur einen Schritt weit.

Ich rieb mir fröstelnd die Oberarme.

Mir war wirklich als sei mir physisch kühl, doch ich schob es darauf, dass es angenehmeres gab als in stockfinsteren Fluren nach einem Zombie zu suchen.

Offen gesagt hatte ich mächtig Bammel.

Undertaker hingegen wirkte wie ein Kind auf dem Spielplatz. Er grinste breit, schauten seine Augen auch aufmerksam durch die Gegend.

„Gruselig hier“, fröstelte auch Amy: „Ich warte nur auf den Jump-Scare.“

„Bitte male den Teufel nicht an die Wand“, seufzte ich.

Wenn jetzt etwas irgendwo hervorspringen würde, würde ich mich so dermaßen erschrecken, dass ich sicherlich auch in der wachen Welt einen Herzinfarkt bekommen würde: „Warum sind die Lampen überhaupt auf einmal aus?“

„Ich denke“, Undertaker giggelte: „Ni hi hi! Diese Welt ist sehr nah an Amys Emotionen gebaut. Es geht dir noch nicht gut, Amber. Richtig?“

Amy seufzte: „Nein. Ich mache mir Sorgen wegen Dad.“

„Und denkst sicherlich, wenn er alles erfährt ist zappenduster, richtig?“

„Jup…“

„Und darum sind die Lampen aus. Ke he he he!“

Das war definitiv naheliegend genug, um es gelten zu lassen.

Besser wurde dadurch allerdings nichts.

„Sollten wir die Lampen nicht anzünden? Wir haben doch Feuer dabei.“

„Wie lange willst du unterwegs sein?“, schmetterte Amy meinen Vorschlag ab, was ich wirklich sehr bedauerte.

Mir schlug das Herz bis zum Hals, ich hatte ein angespanntes Gefühl in der Brust und ein konstantes ängstliches Surren in der Wirbelsäule. Ich rieb mir weiter fröstelnd die Oberarme, aber eigentlich umarmte ich mich nur selbst, um mich irgendwie zu halten.

Ich hatte einfach richtig Schiss.

Und das Gefühl von hilfloser Haltlosigkeit machte es noch viel schlimmer.

„Alles in Ordnung?“, weckte mich eine tiefe Stimme.

Ich schaute zu Undertaker der den Kopf zu mir gedreht hatte.

Ich nickte: „Geht schon. Ist nur echt gruselig.“

„Ich würde dich liebend gern knuddeln, aber“, Undertaker hob die Hände: „Du möchtest sicher nicht als Streichholz enden. Ehehehe!“

Ich verschluckte sofort meine Zunge und blinzelte den Bestatter an, während was er sagte viel zu schwerfällig durch meine Gehirnwindungen kroch. Wieder vermisste ich fast das heiße Gefühl in meinem Gesicht. Doch auch wenn dies fehlte, sackte mein Herz ein Stück ab.

Undertaker ‚würde mich liebend gern knuddeln‘?

Etwas in mir freute sich wie ein Kind auf dem Jahrmarkt.

Etwas anderes war extrem verwirrt und wieder etwas anderes war bei dieser Aussage einfach tot umgefallen.

„Ähm“, ich drehte mein Gesicht ab: „Hast recht…“

Ich wusste wirklich nicht, was ich sagen sollte.

Ja, bitte? Puste deine Hände aus und knuffel mich, weil ich ein kleiner Angsthase bin?

Ich war ja so schon nur unnützer Ballast. Ob mit oder ohne Beine. Damit würde ich dem ganzen ja wirklich die Krone aufsetzten. Dann würden wir nämlich einfach gar nichts mehr sehen!

Doch so wartete ich nur weiter darauf von der nächsten Ecke aus angesprungen zu werden und einen Herzklabaster zu bekommen.

Amy war auch nicht sonderlich wohl, schritt sie doch eher langsam und bedächtig und nicht wie üblich energisch und zackig durch den dunklen Flur.

An jeder Ecke stoppte sie. Zumindest wir Mädchen schauten dreimal in alle Richtungen bevor Amy weiterging.

Undertaker würde ich zutrauen, dass er gleich anfing munter zu pfeifen, wohingegen

schon allein Amys und mein knisternder Alarmzustand der Stoff war aus dem Herzrhythmusstörungen waren.

Nach einigen Minuten sah ich aus dem Augenwinkel einen Schatten.

Mein Kopf fuhr herum und meine Augen suchten hektisch nach etwas, was sich bewegte. Paranoid - wie ich gerade war - suchten meine Augen immer weiter, obwohl mir mein Verstand schon sagte, dass dort wohl nichts gewesen war.

Mein Herz schlug noch einen Schritt schneller und mein Verstand war bis zum Bersten angespannt. Ich hatte das Gefühl so krampfhaft konzentriert zu sein, dass ich ein Flackern im Sichtfeld hatte.

„Hatschie!“

„WAAAH!“

„AAAHH!“, Amy tat einen Sprung zur Seite.

Dann sahen wir uns schwer atmend an.

„Sorry“, japste die Phantomhive: „Ich hatte ein Kitzeln in der Nase.“

Ich legte meine Hand auf mein rasendes Herz damit es nicht aus meiner Brust sprang.

„Is‘ ok“, keuchte ich: „Alles gut.“

Undertaker beschaute uns…

… Und fing lauthals an zu lachen.

„Puhuhuhuhuhu! Gahahahahahaha! Ihr seht aus, als hättet ihr einen Geistgesehen! Kehehehe!“

„Idiot“, kam es von Amy und mir wie aus einem Munde.

Undertaker lachte lauter.

Amy tapste weiter.

Wir suchten und suchten.

Im Westflügel waren einige Schlafzimmer, Badezimmer, Abstellkammern und das Zimmer, in dem die Rose gestanden hatte. Nur war der kleine runde Tisch leer und das Buntglasfenster dahinter war geborsten. Wind pfiff durch den Raum und wehte mir meine Haare durch das Gesicht. Amy erzählte, Lee habe das Fenster eingetreten, als der Zombie nonchalant samt Rose dadurch verschwunden war, aber nur den Rasen des Rosengartens gesehen.

Wir verließen den Raum und schlichen noch durch etliche Zimmer.

Und entgegen aller Erwartungen passierte einfach nichts.

Irgendwann landeten wir wieder vor der Bibliothek.

Lee stand schon dort, Grell kam ein paar Sekunden nach uns an.

„Und?“, fragte der Asiate mit einem versteckt müdem Gesicht.

Amy schüttelte den Kopf: „Nichts.“

Auch Grell verneinte.

„Vielleicht hat der Butler mehr Glück“, verschränkte Ronald in Lees Hand die Arme: „Langsam bekomme ich eine Tassenphobie.“

Fred schüttelte den Kopf: „Jammern hilft nicht. Aber du hast recht. Lasst uns auf Sebastian warten.“

Amy öffnete mit einer Hand die Türe zur Bibliothek.

Kaum hatte wir einen Blick hinein geworfen waren alle wie überfahren.

Haltet ihn!“, ließ Grell den totalen Tumult losbrechen und preschte selbst als erster in den Raum.

Amy und Lee hechteten hinterher.

Der Asiate warf Frederic und Ronald einfach auf einen Sessel.

Amy setzte Undertaker neben mir auf die Schulter.

Ich krallte mich in ihr Kleid, als ich drohte durch Amy hin und her hüpfen abzustürzen.

Es war wirklich einfach nicht cool so klein zu sein…

„Ich hab‘ ihn!... Mist!“

„Nein, ich hab‘ ihn! Wah!“

„Komm her du… Wo ist er hin?!“

„Hinter dir!“

„Wo?“

„Hinter dir!!“

„Hinter dir!!“

„Ah! Jetzt hab‘ ich di… Scheiße!“

Undertaker löschte sich die Hände. Auch der Bestatter kam in die Verlegenheit sich festhalten zu müssen. Doch wenig später kam er auch in die Verlegenheit mich festhalten zu müssen. Denn durch die wilde Jagd rutschte ich mit einem spitzen Schrei von Amys Schulter. Undertaker griff gerade rechtzeitig mein Handgelenk.

„Gihihihihi! Alles ok?“, fragte er lachend.

Ihm schien das alles mal wieder eine Menge Spaß zu machen.

„Geht so…“, schwang ich hin und her und hin und her. So langsam wurde ich seekrank. Doch ich resignierte gegenüber der Situation und fing gar nicht erst an zu zetern. Bringen tat es eh nichts. Ich hing hier und nichts würde das in den nächsten Minuten meines Lebens ändern.

„Ich krieg dich!“, flog Grell mit ausgebreiteten Armen und Kampfgebrüll an uns vorbei. Er krachte laut scheppernd auf den Boden…

… Und das Alp - welches einfach in der Bibliothek gestanden hatte und danach Amy, Lee und Grell immer wieder ausgewichen war - huschte ihm einfach davon.

William allerdings - der erst sehr angesträngt an dem Griff von Grells immer wieder auf- und zuklappender Türe gehangen hatte, um nicht quer durch den Raum zu fliegen - ließ besagten Griff los und hielt sich am Arm des Alps fest.

„Jaaaa! ~♥“, quietschte Grell und stützte sich auf die Arme: „Schnapp ihn dir, Willi!“

Niemand in dem Raum – inklusive William – schien zu wissen wie er das anstellen sollte.

Doch der Aufsichtsbeamte hielt sich beharrlich an dem Arm des Viehs fest, obwohl es ihn heftig abzuschütteln versuchte.

„Jetzt!“, rief Lee, der sich wohl einen Vorteil daraus zu erhoffen schien, dass das Alp mit William beschäftigt war.

Amy und Lee sprangen nach vorne.

Das Alp sprang nach hinten.

Ich sah noch wie es durch die Wand verschwand.

William tat dies allerdings nicht.

Er knallte mit einem schmerzhaft scheppernden metallischen Geräusch und ausgebreiteten Armen in die Tapete.

Dann schlug die Schwerkraft zu.

Erst ging Lee zu Boden.

Amy landete auf ihn.

Undertaker und ich kullerten in einigen sehr unfreiwilligen Purzelbäumen über den Boden.

Undertaker stoppte die Wand und mich stoppte Undertaker.

Nach ein paar irritierten Sekunden setzten sich alle auf, sammelten sich kurz und klimperten die Stelle an, wo das Alp trotz aller Bemühungen einfach verschwunden war.

William rutschte derweilen langsam die Wand hinunter.

„Echt jetzt?!“, Grell trommelte mit den Fäusten auf den Boden: „Dieses Scheißvieh! Ich will ihm endlich seinen verrotteten Hals umdrehen, ihn den Kopf abreißen und dahin schieben, wo nie die Sonne scheint!“

Ich schüttelte ungläubig den Kopf.

Was hier gerade vor sich ging war kein Alptraum. Das war die erste Probestunde des neuen Londoner Amateur-Komödiantenstadl.

William erreichte den Boden und blieb liegen.

Kurz dachte ich er sei K.O, doch seine auf dem Boden tippenden Finger verrieten mir, dass er wohl schlicht und einfach keine Lust mehr hatte und deswegen liegen blieb.

Zu allem Überfluss fing William auch noch wieder an zu gongen, doch gerade hatten wir unseren Sinn für Humor verloren.

Außer einem wie verrückt lachenden Kerzenständer hinter mir, natürlich, für den das Gongen der Situation noch die komödiantische Krone aufsetzte…
 

Als Sebastian 5 Minuten später wieder in den Raum geflattert kam, erblickte er einige sehr geknickte Gesichter.

„Ich tippe“, der Butler beschaute die Runde: „Der Erfolg der Unternehmung hielt sich in Grenzen.“

Lee hing recht schief auf seinem Sessel: „Sieht es so aus?“

„Ja, in der Tat“, nickte der Butler.

„Hast auch recht“, der Drogenbaron fuhr sich durch die Haare: „Das Alp haben wir zwar gefunden, doch gefangen haben wir es nicht.“

Williams Gesichtsausdrück war so düsterer, als eine Neumondnacht. Durch sein Meeting mit der Wand hat das Uhrenglas auf seiner Brust einen großen Riss.

Damit war er der vierte, der recht ramponiert aussah und man sah dem sonst so adretten Aufsichtsbeamten an wie sehr ihm das gefiel.

„Das sind keine guten Nachrichten“, der Butler legte eine Hand an sein Kinn: „Wie kam es dazu?“

„Es kann durch Wände gehen“, seufzte Ronald.

„Wir übrigens nicht“, grummelte William.

„Keheheh“, lachte Undertaker in schäbigen Pläsier: „Du musst es wissen!“

Williams hochgezogenen Augenbraue verkündete seinen unterdrückten Drang zu töten.

„Voll unfair“, verschränkte Grell die Arme und lenkte das Gespräch wieder auf das Wesentliche: „Wie soll man so etwas fangen?“

„Gute Frage, nächste Frage“, Freds Kopf fiel zur Seite.

Lee gähnte ausgedehnt und schloss die Augen. Mittlerweile hatte er darunter dunkle Schatten.

Amy saß auf seiner Armlehnte und kraulte ihm durch die Haare: „Du solltest nicht einschlafen. Ich habe kein gutes Gefühl dabei.“

Lee lehnte seinen Kopf auf Amys Schulter: „Dein Gekraule macht es mir nicht leichter wach zu bleiben…“

Ich lächelte leicht.

Die Beiden waren wirklich süß, wie sie zusammengekuschelt auf dem kleinen Sessel saßen.

Wieder wanderte mein Blick unwillkürlich zu Undertaker.

Er saß an der Tischkante, hielt sich mit seinen gelöschten Händen daran fest und schwang seinen Standfuß gelassen vor und zurück. Wenn man ihn so sah dachte man gar nicht, dass wir in Problemen steckten.

Meine Gedanken wanderten wieder zurück auf das Sofa in Undertakers Lesezimmer. Es war schöner gewesen mit ihm zu kuscheln, als mir selbst lieb war und nun wo ich Amy und Lee schmusen sah… würde ich gern dasselbe tun.

Als der Totengräber meinen Blick bemerkte, warf er mir einen fragenden zu.

Hastig drehte ich mein Gesicht wieder weg.

Ich fühlte mich ertappt, als könne er durch meine Augen sehen was ich dachte.

Ich wusste, zu einem Teil konnte er das.

Doch ich wusste auch, der andere Teil hatte eine verdammt lange Leitung.

Ich wusste nur leider nie welcher Teil von Undertaker zuschlug.

Wenn ich mein nicht vorhandenes Glück bedachte, würde er meine Gedanken sofort entlarven, was in einem Pfuhl von Scham und Schande enden würde, den ich jetzt wirklich nicht gebrauchen konnte.

Seit ein paar Minuten war ich beachtlich müde geworden. Es fühlte sich an, als hätte ich den ganzen Tag Sport gemacht. Ich schob das auf den Höllenritt auf Grells und der Alpjagd auf Amys Schulter.

Was hier passierte war schließlich vollkommen verrückt und kaum zu beschreiben.

Doch etwas in meinem Kopf sagte mir, dass ich ja eigentlich gerade schlief. Konnte man sich erschöpft fühlen während man schlief?

Sah man Lee an, war die Antwort ein klares Ja. Der junge Asiate sah mittlerweile sogar sehr kränklich aus.

Ein müder nur halb geöffneter Blick, Augenringe und blass um die Nase.

Die Blutspur war von seinem Kragen, über seine Schulter bis zu seiner Elle und Brust gewandert. Sie wirkte auch nicht trocken. Sein Halswunde schien unablässig zu bluten. Die ganze Zeit.

Konnte man in einem Traum verbluten?

Schließlich schlief doch auch Lee und das hier war alles nur Fantasie.

Ich hoffte inständig wir fanden es nicht noch heraus.

Doch als ich über den Traum und Schlafen nachdachte kam mir ein Gedanke.

Ich faltete meine Arme um meinen angezogenen Wedelstab und tippte die Daumen aneinander.

Wenn man im Traum einschlief, so munkelte man, dann…

Ich brach den Gedanken ab.

Was war, wenn er nicht gut war?

„Ge he he. Was denkst du?“

Ich schaute Undertaker an.

Woher wusste der Typ eigentlich immer, wenn ein Gedanken in mir feststeckte?

„Ähm…“, meine Daumen tippten schneller einander: „Also… egal.“

Undertaker lachte schrill, schwang seinen Standfuß auf den Tisch und stand gewandt auf. Mit leisem Klacken hüpfte er zu mir.

Ich fand es erstaunlich, dass er so schnell gelernt hatte ohne Beine anständig vom Fleck zu kommen.

Und ich war furchtbar neidisch darauf.

Neben mir angekommen schaute Undertaker auf mich herab: „Weil ich die Gedanken durch deine hübschen Augen flitzen sehe. Kehehehe! Du weißt doch wie neugierig mich unausgesprochene Gedanken machen!“

Ich war von dem unerwarteten Kompliment des Totengräbers wie üblich vollkommen überfahren.

„Hübsche…?“, dachte er wirklich ich habe hübsche Augen?

Ich mochte meine Augen überhaupt nicht.

Ich hatte sie definitiv vom falschen Elternteil geerbt…

„Au… WÄH?!“, begann ich irritiert zu murmeln, doch ich kam nicht dazu mich weiter mit diesen bitteren Gedankengang und meiner Verwunderung zu beschäftigen. Denn ich wurde sehr unerwartete und vor allem sehr unüblich unterbrochen.

Die schiefe Kerze auf Undertaker Kopf brannte die ganze Zeit.

Als er den Kopf herunter beugte schwappte ein dicker Blobb Wachs über und…

… punktgenau auf meinem Kopf.

Ich kniff die Augen zusammen.

Es lief mir durch die Haare… über mein Gesicht… auf meine Schultern… ins Kleid… den Rücken hinunter...

„Du lieber Himmel…“, fiepste ich und hob mit verzogener Mine die Hände: „Es ist überall…“

„Hups“, ich öffnete ein Auge und sah den Bestatter doch reichlich schief Grinsen: „Das war so… ähähä! Wirklich nicht geplant“, er schaute durch die Gruppe: „Hätte jemand ein… öhm… Taschentuch?“

Wachstropfend schaute ich ihn zerknirscht an: „Hups, ja? Der ganze Segen klebt in meinen Haaren…“

Gnade mir Gott, wenn das trocknete…

Es polterte.

Ich drehte meinen triefenden Kopf zu Grell, der näher an den Tisch gekommen war und in einer Schublade kroste.

„Undertaker, du bist ein Genie“, der rote Reaper fand tatsächlich ein Stofftaschentuch, schnappte mich – selbstredend ohne zu fragen - mit einer Hand und begann an mir herum zu rubbeln. Begeistert war ich davon nur bedingt, aber einen Tod musste ich wohl sterben.

„Bete, dass ich das abbekomme“, seufzte der Rotschopf: „Ansonsten trägt Sky bald ‘ne schicke 3 mm Frisur.“

Ich schaute den femininen Mann mit schreckgeweiteten Augen an: „Bitte?! Du willst mir doch nicht die Haare abrasieren?!“

„Nein“, rubbelte Grell fester: „Deswegen versuche ich zu retten was es zu retten gibt.“

Einfach war es nicht.

Grell setzte mich irgendwann wieder auf den Tisch.

Da das Wachs fest wurde, hatte Undertaker sich wieder die Finger angezündet und versuchte das Wachs damit flüssig zu schmelzen, doch Grell brach den Versuch ab nachdem sie einmal kurz zu zündeln begangen.

Es dauerte ich weiß nicht wie lange und doch schaffte Grell es nicht das Wachs aus meinen Haaren zu bekommen.

Mit den Fingern kämmte ich mir durch meine versauten Haare, gab aber schnell auf.

Sie waren einfach ruiniert.

„Tu‘ das nie wieder“, funkelte ich den Bestatter böse an, eine Frisur wie ein explodiertes Eichhörnchen auf meinem Kopf sitzend.

Dieser hob lachend die brennenden Hände: „Es war keine Absicht. Kehehehehe!“

„Ich höre deine Gewissensbisse. Sie sind überwältigend, wirklich“, hob ich eine Augenbraue und verschränkte die Arme.

„Na“, der Bestatter schnappte meine Hand. Er zog mich zu sich heran und legte die zweite auf meinen Rücken: „Schau nicht so böse, meine Schöne. Ich würde dir doch nie wissentlich etwas antun.“

‚Awwwwww‘, der weiche Ausdruck in seinen unglaublichen Augen verschlug mir den Atem. Er war ganz eigen.

War die Färbung seiner Augen an sich eher kalt, war dieser Ausdruck darin so herrlich warm.

Dieser Kontrast war einfach umwerfend!

Beschreiben konnte ich ihn kaum.

Dann stoppten meine Gedanken, als meine Nase ein beißender Geruch erreichte.

Davon vollkommen übermannt klimperte ich Undertaker zwei Mal langsam an.

Dieser klimperte zwei Mal genauso langsam zurück, wohl dasselbe riechend, wie ich.

Es roch…

Sein sanftes Lächeln kippte in sein schuldbewusstes schiefes Grinsen. Seine Augen wanderten langsam seinen Arm entlang.

Meine folgten seinen bis zu seiner Hand, die meine hielt… und brannte.

Dann wanderten meine Augen den Arm wieder hinunter zu dem anderen Arm, der hinter meinem Rücken verschwand und dessen Hand auf selbigen lag… und ebenfalls brannte.

…..

…….

„HIIIIIIIIILFEEEEE!!“, ich flitzte in Panik von einem Ende des Tisches zum anderen und wieder zurück: „Iiiiich breeeenneeeee!“

Amber sprang von der Armlehne auf.

Geistesgegenwertig griff sie ihren Bruder, der nichts tun konnte außer einmal erschrocken auszurufen. Sie zog dem Deckel ab - in dem ihr Bruder ab der Hüfte verschwand - und kippte mir den Kanneninhalt über den Kopf.

Es zischte, als die Flammen von dem Tee erstickt wurden.

Ich setzte mich von dem Tee vollkommen überrascht auf meinen Hosenboden und mein nasser Pony klebte über meinen Augen.

Einige stummen Sekunden vergingen, die Atmosphäre von überfahrendem Unglauben geprägt.

„Hast du…“, setzte meine etwas verzögerte Erkenntnis der grotesken Szenerie die Krone auf. Ich hob eine Strähne von meinen Augen und schaute Amy an: „… Mich gerade mit deinem Bruder gelöscht?“

„So“, Amy schaute zu ihrem Bruder: „Sieht es aus, ja.“

„Bitte…“, Frederic hing kopfüber in Amys Hand, einen Ausdruck in den Augen, als sei etwas in ihm gestorben - ich tippte auf seine Würde - und ließ kraftlos die Arme baumeln: „Betont es nicht so.“

Neben mir fing jemand an schrill zu lachen.

In diesem Moment hört ich wie meine Hutschnur riss.

Und zwar laut.

DU!“, sprang ich auf meine Borsten und versuchte meinen wachsharten Pony nach hinten zu schieben. Ich bohrte dem Bestatter immer wieder mit dem Zeigefinger in die Brust, der mich erst mit Wachs übergoss, dann anzündete und nun meinte darüber lachen zu können: „Was fällt dir eigentlich ein, hm?! Willst du mich umbringen?! Erst kippst du mir Wachs über den Kopf und dann zündest du mich an! Weißt du wie ein Docht funktioniert?! Genau so! Ich hab‘ gefackelt wie eine Kerze! Du solltest dich in Grund und Boden schämen, anstatt mich auszulachen! Das war ein astreines Attentat, du… du irrer… du… ARG!“

Doch anstatt sich zu schämen, verstrickte sich Undertaker in einen immer schrilleren Lachanfall. Er wedelte seine Hände aus, hielt sich dann mit einer Hand den Bauch, die andere legte er über den Mund und die Lachtränen flossen ihm in Strömen über die wächsernen Wangen: „Gihihihihihihi! Pahahahahaha! Ahuhuhuhuhuhu! Wie du gerannt bist! Dieses Gesicht! Nehehehe! Herrlich! Fuhuhuhuhuhu! Göttlich! Kehehehe! Und Frederic! Puhuhuhuhuhu! Dieser Blick! Bahahaha!“

Mir klappte der Kiefer auf.

Schön, dass er daran dachte sich die Hände auszumachen, wenn er sich selbst anfasste!

Ich war wütend.

Zum Bersten wütend.

Keine Schmerzen hin oder her: Undertaker hatte mich zweimal hintereinander in Teufelsküche gebracht und hatte kein Recht sich nun über mein Gesicht zu amüsieren!

Ich ballte meine vor Zorn zitternden Hände zu Fäusten und zog meine angespannten Schultern ein Stück hoch.

Wuttränen stiegen mir in die Augen.

Ich wusste nicht wohin mit meinem schäumenden Ärger.

Alles in mir fühlte sich glühend heiß an. Ich fühlte mich aufgekratzt und gleichzeitig hundeelend.

Und ich hatte keine Ahnung wohin damit!

Undertaker breitete seine Arme aus. Er lachte nicht mehr wie ein Hutmacher verrückt war, doch giggelte noch sehr belustigt und mit einem riesigen Grinsen im Gesicht vor sich her.

Ich zog meine Lippen ein Stück in den Mund und begann darauf herum zu kauen. Meine Fäuste zogen sich fester zusammen.

Als er die Arme um meine Schultern falten wollte, kullerten die Tränen aus meinen Augen und meine Hände schnellten nach vorne.

„Du Idiot!“, bevor er mich umarmen konnte, schubste ich ihn nach hinten.

Undertaker blinzelte mir mit großen Augen und verwundertem Ausdruck entgegen.

„Was fällt dir eigentlich ein?!“, schrie ich ihn an: „Wer denkst du bist du?! Unterstehe dich mich anzufassen!“

Mit diesen Worten schaute ich ihm mit zusammengezogenen Fäusten und angespannten Schultern in seine Augen.

Sein Grinsen hing schief, er schaute recht verwirrt und hatte wohl nicht damit gerechnet von mir recht grob auf Abstand gehalten zu werden.

Doch ich war nicht nur wütend.

Ich war verletzt.

Vielleicht nicht äußerlich, aber innerlich blutete ich.

Denn ich hatte überhaupt nichts zu lachen gehabt.

Ich hatte mich furchtbar erschreckt und ein paar Sekunden wirklich gedacht, mein letztes Stündlein hätte geschlagen!

Er hatte es wieder getan!

Mir war etwas Blödes passiert - wäre das hier kein Träum hätte ich mich sogar furchtbar verletzt - und er lachte, als habe er selten etwas so Witziges gesehen!

Wuttränen tropften von meiner Wange.

Alle waren dabei gewesen:

Grell, William, Ronald, Frederic, Lee, Amber, der Butler.

Und vor allen hatte mich Undertaker zum totalen Gespött gemacht.

Es war nicht das Schlimme, was mir eigentlich passiert war. Das war keine Absicht und ein Unfall gewesen. Doch danach von dem Unfallverursacher auch noch vollkommen ungeniert ausgelacht zu werden, hatte einfach richtig weh getan.

Ich war nicht Undertakers Clown, über den er sich unter Missachtung aller Umstände stets und ständig lustig machen konnte.

Und als ich mich darüber ärgerte, fiel mir etwas siedend heiß auf:

Die Tatsache, dass ich Undertaker nicht mehr zu bieten hatte, außer mich stets und ständig auslachen zu können.

Zorneshitze schwappte um in ängstlich kaltes Gefühl.

Ich bereute meinen Ärger.

Ich bereute ihn so grob behandelt zu haben.

Ich faltete meine eigenen Arme um mich und ließ den Kopf nach unten fallen.

Unsicher tapste ich auf meinen Borsten nach hinten.

Ich fühlte mich so furchtbar alleine.

Obwohl hier so viele Leute waren.

Und obwohl ich mich nicht alleine fühlen möchte, wäre ich es gerne gewesen.

Mir standen die Tränen hoch in den Augen. Doch man konnte nicht in einer so riesigen Gruppe einfach anfangen zu heulen.

Alle starrten mich an, ich fühlte es.

Und in mir wollte alles nur noch weg.

Ich wusste auch nicht wohin ich mit meinen Gefühlen, den vielen schlechten, sollte. Hier gab es keinen Platz für sie. Zwischen all diesen vielen starken und mächtigen Menschen und Geschöpfen war einfach kein Platz dafür.

Ich drehte mich um und hüpfte vom Tisch.

So schnell, wie ich nie gedacht habe, dass meine Borsten mich tragen konnten, lief ich aus dem Raum.
 

Im Flur bog ich in die nächste Tür, die ich finden konnte.

Ein dicker Teppich lag auf den Boden, indem sich meine Bosten verfingen und mich stürzen ließen.

Ich hatte mich gerade erst mit Undertaker vertragen… und ihn jetzt weggeschubst…

Was ist, wenn Undertaker jetzt nichts mehr mit mir zu tun haben wollte?!

Ich habe ihn angebrüllt und geschubst für den einzigen Vorzug, den ich ihm zu bieten hatte.

Und niemand gibt sich mit jemandem ab, der ihm nichts mehr zu bieten hat.

Gebeutelt von diesem Gedankengang blieb ich einfach liegen, schluchzte vor mich her und rollte ich mich auf dem Boden ein.

Ich war wachsverschmiert, verkohlt, nass, beschämt, bloßgestellt und geängstigt meine Reaktion könnte wieder einen Streit - oder was auch immer das zwischen uns die letzte Woche gewesen war – provoziert haben.

„Süße?“

Die Stimme ließ mich aufschauen.

Die Adelstochter kam zu mir und ging neben mir auf die Knie: „Herrje… wie du aussiehst. Deine Haare, dein Kleid…“

Ich setzte mich auf und schaute auf meine Hände. Eine war komplett rußgeschwärzt. Das Armband an dieser Hand war angesengt.

Ich bemerkte einen bodentiefen Spiegel, der neben dem Teppich stand.

Mein Spiegelbild ließ meine geschwärzte Hand vor den Mund wandern: „Oh mein…“

Mein Kleid war total versengt.

Am Rücken und der Taille hatte es sogar große Brandlöcher.

Das war nicht das größte Problem.

Was mir fast körperlich weh tat, war das meine Haare hinten bis zum Nacken abgebrannt waren: „Meine…“

Ich versteckte mein Gesicht geschlagen in den Händen.

Ich war nicht nur eine dumme Pute.

Jetzt war ich nicht nur ein hässliches, sondern auch ein abgebranntes Entlein!

Nicht, dass ich vorher irgendetwas Modellhaftes gehabt hatte, doch nun war meine Optik vollends dahin.

Wie soll ich denn Undertaker oder irgendjemand anderen mit dieser Optik und nach diesem Theater vor die Augen treten?

Jemals wieder?!

Ein Finger streichelte mich: „Hey, Kopf hoch.“

„Hast du mich mal angeschaut?“, schluchzte ich: „Und dann noch dieses Theater! Gekoppelt mit diesem Aussehen kann ich mich nur bis auf die Knochen blamiert haben!“

„Du hast gebrannt, Sky.“

„Und mich dann auch noch aufgeführt!“

„Jeder wäre sauer gewesen, wenn er einfach angezündet und dann auch noch ausgelacht worden wäre.“

Ich schaute Amy an: „Aber das ist es doch…“

„Was?“

Meine Augen fielen aus ihrem Gesicht: „Was hab ich ihm denn zu bieten außer eine Lachnummer zu sein…?“

„Nehehe! Intellekt und eine Menge Schneid. Viel Geduld und Herzensgüte. Die Tatsache, dass du mich nicht nur auf meine offensichtliche Verrücktheit zu reduzieren scheinst und deine Zeit freiwillig mit mir verbringst. Und du kannst backen. Wie eine junge Göttin, kehe!“

Sprachlos und vollkommen überfordert schaute ich in Undertakers Gesicht.

Er war wie aus dem Nichts neben mir aufgetaucht, hatte sich neben mich gekniet und zog seinen Mund zu einem kleinen Lächeln. In dieses warme Lächeln, welches ich so gern mochte.

„Eine Lachnummer“, er legte seine – gelöschte – Hand auf meine Wange und wischte mir die Tränen weg: „Das bist du nicht. Wirklich nicht. Ich wollte nie du könntest dies denken. Du bist für mich so viel mehr als das. Du hast so viele Vorzüge.“

Ich schaute kurz auf seine Hand und dann wieder in sein Gesicht.

Er tröstete mich.

Aber wieso?

Und warum wirkte er gar nicht sauer auf mich?

„Es…“, setzte er an, doch es platze unkontrolliert aus mir heraus: „Es tut mir leid!“

Undertaker blinzelte kurz, doch sehr verwirrt. Dann wanderte eine seiner Augenbrauen nach oben: „Warum entschuldigst du dich?“

„Ich“, meine Augen fielen nach unten: „Hab dich angeschrien… und weggeschubst…“

„Ich habe dich angezündet!“, Undertakers lange Hand hob mein Kinn an. Er schüttelte kurz mit geschlossenen Augen den Kopf und schaute mir dann eindringlich in meine. Seine unendlich schwarzen Pupillen… seine im Dunkeln kühl schimmernde Iris… stahlten mir die Gedanken aus meinem Kopf und den Herzschlag aus meiner Brust.

Seine Hand fuhr durch meine harten, angesengten Haare und seine Finger zupften geschickt ein paar Strähnen auseinander: „Deine schönen Haare so furchtbar versengt“, seine Hand wanderte wieder auf meine Wange und streichelte sie: „Und dich ausgelacht, anstatt mich zu entschuldigen und wiedergutzumachen was ich angerichtet habe.“

Er legte den Kopf ein Stück schiefer und sah mir ein paar Sekunden in die Augen.

Ich war mir nicht sicher, doch ich meinte ich hatte aufgehört zu atmen. Ich schaute einfach nur in seine Augen, vollkommen neben mir stehend.

„Verzeih mir.“

Ich schaute ihn weiter an. Blinzeln wollte ich, doch ich schaffte es nicht. Ich verstand nicht, warum er nicht sauer war, nachdem ich ihn so grob behandelt hatte und aus meinen verwundert geweiteten Augen stahlen sich zwei kleine Tränen, denen ich mir zu spät bewusst wurde, um sie aufzuhalten.

Ein sanfter Ruck ließ mich nach vorne kippen. Undertaker faltete seine Arme um meinen Rücken.

„Du musst dich nicht bei mir entschuldigen“, flüsterte ich so leise, dass kaum etwas von meiner Stimme zu hören war.

Mein Bauch fühlte sich hart an, mein ganzer Körper ganz fies versteift. Es zog in fast jedem Muskel und ich wusste es würde schmerzen, wäre ich wirklich wach.

„Natürlich!“, Undertaker nahm mich an den Schultern und drückte mich ein Stück weg, um mich anschauen zu können. Er wischte mir behutsam die Tränen aus dem Gesicht: „Wegen mir standest du lichterloh in Flammen! Und deine Haare! Es ist wirklich schändlich.“

„Aber“, meine Augen fielen nach unten: „Das war ein Unfall… Und ich war fies…“

„Du warst zurecht zornig“, der Bestatter nahm mein Gesicht in beide Hände und zwang mich so ihn anzusehen. Er zog ein beruhigendes Lächeln auf: „Ich hatte mich nicht im Griff. Ich war fies, nicht du.“

„Aber“, in so ein schlechtes Licht hatte ich Undertaker nun auch nicht stellen wollen. Er dachte doch öfter schon viel zu schlecht von sich…

„Du hast nichts falsch gemacht“, er fuhr mir mit seinem Zeigefinger über den Kieferknochen und hob mein Gesicht am Kinn an.

„Aber ich habe total überreagiert…“, meine eigenen Unzulänglichkeit tat mir weh. Noch nicht mal seine Launen konnte man an mir auslassen.

Immer, wenn ich meinen Vater…

Ich war einfach zu nichts gut.

Ständig provozierte ich Situationen und hielt dann die Ernte davon nicht aus.

Seit ich klein war ging es so.

Ich wäre gerne mehr.

Ich wischte mir recht grob und wütend die eigenen Tränen vom Gesicht.

„Nein, nein“, Undertaker schnappte meine Hand. In derselben Bewegung stupste er mit dem Zeigefinger vor meine Nase: „Das war dein gutes Recht.“

„Denkst du?“, biss ich mir auf die Unterlippe und schaute ihm von unten in sein Gesicht.

„Natürlich!“, Undertaker lachte kurz auf: „Gi hi! Niemand wird gerne angezündet, denke ich. Von daher.“

Meine Augenbrauen wanderten nach oben: „Du denkst?“

Undertaker giggelte weiter: „Nun, kihihihihi, da es mir selbst vollkommen egal ist, kann ich es nur denken!“

Mir klappte der Kiefer auf: „Bitte was?!“

Der Bestatter winkte ab: „Lassen wir das, hehe! Nun ist wichtig dich Schöne wiederherzurichten. Doch“, Undertaker sah wirklich so aus, als habe er ein schlechtes Gewissen: „Erlöse mich vorher und verzeihe mir. Ich war in der Tat ein Idiot.“

Ich blinzelte ihn an.

Dann schnaubte ich.

„Natürlich… verzeihe ich dir.“

„Fabulös“, lachte Undertaker und fing wieder an zu grinsen: „Dann machen wir dich wieder salonfähig! Ein so schönes Ding wie du sollte wirklich nicht so aussehen.“

„Lass mich das machen“, Amy nahm Undertaker und stellte ihn Richtung Tür wieder auf dem Boden: „Das ist Frauensache.“

„Ich denke du hast Recht, Amber“, er hüpfte aus der Türe: „Bevor mir noch unterstellt wird, ich würde schöne Frauen beim Umziehen bespitzeln, kehe!“

„Umziehen?“, schaute ich blinzelnd aus der Tür, aus der Undertaker schon verschwunden war.

Amy legte ein Kleid auf den Teppich, dasselbe Model wie das was ich trug, nur weniger verbrannt: „Grell hat das in seinem Schrank gefunden.“

„Grell schleppt ‘ne Menge Zeug mit sich rum…“

„Hat Fred und Ronald wohl das Porzellan gerettet“, Amy legte eine Schere und einen Kamm daneben: „Ich werde dir wohl oder übel auch die Haare schneiden müssen.“

Ich schaute nochmal in den Spiegel und fuhr mir durch mein nur noch nackenlanges Hinterhaupthaar: „Ich hab sie so lange gezüchtet…“

„Es ist ja nur ein Traum.“

„Ja“, seufzte ich mit hängenden Schultern: „Ein Alptraum…“
 

Amber schaffte es das nun harte Wachs aus meinen Haare zu entfernen, indem sie es vorher mit den Finger klein brach und dann heraus kämmte.

Das war langsam und wäre sicherlich eigentlich auch schmerzhaft, aber es funktionierte.

Dann schnitt sie mir die Haare.

Mit jeder fallenden Strähne fühlte ich mich ein bisschen mehr entmutigt.

Schließlich endete ich in einem frischen Kleid vor dem Spiegel.

Die Schere hatte meine Brantfrisur einen klassischen Bobschnitt verwandelt.

Ich band das schwarze Band wie ein Haarreif hinein und beschaute mein kurzhaariges Spiegelbild nicht wirklich wohlwollend.

„Das steht dir nicht schlecht“, sagte Amy und ihr Spiegelbild erschein hinter meinem im Spiegel. Sie lächelte: „Du solltest mal über eine Typveränderung nachdenken.“

Ich schüttelte den Kopf: „Nein, ich… mag mich mit langen Haaren lieber.“

Amy zuckte mit den Schultern: „Schade.“

Ich wandte mich zu ihr: „Soll ich dir die Haare schneiden, wenn wir wieder wach sind?“

„Bloß nicht“, lachte Amy: „Ist ja gut, ich weiß was du meinst.“

Sie hielt mir die Hand hin und ich hüpfte auf ihre Schulter.
 

Wir kamen zurück in die Bibliothek.

Die Anderen schienen weiter überlegt zu haben und unterhielten sich noch.

Amy stellte mich auf den Tisch.

„Ulala!“, hörte ich von hinten und wandte mich zu Grell: „Was sehen meine müden Augen? Schick, Mädchen!“

„Ähm“, ich fuhr mir durch meine unsäglich kurzen Haare, von meinen Worten verlassen.

„Grell hat Recht“, sagte Ronald aus seiner gekitteten Tasse: „Das hat Stil! Du solltest darüber nachdenken, die Haare so zu behalten.“

„Ich…ähm…“, ich atmete tief durch: „Ich mag meine langen Haare.“

Ronald zuckte mit den Schultern, wollte wohl noch etwas sagen, doch William kam ihm zuvor: „Wir haben wichtigere Probleme als Lady Rosewells Frisur.“

„Natürlich“, machte ich kleinlaut: „Ich wollte nicht ablenken.“

„Naja“, machte Grell: „Du hast dir das ja nicht gerade ausgesucht.“

„Lee?“

Amys besorgte Stimme durchbrach die Konversation und brachte alle dazu sich zu ihr zu drehen.

Lee hing mit verschränkten Armen und Beinen und hängenden Kopf auf seinem Sessel. Amy rüttelte an seiner Schulter: „Lee?!“

Keine Reaktion.

Mein konnte Amys Herz an ihrem Gesicht absacken sehen.

Die Atmosphäre kühlte schlagartig aus.

Kaum gesehen was vor sich ging erschien auf ihren Gesichtern ein offensichtlich besorgter Ausdruck.

Undertaker sah so skeptisch aus, dass er die Augen ein Stück zusammengezogen und sein Grinsen verloren hatte. Ein Ausdruck, der mein schlechtes Gefühl noch viel schlechter machte.

Amber beugte sich weiter hinunter und schüttelte den Asiaten fester: „Lee! Was hast du?!“

Lees Kopf zuckte hoch.

In dem Moment, in dem er Amy mit müden und recht überraschten Blinzeln ansah, konnte man die Spannung aus der Situation förmlich entweichen hören. Tatsächlich hörte man, wie Ronald wieder anfing zu atmen und Frederic erleichtert leise durch die Zähne pfiff.

„Was war los?“, Amy wirkte immer noch recht aufgeregt.

Lee legte beruhigend seine Hand auf eine von Amy, die immer noch auf seiner Schulter lag: „Ich war nur eingeschlafen, alles gut.“

„Schade…“, seufzte ich ohne zu überlegen.

Sofort starrten mich alle an.

„Schade?!“, keifte Amy mich vollkommen entsetzt an: „Spinnst du?!“

„Nein, nein!“, ich wedelte verzweifelt mit meinen Händen. Ich hatte meinen Gedankengang nie geteilt. So ohne meinen gedachten Kontext war meine Aussage einfach unter aller Sau: „I-ich… hatte einen Gedanken! Vorher! I-ich… bin froh, dass es Lee gut geht!“

Zumindest ging es ihm einigermaßen gut. In dem Sinne, dass er noch lebte. Fit sah der Asiate wirklich nicht mehr aus.

„Aha?“, verschränkte Amy die Arme.

In mir zog sich etwas ganz fest zusammen. Ein fieser Knoten in meiner Brust schnürte mir die Lunge zu. Deswegen zog ich meine Schultern in Stück hoch und hob verzweifelt meine Hand an meinen Mund.

Ich wollte nicht, dass Amy sauer auf mich war.

Amy war mir so wichtig und sie hatte einen so intensiven wütenden Blick, dass ich mich schon verprügelt fühlte, wenn sie mich böse anschaute.

Ich hatte sie wirklich nicht wütend machen wollen. Es war wirklich nicht so gemeint gewesen…

Eine Hand erschien auf meiner Schulter.

Aufgescheucht fuhr mein Kopf herum.

Ich sah in Undertakers wächsernes Gesicht.

Dann sah ich auf die Hand auf meiner Schulter.

Es war seine Hand.

Als ich wieder in Undertakers Gesicht schaute, lächelte er mich warm an.

Seine Augen wanderten zu meinem Oberarm. Als ich seinem Blick folgte, merkte ich schließlich, dass ich meine Arme um meinen Oberkörper geschlungen hatte und mich an meinen Oberarmen festklammerte.

Sachte nahm Undertaker meine in seine Hände und zog sie von meinem Körper.

„Sprich“, sagte er, meine Hände in seinen: „Erkläre dich.“

Ich schaute wieder in sein lächelndes Gesicht.

Dann biss ich mir unruhig auf die Unterlippe und ließ meine Augen aus seinem Gesicht fallen: „So einfach geht das nicht… Das klang zu falsch…“

Ich spürte Amys Blick in meinem Rücken. Ich fühlte die Blicke aller.

Unruhig schaute ich mich um.

Ich sah hochgezogenen Augenbrauen, ungeduldig wartende Gesichter, verschränkte Arme und skeptische Ausdrücke.

Mein Herz machte einen Satz.

Mein Atem begann zu rasen.

Alle schauten mich an.

Und als mir endgültig klar war, was nun alle von mir denken mussten… als ich lesen konnte was in ihren Gesichtern stand… rettete mich auch Undertakers weicher Blick nicht mehr.

Der Knoten zog sich fester und schnürte mir nicht mehr nur die Lunge, sondern auch den Magen ein. Ich spürte den Schmerz nicht, aber die endlose Spannung des Krampfes, der in meinen Oberkörper fuhr.

Ich wollte mein Hände zu mir nehmen und sie um meinen Körper schlingen.

Ich fühlte mich haltlos, beobachtet und konnte mit den erwartenden Gesichtsausdrücken nicht umgehen.

Der Knoten streute mit einem ersticktem Laut bis in meinen Hals.

Sie sollten wegschauen…

Ich konnte nicht mehr atmen.

Sie sollten aufhören mich anzustarren.

Doch Undertaker hielt meine Hände fest.

Und in meinem schockstarren Krampf zog ich meine Finger so fest um seine wie ich konnte.

Nach ein paar Sekunden befreite er die Finger einer Hand und legte sie auf meine Wange.

Behutsam drehte er mein Gesicht zu seinem.

„Doch ist es“, sagte er ruhig mit einem eindringlichen Blick: „Ganz einfach. Spreche einfach. Schaue mich an, nicht die andren.“

„Aber…“, würgte ich heraus.

Undertaker unterbrach mich allerdings sofort mit einem langsamen Kopfschütteln: „Kein aber. Du bist niemand, der Anderen Böses wünscht. Erkläre dich und sprich. Es geht um den Gedanken, den ich eben schon durch dein hübsches Blau hab huschen sehen, hm?“

Ich nickte langsam.

„Dann“, Undertaker kicherte nicht. Er wirkte auch nicht belustigt. Sein Lächeln war warm, in seiner Stimme lag Anteilnahme und seine Hände gaben mir ein großes Gefühl von Sicherheit: „Sprich.“

Der Ausdruck auf seinen glatten Zügen ließ mein von Ambers hitzigen Blick angefachtes Herz einen Takt langsamer schlagen.

Seine Augen suggerierten mir sofort, dass alles wieder gut werden würde. Dass ich nicht allein war.

Und ich glaubte ihm sofort.

Der Knoten verschwand nicht gänzlich. Doch er lockerte sich bei seinem Anblick enorm.

Die Anderen schauten immer noch, ich spürte ihre Blicke. Aber ich hatte plötzlich nicht mehr das Gefühl ich stand dem allein gegenüber.

Ich schaute nur Undertaker an.

Er war bei mir.

Das Gefühl war gut, beinahe überwältigend und mir fast vollkommen fremd.

„Ich“, begann ich, wenn auch sehr kleinlaut mit meinem neu aufgeflammten Quäntchen Mut. Meine Finger hielten seine Hand noch fester. Er war mein Strohhalm und ich konnte nicht anders, als mich mit aller Kraft daran fest zu klammern: „Habe mich an den alten Aberglauben erinnert, dass man aufwacht, wenn man im Traum einschläft…“

Das erklärte meine Aussage nicht ganz.

Eigentlich so gar nicht.

Doch Undertaker nickte langsam, als sei was ich meinte vollkommen offensichtlich: „Und da Lee hier auch wieder aufgewacht ist, findest du es schade, dass die Lösung nicht so simpel ist.“

Ich nickte.

Niemals hätte ich gewollt, Lee passiere irgendetwas.

„Puh“, hörte ich Lee von hinten. Sein Tonfall war allerdings recht amüsiert: „Und ich habe schon überlegt was ich dir getan habe.“

Grell seufzte: „Ich dacht‘ auch schon…“

Ich schaffte es über meine Schulter zu schauen.

Dabei verließ allerdings Undertakers Hand meine Wange, was ich sofort bedauerte.

Die Blicke der Anderen waren nicht mehr erwartungsvoll und auch nicht mehr so strafend, doch man sah ihnen den bitteren Nachgeschmack noch an.

Lee, der sicherlich versuchte hatte mit seinem Tonfall die Situation wieder zu entspannen, hatte es nicht ganz geschafft.

Der Knoten machte Anstalten sich wieder zusammen zu ziehen.

Was dachten jetzt nur alle von mir?

Sicherlich, dass ich eine richtig dumme Pute sei.

Undertaker ließ meine Hand los.

Erschrocken darüber sackte mein Herz ein großes Stück ab und ich schaute von meinen Gedanken verlassen auf meine nun leere Hand.

Und fühlte mich plötzlich auch ein ganzes Stück leerer.

Und verlassener…

Doch lange hatte ich keine Gelegenheit mich mit diesem Gefühl zu beschäftigen.

Denn zwei Arme, die sich wie aus dem Nichts von hinten um meinen Hals falteten irritierten mich zu tiefst. Auch fühlte ich auf einmal etwas Spitzes auf meinem Kopf.

Verdutztes Blinzeln war alles was ich in diesem Moment zu Stande brachte.

Meine Gedanken waren aus mir undefinierbaren Gründen vollkommen durcheinander. Ich ließ meine Augen nach unten fallen, da der Überraschungsmoment mich noch nicht losgelassen hatte und ich es so nicht schaffte meinen Kopf zu bewegen.

Ich sah zwei wächserne Hände an goldenen Armen, die auf meinen Schultern lagen und deren Finger locker ineinander gefaltet waren.

„Dumm war der Gedankengang nicht“, tönte die mehr als nur bekannte samtschwarze Stimme des Bestatters von direkt über mir und das was auf meinem Kopf drückte bewegte sich.

Ich war mir nun sicher, es war sein Kinn.

Undertaker hatte wieder seinen Kopf auf meinem abgelegt.

„Aber doch recht blauäugig“, surrte Williams Stimme zu mir herüber: „Schließlich haben wir es hier mit einem Geist zu tun.“

Ich schaffte es immer noch nicht meinem Kopf zu bewegen.

Ich fühlte mich anders, nicht mehr so alleine und auch nicht mehr so leer und verlassen, doch ich wusste nicht ganz in Worte zu fassen wie es mir stattdessen ging.

Komisch war das treffendste Wort, was ich dafür in meinem Repertoire hatte.

Mein Herz hüpfte in meiner Brust hin und her, ich war mir nicht recht sicher, ob mir warm oder kalt war und etwas in meiner Bauchgegend wurde unglaublich nervös.

Doch der Knoten, der war verschwunden.

„Woher soll sie denn die Relationen haben?“, bewegte sich wieder Undertakers spitzes Kinn auf meinem Kopf.

Ich blinzelte wieder.

Verteidigte der Totengräber mich gerade?

„Ein guter Einwand“, gab ihm William recht.

Nun wanderten meine Augen zu William.

Der Aufsichtsbeamte hatte ein großes Talent, um das ich ihn zur Hölle und wieder zurück beneidete: Er nahm Leuten den Wind aus dem Segeln, indem er einfach zugab etwas Falsches gesagt oder getan zu haben. Vollkommen nüchtern und sachlich konnte er anerkennen, dass ein Um- oder Andersdenken oder eine Erweiterung und Fortführung sinnvoll war. So bot er kaum bis keine Angriffsfläche für irgendwas oder irgendwen. Dies wurde noch erweitert um die Tatsache, dass William einfach eine Menge wusste, sehr strategisch und ganz offensichtlich sehr selbstsicher war.

Ich war mir sicher, William wäre zwar ein sehr strenger, aber auch ein sehr guter Lehrer.

Er verschenkte nichts, doch gute Leistungen sah er als gute Leistungen, er war unvoreingenommen und respektvoll. Wenn man damit zurechtkam, dass Honorar für den Fleiß etwas unterkühlt und eher hintenherum ausgedrückt wurde, konnte man von dem strengen Mann sicherlich eine ganze Menge lernen.

Und als ich so darüber nachdachte, fiel mir etwas ganz anderes auf:

Undertaker und William.

Der verrückte Scherzkeks und der strenge Paragraphenreiter.

Der Eine vollkommen plemplem, der Andere vollkommen humorbefreit.

Offensichtlich waren die Beiden wie Tag und Nacht.

Auf den ersten Blick hatten sie überhaupt nichts gemeinsam, abgesehen von ihrer Augenfarbe.

Doch wenn man genauer hinsah, waren sich beide nicht ganz unähnlich.

Sie waren beide Koryphäen in ihrem Job und mehr als gründlich.

Beide hatten eine Menge Geduld.

Beide waren zum größten Teil unvoreingenommen.

Beide waren sehr selbstbewusste Männer, die wussten was und wie viel sie konnten.

Denn beide Männer waren unfassbar schnell, taktisch und stark.

Doch sie kannten beide auch ihre Grenzen.

Beide konnten Fehler eingestehen und anerkennen, dass jemand anderes Recht hatte, ohne sich selbst zu diskreditieren.

Und beide konnten Personen und Situationen unglaublich schnell erfassen, durchschauen und händeln.

All dies taten und äußerten sie nur komplett unterschiedlich.

Ich erinnerte mich, wie sehr ich mich gewundert hatte, als Amy mir erzählte die beiden würden sich eigentlich ganz gut verstehen. Auch ich war der Illusion des totalen Gegenteils zuerst erlegen. Doch nun begriff ich plötzlich warum die beiden sicherlich sehr gut mit einander arbeiten und auskommen konnten:

Sie konnten sich auf den Andren verlassen, weil er so vieles hatte was sie selbst hatten.

Doch ich war mir auch einer anderen Sache spontan sicher.

Ihre Kombination aus Gemeinsamkeiten und Gegensätzen führte dazu, dass sie nach einiger Zeit vom Anderen genervt waren. Auch führte sie sicherlich zu sehr außergewöhnlichen Diskussionen.

Allerdings glaubte ich, die beiden wussten das. Sie hatten es so akzeptiert und es einfach hingenommen. Gingen, wenn ihnen der Andere zu sehr auf den Keks ging.

Dagegen sprach ja auch nichts.

Eher im Gegenteil.

„Außerdem kommen Aberglauben, Folklore und Volksweisheiten ja nicht von ungefähr“, ich merkte wie Undertaker seinen Kopf auf meinem hin und her wog und dies weckte mich aus meiner kleinen Abhandlung: „Es ist nur immer fraglich wie viel Feuer unter dem Rauch ist.“

William nickte leicht: „Ein Ansatz oder eine Idee wäre jedenfalls besser, als das Nichts was wir haben.“

Ronald hob eine Hand: „Was für Humbug gibt es denn noch über Träume?“

Der jüngste der Reaper wirkte von der Idee nicht begeistert. Er schien aber selber keine besseren Ideen zu haben.

„Wenn man von jemandem träumt, kann derjenige nicht einschlafen“, Amy legte die Hand an ihr Kinn: „Aber das kann hier nicht so ganz stimmen…“

„Die Seele geht nachts auf Reisen“, legte Frederic den Kopf schief.

Amy schaute ihren Bruder mit einem halb amüsierten Ausdruck an: „Hat das Charlie nicht mal nach einer Reise nach Hawaii erzählt?“

Fred hob die Hände: „Das Beste, was mir einfiel. Wir suchen nicht nur europäischen Aberglauben, oder?“

„Wahrscheinlich nicht“, Lees Kopf fiel zur Seite.

„Träume“, Undertakers Hände verschwanden und unter einigem Geklimper hüpfte er ein Stück weg, damit er alle sehen konnte: „Faszinieren seit Ewigkeiten. Sie faszinieren Menschen, Engel, Dämonen und auch Sensenmänner gleichermaßen. Sie alle träumen, sollten sie ans Schlafen kommen. Volksweisheiten, Aberglaube, Sinnbilder, fadenscheinige Lebensweisheiten, Volksmund“, Undertaker machte eine ausschweifende Armgestehe unterstrichen durch sein typisches Lachen: „Ke he he he! Die Auswahl ist riesig!“

„Doch wenn man konkret drüber nachdenkt kommt man doch nur auf wenig“, verschränkte Grell ein bisschen zerknautscht die Arme.

Undertaker hob einen Finger: „Na na. Wer wirft denn so schnell die Flinte ins Korn?“

Grell bleckte verstimmt die Zähne: „Komm erst mal selbst mit etwas um die Ecke.“

„Fein“, verschränkt Undertaker die Fingerspitzen: „Das Hervorschießen von Pilzen im Traum steht für böse Überraschungen.“

„Gott“, stöhnte Grell: „Aus dem wievielten Jahrhundert hast du das denn?“

Undertaker öffnete nur lachend die Hände: „Hab‘ ich vergessen. Nihihihihi!“

„Wenigstens hatte er etwas“, schaute William tadelnd zu seinem Kollegen in Rot.

Grell seufzte und ließ die Arme hängen: „Wenn einem im Traum die Zähne ausfallen passiert was Schlimmes. Zufrieden?“

„Besser als nichts“, schob William seine Brille hoch.

„Du hast doch selbst noch nichts zum Besten gegeben!“

William sah Grell kurz an.

„Wer vom Fallen träumt stirbt bald“, gab er trocken zurück.

„Immer mit einem Gedanke bei der Arbeit“, schmunzelt Lee.

„Du hast auch noch nichts gesagt“, tadelt ihn daraufhin Amy.

„Wer im Traum stirbt, stirbt in dem Moment auch in Wirklichkeit“, grinste der Asiate der Adelstochter zu.

Diese seufzte nur: „Ich hoffe für dich, das nicht.“

„Noch geht es mir gut“, gab der Drogenbaron betont leicht lächelnd zurück.

„Noch“, seufzte die Phantomhive daraufhin leiser.

„Leute, ehrlich jetzt?“, Ronald wedelte mit den Händen. Er schien offensichtlich genug zu haben: „Schlagen wir uns jetzt tatsächlich mit volkstümlicher Traumdeutung herum?“

„Ja“, grinste Undertaker: „Das ist ein ziemlich interessantes Thema. Kehehehe!“

„Das ist Humbug“, der blonde Sensenmann nahm seine Brille ab und rieb sich durch die Augen. Dann zog er sie wieder auf: „Nichts weiter als verzweifelte Versuche sich die Welt zu erklären!“

Undertaker lachte kurz auf: „Pahahahaha! Natürlich sind sie das! In der Regel haben Menschen keine Ahnung von Geistern und Dämonen, von Engeln und Sensenmänner. Selbstverständlich versuchen sie sich die Phänomene zu erklären, die sie nicht verstehen und nicht selten ist ein Geistlein, oder ein Dämon, oder ein frecher kleiner Engel dran auch Schuld. Auch Sensenmänner haben schon oft für reichlich Verwirrung gesorgt. Wuhuhuhuhu!“

„Und wie oft warst du da mitten drin?“, fragte William mit verschränkten Armen und einem Seitenblick, der seine Theorie sehr deutlich durchscheinen ließ.

Undertaker lachte lauter auf: „Fuhuhuhuhuhu! Na, immer öfter!“

William schüttelte den Kopf. Sein Gedankengang wurde wohl bestätigt. Denn dieses ‚immer öfter‘ vermittelte ein sehr genaues Gefühl von ‚in 95% der Fälle‘.

„Wie auch immer“, Ronald schüttelte den Kopf: „Es gibt etlichen mehr oder weniger möchtegern-esoterischen volkstümlichen Schwachsinn. Traumdeutung ist Wahnsinn. Es gibt sogar eine Erklärung dafür, wenn man im Traum in Scheiße tritt!“

Mein Kopf fuhr zu Ronald: „Ehrlich jetzt?“

Der guckte recht gestresst zurück: „Ja!“

„Ich will es…“

„Soll Glück bringen, gihi!“, kicherte es von meiner Seite.

Ich drehte meine Augen an die Decke. Dann schaute ich zu Undertaker: „…nicht wissen.“

Doch der hob nur giggelnd die Hände: „Tihihi! Zu spät.“

Mit einem ausführlichen Augenrollen drehte ich mein Gesicht wieder ab.

„Ronald hat nicht ganz unrecht“, seufzte Grell und wirkte ein bisschen geschlagen: „Das Feld ist riesig und mehr als ein Symbol hat zwei oder mehr Bedeutungen. Spinnen zum Beispiel. Und wenn wir mit Knöpfen anfangen sind wir ewig dran.“

Jetzt drehte ich mich zu Grell: „Knöpfe?“

„Angenäht oder abgefallen. Zugeknöpft oder offen. Gerade am Annähen und je nach Kleidungsstück - alles eine andere Bedeutung.“

Ich zog die Augenbrauen hoch: „Wow.“

So viel zu Sensenmänner und Allgemeinwissen.

„Gut, lassen wir das“, Frederic sah nicht wirklich traurig darüber aus: „Ein Versuch war es wert, aber es gibt wohl wirklich einfach zu viel.“

Ich seufzte.

Dann hustete ich trocken.

Vollkommen aus dem Nichts unterlag ich einem fürchterlichen Hustenanfall. Noch nicht mal durch ein Kratzen im Hals hatte er sich angekündigt. Er schüttelte mich durch, schickte mir Frost durch die Glieder. Kühle kippte in Kälte.

Ich versuchte durchzuatmen, doch schaffte ich es nicht recht. Mehr als schnappendes Lufthohlen zwischen den bellenden Hustenschüben war kaum möglich.

Ich hielt mir meinen verspannten Bauch, der mich in eine verkrampfte vorgebeugte Position zog.

Zwei Hände erschienen auf meiner Schulter.

„Was hast du?“, drang Undertakers Stimme durch den knallenden Husten, der in meinem Kopf schepperte und mich fast taub machte.

„I-ich“, japste ich angestrengt und durch meinen Husten abgehackt: „Weiß… Ahe! Ahe! Weiß nicht… Ahe!“

„Willst du was trinken?“

Ich konnte Amy durch meinen Husten nicht antworten.

Mein Sichtfeld flackerte im Takt der Hustenschübe und schwarze Ränder krochen von seinem Rand zur Mitte.

„Da dies nicht ihr richtiger Körper ist, wird das nicht viel bringen“, entgegnete ihr dafür Undertaker.

„Was sollen wir dann machen?“, fragte die Phantomhive aufgeregt: „Ist das jetzt Alptraum Phase 2, oder wie?“

„Ich hoffe nicht“, das fehlende Amüsement in Undertakers Stimme machte mir Angst: „Es ging ihr heute zwar ein bisschen besser, aber sie hat nicht genug Kraft übrig um ein Alp lange auszuhalten.“

„Und wir wissen das und können nichts tun?!“

Die Tatsache, dass ich Undertaker darauf nichts sagen hörte, steigerte meinen Schreck in Panik.

Er war nicht der Typ, der einfach nichts sagte.

Er sagte zumindest, er wolle bezahlt werden oder wisse nichts.

Das er nichts sagte, sagte mir, dass er wohl nonverbal geantwortet hatte. Denn auch Amy schwieg.

Und das hieß, dass ich die Antwort nicht habe hören sollen.

Doch lange darüber Sorgen machen konnte ich mir nicht.

Denn keine Minute später hatten die schwarzen Ränder die Mitte erreicht.
 

Ich spürte ein Zucken durch meine Finger gehen.

Mein Hals fühlte sich rau an, in meiner Brust lag ein komisches Ziehen.

Mir war furchtbar kalt.

Ich versuchte die Augen zu öffnen, schaffte aber nur einen kurzen Augenschlag.

Es war dunkel, ich hörte es tropfen.

Es war kalt, roch moderig und alt.

Ich zitterte.

Fror ganz schrecklich.

Gleichzeitig war mir brennend heiß.

Ich schaffte noch einen Augenschlag.

Im Dunkeln sah ich zwischen dem Öffnen und Schließen meiner Lider eine Kette von der Decke hängen.

Dann wurde es wieder schwarz und still.
 

„Sky?“

„Mmhh...“ murrend und verwirrt zog ich meine Augenbrauen zusammen und wog leicht den Kopf.

„Sky?“, ich kannte diese Stimme. Eine Männerstimme. Dunkel und sanft.

„Süße?“, diese kannte ich auch. Weiblich, jung.

„Was…“, ich war ganz heiser. Ich räusperte mich kurz: „Was ist… Wer… Wo?“

Meine Augenlider waren so schwer, ich konnte sie nicht sofort öffnen.

Ich fror immer noch, aber nicht mehr so stark wie… eben?

Eine Hand erschien in meinem Gesicht: „Äuglein auf, meine Schöne.“

Es klickte in meinem Kopf.

Durch diese Erkenntnis schaffte ich es meine Augen aufzuschlagen.

„Undertaker?“, schaute ich in das wächserne Gesicht des Totengräbers.

Kurz fragte ich mich was mit ihm passiert sei. Dann erinnerte ich mich daran, in was für einem Schlamassel wir steckten.

Ich schaute mich um.

Rund um mich herum war die pompöse Bibliothek.

‚Komisch…‘

Spähte an mir herunter.

‚Jap‘, dachte ich bei mir: ‚Ein Wedel…‘

Wäre ja zu schön gewesen um wahr zu sein.

Doch wo war ich eben gewesen?

Ein Traum im Traum?

Als ich mich abermals umschaute merkte ich, dass ich nicht ganz auf dem Tisch lag.

Ich lag in Undertakers Armen.

Ich schaute wieder in sein Gesicht.

Er lächelte mir seicht entgegen.

Ein Gesichtsausdruck, der in mir sofort das Gefühl erweckte, dass eigentlich egal war, was passiert war.

Geschehen würde mir nichts.

Solange Undertaker irgendwie geartet an meiner Seite war, war ich sicher.

Er hielt mich und ich hatte das Gefühl am sichersten Ort der Welt zu sein, auch wenn es eine Welt war, die drohte sich in einen blanken Alptraum zu verwandeln.

„Was“, ich fragte trotzdem: „Ist passiert?“

Undertaker zuckte einmal kurz mit den Schultern: „Du hast gehustet und bist dann zusammengebrochen.“

„Echt?“, ich hatte noch nicht das Gefühl wirklich wach zu sein. Denken tat ich nur recht behäbig und ich fühlte mich noch schwerer von Begriff als sonst.

Langsam wanderten meine Augen durch meine Umgebung.

Alle sahen noch genauso komisch aus wie vorher.

Und alle sahen auf vielerlei Weisen nicht begeistert aus.

„Jup“ machte Grell: „Nicht, dass wir sowas noch brauchen würden. Mach uns ja nicht schlapp.“

„Hatschie!“, alle Köpfe wirbelten zu Amy.

Ich setzte mich sofort auf.

Amber hielt sich die Hand vor dem Mund: „Hatschie! Hatschie!“

„Alles ok?“, verschränkte Frederic die Arme.

Amy nickte: „Klar. Ich hab‘ nur genießt, weil ich ein Kitzeln in der Nase hatte.“

Lee seufzte und legte die Hand über die Augen: „Paranoia ist, wenn man bei einem Nießen denkt derjenige fällt gleich tot um.“

William richtete seine Brille: „Hier kann alles passieren. Die Möglichkeiten sind so gut wie unbegrenzt. Vorsicht ist mehr als nur angebracht.“

Amy hob die Hände: „Cool bleiben, Leute. Ich habe nur genießt.“

William hob eine Augenbraue: „Und Lady Rosewell hat nur gehustet. Ihr Menschen seid gefährdeter als wir Shinigami und der Dämon. Vergesse dies nicht.“

„Touché“, seufzte Amy und rollte die Augen an die Decke. Dann schaute sie wieder in die Gruppe: „Aber es geht mir gut. Es ist nur ein bisschen frisch hier drin.“

Ich musste Amy zustimmen. Auch ich fror.

Lee zog skeptisch die Augenbrauen zusammen: „Findest du?“

Amy blinzelte ihren Freund verwirrt an: „Ja, und?“

„Ich finde es nicht kalt hier drin. Ich fühle eigentlich überhaupt keine Temperatur“, der Asiate deutete auf seine Wunde: „Und ich hätte jeden Grund zu frieren, wenn ihr versteht“, Lee wandte sich zu Fred: „Du?“

Frederic schaute von Lee zu Amy und zurück: „Ich finde es auch kalt.“

Lee zog die Augenbrauen mehr zusammen. Er schaute zu mir: „Frierst du, Sky?“

„Öhm“, wie auf Kommando musste ich zweimal husten: „Ja, schon. Ziemlich.“

Lee schaute durch die Runde.

Ronald, Grell, William und Sebastian schüttelten den Kopf auf Lees stumme Frage.

„Ich verstehe“, hörte ich Undertakers Stimme.

Plötzlich landete etwas auf meinen Schultern.

Ich erkannte Undertakers Mantel.

„Ke he he. Dies hier ist ein Traum. Temperaturen sollte keiner spüren können.“

Ich schaute zu dem Bestatter.

Er hatte sich wieder hingestellt und sah ernst aus, was an ihm immer furchtbar gruselig wirkte. Er schaute Lee an: „Oder Schmerzen.“

„Sie macht mich halb wahnsinnig“, der Asiate bedeckte seine Wunde mit seiner Hand und schaute Undertaker an: „Frierst du?“

Undertaker grinste komisch: „Nein.“

Amy schüttelte den Kopf.

Gepeinigt schaute sie zu ihrem Patenonkel: „Was passiert hier?“

„Diese Welt existiert durch Brücken zwischen unseren Verständen“, Undertaker verschränkte die Arme: „Es ist keine andere Dimension, in die wir ohne unsere Körper gesperrt wurden. Lee hat Schmerzen. Skyler, Amber und Frederic frieren. Ich denke, dass wir noch mitbekommen, was mit unseren Körpern passiert. Wenn auch dumpfer, vielleicht verzögert, vielleicht verzehrt. Vielleicht sind das alles Indikatoren auf die Umstände, in denen sich unsere Körper befinden.“

Mein Herz sackte ab.

Wenn es stimmte und ein paar von uns fühlten sich anders, als die anderen…

„Aber“, stotterte ich: „Wir sind doch alle im Wohnheim…“

Nur Undertakers Augen wanderten zu mir: „Sicher?“

Ich merkte, wie ich meine Gesichtsfarbe verlor. Holz hin oder her.

Wo war ich?

„Wir müssen hier raus“, hauchte Amy.

Wo war Amy?

Lees Gesicht sah hart aus: „Doch wie?“

Waren wir noch zusammen?

Frederic atmete tief durch: „Ich habe keine Idee.“

Wer hat uns dort hingebracht?

„Das Alp hat sich diese Rose geschnappt“, Undertakers Augen wanderten durch die Anwesenden: „Was für eine Bedeutung hat sie?“

„Der Prinz“, Amy seufzte: „War in der Geschichte sehr eingebildet. Er hat eine als Bettlerin verkleidete Zauberin kein Obdach gewährt, weil sie alt und hässlich war. Daraufhin verwandelte sie den Prinz in ein Biest und seine Angestellten in Alltagsgegenstände. Diese Rose hält den Fluch und zeigt an der Anzahl der Blüten wie viel Zeit das Biest noch hat um die wahre, selbstlose Liebe zu finden und sich zu bessern.“

„Die Geschichte ist“, Grell schüttelte den Kopf: „Wirklich traurig.“

Amy zuckte mit den Schultern: „Jup… Doch es gibt ein Happy End. Durch einen Kuss wird der Fluch gebrochen und alle verwandeln sich zurück. Die Schöne heiratet ihr Biest und wenn sie nicht gestorben sind, lieben sie sich noch heute.“

„Hm“, Undertaker wackelte mit der Nase: „Erlösung durch einen Kuss wahrer Liebe. He he! Wie kitschig!“

„Romantisch!“, schrie Grell Undertaker an.

Der Bestatter schenkte dem roten Reaper nur ein belustigtes Lachen.

„Magst du solche Geschichten nicht?“, ich wusste nicht warum ich es fragte. Vor allem, da der Bestatter schon deutlich gemacht hatte, was er wohl davon hielt.

„Nicht mein Fall“, grinste mich der Totengräber mit geneigten Kopf an: „Das trieft mir zu sehr. Nehehehe!“

„Oh“, machte ich und schaute zur Seite: „Nun, dass… ist wohl dein gutes Recht.“

„Magst du solche Geschichten?“

Ich blinzelte kurz. Dann nickte ich: „Irgendwie… schon. Ich meine, klar, es ist kitschig, aber in gewissen Maße finde ich Kitsch ok. Und das drum herum macht die Geschichte ganz sympathisch.“

„Drum herum?“, der Kopf des Bestatters fiel zu anderen Seite.

„Also“, ich kratzte mich am Kopf: „Es geht ja nicht nur um die Romanze, obwohl sie natürlich das Kernstück ist. Die Angestellten halten zu dem Biest, obwohl es an ihrer Misere Schuld ist. Belle steht hinter ihrem Vater, der ein bisschen verrückt ist. Es geht im weitesten Sinne auch um… Zusammenhalt und Loyalität. Ich meine… Alle sind irgendwie total verrückt, aber es ist irgendwie auch alles ganz… harmonisch.“

Das Grinsen des unmenschlichen Totengräbers wurde ein Stück weiter: „Und das magst du? Zusammenhalt? Loyalität? Harmonie?“

Ich schlug die Augen nieder: „Ich glaube…“

„Du glaubst?“

Recht betreten schaute ich zu Boden.

Ich war mir nicht sicher, ob ich diese Wörter wirklich definieren konnte.

Zusammenhalt.

Loyalität.

Harmonie.

3 bedeutungsschwere Wörter.

Die meisten Menschen hatten ihre Definition von Zusammenhalt wohl aus ihrer Familie.

Doch meine Familie hatte nie sonderlich gut zusammengehalten. Mein Vater hatte meine Mutter und mich immer nach seinen Launen behandelt. Mit einem traurigen Lachen konnte ich sagen, dass er sehr wohl gute Zeiten hatte. Wenn er gut drauf gewesen war, war er ein recht normaler Vater gewesen. Er konnte auch lachen, animieren und erklären.

Diese Welt war nicht Schwarz und Weiß.

Sie war ein Mischmasch.

Grau.

Mein Dad war zwar nie der Typ Vater gewesen, der mit einem auf den Spielplatz ging, doch er hatte mir zum Beispiel etliche Kartenspiele beigebracht.

Mau Mau und schwarzer Peter, als ich ein bisschen älter war Skat, Rommé und Canasta.

Und vor allem hatte er mir gezeigt wie man darin schummelte.

Beim Kartenspiel war er sogar unglaublich geduldig gewesen. Es war nur logisch, dass eine 6-Jährige keine Canasta-Meisterin sein würde und nur weil sie im Groben die Regeln verstand, konnte sich eine Grundschülerin keine ausgefeilten Strategien ausdenken. Doch beim Kartenspiel hatte es nie Streit gegeben. Er hatte sich nie darüber beschwert, dass ich halt nur das einfachste zu Stande bekam.

In allen anderen Belangen hatte mein Vater allerdings einen extrem kurzen Geduldsfaden gehabt und ich war schon immer eine Meisterin darin gewesen meinem Vater die Laune so richtig zu vermiesen. Ich war eine Belastung gewesen, die meinen Eltern nichts zurückgeben konnte. Ich war da gewesen, kostete sie Geld, das sie kaum hatten, Nerven, die sie woanders besser hätten gebrauchen können und Zeit, die an anderen Enden fehlte. Somit war meine bloße Existenz ein Anlass zur schlechten Laune. Und wenn ich dann noch irgendetwas Dummes tat - was ich heute wie damals ständig tat - und mein Vater daraufhin wirklich schlechte Laune hatte, dann…

Na, man erntet ja bekanntlich was man sät. Und ein nutzloser Tollpatsch, wie ich, säte halt nichts Gutes. Folglich schmeckte auch die Ernte sehr sehr bitter.

Ich schüttelte den Kopf und den Gedanken ab.

Von Loyalität hatte ich zumindest eine Idee.

Dank Amy.

Sie stand hinter mir.

Sogar vor mir…

Ich würde auch gerne vor ihr stehen…

Doch ich war zu schwach, zu unbedeutend und zu nutzlos. Ich konnte wie ein Sack Schläge abfangen, doch das half nicht lange…

War ich also so loyal zu ihr wie sie zu mir?

Konnte jemand, der so unzulänglich und schwach wie ich war, überhaupt loyal sein?

Und Harmonie?

Das Gefühl mit sich und der Welt im Einklang zu sein?

Frieden?

Mein Leben war nie friedlich.

Irgendwo zwickte es immer.

Irgendein Gedanke ärgerte mich immer.

Und aufhören zu denken konnte ich nicht.

Stille war für mich nie still.

Auf Dauer war Stille sogar grausam, weil nichts die Gedanken in Bahnen lenkte und sie machten was sie wollten.

Und all diese drei Dinge.

Zusammenhalt.

Loyalität.

Harmonie.

Sie scheiterten immer an mir.

Ich pfiff scharf durch die Zähne und versuchte so den unangenehmen Druck und das heiße Ziehen aus meiner Brust und meinem Herzen und den Knoten aus meinen Magen entweichen zu lassen.

Der Erfolg war marginal.

„Bist du in Ordnung, meine Schöne?“

Mein Kopf zuckte hoch. Ich schaute in Undertakers Gesicht, welches direkt vor meinem war. Er hatte sich hingehockt um mit mir auf Augenhöhe zu sein.

„Ähm“, zwang ich meine Gedanken aus ihren unguten Runden und das Gefühl der totalen Nutzlosigkeit zurück in den Hintergrund, wo es mich stets und ständig begleitete: „Warum sollte ich nicht in Ordnung sein?“

„Nun“, Undertakers Kopf kippte wieder zur Seite: „Du hattest den Habitus mir einfach nicht zu antworten erfolgreich abgelegt. Deswegen frage ich mich, warum du ihn wieder an den Tag legst.“

„Äh“, was sollte ich ihm bloß sagen? Ich wollte nicht, dass Undertaker merkte wie unzulänglich ich war. Ich wollte, dass er dachte ich könnte wenigstens ein paar Dinge: „Tut mir leid. I-ich… Meine Gedanken sind mir ein wenig abgedriftet.“

„Du verstehst ein Mädchen einfach nicht“, grätschte Grell in das Gespräch und verschränkte die Arme.

Undertaker drehte den Kopf zu ihm: „Hä? Was hat A denn mit B zu tun?“

„Du bist wirklich ein Volltrottel.“

Grell und Undertaker debattierten kurz hin und her, doch bekam ich das kaum mit. Ich war einfach froh, dass Grell sich immer einmischen musste und er eine Art an sich hatte sofort die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Und im Moment wollte ich wirklich keine Aufmerksamkeit.

Diese Gedanken… Erinnerungen… Erkenntnisse… lagen mir unfassbar schwer im Magen und ließen sich nur mit viel Mühe unterdrücken. Grell gab mir tatsächlich ein bisschen Raum sie niederzuringen, was viel beschwerlicher war, war ich dabei im Fokus von irgendjemanden.

„Naja, wie auch immer“, grinste Undertaker nach ein paar verbalen Abtauschen mit Grell: „Was passiert, wenn der Rose was passiert?“

„Der Fluch kann nicht mehr gebrochen werden“, antwortet Lee.

„Die ganze Geschichte“, Undertaker hob eine Hand: „Dreht sich also darum, diesen Fluch mithilfe wahrer Liebe zu brechen?“

Amber nickte: „Ja, genau darum.“

„Gottchen“, Undertaker schmunzelte kurz: „Gihihi! Das ist unglaublich kitschig! Puhuhu!“

„Romantisch!“

„Geschenkt!“, Frederic machte eine wegwerfende Gestehe und unterbrach die Grundsatzdiskussion, die sich zwischen Grell und Undertaker anbahnte, bevor sie entstand. Man merkte wie gut auch der Erbe der Phantomhive seine Gefährten schon kannte: „Darum geht es jetzt nicht.“

„Ich weiß“, Undertaker grinste: „Doch ich glaube nun, ich weiß was die Spielregeln sind.“

„Lee ist vielleicht verletzt“, Amy stützte sich auf den Tisch und brachte ihr Gesicht zu Undertaker. Sie hatte Tränen in den Augen und wirkte aufgebracht: „Sky, Fred und ich vielleicht nicht mehr im Wohnheim und wir haben keine Ahnung was vor sich geht. Hör auf so scheiße zu grinsen und rede, Undertaker.“

„Die Geschichte nachspielen“, legte der Bestatter seinen Kopf schief: „Und ich tippe, die Rose muss dabei in eurer Nähe sein.“

Amy ging vom Tisch weg und setzte sich auf den Sessel.

Sie war bleich um die Nase.

„An dem Kuss wird es nicht scheitern“, Lee legte ihr die Hand auf die Schulter und grinste einmal.

Doch Amy schüttelte den Kopf.

Dann schaute Lee wieder in die Runde: „Doch die Rose hat das Alp und wir haben keine Ahnung wo es ist.“

„Der Aufenthaltsort der Rose ist allerdings bekannt“, sagte der Butler aus dem Nichts.

„Was?“, Ronald verschränkte die Arme: „Spinnst du? Wir haben keine Ahnung wo sie ist!“

„Ihr“, lächelte der Butler kalt.

„Sebastian“, Frederic schaute den Dämon kalt an: „Rede.“

Der Butler nickte: „Natürlich. Im Zentrum des Irrgartens.“

„Das sagts du uns erst jetzt?!“, polterte Grell.

„Er sollte ein Alp finden“, Frederic drehte sich von dem Dämon ab, nicht ansatzweise verwundert über das was passiert war: „Um die Rose ging es nicht.“

Grell schüttelte den roten Schopf: „Du kannst uns doch nicht solche Information vorbehalten, Bassy!“

„Mit Verlaub, meine Aufgabe war eine andere“, der Butler legte eine Hand auf die Brust: „Des Weiteren wurde ich bis zu diesem Zeitpunkt weder gefragt, noch fand ich Raum meine Entdeckungen zum Besten zu geben und als ich ihn fand, tat ich es ungefragt. Oder irre ich mich, Mr. Sutcliff?“

Grell schaute den Butler verdutzt an.

Mit dieser Antwort hatte er wohl nicht gerechnet, doch was sollte er dagegen schon sagen? Ganz Unrecht hatte der Dämon nicht. Auch wenn man merkte, dass ihn diese Umstände sehr gelegen kamen.

Grell beschränkte sich auf Schweigen und Starren, was zumindest laut Williams Gesichtsausdruck, die beste aller Alternativen zu sein schien. Die Tischuhr sah schon reichlich genervt aus, sichtlich nicht davon begeistert, dass der Dämon recht bekommen sollte und mit so einer Frechheit auch noch ungeschoren davonkam. Doch abgesehen von Williams Gesichtsausdruck, Frederics kalter Berechnung und Undertakers schallenden Lachanfall - der Williams verdüsterter Mine natürlich auf dem Fuß folgte - sahen alle doch eher drein wie Grell:

Ziemlich verdutzt.

„Wenigstens haben wir nun etwas mit dem wir arbeiten können, was eine Verbesserung unsere Situation um knapp 100 Prozent darstellt“, hatte Frederic sich gefangen und belächelte nun Williams stummen Frust.

„Aber dann ist ja eigentlich alles fein!“, rief Ronald auf einmal. Alle drehten sich zu ihm und warfen ihm den ‚Bist-du-jetzt-eigentlich-komplett-bescheuert-?‘-Blick zu, den sonst in einer konstanten Regelmäßigkeit Undertaker kassierte.

„Was?“, machte Lee nur, der nun auch keine Lust mehr zu haben schien sich ausschweifende Phrasen auszudenken und damit die Situation einigermaßen locker zu halten. Der König des East Ends wirkte einfach so, als habe er das alles hier mittlerweile furchtbar satt: „Irre oder so?“

„Wir haben ‘nen Plan, oder?“, Ronald hoppelte in seiner geflickten Tasse über den Tisch: „Ab in den Irrgarten, ein plakativ romantischer Kuss von euch beiden Turteltäubchen vor der verfluchten Rose und pling! Sind wir wieder da, wo wir hingehören!“

Ich hustete.

„Das klingt etwas zu einfach, um wahr zu sein. Findest du nicht auch?“, räusperte ich mich.

Ronald hob die Arme: „Manchmal sind die simplen Einfälle die Besten.“

„Und immer öfters wird man bei den simplen Einfällen von etwas gefressen“, William schob seine Brille hoch: „Einem Alp, beispielsweise.“

„Noah“, Ronald ließ den Kopf zu dem Kerzenständer kippen: „Undertaker, du als Verfechter des einfachen Weges, sag was!“

„Ki hi hi! William hat recht.“

„Wie ich mir da… Was?!“

„Na“, giggelnd hob der Bestatter eine Hand: „All die Mühen, um uns dann den Ausgang so zu präsentieren und sein 9-Gänge-Menü einfach entkommen zu lassen? Kehehehehe! Die Falle stinkt zum Himmel!“

„Und was sollen wir dann tun?“, verschränkte Ronald die Arme.

Der Totengräber breitete lachend die Arme aus: „Wir gehen zum Irrgarten, ihihihihihihihi!“

„Aber das habe ich doch auch gerade vorgeschlagen!“

„Und es wie einen Spaziergang klingen lassen“, verschränkte William die Arme vor seinem Ziffernblatt: „Der an sich in unserer Verfassung schon eine Unternehmung darstellt. Es ist eine Falle, es werden Probleme auf uns warten und nur weil uns die Alternativen fehlen heißt dies nicht, dass frühzeitige Euphorie und Vereinfachen in irgendeiner Form angebracht ist.“

Ronald hing sprachlos der Kiefer aus den Angeln.

„Und gebügelt“, grinste Frederic doch ein bisschen fies vor sich her.

„Jetzt wo das geklärt ist“, Grell ballte eine Hand zur Faust: „Können wir endlich einen Alp in den Hintern treten gehen? Ich hab den Vieh noch ein paar Takte zu erzählen.“

Amy stand mit neu hervorgekommenen Kampfgeist und unternehmender Mine auf: „Lasst uns keine Zeit verschwenden.“

Und ihr wiederaufgeflammter Kampfgeist tat was er immer tat:

Er steckte alle an.
 

Undertaker und ich auf Amys, Frederic und Sebastian auf Lees und William (sehr unfreiwillig) und Ronald auf Grells Schultern machten wir uns auf in den Irrgarten des Schlosses.

„Wow“, machte Amy und drehte sich zu dem Gebäude nachdem wir es verlassen hatten: „Das ist ja wirklich ein riesen Ding.“

Auch ich beschaute das große Schloss. Seine Fassade war weiß, doch alt und es wirkte, als habe es sich noch nicht entschieden, ob es eine Ruine, oder ein Prunkbau war. Kletter- und Rankpflanzen nahmen einen großen Teil der Fassade ein und der helle Anstrich war fleckig durch verblasste Stellen und dem Dreck etlicher Jahre. Doch das Gebäude an sich stand, wie ein Monument, welches an vergangene Zeiten erinnern wollte.

Mit großen Augen bestaunte ich das royale Gebäude und seinen stummen Kampf mit der Zeit.

„Ja, ja“, giggelte es auf Amys anderer Schulter: „Ein Schloss, dem Wandel der Zeit noch nicht ganz unterlegen und seinen Glanz noch nicht vollkommen verloren. So sehen sie immer aus, bevor sie endgültig vergessen werden und sich in eine bröckelige Ruine verwandeln. Kihihihihihi!“

„Nochmal wow“, machte Amy: „Wie man der Situation ihren Zauber nimmt, Part 1.“

Ich kicherte und wie nicht anders zu erwarten war tat Undertaker dies auch.

Die Gruppe ging weiter.

Der Garten war düster, lag nächtlich vor uns, und ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich seine schönen Pflanzen bewundern sollte oder mich gruselte. Die, die diesen Garten gepflegt hatten, hatten ihn schon lang verlassen. Die ehemals zugeschnittenen Pflanzen, Blumen, Bäume und Büsche hatten die ihnen gegebene Form verloren und drifteten in wahrloses Wuchern ab. Nur noch wenig von dem Zuschnitt war zu erkennen. Blumentöpfe und Gartenmöbel waren der Natur anheimgefallen, verschmutzt und überwuchert. Unkraut und natürlich gesäte Pflanzen wuchsen zwischen den wohl überlegt gesetzten Zierpflanzen.

Doch wie die Natur das Schloss und den Garten Stück für Stück zurück gewann hatte etwas Magisches. Es verlieh diesem Ort eine gewisse Mystik, untermalt von einem atemberaubenden glasklaren Sternenhimmel.

Doch die hellen Sterne warfen dunkle Schatten zwischen den Pflanzen und das Fehlen von Fackeln, Laternen und Lichtquellen an sich ließ diese Schatten unbehelligt wandern und walten.

Die mystische Düsternis hatte zugleich etwas Bedrohliches.

Vor allem in Anbetracht dessen was uns im Irrgarten alles erwarten konnte. Das Alp hatte alle Möglichkeiten uns sehr böse mitzuspielen und es war mehr als offensichtlich und logisch, dass es genau das tun würde.

Zweifel stiegen in mir auf.

Ich war keine Hilfe, viele von uns sehr eingeschränkt. Unsere Karten standen nicht zum Besten.

Mein Blick suchte Undertakers.

Wie immer, wenn ich mutlos wurde und nicht weiter wusste, suchte ich nach dem rettenden lächeln des Totengräber, welches mir immer wieder das Gefühl gab alles würde in Ordnung kommen.

Und ich sah es.

Undertaker schickte mir ein zahnvolles Lächeln entgegen, abenteuerlustig und selbstsicher, wie nur er es in so einer Situation sein konnte.

In einen Kerzenständer verwandelt und seinen Beinen beraubt wirkte der Totengräber nicht ansatzweise verunsichert. Eher hatte er eine provokativ unternehmende Ausstrahlung, die definitiv jedes fiese Alp dieser Welt herausforderte.

Ich lächelte zurück, sicher nicht halb so selbstbewusst, doch genauso ehrlich, da sich meine Zweifel ein Stück weit verzogen.

Ich war keine Hilfe, doch mit Undertaker musste man es erst einmal aufnehmen können.

Mein Lächeln brach ein und mein Blick fiel zu Boden.

Gleichzeitig mit diesem Gedankengang fühlte ich mich wie ein unnützer Parasit, der Undertaker brauchte um nicht nach zwei Schritten zu sterben und sich immer auf ihn verlassen muss.

Tat er doch immer so viel für mich, gab es kaum etwas was ich für ihn tun konnte.

Wie lange würde er so etwas mitmachen?

Amy hielt inne, was mich meinen Gedankengang abbrechen und aufschauen ließ.

Ihre königsblauen Augen wanderten durch den Garten und ließen merken, dass es ihr in Bezug auf ihre Umgebung wohl ähnlich erging wie mir.

Sie zuckte kurz, als Lee mit einem aufmunternden Lächeln ihre Hand nahm.

Hand in Hand, ihre Vertrauten und Familie auf den Schultern betraten Amy und Lee – die Adelstochter und der Drogenbaron – den finsteren Rosenirrgarten.
 

Einige Zeit wanderten wir durch das dunkelgrüne Labyrinth.

Lee, Grell, Frederic, William und Ronald verstrickten sich zwar irgendwann in Diskussionen wo lang wir gehen sollten und an welchen Strauch wir nun schon 5x vorbeigekommen seien, doch bemerkte ich dies nur am Rande.

Ich war in einen zehrenden Alarmzustand gerutscht, erschöpft, fror und fing immer wieder zu husten an.

Auch Amy und Frederic zitterten zunehmend und die jüngste der Phantomhive Geschwister nießte immer öfter.

Lee wirkte vollkommen erschöpft, sein gesamter Ärmel war mittlerweile durchtränkt und dunkelrot.

Ich erinnerte mich an die Theorien der 4 Sensenmänner und wünschte mir sie lagen falsch. Doch meine innere Stimme wusste ganz genau wie selten sie irrten. Wenn sie recht behielten wurde die Energie von uns Menschen gerade von einem Alp vernascht was uns massiv schwächte und mit unseren Köpern war irgendetwas überhaupt nicht in Ordnung.

Ich hatte Angst um uns und vor all dem was mit uns passieren könnte.

Oder gerade passierte.

Plötzlich raschelte es.

Alle Köpfe fuhren herum und sofort waren alle Zankereien verstummt.

Augen huschten durch den schlanken Gang des Irrgartens.

Amy drehte sich zu Lee, der sich umgewandt und dadurch ihre Hand losgelassen hatte: „Woher…!“

Doch bevor die Phantomhive ihren Satz zu Ende sprechen konnte wurde sie mit einem spitzen Schrei ihrerseits nach hinten gerissen.

„Amy!“, versuchte Lee noch nach ihrer Hand zu greifen, doch etwas zog sie samt Undertaker und mir zu schnell in die Rosenhecke.

Das Rascheln der Blätter um mich herum war ein ohrenbetäubender Lärm.

Ich blieb mit meinem Kleid an einem Ast hängen und wurde von Amys Schulter gerupft.

„Amy!“, rief auch ich, streckte die Hand aus, konnte meine beste Freundin allerdings nicht mehr erreichen. Sie verschwand hinter den Blättern und ich hatte nur einen Gedanken:

Ich betete zu allen Göttern, die ich kannte, zum Karma und zum Schicksal und zu allem zu dem man beten konnte, dass Undertaker es geschafft hatte bei Amy zu bleiben.

Ich hing derweilen baumelnd an einem Ästchen.

Schöne Sch-sch-schande…

Meine Situation wäre ja schon fast zum Lachen – Undertaker würde so oder so lachen – wenn nicht vielleicht im selben Moment meine beste Freundin von einem Alp gefressen wurde!

Ich wedelte mit meinem Wedel und versuchte mit meinen Händen den Ast zu erreichen und mich los zu machen.

Es funktionierte nicht, aber durch mein Herumgewackel brach das Ästchen ab und ich plumpste mit einem Aufschrei und Nase voran aus der Rosenhecke.

Ich blieb auf meinem Gesicht liegen.

„Das kann doch alles nicht wahr sein…“, nuschelte ich ins Gras.

„Na, na, wer sieht denn so geschlagen aus?“

Mein Kopf zuckte hoch.

Undertaker grinste mir entgegen: „Bist du in Ordnung, mein kleines Blumenkind?“

„Blumen…kind?“, ich war verwirrt.

In der Nähe des Bestatter war dies allerdings mein Normalzustand und das auf jede erdenkliche Weise.

Undertaker beugte sich zu mir herunter und zupfte mir etwas aus den Haaren. In seiner Hand hielt er zwei tief rote Rosenblätter.

„Steht dir“, lächelte der unmenschliche Totengräber: „Das Rot ergänzt deine Haarfarbe wunderbar. Und auch deine neue Frisur kleidet dich ganz wunderbar.“

Ich blinzelte Undertaker irritiert an.

Der weiche Ausdruck in seinen Augen und das warme Lächeln entrückte mich der Situation. Doch meine Verwirrung machte schnell einen wichtigeren Gedanken Platz.

„Wo ist Amy?!“, fragte ich entsetzt darüber, dass mich ein Kommentar des inkognito Shinigamis so hemmungslos von der Tatsache abgelenkt hatte, dass meine beste Freundin vielleicht in Gefahr war. Andererseits wirkte der Totengräber nicht so, als gäbe es Grund zur Besorgnis. Steckte Amy wirklich in Problemen wäre er wohl kaum so ruhig.

Undertaker zeigte mit seinem Daumen nach rechts und wirkte eher amüsiert als besorgt, was mir endgültig verriet, dass es wohl auch wirklich keinen Grund sich zu sorgen gab: „Sich ärgern. Kihi.“

Ich folgte seinen Daumen und sah eine Amy, die fluchend und niesend, aber lebendig an der Rosenhecke auf und ab ging.

Ich schaute zurück zu Undertaker: „Was… war das dann eben?“

„Das Alp“, Undertaker nahm die Hand hoch und blies sachte die zwei Rosenblätter in den Wind.

Tänzelnd wehte die Briese sie davon.

Ich wandte meinen Blick zu Undertaker nachdem die beiden verspielten Rosenblätter im Nachthimmel verschwunden waren: „Und wo ist es?“

„Getürmt“, grinste der Bestatter.

Ich seufzte: „Und warum?“

Dass der Mann nicht einfach alles erzählen konnte.

Ich hatte das Gefühl er war schon ein kleiner (Melo)Dramatiker.

Undertaker allerdings giggelte nur: „Ki hi hi hi! Wenn man ein bisschen Ahnung von dem hat was Geister überhaupt nicht mögen, braucht man weder Beine noch Größe noch eine Death Scythe.“

„Undertaker“, ich schüttelte den Kopf: „Mir steht gerade wirklich nicht der Sinn nach Frage-und-Antwort-Spielen. Außerdem belustige ich dich doch oft genug, dass ich mittlerweile bei dir eine Rabattkarte beantragen könnte, oder? Könntest du also bitte einfach zusammenhängend erzählen was passiert ist?“

Das Lachen, das den Totengräber jetzt entfuhr, war höchst gefällig: „Kehehehehe! Die junge Dame hat auch noch einen Sinn für das Geschäftliche!“, er beugte sich wieder zu mir und hielt mir seine Hand hin: „Es ist höchst erfreulich, dass du dir deinem Wert bewusst zu werden scheinst.“

Ich bekam meine Augen nicht von diesem riesigen Grinsen los. Seine Augen waren ein Stück zusammengezogen und so in die freundlichsten Falten gelegt, die ich je gesehen hatte.

Undertaker reckte seine Hand noch mehr nach vorne, als ich sie nicht griff, sondern wie versteinert in sein Gesicht schaute.

Diese Bewegung ließ meine Augen zu seiner Hand wandern.

Kaum sah ich sie, blinzelte ich: „Was ist das?“

„Das“, Undertaker zeigte grinsend seine Zähne: „Ist das, was passiert ist.“

Irritiert beschaute ich die Handfläche des Bestatters.

In das elfenbeinfarbene Wachs waren ein Kreis eingeritzt, indem ein kleinerer Stand. Durch den kleinen Kreis zogen sich 4 überkreuzende Linien deren Enden mehr als ungewöhnlich gestaltet waren. Eins erinnerte an das buddhistisches Sonnenkreuz mit kleinen Kreisen an den 4 Enden, eins an ein umgedrehtes Dreieck mit zu lang gezogenen Linien, das dritte an ein W mit Kreisen an den oberen Zacken, das vierte zeigte ein M, das fünfte Ende war eine geschwungene Linie mit 2 kleineren darunter, das Sechste ein Oval mit einem Strich innen drin, das siebte ein Dreieck unter dem ein Strich stand und das achte zwei Striche mit heruntergezogenen Enden. Zwischen den Kreisen standen Symbole, die an eine Schrift erinnerte, doch ich erkannte nicht was für eine.

„Was ist das?“, fragte ich den Totengräber ahnungslos, da mich dieses Symbol wirklich an nichts erinnerte.

„Das 28 der 44 Siegel König Solomons“, grinste mir Undertaker entgegen: „Ke he he. Das Dritte Pentakel des Saturns, um genau zu sein. Es schützt gegen die Verschwörungen Anderer und gegen böse Geister.“

„Und“, machte ich blinzelnd: „Was hat das gemacht?“

„Fuhuhu! Dem Alp die Lust genommen, sich Amber und mir auf weniger als zwei Meter zu nähern.“

„Das hat wirklich funktioniert?“, wie Undertaker es formuliert hatte klang es eher nach esoterischen Humbug.

„Warum sollten wir sonst so unbehelligt hier herumstehen, wenn das Alp Amber schon am Schlafittchen hatte?“

Punkt für den in einen Kerzenständer verwandelten Bestatter.

„Glaubst du nicht an Magie, junge Sky?“, grinste er mir weiter entgegen.

„Also“, ich druckste kurz: „Eher… nicht?“

Der Totengräber begann zu lachen.

„Was ist jetzt wieder so komisch“, zog ich meine Augenbrauen etwas beleidigt zusammen. Ich hatte mich schon zu größten Teilen daran gewöhnt von ihm hemmungslos ausgelacht zu werden – anders wäre seine Gegenwart wohl auch sehr unerträglich – doch ich wollte wenigstens verstehen warum.

Der Bestatter stützte sein Gesicht auf einen Arm und diesen auf seinen zweiten: „Nun, pu hu hu, es ist erstaunlich, dass du es immer wieder schaffst eine Antwort wie eine Frage klingen zu lassen. Ich komme dann nie drum herum mich zu fragen, ob du dir deiner Antwort überhaupt sicher warst.“

Ich schaute zur Seite: „Ich… frage mich das selbst öfter…“

„Warum forderst du dir dann keine Zeit zum Nachdenken ein?“

„Weil…“, ich seufzte tief: „Ich weiß es nicht…“

„Nun ich gebe dir auf jeden Fall etwas zum Nachdenken“, ich schaute dem Totengräber in sein lächelndes Gesicht: „Du bist des Öfteren umgeben von Sensenmänner und einem Dämon, selbst ein verfluchtest Kind, wurdest von einem Alp in einen Traum gesteckt und glaubst nicht an Magie?“

Zweiter Punkt für den lachenden Kerzenhalter.

„Du“, mein Kopf fiel nach unten, als ich mir doch ziemlich doof vorkam: „Hast damit wohl recht… Dass klingt ziemlich unlogisch…“

Zumindest unlogischer, als meine unlogischen derzeitigen Lebensumstände an sich, die der Bestatter doch sehr gekonnt auf den Punkt gebracht hatte.

Eine Hand erschien vor meinem Gesicht: „Na na. Schaue nicht so bestürzt, dazu gibt es keinen Grund. Du bist in unserer Runde schließlich noch neu, aber du solltest dich daran gewöhnen, dass die ein oder andere Fantasterei wahrer ist, als du bis jetzt zu denken pflegtest.“

Meine Augen wanderten die Hand des Totengräbers hinauf und blieben in seinem Gesicht hängen. Sein Lächeln rettete ein weiteres Mal meine Welt.

„Wahrscheinlich…“, ich schaffte ein dünnes Lächeln und rieb mir meinen Nacken, wo die feine bizarre Narbe war: „Hast du Recht.“

„Gihihihi“, giggelte er: „Ganz sicher habe ich das.“

Ich seufzte: „Wir sollen die anderen finden, oder?“

Undertaker nickte: „Das wäre sicher angebracht, nihihihi! Schließlich gehören zu einem romantischen Kuss immer zwei. Hehehehe!“

Man merkte an seiner Art zu reden, wie albern er das alles fand. Und wenn er etwas albern fand, musste es in seinen Augen ein gesteigertes Maß an Blödheit erreicht haben.

Ich schaute von rechts nach links, von links nach rechts.

Der Gang, in dem wir standen wirkte lang und gerade. Zumindest verschluckte die Nacht beide Enden.

Beim herumschauen trafen sich der Blick von Amy und mir.

Ein erstaunt erleichtertes Lächeln erschien auf ihren Zügen und sie tat ein paar schnelle Schritte, bevor sie vor uns auf die Knie fiel.

Ungefragt schnappte sie mich und kuschelte mich mit ihrer Wange: „Oh Süße, ich habe mir Sorgen gemacht, als du nicht da warst!“

„Ich…ähm… landete in einer verzwickten Situation…“

Amy entferne ihre Hände von ihrem Gesicht, sodass ich ihr in selbiges schauen konnte: „Alles ist hier ziemlich verzwickt. Wir müssen die anderen finden.“

„Und wie? Man kann nur raten wo sie sind oder wo wir sind.“

„Nihihi, meine Damen, nicht so negativ!“

„Ich bin nicht negativ“, machte Amy, was mir nur einen angefressenen Gesichtsausdruck entlockte.

Ich war höchstens realistisch!

Und realistisch gesehen hatten wir einfach keine guten Karten!

„Vielleicht sollten wir dahin schauen, wo Menschen nie hinschauen. Kehe!“

„Und wohin schauen Menschen nie?“, zog die Phantomhive eine Augenbraue hoch.

Breit grinsend deutete Undertaker in den Himmel.

Amy und ich schauten gleichzeitig nach oben.

Ein Schatten kreiste über unseren Köpfen, nur im nachtschwarz sichtbar, weil er das Licht der vielen Sterne verdeckte.

„Sebastian!“, rief Amy.

In dem Moment setzte der Schatten zum Sturzflug an.

Neben uns auf einer Hacke landete in der Tat der Butler: „Soll ich die junge Lady zu den anderen führen?“

„Gott, Sebastian“, Amy wirkte ungemein erleichtert: „Ja, bitte.“

„Fliegen können ist praktisch, kihihihi!“

„Jetzt komm schon“, machte Amy und nahm Undertaker und mich wieder auf ihre Schultern: „Ich will endlich hier weg.“
 

Sebastian segelte über unsere Köpfe.

Da er von oben das Labyrinth überblicken konnte führte er uns zielsicher durch die Gänge und Abzweigungen.

Zuversichtlich folgte die Adelstochter dem in eine Taube verwandelten Butler und rannte ihm hinter her durch den Irrgarten.

„Sicher hüpft uns gleich irgendwas entgegen“, seufzte ich in den ‚Fahrtwind‘, den Amys Lauf mir um die Ohren wehen ließ.

„Kehehehe! Selbst wenn“, grinste Undertaker und winkte mit der Hand, auf der dieses komische Zeichen war: „Man muss nur wissen wie man es handhaben muss.“

„Deine Zuversicht will ich haben…“

„Oh bitte! Kehehehe! Ich habe genug davon, ich mache dir einen Sonderpreis!“

Verständnislos schüttelte ich den Kopf: „Du bist ein… AH!“

Bevor ich dazu kam dem Totengräber zu sagen was ich den von diesem Angebot hielt, sackte ich ein ganzes Stück nach unten.

Um genau zu sein sackte Amy ein ganzes Stück nach unten.

„Mein Fuß!“, rief die Adelstochter aufgeregt, als ich noch gar nicht sehen konnte was überhaupt passierte: „Etwas hat meinen Fuß!“

Doch Amy kam auch nicht dazu mehr zu erzählen.

„Butler! Hol die Anderen!“

Ich sah wie Amys Hände versuchten sich in der Wiese festzukrallen.

Sie verruchte nach vorne zu kommen, hinterließ tiefe Spuren ihrer Finger in dem erdigen Boden.

Sie wehrte sich gehen was auch immer passierte mit Lebenskräften, was ihren Körper beben ließ und mir das Gefühl gab mitten in einem Erdbeben zu stecken. Ich krallte mich in ihrem Ärmel fest, um nicht von ihrer Schulter geschüttelt zu werden.

Als ich schaffte über meine eigene Schulter zu schauen, sah ich das die Adelstochter bis zu den Oberschenkeln im Rasen steckte.

Es war kein Loch, in das sie gefallen war. Sie war Knie abwärts einfach in der Wiese verschwunden und sank mit jedem Ruck ein Stückchen mehr.

Ein weiterer großer Ruck kam und Amy schrie auf: „Ich werde runtergezogen!“

Das Alp!

Ganz sicher!

Ich wollte mir nicht vorstellen was passierte, wenn Amy ganz nach unten gezogen wurde. Aber was sollte ich tun?!

Ich war ein verdammter Staubwedel! Knappe 60 cm groß!

Doch ich konnte ihr nicht einfach ihren Schicksal überlassen!

Ich sprang ich von ihrer Schulter. Griff eine ihrer Handgelenke und stemmte mich mit aller Kraft nach hinten.

„Sky!“, Amy schaute mich an, Tränen in den Augen: „Verschwinde! Du wirst nur mitgezogen!“

„Selbst wenn!“, presste ich meine Stimme durch meine Zähne, während ich mit allen Kräften die ich hatte versuchte gegen den Abwärtssog zu zehren: „Ich lasse dich sicher nicht allein!“

„Süße! Das bringt doch nichts!“

Doch ich zog weiter: „Entweder wir kommen zusammen hier raus, oder gehen zusammen vor die Hunde!“

Plötzlich schüttelte Amy ihre Hand: „Das ist Schwachsinn!“

Die Bewegung ließ mich hin und her schleudern: „Lass das!“

Ich konnte tun was ich wollte.

Amy schüttelte ihre Hand noch einmal mit Schwung…

… und ich verlor den Halt und flog durch die Luft.

Unsanft landete ich in der Wiese und rollte nach der Landung noch weiter. Der Aufprall hatte mein Sichtfeld in ein buntes Flimmern verwandelt und das Rascheln des Grasses war ohrenbetäubend.

Es waren nur Sekunden, doch die Zeit bis ich ausgerollt war fühlte sich an wie eine Ewigkeit.

Ich blieb halb benommen bauchlinks liegen.

„Hör auf dich zu wehren!“, hörte ich eine Männerstimme.

„Bist du verrückt?!“, protestierte die Phantomhive.

„Ja vollkommen, aber das ist jetzt nicht wichtig! Vertrau mir, Amy!“

Ich stemmte mich auf und sah meine bis zu Brust verschwundene Freundin, deren Finger bis zum zweiten Glied in die Erde gekrallt waren.

„Amy!“, sofort sprang ich auf die Borsten und renn-wackelte so schnell ich konnte zu ihr: „Amy!“

Ich fiel auf die Knie, als mich nur noch Zentimeter von ihr trennten, weil dies die Distanz schneller verkürzte als weiter zu laufen.

Hastig versuchten meine Finger irgendwas zu greifen.

Doch ich bekam nur eine Haarsträhne zu fassen, die Amy aus der Frisur gerutscht war, bis sie ihre Finger aus dem Erdboden zog und mit einem schmatzenden Geräusch im Boden verschwand.

Ihre lange Haarsträhne zog mich ein Stück mit - eine sehr unangenehme Achterbahnfahrt - die noch unangenehmer endete, als ich hart auf der Wiese aufschlug und nun endgültig nur noch bunte Sterne sah, die sich schnell in schwarzes Nichts verwandelten.
 

Ich zitterte und schwitzte gleichzeitig.

Mein Kopf dröhnte.

Ich hörte es tropfen.

Atmen fiel mir schwer.

Ich hustete, hatte aber selbst danach das Gefühl keine Luft zu bekommen.

Meine Lider flackerten auf.

Ich sah die Kette.

Musste husten.

Ich wollte meine Augen öffnen, bekam aber wieder nur ein halbherziges Flattern zustande.

Ich sah nackte Steinwände.

Ein Gitter anstatt einer Wand zu meiner rechten.

Ein Hustenanfall folgte und meine Atemnot schmetterte mich zurück ins Schwarz.
 

Meine Gedanken krochen zäh wie Kaugummi wieder in meinem Kopf.

Ich war verwirrt und konnte keinen meiner Gedanken fassen, auch wenn sie durch meinem Kopf schwappten, als steckten sie in dicken nur noch halbflüssigen Teer.

Mein Körper war dumpf, doch ich hatte mich mittlerweile an dieses Gefühl gewöhnt.

Nur kalt… kalt war mir immer noch.

Langsam bewegte ich meine Finger.

An einer Hand funktionierte es nicht recht.

Meine Finger fühlten sich an wie gefesselt.

Es dauerte ein bisschen, doch nach dem vierten Wimpernschlag schaffte ich es die Augen zu öffnen.

Ich hob die Hand, die sich gefesselt anfühlt, zu meinem Gesicht und sah schwarz-blaue Haarsträhnen, die sich um meine Finger gewickelt hatten.

‚Amy!‘

Der Gedanke an meine beste Freundin in Problemen verscheuchte sofort den Dussel aus meinem Kopf.

Mein Herz ging von 0 auf 100.

Ich setzte mich auf und tastete die Wiese ab: „Amy?!“

Doch da war nichts.

Nichts verbreitete auch nur die Idee, dass die jüngste der Phantomhives hier gewesen war.

„Amy…“, ich ließ den Kopf hängen.

Sie war weg.

Und ich hatte ihr nicht im Ansatz helfen können.

Eine Träne tropfte ins Gras, als ich verzweifelt meine hölzernen Finger hinein krallte: „Es tut mir leid…“

Amy half mir immer.

Und ich?

Ich habe sie wahrscheinlich noch abgelenkt, weil sie damit beschäftigt war mich abzuschütteln!

„…Es tut mir so leid…“

Mir entfloh ein tiefes Schluchzen.

Wo war sie jetzt?

Stand sie jetzt alleine dem Alp gegenüber?

‚Allein?‘

Der Gedanke traf ich wie ein Schlag.

Nicht nur Amy und ich waren hier gewesen…

Wie vom Blitz getroffen schaute ich mich um: „Undertaker?!“

Vor mir… nichts.

Ich setzte mich auf meinen Hosenboden und drehte mich nach hinten: „Undertaker?!“

Auch hier nichts.

Das bedeutete… dass Undertaker es geschafft hatte bei Amy zu sein!

Oder?!

Ich schlug meine Hände vor mein Gesicht: „Mein Gott… Pass bitte bitte auf sie auf…“

Doch ich fühlte mich ein Stück erleichtert.

Ich war überhaupt keine Hilfe, aber Undertaker würde auf sie aufpassen. Ich war mir fast sicher, dass sie sicher war.

Doch auch wenn ich wusste, dass sie einen sehr guten Verbündeten an der Seite hatte, waren meine Sorgen nicht ganz vom Tisch.

Auch Undertaker maß vielleicht 70 cm. Er hatte wahrscheinlich eine Menge an physischen Attributen eingebüßt, die ihm sonst einen Vorteil verschafften. Doch er war immer noch kreativ und wusste mit Geistern umzugehen. Er war trotz allem 100x nützlicher als ich.

Nachdem sich mein vor Sorge pochendes Herz aufgrund dieser Erkenntnis ein Stück beruhigt hatte, fiel mir ein weiterer Umkehrschluss ein.

Ich war allein!

Ich ließ die Hände sinken und schaute mich um.

Es war dunkel.

Die Büsche um mich herum waren nicht mehr als schwarze, unheilvolle Schatten.

Und ich hatte keine Ahnung wo ich war.

Mein Herz fing wieder zu rasen an.

„Ist hier jemand?“, mein eigenes Rufen ließ mich zusammen zucken, weil es auf einmal so laut klang.

Ich legte die Hand mit Amys Haaren auf meine Brust und zog meinen Wedel an meinem Körper.

Ich hörte nichts.

Nicht mal das Rauschen meines Blutes in meinen Ohren.

Die Todesstille gepaart mit dem schier endlosen Düstern ließ meinen Atem schneller gehen.

Mein hechelnder Atmen vertrieb zwar die Stille, machte mein Empfinden allerdings überhaupt nicht besser.

Ich wusste nicht wo Undertaker und Amy waren!

Ich zog meinen Körper zu einen kleinen Packet zusammen.

Ich wusste nicht wo ich bin!

Ich kniff Augen und Lippen zusammen.

Oder die andern 6!

Ich krallte alle Finger um die Haarsträhne, um das letzte was mir von meinen Freunden geblieben war.

Ich wusste nicht, wie ich irgendjemanden finden sollte…

Ich konnte ja noch nicht mal richtig laufen!

In meinem Kopf überschlugen sich die Probleme, die Angst, die Sorge, minutenlang und so sehr, dass ich nicht auch nur ansatzweise auf eine Lösung kam.

Das Einzige, was ich hatte, war…

…Panik.

Sie packte mich mit klammen Fingern und schnürte mich ein.

Ich versackte soweit darin, dass meine Umgebung für mich nicht mehr existierte.

Plötzlich - vollkommen aus dem Nichts – wurde ich hochgehoben.

Der Schreck fuhr mir wie Glasscherben durch meinen dauerfröstelnden Körper.

Ich fror ein, bevor mich sekundenspäter die brennende Angst packte.

„Nein!“, kreischte ich, als ich um mich schlug und tritt: „Lass mich in Ruhe!“

Doch auf meine Gegenwehr wurde mit einem Klammergriff geantwortet.

Alles zog sich in mir zusammen, mein Atem ging wie ein Maschinengewehr: „Lass mich!“

Ich spürte wie sich meine Nägel in etwas Weiches bohrten, als ich wild um mich kratzte.

„Au!“

Ich wurde losgelassen.

Und fiel tief: „AAAHHH!!“

Kurz vor dem Boden wurde ich aufgefangen: „Sky!“

Ich hielt inne und riss die Augen auf.

„Beruhige dich.“

Ich kannte diese Stimme!

Ich hörte etwas entfernt das Gongen einer Uhr.

„Du tust dir noch was.“

Verwundert wandte ich meine Nase vom Rasen nach oben.

Ich sah in ein junges Männergesicht, garniert mit schmalen Augen und zwei großen Hörnern: „Lee?“

Der Asiate legte sein Gesicht in ein Lächeln: „Du bist ja vollkommen aus dem Häuschen.“

Lee setzte mich auf seine Hände und hob mich hoch.

Auf seinen Schultern sah ich Fred und Sebastian, über seiner Schulter sah ich Grell, William und Ronald ankommen.

In meinem Kopf machte es klick.

Um mich ging es gar nicht!

„Amy!“, ich griff Lee an der Seite seines Reverse die noch weiß war: „Amy ist weg!“

Lee schaute sich um.

Der sonst so positiv wirkende Mann sah müde und geschafft aus. Wenn ich es richtig interpretierte sogar ein Stück entmutigt.

„Das habe ich mir fast gedacht“, seufzte er und schaute mich wieder an: „Bist du ok?“

„Um mich geht es nicht!“

„Um dich geht es genau so sehr, wie um jeden anderen hier. Wie sitzen alle im selben Boot.“

Ich schaute dem Partner meiner besten Freundin ins Gesicht und spürte meine Mundwinkel einbrechen: „Ich konnte nichts machen, Lee…“

Doch Lee schüttelte den Kopf und tätschelte zweimal meinen: „Es ist nicht deine Schuld“, er hob meine Hand an, um die immer noch Amys Haare gewickelt waren: „Du hast sicher alles versucht. Danke dafür.“

„Wofür denn?!“, mein Rufen wurde von meinem schlechten Gewissen erstickt, als ich Amys Haare sah: „Sie ist weg…“

„Aber sie wusste, dass jemand da ist, der um sie kämpft und das ist viel wert. Du warst da“, Lee seufzte schwer: „Ich nicht.“

Ich ließ die Schultern sinken: „Du hast es dir nicht ausgesucht…“

„Du auch nicht“, lächelte er dünn und schaute sich dann um: „Aber es gibt wohl jemanden, der sich ausgesucht hat wo er sein will.“

„Hm?“, machte ich verwirrt: „Was meinst du?“

Die schmalen Augen des Asiaten huschten noch einmal hin und her, dann wandte er sie wieder mir zu: „Undertaker fehlt. Er ist bei ihr, oder?“

„Ich…“, ich seufzte schwer: „Weiß nicht… Ich denke. Bevor sie verschwand habe ich ihn noch was rufen hören.“

„Was denn?“

„‘Hör auf dich zu wehren‘…“

„Was soll der Mist denn?“, verschränkte Grell, der mittlerweile neben Lee stand, die Arme.

„Nun“, der Butler stützt sein Kinn auf einen Flügel, den er auf den anderen stützt: „Die junge Lady hatte keine Chance. Lady Rosewell und Undertaker konnten ihr wohl auch nicht recht helfen. Vielleicht hoffte Undertaker, die junge Lady so in eine bessere Position zu bringen.“

„Wie das denn?“, zog Ronald eine Augenbraue hoch.

„Das Alp schien gelernt zu haben“, wandte der Butler den Kopf ein Stück zu dem jüngsten Reaper: „Die junge Lady steckte in der Wiese, das Alp unter ihr, es war Undertaker weder möglich das Alp zu erreichen, noch war es möglich sie vor dem versinken zu hindern. Jede Position, in der das Alp sich nicht unter der jungen Lady und dem Erdboden verstecken konnte, wäre eine bessere.“

Lee nickte: „Wir wären so oder so zu spät gewesen.“

Sebastian nickte: „In euren derzeitigen Zuständen, in der Tat.“

Der Asiate legte eine Hand an seinen immer noch blutenden Hals, sagte aber nichts weiter. Sein Blick verriet, wie sehr es ihm zusetzte, dass Amy verschwunden war.

„Doch“, Ronald schüttelte den Kopf: „Wo ist sie jetzt?“

Ich schaute den jungen Reaper an: „Ich habe keine Ahnung…“
 

Alles debattieren brachte nichts.

Herumstehen auch nichts.

Ich war auf Lees Schulter gewandert, da Sebastian über unseren Köpfen herflog und uns den Weg in das Herz des Irrgartens wies.

Wir hielten die Augen auf, suchten die Umgebung mit unseren Blicken nach Hinweisen ab, die uns vielleicht verrieten wo Amy und Undertaker hin verschwunden waren.

War der Gedanke, Undertaker habe es vielleicht geschafft bei Amy zubleiben, erst erleichternd gewesen, hatte er sich nun in meinem Kopf in etwas nur noch Besorgniserregenderes verwandelt.

Denn ich hatte angefangen mir Sorgen um beide zu machen.

Was ist, wenn Undertaker irgendwo anders gelandet war?

Und sicherlich gab es noch Alternativen, die ich mir gar nicht vorstellen konnte.

Furchtbare Alternativen!

Ich hoffte so sehr, es ging beiden gut.

Ich hoffte so sehr, wir fanden sie wieder.

Doch wir sahen nur dunkle Büsche und düsteres Gras.

Also folgten wir Sebastian weiter, auf dem Weg zu der Rose, den einzigen Anhaltspunkt den wir hatten.

Die Gesichter wirkten zunehmend entmutigt.

Selbst, wenn wir die Rose fanden, der ursprüngliche Plan ging nicht mehr auf.

Dafür brauchten wir Amy.

„Dieses Scheißvieh…“, fluchte Grell irgendwann: „Dem hau ich meine Schranktüren so lange um die Ohren, bis es nicht mehr weiß was es eigentlich ist!“

„Also bis es so schlau ist wie wir?“, schaute Ronald Grell an.

„Wir wissen was es ist!“

„Wir denken, wir wissen was es ist, Sutcliff.“

Grell seufzte lange: „Ist es so unnachvollziehbar, dass ich sauer bin?“

„Das hat niemand gesagt“, William schob seine Brille hoch: „Doch meckern bringt uns nicht weiter.“

Grell seufzte: „Du hast ja recht. Jemand einen guten Ratschlag?“

„Erstmal die Rose holen“, schnaubte Fred: „Und dann Amy suchen.“

„Und Undertaker!“, rutschte es aus mir raus, so plötzlich, dass ich mir selbst die Hand auf den Mund schlug.

Lee allerdings kicherte: „Klar, den auch.“

Ich schaute zu Lee.

Sein Kichern machte mir Sorgen.

Also nicht das Kichern an sich, sondern die Art wie er kicherte.

Es klang müde, fast schwach.

Lee war bleich.

Die schwarzen Schatten unter seinen Augen, waren fast bedrohlicher als seine Monster-Features, oder sein halb vollgeblutetes Hemd.

„Geht es?“, fragte ich.

Lees Augen mit den Katzenpupillen wanderten zu mir: „Es geht. Nicht gut, aber es geht.“

„Uns rennt die Zeit davon“, warf William von der Seite ein.

„Warum denkst du das?“, machte Ron mit verschränkten Armen: „Schlägst du gleich 12?“

Fred wog den Kopf zu Ronald: „Mach so weiter und für dich schlägt es gleich 13.“

William beschaute den Jungspund tadelnd: „Außerdem geht es mir nicht um die Uhrzeit, sondern um Mr. Fengs Verfassung.“

Ronald hob die Hände: „Ist ja gut, ist ja gut. Wir haben keine Zeit, keinen Plan und zwei Leute weniger. Das sind also unsere Begleitumstände, ja?“

„Wir haben ‘nen Plan“, seufzte Fred: „Wir wissen nur nicht, ob er richtig ist.“

„Und wir brauchen Amy dafür“, Lee wischt sich durch die Augen.

„Undertaker ist bei ihr“, wandte sich Fred nun zu seinem besten Freund.

„Ich hoffe, du hast Recht…“

„Wir sollten aufhören so schwarz zu sehen!“, versuchte ich zuversichtlich in die Runde zu lächeln.

Lee und Grell stoppten und alle schauten mich an.

Mein Lächeln brach ein Stück ein: „Oder nicht?“

„Das ist eigentlich Undertakers Text“, schmunzelte Lee erschöpft.

„Ja… und… der ist nicht da, also dachte ich…“

Fred fing an zu lachen: „Sie hat Recht. Irgendwie geht es hier raus.“

Verunglückt lächelte ich zu Fred.

Der zwinkerte mir einmal zu und schaute dann in die Runde: „Wenn wir den Kopf in den Sand stecken, kommen wir erst recht nicht weiter. Holen wir uns die Rose und wenn uns die Optionen ausgehen, verprügeln wir halt das Alp damit.“

Lee lachte einmal auf: „Das ist doch mal ein Plan, mit dem man was anstellen kann!“

Die Gruppe setzt sich unter ein bisschen Gelächter wieder in Bewegung.

„Glaubt mir, meine Lieben!“, grinste Grell: „Für das Biest hab ich noch zwei Schranktüren, ein halbes Dutzend Schubladen und 4 Standfüße, die ich dem vor Orte knallen und in Orte schieben werde, wo er sie definitiv nie habenwollte!“

Fred winkte ab: „Oh bitte! Keine Details!“

Es ging wieder ein Lachen durch die Gruppe, welches auch mich ein bisschen ansteckte. Sorge hin oder her: Diese Menschen und Wesen, diese Charaktere, schafften es einen mitzureißen.
 

Wir folgten weiter dem Butler durch die Gänge.

„Wie weit noch, Sebastian?“, rief Fred irgendwann zu ihm hoch.

Wir waren schon einige Zeit unterwegs.

Zu lange, ich dachte nicht, dass das Labyrinth so ein Ausmaß hatte.

Sebastian machte einen kleinen Sturzflug um mit uns auf Augenhöhe zu sein: „Einige Abzweigungen noch, junger Lord.“

Lee schaute sich um: „Wir sind also fast da? Vollkommen unbehelligt?“

Das war definitiv komisch.

Wäre die Rose wichtig, würde das Alp doch versuchen uns aufzuhalten.

„Das stinkt“, sprach Ronald meine Gedanken aus: „Entweder es kommt noch was oder die Rose ist vielleicht gar nicht wichtig?“

„Das denke ich nicht“, warf William ein: „Wir wissen zwar nicht, wie unser ‚Gastgeber‘ seine Spielregeln, wie Undertaker es so frei beschrieb, gestaltet, aber der Grundstein von allem hier ist Amys Traum. Also muss auch er ihn als Grundlage nehmen und sich Punkte daraus suchen, an die er sein Verhalten knüpft.“

Ich machte große Augen, als mir ein anderer Gedanke kam: „Leute!“

Lee blieb stehen und schaute zu mir: „Bitte?“

„Wir sind in Amys Traum, richtig? Wenn ihr was passiert wäre… Hätte er sich dann nicht aufgelöst?“

William nickte leicht: „Ein guter Einwand, Lady Rosewell. Amy ist der Ankerpunkt von allem. Was auch immer uns hier hält, kann ihr nichts tun, ohne die Umgebung aufzulösen.“

„Wenn es ein Alp ist“, warf Grell ein: „Wo wir uns immer noch nicht 100% sicher sein können, dass es eins ist.“

„In der Tat“, nickte William.

„Ich habe nichts gegen einen kleinen Hoffnungsschimmer“, sagte Lee.

„Es wäre aber auch fatal, sich darauf zu verlassen.“

„Natürlich William“, Lees müder Gesichtsausdruck tat fast weh: „Aber ich will mir nicht vorstellen, dass ihr schon Gott-weiß-was zugestoßen sein könnte.“

Grell seufzte tief: „Ich fühle mit dir, aber kommt. Weiter.“

Ein Nicken ging durch die Runde.

Sebastian stieg wieder auf und die Gruppe setzte den Weg fort.

Nach zwei weiteren Abzweigungen öffnete sich der Gang.

Ein sanftes Schimmern ging durch das Dunkel und das erste Mal in diesen verdammten Irrgarten war der Gang, der uns erwartete, nicht vollkommen stockfinster.

Ein Hoffnungsschimmer, wie er im Buche stand.

Ich hörte Lee einmal fast erleichtert ausatmen: „Die Rose!“

Dann zog er seinen Schritt an.

Wir verließen den dunklen Gang in einen kleinen von Hecken umrahmten Platz.

Im Gegensatz zum Rest des Irrgartens war er dreckig, weiß gepflastert und in der Mitte stand eine pompöse Statue.

Sie sah aus wie ein nackter muskulöser Mann, der sich selbst mit Hammer und Meißel aus einen Marmorblock schlug.

Ich erkannte die Skulptur.

Es war der ‚Selfmade Man‘ von Bobbie Carlyle.

Amy mochte diese Skulptur, weil sie für einen Mann stand, der sich selbst, seinen Charakter und seine Zukunft aus den Stein meißelte, in dem er gefangen schien.

Auf dem Sockel der Statue stand eine sanft pastellrosé glimmende Glasglocke.

Auch Grell zog seinen Gang an und wir endeten vor der feinen Glasarbeit.

In der Glasglocke schwebte eine Rose.

Sie schien weder an Boden noch Seiten fest gemacht zu sein und obwohl einige Blüten auf dem Boden lagen wirkte sie wie frisch vom Busch geschnitten.

Lee streckte die Hände aus, um die Rose aufzunehmen, doch Grell griff sein Handgelenk und hielt ihn auf: „Warte.“

„Wieso?“, fragte der Asiate irritiert.

„Das ist zu einfach“, Grells Augen wanderten über den schwach erleuchteten kleinen Platz: „Wieso hält uns nichts auf?“

„Stimmt“, auch Fred schaut sich um: „Es hat mich ja schon gewundert, das wir problemlos hier her gekommen sind.“

Sebastian landete auf der Schulter des ‚Selfmade Man‘: „Ich muss zustimmen. Das wirkt arg befremdlich.“

„Wollen wir also hier stehen bleiben?“, fragte Lee, nun nicht mehr müde, sondern anfänglich gereizt: „Und nichts tun?“

Fred schüttelte den Kopf: „Du hast recht. Nimm sie.“

Lee atmete einmal kurz durch.

Dann griff er die Glasglocke.

Als er seine Finger um das Glas schloss, kniff ich die Augen zusammen.

Ich rechnete damit, dass die Welt unterging.

Bange Sekunden vergingen.

Dann wich die Bange Verwunderung.

Ich öffnete ein Auge.

Lee hielt die Glasglocke…

… Und nichts passierte.

Ich öffnete das zweite Auge und tuschte einige verwirrte Blicke mit Ron und Fred.

„Hm“, schnaubte Grell schließlich durch die geplättete Stille: „Ziemlich antiklimatisch. Das Ding hat wohl noch nie ‘nen anständigen Horrorfilm gesehen.“

„Ist das jetzt gut?“, Ronald wirkte ziemlich planlos: „Oder schlecht?“

Lee ließ Hände und Schultern ein Stück sinken: „Das Vieh macht mich auf jeden Fall wahnsinnig…“

Ich hustetet ein paar Mal und schüttelte mich.

Ich wusste, was Lee meinte.

Das Bangen und Sorgen, gepaart mit diesem ewigen frieren… es zermürbte mich nach und nach.

Lee fror zwar nicht, aber er hatte Schmerzen.

Und die Anderen waren wohl soweit in Ordnung, aber die Gedanken hin und her zu wälzen – fruchtlos! - musste irgendwann ermüdend werden.

„Es zermürbt uns“, schob William seine Brille hoch.

Ich schaute den strengen Reaper an: „Vielleicht gibt es keinen Ausweg…“

Der Aufsichtsbeamte wandte seine fluoreszierenden Augen zu mir: „Einen gibt es auf jeden Fall.“

„Sag es nicht“, seufzte Lee.

„Das Lady Phantomhive etwas zustößt.“

„William!“, Lee schaut ihn erbost an: „Halt doch einfach mal deine Klappe! Wir wissen es, hörst du? Aber das kann doch nicht unsere einzige Option sein!“

„Nun-“, William wurde unterbrochen.

William wurde unterbrochen, weil das Schicksal, oder was-auch-immer, sich entschied lang genug gewartet zu haben.

„LAUFT!“, schrie eine fast hysterische Mädchenstimme hinter uns.

Unsere Köpfe wirbelten herum.

Ich hatte bei Leibe nicht mehr mit dieser Stimme gerechnet!

„Amy!“, rief Frederic in dem Moment, als wir die junge Phantomhive im Eingang des kleinen Platzes sahen.

Ihr Kleid war zerrissen und dreckig, ging ihr nur noch bis zu den Knien. Sie hatte Schlammschlieren im Gesicht und ihre Haare hingen ihr wirr über Gesicht und Schultern.

Doch was mir noch viel eher auffiel war der kleine goldene Gegenstand auf ihrer Schulter.

Bevor jedoch irgendjemand die Chance hatte, was sie sahen auch nur ansatzweise zu verarbeiten, stieg mir ein fauliger Gestank in die Nase.

Ich hörte Sebastian aufflattern.

„RENNT!“

Mein Kopf flog herum.

Lees gleichzeitig mit mir.

Vor uns stand nicht mehr der ‚Selfmade Man‘.

Auf dem Block, aus dem die Skulptur sich selbst schlagen sollte, hockte dieses widerlich vermoderte Vieh.

Und die Zeit verging in Slow Motion.

Es griff seinen heraushängenden Dünndarm und holte damit aus wie mit einer Peitsche.

Seine Bewegung zog sich schier endlos.

Lee ließ die Rose los.

Grausam zersprang das Glas auf dem gepflasterten Boden mit einem lang gezogenen schrillen Laut, als Lee von dem Vieh weg zur Seite hechten wollte.

Er war nicht schnell genug.

Das ekelhafte Ding schlug mit seinen zweckentfremdeten Eingeweiden zu.

Ich konnte nicht reagieren.

Ich hörte ein matschendes Klatschen, als sein Darm mein Ohr traf und sich dann quer durch mein Gesicht zog.

Ich verlor den Halt und purzelte von Lees Schulter.

Im Fall sah ich, wie sich das Gekröse um Lees Hals schlang.

Und als ich auf den Boden neben der Rose aufschlug kam die Zeit mit aller Kraft zurück.

Was erst viel zu langsam passierte, raste auf einmal furchtbar schnell.

Das Vieh sprang von dem Podest.

Zog Lee an seinem Hals mit sich, dem ein gequält erstickter Laut entfuhr.

Nun fiel auch Fred von seiner Schulter.

Der Asiate packte den verrotteten Darm, um ein bisschen Druck von seinem Hals zu nehmen, konnte aber nicht anders als hinter dem Vieh her zu taumeln.

So vermodert wie das Biest war, dürfte es gar nicht mehr so stabil sein, dem war ich mir sicher!

Amy kam angerannt, packte sich ebenfalls das Stück Fleisch und zog daran.

Sebastian kam im Sturzflug auf das Vieh zu und malträtierte sein Gesicht mit seinen Krallen.

Doch als Antwort darauf riss der Darm nicht etwa, oder das Biest kümmerte sich um Sebastian.

Nein.

Das Vieh sprang weiter nach hinten und zog nun beide hinter sich her.

In dem Moment sprang Undertaker von Amys Schulter ab.

Mit einer Hand krallte er sich in das verrottete Gesicht des Viehs, die andere rammte er einfach in sein Auge.

Das Biest schrie auf, mit einem Kreischen, ich war mir fast sicher meine Trommelfelle platzten.

Seine Augenhöhle fing grünes Feuer.

Der Gestank von verbrennendem vergammeltem Fleisch erfüllte den kleinen Platz und drehte meinen Magen auf links, dann wieder auf rechts und wieder auf links.

Das Biest hörte auf herum zu springen, zerkratzte sich selbst das Gesicht in dem Bestreben Undertaker los zu werden.

Es hatte Erfolg, irgendwann fiel auch Undertaker aus seinem Gesicht zu Boden.

Doch jemand anderes entschied, dass unser vermoderter Antagonist noch lange nicht gewonnen hatte.

Nicht dieses Mal.

„Du vergammeltes DRECKSVIEH!“, Grell preschte an Lee und Amy vorbei.

Ronald sprang von Grells Schulter ab und hielt sich an dem Darm des Biestes fest, der immer noch wie eine Fleischschlinge um Lees Hals hängt.

Auch William sprang ab, brach sich beide Zeiger aus dem Gesicht und warf sie auf die Monstrosität.

Sie trafen sie in der Schulter.

Ich sah einen braunen Filmstreifen herausplatzen.

William landete auf den Boden und ließ den Filmstreifen durch seinen Finger fahren.

Das Alp - oder was auch immer es nun war - wollte wegspringen.

Doch geistesgegenwertig drehten Amy und Lee den Spieß um.

Hände und Hals immer noch am Darm des Vieh zogen sie es zu sich hin, genau in dem Moment wo es wegspringen wollte.

Es kam aus der Balance und strauchelte nach vorne.

Dort stand schon Grell vor seiner Nase, in dem Wissen, dass sein großer Moment nun gekommen sei.

„Friss das, du PENNER!“, schrie der flamboyante Reaper und ließ einer seiner Schranktüren mit gar tödlicher Präzession aufkrachen.

Das Vieh bekam sie mit vollem Schwung gegen die Brust.

Ich sah aus dem Augenwinkel wie Ronald sich einen große Scherbe aus der gekitteten Tasse brach und damit auf den Darm des Viehs einhackte.

Das Biest machte einen Abflug nach hinten, kam aber nicht so weit wie der Schwung reicht, da immer noch zwei Menschen an seinen Eingeweiden hingen.

Doch Amy und Lee waren nicht stark genug alles zu kompensieren.

Mit einem grausigen Röcheln strauchelte Lee ein ganzes Stück mit, seinem Gesichtsausdruck nach nun komplett zu geschnürt.

Das Pärchen zerrte an dem viel zu stabilen Stück Moderfleisch um Lee frei zu machen, konnten aber keine wirklichen Erfolge verzeichnen.

Lee ging in die Knie.

„Amy!“

Die Phantomhive wandte den Kopf nach hinten.

Sie schaute auf Frederic, der in den Überresten seiner Kanne lag.

„Hier!“, er warf ihr eine große Scherbe entgegen.

Amy fing sie, begann mit Ronald auf die moderige Schlinge einzustechen.

Grell setzte dem Vieh hinter her, welches so in die Heckenwand gekracht war, das nur noch seine Beine herausschauten.

Der rote Reaper zog eine seiner Schubladen heraus und begann damit auf das im Busch liegenden Ungeheuer einzuschlagen: „DU! ABSURDES! EKELHAFTES! ABARTIGES! ERBÄRMLICHES! ZUM KOTZENDES! STÜCK GAMMELFLEISCH!

Würde Lee nicht gerade ersticken, wäre die Situation so absurd, ich müsste lachen.

Undertaker – selbstredend – hatte schon damit angefangen.

Ein schnackendes Geräusch riss durch das matschende Geräusch, welches Grells Schläge auf dem Kopf der Abnormalität machten.

Ich sah Lee nach hinten kippen, sah erst auf den zweiten Blick, dass Ronald und Amber es geschafft hatten, dem Darm des Viehs durchzuhacken.

Der Asiate riss die Fleischschlinge von seinem Hals, hechelte und hustete.

„Er ist frei, Grell!“, Amy warf sich neben Lee auf die Knie und nahm ihn in ihre Arme: „Gib’s dem Bastard!“

„Aye, Aye!“, ließ sich das Grell nicht zweimal sagen und zog eine zweite Schublade heraus.

Doch das Alp nahm sich ebenfalls einen Vorteil dafür nicht mehr an Lee zu hängen und sprang aus dem Busch.

Seine Hand schleifte über den Boden.

Genau auf mich zu!

Doch in dem Moment machte es Klick.

Es wollte nicht mich…

… Es wollte die Rose neben mir.

Hastig griff ich sie mir.

Daraufhin griff das Vieh mich.

Mit einem Aufschrei und die Rose in der Hand wurde ich in die Luft gerissen.

Das Monster wollte Richtung Ausgang hechten, hatte aber die Rechnung ohne den Butler gemacht.

Dieser kam wieder angeflogen und rammte seine Krallen in das verkohlte Gesicht der Monstrosität.

Es strauchelte nach hinten, wollte wieder wegspringen.

Doch Undertaker war schon an seinem Bein.

Er krallte seine Hand, noch verschmiert mit dem Auge des Viehs, nun in sein Bein: „Exorcizamus te, omnis immundus spiritus!“

Das Bein explodierte fast.

Allerdings wurde auch Sebastian plötzlich von einem Lichtblitz nach hinten geschleudert.

Mit seinem verbliebenen Bein setzte das Biest wieder zum Sprung an, bekam allerdings postwendend einen rote Schublade ins Gesicht geworfen.

Es kippte.

Ich krallte meine Hand in seine.

Mein Herz rannte ohne ich einen Marathon.

‚Ich will hier weg!‘

Das Vieh war vollkommen aus der Balance gekommen und kippte gen Hecke.

Was ist, wenn es dadurch flieht?

Was ist, wenn es mich mitnimmt?

Ich war nicht wichtig für den Traum oder den Ausgang unserer Situation.

Was ist, wenn es mich einfach frisst?!

Ich hatte solche Angst.

‚Ich. Will. Hier. WEG!‘

Ein violetter Blitz ging durch seine Hand.

Ich kniff die Augen zusammen, klammerte mich um die Rose fester.

Als ich die Augen wieder öffnete war ich ein ganzes Stück von dem Vieh entfernt…

… Mitten in der Luft.

Die Schwerkraft ergriff mich gleichzeitig mit der Erkenntnis und ich war sicher gleich wie ein Stein auf den Boden zu knallen.

Doch ich landete ganz sanft.

Verwundert von dem fehlenden Aufprall machte ich die Augen auf.

„Undertaker!“

Der in eine Kerze verwandelte Bestatter grinste breit: „Zu Diensten! Kehe!“

Amüsiert nickte er mit dem Kopf nach vorne: „Schau hin! Nihi! Das kann nur gut werden!“

Kaum wandte ich meinen Kopf wieder zur Szenerie, wirkte der Alptraum wie eine Comedyshow.

Das Alp kippte - die Schublade im Gesicht, ein Standbein weggesprengt – endgültig in die Hecke.

Grell hechtete hinterher.

Mit einer Eleganz - die für einen kantigen Schrank unmöglich sein sollte – segelte er durch die Luft und fuhr den Ellbogen aus.

Mit dem ganzen Gewicht seines Massivholzschrankes bohrte er ihn in den Solar Plexus des Ungeheuers.

„Nihihihi“, lachte es schrill über mir: „Was für ein Bild! Muhahaha!“

Es war wirklich grotesk lustig mit anzusehen.

Ich wusste nicht, ob ich bis ins Mark geängstigt, vollkommen verwirrt oder albern belustigt war.

Undertaker schaute mich an und nicke dann Richtung Lee und Amy: „Werf‘ unseren Turteltäubchen doch mal das Rösschen zu. Nihihihi!“

„Oh…“, erst jetzt fiel mir ein, dass ich immer noch die magische Rose umklammerte: „Klar!“

Undertaker stellte mich auf meine Borsten.

„Amy!“

Als die Adelstochter zu mir schaute, warf ich ihr die Rose zu.

Wie in Zeitlupe segelte sie durch die Luft.

Lee und Amy richteten sich auf bereit die Blume aufzufangen.

Das Alp bäumte sich auf, wollte nach ihr greifen. Doch Grell schlug ihm einfach seine Faust ins Gesicht: „Vergiss es, Arschloch!“

Der in einen Schrank verwandelte Sensenmann rammte zwei Schrankfüße durch den Torso des Viehs und nagelte ihn so an dem Boden fest.

Amy griff die Rose.

Erleichterung ergriff mich.

Ich war mir sicher es war gleich vorbei.

Doch dann…

In dem Moment als sie ihre Finger um die schimmernde Rose schloss…

Genau als sie die Blume fasste von der wir uns alle Erlösung versprachen.

Genau dann…
 

… Ging alles schief.
 

Lee zog schlagartig seinen Hand zurück, die er gehoben hatte, um die Blume zu fangen, sollte sie an Amy vorbeifliegen.

Mit einem dunklen gurgelnden Laut spuckte er Amy einen Mundvoll Blut auf ihr Kleid.

„Lee!“, das Grauen in Amys Stimme hallte durch den ganzen Irrgarten.

Der Asiate drückte seine Hände auf seine Brust.

„Lee!“, Amy schüttelte den jungen Mann in ihren Armen: „Lee, was hast du?!“

Der König des East Ends hob seinen Hände.

Sie waren blutverschmiert.

Zusätzlich zu dieser unheiligen Menge an Blut, die eh schon in seinem Hemd hingen, sickerte ein großer roter Kranz aus seiner Brust heraus.

Lee öffnete den Mund.

Doch er bekam keinen Ton heraus.

„Was passiert da?!“, hoppelte Ronald auf Amy und Lee zu.

„Ich weiß es nicht“, rief Amy hysterisch: „Er blutet! Überall!

„Das kann nicht…“, Ron brach ab und hielt inne.

Eine ungute Stille ging von ihm aus.

„Ronald?“, Fred schob sich auf seinen Armen zu der wie angewurzelt stehengebliebenen Tasse: „Was ist?“

Ronald schaute auf.

Er drückte beide Hände vor den Bauch und starrte entgeistert auf Fred.

„Ron?“, frug der Erbe der Phantomhives zögerlich, fast selbst erstarrt von diesem Blick.

Ronald nahm die Hände nach vorne und zeigt die Handflächen Fred.

Doch wir sahen alle, das sie voller Blut waren.

Auf seiner elfenbeinfarbenen Weste zeichnete sich eine Blutlache ab.

Dann brach er einfach in seiner Tasse zusammen.

„Ron!“, Fred wandte sich zu der Uhr: „William! Ronald ist…“

Es gefiel mir überhaupt nicht, dass der Earl in spe so plötzlich abbrach.

Ich presste die Hand vor den Mund, als mein Blick langsam zu William wanderte.

Der Aufsichtsbeamte schaute an sich herunter.

In dem Glas vor seinem Pendel prangte ein riesiges Loch, von dem etliche Risse abgingen.

Aus jedem tropfte Blut zu Boden.

William schaute auf: „Unsere…“

Seinen Stimme klang atemlos.

Es war schauderhaft, die sonst so monotone Stimme so zu hören.

Auf einmal krachte etwas neben William auf den Boden, ließ mich zusammenzucken und aufschreien.

Sebastian lag dort, das Gesicht wutverzerrt, das Gefieder blutverschmiert.

Von hinten hörte ich ein Keuchen.

Ich fuhr herum und sah wie Grell sich um seinen Körpermitte krampfte.

Dann kippte der rote Reaper einfach seitlich um.

Als er auf den Boden aufschlug, ging eine Schranktür auf.

Die Blutwelle draus ergoss sich bis zu meinen Borsten!

Ich war wie gelähmt.

Was passierte?!

An allein Seiten brachen unsere Leute zusammen!

Es war grauenhaft!

Aber was war es überhaupt?!

Es war alles nur ein Traum!

Sind wir jetzt beim Alptraum angekommen?

‚Es ist alles nur ein Traum! Es ist alles nur ein Traum!‘

Doch was als nächstes passierte…

…Ich hätte nie gedacht es könnte irgendwann passieren.

Zwei Hände griffen meine Schultern.

An mir hing plötzlich eine Menge mehr Gewicht.

Ich drehte meinen Kopf und sah Undertaker.

Er hielt sich an meinen Schultern fest.

‚Was…?‘

Sein Kopf hing.

‚Er ist doch nicht…!‘

Er stand krumm.

‚Bitte bitte nicht!‘

Ich drehte mich zu ihm.

Dadurch verlor Undertaker den Halt und ging in die Knie.

Als er runtersackte faltete ich instinktiv die Arme um ihm.

Er hing darin schlapp.

Sein Körper hatte kaum noch Spannung.

Sein Kopf lag auf meiner Schulter.

„Undertaker?“, ich konnte nur flüstern. Lähmende Angst hielt meine Stimme klein: „Was… h-hast du?“

‚Bitte‘, ich fing innerlich an zu beten: ‚Bitte, nicht das!‘

Träge hob er die Arme und griff wieder meine Schultern.

Ungut schwerfällig stemmte er sich hoch.

Dann warf er den Kopf nach oben.

Ich erstarrte.

Ich fror zwar die ganze Zeit, aber nun hatte ich das Gefühl mein Innerstes wurde Schockgefrostet.

Die Wachshaare hingen in seinem Gesicht. Nur ein ganz kleiner Spalt ließ ein Stück seiner umwerfenden Iris sehen.

Was ich sehr genau sah war sein Mund…

… Und das ganze Blut was in dicken Strömen aus seinen Mundwinkeln rann.

„Nein“, hauchte ich: „Nein! Nein! Nein!“

Ich legte ihm eine Hand auf die Wange, als mir die Hilflosigkeit und die Panik als Tränen in die Augen schossen.

Mein schockgefrorenes Herz fing an zu rasen und ich hatte keinen Ahnung was ich tun sollte!

„Undertaker, halt durch!“, ich wischte ihm verzweifelnd die Haare aus dem Gesicht, während mir die Tränen ins Sturzbächen herunterliefen: „Bitte, bitte halt durch!“

Sein Mund zeigte Anzeichen eines Lächelns.

Eines warmen, aufmunternden Lächelns.

Er hob eine Hand auf meinen Wange und wischte mir auf einer Seite die Tränen weg.

„Wir“, er sprach so leise. Erstickt! Es war so grausam: „Müssen aufwachen.“

Ich drehte meinen Kopf zu Amy.

„Küss ihn!“, schrie ich sie an.

„Wa…“, Amy war selber am Weinen und vollkommen neben der Spur: „W-Was?!“

„Küss Lee!“, ich biss mir einmal verzweifelnd auf die Unterlippe, bis ich die Kraft fand weiter zu rufen: „Wir müssen aufwachen! Sie bluten, irgendwas stimmt nicht! Wir müssen aufwachen! Küss ihn!“

Amys Augen flogen über ihre zusammengebrochenen Verbündeten.
 

Über Lee.

Über Ronald.

Über William.

Über Sebastian.

Über Grell.

Über Undertaker.

Schließlich guckte sie zurück zu mir.

Ich sah an Amy vorbei William endgültig in sich zusammenbrechen.

„Amy“, meine Tränen drückten wieder meinen Stimme herunter. Dabei wäre sie jetzt so wichtig gewesen! Ich konnte kaum noch ihr Gesicht sehen, als ich in Amys Augen schaute: „Bitte… Jetzt…“

Nachdem ihr ein lautes Schluchzen entfahren war, drückte sie Lee einen Kuss auf den Mund.

Die Rose in ihrer Hand leuchtete.

Das Alp schrie.

Gleichfarbiges Licht brach aus seinen verfaulten Gebeinen und löste es von innen auf.

Undertaker kippte.

Vollkommen überrascht versuchte ich ihn zu halten: „Undertaker!“

Ich klammerte meinen Arme um ihn, damit er nicht auf den Boden aufschlug.

Ich wollte für ihn verhindern, was er für mich schon so oft verhindert hatte.

Rosa Schein flutetet den ganzen Platz.

Ich merkte, wie das Gewicht aus meinen Armen verschwand: „Undertaker!“
 

Dann verschwand auch ich.
 



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  GuitarLilith
2021-08-28T14:09:56+00:00 28.08.2021 16:09
Es ist so deprimierend, dass so lange nichts mehr kam. Das ist eine der besten Fanfictions, die ich je gelesen habe. Die Charaktere wachsen einem immens ans Herz und Undertaker ist gut getroffen, auch mit seiner Unbeholfenheit in vielen Situationen. Ich hoffe sehr du schreibst irgendwann weiter 😊
Von:  PrinnyTV
2019-08-25T15:22:37+00:00 25.08.2019 17:22
OMG das warten lohnt sich immer wieder! *^* ein super Kapitel es hat mir meine Zeit im Urlaub wirklich versüßt.
ICH WILL MEEEEHR! Ich bin sehr gespannt wie Undertaker's Version aussieht - vor allem bei der Scene wo Sky mit der neuen Frisur zurück kommt! °^°
Von:  Marlene220
2019-08-24T10:17:00+00:00 24.08.2019 12:17
Wow... OMG... Ich will mehr😂 das Warten hat sich gelohnt. Ich freue mich schon auf Undertakes Version! Bitte mehr von dem kitschigen Gehabe zwischen Undertaker und Sky! Ich bin schon so gespannt darauf wie es weiter geht, ich hoffe den anderen geht es gut... Diese Sequenzen wenn Sky ohnmächtig war, da war sie wach, oder? Bestimmt wurde das Vich von den Trancys kontrolliert, ich würde auch daraufhin Wetten dass der menschliche Anteil der Gruppe bei denen im Keller hockt. Ich freue mich aufs nächste Kapitel und hoffe du hast es schnell fertig, wobei du dich natürlich nicht hetzen sollst, bitte brauch nur nicht wieder über nen Jahr😂
LG Marlene220


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