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Tears and Laughter

von

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Tropfen und Tränen

Sky


 

Amy war fort.

Sebastian hat sie in Sicherheit gebracht.

Während ich meine Arme über mein Gesicht hob, wurde ich einem komischen Gefühl in mir gewahr. Jetzt, wo Amy sicher war und ich nicht mehr dafür sorgen musste, dass ihr nichts geschah…

… war ich müde…

Ich ließ meine Arme wieder sinken. Ich könnte versuchen wegzuspringen, oder zu laufen, doch… ich war dafür viel zu müde. Es war wohl ein Wink des Schicksals, dass mir nun ein Leviathan mit seiner glitschigen Tentakel winken wird. Ein klares Zeichen dafür, dass ich Freitagabend Dinge getan hatte, die schlecht und unverzeihlich waren. Ich blieb einfach sitzen. Ich hatte einfach verdient, was dieses Vieh jetzt mit mir tun würde. Ich ergab mich dem Schicksal und dieser unendlichen Müdigkeit in meiner Brust.

Die Tentakel schlang sich um mich und meine Welt verschwand hinter der gigantischen, stinkenden Gliedmaße. Es zog sich so fest um mich, dass ich nicht atmen konnte. Mein Brustkorb verlor den Platz sich zu heben... und ich merkte wie egal es mir war.

Ich sah diese unendlich schönen Augen vor meinem inneren… denen ich egal war… und konnte mich bei dem Gedanken an sie gegen einfach nichts mehr wehren. Diese Augen nahmen mir meinen ganzen Willen und meine ganze Energie. Sie lösten einen furchtbaren Schmerz in mir aus und dieser Schmerz beflügelte weiter diese zermürbende Müdigkeit. Weil er endlich gehen sollte. Weil ich nicht mehr die Kraft fand ihn zu ertragen.

Die Extremität war wie Treibsand. Immer wenn ich ausatmete, verlor ich mehr und mehr Atemraum. Doch im nächsten Moment war dies schon nicht mehr wichtig. Denn es war keine Luft mehr um mich herum, die ich hätte atmen können. Alles war nass und entsetzlich kalt. Die Tentakel zog mich in ihrem erbarmungslosen Griff unter Wasser. Es stand nur zur Frage, ob ich erst ertrank oder zerquetscht wurde.

Doch für die Welt war ich eh kein Verlust.

Ich schluckte Wasser. Viel Wasser.

Meine Lungen brannten.

Amy hatte so viele gute Weggefährten.

Ich sank immer weiter.

Mein Körper verkrampfte.

Sie hatte Familie.

Die Tentakel zog mich immer tiefer.

Mein Herz raste.

Amy hatte Menschen und Wesen, die sie liebten und mochten.

Die Kälte der Themse kroch zu dem heißen Schmerz in meiner Brust. Schwappte über die sengende Flamme, die der Gedanke an Undertakers Augen immer wieder auflodern ließ.

Mein Blut pochte.

Amy wird über mich hinweg kommen, doch die Welt käme nicht über sie hinweg.

Schwarze Ränder krochen in meine Augen.

Der Druck des Griffes der Bestie und des Wassers drückten den letzten Rest Sauerstoff aus meinen Lungen und aus meinen Adern.

Doch dies war egal, denn mich… liebte außer Amy doch einfach niemand.

Meine Tränen mischten sich mit dem kalten, unwirklichen Wasser der Themse.

Und der Schmerz... ging endlich aus…Und ich gab endgültig auf.

Der Druck auf meinem Körper verschwand.

Durch die Wassermassen gedämpft hörte ich als letztes einen bestialischen Schrei.

Dann sickerte ein strahlendes Grün durch das fast komplette Schwarz, welches mir einen letzten trägen Gedanken entlockte: ‚Undertaker… es tut mir leid...‘

Und die Welt ging einfach aus.
 

„Sky?“

Etwas Kaltes erschien an meiner Wange. Wer hatte die Welt in Watte eingepackt?

„Sky!“

Warum war es so dunkel?

„Sky!!“

‚Hmmm?‘

„Kein Atem… Das kann… das darf nicht wahr sein!“

‚Warum?‘

Denn eigentlich... hatte ich darauf auch überhaupt keine Lust.

Mein Mund bewegte sich nicht… und immer noch war alles schwarz… und immer noch war alles dumpf…und immer noch war in mir alles taub… und einsam… und kraftlos… und verlassen…

In meinem Rücken spürte ich etwas Weiches.

Wer auch immer dort war, er war nicht der, den ich dort haben wollte. Denn der kam niemals wieder… und das tat so weh… und das wollte ich nicht mehr fühlen… Ich hatte einfach keine Lust mehr…

Mein Vater…

Meine Mutter...

Meine Sozialarbeiterin...

Meine Betreuer...

Meine Pflegeeltern…

Meine Adoptiveltern...

Meine Mitschüler...

… Alle taten mir immer nur weh.

Diese ganze Welt tat mir immer nur weh.

Was gut anfing, war nur von vorn herein dazu bestimmt, mir so noch viel mehr weh zu tun.

Genauso wie mit… Doch das war meine Schuld…

Und er mochte mich eh nicht… Er war sicher froh mich los zu sein… Er brauchte mich nicht...

Und diese Erkenntnisse… seine Augen… taten so weh.

Denn vor dem Einzigen, der mir nie weh getan hatte, war ich weggelaufen und hatte ihm genau diese Absicht unterstellt. Wahrscheinlich weil ich genau wusste, dass ich mit jedem Schlag und jedem Stich, den das Leben mir mitgab genau bekam was ich verdiente. Ich hatte ihn verloren. Nein… Ich hatte ihn verlassen und verraten.

Ich hatte keine Lust mehr zu atmen.

Das Weiche verschwand und ich spürte harten Boden in meinem Rücken.

Etwas Kaltes schob meinen Kopf nach hinten. Es verdeckte meine Nase. Drückte gegen meine Lippen. Es schmeckte fruchtig, mit einem Hauch Minze.

Obwohl ich nichts dafür tat füllten sich meine Lungen mit Luft.

Das Etwas verschwand. Die Luft verließ mich wieder. Genau wie früher oder später alles andere.

„Bitte... atme.“

Dann drückte es wieder gegen meinen Mund und presste Luft in meine Lungen, wie in einen ausgeleierten Luftballon. Ich fühlte mich so ausgeleiert.

Es roch nach Zucker, Gras und Zedernholz.

Süß, frisch und erdig.

Angenehm, bekannt und beliebt.

Ein weiteres Mal verschwand das Etwas: „Tu‘ mir das nicht an! Atme!“

Es drückte wieder gegen meinen Mund und Luft in meine Brust. Fruchtig. Minzig.

Ein schmerzhaftes Klopfen erschien in meiner Brust. Meine Lungen spannten sich an. Aus einem nicht steuerbaren Impuls heraus sog mein Mund gierig die Luft ein, die ihm entgegen gedrückt wurde. Von woher auch immer. Sog sie in meine brennenden Lügenflügel. Es rauschte in meinen Ohren. Und als die Watte verschwand ertönte ein furchtbarer Lärm.

Das Etwas verschwand von meinem Mund und aus meinem Gesicht.

„Haaaaaaaaaa!“, meine Augen flogen auf: „Ahe! Ahe! Ahe! Ahe!“

„Sky?“

Wasser schwappte über meine Lippen, als ich schmerzhaft hustete. Trotz geöffneter Lider sah ich erst nur komische bunte Flecken. Die Welt um mich herum toste in meinen Ohren. Irgendwo heulte ein Motor... nein, zwei.

Etwas Kaltes legte sich auf meine Wange: „Sky?“

Eine Hand?

Meine Augen suchten nach der Stimme… die ich kannte. Nur langsam stellten sie sich scharf.

Dieser Geruch nach Zucker, Gras und Zedern…

Was?!

Wa- wa- wa- warte!

Zucker?! Gras?! Zedernholz?!

Zwei chartreusegrüne Augen strahlten mir über einem erleichtert lächelndem Mund entgegen. Die Symmetrie dieses Gesichtes gebrochen durch eine große Narbe. Umrahmt von langen, silbernen Haaren von dessen Spitzen mir kleine Tropfen entgegen fielen.

Ich starrte ungläubig in dieses Gesicht: ‚Was macht er hier?‘

Mein gefühlt gerade erst wieder aufgewachtes Herz drohte wieder einfach stehen zu bleiben.

„Ahahaha“, lachte dieser schmale Mund so seicht, leise und erleichtert wie er lächelte. Der Krach der Außenwelt verschwand in einen kaum hörbaren Hintergrund.

‚Warum ist er hier?‘

„Na hallo, meine kleine Heldin“, drang die weiche Stimme des Totengräbers zu mir durch.

„Under… Ahe! Ahe! Ahe!“, wieder schwappte Wasser aus meinem Mund.

„Shhh“, er legte mir einen Finger auf die Lippen: „Sprich nicht. Alles wird gut.“

‚Er… er ist hier...‘ ich fühlte mich ganz komisch. Ich hatte es mir so gewünscht. Und ich hatte genau so wenig daran geglaubt. Ich merkte wie sich eine kleine Träne aus meinem Augenwinkel stahl.

Undertaker legte kurz mit diesem unerhört schönen Lächeln den Kopf schief, lachte noch einmal ganz sacht und leise, nahm dann den Finger von meinen Lippen und wischte mit dessen Fingerkuppe die kleine Träne fort. Dann strich er mir mit den Rückseiten seiner langen Finger über meine Wange: „Ich weiß, ich bin der Letzte, den du sehen wolltest.“

Meine Unterlippe begann zu zittern: ‚Du hast ja keine Ahnung...‘

„Aber ich habe dir etwas versprochen.“

‚Und ich bin weggelaufen, als du mir unheimlich wurdest...‘

„Und du kannst vor mir davonlaufen, aber nicht vor meinen Versprechen.“

Ich starrte ihn an. Selbst wenn ich hätte sprechen können, hätte es mir die Sprache spätestens jetzt verschlagen.

‚Warum? Ich habe dich verraten!‘

Mit einem weiteren sanften Lachen legte er plötzlich seine Stirn an meine: „Ich bin so froh, dass du lebst.“

Nulllinie.

Ich konnte nichts mehr denken. Ich war einfach vollkommen überrascht von dieser Geste… und wollte, dass sie nie wieder aufhörte.

Doch ein grässlicher, schriller Schrei brach durch die Luft und Undertakers Kopf flog herum. Tropfen stoben von seinen nassen Haaren durch die Luft. Nach einem kurzen Moment griff er in den Mantel und zog seine Brille auf.

Stimmen mischten sich in das konstante Getöse.

„So ein Ärger!“

‚Sebastian?‘

„Bassy! Vorsicht!“

‚Grell?‘

„Was ein Packo!“

‚Ronald?‘

„Sutcliff! Knox! Konzentriert euch!“

‚William?‘

„Ehehehehe!“, lachte Undertaker, so schrill wie man es kannte und drehte sein Gesicht wieder zu mir. Er wischte mir sanft nasse Haarsträhnen aus dem Gesicht: „Hör gut zu, meine Schöne. Tehe! Es gibt da noch eine Kleinigkeit bei der ich mit anfassen muss.“

Der Himmel leuchtete orange.

Undertaker drehte sein Gesicht wieder zum Wasser und begann zu kichern.

„Hei-ei-ei-eiß! So ein Drecksvieh!“

„Die Frisur! Doch nicht die Frisur! Ich komm gerade vom Friseur!“

„Das stelle ich dem Earl in Rechnung.“

„Wenn ihr überlebt, Mr. Spears.“

Undertaker Strich mit seiner langen Hand ein letztes Mal über meine Wange und ich verlor mich in diesem endlosen phosphoreszierenden Grün: „Stirb mir nicht, ja? Ich verlasse mich auf dich.“

Mit diesen Worten stand er auf.

‚Er ist hier...‘, meine Finger zuckten als ich verzweifelt versuchte meine Hand zu heben, was allerdings erfolglos blieb: „Un- Ahe! Ahe! Ahe!“

Mein Husten krachte schmerzhaft durch meinen Körper.

Es knallte und schepperte. Dann platschte es laut und oft.

„Ich habe ihnen gesagt, sie sollen sich konzentrieren.“

„Ihr kennt das Spiel doch.“

Undertaker beschaute die Szenerie grinsend, aber einschätzend.

Dann streckte er die Andere aus, umfasste seine aus dem Nichts aufgetauchte Sense und sprang weg.

Ein weiterer Husten schüttelte mich, bevor ich nach ihm rufen konnte. Ich wollte so gerne, dass er blieb.

Der Himmel, den ich sah, leuchtete grün und die Bestie schrie: „NYYYYYAAAAAA!!!“

Dieser Schrei war so grausam, kreischend und spitzt. Er tat in den Ohren weh und fuhr durch Mark und Bein.

„Sotoba, Butler?“

Ich versuchte mich zu bewegen. Doch mein Körper war so steif und kalt. Alles was ich sah war ein Stück des Himmels. Die Anderen hörte ich nur.

„Warum denkst du ich wäre darauf angewiesen?“

„Nun ja, ke he he he, du kannst natürlich auch Peu a Peu den Berg mit deinen Buttermessern abschaben, wenn du soviel Zeit und Muse besitzt. Uhuhuhu!“

„… Wir werden nie wieder darüber sprechen.“

„Ich schweige wie ein Grab. Nehehehe!“

„DU HAST MIR MEIN MAKE UP VERSAUT, DU HÄSSLICHES MISTVIEH!“

… Was nicht hieß, dass es schwer war herauszufinden war wer wer war...

WRÖÖÖÖÖÖMRÖMRÖMRÖMRÖM!

„NYYYYYAAAAAA!!!“

„Für so etwas werde ich einfach nicht gut genug bezahlt.“

„Wir werden hier für gar nichts bezahlt, William.“

„Wie ich sagte, Knox.“

„Pahahahahahahahahahahahaha!“

Ich versuchte immer wieder mich zu bewegen. Die Stimmen der 5 Männer flogen durch die Luft. Der Himmel mit diesen unheilvollen violetten Wirbeln leuchtete mal orange, mal rot, mal grün auf.

Wasser spritzte.

Die Motoren von Grell und Ronald surrten und schwirrten wütend.

Der Leviathan schrie.

Grell zickte.

Ronald fluchte.

William meckerte.

Sebastian seufzte.

Und Undertaker lachte.

Nur langsam gewann ich die Kontrolle über meine Muskeln wieder. Mit meinem Körpergefühl, kam das Kribbeln zurück.

„Das nimmt kein Ende! Das blöde Vieh will einfach nicht sterben! Das hat einfach keinen Schwachpunkt!“

„Kehehehe! Siehe es positiv, Ronald!“

„Was ist denn daran positiv?! Hast du dir mal meine Haare angeschaut!?“

„Wenn das eure einzige Sorge ist, Mr. Sutcliff.“

„Lasst uns das endlich hinter uns bringen. Wir müssen die Arbeitszeit hinten dran hängen.“

„BITTE WAS?!“

„BITTE WAS?!“

„FuhuhuhuhuhuhuhuHuch!“, platsch!

‚Undertaker!‘, ich hatte es nicht gesehen. Aber ich war mir sicher, dass der Leviathan gerade den Totengräber versenkt hatte. Was, wenn er ihn dabei verletzt hatte? Was, wenn er sich etwas getan hatte?!

Ich schaffte es mich auf die Seite zu drehen.

„Ruhe und Frieden.“

„WILLIAM!“

„WILLIAM!“

‚Du Arsch! Hilf ihm!‘

„Äußerst charmant, Mr. Spears.“

„Wartet! Undertaker hat Recht! Sieh‘ es positiv!“

„Hast du dich bei seiner Geisteskrankheit angesteckt, Knox?“

Endlich schaffte ich es mich aufzustützen: ‚Warum versenkt dich eigentlich keiner, William?!‘

Ich war so sauer auf William. Warum half Undertaker denn keiner?!

Die Reaper und Sebastian sprangen um und an dem großen Monstrum herum, wichen seinen Pranken und Tentakeln aus und versuchten Treffer zu landen. Nur Undertaker fehlte. Die 4 Männer waren so laut, weil sie relativ weit auseinander um das Monstrum herum sprangen und sich durch den tosenden Sturm zurufen mussten. Sebastian hatte einen von diesen komischen Holzscheiten in der Hand, mit denen Undertaker gegen Claude und Hannah angetreten war: ‚Ist das diese Sotoba?‘

„Sieh!“, rief Ronald und rannte dem Arm des Monster hoch: „Sehen! Seine Schwachstellen sind die Augen!“

Doch das Monster zog seinen Arm in die Höhe und Ronald fiel herunter: „Woah!“

Das Wasser leuchtete grün auf. Undertaker sprang heraus und griff Ronald am Kragen bevor dieser ins kühle Nass fallen konnte.

‚Undertaker!‘, augenscheinlich ging es ihm gut. Zumindest war er ziemlich schnell unterwegs, was dafür sprach das sein Tauchgang ihm nichts weiter getan hatte. Ich war so erleichtert.

„Die Augen!“, rief Ronald Undertaker entgegen.

Dieser lachte: „Nihihihihi! Wenigstens einer, der mich versteht!“

„William! Sebastian! Die Augen!“, rief Ronald jetzt lauter.

Undertaker warf Ronald auf eine der Schultern der Bestie. Dieser lief den Arm hinunter drückte seinen Messerwalze in die Hand des Drachen.

„Grell!“, rief Undertaker im giggelnden Ton: „Nehme doch den Anderen. Nihihi!“

„Und du?!“

In diesem Moment brachen die 3 Tentakel des Tieres aus dem Wasser. Undertaker warf seine Sense. Kreisend drehte sie sich um das Monstrum, durchschlug die Tentakel und die abgeschnittenen Körperteile fielen mit einem lauten Platschen ins Wasser, als er lachend seine Sense wieder fing.

Grell starrte ihn mit großen Augen an: „Weißt du was?… Vergiss es einfach.“

Undertaker lachte einmal laut und lange.

Dann rammte der rote Reaper seine Kettensäge in die andere Hand des Leviathans.

Sebastian und William preschten derweilen zum Gesicht vor. Abgelenkt wie das Biest war, konnte es dies kaum verhindern. Als letzte Verteidigung schlug es mit seinen Flügelpaaren. Die Luft toste auf. So stark, dass ich die Augen zu kniff, als der kalte Novemberwind in Sturmböen um meinen nassen Körper pfiff und mich frösteln ließ.

Ich öffnete meine Augen wieder. Der kalte Wind brannte darin. Der Leviathan schwang mit seinen gewaltigen Flügeln seinen massigen Körper in die Luft. Die 5 Männer wurden von den Böen erfasst und weggeschleudert. Ihre Füße ratschten über den Boden, als sie unweit von mir auf dem Ufer sicher landeten. Außer Sebastian und William waren alle vollkommen durchnässt. Undertakers enger Mantel stand offen. Ich sah einige der Holzscheite, die in den wild wehenden Schössen verstaut waren. Ronald zog sein Jackett aus und band es sich um die Hüfte. Sein Anzug und Williams waren angesengt, sowie ein Teil von Grells Haaren. Was Grell nicht wirklich zu begeistern schien: „Dieses MIESTVIEH! Wie kommen wir jetzt an den ran?!“

Undertaker stemmte eine Hand in die Hüfte und legte die Andere mit seiner Handkante über seine Augen. Er schaute ohne Brille in den Himmel, in den sich der große Drache emporgeschwungen hatte. Ich war mir sicher, dass er nicht ansatzweise irgendetwas erkennen konnte. Doch er fing an zu lachen: „Wuhuhuhuhuhu! Der will aber hoch hinaus für so ein großes Schlängelchen!“

„Schön, dass du das auch geschnallt hast!“, hüpfte Grell wütend auf und ab: „Wir kommen trotzdem nicht an das Vieh ran! Von uns kann keiner fliegen!“

Undertaker verschränkte lachend die Arme und drehte sich zu Sebastian: „Wir können nicht fliegen, nein. Tehehehe.“

Der Butler neigte den Kopf: „Ich bin nicht dein Werkzeug.“

„Aber eine Krähe. Hehe. Also“, Undertaker hielt ihm lachend den beringten Zeigefinger ins Gesicht: „Also tu‘, was brave Vögelchen so tun und schwinge dich nach oben. Fuhuhuhuhu!“

„Sage das Zauberwort.“

„Nihihihihi! Das mit den fünf Buchstaben, Butler?“

Der Butler nickte. Undertakers Grinsen wurde so breit, wie ich es nur selten gesehen hatte: „Tihihihihihi! Amber.“

Der Dämon seufzte hörbar, als Undertaker ihn ausgespielt hatte.

Er sprang in die Luft.

Was dann folgte war Spot an der Welt.

Zwei Flügel klappten sich aus Sebastians Rücken. Zwei große… weiße… Flügel… und ich fragte mich kurz, ob sich der Typ noch bewusst war, dass er ein Dämon war.

„AAAAAAAAHHHHHH!“, kreischte Grell allerdings vollkommen aus dem Häuschen und wedelte mit allem was er hatte: „Mein schöner Tyrann! Ein engelsgleicher Teufel! Ein Rabe mit den Flügeln einer Taube! Mein kleines Lamm mit dem Appetit eines Wolfs! Mein ganz eigener Sebastian Liebling!~♥“, er legte eine Hand auf die Brust und reckte die Zweite in den Himmel: „Mach ihn fertig, Bassy- Hasi!!~♥“

Ronald und William hauten sich synchron die Hand ins Gesicht. Undertaker lachte laut.

Der Butler war derweilen in luftige Höhen entschwunden. Ich konnte nicht sehen, was zwischen den zwei Dämonen geschah. Doch es krachte. Der Leviathan kreischte. Orangenes Licht zuckte durch die dunklen Wolken.

Die Reaper wirkten alle recht angespannt. Grell und William hielten sich die Ohren zu. Ronald drehte seine Schultern, als er gen Himmel rief: „Kannst du dem Vieh endlich das Maul stopfen?! Dieses Gekreische macht mich wahnsinnig!“

Selbst Undertaker rieb sich mit Fingerkuppen seiner Zeigefinger die Ohren: „Nihihihihi! Das ist wirklich kein schönes Geräusch!“

„Ach ne!“, riefen ihm Ronald und Grell entgegen.

Ich konnte mir vorstellen, dass die Reaper mit ihren empfindlichen Ohren die Schreie des Leviathans nur als gelinde gesagt schrecklich und schrecklich schmerzhaft empfinden mussten. Für menschliche Ohren war er schon grässlich und ich wusste, dass zumindest Undertaker auf mindestens 60 Meter die Flöhe noch husten hörte.

Wir schauten wieder in den Himmel, wo der Butler nun auf sich gestellt seinen Kampf focht. Irgendwann schwirrte Sebastian auf den Boden zu. Grell kreischte in Sorge. Ich sah wie Ronald angespannt den Atem anhielt. Sebastian fing sich bevor er aufschlug und flog wieder in die dichte schwarze Wolkendecke. Doch hatte ich kein gutes Gefühl. Dieses Spektakel dauerte schon sicherlich 15 Minuten. Immer wieder wurde der Butler gen Boden geschickt, fing sich auf halbem Weg ab und schwirrte wieder empor. Ich machte mir Sorgen. Ich erinnerte mich daran, dass schon Amy einschätzte, dass es selbst für Sebastian kein leichter Kampf werden würde. Und sie schien recht zu behalten. Denn auch die 4 Reaper - zu denen ich immer wieder herüber sah und die immer noch die Finger in den Ohren hatten, weil der Leviathan immer noch schrie - wirkten alles andere als entspannt. Es war so laut, so unheilvoll dunkel. Der höllische Sturm sorgte für eine konstante Lärmkulisse, da der Kampf der Dämonen die Luft immer weiter zum toben brachte, was ein beständiges Getöse zu Folge hatte. Undertaker grinste, doch die Tatsache, dass er wieder seine Brille auf der Nase hatte, zeugte von einer gewissen Ernsthaftigkeit, während er in die leuchtenden Wolken schaute, aus denen der Butler geworfen wurde und wieder hinein flog. Immer und immer wieder.

„AH!“, schrie Grell irgendwann. Der rote Reaper schnappte Undertaker an den Schultern und schüttelte ihn: „Ich halt‘ das nicht aus! Ich werde sterben, wenn Bassy irgendwas passiert! Mach etwas, verdammt!“

„Pahahaha! Und was soll ich deiner Meinung nach tun? Ich kann nicht fliegen! Nihihihi!“

„Und du willst eine Legende sein?! Lass‘ dir was einfallen, man!“

„Buhahahahahaha!“, lachte Undertaker nur noch lauter: „Nein, wollte ich nie!“

Etwas zuckte durch mein Herz: ‚Aber… warum nicht?‘

Grell schüttelte ihn noch fester: „Du weiß genau was ich meine, du furchtbarer alter Sack! Tu‘ irgendwas!“

Es krachte einmal furchtbar laut.

Grell schrie auf, sprang Undertaker in die Arme und schlang seine Arme um seinen Hals. Undertaker fing ihn. Ich war mir sicher, William hätte ihn fallen lassen…

...Und etwas in mir wünschte sich Undertaker hätte es auch getan...

Ronald zuckte zusammen. Die Gesichter von William und Undertaker fuhren gen Himmel. Auch ich schaute wieder in die Wolken. Man sah den Butler nicht. Man sah auch den Leviathan nicht. Doch schnell wurden zwei kleine Schatten immer größer. Sie kamen drehend auf die Erde zu. Einer fiel platschend in die Themse. Der Andere bohrte sich in das Ufer. Es war ein Stück des Holzscheites.

„Die Sotoba!“, Grell quietschte beim Sprechen ähnlich schrecklich schrill wie der Leviathan schrie. Er wedelte in Undertakers Armen mit den Beinen und ließ seinen Hals einfach nicht los: „Er ist unbewaffnet! Undertaker! Maaaaaaach waaaaaaaas!“

Ich sah den Totengräber seufzen. Dann lachte er wieder und stellte Grell auf die Füße. Ohne Vorwarnung lief er auf einmal auf William zu: „William! Nehehe! Sei so gütig!“

William seufzte, verschränkte die Hände und ging in die Knie. Undertaker sprang mit einem Fuß in seine Hände und der Aufsichtsbeamte zog sie nach oben, während er seine Beine wieder streckte. Ich sah nur noch wie ein schwarzer Schatten - der der Bestatter war - in Richtung Wolken schoss.

„Was macht ihr da?!“, schrie ich die Reaper an, ohne nachzudenken: „Wenn Undertaker nicht fliegen kann, wie zur Hölle will er wieder runter kommen?! Das kann doch nicht gut gehen!“

Die Köpfe der Reaper drehten sich zu mir.

„Was machst du denn hier?“, fragte Ronald verwundert.

„Ich bin schon die ganze Zeit hier, du Vollidiot!“

„Echt?“, fragte der Blonde und schaute seine Kollegen abwechselnd an.

„Ja“, machte William: „Irgendwann bringt dich deine mangelnde Umsicht um, Knox.“

„Hallo?!“, rief ich wieder: „Habt ihr mir überhaupt zu gehört?!“

„Der macht das schon“, machte Ronald vollkommen sorgenlos: „Vergiss‘ nicht über wen du sprichst.“

„Jemanden, der nicht fliegen kann!“, keifte ich zurück. Ich wäre so gerne aufgestanden und Ronald an die Gurgel gegangen. Doch meine Beine zitterten und ich bezweifelte, dass ich sicher stehen oder laufen konnte. Ich lag auf dem Boden und war total nutzlos! Ich konnte mir nur Sorgen machen! Sorgen darüber wie Undertaker denn bitte unbeschadet landen soll!

Mein Rufen rächte sich in einem Hustenanfall. Meine Lungen waren gereizt. Ich kannte dieses Gefühl noch. Es war das Gefühl von fest sitzendem Wasser in den Lungenflügeln.

„Awwwwwww!“, machte Grell und schaute Ronald kichernd an: „Ist sie nicht putzig, wenn sie sich Sorgen macht?~♥“

Ronald kicherte mit: „Total!“

Ich nahm einen Stein, der neben mir lag, und warf ihm Grell so fest ich konnte gegen den Kopf. Wütend drehte er sich um: „Hey! Was soll das?!“

„Du hast ihn dazu gebracht!“, schrie ich ihn an: „Jetzt helf‘ ihm, verda… Ahe! Ahe! Ahe!“

„Du solltest nicht so schrei‘n“, neigte Ronald den Kopf.

„Hör auf so blöd zu labern und mach wa...Ahe! Ahe! Ahe!“, meine Brust verkrampfte sich und ich konnte nicht mehr sprechen. Ich kniff die Augen zusammen, als sich mein Oberkörper zusammen zog und ich mir die Hand vor dem Mund presste. Meine Lungen und mein Hals brannten säuerlich unter einem weiteren Hustenkrampf. Auf einmal erschien eine Hand an meiner Schulter und mir klopfte jemand sachte auf den Rücken: „Ron hat Recht. Schone dich ein bisschen, Schätzchen.“

Grell hatte sich neben mich gehockt und lächelte mir entgegen. So gut er es auch meinte, ich schnappte seinen Kragen und schüttelte ihn: „Ich bin total egal! Mach was!“

„Oh oh“, hörten wir von Ronald.

Ich hörte auf Grell zu schütteln und schaute mit dem roten Reaper in den Himmel. Eine Gestalt fiel herunter. Eine Gestalt mit langen, silbernen Haaren. Ich schlug eine Hand auf den Mund.

„Das“, machte Grell leise: „Wird verdammt weh tun...“

PLATSCH!

Mit einem lauten Knall verschwand Undertaker im Wasser, welches in wilden Fontänen durch die Luft spritzte.

Ich ließ die Hand sinken und merkte wie die Farbe aus meinem Gesicht verschwand. Ich wusste nicht wie hoch Sebastian und der Leviathan waren. Doch ich wusste, dass sie über den Wolken waren, auch wenn diese bedrohlich tief über den Colleges hingen. Also waren es mindestens ein paar hundert Meter. Selbst Wasser müsste einem aus dieser Höhe einfach alle Knochen brechen.

Ich ließ von Grell ab, drehte mich auf den Bauch und wollte aufstehen: „Under... Ahe! Ahe!“

Doch ich strauchelte, als ich halb stand und fiel wieder auf die Arme. Ich robbte ein Stück über den sandigen Boden: „Ahe! Ahe! Undertaker!“

Dann merkte ich wie mich zwei Arme griffen: „Na, na, na! Was soll das werden, wenn es fertig ist? Du würdest untergehen wie ein Stein! Weißt du was der mit uns macht, wenn dir irgendetwas passiert?!“

Ich versuchte verzweifelt Grells Armen zu entkommen. Tränen sammelten sich in meinen Augen. Undertaker war sicher verletzt! Er musste sich verletzt haben! Das konnte nicht gut gegangen sein!

„Lass mich los, Grell!“, schrie ich und merkte wie mich meine Stimme verließ. Trotzdem schrie ich weiter: „Lass mich los! Ahe! Ahe! Undertaker! Ahe! Ahe! Grell, lass mich los, verdammt! Warum macht denn keiner was?! Under… Ahe! Ahe! Ahe!“, ein weiterer Hustenanfall unterbrach mein Rangeln mit dem roten Reaper, dessen Arme ich einfach nicht los werden konnte. Ich erschlaffte in ihnen, als ich ein weiteres Mal von heißen Schmerzen in meinen Lungen geschüttelt wurde, meine Hand vor meinen hustenden Mund drückte und gequält die Augen zusammen kniff.

„Da!“, machte Grell: „Schau‘ doch!“

Mit einem scharfen, schmerzhaften Einatmen schaute ich auf. Das Wasser sprang und ein Kopf erschien. Er wedelte mit seinen langen Haaren und spuckte eine Wasserfontäne in die Luft.

Ich hatte selten ein so tiefes Gefühl der Erleichterung gespürt. Ich konnte noch nicht einmal nach ihm rufen, so überwältigt war ich von diesem Gefühl. Meine angesammelten Tränen rannen mir über die Wangen.

Grell knuffelte mich eng: „Noah! Du bist so putzig!~♥ Du musst dir nicht so große Sorgen um ihn machen!“

Es war mir immer noch egal, wie gut es Grell mit mir meinte. Ich zog eine Hand aus seinen Armen und drückte seinen Kopf in den Sand.

Undertaker schaute in den Himmel, lachte einmal auf und schwamm dann auf das Ufer zu. Ronald lief die zwei Schritte zu dem Uferende, wo Undertaker immer noch im Wasser seine Arme auf den Wellenbrecher legte: „Was hast du gemacht?“

Undertaker grinste: „Fu fu fu. Ich hab ihm meine Death Scythe überlassen. Könntest du zur Seite gehen? Ich möchte hier raus.“

„Echt?!“, Grell hob seinen Kopf unter meiner Hand und wackelte mit dem Beinen: „AHHH! Die Death Scythe des legendären Todesgottes! Er kann nur noch gewinnen! Du bist ein Geschenk des Himmels! Ich könnte dich von oben bis unten abknutschen, Undi-Schatzi!~♥“

Ich merkte eine Ader an meiner Schläfe pulsieren. Selbst Ronald und Undertaker sahen Grell mit blinzelnden Augen an. Mir gefiel nicht, wenn Grell so mit Undertaker sprach. Ruppig drückte ich seinen Kopf wieder in den Sand.

Dann fing Ronald plötzlich an zu prusten und zu kichern.

Undertaker sah Ronald fragend an: „Was ist so lustig? Ich will mitlachen!“

Ronald drehte immer noch kichernd seinen Kopf wieder zu Undertaker: „Erklär ich dir später, versprochen.“

„Nihi. Wehe dir wenn nicht. Kannst du nun endlich zur Seite gehen?“

„Mach ich, mach ich.“, Ronald schüttelte den Kopf: „Geht‘s dir gut?“

„Gewiss, gewiss“, grinste der Bestatter weiter, doch irgendetwas in seiner Stimme klang angestrengt: „Doch wärst du so gütig endlich zur Seite zu treten?“

„Hat deine Landung nicht furchtbar weh getan?“

„Hat sie“, grinste der Bestatter, doch sein Grinsen wirkte ein wenig verkrampft: „Doch ich hatte nur die Wahl zwischen Wasser und Boden. Nehehehehe! Würdest du nun bitte?“

„Hat das wirklich noch ‘nen Unterschied gemacht?“

„Vielleicht“, grinste Undertaker, doch der gestresster Unterton in seiner Stimme, sowie sein recht künstliches Grinsen irritierte mich: „Vielleicht auch nicht. Puhuhuhu! Ich hatte wenig Lust es herauszufinden! Würdest du nun bitte zur Seite gehen?“

Ich starrte den Totengräber ins sein grinsendes Gesicht. Es ging ihm gut. Irgendwie hatte er sich nichts getan… und ich konnte nicht beschreiben wie froh ich darüber war. Doch als ich sein Gesicht, mit diesem lachhaft weiten Grinsen sah, beschlich mich wieder ein schweres Gefühl. Ein schweres, trauriges Gefühl. Der Bestatter war zwei Schritte von mir entfernt. Doch ich hatte das Gefühl er war für mich vollkommen unerreichbar.

Was war ich denn auch?

Ein erbärmliches kleines Mädchen, mit nassen und Sand verschmierten Kleidern, lag im Staub wie ein Häufchen Elend und konnte noch nicht einmal richtig aufstehen ohne gleich wieder wie ein Kartenhaus im Wind zusammen zu klappen.

„Hast du dir wirklich nichts...“, begann Ronald, doch Undertaker unterbrach ihn mit durch seine durch das Grinsen freigelegten Zähne gepresster Stimme: „Ronald, ich will hier raus.“

Ronald klimperte Undertaker kurz mit verwunderten Augen an und schien den unterschwelligen Stress in Undertakers Grinsen und Stimme erst jetzt richtig zu bemerken.

„Klar“, hielt er ihm schließlich seine Hand hin: „Komm, ich helf' dir.“

Undertaker griff Ronalds Hand. In dem Moment zuckte der Kopf des Reaperjünglings nach oben und brachte Undertaker dazu es ihm gleich zu tun.

„Oh oh“, machte Ronald wieder.

Ich stellte fest, dass ich anfing es zu hassen, wenn Ronald das tat. Es war anscheinend das Einläuten von etwas sehr sehr Unschönem...

Der Bestatter blinzelte mit seinen schmalen Augen gen Himmel, über denen er schon wieder keiner Brille trug: „Och nö!“

Auch ich schaute nach oben... und riss die Augen auf.

Es war definitiv das Einläuten von etwas sehr sehr Unschönem!

„Scheiße...“, hauchte ich wenig geistreich. Aber ich hatte kein besseres Wort um zu beschreiben was ich sah.

„Was?! Was ist los?!“, rutschte Grells Kopf aus meiner von Unglauben und Schreck erschlafften Hand und schaute ebenfalls auf.

Der Leviathan raste Rücken voran gen Boden. Direkt auf uns zu! Mit einer unglaublichen Geschwindigkeit!

William sprang bei diesem Anblick davon. Seine Schere fuhr aus und krachte gegen das Biest.

Dann knallte es.

Durch Williams Intervention krachte das mächtige Monster in die Themse und nicht auf unsere Köpfe.

Die Wassermassen des großen Flusses bäumten sich durch den Aufprall der gigantischen Bestie in riesigen Wellen auf.

„Soviel zu alles Gute kommt von oben!“, hörte ich Grell neben mir. Er sprang auf seine Füße, griff meinen Kragen und zog mich ein Stück hoch.

„Weg hier!“, schrie Ronald, drehte sich zum Wegsprinten um und zog dabei an Undertakers Hand. Der Bestatter drehte sich hastig nach vorne und stützte seinen anderen Arm und sein Knie auf den Boden und zog sich an Ronalds Hand ein Stück aus dem Wasser. Doch bevor die Drei ihre Fluchtversuche gänzlich in die Tat umsetzen konnten, brach die Welle über uns herein. Undertakers Oberkörper und Kopf verschwand im schaumigen Wasser. Ronald fiel fluchend mit einem wedelnden Arm nach vorne, als ihn die Welle im Rücken traf. Grell und ich schrien und kniffen die Augen zusammen, als uns das kalte Nass ins Gesicht sprang. Es hatte so viel Schwung, dass es mich um 90° drehte und nach hinten spülte. Ich verschluckte wieder Wasser. Grells Hand verlor ihren Griff an mir. Dann knallte etwas gegen mich. Keine Sekunde später trafen auch mein Rücken und mein Kopf auf etwas Hartes und knipste mir die Lichter aus.
 

‚Hmmmm…?‘

Ein dumpfes Schwarz hauste in meinem Kopf.

Der Wind peitschte nicht mehr.

Es herrschte eine Totenstille. Sie klingelte in meinen Ohren.

Meine ganze Welt drehte sich, trotz der Schwärze, wie ein Karussell.

Ich wusste nicht wo ich war, doch ich spürte den harten Boden in meinem Rücken und Sand zwischen meinen Fingern. Genau wie Gewicht auf meinem Körper.

Nur langsam hielten Gedanken wieder Einzug in meinen konsternierten Verstand.

Nach ein paar benommenen Minuten hörte ich vereinzeltes Keuchen und Husten die Stille nach dem Sturm brechen.

Auch ich hustete das Wasser aus.

Dann entfuhr auch mir ein benebeltes murmelndes Geräusch.

Ich öffnete langsam meine schweren Augenlider. Doch sah ich nur ein paar helle Flecken des satten Abendrots des wieder aufgeklärten Himmels. Irgendetwas lag löchrig, nass und schwer auf meinem Gesicht. Ich hatte auch irgendetwas in meinem Mund. Es war kein Wasser. Es war irgendetwas Franseliges und fühlte sich mehr als nur unangenehm auf meiner Zunge an. Mein Gehirn war vollkommen überfordert und von der Welle noch gänzlich überrascht. Es brachte keine ordentliche Aktion oder Gedanken zustande. Doch die Welt blieb allmählich stehen. Ich konnte mich wegen dem was auf mir lag kaum bewegen. Alles was ich tun konnte war mit einem angewiderten: „Päh!“ das Etwas auszuspucken.

Durch die Luft, die ich aus dem Mund stieß verrutschte das Irgendwas über meinen Augen.

Hing es zusammen?

Ich befreite eine Hand, wischte mir das löchrige Ding aus dem Gesicht und schaute auf meine Finger. Zwischen meinen Fingern hingen Strähnen. Ich blinzelte erschrocken. Es waren… lange… silberne... Strähnen: ‚Wa- wa- wa- waaaas?!‘

Hastig wedelte ich meine Hand von den Strähnen frei, stützte mich die paar Zentimeter die ich schaffte auf und schaute auf meine linke Schulter, die Gewicht weiter auf den Boden drückte. Das Blut schoss mir sofort ins Gesicht. Mein Herz setzte aus.

Auf meiner Schulter lag der Kopf des Bestatters, dass Gesicht verhangen von seinen langen, nassen Haaren.

Ich schaute an mir herunter. Sein Körper lag einmal komplett über meinem und bewegte sich nicht. Allerdings merkte ich auf meiner Brust genau, wie sich seine hob. Mein Herz erwachte mit einem fast schmerzvollen Getrommel.

War er ohnmächtig?!

Ging es ihm gut?!

War er wirklich nicht verletzt?!

Ich wusste nicht, was ich tun sollte!

Ich wusste nur, dass mein Gesicht immer wärmer wurde und ich unter dem Körper des Totengräbers vollkommen eingefroren war. Mein Herz trommelte schmerzhaft.

Während ich mit der ganzen Situation noch vollkommen überfordert war, ging ein Zucken durch Undertakers schlaffen Körper. Ich hörte ein Husten und ein paar Strähnen flogen von seinem Gesicht. Der Kopf des Bestatters regte sich und seine Hände stellten sich auf den Boden. Immer noch hustend stemmte er sich auf. Dann hielt er inne. Sein Kopf wanderte von rechts nach links und wieder zurück. Dann schaute er mich an. Sein Pony hing nass und strähnig in seinem Gesicht, sodass er um und nicht über seinen strahlend grünen Augen lag. Irritiert blinzelte Undertaker mir entgegen. Einige Wimpernschläge lang starrten wir nur vollkommen verwundert einander an und taten gar nichts.

Dann grinste er. Sein Grinsen sah komisch aus. Fast ein wenig… unbeholfen?

Er lachte kurz: „Ähähähä… Äh… Hi.“

Ich blinzelte. Ich war mir sehr sicher, dass er mich noch nie mit einem ‚Hi‘ begrüßt hatte. Er sprach immer recht antiquiert, ich wusste gar nicht, dass so etwas wie ‚Hi‘ zu seinem Vokabular gehörte. Doch ich konnte nichts anderes tun, als weiter in diese unfassbaren Augen zu starren. Diese unfassbaren Augen von denen ich mir sicher war, sie nie wieder zu sehen. Die Zeit zog sich wie Teer. Dieses unbeschreibliche, kristallklare Grün sickerte in meine Gedanken und besetzte sie komplett. Sicherlich minutenlang starrte ich dem Bestatter einfach nur ins Gesicht, mein Kopf leer gespült und befreit von allen Gedanken. Nur diese Augen waren allgegenwärtig. Dass ich das Atmen eingestellt hatte, bekam ich noch nicht einmal am Rande mit. Auf einmal floss etwas Rotes seine endlos langen Wimpern entlang. Ich blinzelte geschockt auf das kleine Blutrinnsal, welches von seiner Stirn durch seine schlanke Augenbraue gesickert war und sich weiter zu seinem Auge geschlängelt hatte.

„Was hast du gemacht?!“

Wieder blinzelte Undertaker: „Bitte?“

„Dein… Dein...“, ich starrte auf das Rinnsal, welches an seinem Augenwinkel vorbei auf dem Weg seine Wange hinunter war. Wo kam es plötzlich her? Dann sah ich durch einen Spalt in seinem Pony, dass eine zweite rote Spur seine Schläfe entlang geflossen und in den vielen silbernen Haaren verschwunden war. Ich verstand. Undertakers Kopf hatte erst gelegen, wodurch das Blut erst zur Seite gedriftet war. Jetzt wo er ihn hochgenommen hatte floss es nach unten. Ich zeigte zögerlich in Undertakers rechte Gesichtshälfte: „Du… du blutest!“

Mit einem weiteren irritierten Augenaufschlag nahm Undertaker seine langen Finger und befühlte sein Gesicht. Er verschmierte die kleine Bahn und schaute auf seine aneinander reibenden roten Fingerspitzen: „Oh, hehe. Das war wohl der Wellenbrecher.“

„Bitte?! Der Wellenbrecher?!“

Undertaker wischte sich eher beiläufig mit dem Ärmel über sein Gesicht: „Ja, der Wellenbrecher. Ich habe mir wohl ein bisschen den Kopf angeschlagen, als ich davon geschwemmt wurde.“

Ich schaute ihn mit großen Augen an. Das klang äußerst schmerzhaft, denn die Wellenbrecher hier waren aus Beton! Das muss furchtbar geknallt haben! Doch der Bestatter sah nicht wirklich mitgenommen aus. Er nahm lediglich den Arm wieder hinunter und grinste schief: „Nur gut, dass da drinnen eh nichts mehr kaputt gehen kann. Kihihi!“

Obwohl er sich das Blut aus dem Gesicht gewischt hatte, sah ich schon wie der nächste Tropfen den Weg aus seinem Pony fand.

Ich wollte etwas dazu sagen, fragen ob er nicht Kopfschmerzen oder Sonstiges habe, doch plötzlich zerschlug ein lautes Krachen meine Verwunderung.

Schreck fuhr so stechend durch mich hindurch, dass es körperlich weh tat. Ich schrie laut auf. Mein Kopf flog herum, ich warf reflexartig meine Arme um das was mir am nächsten war und zog es hilfesuchend an mich heran.

Etwas bohrte sich direkt neben mir in den Boden.

Mein Herz klopfte wie verrückt und ließ das Blut schmerzvoll in meinen Adern pulsieren.

Schwer atmend starrte ich auf das, was neben mir eingeschlagen war.

Es war Undertakers silberne Sense.

Sebastian landete ein paar Schritte dahinter, lachte nur verstohlen und drehte sich um. Der Frack des Butlers trug eindeutige Zeichen eines nicht so einfachen Kampfes. Er war an einigen Stellen eingerissen und blutverschmiert. Im Vorbeigehen hob er Grell und Ronald am Kragen hoch, die immer noch hustend am Boden lagen. Dann sprang er mit ihnen davon.

Der Geruch von Zucker, Gras und Zedernholz schlug mir entgegen. Ich riss die Augen auf. Erst jetzt realisierte ich, dass das was ich umarmte Undertakers Hals war. Ich war so geschockt aufgrund meiner eigenen Tat, dass ich es nicht schaffte mich zu bewegen. Ich schaffte es nicht ihn loszulassen, da mein Herz gerade dabei war vor Scham zu explodieren… und… ich wollte es auch gar nicht… Ich wollte Undertaker nicht wieder loslassen… Ich wollte einfach nicht… Mein explodierendes Herz verkrampfte.

Ich wusste, dass ich ihn loslassen musste. Es war ihm sicher unangenehm, wenn es ihm nicht sogar widerstrebte, denn… Niemand wird gerne von jemandem umarmt, den er nicht mochte.

Mit diesem Gedanken war alles wieder da.

Mit diesem Gedanken kam der ganze Schmerz zurück.

Mit diesem Gedanken kamen all die Erkenntnisse zurück.

Dass er mich eigentlich nicht mochte. Dass ich ihm egal war. Dass er mich schon wieder hatte retten müssen und ich ihn sicherlich furchtbar nerven musste.

Ich wollte mich dazu durchringen ihn loszulassen, doch durch diese furchtbaren Gefühle hatte ich - ohne dass ich es bemerkte oder steuern konnte - meine Augen zusammengekniffen und den Kopf des Totengräbers nur näher an mich herangezogen. Ich merkte auch nicht, dass ich zu Schluchzen begonnen hatte. Als sich mein Körper unter dem schmerzhaften Schluchzen zusammenzog, verkrampften sich meine Arme um den Bestatter, der mich nicht mochte und den ich in den letzten zwei Tagen so unglaublich vermisst hatte.

Ich merkte wie Undertaker sich ein Stück aufrichtete. Wahrscheinlich wollte er sich aus meinem Griff befreien. Mein Herz zog sich schmerzhaft ein weiteres Stück zusammen und mit weiterem Wimmern liefen Tränen meine Wangen hinunter. Gegen einen enormen inneren Widerstand ankämpfend, lockerte ich meinen Griff um Undertaker loszulassen. Denn dass er wieder ging, konnte ich eh nicht verhindern...

Doch bevor ich meine Arme zurückgezogen hatte passierte etwas, was nicht mehr in meine Welt passte.

Zwei Arme falteten sich um meinen Rücken und zogen mich an sich heran.

Undertaker zog mich an sich heran.

Undertaker umarmte mich.

Und... er hielt mich fest.

„Wa...“, schluchzte ich: „Warum tust du das?“

„Weil ich nicht möchte, dass du weinst“, hörte ich seine ruhige Stimme. Ruhig und weich, wie schwarzer Samt. Ohne das altbekannte Giggeln oder Lachen, doch nicht ansatzweise gefährlich, wie das letzte Mal als ich sie hörte. Sie war beruhigend und warm. Diese Tonlage war so schön. Undertaker hatte eine so schöne, tiefe Stimme, wenn er nicht wie eigentlich üblich kichernd und lachend höher sprach, als seine Stimme eigentlich war.

Ich schluchzte ein weiteres Mal: „Aber… Aber wieso…?“

„Weil ich möchte, dass du glücklich bist.“

Dieser Satz traf mich wie ein Tritt in die Magengrube. Dieser Satz traf mich so hart, weil ich ihn kannte. Weil ich ihn selbst schon gesprochen hatte. Zu ihm. Auf dem Balkon des Manor Phantomhives: „Aber… Aber… Aber...“

Ich konnte nicht verhindern, dass aus meinen Worten ein Heulen wurde. Ich wusste nicht mehr was ich denken sollte. Ich war verwirrt bis ins Letzte.

Warum sagte er sowas? Er mag mich doch gar nicht!

Warum hielt er mich fest? Ich war ihm doch egal!

Warum? Warum passierte das alles?!

Meine gereizten Lungen brachen durch mein Weinen in einen neuen Hustenanfall aus. Es tat so weh. Ich hatte so starke körperliche und seelische Schmerzen. Ich merkte wie mein Körper unkontrolliert zitterte. Doch ich konnte nichts dagegen tun. Ich konnte nichts dagegen tun, dass ich ihn wieder so fest hielt wie ich konnte. Ich konnte nichts dagegen tun, dass ich hustete und weinte. Und ich konnte nichts dagegen tun, wie gerne ich in seinen Armen war. Ganz nah bei ihm. Denn zwischen unsere nassen Körper passte nicht mal mehr ein Blatt Papier.

„Sccchhhh“, hörte ich wieder seine tiefe Stimme. Eine Hand streichelte über meinen Rücken: „So beruhige dich doch.“

„Ich… Ahe! Ahe! Ich...“

„Atme tief durch. Beruhige dich.“

„Ich...Ahe!“

„Sprich nicht. Atme tief durch.“

„Aber...“, ich kniff die Augen zusammen… und Wörter sprudelten unkontrollierbar aus meinem Mund: „Ich bin so ein Idiot! Ahe! Ahe! Ich hab alles falsch gemacht! Ich… Es tut mir leid! Du… Du musst mich nicht mehr retten. Ich... rede mit Amy, du... du musst nicht mehr so tun, als würdest du mich mögen. Ich… Ich… Ich...“

Weiteres lautes Wimmern schüttelte mich und zwang mich abzubrechen. Ich kniff meine Augen zusammen, wollte so irgendwie meine Tränen stoppen und mich zwingen nicht mehr zu weinen. Doch ich schaffte es nicht. Ich konnte nicht aufhören zu wimmern und zu schluchzen. Ich konnte die Tränen nicht aufhalten, die von meinem Kinn auf Undertakers eh schon nassen Mantel tropfen.

Es war so kalt.

In mir war alles so kalt. Gleichzeitig glühte der Schmerz in meinem Herzen. Die Luft, die durch meine nassen Kleider wehte, fühlte sich an als schnitt sie in meine Haut: „Ich… Ich…“

Die Arme verschwanden. Sie verschwanden und aus der Kälte wurde eine arktische Stille, die mein Weinen erstickte. Aus dem glühenden Schmerz wurde eine Flamme und benutzte meine Seele als Zunder. Seine Arme verschwanden und ich war mir klar, dass er nun, wo ich sagte er brauche sein Theater nicht weiterspielen, aufstand und ging. Einfach wieder ging. Weg von mir.

Doch Hände griffen meine Schultern und schoben mich ein Stück von ihm weg: „Was hast du da gerade gesagt?“

Ich schlug die Hände vor mein Gesicht um es zu verstecken. Ich wollte nicht, dass Undertaker mich weinen sah. Ich wollte nicht, dass ich noch erbärmlicher wirkte, als ich eh schon war. Klein und unbedeutend. Nervig und so endlos unwichtig.

Eine Hand griff meine. Ihr Griff war kräftig und bestimmt, doch nicht schmerzhaft. Sie zog meine Hände von meinem Gesicht: „Sky? Was hast du da gerade gesagt?“

Ich starrte durch meinen Tränenschleier auf meine Beine: „Die… die Wahrheit...“

„Denkst du das wirklich?“

Ich konnte nur nicken.

Die Hand ließ meine Hände los und griff mein Kinn. Sie wollte meinen Kopf nach oben drücken. Doch ich schlug sie weg. Das Knallen der aufeinander treffenden Hände war furchtbar laut. Viel lauter, als ich es erwartet hatte.

...Dieses kalte Gefühl in mir... Durcheinandergebracht von einer konfusen Verwirrung… Ich wollte nicht, dass er mein Gesicht sah. Und ich wollte seines nicht sehen. Ich konnte diesen Anblick nicht ertragen. Ich konnte diese Augen nicht ertragen. Diese unglaublichen, endlos grünen Augen...

Menschen waren ihm egal! Ich war ihm egal! Er hatte das alles nur gesagt, weil er dachte Amy weiter einen Gefallen tun zu müssen. Als er merkte, er musste es nicht mehr, hatte er mich losgelassen… Die Sache war klar! Es gab keinen Grund verwirrt zu sein! Es war einfach klar! So kristallklar wie seine Augen...

Ich schob meinen Körper ein Stück nach hinten. Rutschte von ihm weg, als immer noch Tränen von meinem Kinn tropften.

„Warte“, eine Hand griff meine. Hielt sie fest. Verhinderte, dass ich weiter nach hinten rutschen konnte. Ich blinzelte. Als die angestauten Tränen aus meinen Augen gekullert waren, wanderte mein Blick meinen Arm hinunter. Die Hand, die meine hielt, hatte lange Finger… und schwarze lange Fingernägel.

„Bitte“, hörte ich wieder die tiefe Stimme des Totengräbers: „Warte.“

Warum sollte ich warten? Wollte er mir detailliert erklären, dass er jetzt ginge und nie wieder käme? Mir ungeschönt noch mehr Wahrheiten um die Ohren hauen, wie knallende Ohrfeigen? Mich schallen wie ein kleines Kind?

Das brauchte ich nicht. Ich hatte schon lange verstanden. Und das… das tat schon bei weitem weh genug. Ich war mir sicher, es aus seinem Munde zu hören, ...laut ausgesprochen... dass würde ich nicht verkraften. Ich hatte ja jetzt schon keine Kraft mehr. Denn eigentlich war ich immer noch furchtbar müde. Ich wollte nicht mehr...

Resigniert schüttelte ich meinen hängenden Kopf.

„Bitte“, obwohl ich es nicht sah hörte ich durch das Rascheln seines Mantels, dass er sich zu mir beugte: „Schaue mich an.“

Etwas Kaltes berührte kurz meine Wange. Doch mein Gesicht zuckte sofort vor seiner Hand weg.

„Sky, schaue mich an“, seine Hand legte sich ein weiteres Mal auf meine Wange. Ich kam gegen diese Beharrlichkeit nicht mehr an. Diese Beharrlichkeit, die ich nicht verstand.

„Warum?“, fragte meine Stimme nur leise, als ich nicht aufschaute obwohl ich seiner Hand nicht mehr auswich. Ich wusste nicht, was ich von dieser Berührung halten sollte. Sie war behutsam. Hatte nichts Negatives an sich. Doch sie tat weh. In meiner Seele tat diese Berührung furchtbar weh.

„Bitte. Tu‘ es“, antwortete mir der Bestatter ohne einen Grund zu nennen.

„Du musst nichts sagen“, erwiderte ich. Ich wollte eine feste Stimme an den Tag legen. Doch sie war nur dünn und leise: „Ich habe verstanden… Ich habe alles verstanden. Menschen sind dir egal… und ich. Ich bin ein Mensch.“

Ich hörte ein langes Seufzen. Es klang komisch. Es war nicht das typisch halb schmunzelnde Seufzen, was man von ihm kannte. Dieses Seufzen… war einfach nur ein Seufzen. Ein recht schweres Seufzen sogar.

„Ja“, hörte ich seine Stimme nach ein paar Sekunden wieder: „Sind sie. Menschen sind mir egal. Bis auf einige und du...“

Ich drehte meinen Kopf von ihm weg. Dadurch verschwand seine Hand von meiner Wange. Meiner Stimme schnitt durch seinen Satz: „Siehst du. Du musst nichts mehr sagen...“

„Doch, muss ich“, konterte er: „Aber nicht so. Schaue mich an. Sky. Schaue mir ins Gesicht.“

„Warum?“

„Weil du mich so nicht verstehen würdest.“

Irgendetwas in meinem Kopf explodierte. Ich riss meine Hand aus seiner, setzte mich auf die Knie und schaute dem Bestatter nun doch in sein Gesicht. Getragen von meinem Schmerz und meinem Frust rannen die Tränen wieder in Bächen über meine vom Weinen wunden Wangen. Dann schrie ich ihn an. Resigniert von den verwirrenden Signalen, die ich nicht mehr deuten konnte, irritiert und hin und her geworfen von dieser quälenden Verwirrung, schrie ich ihn einfach nur an: „Ich habe dich sehr wohl verstanden! Ich habe alles verstanden! Du bist ein Sensenmann! Du bist kein Mensch und du hast mit ihnen nicht mehr am Hut, als sie als Versuchskaninchen zu benutzen! Du hast mir gesagt, du würdest nie lügen! Und ich dummes Stück hab‘ dir geglaubt! Doch eigentlich war alles was du getan hast doch nur ein großes Theater! Eine riesige Komödie und ich war deine Witzfigur! Gut genug zum erschrecken und zum auslachen! Zum an der Nase herumführen und drüber lustig machen! Denn für mehr brauchst du Menschen nicht!“, meine Stimme war heiser, meine Stimmbänder taten weh und in meinem Hals kratzte schon wieder ein trockener Hustenkrampf, doch all das kam gegen meine heiße Frustration nicht an. Heiße Frustration resultierend aus dieser eiskalten Kraftlosigkeit, die ich einfach nicht mehr ertrug: „Du hast mir wochenlang vorgespielt du seiest ein Mensch! Du hast mir noch länger vorgespielt du würdest mich mögen. Doch das war alles nur heiße Luft! Warum hast du nicht einfach gesagt, dass du genervt von mir bist?! Warum hast du mich nicht einfach aus deinem Laden geworfen?! Warum hast du meine Geschenke nicht einfach vor meinen Augen in den Müll geschmissen und damit gewartet bis ich weg bin, hm?! Warum hast du mir nicht einfach die Wahrheit gesagt?! Warum hast du nicht viel früher gesagt, was du von Menschen hältst?! Dann hätte ich viel früher verstanden was du von mir hältst und du hättest mir und dir eine Menge erspart!“

Undertaker griff meine Schultern: „Sky, ich…!“

Doch ich nahm seine Hände an den Handgelenken, streckte sie von mir weg und dachte nicht daran ihn ausreden zu lassen: „Pfoten weg! Fass‘ mich nicht an!“

Ich wusste nicht ob es wirklich Wut war, die mich schreien und gleichzeitig weinen ließ. Ich wusste nur, dass ich meine Hände aus irgendwelchen Gründen so fest um Undertakers Handgelenke krallte, dass meine Knöchel weiß wurden. Obwohl ich ihm noch entgegen geschrien hatte, er solle mich los lassen.

„Sky, ich…!“

Ich ließ eine Hand los und drückte meine nun freie Hand recht unsanft auf seinen Mund: „Nein! Nein, ich will nichts hören!“

Undertaker zog recht verständnislos eine Augenbraue hoch.

„Was soll dieses Gesicht?!“

Er nahm nun seine wieder freie Hand und deutete mit seinem Zeigefinger auf meine Hand vor seinem Mund.

„Ich hab doch gesagt, ich will nichts hören!“

Ich merkte seinen Atem über meine Hand streifen, als er abermals seufzte. Dann nahm er seine Hand und drückte meine von seinem Gesicht: „Erst stellst du mir Fragen und dann schreist du mich an, du willst nichts hören. Das ist paradox.“

Ich stockte. Ich stockte als mir fast schmerzlich bewusst wurde, dass er Recht hatte: „Ich… also… ich...“, ich presste meinen Mund zusammen. Nun… wusste ich nicht mehr was ich sagen sollte. Meine verspannten Lippen zitterten und mit ihnen mein ganzer Unterkiefer. Tränen brannten wieder in meinem Augen. Ein klägliches Wimmern surrte durch meinen Hals, als ich die Augen wieder aus dem Gesicht des Bestatters fallen ließ.

Ich atmete raschelnd durch. Raschelnd, weil ich wieder krampfhaft versuchte nicht zu weinen: „Ich… Ich will einfach nicht… dass du so tun musst, als würdest du mich mögen… Ich... Ich will nicht, dass du weiter lügen musst… Ich...“, ich brach ab. Ich brach ab und machte große Augen. Ich brach ab, weil es mir endgültig die Sprache verschlug.

„Nicht du bist der Idiot“, sprach die tiefe Stimme, die nun direkt neben meinem Ohr war. Die genau neben meinem Ohr war, weil mich zwei Arme wieder zu dem Bestatter zogen. Eine seiner Hände lag beruhigend auf meinem Hinterkopf, während die Andere fest um meine Schultern lag: „Ich bin es.“

„Aber… aber...“

Ich merkte an meiner Wange wie er den Kopf schüttelte: „Nichts aber.“

Meine Unterlippe zitterte noch mehr und wieder entfloh mir nur ein ebenso zittriges Wimmern.

„Was du sagst… Das ist alles nicht wahr.“

Ein kribbliger Schreck fuhr durch mich hindurch, der mir nun auch noch den Atem raubte.

„Ich habe nie gelogen, Sky. Ich habe nie behauptet ich sei ein Mensch. Ich habe dir so oft gesagt, dass ich kein gutes Wesen bin. Ich habe nie behauptet ich würde Menschen mögen, doch“, seine Arme zogen mich näher zu ihm: „Doch dich. Dich mag ich wirklich.“

„Was?“, keuchte ich. Ich zitterte. Schon wieder. Ich wusste nicht was ich fühlte. Ich wusste nicht, ob ich mich freute das alles zuhören oder ob ich ihm schlicht nicht mehr glaubte. Ich wollte so gerne glauben, doch… irgendetwas in mir konnte es nicht…

„So wie ich es sagte“, sprach der Totengräber weiter: „Du warst nie eine Witzfigur für mich und schon gar nicht Teil irgendeiner Komödie. Ja, ich habe mit dir Scherze getrieben. Aber das liegt daran, dass ich vollkommen verrückt bin und an nichts anderem. Ich habe dich nie belogen, noch weniger warst du ein Versuchskaninchen, oder habe ich dich an der Nase herumgeführt. Warum ich nie sagte, ich sei genervt? Weil ich es nicht war. Warum ich dich nie aus meinem Laden geschmissen habe? Weil ich es nicht wollte, denn ich war glücklich dass du da warst. Warum ich deine Geschenke nicht vor deinen Augen in den Müll geschmissen habe? Sky, ich habe deine Geschenke nie weggeschmissen. Ich habe mich viel zu sehr darüber gefreut. Über das Bild und die leckeren Kekse“, er lachte kurz: „Ich habe immer noch welche davon. Es war nicht ganz einfach, aber ich habe sie mir eingeteilt. Nihihi! Ich weiß ehrlich gesagt nicht ganz was ich tun soll, wenn sie irgendwann doch leer sind. Aber ja, ich hätte dir einiges ersparen können. Als ich dir versprach, dir Rede und Antwort zu stehen, habe ich nicht erwartet, dass du hinter die Ereignisse auf der Campania kommst oder je davon erfährst. Was dumm von mir war. Denn ich wusste ja schon lange was für ein kluges, hübsches Ding du bist.“

Ich merkte wir ich meine Körperspannung verlor. In den Armen des Totengräbers sackte ich zusammen, wodurch er mich noch fester umarmte. Die Tränen brannten in meinen Augen wie Feuer. Ein Teil von mir schrie, dass er lügen musste. Der andere hatte sich zusammengerollt und heulte. War das alles wirklich wahr? Dachte er so?

„Aber…“, ich konnte meine eigene Stimme kaum hören: „Ich bin doch nur ein Mensch...“

„Nein“, er lockerte die Umarmung.

Etwas in mir schrie: ‚Hab ich‘s doch gesagt!‘

Etwas anderes ermahnte mich erst abzuwarten. Und ich wartete ab. Denn der Arm um meine Schultern verschwand nicht. Die Hand die auf meinem Hinterkopf lag wanderte nach vorne, verblieb auf meinem Kinn und positionierte mein Gesicht so, dass ich ihn ins Gesicht schauen musste. Ich blinzelte, was wieder ein paar Tränen in die Freiheit entließ. Ich sah seine Smaragdaugen, die wieder zu leuchten anfingen, da die Sonne anfing am Horizont zu verschwinden und schon ein schwarzer Streifen Nacht am Himmel erschien. Ich sah seine schmalen warm lächelnden Lippen, die den kleinen Zweifler in mir einen heftigen Tritt verpassten und in eine innere Wand krachen ließen. Eine Wand, die bei diesem Anblick zu bröckeln anfing. Bei diesem süßen Lächeln, das diese Worte gesprochen hatte… und weiter sprach: „Du bist bei weitem mehr als nur ein Mensch für mich.“

Ich zog meine angespannten Lippen zwischen die Zähne und kaute nervös darauf herum, während noch eine Träne sich den Weg nach draußen bahnte. Undertakers Augen folgte kurz der kleinen Zähre und mit einem seichten Lachen verschwand seine Hand von meinem Kinn. Er wischte sachte all die vielen Tränen fort: „Du warst vom ersten Moment an eines meiner Lieblingswesen.“

Ich schaute ihn mit großen Augen an: „Was?“

Er legte lächelnd den Kopf schief: „Glaubst du mir nicht mehr?“

Ich ließ meine Augen hinabfallen: „Ich… Ich weiß nicht… Ich... kann mir halt vorstellen, dass es für jemanden wie dich doch nervig ist mich ständig retten zu müssen. Heute schon wieder…“

„Na na“, sprach er ruhig und drückte mit seinem langen Zeigefinger meinen Kopf wieder hoch. Ich schaute ihn wieder in sein sanft lächelndes Gesicht: „Du bist nicht nervig. Ich will nicht, dass dir etwas passiert. Ich bin wahrlich Jemand, der nicht viel bereut und wahrscheinlich“, er lachte wieder kurz und neigte dabei den Kopf zur Seite. Seine Augen wanderten kurz aus meinem Gesicht. Sein Lachen klang wieder komisch: „Macht mich das nicht gerade zum sympathischsten Wesen zwischen den Welten, doch“, er schaute mich wieder an. Und dieser Blick wirkte unglaublich bedeutungsschwer: „Das ich einige Male nicht verhindern konnte, dass dir etwas zustößt. An Amys Geburtstag. An deinem Geburtstag. Heute. Das“, er atmete einmal schwer aus und sein Lächeln wirkte auf einmal nicht mehr warm, sondern bestürzt: „Das bereue ich wirklich.“

Trotz des Zeigefingers an meinem Kinn klappte mir der Mund ein kleines Stück auf. Ich hatte das Gefühl mir hätte jemand etwas Hartes vor die Stirn geschlagen. In meinem Kopf war nichts sortiert. Ja und Neins flogen vollkommen wirr darin herum und sorgten dafür, dass ich nicht mehr denken konnte. Ich starrte ihn einfach nur an. Vollends verblüfft und überfahren.

Sein Zeigefinger wanderte meinen Kieferknochen entlang, hinterließ auf ihren Weg eine kribbelnde Spur und seine lange Hand wischt mir sanft den Pony aus dem Gesicht, bis sie an meiner Schläfe stehen blieb: „Sage es mir. Sage mir was ich tun muss, damit du mir wieder glauben kannst. Oder sage mir, dass du es nie wieder können wirst und ich werde gehen. Doch ich werde immer dann da sein, wenn dir irgendetwas passieren könnte. Denn das habe ich dir versprochen und meine Versprechen sind mir wichtig. Diese Versprechen sind mir wichtig, weil du mir wichtig bist.“

Die bröckelnde Wand brach zusammen. Ihre Staubwolke vernebelte meinen Verstand und brachte mich dazu vollkommen intuitiv zu agieren. Ich warf meine Arme um den Totengräber und vergrub mein Gesicht in seiner Schulter. So wie vorher. So wie ich es vorher immer getan hatte, wenn es mir in seiner Nähe nicht gut gegangen war. Und er legte seine Arme um mich und zog mich an sich heran. So wie er es vorher immer getan hatte, wenn es mir in seiner Nähe nicht gut gegangen war.

„Ich“, schluchzte ich… schon wieder: „Ich… Ich war so konfus! Du klangst so grausam! Was du sagtest war so grausam! Wie du geschaut hast war so grausam! Ich konnte… nein... ich kann mir immer noch nicht vorstellen, was du da getan hast! Aber… Aber ich will nicht, dass du gehst! Bitte, bitte nicht!“, damit… brach ich auch schon wieder in weitere Tränen aus. Ich zog meine Arme um ihn fester: „Ich weiß, ich war die, die weg gerannt ist. Es tut mir leid! Bitte… bitte bleib hier...“

Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er mich wirklich nicht nervig fand. Ich war nur am weinen… und am jammern… und am schluchzen… und am wimmern. Ich hatte die letzten 48 Stunden nur wenig anderes getan.

Doch seine Hand an meiner Schläfe strich behutsam über die Seite meines Gesichtes: „Sccchhh sccchhh, meine kleine Puppe. Ich bin hier, hörst du?“

Ich zog meine Arme um ihn noch fester. So fest ich konnte. Doch so fest ich konnte, war nicht sonderlich fest. Ich war so schwach und es war alles so anstrengend. Ich war so müde. Mir war schwindelig vom ganzen Weinen. Ich hatte Kopfschmerzen von dem ganzen Chaos in meinem Kopf. Ich war verwirrt, weil etwas aus den Trümmern meiner Wand immer noch Vorsicht rief. Mir war kalt, weil ich an einem kühlen Novemberabend komplett nass im Freien saß. Auch Undertaker fühlte sich kalt an. Er war ebenfalls vollkommen durchnässt. Zudem war sein Körper immer ziemlich kühl, was sich nun ungünstig ergänzte. Doch… obwohl sein Körper so frostig und klamm war, waren seine Worte, sein Verhalten und seine Berührungen so warm. Er hielt mich fest und ertrug mein Geflenne mit einer Engelsgeduld. Hat einfach hingenommen, dass ich ihn anschrie. Hat meine Launen ein weiteres Mal einfach ertragen und in einer Umarmung erstickt.

Ich war mir bewusst... Undertaker war immer noch ein unglaublich gefährliches Wesen. Doch… er wirkte gar nicht mehr gefährlich. Er wirkte so herzlich. Nein… Nein, ich wollte nicht, dass er ging.

Mein Körper hatte seinen Zenit überschritten. Mein Kopf war vollkommen neben der Spur, doch mein Herz… mein Herz freute sich. Es freute sich über alle Maßen. Und es genoss. Obwohl ich weinte genoss es jede Sekunde in Undertakers Armen.

Ich wollte alles um ihn verstehen. Ich wollte etwas an all dem was mir Angst machte finden, dass Undertaker weniger schrecklich wirken ließ… und eigentlich hatte Amy mir schon etwas gegeben. Sie hatte mir vor vielleicht etwas mehr als einer Stunde etwas erzählt, was das alles weniger schrecklich machte. Nicht zwingend einwandfrei… aber auch da hatte Amy recht. Um Perfektion, um Fehlerfreiheit ging es nicht. Undertaker verleumdete nichts. Er stand zu dem was er getan hat. Er stand dazu und dahinter. Er war ehrlich und redete nichts schön. Und das… das zeugte von einer Menge Charakter. Mehr Charakter, als die meisten Menschen zeigten. Wahrscheinlich kam seine Sicht auf die Welt wirklich nicht von Irgendwo. Sie kam aus vielen gesehenen Leben und eigenen schmerzhaften Erfahrungen. Und darum… Um so etwas ging es. Um Ehrlichkeit und um das Bejahen eigener Taten.

„Hey, hey. Durchatmen, meine Schöne“, riss mich die Stimme des Inkognito-Sensenmann aus meiner inneren Abhandlung.

Ich versuchte es. Es funktionierte nur nicht: „Es geht nicht! Ich muss... Ich kann nicht...“

„Weine, wenn du weinen musst“, er strich mir durch die Haare: „Quäle dich nicht. Ich bin hier.“

Und mit diesen Worten blieb er einfach nur da. Er saß einfach nur da und wartete ab. Wartete ab und hielt mich fest, bis ich mich wieder beruhigt hatte. Und es dauerte, bis ich mich wieder beruhigt hatte.

Irgendwann ebbte mein Weinen in ein Schluchzen ab. Und nach ein paar Mal Schluchzen wurde mir bewusst, dass ich den Totengräber jetzt schon minutenlang um den Hals hängen und ihm die Ohren voll plärren musste. Mit einem Ruck zog ich meinem Kopf aus seiner Schulter, atmete einmal tief durch und ließ ihn nach hinten kippen: „Himmel! Ich bin so peinlich!“

Seine Hand - die vom Streichen durch meine Haare noch auf meinem Hinterkopf lag - bog meinen Kopf nach vorne. Meine Stirn landete auf seiner.

„Äh-äh“, lachte er seicht und schüttelte den Kopf. Das Schütteln seines Kopfes ließ meinen Kopf auf seiner Stirn mit schütteln. Seine kalte Nase streifte dabei zweimal über meine: „Bist du nicht.“

Ich hob meine Augen in seine. Sie leuchteten hell. Funkelten wie zwei grüne Sterne. Die Sonne musste untergegangen sein... Und es sah erstaunlich aus!

Ich seufzte: „Doch… ganz doll sogar.“

Er lachte noch einmal. Es war kein albernes Lachen. Sondern warm und aufmunternd: „Hehe. Aber nein. Nicht ansatzweise.“

„Doch… und du musst es ertragen...“

„Hey“, er nahm seine Stirn von meiner: „Fu fu fu. Das hier ist alles meine Schuld. Also hab ja kein Mitleid mit mir.“

„Das…“, ich schaute schräg zu Seite: „Ist nicht deine Schuld. Das ist meine… Ich hab meine Nase in deine Angelegenheiten gesteckt, obwohl ich merkte, dass du nicht drüber sprechen möchtest. Ich zwang dich es zu tun und dann... bin ich weg gerannt… Ich weiß nicht, warum ich das getan hab… Es war total doof und… und gemein...“

„Nein“, er tippte mir auf die Nase und ich schaute ihn wieder an. Er legte den lächelnden Kopf schief: „Ich habe nicht damit gerechnet, dass du es verstehst. Ich hätte es auch nie verlangt. Ein so reines, junges Ding wie du kann so etwas nicht verstehen“, sein Lächeln bekam wieder eine komisch traurige Nuance: „Aber ich verstehe dich. Glaube mir, ich war nie sauer oder wütend über das, was du getan hast. Ich habe es verstanden und ich dachte es war“, er atmete kurz durch: „Ich denke es ist besser so.“

Schon wieder wurde etwas in mir aufgeschreckt: „Was?! Wieso?!“

Er schüttelte kurz mit geschlossenen Augen den Kopf und öffnete sie wieder: „Ich weiß, dass ich… dass ein Wesen wie ich es bin kein Wegbegleiter für dich ist.“

Ich riss die Augen auf.

Ging er jetzt doch wieder?!

Ein paar Momente starrte ich ihn an. Ich starrte ihn an, während ein kalter Schock mich lahmlegte. Die Angst, dass er doch fort ging.

„Wie“, ich schluckte gequält: „Wie meinst du das?“

Undertaker musterte eine kurze Ewigkeit mein Gesicht. Seine lange, vom Wasser und Wind eiskalte Hand fuhr einmal komplett über die Seite meines Gesichtes. Dann schaute er mir in die Augen: „Ich bin ein Mörder“, er legte die Stirn an meine. Schloss seine leuchtenden Augen. Strich schon fast rastlos mit seinen kalten Fingern über mein Kinn, meine Unterlippe, meine Wange: „Ein Massenmörder sogar. Ein vollkommen verrückter Massenmörder“, dann schlug er seine Augen wieder auf. Schaute tief in meine. Von ganz nah. Mein Puls raste. Wo seine Finger meine Haut berührt hatten knisterte es, als stünden diese Stellen unter Strom. Mir gefielen seine Worte nicht. Mir gefiel nicht, wie er über sich sprach.

Ich schüttelte den Kopf: „Du bist kein verrückter Massenmörder. Du bist ein verletzter Mann, der seinen besten Freund vermisst. Das macht einen himmelweiten Unterschied.“

Undertaker lachte flach: „Ich bin ein verrückter Massenmörder und ein verletzter Mann, der seinen besten Freund vermisst. Das Eine schließt das Andere nicht aus.“

„Osiris“, sagte ich leise.

Undertakers Kopf zuckte ein Stück zurück. Doch sein Gesicht war nur ein paar Zentimeter entfernt. Gerade so weit, dass ich es ganz sehen konnte als er mich fast irritiert ansah. Ohne Lächeln. Irritiert… und sichtlich nicht erfreut: „Woher kennst du diesen Namen?“

„Amy.“

Jetzt lachte Undertaker in Erkenntnis. Doch es war kein fröhliches Lachen: „Hehe. Sie hat den Butler ausgefragt, richtig?“

Ich nickte.

„Herrje… Hehe! Ich hätte mir denken können, dass die kleine Phantomhive nicht locker lässt.“

„Die Campania war nie deine Idee, oder?“

Er schüttelte den Kopf: „Nein, aber das macht nichts besser.“

„Natürlich!“

Er lachte wieder freudlos: „Tihi. Sky. Ich habe mitgemacht. Zwingen musste man mich zu nichts. Chamber unterbreitete mir den Plan und ich habe sofort zugestimmt. Ich wollte wissen, wozu meine Dolls fähig sind. Ich habe mich Chamber und Stocker wahrlich nicht aus Sympathie angeschlossen. Sie waren nützlich. Stocker war nützlich, übereifrig, von seiner Begeisterung geblendet und dumm. Die perfekte Marionette. So hatte ich durch das Karnsteinhospital mehr als nur massig Material. Ich wollte wissen wie weit meine Dolls wirklich waren.“

‚Chamber?‘, irgendetwas in meinem Kopf klingelte. Mir war als sei mir dieser Name in der letzten Zeit schon mal über den Weg gelaufen. Doch mein durcheinander gewürfelter Verstand konnte mir nicht sagen wann, oder wo. Also beschloss ich vor erst nicht weiter zu bohren. Ich wollte nicht, dass er wieder ging und ich war mir mittlerweile das die Campania ein recht rotes Tuch zu sein schien. Zumindest teilweise. Ich wollte keinen Grund für neuen Streit, oder was auch immer das Freitagabend zwischen uns gewesen war. Wer dieser ‚Chamber‘ war, würde ich sicherlich irgendwann schon herausfinden. Also schob ich die Frage bei Seite und schüttelte bestimmt den Kopf: „Die Dolls an sich, Undertaker, das ist halb so wild.“

Er zog eine Augenbraue hoch: „Was?“

Ich seufzte kurz und legte meine Hand auf seine Brust. Ich spürte wie sein Herz durch sein nasses Hemd gegen meine Handfläche klopfte. Kräftig und beständig. Dieser Rhythmus surrte vibrierend durch die Nerven meines ganzen Armes: „Diese Menschen waren schon tot, Undertaker. Die hat das doch nicht mehr interessiert. Doch das mit der Campania… das hat sich angehört, als hast du dir Monster zusammengebastelt um die verdorbene Menschheit zu vernichten oder irgendwie sowas. Aber das war gar nicht deine Intension. Du warst nur neugierig und hast dich an Dinge… Menschen… gehalten, denen es nicht mehr schadet. Osiris hatte die Idee ein Massaker daraus zu machen.“

Undertaker blinzelte mich mit großen Augen an: „Aber du weißt was du da sagst, ja?“

„Ja“, hielt ich seinen Blick stand: „Doch denke nicht, dass ich deine Aktion auf der Campania gut finde. Das war gelinde gesagt richtig scheiße, Undertaker. Das war so richtig großer Mist. Viel davon. Verdammt viel davon. Aber“, ich schaffte ein Lächeln, was Undertaker noch größere Augen machen ließ: „Ich glaube fest daran, dass du deine Gründe gehabt haben wirst und das diese Gründe nicht die Vernichtung der Menschheit und die Ausrottung allem Übels waren.“

Undertaker schüttelte den Kopf: „Nein. Nein, das war es nicht. Ich war neugierig. Ich wollte einfach nur wissen, wie alles ausging... und... ja...“

„Siehst du? Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Doch unwichtig ist er auch nicht.“

Undertaker schnaubte kurz. Es war nicht ansatzweise amüsiert. Dann fuhr er gedankenverloren mit einem seiner Fingernägel die Konturen meines Kinns entlang. Es kitzelte. Eine Gänsehaut breitete sich auf meinen Armen aus.

„Du bist so schön“, sprach er leise und vollkommen kontextlos.

Ich blinzelte ihn an, ein warmer Schatten flog auf meine Wangen: ‚...Was?‘

„Und du hast so eine reine Seele.“

‚Was?‘

„Und so einen unglaublichen Charakter.“

‚Was?!‘

Sein Finger strich über meine Unterlippe: „Du hast so viel an dir was so liebreizend ist, dass mir die Worte fehlen es zu beschreiben, meine Schöne.“

Mein Herz übersprang einen Schlag. Meine Gedanken kamen ins Stocken, fingen dann an zu rasen und fielen übereinander: ‚WAS?!… Wie bitte?… Ich… Er… Was?!….?!‘

Er schloss die Augen, als er einmal durchatmete. Sein Lächeln verschwand. Verschwand in ein traurig ernstes Gesicht. Bei diesem Anblick schwante mir übles. Ich war mir aus irgendeinen Grund mehr als nur bewusst, dass mir was folgen wird nicht gefallen würde: „Ich habe das alles nicht.“

„Was?“, floh mir die immer gleiche Frage aus meinen Gedanken. Sein Tonfall… Er klang nach Abschied. Mein Herz zog sich zusammen. Mit meiner freien Hand verschränkte ich meine Finger in die Finger seiner Hand, die nicht in meinem Gesicht lag. Die andere krallte sich in sein Hemd. Drückte das Wasser aus dem Stoff und ließ es kalt über meine Finger rinnen. Ein stümperhafter Versuch zu verhindern, dass er doch wieder ging.

Undertaker schaute mich wieder an: „Ich habe keine reine Seele. Bin kein unglaublicher Charakter. Ich bin mitleidslos, reuelos, selbstsüchtig, rachsüchtig. Einfach schlecht und verdorben bis ins Letzte. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn ich dich verderben würde. Doch genau das würde passieren.“

Sein Gesichtsausdruck war herzzerreißend. Er zerfetzte meins geradezu. Seine Mundwinkel hingen ein Stück nach unten. Nur ein ganz kleines Stück, doch dies reichte um ein schmerzhaftes Surren durch mich hindurch zu schicken. Ich hatte seinen Mund schon hin und wieder gerade gesehen, doch das? Das sah ich zum ersten Mal. Seine schimmernden Augen sahen so betrübt in meine. Mein Blick verhedderte sich darin. Und seine Stimme… sie klang so schwer, als er weiter sprach: „Es war gut, dass du ranntest. Du hast vollkommen intuitiv das Richtige getan. Ein so unbescholtenes, lauteres und argloses schönes Ding wie du, sollte ihre Zeit nicht mit einem Scheusal, wie mir, verbringen.“

„Was?“, kalter Schock griff mich mit klammen Fingern: „Scheu… Bitte?! Scheusal?!“

Ich wollte nicht, dass er so final klang. Ich wollte nicht, dass er wieder ging. Ich wollte auch nicht, dass er so über sich selbst sprach. Warum? Warum sprach er so schlecht über sich?

„Wa-warum sagst du sowas? Warum redest du so schlecht von dir?“

„Weil ich nicht lüge.“

Der kalte Schock in meiner Brust zog sich enger, als ich unfähig wegzusehen weiter in seine Augen starrte. Die Berührung seiner kalten Hand surrte in meinem Gesicht: „Aber… Das stimmt nicht! Du bist so gar nicht!“

„1873“, erwiderte der Bestatter.

Ich werde nie wieder vergessen, was diese Zahl bedeutet. Ich drückte seine in meine verschränkten Finger fester: „Aber… warum bist du gerade nicht so?“

Auf seinem Gesicht erschien ein halbes Lächeln: „Wegen dir.“

„Was? Warum?“

Sein Daumen fuhr über meinen Wangenknochen: „Weil ich dich mag.“

„Aber...“, meine Augen fielen nach unten: „Ich… bin doch gar nicht mögenswert...“

Seine Hand wanderte meine Wange entlang, griff mein Kinn und zog mich zu sich heran. Meine Nase stupste gegen seine. Sie war wirklich noch viel kälter als sonst. Fror er wirklich nicht?

Mein Herz schlug auf einmal wie ein Motor im höchsten Gang.

„Natürlich bist du das“, sprach Undertaker mit smaragdgrünen Augen, in denen ein sanftes Lächeln lag: „Hörst du mir denn gar nicht zu?“

Diese Augen leuchteten so herrlich. Ich konnte nicht anders als sie anstarren und es lag nicht daran, dass sie eigentlich mein ganzes Sichtfeld füllten. Ich war mir sicher, selbst wenn ich irgendwo anders hätte hinschauen können, ich hätte es nicht getan. Ich wollte nichts anderes sehen. Die Welt war vollkommen egal geworden und einfach verschwunden. In einem Herzschlag. Denn diese Augen waren einfach so schön. Diese Augen mit dieser Farbe und diesem Lächeln darin… waren mehr als nur eine Legende wert. Sie fesselten einen. Ließen einem den Mund ganz langsam aufklappen, weil man gar nicht sofort erfassen konnte was man sah. Und sie zu verstehen war einem Menschen sicher fast unmöglich. Denn darin lag zu viel. Zu viel um es in den ca. 80 Jahren, die ein Mensch auf dieser Erde wandelt, sehen und begreifen zu können.

„De-“, begann ich unbeholfen, um mich selbst zu wecken: „Denkst du?“

„Aber natürlich“, antwortet er. Ein warmes Schmunzeln lag in seiner Stimme: „Sehr sogar.“

„Du“, ich atmete einmal tief durch. Meine Stimme war zittrig. Ich war zittrig, durch dieses warme fast nervöse Gefühl, dass seine leuchtenden Augen in meiner Brust anzündeten: „Du bist auch kein schlechtes Wesen. In… in meinem Augen nicht.“

Seine Hand wanderte wieder meine Wange hinauf und verschwand in meinen Haaren. Und ich starrte weiter in diese Augen. In diese unfassbaren, verboten schönen Augen. Außer diesem Grün gab es einfach nichts mehr. Und ich vermisste nichts. Denn was ich so vermisst hatte… war genau das.

Sein Daumen strich über meine Wange: „Du sagst so etwas, obwohl du nun alles weißt?“

Ich konnte nur nicken.

„Das ehrt mich“, das Schmunzeln in seiner Stimme war ein Lächeln geworden: „Wirklich.“

Mein Herz hüpfte in meiner Brust hin und her. Ich rutschte auf meine Knie ein Stück nach vorne und legte meine Arme um Undertakers Hals. Ich wollte ihn festhalten. Ich wollte unter allen Umständen verhindern, dass er wieder ging.

„Ich habe dich vermisst“, murmelte ich kaum hörbar.

Undertaker entfuhr ein leises Lachen. Ich legte meine Stirn an seine und schloss meine Augen. Ich merkte wie mich zwei Arme schnappten und zu ihm zogen. Dieses Gefühl war so wohlig. Was genau gerade geschah konnte ich nicht einsortieren, doch ich wusste dass ich nicht wollte, dass es endet.

Seine Nase rutschte neben meine, als sein Gesicht noch näher kam.

„Ich habe dich auch vermisst“, sein Atem rollte über meine Lippen. Er war genau so kühl wie seine Hände oder sein Gesicht. Er roch nach Früchten und Minze und kribbelte auf meinen Lippen. Sie waren so nah. Das Gesicht des Totengräbers war so nah. Mein Herz hatte mittlerweile ausgesetzt. Er war mir so nah wie damals am Bach. Ich merkte wie er den Kopf schief legte: „So furchtbar...“

JAAAAAAAA!!!~♥“, kreischte es durch die ruhige fast Nacht.

Der Moment zerriss.

Schmerzlich.

Sehr sehr schmerzlich.

Mein Kopf zuckte erschrocken zurück, als ich merkte, dass wir nicht alleine waren. Ich spürte wie sich Undertakers Hände kurz verkrampften.

„Du machst das toll! Weiter so! Nur...!“

„Och! Halt doch nur einmal deine Klappe, du Schwachmat!“

RÖMS!

„AAAAAAHHHHHH!“

PLATSCH!

Der Kopf des Bestatters fuhr herum und er drehte sich ein Stück von mir ab, um die Brücke - die eigentlich die zwei Colleges verband - sehen zu können. Meine Arme verloren ihren Halt um ihn und ich fiel nach hinten über.

Erst als ich die Brücke sah merkte ich, dass ihr eine Hälfte fehlte. Wahrscheinlich war sie dem Leviathan zum Opfer gefallen, der nun tot in der Themse lag und sich langsam in Staub auflöste. Die Sonne war noch nicht ganz untergegangen. Es war schon recht düster, doch ihre letzten, schwachen Strahlen erhellten drei Gestalten auf der halb weggerissenen Brücke.

Eine schüttelte mit dem Kopf und hatte einen Rasenmäher geschultert.

Die Zweite hatte einen Arm in die Hüfte gestemmt und schob ihre Brille hoch.

Die Dritte hatte eine Hand um die Brust verschränkt und die Zweite nachdenklich und schmunzelnd an sein Gesicht gelegt.

Undertaker seufzte lange und legte kopfschüttelnd eine Hand über seine Augen. Dann schaute er auf die Themse. Mein Blick folgte ihm. Eine rote Gestalt trieb bäuchlings auf dem Wasser. Blasen blubberten neben ihrem Kopf an die Oberfläche.

Mein Gesicht wurde sengend heiß, als ich Ronald, William, Sebastian und Grell erkannte. Wie lange hatten die Vier da schon gestanden?! Ich war mehr als nur geschockt darüber, dass sie da waren.

„Ehehehehehehehe!“, lachte Undertaker laut, sodass die Drei auf der Brücke ihn definitiv hören konnten: „Ich glaube, er ertrinkt!“

„Zu Recht!“, rief Ronald herunter.

„Ach?“, machte William: „Möchtest du seine Schicht übernehmen?“

Ronald drehte sich zu William: „Was?! Nein!“

RÖMS!

„AAAAAAHHHHHH! WIIIIIESO?!“

„Dann hole ihn da raus!“, rief William noch erhobenen Fußes dem von der Brücke fliegenden Ronald hinterher.

PLATSCH!

Es dauerte ein paar Sekunden, dann tauchte auch Ronald bäuchlings neben Grell auf dem Fluss auf.

Es wunderte mich auch überhaupt nicht, dass Undertaker in schallendes Gelächter ausbrach. Er kippte mit vor dem Bauch verschränkten Armen auf den Boden: „Pahahahahahahaha! Awuwuwuwuwuwuw! Jetzt ertrinken Beide! Ehehehehehehehe!“

„Wenn du es schon feststellst“, tönte William zu uns herunter und wandte sich mit Sebastian einfach zum gehen: „Hole sie doch raus. Du bist schon nass.“

„Was?!“, Undertaker setzte sich wieder auf: „Warum soll ich jetzt deine Leute retten?!“

Doch der Aufsichtsbeamte und der dämonische Butler waren schon verschwunden.

Undertaker seufzte nun wieder halb giggelnd und stand auf: „Haaaaaa… Nihihihi! Wie furchtbar. Das sind keine Grim Reaper, das ist eine Truppe schlecht bezahlter Zirkusclowns. Fu fu fu fu!“

Ich konnte nicht lachen.

Es. war. so. peinlich!

Warum? Weshalb? Weswegen? Oder was überhaupt! Keine Ahnung. Doch ich fühlte mich furchtbar ertappt.

Undertaker wandte den Kopf zu mir: „Ki hi hi. Wenn du mich kurz entschuldigen würdest? Bevor die Beiden da ersaufen. Fuhuhu!“

„Klar...“, presste ich aus meinem vor Unwohl verkrampften Körper hervor: „Mach du mal...“

„Nihihi. Bis gleich“, mit diesem Worten ging er zurück zum Fluss. Die Welle hatte uns ein ganzes Stück nach hinten gespült. Dann erschien Undertakers Sense in seiner Hand. Der Totengräber schien nicht daran zu denken ein weiteres Mal nass zu werden und angelte die beiden Reaper am Kragen mit seiner Sense aus dem Fluss. Die Beiden lagen einfach nur auf dem Boden und bewegten sich nicht. Die Sense verschwand, Undertaker verschränkte giggelnd die Arme und stupste Grell immer wieder mit dem Fuß an: „Nihihi! Lebst du noch?“

Grell bewegte sich nicht.

Er wandte sich zu Ronald und stupste nun ihn mit dem Fuß an: „Fuhuhu! Und du?“

Ronald spuckte eine kleine Wassersäule in die Luft und setzte sich den Kopf haltend auf: „Warum tut William sowas immer? Ich habe doch wirklich nichts gemacht...“

„Nun ja“, lachte der Bestatter: „Das könnte mein schon als hinterhältigen Mordversuch auslegen. Fu fu fu!“

„Als ob Grell sowas ernsthaft was ausmacht!“

„Nun“, Undertaker schaute auf Grell: „Tihi! Er bewegt sich nicht.“

„WAS?!“, Ronald fuhr zu dem roten Reaper herum: „Oh ne. Ach Scheiße! Sag‘ nicht der ist hin!“

„Fuhuhuhuhu! Selbst wenn. Dann muss ich ihn halt wieder hübsch machen“, Undertaker ging in die Knie, packte Grells Kinn mit seiner langen Hand und knautschte seine Wangen zusammen, als er ihn ein Stück daran anhob. Er drehte abschätzend Grells Kopf hin und her: „Mit dem versauten Make up kann ich ihn nicht vergraben und der Aufzug geht für eine Gala nun gar nicht. Ihihihihi! Ein blaues Kleid steht ihm sicher vorzüglich. Puhu! Ja, genau so mache ich es!“

BLAUES KLEID?!“, Grells Augen sprangen auf und er ging Undertaker schreiend an den Kragen: „Du kannst mir, mit meinem strahlend roten Haar, doch kein blaues Kleid anziehen! Das BEIßT sich! Oh, du hast von Mode sowas von dermaßen keine Ahnung, es ist zum Mäuse melken! Du stilbefreiter AFFE!“

Undertaker lachte, während Grell ihn würgte: „Pahahahahahahahaha! Du lebst ja doch noch!“

„Natürlich lebe ich, du irre alte Wachtel!“

„Wahahahahaha! Warum reagierst du dann nicht sofort?!“

„Warum bringt ihr mich immer halb um?!“

„Ich?“, der Bestatter lachte einfach immer weiter. Jeder Andere wäre schon dreimal ohnmächtig geworden: „Ich habe dich aus dem Wasser gezogen, mein lieber Freund. Ehehehehehe! Du würgst den Falschen!“

Grell ließ Undertaker los und sprang auf Ronald. Dieser schrie, doch dann erstickte es, als Grell seinen Hals nahm und ihn immer wieder ein Stück daran hoch zog, nur um ihn wieder auf den Boden zu knallen: „DU kleiner Scheißer! Was denkst du dir eigentlich dabei?! Das hat verdammt weh getan! Mein Make up muss komplett im Eimer sein, wenn es schon dem Verrückten auffällt! Erwürgen sollte ich dich, du KLEINE RATTE!“

„Ja, was tust du denn gerade?!“, schrie Ronald: „Lass‘ mich los! Ich krieg‘ keine Luft!“

„Das ist der Sinn der Sache, du IDIOTISCHER GRÜNSCHNABEL!“

Ich konnte die Szenerie ja nur mit verwirrt blinzelnden Augen bestaunen. Undertaker war natürlicher derweilen in einem weiteren Lachanfall zusammengebrochen.

Dann schrie ich.

Ich schrie und zuckte zusammen, weil plötzlich etwas mit einem Luft zerreißenden schrillen Surren an mir vorbei schoss. Undertaker hörte sofort auf zu lachen und fuhr zu mir herum. Die Schneide von Williams Death Scythe traf Grell genau am Kopf und dieser kippte einfach zur Seite. Ronald blieb alle Viere von sich gestreckt liegen.

Undertakers Gesichtsausdruck entspannte sich wieder in ein Grinsen, als er sah was hinter mir war.

„Subtil, Mr Spears“, erkannte ich die Stimme des Butlers in meinem Rücken.

Mein Herz raste. Mehr Schreck hielt ich einfach nicht mehr aus!

„Ich habe keine Lust mehr auf dieses Theater“, hörte ich nun die Stimme von William.

Die Beiden schritten gemächlich an mir vorbei.

Undertaker schüttelte lachend den Kopf und verschränkte die Arme: „Na, fabelhaft. Kihihihihi! Jetzt ist er wirklich K.O. Fuhuhuhu!“

„Mein Mitleid hält sich in Grenzen“, schob William seine Brille hoch.

„Nihihihi! Das fällt gar nicht auf, liebster William.“

„Nenne mich nicht so“, knirschte William mit den Zähnen.

„Wir haben andere Probleme“, unterbrach der Butler das Geplänkel.

„Aha?“, machte Undertaker grinsend.

Der Butler nickte zum Fluss: „Das. Die ganze Schule hat es gesehen.“

„Das war auch wahrlich schwer zu übersehen, findest du nicht, Butler? Nihihihi!“

Sebastian seufzte: „Dessen bin ich mir durchaus bewusst. Wir müssen es irgendwie erklären.“

„Viel Spaß“, grinste Undertaker noch breiter: „Kehehehe! Das könnte spannend werden. Wie viele Schüler hat diese Schule? 800? Das Jungscollege hat es definitiv auch mitbekommen. Da wären wir schon bei 1600. Fuhuhu! Dann noch mal um die 60 Angestellte und Lehrer auf beiden Schulen...“, er tippte gespielt überlegend mit einem Finger an sein Kinn: „Huhuhu! Das sind ja nur 1720! Die Nachbarn, die es sehr wohl auch gesehen haben werden, nicht mit eingerechnet. Kehehehe!“

Sebastian schloss genervt die Augen: „Auch dessen bin ich mir bewusst.“

„Fu fu fu. Da ist guter Rat wahrlich teuer, hm?“

Der Butler neigt seinen Kopf: „Hast du denn einen guten Rat?“

Der Totengräber hielt seine aneinander reibenden Finger in das Gesicht des Butlers: „Wie gesagt, der ist teuer. Nihihi!“

Seufzend wischte der Butler sie weg: „Haben dich diese Einfaltspinsel denn nicht gebührlich genug unterhalten?“

Ronald setzte sich auf: „Hey!“

William trat auf seinen Kopf und drückte ihn, Gesicht voran, wieder in den Staub. Ronalds Arme fuchtelten hilfesuchend durch die Luft. Ihm half nur keiner.

„Kehehehe! In der Tat“, kicherte Undertaker: „Doch die fragen mich nicht.“

Sebastian schaute zu William. Dieser schob nur seine Brille wieder hoch: „Ich helfe keinem Dämon. Meinen Rabat gebe ich für dich nicht aus.“

„Sprach der, der eben noch Seite an Seite mit ihm kämpfte“, giggelte der Totengräber amüsiert.

William warf ihm einen giftigen Blick zu.

Doch Undertaker schaute nur wieder zu Sebastian: „Nihihi. Also?“

Sebastian seufzte: „Nun. Es muss wohl so sein.“

Der Dämon ging mit verschwörerischer Miene einen weiteren Schritt auf den unmenschlichen Totengräber zu. Dann legte er eine Hand in sein Ohr und flüsterte so leise, dass ich es nicht hören konnte. Auch William schaute recht fragend aus, während er Ronald weiter im Sand erstickte. Doch das schien der Aufsichtsbeamte schon lange vergessen zu haben.

Undertaker nickte ein paar Mal, während Sebastian weiter murmelte. Die Mundwinkel des Bestatters zogen sich weiter und weiter nach oben, mit jedem Wort, das der Butler zu sagen schien.

Einmal zuckte Undertakers Kopf mit einem riesigen und teils ungläubigen Grinsen ein Stück weg und er schaute den Butler an: „Nicht im Ernst, Butler! Nihihihi! Mit allem drum und dran?“

Der Butler nickte unangetan: „In der Tat, mit allem drum und dran.“

„Fuhuhu! Du armer Tropf!“, Undertaker streckte ihm wieder das Ohr hin: „Erzähl weiter!“

Wieder die Hand ein seinem Ohr flüsterte der Butler weiter. Undertaker hatte konstant zu kichern begonnen, doch da er schon berichtete, dass guter Rat dieses mal teuer sei, schien der Butler es gar nicht erst versuchen zu wollen sich darauf zu berufen.

Nach einigen weiteren Minuten…

… krachte Undertakers Lachen durch beide Schulen…

Die paar Vögel, die das sich dem Winter zuneigende London noch nicht verlassen hatten, stoben aus den Bäumen und suchten erschrocken zwitschernd das Weite.

Ich war mir sicher die geflohenen Schüler, Lehrer und Angestellten konnten es noch hören, egal wie weit sie gelaufen waren.

Der Totengräber fiel an Ort und Stelle einfach um. Lachend wie der liebenswerte Irre, der er einfach war, rollte er sich über den Boden. Es dauerte bis sich der Bestatter wieder gefangen hatte. Irgendwann lag er nur noch, alle Viere von sich gestreckt, auf dem Boden und atmete schwer wie giggelnd: „Kihihihi… Awuhuhuhuhu… Nahahahaha… Herrlich, Butler! Einfach… Buhuhuhu… Einfach vorzüglich!“

„Nun?“, entgegnete nur der Butler nüchtern.

Undertaker setzte sich grinsend auf: „Tue einfach gar nichts.“

Eine pulsierende Ader erschien an Sebastians Schläfe.

„Bitte?“, fragte er angestrengt höflich, alle Kontenance aufbietend, die er zu haben schien.

„Tue gar nichts!“, lachend schwang sich der Bestatter wieder in den Stand: „Menschen sind atemberaubend geschickt darin sich selbst zu belügen. Nihihihi! An so etwas, fu fu fu, abstruses wie wir es sind, wollen sie nicht glauben. Sie werden sich ihre Geschichte schon zusammen puzzeln. Es wurde uns doch allen schon einmal eindrucksvoll demonstriert!“

William schüttelte den Kopf, die Arme verschränkt, das Bein immer noch auf Ronalds Kopf, der mittlerweile aufgehört hatte mit den Armen zu wedeln: „Die Massenhalluzination auf der Campania.“

Undertaker schnipste den ausgestreckten Zeigefinger zu ihm: „Exakt. Kihihihi!“

Sebastian legte überlegend seine Hand ans Kinn: „Dieser Einwand ist gar nicht so dumm.“

Undertaker legte den Kopf schief: „Naaaa. Das klingt ja, als würde ich den ganzen Tag nur Unsinn erzählen.“

„98% der Zeit“, entgegnete der Butler trocken: „Doch auch ein wahrhaft blindes Huhn, wie du, scheint hin und wieder ein Korn zu finden.“

Undertaker zog eine Augenbraue hoch, giggelte jedoch: „Deine Freundlichkeit sprengt mal wieder alle Grenzen. Ti hi hi hi.“

„Es ist erstaunlich, nicht?“, nahm der Butler das Kompliment an, welches keins war: „Ich bin immer wieder selbst von mir überrascht.“

Undertaker reckte seinen Kopf zum Butler und tat so als würde er ein paar Mal an ihm schnüffeln. Dann zog er, mit vor seinem grinsenden Gesicht wedelnder Hand, seinen Kopf wieder zurück: „Puuuuuuh... Ki hi hi hi!“

„Was tust du da?“, fragte nun Sebastian mit erhobener Braue.

„Ehehehehe! Dein Eigenlob stinkt zum Himmel!“

Seufzend schüttelten Sebastian und William den Kopf.

„Hatschie!“, entfuhr es mir.

Es war so furchtbar kalt. Ich zitterte und rieb mir die Arme. Die letzten Sonnenstrahlen waren verschwunden und die Themse hatte den Staub mit sich genommen, der mal der Leviathan gewesen war.

Die drei Männer wandten sich herum.

„Herrje herrje“, kam der Totengräber auf mich zu und ging vor mir auf ein Knie, um auf meiner Augenhöhe zu sein: „Wie unmanierlich von mir dich hier im Kalten sitzen zu lassen.“

„Ach“, versuchte ich zu lächeln: „Mir geht es… Hatschie!“

Doch mein Lächeln brach ein, als ich Undertakers Gesicht sah. Die Wunde selbst war irgendwo unter seinen Haaren, doch das kleine Blutrinnsal war einmal komplett über sein Gesicht gewandert. Die Spur fing schon an zu trocknen. In dem Moment, in dem ich etwas dazu sagen wollte, schoben sich zwei Arme unter mich, hoben mich hoch und brachten mich so komplett aus dem Konzept: „Na na. Keine faulen Ausreden. Die muffeln immer schlimmer als das Eigenlob des Butlers und das, nihihihi, ist wahrlich gar nicht so einfach.“

„Äh äh äh… Ich… ich“, Farbe schoss mir ins Gesicht. Nach allem was geschehen war. Nach diesem furchtbaren Schreck. Nach diesem grausamen Wochenende. Nach allem worüber ich mir über mich selbst und dem Bestatter klar geworden war, war jede Berührung von ihm auf eine ganz andere Art und Weise peinlich als zuvor. Ich wusste jetzt warum mir immer alles peinlich gewesen war. Ich war total verknallt und konnte damit einfach nicht umgehen. Doch diese Gewissheit machte alles nur noch schlimmer und noch viel peinlicher: „Ich… kann selber laufen!“

„Gewiss“, grinste der Totengräber und setzte sich einfach in Bewegung: „Aber ich lasse dich jetzt nicht bis zur nächsten intakten Brücke und wieder zurück laufen, damit du auf jeden Fall wieder mit einer herrlichen Erkältung danieder liegst.“

Mein Gesicht wurde noch wärmer. Meine Ohren waren kurz davor Feuer zu fangen: „Aber aber… Es macht doch keinen Unterschied, ob ich alleine zur nächsten heilen Brücke laufe oder du mich dort hin trägst!“

„Wer sagt, dass ich zur nächsten heilen Brücke will?“, kicherte der Bestatter.

„Ja, was denn sonst?“, erwiderte ich: „Die hier ist total zerstört! Da kommt man nicht mehr weit!“

„Sicher?“, grinste Undertaker verheißungsvoll und blieb vor der kaputten Brücke stehen, die sich 10 Meter über unseren Köpfen erhob.

„Ja!“, machte ich.

„Oh, wie schmerzlich“, neigte Undertaker den grinsenden Kopf: „Dass du mir nicht einmal so etwas zutraust.“

„Hä?“, entfuhr mir der wahrscheinlich intelligenteste Ausruf des Tages… nicht…

Mit einem lauten Kichern sprang Undertaker hoch. Die Luft sauste an mir vorbei. Mit einem Satz landete er auf der Brücke. Ich klimperte ihn mit großen Augen an.

„Kein Mensch“, grinste er weiter und ging auf das kaputte Ende zu: „Mir scheint du vergisst es des Öfteren, ni hi hi hi!“

„Öhm höm nöm… nein?“, fragte ich eher als zu antworten: „Aber woher soll ich wissen was du alles kannst?!“

„Vertraue mir doch einfach. Kihihihi!“, blieb er am bröckeligen Ende stehen. Ein Steinchen löste sich aus der zerstörten Konstruktion und fiel in die Themse. Die Distanz zum andern Ufer war weit. Sehr weit.

„Das schaffst du nicht!“, erwiderte ich laut: „Wir gehen beide baden! Oh bitte, Undertaker! Ich hab‘ genug von WassAAAAAHHHHH!!!“

Schreiend schlang ich meine Arme um Undertakers Hals. Wortlos, aber amüsiert kichernd hatte er einfach einen großen Satz getan. Der Wind rauschte in meinen Ohren, als ich mit weit aufgerissenen Augen die Themse einige Meter unter uns hinweg sausen sah. Wir waren hoch! Sehr hoch! Verdammt hoch! Ich glaubte mein Herz setzte aus und ich starb einfach hier und jetzt und auf der Stelle! Der Bestatter war nicht einfach nur nach vorne gesprungen, nein. Das wäre ja auch einfach zu einfach. Er war auf noch ein ganzes Stück nach oben gesprungen! Während wir durch die Luft sausten, wurde die Themse immer kleiner. Sehr schnell, immer kleiner! Das Tempo des Totengräbers war beachtlich. Wäre ich mir nicht sicher gerade dem Tod ins Auge zusehen, hätte ich es wahrscheinlich bestaunt.

Undertaker landete federweich auf dem Dach meines Wohnheimes. Er wirkte als hätte er nicht mehr als einen kleinen Hüpfer gemacht und wäre nicht halb über die durchaus breite Themse, den Überresten des Swan Gazebo und ein beachtliches Stück Schulhof gesprungen.

„Siehst du“, grinste er triumphierend: „Ich schaffe es doch.“

Reichlich zerzaust sah ich ihn an: „Du… du bist total verrückt!“

„Ach“, lachte er amüsiert: „Ist dir das auch schon aufgefallen? Nihihihihi!“

Ich blinzelte ihn an: „Ach weißt du… Vergiss‘ einfach alles was ich gesagt habe...“

„Kehehehe! Habe ich Alzheimer?“, lachte der Bestatter: „ Wieso sollte ich? Das war amüsant!“

Zerknautscht schaute ich ihn an und sagte einfach nichts mehr.

„Sky!“

Die bekannte Stimme ließ meinen Kopf herumfahren. Amy lief auf uns zu: „Oh Sky! Es geht dir gut!“

Undertaker setzte mich behutsam auf meine vor Schreck wieder recht wackeligen Beine. Amy umarmte mich so schwungvoll, dass ich nach hinten kippte. Doch zwei andere Hände bewahrten mich davor umzufallen. Ich lehnte gegen den Körper des Bestatters, der mich aufrecht hielt wie ein Fels in der Brandung.

„Ich bin so froh!“, jauchzte Amy erschöpft: „Ich hätte Sebastian den Hals umdrehen können! Dich einfach zurückzulassen! Prefect vor Fag?! Ja, spinnst du denn?! Du bist doch total verrückt! Aber es geht dir gut! Oh, ich bin so froh, dass es dir gut geht!“

Die Arme meiner besten Freundin um meinen Hals und Undertakers Körper in meinem Rücken spürend, seine Hände auf meinen Schultern, kuschelte ich meinen Kopf halb in Amys Schulter und drückte sie zurück. „Ja“, sagte ich leise und schloss meine Augen: „Mir geht es gut.“
 

„Hatschie!“

Wir waren endlich wieder in unserem Apartment angekommen. In den Räumen war es um einiges wärmer als auf dem Hof, doch ich war immer noch triefnass und schon reichlich durchgefroren. Zitternd stand ich mit Amy und Undertaker in unserem kleinen Flur und tropfte den schmalen violetten Läufer voll.

„Gott“, stemmte Amy eine Hand in die Hüften und schaltete mit der anderen das Flurlicht an: „Ihr seid beide total nass.“

„Ach“, zog ich eine Augenbraue hoch: „Und du nicht?“

Auch Amy war nass geworden und auch ihr war sicher reichlich kühl. Doch sie ignorierte mich und ihr Gesicht wanderte zu Undertaker: „Außerdem siehst du aus, als hättest du mächtig einen vor die Murmel bekommen.“

Undertaker wandte sich zu Amy und befühlte sein Gesicht: „Nihihi! Sag nicht es blutet immer noch.“

„Ich glaube nicht“, erwiderte Amy: „Aber du bist total verschmiert.“

Der Bestatter lachte nur: „Kehehe! Kopfwunden sind nervig! Außerdem sehen sie meistens schlimmer aus als sie sind.“

Die Phantomhive schüttelte seufzend den Kopf und verschränkte die Arme: „Schon klar. Trotzdem bist du blutverschmiert, nass und siehst deswegen ein wenig zerpflückt aus, Onkelchen.“

„Kihihi! Ist dem so? Mir macht so etwas doch nichts. Aber Sky und du solltet euch ganz dringend aufwärmen.“

„Ach passt scho… Hatschie!“, ich rieb mir die Nase. Ich merkte wie sie sich zusetzte: „Ahe! Ahe! Ich lebe und so...“

„Ich weiß wie wir es machen!“, strahlte Amy und verschwand in mein Zimmer.

„Hey!“, streckte ich meinen Kopf hinter ihr her in den Raum: „Was hat dein Plan mit meinem Zimmer...“

Amy trat hinaus, drückte mich grinsend dabei mit einer Hand aus dem Türrahmen und hatte einen Haufen schwarzer Sachen in der anderen Hand.

„...zu tun…“, ich erkannte die Sachen sofort. Es waren die Sachen des Totengräbers, die bis eben noch achtlos auf meinem Fußboden gelegen hatten. Sie drückte dem Bestatter seine Anziehsachen in die Hand: „Verschwinde schnell ins Bad, zieh dich um und wasch dir das Gesicht. Häng‘ deine nassen Sachen einfach über die Heizung. Danach stecken wir Skyler unter die Dusche und dann würde auch ich gerne warm duschen.“

Doch der Bestatter grinste unangetan in Anbetracht seiner Jogginghose: „Och. Das ist wirklich nicht nötig.“

Amy verschränkte die Arme und hob eine Augenbraue an: „Verarschen? Du trägst eine Lederhose, man. Das muss ein ultra ekeliges Gefühl sein.“

„Joa“, grinste Undertaker weiter: „Erhebend ist es nicht, nehehehehe! Aber es gibt Schlimmeres.“

Amy schüttelte sich kurz vor Grusel. Dann griff sie die Badezimmertüre und riss sie auf: „Es ist nur eine Jogginghose! Stell‘ dich nicht an wie ein Mädchen!“

Die Phantomhive trat Undertaker einmal mit Schwung in den Allerwertesten. Er wedelte mit einen kleinen Aufschrei mit den Armen, sodass erst seine Kleider und dann er auf dem Badezimmerboden landeten.

Amy schloss die Tür und verschränkte die Arme: „Man man man, ist der teilweise furchtbar.“

Die Türe öffnete sich wieder: „Amber, nihihihi, es ist wirklich nicht… Jau!“

Amy trat einmal vor die Türe, ohne ihre Arme zu entfalten. Sie knallte gegen Undertakers Nase und fiel wieder ins Schloss: „Jetzt zieh dich endlich um! Oder Skylers Erkältung ist deine Schuld!“

„Hey!“, machte ich nasal: „Halt‘ mich daraus!“

Amy schüttelte nur den Kopf und verschwand lachend Richtung Wohnzimmer: „Was für ein Tag, man.“

Ich ging ihr hinterher. Amy schaltete das Licht im Wohnzimmer an und seufzte schwer. Dann verschränkte sie ihre Arme, grinste mich an und zwinkerte mir zu: „Zwischen euch scheint ja alles wieder in bester Ordnung zu sein.“

„Öhm“, erwiderte ich und wusste nicht ganz, was ich denn genau erwidern wollte. Meine Augen fielen nach unten, während ich mit einem flauen Gefühl im Magen meine Hände verschränkte: „So… So halb...“

Irgendwie hatte ich das Gefühl zwischen dem Bestatter und mir stand irgendetwas. Irgendwie hatte ich das Gefühl das Gespräch war eigentlich noch nicht zu Ende geführt worden. Er war der Meinung gewesen ich sollte meine Zeit nicht weiter mit ihm verbringen… und dann sagte er er vermisste mich und benahm sich so komisch. Also… anders komisch als üblich. Kam mir so nah. Aber er streckte mir seine Nase oft ins Gesicht. Er war halt blind wie ein Fisch. Außerdem empfand er solche Gebärden einfach als lustig. Doch er hatte eben dabei nicht gelacht. Auch am Bach hatte er dabei nicht gelacht und irgendwie beschlich mich auch wie an Halloween die Frage, was passiert wäre wenn niemand dazu gekommen wäre. Doch dann schüttelte ich den Kopf und die unsinnige Frage fort. Es wäre sicher rein gar nichts passiert. Was sollte auch passieren? Sich das zu fragen war doch Unsinn. Außerdem lag mir seine Art über sich selbst zu sprechen, so abfällig und schlecht, wie auch die Aussage er wäre kein guter Wegbegleiter für mich, viel schwerer im Magen. So schwer, dass ich Bauchschmerzen davon bekam. Im Moment... Im Moment war er da, doch… blieb er auch? Oder beharrte er auf seiner Einschätzung und ging wieder einfach fort?

Amy musterte mich, doch sie sagte nichts. Ich hatte die Gefühl sie sah, dass ich mit etwas zu hadern hatte. Dann unterbrach meine Gedanken das unsägliche Quietschen des Fensters. Unsere Köpfe flogen herum. Ronald kletterte durchs Fenster in unser Wohnzimmer. Seine Haare, in die er seine verschmutzte Brille geschoben hatte, konnte man nett nur als ‚wild‘ bezeichnen und sein Gesicht war vollkommen mit Sand verschmiert. Er schaute uns recht leidend an: „Hat jemand von euch ein Taschentuch?“

Amy brach sofort in Gelächter aus: „Was ist das denn, Ronald? Hahahahaha! Neues Peeling?“

Ronald schaute sie mit einem angefressenen Gesichtsausdruck an.

Ich schüttelte mitfühlend den Kopf, griff die Zewarolle – die von meinem Kaffeemaschinenunfall noch neben eben dieser stand -, riss drei Blätter ab und reichte sie den drangsalierten Nachwuchsreaper. Dann legte ich die Rolle auf den Küchentisch. Ron nahm die Blätter dankbar entgegen und wischte sich durchs Gesicht und über die Brille. Dabei tat er einen Schritt zur Seite.

William kam herein. Er justierte seinen Griff an seiner eben noch geschulterten Death Scythe und hob den an ihrer Schere hängenden Grell durch das Fenster. Recht plump ließ er den immer noch ohnmächtigen Sensenmann auf unsere 3er Couch fallen. Eine dünne Blutspur kräuselte sich aus einer kleinen Wunde an seiner Schläfe und selbst K.O. geschlagen sah Grell, nass und verprügelt wie er dort lag, recht theatralisch aus. Amy brachte das noch mehr zum Lachen. Dann schwebte eine weitere Gestalt, begleitet von einer steifen und recht kalten Brise, durch unser offenes Fenster und landete in voller Eleganz in unserer Stube.

Es war... Sebastian!

Ich blinzelte verwirrt. Irgendwie hatte ich damit gerechnet, dass er sofort wieder zurück in das Manor ging, jetzt wo seine Angelegenheiten geregelt waren. Auch trug er wieder ein makelloses Frack. Woher auch immer der Butler es jetzt gezaubert hatte, hatte er einige Stapel Stoff auf dem Arm und ein Tablett mit einigen dampfenden Tassen auf seiner Hand.

„Sebastian?“, fragte ich so verwundert, wie ich war.

Der Butler verbeugte sich, ohne, dass er mit den Tassen schlabberte: „Dem Earl liegt viel an seinen Freunden“, richtete er sich wieder auf: „Was wäre ich für ein Butler, wenn ich mich um ihr Wohlergehen nicht bis ins Letzte sorgen würde?“

„Ein dämonischer...“, entfloh es mir ohne nachzudenken. Ich schlug meine Hände vor den Mund. Das… war vorlaut. Ja, für meine Definition von Dämon passte Sebastians Fürsorge einfach nicht. Doch sah und hörte man dem Butler nur allzu deutlich an, dass es sich nicht um Fürsorge handelte. Er war lediglich gehorsam, kannte seinen Meister und wusste auch in dessen Abwesenheit was von ihm erwartet wurde.

„Nihihihihi!“, hörte ich hinter mir: „Sie hat Recht. Fuhuhuhu!“

Ich fuhr herum. Dass ich meine Hände vor dem Mund hatte, es musste ein netter Zug des Schicksals gewesen sein. Denn so bewahrte ich meinen Kiefer davor aufzuklappen, was ein weiteres Mal vollkommen unlogisch gewesen, mir aber definitiv passiert wäre. Undertaker lehnte in der Tür zum Wohnzimmer. Die Beine in seiner schwarzen Jogginghose, mit seinen nackten Füßen gekreuzt, die durch das T-Shirt halb nackten, mit jeweils zwei sich überkreuzenden Narben gespickten Arme verschränkt und die nassen langen Haare in einen hohen Zopf zusammen gefasst. Sein Pony franselte nur halb in sein Gesicht, ließ so ein Auge zu dem Butler schauen. Mein Gesicht wurde wärmer. An ihm hing das T-Shirt eng. Die Konturen von Muskeln zeichneten sich darunter ab.

‚Schau weg!‘, ermahnte ich mich in meinem eigenen Kopf: ‚Schau weg! Schau weg! Schau weeeeeeeeeg!‘

…Ich konnte nicht…

Aus irgendeinem Grund konnte ich es nicht!

Ich hörte Amy hinter mir bedeutungsvoll kichern und HASSTE es!

Mir wurde spontan klar, die Phantomhive wusste schon viel länger wie es um mich stand. Vor zwei Jahren hatte ich mal kurz mit einer kleinen Schwärmerei gegenüber eines Wolfes aus dem Jungscollege angefangen, den ich auf einem der Krickettuniere kennengelernt hatte. Es war nie mehr draus geworden, weil ich strohdoof und vollkommen unbeholfen war. Doch Amy hatte mich sofort durchschaut, musste natürlich anfangen meinen persönlichen Cupido zu mimen und hatte mich so in mehr als nur eine peinliche Situation gebracht. Ich hätte unter normalen Umständen wahrscheinlich angefangen zu beten, doch gerade stand ich wie eine Kuh wenn es donnert in der Gegend, hatte beide Hände vor dem Mund, starrte den so leger so unendlich gut aussehenden unmenschlichen Mann an und fühlte mich so richtig richtig dämlich. Undertaker sah auch nicht mehr aus wie Anfang 30. Ich wusste er war nicht Anfang 30. Anfang 30 hatte er schon hinter sich gelassen, da haben sich die Menschen noch von Mammuts und Säbelzahntigern verkloppen lassen. Aber er wirkte gerade eher so wie… Mitte 20? Denn das Gesicht des Totengräbers, das wirkte nicht alt. Trotz seines beachtlichen Alters hatte es – und vor allem seine Augen – eine recht junge Ausstrahlung behalten. Und Kleider machten ja bekanntlich Leute.

Doch warum? Warum brachten mich ein T-Shirt und eine Jogginghose so aus dem Konzept? Nur weil Undertaker sie trug! Und damit ging auch schon eine kleine Glühbirne in meinem Kopf an: Weil Undertaker sie trug…

Ich versteckte mein brennendes Gesicht in meinen Händen, da es mir anders nicht möglich war den Blick los zu reißen und Undertaker nun angefangen hatte mich recht verwundert zurück anzuschauen.

Auch Ronald hörte ich nun kichern.

„Wahrscheinlich“, hörte ich Sebastians ruhige Stimme durch das in meinen Ohren rauschende Blut und daraufhin ein Lachen des Totengräbers in Jogginghosen: „Nihihihihihihi! Wie gut, dass es dir selbst auffällt, Butler.“

Schritte tapsten durch die Stube. Schritte, die keine Schuhe oder Socken trugen: „Amber, tihi, ihr habt doch sicher einen Verbandskasten.“

„Ja“, hörte ich Amy immer noch kichernde Stimme und unterdrückte das Bedürfnis auszutreten: „Ich hole ihn.“

Ich linste durch meine Finger. Undertaker hatte sich, die Zewarolle in der Hand, neben Grell gekniet und wischte das Blut von seiner Schläfe: „Ehehehehe! Dem hast du es aber gezeigt, William!“

„Angemessene Härte“, schob William seine Brille hoch und hatte seine an seiner Seite abgestellte Astschere immer noch in der Hand.

„Könntest du...“, ich atmete tief durch und nahm meine Hände von dem Gesicht: „… Das Ding hier drin wegstecken, William?“

William schaute mich kurz an. Der immer noch kichernde Ronald tat es ihm gleich und fing schallend an zu lachen, als er mein Gesicht sah.

„Natürlich“, verschwand Williams Astschere aus seiner Hand.

„Danke“, machte ich kurz. Irgendwie machte mich der Anblick der Death Scythes immer nervös.

Amy kam wieder in den Raum und reichte Undertaker einen Verbandskasten. Giggelnd öffnete er ihn, legte ein kleines weißes Wundpad aufs Grells kleine Wunde und wickelte einen Verband um seinen Kopf.

Sebastian stellte das Tablett auf unseren Kaffeetisch. Jetzt sah ich das Kakao in den Tassen war. Mit Sahne und Marschmellows.

„Ich war so frei“, drückte der Butler einen Teil des Stoffstapels in Ronalds und in Williams Hand: „Euch Wechselwäsche mit zubringen.“

Ronald nickte dankbar: „Cool. Mir ist ziemlich kalt.“

Ich blinzelte kurz: ‚Kalt?‘

Undertaker fror nie. Ich hatte ihn auch nie zittern sehen, was mir verraten hätte er würde flunkern. Gerade wurde ich mir gewahr, dass ich begonnen hatte diesen Umstand auf seine unmenschliche Natur zu münzen. Doch Ronald war auch ein Reaper und er sah durch gefroren aus. War Reaper also nicht gleich Reaper? War Undertaker aus irgendwelchen Gründen anders als die anderen? Also.. abgesehen von seiner Art, natürlich.

Ronald ging an mir vorbei: „Wo ist euer Bad?“

„Letzte Türe links“, sagte Amy: „Häng‘ deine Sachen über die Heizung. Beeil dich, wir wollen duschen.“

„Klar“, verschwand Ronald.

Undertaker hatte derweilen den Verbandskasten wieder zugeklappt.

Der Dämon trat mit dem übriggebliebenen Stoffstapel zu Grell, der - rot wie er war - sicherlich zu ihm gehörte.

Undertaker schüttelte grinsend den Kopf: „Kehehehe! Keine Chance.“

Sebastian grinste irgendwie verrucht. Dann legte er den Stoffstapel auf den Sessel und knöpfte sein Jackett auf. Ich zog eine Augenbraue hoch: ‚Was macht der da?‘

„Haaaa“, seufzte er ungewöhnlich laut und griff das Reviere seiner Jacke: „Es ist so warm hier. Ich glaube ich muss ein paar Lagen ablegen...“

„Was?!“, Grell sprang sofort aus seinem Dornröschenschlaf und lehnte sich auf der Lehne der Couch zu dem Butler: „Das muss ich sehen!“

Alle Anwesenden zogen eine Augenbraue hoch. Ich zog meine höher. Nur Undertaker lachte ein weiteres Mal wie ein Irrer.

Mit seinem künstlichen Lächeln und geschlossenen Augen reichte Sebastian dem roten Reaper den Stoffstapel: „Guten Morgen, Mr Sutcliff.“

Grell wirkte entrüstet: „Was?! Das… das war nur eine Finte?!“

Sebastian legte nur weiter lächelnd den Kopf schief: „Ich dachte ihr könntet trockener Kleidung bedürfen.“

Grell sprang von der Couch, nahm den Stapel, knuffelte ihn und wedelte mit seiner Hüfte hin und her: „Oh Bassy! Du liebst mich doch!~♥“

„Na ja“, kicherte Undertaker, was ihm Grells verärgerte Nase in seinem Gesicht einbrachte: „Du hast von sowas doch überhaupt keine Ahnung, du furchtbarer alter Knacker!“

„Nihihihihi!“, lachte Undertaker: „Ich habe nichts dagegen einzuwenden! Pahahahaha!“

„Hey, du stehst ja“, kam Ronald wieder in den Raum. Er trug dunkle Socken, eine braune Jogginghose und dasselbe Dispatch-T-Shirt wie Undertaker.

Kaum war Ronald im Raum angekommen, verschwand William.

Grell verschränkte die Arme: „Du hast nicht viel dafür getan.“

Auch bei Ronald verriet das recht enge T-Shirt, dass er gut gebaut war, doch irgendwie… war es an ihm nur ein T-Shirt und vollkommen uninteressant…

Ich schlug meine Hand gegen meine Stirn: ‚Ohhh… das ist so furchtbar… Was denke ich hier…?‘

„Ehehehe!“, hörte ich ein Lachen von dem ich wusste, dass es auf mich bezogen sein musste, die sich für alle Anwesenden vollkommen kontextlos aufführen musste, wie ein Affe im Käfig: „Was hat sie denn?“

„Ach nichts“, kicherte Amy wieder: „Sie hat das manchmal einfach.“

Ich schaute Amy giftig an, die daraufhin nur noch mehr kicherte.

Undertaker legte verständnislos den Kopf schief: „Was ist dann so lustig? Ich will auch lachen!“

Diese Aussage gab Amy vollkommen den Rest. Tränen lachend beugte sie sich nach vorne und hielt ihren Bauch.

Auch Ronald kicherte wieder: „Ich erkläre es dir später.“

Undertakers Kopf wandte sich mit einem fast widerspenstigen Gesichtsausdruck zu Ronald: „Schon wieder?“, er stand aus der Hocke auf: „Alle lachen und niemand weiht mich ein. Das ist grausam!“

Nun lachte auch Ronald: „Ich erkläre es dir! Wirklich! Nur nicht hier.“

Undertaker verschränkte die Arme: „Nihihihi! Gnade dir was immer dir heilig ist, wenn es am Ende nicht wirklich lustig ist!“

Ronald wedelte sich Luft zu und atmete kurz durch: „Puuuuuuh… Haha! Es ist eher eine Art Situationskomik.“

Undertaker klimperte Ronald mit seinem einen Auge an. Dann wirkte er auf einmal furchtbar aufgeregt: „Aber dann bringt es mir ja nichts, wenn du es mir später erzählst!“

Ich blinzelte. Undertaker wirkte richtig beleidigt, dass niemand ihn erzählte was es zu lachen gab und so nicht mitlachen konnte. Es schien ihn unheimlich zu ärgern, nicht zu begreifen woran sich Ronald und Amy gerade weideten.

Ich erahnte eine Achillesferse des Bestatters: Witze, die er nicht verstand.

Worüber Amy lachte konnte ich mir denken… und ich betete, dass Ronald nicht über dasselbe lachte... und noch mehr betete ich dafür, dass Ronald Undertaker nicht erzählte worüber ich dachte worüber er lachte…

Meine Gefühlswelt.

Grell verschwand derweilen von Amy geleitet ins Bad um sich umzuziehen, als William in Socken, dem wieder gleichen T-Shirt und dunkel grüner Jogginghose wiedergekommen war.

„So können wir nie duschen“, stöhnte die junge Phantomhive.

Doch diese dämliche Dusche war mein kleinstes Problem! Ja, mir war fruchtbar kalt, doch ich hatte gerade andere Schwierigkeiten!

Ronald erwehrte sich derweilen dem Bestatter, dem es gar nicht gefiel auf seine Erklärung warten zu müssen: „Was ich dir zu erklären habe, wird dir schon etwas bringen.“

„Ja, was denn?“, steckte der Bestatter mit lauter, sich beschwerender Stimme Ronald seine Nase ins Gesicht und piekste ihm mit dem langen Fingernagel immer wieder in die Brust: „Was soll mir nachträglich erklärte Situationskomik denn bitte bringen? Das heißt Situationskomik, weil sie in der Situation komisch ist und nicht irgendwann im Nachhinein!“

„Es wird dich auch wahrscheinlich nicht zum lachen bringen, doch...“, Ronald brach ab, da Undertaker ihn die Nase nun so tief ins Gesicht hielt, dass er sich nach hinten biegen musste: „Siehst du! Es bringt mir rein gar nichts!“

„Herrgott! Sei doch nicht so ungeduldig! Vertrau mir einfach!“

Undertaker stellte sich wieder gerade hin. Ronald verlor die Balance und plumpste zu Boden. Der Bestatter verschränkte die Arme: „Ich kann niemanden vertrauen, der mir einen Witz vorenthält!“

Ron stöhnte einmal auf den Boden: „Himmel, Herrgott, Sakrament… So schlimm ist es nun auch nicht...“

Undertaker warf ihn einen verstimmten Blick zu: „Schlimmer!“, dann schaute er seufzend an die Decke: „Alle lachen und ich kann nicht mitlachen… Was ein tristes Dasein ich fristen muss...“

„Sebastian und William lachen nicht...“, konterte Ronald durch die Zähne grummelnd.

Undertaker warf die Arme nach vorne: „Sebastian und William lachen nie!“

Sebastian und William seufzten synchron.

Amy hatte sich langsam wieder beruhigt, wedelte sich Luft ins Gesicht und richtete sich wieder auf: „Chill mal, Undertaker.“

Er schaute sie mit verschränkten Armen und verstimmten Gesicht an, als er vielsagend seine Augenbraue hochzog.

„Was ist denn hier los?“, kam Grell wieder, schwarze Socken an den Füßen, eine knallrote Jogginghose an den Beinen und ebenfalls ein Dispatch-T-Shirt an dem Oberkörper.

„Undertaker“, schüttelte William den Kopf.

Doch Grell hüpfte nur durch zu Ronald und Undertaker, zog den Jüngling auf seine Füße, dem ein erschrockenes Geräusch entfuhr und harkte seine Arme in die Arme der beiden andern Reaper: „Wie cool! Partnerlook! Yey!~♥“

„Ja, Grell“, machte Ronald: „Ist gut...“

„Hatschie!“, ich kratzte mir meine kribbelnde Nase.

„Oh weh“, Undertaker zog seinen Arm aus Grells und kam auf mich zu. Sein Gesicht wirkte gar nicht mehr aufgeregt oder beleidigt. Im Gegenteil. Er streckte mir mit seinem sanften Lächeln seine Nase ins Gesicht: „Mir scheint da muss Jemand schnell unter die warme Dusche.“

Ich versuchte ein weiteres Mal zu lächeln, was mir allerdings furchtbar verunglückte, da ich wieder wie ein Lampion zu leuchten anfing: „Ach… Äh...Passt schon.“

Undertaker nahm seinen Kopf zurück und schaute zu Amy. Diese schaute zu mir, was mich zu ihr schauen ließ: „Geh du zuerst.“

„Oh nein, nein, nein, nein“, machte die Phantomhive: „Ich falle nicht wegen jedem Bazillus um. Du schon. Und in der Themse gibt es davon sicherlich einige.“

„Ach“, machte ich erneut: „Ich werde schon nicht sterben. Prefect vor...“

„ARG!“, Amber hielt mir ihren Zeigefinger ins Gesicht: „Sage das nie, nie wieder!“

„Aber...“, die Phantomhive beendete jedoch die Diskussion bevor sie richtig starten konnte, indem sie mich an den Schultern drehte und an meinem Rücken aus der Türe schob: „Nichts Aber! Ich habe keine Lust mehr auf deine Aber‘s!“, sie schob mich durch die Badezimmertüre: „Geh‘ duschen!“

Leidend schaute ich sie an: „Is‘ ja gut...“

Amy schüttelte den Kopf. Dann lachte sie: „Du bist genauso schlimm wie er.“

Das Blut - was noch nicht mal ansatzweise zurückgegangen war - schoss mir sofort wieder ins Gesicht: „WAS?!“

Doch Amy hatte schon die Türe geschlossen. Ich seufzte. Es war ruhig im Badezimmer. Durch die Türen und Wände drangen die Stimmen der anderen nur dumpf aus dem Wohnzimmer zu mir durch. Ich hörte Amy arg gedämpft in ihrem Meckerton mit jemandem reden.

Obwohl es in dem Raum recht still war sausten meine Ohren. Entkräftet setzte ich mich auf den geschlossenen Klodeckel. Mit dem Blick auf den Kleidern der Reaper über unsere Badezimmerheizung sausten meine Gedanken hin und her. Ich war mit allem was heute passiert war überfordert. Körperlich wie geistig. Ich wusste nicht ganz was ich vor allem von Undertakers Gesagtem und Benehmen denken sollte. Ich wusste nur, dass er sich nicht benahm wie ein Zombie-Dompteur, der selbige auf Menschen losgelassen hatte und den Tod von rund 1900 Menschen einfach belacht haben soll. Ich rieb mir mit einer Hand meine Schläfe. Das vergangene Wochenende bereitete mir Kopfschmerzen. Die Art wie Undertaker über sich sprach bereitete mir Unwohlsein und der ängstliche Funken, er könnte wieder gehen, sorgte für Bauchschmerzen. Ich hatte nichts um ihn zu halten. Sollte er gehen stand ich dieser Entscheidung einfach vollkommen machtlos gegenüber. Doch man stand Entscheidungen von Anderen immer vollkommen machtlos gegenüber. Man konnte nichts dagegen tun, ob sie kamen oder gingen. Man konnte nicht beeinflussen, ob sie sich entschieden einem den Kopf zu tätscheln oder einem eine gehörige Ohrfeige zu verpassen. Man konnte nichts dafür tun, dass sie sich auf eine Ohrfeige überhaupt beschränkten…

Ich wischte mir durchs Gesicht und damit den Gedanken fort. Mit einem weiteren Seufzen stand ich auf, pellte mich aus meinen klitschnassen Anziehsachen, warf sie zu dem anderen nassen Kleidern über die Heizung und meine Unterwäsche in den weißen Plastikwäschekorb in Weidenoptik. Dann stieg ich in die Dusche. Das warme Wasser entspannte mich. Als es über meine Haut ran, merkte ich wieder wie kalt sie eigentlich war: „Hatschie!“

Doch das nun warme Gefühl auf ihr war wohlig. Ich seufzte nun erleichtert, als ich das Gefühl des warmen Wassers auf meinem Körper genoss. Doch mein Kopf raste weiter. Ich lehnte ihn gegen die kalten Kacheln der Duschwand. Meine purzelnden Gedanken waren kaum zu greifen und pochten in meinem Kopf.

‚Ich habe das alles nicht‘, ich kniff meine Augen zusammen, als Undertakers Stimme mit diesem unendlich leidlichen Gesichtsausdruck durch meine Gedanken fuhr: ‚Ich habe keine reine Seele. Bin kein unglaublicher Charakter. Ich bin mitleidslos, reuelos, selbstsüchtig, rachsüchtig. Einfach schlecht und verdorben bis ins Letzte. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn ich dich verderben würde. Doch genau das würde passieren.‘

Warum sagte er so etwas? Warum sprach er so schlecht über sich selbst? Warum hatte er dabei so gequält ausgesehen? Wenn man Undertaker traf hatte man recht schnell ein recht klares Bild von ihm: Verrückt, nein, vollkommen Banane, aber auch lustig und humorvoll, allerdings in seiner Gier nach Lachen recht schonungslos, doch vor allem mit sich selbst und seiner Welt total im Reinen. Doch so rein schien er mit sich selbst gar nicht zu sein.

Mitleidslos?

Ich erinnerte mich an dem Tag, als der Brief des Jugendamtes ins Haus geflattert war und ich ihm seinen Mantel vorbeigebracht hatte. Er war alles andere als mitleidslos gewesen. Im Gegenteil. Was ich ihn erzählt hatte, gefiel ihm gar nicht und er hatte mich getröstet. Sehr erfolgreich und unglaublich einfühlsam.

Reuelos?

Ich glaube er bereute so einiges. Er bereute nur andere Dinge. Er bereute auf jeden Fall Vincents Tod. Denn er schien ihn miterlebt zu haben… und er hatte wohl nichts dagegen tun können und… und er hatte gesagt er bereute, dass er es nicht geschafft hatte mich von Schaden fern zu halten. Das war ja wohl die Höhe allen Unsinns! Wäre er nicht gewesen hätte mich Oliver ertränkt, Claude oder Hannah abgemurkst und der Leviathan… ja… der hätte mich wohl auch ertränkt. Wasser schien nicht mein Element zu sein. Doch Undertaker hatte es immer geschafft das Blatt zu wenden, egal wie knapp es war.

Selbstsüchtig?

Klar. Es ist unglaublich selbstsüchtig eine Familie und ihre Freunde zu beschützen und ihnen treu zur Seite stehen, weil man es seinem vor 130 Jahren verstorbenen besten Freund versprochen hatte. Es war auch über alle Maßen selbstsüchtig sich Dämonen entgegen zu werfen, weil zwei dumme Mädchen dachten sie könnten sie linken und ein Blick auf ihre Pläne erhaschen. Er warf sich selbst öfter in die Waagschale, als mir lieb war.

Rachsüchtig?

Das war das Einzige, was ich bejahen musste. Wahrscheinlich war er das wirklich. Doch er sann ja nicht auf Rache, weil ihn mal Jemand einen seiner Kekse geklaut hatte. Ich war mir sicher es brauchte einiges, um es sich mit dem Totengräber so zu verscherzen, dass er einen endgültig an den Kragen wollte. Ich war mir auch sicher, wenn es soweit war hatte man ein Problem, dem man nicht entfliehen konnte.

Doch mir fielen so Unmengen andere Adjektive ein, die so viel besser passten.

Aufmerksam.

Undertaker erkannte die Gemütslage der Leute um sich herum sofort. Seine unglaublich grünen Augen schauten einen nicht nur ins Gesicht, sondern direkt in die Seele. Auch durch seinen Pony. Und bei den Menschen die er mochte ließ er nicht zu, dass etwas schwer auf ihrer Seele lag. Er hatte so gut wie alles in seinem Blick, der auf mentaler Eben so unglaublich scharf war, wie er in physischer Hinsicht unscharf sein musste, damit diesen Menschen nichts passierte und auch wenn es nie so wirkte war ich mir sicher, er hatte sich für sie das ein oder andere Bein schon ausgerissen.

Aufmunternd.

Im Ernst? Wer konnte denn noch traurig sein, wenn er sein breites, zahnvolles Honigkuchengrinsen aufzog, sich selbst durch den Kakao zog oder einfach so ein bisschen verpeilt und verrückt war, wie er nun mal war.

Ulkig!

Oh, ja! Ein Wort, was wahrscheinlich eigens für ihn erfunden wurde. Er hatte nicht mehr alle Latten am Zaun, das stand nicht zur Diskussion, aber er war einfach so… Unfassbar! So wie er halt war. Er war lustig, hatte keine Scheu davor sich selbst auf die Schippe zu nehmen und war für jede Schandtat zu haben.

Süß…

Mein Gott, er war so süß… Dieses Gesicht… Dieses Lächeln… Diese Augen… Seine endlos unkomplizierte Art. Seine vollkommen unverblümte Neugierde auf einfach alles. Er war mehrere tausend Jahre alt und trotzdem wollte er immer noch alles verstehen, was er nicht kannte. Das war ein mentales Kunststück! Seine Begabung einen mit ein paar netten Worten aufzumuntern und einen riesigen Berg Probleme auf einmal ganz klein aussehen zu lassen, war beeindruckend. Seine bloße Anwesenheit hatte etwas Heilsames.

Ich drehte mich um, schaute auf die aus dem Duschkopf prasselnde Wassertropfen und lehnte nun meinen Rücken an die Wand, um an ihr entlang in den Sitz zu rutschen.

Einfach alles an ihm war so unfassbar süß…

Er soll keinen unglaublichen Charakter haben?

„Pffff!“, dieser Gedanke ließ mich tatsächlich kurz auflachen. Natürlich hatte er einen! Mir fielen so viele Adjektive ein und trotzdem war es irgendwie unglaublich schwer ihn zu beschreiben. Weil er einfach so unsagbar anders war, als alles und jeder den, oder das, ich kannte. Ich würde nie wieder jemanden kennen lernen, der so unglaublich war wie er.

So ein Wesen war nicht schlecht, oder verdorben bis ins Letzte. Was er damals getan hatte muss einen Auslöser gehabt haben. Auch wenn es Frustration gepaart mit übersteigerter Wissbegier war.

Und als ich so in meinen Gedanken versunken in die von oben herunter rasselnden Tropfen schaute, erinnerten sie mich an das erleichterte Lächeln was mir entgegen geschienen war, als ich meine Augen aufschlug, nachdem ich das in Watte gepackte Schwarz verlassen hatte. Ich erinnerte mich dran was er gesagt hatte: ‚Ich bin so froh, dass du lebst.

‚War er das wirklich?‘

Dieser Satz hatte einen anderen Klang gehabt, als man vermutete. Irgendwie klang er… allumfassend. Nicht auf die Situation gemünzt, dass ich gerade so mal wieder nicht ertrunken war, sondern… generell. Aber wahrscheinlich bildete sich das mein strapaziertes Hirn und mein geplagtes Herz nur ein.

Denn ein Satz, der geisterte so unheilvoll in meinem Kopf herum, dass mir unter der warmen Dusche kalt wurde: ‚Ich weiß, dass ich… dass ein Wesen wie ich es bin kein Wegbegleiter für dich ist.‘

Mein Herz zog sich zusammen. Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Wenn Undertaker von etwas überzeugt war, dann… tat er es wahrscheinlich auch. Ich hatte ihn immer als sehr konsequent erlebt. Wenn er jetzt also der Meinung war, er sei kein guter Wegbegleiter für mich, dann… dann… Ich schüttelte meinen in die Hände gestützten Kopf, als ich es nicht schaffte den Gedanken zu Ende zu denken. Schon der halbe versetzte mir einen unfassbar schmerzvollen Stich. Dass er gekommen war… Dass er tatsächlich da gewesen war… Das war so unvorhergesehen und so unvorhergesehen schön gewesen! Ich hätte in meinen Träumen nicht daran geglaubt. Doch so war der Gedanke, dass dies heute vielleicht doch die letzte Begegnung gewesen war, mehr als nur unerträglich.

Doch das ganze Denken brachte mich nicht weiter. Resigniert stand ich auf, shampoonierte mir die Haare und seifte mich schnell ein. Schließlich blockierte ich die Dusche unter die auch Amy wollte. Ich stellte sie aus, schnappte ein großes, weißes Frotteetuch und trocknete mich ab. Dabei stockte ich. Ein Gedanke traf mich wie ein Hammer: ‚Scheiße! Ich habe keine Wechselsachen hier!‘

Amy hatte mich einfach ins Bad gesteckt und ich hatte vergessen mir Kleider aus meinem Kleiderschrank zu holen!

Ich versteckte mein Gesicht in dem Frotteetuch.

Wir hatten volles Haus. Ich hörte die leisen, mittlerweile sehr heiteren Stimmen aus der Stube durch die Badezimmerwände. Alle saßen also noch im Wohnzimmer, tranken wahrscheinlich gemütlich den Kakao, den Sebastian mitgebracht hatte und wärmten sich auf. Außer William und Sebastian sind ja alle mindestens einmal in der Themse baden gegangen.

„Ahhhh!“, erstickte ich meinen ärgerlichen Ausruf ich in dem Tuch, sodass fast kein Ton herausdrang: „Das ist doch Mist! Das kann doch nicht wahr sein!“

Denn wer saß höchstwahrscheinlich auch immer noch im Wohnzimmer und trank Kakao? Genau! Undertaker…

Ich atmete tief durch.

Ich wollte nicht noch mal in meine nassen Sachen. Jedes Härchen sträubte sich mir bei dem Gedanken an den klammen Stoff. Doch ich hatte das Glück, dass nur der sehr schmale Flur zwischen dem Bad und meinem Zimmer lag. Die Türen lagen genau gegenüber. Ich konnte also ganz schnell durchschlüpfen, ohne dass es jemand bemerkte. Auf dem kleinen, einen halben Meter breiten Stück Flur, was konnte da schon groß passieren? Nichts.

Also trocknete ich mir die Haare ab, sprühte mir meine Lavendelsprühpflege hinein, kämmte sie durch und schlang mir das Frotteetuch um meinen Körper. Dann griff ich die Klinke und öffnete die Türe, bereit schnell durch den Flur in mein Zimmer zu huschen.
 

KRRRYYYYYYYAAAAAA!!!

„AAAAAAHHHHHH!“

Was ich in dem Moment hörte, als ich die Klinke herunter drückte und die Türe öffnete, war kaum noch als Schrei zu bezeichnen. Ich spürte ihn in jeder Faser meines Körpers vibrieren, so intensiv donnerte er durch die Luft. Es war auch weniger ein Schrei, sondern eher ein spitzes Kreischen. So messerscharf wie ich es noch nie gehört hatte und dass mir fast die Ohren davon taub wurden. Es fuhr mir so schlagartig in die Knochen, dass ich selbst spitz aufschrie.

All diese Empfindungen, von dem Wahrnehmen bis zu meiner Reaktion, krachten in dem Bruchteil eines Bruchteils einer Sekunde durch mich hindurch.

Genauso lange roch ich diesen unvergleichlichen Gestank. Den Gestank von vermoderten Fleisch, verrotteten Moos und Schwefel.

Und genauso lange sah ich diese abstoßende Gestalt. Humanoid und nackt. 4 Köpfe größer als ich und nur noch halb vorhanden. Das Fleisch hing in großen verwesten und schleimigen Fetzen von ihrem viel zu langen und unproportionalen Gerippe. Das Gekröse fiel heraus. Ein Auge war eine schwarze Höhle umrahmt von verkrustetem Blut. Das andere war hellbraun und blutunterlaufen. Das Vieh bückte sich zu mir herunter und brüllte mit einem dunklen, wurmstichigen Loch als Mund, besetzt mit vereinzelten, spitzen Zähnen. Es schickte mir ein Odeur entgegen, welches auf der Zunge sofort faulig schmeckte.

In dem Moment, in dem ich mir die Seele aus dem Leib schrie, kniff ich die Augen zusammen, strauchelte nach hinten und fiel zu Boden. Mein Herz trommelte gegen meine Rippen, zog sich gleichzeitig dabei zusammen und schickte ein entsetzliches Ziehen durch alle meine Nerven. Mein Atem raschelte vor Horror. Meine Hand- und Fußsohlen kribbelten vor Schock und in meinem Magen brannte die blanke Panik.

Ich riss sofort die Augen wieder auf, mir der Anwesenheit des Ungeheuers immer noch gewahr.

Doch die Stelle wo das Monstrum gestanden hatte... war leer!

Ich blinzelte verstört.

Dort war nichts!

Schwer und hastig atmend wie noch nie, starte ich auf den leeren Platz vor der Badezimmertür. Ich war in kalten Schweiß ausgebrochen, kurz vorm Hyperventilieren und zitterte wie Espenlaub. So sehr, dass meine Muskeln mir nicht mehr gehorchten.

„Sky!“

Ich hörte ein Schlittern über den Boden. Der Läufer raufte sich zusammen, als der Bestatter auf seinen Knien über das dunkle Parkett rutschte und vor mir zum stillstand kam. Er griff mich an den Schultern. Seine drahtigen, kalten Hände verursachten umgehend ein Prickeln auf meiner noch vom Duschen warmen Haut: „Was ist passiert? Du bist weiß wie die Wand.“

Ich schaffte es nur irgendwie meine zittrige Hand zu heben und mit bebenden Zeigefinger auf die Stelle zu zeigen, wo eben noch das verrottete Irgendwas gestanden hatte: „Da… da… da war...“

„Was?“, Undertaker sah auf die verlassene Stelle und dann wieder in mein schreckensbleiches Gesicht: „Was war da?“

Mein Mund war staubtrocken, ich konnte kaum sprechen: „Ein… ein… ich weiß es nicht!“

Er schnappte meine immer noch erhobene bibbernde Hand und legte unsere verschränkten Hände gegen seine Brust. Sein Herzschlag vibrierte durch meine Finger und hatte etwas Beruhigendes: „Ruhig, meine Schöne. Atme tief durch. Was war dort? Beschreibe es mir.“

Trotz des beruhigenden Pochens an meinen Fingern konnte ich nicht durchatmen. Ich wusste nicht, ob mein Herz raste oder überhaupt noch schlug! Mir war heiß und kalt gleichzeitig und meine Muskeln schmerzten vom Zittern: „Ein… ein… Habt ihr das denn nicht gehört?!“

Das Vieh hatte so laut gekreischt, das hätte Undertaker noch in seinem Laden mitbekommen müssen!

„Nein“, er schüttelte den Kopf: „Ich habe nur dich schreien hören. Was ist passiert?“

„Ich...“, ich schluckte trocken: „Ich wollte in mein Zimmer um mir etwas anzuziehen und...“, ich brach ab.

Der Schock, der mich jetzt erfasste war ein ganz anderer… und noch viel schlimmer!

Ich konnte spüren wie der blasse Schreck augenblicklich dem Lampionleuchten wich. Meine Zunge hatte ich komplett verschluckt.

Mit großen Augen starrte ich Undertaker ins Gesicht.

Ich… ich… ich… ich war eigentlich nackt! Das große Frotteetuch konnte man nicht als blickdichte Kleidung beschreiben!

Ich starte einfach nur in sein schön geschnittenes Gesicht und konnte nicht glauben in was für einer… unglücklich prekären… Situation ich gelandet war.

Warum hat mich das komische Was-auch-immer nicht einfach gefressen? Warum nicht?!

Undertaker schaute mich verständnislos an. Er zog ein paar Augenblicke überlegend sein Auge ein kleines Stück zusammen. Dann wurde es weit in Erkenntnis. Es wanderte einmal an mir herunter und wieder hinauf. Dann erschien ein Grinsen in seinem Gesicht. Ein komisches Grinsen. Mit dem Finger drauf deuten konnte ich nicht, doch irgendwie wirkte es ganz anders als sonst.

„Das ist definitiv ein“, der Totengräber räusperte sich kurz mit vorgehaltener geballter Hand - eine Geste, die ich an ihm noch nie gesehen hatte - und grinste dann so seltsam weiter: „Unerwarteter Anblick.“

Mein Gesicht fing Feuer, als nach ein paar geschockten Sekunden durch meine Gehirnwindungen gesickert war, worauf Undertaker anspielte.

Ich konnte nicht mehr denken. Mein Kopf war ein blankes Blatt Papier. Als ich einige weitere Momente nur starren und stumm an meiner Scham sterben konnte, ließ Undertaker sein Auge noch einmal nach unten fallen und legt abschätzend einen Fingerknöchel an sein Kinn. Er beschaute mich vollkommen offensichtlich und vor allem vollkommen ungeniert! Mir klappte der Mund auf. Doch ich war von dieser Tat so dermaßen schockiert, dass ich kein Ton des Protests hervorbrachte. Und ich war immer noch über alle Maßen davon überfordert, wie ich gerade vor ihm saß!

„Was nicht heißt“, Undertaker schaute mir, nachdem er mich einer eingehenden Musterung unterzogen hatte, mit zur Seite fallendem Kopf wieder ins Gesicht und sein komisches Grinsen wurde auf einen Schlag endlos verschmitzt: „Kehehe! Dass er nicht gefallen würde.“

Irgendetwas in mir schrie laut und starb im selben Moment kläglich. Ich wollte meine andere Hand erschrocken und in vollkommenen Unglauben auf meinen Mund pressen. Doch kaum hatte ich meine Finger gelockert griff Undertaker sie: „Ah ah ah! Das solltest du nicht los lassen.“

Meine Augen wurden noch größer. Undertaker hatte meine Hand gegriffen… die das… Handtuch fest hielt! Das war nicht das Problem. Ich war ihm sogar dankbar, dass er mich davor bewahrte… ja… wirklich ohne alles vor ihm zu sitzen… Das Problem war allerdings WO meine Hand das Handtuch festhielt!

Er hatte um meine Finger um das Handtuch zu halten, seine langen Finger zwischen meine und der Haut meines... meines... meines Busen geschoben! Ich spürte seine Finger an dieser doch sehr privaten Körperstelle überdeutlich und ihre Kälte surrte schlagartig und knackend von dieser Stelle durch jeden Nerv, den ich hatte. Sofort hatte ich überall eine grausame Gänsehaut.

Undertakers Auge wanderte langsam zu seiner Hand. Dann wieder in mein Gesicht. Sein Grinsen hing ein Stück schief: „...Ups.“

„AH!“, mit diesem Ausruf setzte meine Scham gebeuteltes Oberstübchen endgültig aus. Ich merkte noch wie sich mein Fuß mit voller Wucht in den Solarplexus des Bestatter bohrte. Mit einem: „Jirks!“, riss es seine Hände von meinen. Er machte eineinhalb flugse Purzelbäume und kam, Beine an der Tapete und Schultern auf den Boden, mit einem kleinen Scheppern an der Wand zum stehen. Ich sprang auf und rannte in mein Zimmer. Die Tür krachte hinter mir zu. Ich sprang auf mein Bett und rutschte gleichzeitig unter die Bettdecke.

„Oh mein Gott!“, nuschelte ich in meine Matratze: „Oh mein Gott, ist das peinlich! Oh mein Gott, nein! Das… das ist nicht wirklich passiert!“

Ich setzte mich auf und raufte mir die Haare: „Das kann doch nicht wahr sein!“

Es klopfte.

„NEIN!“, schrie ich: „Wer auch immer da ist! Geh‘ weg!“

Amy öffnete die Türe und schloss sie wieder. Sie trug zwar schon eine lila Jogginghose und ein schwarzes Top, war aber nicht duschen gewesen. Sie grinste von einem Ohr zum Anderen: „Lebst du noch oder stirbst du gerade?“

Ich nahm mein Kopfkissen und warf es ihr ins Gesicht: „FRESSE!“

Ich traf. Es blieb auf Amys Gesicht hängen und ich hörte sie darunter lachen. Dann zog sie es von ihrem Kopf: „Meine Herren. Was war denn überhaupt los? Abgesehen davon, dass du fast nackt wie Gott dich schuf vor Undertaker gesessen hast?“

Mein rechtes Auge zuckte: „Ach! Steck dir deine blöden Sprüche dahin wo niemals die Sonne scheint!“

Amy verschränkte mit einem diebischen Grinsen die Arme um mein Kopfkissen und neigte den Kopf ein Stück: „Hat man(n) denn was gesehen, was man(n) nicht sehen sollte?“

Mehr Blut pulsierte in meinem Gesicht: „Du kannst mich mal am Arsch lecken, weißt du das?!“

„Hat er?“, zog Amy eine Augenbraue hoch.

„Ähm nem nem“, ich bekam kein richtiges Wort heraus. Ich wusste es nicht! Ich konnte nur beten, dass nichts verrutscht war! Und wie ich dafür betete!

„Kehehehehe! Habe ich nicht“, lachte ein wohlbekanntes Lachen durch die geschlossene Zimmertüre.

„AHHH!“, verschwand ich wieder unter meiner Bettdecke.

Amy zog sie weg: „Hörst du? Alles in Ordnung. Wobei es zu diskutieren ist, ob Undertaker seinen Abflug wirklich verdient hatte.“

Ich hatte wieder die Nase in der Matratze: „Das war so peinlich...“

„Und deswegen kickst du ihn einmal durch den Flur? Nett. Ich würde dich nicht mehr retten.“

„Nein...“, ich seufzte: „Er hat… eine doofe Stelle erwischt...“

Ein paar Sekunden herrschte Stille. Dann blieb Amy ihrem Lachen ein weiteres Mal nicht Herr: „Ehrlich?! Hahahaha! Sag' nicht die Stelle, die ich denke!“

„Doch...“, ich fand die ganze Situation nur bei weitem weniger lustig als Amy.

Amy dreht mich um und schaute mir kichernd ins Gesicht: „Aber er hat nichts gesehen und eigentlich ist es ja auch nur halb so wild.“

„Was?!“, ich fuhr in den Sitz: „Halb so wild?! Verarschen?!“

„Ja, mein Gott. Denkst du, du bist die erste nackte Frau, die er sieht?“

Amy machte nichts besser. Amy machte das alles wirklich nicht besser!

Ja, wahrscheinlich hatte sie recht. Trotzdem war das einfach peinlich!

„Außerdem“, fuhr Amy fort: „Würde uns alle viel mehr interessieren, warum du schreist wie am Spieß. Zieh dir was an und komm rüber.“

Ich versteckte mein Gesicht in meiner Hand: „Ich kann nicht...“

Ich werde Undertaker nie wieder unter die Augen treten können!

„Gut“, machte Amy und ich hörte ihre Schritte: „Dann öffne ich jetzt diese Türe und hole alle rein. Alle! Ohne, dass du dich angezogen hast.“

„Waaaaaaaaaaas?!“, ich machte einen Satz vom Bett und sprang Amy in den Rücken. Mit einem erschrockenen Laut ihrerseits, riss ich sie um: „Das wirst du nicht tun!“

„Aua...“, nuschelte Amy unter mir in den Boden: „Meine Nase...“

Ich setzte mich auf: „Das hast du verdient!“

Auch Amy setzte sich auf: „Ich meine es ernst. Ich kann auch einfach rufen. Die Reaper hören mich.“

Amy atmete einmal tief ein. Ich wedelte mit einer Hand: „Nein, nein, nein! Ist gut! Ich komme rüber! Bitte tu‘ das niiii~iiicht!“

Amber lachte und stand auf: „Gut, bis gleich.“

Dann ging sie aus dem Raum.

Ich seufzte geschlagen. Dann tigerte ich zu meinem Kleiderschrank und zog mir frische Unterwäsche und Socken, sowie meine lila Jogginghose und ein weißes Top an. Ich wechselte es allerdings durch ein schwarzes aus, da mir der Stoff zu dünn war und ich nicht noch einmal Gefahr laufen wollte mehr zu zeigen, als ich wollte. Darüber zog ich eine schwarze Stoffjacke und zog ihren Reißverschluss bis zum Hals zu.

Vor meiner Zimmertüre stand ich ein halbe Ewigkeit. ‚Überwindung‘ war untertrieben für das was ich aufbringen musste, um diese Türe zu öffnen!

Sicherlich hatten es alle irgendwie mitbekommen. Ganz bestimmt lachten sie mich alle aus sobald ich ins Wohnzimmer kam!

Mit zittrigen Knien wackelte ich durch den Flur. Durch die Badezimmertüre erreichte das Rauschen von Wasser meine Ohren. Amy war wohl nun endlich selbst unter die Dusche gestiegen. Ich hörte die Stimmen der Anderen durch die offene Wohnzimmertür. Vor allem hörte ich Undertaker lachen und war kurz davor wieder umzudrehen und für immer in meinem Bett zu bleiben.

Ich blieb am Rahmen der Wohnzimmertüre stehen, sodass mich von innen keiner sah.

Ein Seufzen entfuhr mir. Ich hatte einfach keine Lust mehr. Erst die Sachen am Freitag, dann dieses aufzehrende Wochenende gekrönt von dem Angriff eines riesigen Leviathans, garniert mit einem enormen Schreck und der peinlichsten ‚0,1%-Klamotten am Leib‘- Situation meines Lebens! Der einzigen… und schlimmsten! Das war doch keine Verkettung unglücklicher Umstände mehr!

Ich lehnte mich mit einem leisen Jammern gegen die Wand. Warum war die Welt so gemein zu mir? Wieso? Was hatte ich getan?

Ich war so müde...

„Eh he he he. Willst du nicht rein kommen?“

Mein Kopf fuhr nach rechts. Undertaker hatte seinen aus dem Türrahmen gesteckt. Sein Pony fiel ihm aus dem Gesicht und er grinste mich an, als wäre nie etwas Peinliches passiert… oder ich hätte ihn nie durch den Flur getreten...

Mein Gesicht allerdings leuchtete sofort wie der Stern von Bethlehem. Nur leider wies mir das keinen Weg!

Ich schaute wieder zu Boden: „Es… Es tut mir leid...“

„Was?“

„Da-da-da… Der Tritt...“

„Ach der“, Undertakers Gesicht erschien vor meinen zu Boden schauenden Augen. Er beugte sich so tief herunter, dass sein langer Pferdeschwanz ein Stück auf dem Boden lag: „Kihihi! Ich habe es überlebt und ja, wahrscheinlich auch verdient.“

Ich streckte meine Wirbelsäule: „Wie?“

Undertaker entdrehte sich aus seiner komisch vorgebeugten Position - die der Wirbelsäule definitiv nicht dienlich sein konnte - und schaute mir ins Gesicht: „Wie ich es sagte. Ich habe ihn wahrscheinlich verdient.“

Verwirrung mischte sich in den puren Scham: „Wahrscheinlich verdient?“

„Nun“, er hob grinsend beide Hände: „Ich hatte es mit Nichten geplant, doch es ist mir nicht entgangen, dass ich meine Hand ein...“, er räusperte sich wieder in seine Faust: „Wenig unglücklich positioniert hatte.“

Mit diesen Worten schickte er mir ein zahnvolles, breites, entschuldigendes und vor allen Dingen vollkommen unschuldiges Grinsen entgegen.

Ich blinzelte. Unglücklich positioniert? Dinge harmlos darstellen konnte er. Und das er jetzt dieses Grinsen aufzog war einfach gemein! Dem konnte man nicht böse sein!

Undertakers Kopf fiel immer noch grinsend zur Seite: „Doch ich sah mich in der Pflicht nahendes Unglück abzuwenden. Ich wollte dir nicht zu nahe treten. Verzeihe mir.“

Wieder blinzelte ich. Hatte er sich gerade entschuldigt? Eigentlich konnte ich ihm wirklich keinen Vorwurf machen. Diese Entschuldigung entfachte in mir ein mehr als schlechtes Gewissen. Ich glaubte ihm, dass alles was geschehen war nicht aus Berechnung passiert war und eigentlich wollte er mir ja nur helfen und war zu mir geeilt, als ich mir die Seele aus dem Leib geschrien hatte: „Nein… eigentlich bist du das nicht...“

„Dann“, er steckte mir seine Nase ins Gesicht: „Bin ich doch neugierig, warum ich der Wand hallo sagen musste.“

„Äääääääh...“, die Hitze in meinem Gesicht brachte mich fast um. Leider nur fast: „Nun ja... ich äääähm... bin nicht sonderlich ansehnlich und... das war mir alles einfach peinlich... 'Schuldigung...“

Er nahm seine Nase aus meinem Gesicht. Vollkommen verständnislos schaut er auf meine Brust: „Aha?“

Die Hitze wich einen infernalischen Höllenfeuer. Ich schlang meine Arme auf meine Brüste und drehte mich ein Stück ab: „WAS MACHST DU DA?!“

Undertaker hob seine Augen wieder in mein Gesicht: „Gucken.“

„WAS?!“

„Gucken.“

„BITTE?!“

Undertaker hob eine Augenbraue: „Na. G, u, c, k, e, n. Gucken.“

Ich starrte ihn mit aufgerissenen Augen an: „Wa-wa-warum?!“

„Ich habe das Unansehnliche gesucht.“

Mein Kiefer klappte auf: „Das… das ist nicht dein Ernst?!“

Undertakers Kopf fiel zur Seite: „Nun… Doch.“

„Das musst du suchen?!“

„Ja. Sie blieb erfolglos.“

Mir klappte wieder der Kiefer auf. Ich starrte ihn mit offenen Mund an: „Er-er-er-er-erfolglos?!“

Er wackelte mit dem Kopf hin und her: „In der Tat. Erfolglos.“

WAS?! Wa-wa-wa-was meinst du damit?!“, ich war bis ins Letzte beschämt und vollends verwirrt!

„Na, ehehehe! Das, was erfolglos meint!“

„Wie?!“

Undertaker seufzte. Keine Sekunde später war ich dem plötzlichen Herztod ein weiteres Mal sehr nahe.

Der Bestatter lehnte seinen Unterarm gegen die Wand neben mir. Ich drückte mich so fest gegen die Mauer in meinem Rücken wie ich konnte, als er sich nach vorne beugte und mein Kinn mit seinen langen Fingern griff. Er drehte mein Gesicht zu seinem: „Erfolglos meint, dass ich nichts Unansehnliches gefunden habe, ke he he! Und man könnte sagen ich bin seit neustem ziemlich gut im Bilde.“

Ich starrte mit weit aufgerissenen Augen in sein diebisches Grinsen.

Undertaker war nah... Er war sehr sehr nah!

Unsere Körper und auch unsere Nasen berührten sich fast. Seine Finger schickten ein elektrisches Knistern durch die verzehrende Hitze in meinem Gesicht. Meine Schamesröte blühte in ganz neuen Dimensionen und mein Herz legte ein Tempo an den Tag, was nicht mehr als gesund zu bezeichnen war. Nachdem was im Badezimmer passiert war ertrug ich diese Nähe nicht sonderlich gut und dass er jetzt auch noch betonte wie gut er ja nun 'im Bilde sei' war zu viel für mein in so vielen Punkten überstrapaziertes Gemüt: ‚Peinlich! Peinlich, peinlich, peeeeeeinlich!'

Zu keinem Kommentar mehr fähig tauchte ich mich hochroten Kopf unter seinem Arm hinweg und verschwand so schnell ich konnte ins Wohnzimmer.

Ich konnte dieses Gespräch einfach nicht mehr ertragen!

Immer noch im Gesicht leuchtend, warf ich mich auf die große Couch. Ronald grinste mich vom Sessel aus an: „Alles ok?“

„Tssshhh!“, fauchte ich ihn an ruhig zu sein.

Sebastians Hand erschien mit einer immer noch dampfenden Tasse vor meiner Nase: „Beruhigt euch, Lady Rosewell. Trinkt einen Schluck, das wird helfen. Dann erklärt uns was euch so geängstigt hat.“

Seufzend nahm ich die Tasse entgegen. Dann ruckelte kurz die Couch. Ich schaute neben mich, wo sich Undertaker schwungvoll gesetzt hatte. Ich war mir sicher, dass ich kein Gesicht mehr hatte. Nur ein verkohltes Etwas mit Nase. Doch auch merkte ich, dass neben mir der einzige freie Platz gewesen war.

Ich drehte mein Gesicht ab und nahm hastig einen Schluck Kakao. Er schmeckte köstlich! Süß und schokoladig. Die Sahne und die Mini-Marschmellows gaben alles den richtigen Schliff. Doch so richtig genießen konnte ich ihn nicht.

Ich war müde. Nein, eigentlich fühlte ich mich vollkommen überanstrengt. Ich hatte mich an diesem Tag so oft erschreckt, ich konnte es nicht zählen. Mein Herz zog unangenehm in meiner Brust, gebeutelt von der ständigen Gratwanderung zwischen aussetzten und rasen. Mein Kopf hämmerte und verursachte mir einen leichten, aber sehr unangenehmen Schwindel.

„Du siehst nicht gut aus, Herzchen“, weckte mich Grells Stimme, der neben William auf der 2er Couch saß.

Mein Blick wanderte über die Anwesenden. Ich war mir sicher ausgelacht zu werden, doch alle Gesichter schauten mir recht bedeckt und zumindest Grell, Ronald und Undertaker auch reichlich besorgt entgegen.

Eine Hand erschien auf meinem Kopf: „Fu fu fu. Mir scheint als bräuchte da jemand dringend sein Bett.“

Ich drehte meinen Kopf zu Undertaker. Es war tatsächlich seine Hand. Er lächelte mich an. Warm und herzlich. In seinem Gesicht stand nichts mehr von dem, was passiert war.

„Erzähle uns was geschehen ist“, schien mir sein Lächeln entgegen: „Danach solltest du zu Bett gehen.“

„Ich“, ich schaute auf meine Kakaotasse in meinen verschränkten Fingern: „Weiß nicht genau... Als ich die Türe aufgemacht habe, stand da so ein... Ding...“

„Ding?“, fragte Ronald: „Was für ein Ding?“

„Ihr habt es nicht bemerkt, Lady Rosewell?“, setzte der Butler sofort nach.

Meine strapazierten Gedanken brauchten ein paar Sekunden, bis ich verstand worauf der Butler anspielte: „Äh... nein. Nein, ich meine nicht...“

„Du meinst?“, legte Ronald seinen Kopf schief.

Undertakers Hand verschwand von meinem Kopf. Ich sah aus meinem Augenwinkel wie er die Beine überkreuzte: „Nun. Fuhuhuhu! Heute war ein sehr ereignisreicher Tag, danach kann man nicht von jedem erwarten noch aller Sinne vollends Herr zu sein.“

Ich schaute wieder zu dem Totengräber. Er hatte Arme und Beine verschränkt. Sein eines, frei liegendes Auge musterte die Gruppe brillenlos, aber aufmerksam. Wieder einmal war ich mir sicher, dass Undertaker nicht so sah, wie wir es definierten. Ich war mir sicher diese Augen sahen ganze andere, viel wichtigere Dinge. Doch was mich wirklich irritierte war der Satz, den er gerade gesprochen hatte. Hatte er mich in Schutz genommen? Ich konnte es nicht sagen.

Grell seufzte und weckte mich aus meinen Gedanken: „Ja, ja das ist wohl wahr.“

„Oder es war kein Dämon“, hörte ich William.

Alle Augen wanderten zu ihm.

„Wie sollen wir das verstehen, Mr. Spears?“, sprach Sebastian mehr als skeptisch.

„Es gibt mehr als nur Dämonen. Wir sind darüber im Bilde. Die Trancys auch“, der Aufsichtsbeamte wandte den Kopf zu mir: „Eine detaillierte Beschreibung wäre dienlich, Miss Rosewell.“

Die Formulierung 'im Bilde' scheuchte in mir ein ganz unangenehmes Gefühl auf. Von heute an war sie auf unangenehmste vorbelastet!

Ich versuchte mich krampfhaft auf seine Frage zu konzentrieren: „Nun... sie war groß, unproportional langgezogen und... verfault.“

„Verfault?“, fragte der Totengräber neben mir sofort. Wahrscheinlich waren solche Worte seine inoffiziellen Codewörter.

Ich neigte mein Gesicht zu ihm: „Ja, sie... Das Ding... war total verrottet. Überall sah man die Knochen und das... ihre... Innereien fielen aus dem Bauchraum. Es hatte nur noch ein Auge, sah aus wie ein vermoderter Zombie und kreischte ganz schrill. Es war so laut, es tat richtig in den Ohren weh. Als ich die Tür öffnete, schrie es mich an. Ich habe intuitiv die Augen zusammen gekniffen und als ich wieder hinschaute... war sie einfach weg...“

Alle Augen richteten sich zu Undertaker.

Dieser lachte auf: „Fuhuhu! Schaut' mich nicht so an! Eine Doll war es nicht.“

„Aha“, machte William: „Sicher?“

Undertaker grinste William an: „Aber über alle Maßen! Ich würde nie eine Doll so verkommen lassen. Außerdem kann es sich nicht um einen menschlichen Körper handeln.“

Ich wollte einen Schluck Kakao nehmen, doch das dieses Gespräch auf einmal auf Undertakers Dolls zu sprechen kam verscheuchte in mir jegliches Bedürfnis auf Kakao oder Lebensmittel an sich. Mir fuhr durch die Gedanken, was die Dolls waren. Was Undertaker getan hatte. Wie schrecklich es war. Obwohl ich mir sicher war in Undertakers Nähe bleiben zu wollen, genau so sehr wünschte ich mir Undertaker hätte nie bei dem Experiment von Osiris mitgewirkt. Ich wünschte mir so sehr, er hätte all die schlimmen Dinge nicht getan. Doch die Anderen bekamen diese Gedanken nicht mit und das Gespräch, welches mir schmerzhaft Herz und Magen verdrehte, ging weiter.

„Warum nicht?“, fragte Ronald.

Undertaker lachte: „Kehehehehe! So wie es klingt war dieses Wesen schon recht verwittert. Ab einem gewissen Verwesungsgrad sind nicht mehr genug intakte Muskeln und Sehnen vorhanden um einen menschlichen Körper zu bewegen. Ganz einfach.“

„Macht Sinn“, Grell nahm einen Schluck aus seiner Tasse: „Es ist widerlich, aber es macht Sinn.“

„Habt ihr was bemerkt?“, lenkte Ronald mit seiner Frage das Thema von den Dolls weg. Ich war ihm unendlich dankbar dafür: „Sky ist schließlich nicht die Einzige, die Präsenzen mitbekommen sollte. Vielleicht sollten wir uns nicht nur auf ihr Gespür verlassen.“

„Hast du was bemerkt?“, konterte Grell mit einer eigenen Frage.

„Nein“, schüttelte Ronald seinen blonden Schopf: „Aber ich bin auch kein Maß.“

„Stimmt, aber ich passe auch“, wirkte Grell nun recht resigniert.

„Ebenfalls“, sprach William einsilbig in seine Tasse.

Sebastian schüttelte nur den Kopf.

„Nein, nichts“, schüttelte auch Undertaker den Kopf und wirkte ungewohnt unbegeistert dabei.

„Aber William“, Grell wandte sich zu dem Aufsichtsbeamten neben sich, der selbst nur die Augen zu dem roten Reaper bewegte: „Warum erwähnst du die Trancys?“

William nahm noch einen Schluck aus seiner Tasse bevor er sprach: „Weil es kein fernliegender Gedanke ist, dass sie ihre Finger im Spiel haben könnten. Sie werden bemerkt haben, dass Miss Rosewell fähig ist Dämonen trotz der Steinmedaillons zu bemerken. Das sie nun plötzlich ein Wesen ängstigt, welches keiner mehr spüren kann, ist entweder ein Streich ihres gestressten Gemütes oder ein neuer Schachzug Olivers und Claudes.“

Sebastian legte überlegend eine Hand an sein Kinn. Ronald und Grell schauten sich besorgt an. Ich schaffte es irgendwie Undertaker anzuschauen. Sein Gesicht war ernst geworden. Sehr ernst. Darin stand, dass er der Situation keinerlei Komik abgewinnen konnte, was immer ein sehr schlechtes Zeichen war, soviel hatte ich in der kurzen Zeit in der ich ihn nun kannte verstanden. Als er die recht betretene Gruppe musterte, huschten einige Gedanken durch sein strahlend grünes Auge.

„Aber“, Ronald schaute jeden einmal ins Gesicht und brach so das langgezogene nachdenklich Schweigen: „Was für ein Ding war das, wenn es weder eine Doll, noch ein Dämon war?“

„Gute Frage“, seufzte Grell und schaute Undertaker an.

Dieser schüttelte nur schweigend den Kopf. Ein Umstand der nur noch mehr verdeutlichte wie ernst die Situation war.

Grell seufzte wieder: „Das ist mehr als nur schlecht.“

„Was?“, hörte ich auf einmal Amys Stimme. Ihre Haare waren feucht und sie setzte sich neben Undertaker: „Was ist schlecht?“

„Das Wesen, welches uns Lady Rosewell beschrieb, stellt uns vor ein Rätsel, junge Lady“, antwortete der Butler: „Keiner ist fähig es zu spüren und selbst Undertaker kennt es nicht.“

„Woas?!“, Amy schaute Undertaker an: „Du hast keine Idee?“

Wieder schüttelte Undertaker nur den Kopf. Mir gefiel nicht, dass er nicht sprach.

Amy seufzte nun ebenfalls: „Na prächtig. Und nun?“

Ein weiteres Mal setzte ein fast ratloses Schweigen ein.

Sebastian wandte sich zu dem Bestatter: „Undertaker?“

„Hm?“, fragte dieser durch seine geschlossenen Lippen und schien gerade aus einem tiefgehenden Gedankengang aufgewacht zu sein.

„Ich habe eine Bitte an dich.“

Undertakers Kopf fiel zur Seite und das altbekannte Grinsen erschien wieder darauf. Doch es wirkte angespannt, fast aufgesetzt: „Ehehe! Nun bin ich gespannt.“

„Wäre es dir möglich täglich bei der jungen Lady vorbeizuschauen? Die neusten Entwicklungen bereiten mir Sorge.“

„Kehe! Welch seltenen Worte aus deinem Munde, Butler.“

„Was wäre ich für ein Butler, wenn ich mich um die Tochter meines Herren nicht sorgen würde?“

Undertaker lachte noch einmal: „Nihi! Keiner, der der Familie Phantomhive würdig wäre“, dann ebbte sein belustigter Ton sehr abrupt ab. Er grinste noch, doch es fehlte in seiner Stimme: „In der Tat, Butler. Es ist mir möglich.“

„Ich danke dir.“

„Wuhuhu!“, erschien Undertakers Lachen so plötzlich wieder wie es gegangen und gekommen war. Ich war mir nicht sicher, was diese extremen Schwankungen zu bedeuten hatten: „Noch seltener! Ich muss mir diesen Tag rot im Kalender anstreichen!“

Sebastian seufzte: „Es ist nicht die Zeit zu scherzen.“

„Es ist immer Zeit für ein herzliches Lachen“, grinste der Totengräber: „Aber es wundert mich nicht, dass du dies nicht verstehst.“

Ein komisches Gefühl wallte in mir auf. Undertaker will täglich vorbei kommen? Ging er doch nicht fort und kam nie wieder? Doch irgendwie... war seine Aussage, er schaue nun öfter nach dem Rechten, kein Garant dafür. Er tat das als ein treuer Gefährte Alexanders und seine blanke körperliche Anwesenheit verhinderte nicht, dass er sich emotional von mir entfernen könne. Ich wollte das nicht. Dieser Gedanke war noch quälender, als die Tatsache ich könnte ihn nie wiedersehen.

Der Butler seufzte erneut. Doch bevor er etwas erwidern konnte wehte eine leise Rockmusik durch den Raum. Ich erkannte sie. Es war Amys Klingelton. Die Phantomhive klopfte ihre Hose ab: „Hü? Wo ist es denn?“

Sebastian griff in seine Tasche und streckte Amy ihr Handy entgegen: „Ich war so frei es aufzulesen.“

„Danke“, machte Amy und schaute auf ihr Display in Sebastians Hand: „Oh, oh...“

Ich schaute sie an: „Wer ist es?“

„Lowell...“, machte Amy geknickt.

Ich schluckte. Die Lehrer und Schüler waren geflohen. Sicher war Lowell aufgefallen, dass wir fehlten. Ich wusste nicht wie wir ihr erklären sollten, dass wir schon wieder im Schulheim waren. Amy sah aus, als habe sie ähnlich wenige Ideen dazu.

Sebastian nahm ihr Handy und ging einfach ran: „Sebastian Michaelis, Butler der Phantomhives, am Apparat. Mit wem spreche ich?... Ah! Miss Lowell, natürlich... Nein, die junge Lady ist gerade verhindert, kann ich ihnen behilflich sein?... Tatsächlich?... Ich muss verneinen, Miss, uns ist nichts Außergewöhnliches aufgefallen... Im Wohnheim, seit etwa 10 Minuten, ich bitte untertänlichst unsere Verspätung zu entschuldigen, der Verkehr.“

Ich hörte Undertaker prusten. Amy hielt ihm sofort den Mund zu. Abgesehen von Undertakers ersticktem Lachen und Sebastians Worten herrschte Stille im Raum. Mit einem fast schelmischen Lächeln fuhr Sebastian damit fort, unserer Lehrerin einen Bären aufzubinden: „Miss Rosewell? Sie kam mit uns... Ja, in der Tat, sie war gestern noch im Wohnheim, doch heute Morgen entschied sie sich spontan uns mit ihrer Anwesenheit beim 12 Uhr Tee zu beehren. Mein Herr war äußerst erfreut... Die Damen erfreuen sich bester Gesundheit. Was ist denn geschehen, dass sie so explizit nachfragen?... Aha? Wenn dem so ist. Doch die Wohnheime sind doch sicherlich wieder freigegeben... Wunderbar!... Nein, ich habe zu danken... Ihnen auch einen guten Abend.“

Sebastian legte auf und hielt Amy ihr Handy wieder entgegen: „Miss Lowell ist beruhigt, junge Lady.“

Alle blinzelten den Dämon an, der Miss Lowell gerade in Perfektion den unwissenden Butler vorgespielt hatte.

Amy ließ Undertakers Mund los, der sich nun in einem lauten Gekicher erging. Die Phantomhive steckte ihr Handy in die Hosentasche und ignorierte den giggelnden Totengräber neben ihr: „Gut.“

Ich seufzte und lehnte mich in die Couch. Meine Glieder waren bleischwer, genau wie meine Augenlider. Ich hob meine Tasse an den Mund, die gefühlte Tonnen wog, und leerte sie in einem Zug.

Neben mir ebbte das Kichern ab. Ich spürte ein paar Augen auf mir und wandte mein Gesicht Undertaker zu. Dieser musterte mich, was mir immer noch mehr als nur unangenehm war.

„Was“, fragte ich schließlich skeptisch: „Schaust du?“

Er fuhr mir mit seinen Fingernägeln durch die Haare: „Du siehst müde aus.“

Diese Geste erschreckte mich, da sie so unerwartet war. Unerwartet und schön. Doch ich hatte immer noch das Gefühl, dass eine Wand zwischen mir und dem Bestatter stand. Und diese Wand bestand nicht aus meiner noch nicht gänzlich abgeflauten Scham. Sie stand schon vorher dort. Auch wenn Undertaker herzlich, wenn nicht sogar fürsorglich mit mir umging, irgendetwas stimmte nicht. Diese Empfindung brannte in einer heißen Übelkeit in meinem Magen.

Sein Mund grinste, sein Auge schaute mir mit einer besorgten Nuance entgegen, doch etwas stand darin, was mir sauer aufstieß. Eine Schwere, von der ich mir sicher war, dass er sie zu verstecken versuchte.

Ich wusste, dass Undertaker mit seiner Aussage, ich sähe müde aus, diesen Tag für alle beenden wollte. Ronald und Grell sahen recht mitgenommen aus. Sicherlich war auch William angestrengt, schaffte nur besser es zu verstecken. Wie es Sebastian ging konnte ich nicht recht sagen, doch auch er hatte heute einiges an Kraft aufgeboten, dessen war ich mir sicher. Amy war, wie ich, über ihren Zenit, was ich ihrem ermatteten Gesicht entnahm. Wie es Undertaker selbst ging, war mir allerdings ein vollkommenes Rätsel. Abgesehen von all dem lag immer noch eine gewisse Ratlosigkeit in der Luft, die merklich auf das Gemüt aller Anwesenden drückte. Wahrscheinlich war es keine schlechte Idee nun einen Schlussstrich unter diesen Tag zu ziehen. Doch irgendwie machte mir dieser Gedanke Angst.

Was passierte, wenn Undertaker nun ging?

Wenn er heim ging und noch einmal über alles schlief.

Dachte er überhaupt darüber nach, was heute alles passiert war? Und damit meinte ich nicht meine Badezimmereskapade, sondern die Situation vorher... an der Themse. Alles was er dort gesagt hatte. Die Überzeugung er sei kein Wegbegleiter für mich... Der Aussage, dass auch er mich vermisst hatte.

Welche Schlüsse zog er?

Hatte er sie schon gezogen?

Ich schaute in sein grünes Auge und suchte die Antwort auf all meine Fragen. Doch es war als habe er einen Riegel vor seine Gedanken geschoben. In seinem Auge stand nur diese unterschwellig schwere Nuance, die ich nicht deuten konnte.

Sein Grinsen wurde ein seichtes, doch sehr seltsames Lächeln: „Gehe ins Bett.“

„Aber...“

„Nichts aber“, unterbrach Undertaker meinen Protest mit einem Kopfschütteln. Ich wusste auch nicht recht, was ich protestiert hätte, obwohl ich schon dazu angesetzt hatte.

„Ich möchte, dass du nun schlafen gehst“, fuhr er fort: „Es ist heute genug passiert. Lass den Tag enden und ruhe dich aus.“

Er nahm seine Hand aus meinen Haaren, um sie auf meine Wange zu legen. Sie war so kalt und ihre kühle Berührung fühlte sich ungeahnt gut an. Mein Gesicht war immer noch furchtbar warm, obwohl ich dachte meine Schamesröte sei endlich wieder verschwunden. Sofort zog er skeptisch sein Auge zusammen: „Geht es dir gut?“

Ich runzelte die Stirn: „Wieso fragst du?“

Er strich mir mit dem Daumen über die Wange: „Du bist ganz warm“, er legte seine Hand auf meine Stirn: „Ist dir wohl?“

„Ähm“, ich stockte kurz.

Nein, mir war nicht wohl.

Doch das lag nur bedingt an meinem körperlichen Zustand.

Aber... vor allen konnte ich meine Gedanken nicht aussprechen. Ich war mir sicher, ich konnte es selbst vor Undertaker allein nicht direkt. Nervös kaute ich auf meiner Unterlippe herum. Ich konnte ihm nicht sagen, wie viel Angst ich hatte, dass er sich von mir abwenden könnte. Warum auch immer er dies tat. Doch er sah mich so eindringlich an, dass ich wusste, er würde jede Lüge sofort entlarven. Dann nahm er plötzlich die Hand von meiner Stirn. Zu plötzlich für seine Verhältnisse.

In mir drin stockte es. Es stimmte. Er wandte sich ab. Ich schlug die Augen nieder: „Ich... bin müde.“

Sein Blick blieb skeptisch: „Nur?“

Ich nickte leicht. Ich hatte nicht gelogen, doch überzeugt hatte ich den Bestatter auch nicht.

Ronald hüpfte auf die Füße und ließ meinen Kopf herumfahren: „Für uns wird es auch Zeit“, er schaute seine Kollegen an: „Nicht?“

William erhob sich: „Sicherlich. Morgen wird ein langer Tag.“

Grell stand auf und streckte sich: „Betone es nicht so... Mir ist bei diesem Gedanke nur allzu sehr nach Urlaub.“

Sebastian verbeugte sich: „Ich werde mich ebenfalls empfehlen. Euer Vater erwartet meinen Bericht sicher mit scharrenden Hufen, junge Lady. Ich wünsche allen Anwesenden eine erholsame Nachtruhe.“

Ein Wind ging durch den Raum und der Butler war einfach verschwunden.

„Ich schließe mich dem an“, sprach William in seiner tonlosen Stimmlage und ging zum Fenster: „Gute Nacht.“

Mit diesen Worten sprang er hinaus.

„Gute Nacht, meine Süßen! ~♥“, Grell blies uns einen Handkuss zu und sprang hinter William her.

„Schlaft gut! Last euch nicht fressen!“, entschwand auch Ronald.

Undertaker erhob sich. Ich schaute zu ihm auf. Er grinste. Er grinste wie immer und gleichzeitig auch nicht: „Skyler? Amber?“

„Hm?“, machten wir beide im Chor.

„Sollte einer von euch unerwartet Besuch bekommen“, grinste er: „Ruft mich an. Sofort. Kehehehe! Keine Heldentaten.“

Amber nickte zerknirscht, wohl wissen worauf der Bestatter sich bezog: „Ist gut. Ich habe verstanden...“

Ich konnte nichts sagen. Als Undertaker aufgestanden war, hatte sich ein Kloß in meinen Hals gesetzt. Irgendetwas in mir wollte ihn bitten zu bleiben. Doch ich wusste nicht wie ich diese Bitte begründen sollte.

„Nun denn“, er verbeugte sich formvollendet, was in seinem T-Shirt- und Jogginghosenaufzug mit den nackten Füßen recht sonderbar aussah: „Erholt euch gut. Gute Nacht.“

Dann war auch er plötzlich verschwunden. Zu plötzlich um noch irgendetwas zu sagen.

Ich schaute auf die Stelle von der er verschwunden war.

Das Herz war mir schwer.

Kummer lag darin.

Kummer, Angst, Verwirrung und Scham. Ich schloss meine Augen, als ich mich diesem zermürbendem Gefühlen ein Stück ergab.

Ich spürte zwei Arme um meinen Hals und eine Schläfe an meiner.

„Was hast du, hm?“, sprach die Stimme der Phantomhive weich und doch besorgt an meiner Schläfe.

Ich schüttelte ermattet den Kopf: „Ich weiß es nicht.“

„Womit haderst du?“

Mit einem Seufzen stellte ich meine leere Tasse ab und vergrub mein Gesicht in den Händen.

„Sky?“

„Hm?“

„Sei ehrlich zu mir. Die Situation ist nicht ansatzweise geklärt, oder?“

Ich schüttelte wieder den Kopf. Mein Herz schlug schwer und langsam. Müde und erschöpft.

„Was hat er gesagt, was so schwer wiegt? Es kam doch noch etwas dazu, oder? Es geht nicht nur noch um das was auf der Campania passiert ist, nicht?“

Ich ließ meine Hände sinken und schaute auf meine Finger. Nervös nestelte ich an einem der Tapes um meine lädierten Fingernägel herum: „Nein... Nein er... Er meinte er sei kein guter Wegbegleiter für mich und...“, ich brach ab. Was er alles gesagt hatte legte mir abermals einen Kloß in den Hals.

„Und?“, machte Amy mitfühlend: „Sky rede. Alleine gehst du daran unter.“

Ich kniff die Augen zusammen: „Er sprach so schlecht von sich.“

„Wirklich?“

„Ja...“

„Und noch?“

„Er sagte, er habe mich vermisst...“

Amy atmete durch: „Paradox... Das passt nicht zu ihm. Aber er benimmt sich schon das ganze Wochenende seltsam.“

Jetzt schaute ich Amy an: „In wie fern?“

„Ja, was beim Training los war, weißt du. Warum genau das passiert ist, ist immer noch ein stillschweigendes Geheimnis zwischen Undertaker und Ronald und heute... ich weiß nicht. Er wirkte unauthentisch. Erlebt habe ich das noch nie. Ich kenne Undertaker nur grinsend und lachend, aber heute wirkte es... nicht richtig.“

Ich legte meinen Kopf schief: „Denkst du?“

Ich fragte nicht, weil ich Amys Einschätzung nicht glaubte. Ich fragte, weil ich genau dasselbe gedacht hatte.

Amy nickte: „Ja. Irgendwie stand er heute ziemlich neben sich.“

„Und warum?“

Amy zuckte mit den Achseln: „Ich weiß nicht. Ich weiß nicht recht, was ich davon denken soll. Ich kenne ihn schon lange, doch so habe ich ihn noch nie erlebt.“

Ich kratzte mich am Hals: „Wahrscheinlich... hab ich sein Vertrauen am Freitag Abend vollends mit Füßen getreten. Ich... ich war mir sicher... wenn ich ging, dann... dann ist die Türe zu“, wieder versteckte ich mein Gesicht in den Händen: „Und ich habe es trotzdem getan... und nun? Sagt Undertaker ich habe intuitiv das Richtige getan und ich solle meine Zeit nicht mit ihm verbringen...“

„Hat er?“

Wieder nickte ich nur. Mein Herz riss mich fast zu Boden.

Amys Arme verschwanden und ich hörte wie sie in die Polster fiel: „Scheiße...“

Ich schaute sie müde an: „Mein Gedanke. Doch warum ist es auch deiner?“

Amys Gesicht sah fast leidend aus: „Wenn er etwas sagt, meint er es auch... und dann passiert es auch...“

Mit einem raschelnden Atemzug unterdrückte ich ein Schluchzen. Meine Nase knisterte. Tränen klopften an. Ich stand auf: „Ich gehe ins Bett.“

„Sky...“

„Amy“, unterbrach ich sie: „Bitte... Lass es gut sein...“

Die Phantomhive fühlte nur allzu offensichtlich mit mir mit, doch ignorierte sie meine Aussage: „Was nun?“

„Ich...“, verließ ich das Wohnzimmer: „Weiß es nicht...“
 

Kurz danach lag ich in meinem Bett.

Mutterseelen alleine.

Von der Welt verlassen.

Vom Schicksal geschlagen und meinen schlechten Gefühlen machtlos unterlegen.

Es war still. Furchtbar still.

Mein Kopf repetierte alles was geschehen war. Immer wieder. Ich war schmerzhaft verwirrt. Obwohl Undertaker so nett zu mir gewesen war, hat sein komisches und, wie Amy recht erkannt hatte, streckenweise wirklich paradoxes Verhalten tiefe Spuren hinterlassen.

Ob alles wieder gut wurde... wusste ich nicht. Doch ich hatte das unabdingbare Gefühl der Bestatter hatte sich schon mehr als zwei Schritte von mir entfernt.

Obwohl mein Herz so schwer war und meine Gedanken so konfus, forderte die Anstrengungen der letzten Tage irgendwann ihren Tribut.

Doch schöne Träume waren es nicht.
 

Undertaker


 

'Nein, nein, nein!'

Die Luft surrte an mir vorbei. Mein Herz raste.

Obwohl alles so schnell vonstatten ging, hatte ich das Gefühl die Welt und ich selbst bewegte sich träge und quälend langsam. Nur der Tentakel tat es nicht. Der Tentakel hatte eine ungeahnte Geschwindigkeit angenommen.

'Nein!', ich würde es nicht schaffen! Ich war mir sicher, ich würde nicht rechtzeitig zu Skyler kommen. Ich hechtete zu ihr, so schnell mir nur möglich war. Mein Verstand war bis zum bersten gespannt. Mein Puls hatte eine Frequenz angenommen, die ich erst vor einigen Tagen wieder kennen gelernt hatte. Davor hatte ich es Jahrzehnte nicht gefühlt. Das Gefühl der heißen Angst um ein geliebtes Wesen, die quälende Gewissheit zu spät zu sein und der kleine helle Funken Hoffnung. Der, der am Ende meist erbärmlichst starb. Der, dessen Tod einen in die Verzweiflung trieb.

Doch ich hielt an diesem Funken fest. Trotz allem hielt ich mich an diesem Funken fest.

Die Tentakel kam der jungen Frau immer noch viel zu schnell näher. Viel schneller als ich es tat. Doch Hilfe kam von einer Seite an, die ich in diesem Moment nicht mehr gedacht hatte. Ich hatte nicht mehr daran gedacht, dass ich nicht alleine war. Ich hatte, um ehrlich zu sein, an nicht viel mehr gedacht. Nur daran so schnell wie möglichen, nein, eigentlich schneller, zu der schönen Brünetten zu kommen.

Während die Tentakel auf Skyler zu schnellte, krachte die Schneide einer Baumschere davor. Mit Schwung. Mit viel Schwung. Williams Intervention brachte das Vieh zum kreischen. Es schepperte in meinen Ohren. Die Tentakel zuckte getroffen zur Seite. Der Funken wuchs und glühte weiß in meiner Magengegend. Doch die Astschere hatte nicht ausgereicht um den Angriff ganz zu stoppen. Der Tentakel erwischte Skyler von der Seite und das junge Ding verschwand darin. Er zog sie weg: ‚Nein!‘

Ich schlitterte einen Stück über den Rasen, an der Stelle wo eben noch Skyler saß. Allerdings hatte der Leviathan seine Tentakel mit der schönen Lady im Griff wieder eingezogen und im Wasser verschwinden lassen. Doch wenigstens hatte er sie nicht zermalmt. Dank Williams beherzten Eingreifens hatte er sie nicht einfach zerquetscht.

Ohne Luft blieben Menschen vielleicht 3 Minuten bis zur Bewusstlosigkeit. Wenn sie vorher tief Luft geholt hatten. Und wie ich Skyler kennen gelernt hatte hielt sie immer wenn sie ein schlimmes negatives Gefühl beschlich den Atem an. So blieb ihr viel weniger Zeit. Ich musste ihr hinterher!

Mein Blick fiel auf den breiten aufgewühlten Fluss.

Fluss…

Ich strauchelte. Trotz all der heißen Sorge strauchelte bei diesem Anblick mein Tatendrang.

Ein Fluss…

Ich hasste Flüsse. Ich wusste nicht wieso, doch… ich hasste Flüsse. Aus tiefstem Herzen verabscheute ich sie. Meer, Pool, Sumpf, Moor, Seen all das war kein Problem, aber mit Flüssen… hatte ich ein riesiges.

Ein saures Gefühl stieg mir in den Hals. Doch ich schüttelte den Kopf. So schnell ertrank ich nicht, doch die junge Sky kämpfte gerade um ihr junges Leben. Nach einem tiefen durchatmen preschte ich wieder nach vorne. Auf den… Fluss… zu. Doch ich durfte die unverhoffte Chance, die mir William verschaffte hatte, nicht verstreichen lassen!

Der Leviathan schickte mir einen anderen Tentakel entgegen. Mir einem bestimmten Schnitt befreite ich ihn davon. Die Filmstreifen würdigte ich nicht einen Blickes. Kurz hoffte ich, es war vielleicht die Tentakel mit Skyler gewesen. Doch ich stellte erbost zischend fest, dass dem nicht so war. So lief ich weiter auf das Wasser zu. Es kam näher. Schnell, da ich wieder rannte so schnell mich meine Füße trugen. Und mit jedem Zentimeter, die der Fluss näher kam, geriet mein Herzschlag weiter aus den Fugen. Er wurde schneller. Hämmerte. Schickte mir mehr des sauren Gefühls in die Kehle. Ich holte ein weiteres mal tief Luft. Nicht um mich mit Sauerstoff zu bewaffnen, sondern um das Zaudern zu erdrücken. Dann sprang ich ab.

In den Fluss.

Das Flusswasser schlug mir ins Gesicht.

Dieses Gefühl war abartig!

Es war widerlich, abstoßend, vollkommen ekelhaft!

Mein schnell schlagendes Herz schickte einen unwillkürlichen Schwall Überspanntheit in meine Glieder. Nur meine nach wie vor heiße Sorge, war stärker als mein Drang sofort wieder aufzutauchen. Der Anblick, der die Hände vor das Gesicht haltenden Skyler vor meinem inneren Auge, beflügelte mich zu den nächsten Schwimmzügen, gegen die sich sonst alles in mir sträubte. Da das Höllentor den Himmel verfinsterte, war es hier unten unsagbar dunkel. Erst nach dem ich einige Meter abgetaucht war fanden meine Augen die eine zusammengerollte Tentakel, in der Skyler steckte, da ich immer noch meine Brille auf der Nase trug. Doch der Leviathan hatte noch 6 weitere. Eine strich neben mir hart durchs Wasser. Wirkte nur träge, da Unterwasser jede Bewegung träger wirkte. Er verfehlte mich, aber die aufgewühlten Wassermassen drückten mich zur Seite. Ich machte einen sehr unfreiwilligen Salto, bis ich mich wieder fing und weiter tauchte. Gegen das Wasser und mein inneres Widerstreben ankämpfend. Doch die Tentakel des Leviathans wischten weiter durch den Fluss. Drückten mich durch das sich verwirbelnde Wasser nach rechts, nach links, nach oben, nach unten. Doch ich schwamm weiter. Immer weiter auf die eingerollte Tentakel zu.

Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichte ich die Tentakel die mein Ziel war. Ich holte mit meiner Sense aus, da drückte mich ein weiterer Stoß Wasser fort. In die sengende Sorge und die allgegenwärtige Aversion mischte sich heiße Wut. Ich wünschte dieser verdammten Wasserschlange die blanke Pest an den abscheulichen Hals! Dafür, dass sie Skyler angriff! Dafür, dass sie mich zu diesem unsäglichen Tauchgang gezwungen hatte!

Als ich mich abgefangen hatte schüttelte ich den Kopf. Ich musste mich konzentrieren. Auf das wirklich Wichtige! Nach zwei weiteren Zügen erreichte ich endlich wieder die Tentakel und rammte meine Sense hindurch. Das Biest schrie. Ich hörte das furchtbare Kreischen sogar durch die Wassermassen. Der abgeschnittene Teil erschlaffte. Filmstreifen wirbelten durch das Wasser. Ich schnipste sie weg, da sie mir das bisschen Sicht nahmen, das ich hatte.

Sky kam zum Vorschein.

Ihre Augen fielen zu.

Ein Stich ging durch meinen ganzen Körper und vertrieb alles Weitere. Hatte ich zu lange gebraucht? Ich hoffte so sehr das nicht! Um das dünne Ding greifen und auftauchen zu können, entließ ich meine Sense. Ich griff ihre Hand, zog sie zum mir, schlang dann den Arm um ihren schlanken Leib und schwamm so schnell ich könnte gen Oberfläche. Es war so düster, die Oberfläche erkannte ich erst an dem Gefühl von Wasser das aus meinem Gesicht floss. Ich sog tief ein wenig der frischen Luft ein. Nicht, weil ich in Atemnot gekommen war, sondern aus Erleichterung, da wenigstens mein Gesicht nicht mehr im Wasser steckte.

Ich schob meine Brille in die Innentasche, da ich durch die dicken Tropfen an den Gläsern noch weniger sehen konnte, als ohne. Mit einem Armschlag legte ich mich ein Stück auf den Rücken, sodass Skylers schlaffer Körper auf meinem lag. Rückwärts paddelte ich mir ihr zum nächsten Ufer. Mit einem Arm zog ich uns beide an dem steinernen Wellenbrecher hoch, hob sie auf beide Arme und stieg auf das sandige Ufer. Selten war ich dem Boden unter meinen Füßen so verbunden. Doch dieses Gefühl war nur eine Randerscheinung.

Behutsam kniete ich mich hin und hielt die schöne Skyler im Arm. Ich legte meine Hand auf ihre Wange, kalt von dem herbstkühlen Wasser: „Sky?“

Keine Reaktion. Ihre blauen Augen waren geschlossen und sie rührte sich nicht.

Ich schüttelte sie sachte an der Schulter: „Sky!“

Nichts. Ich beschaute die junge Frau. Dann griff eine klamme Hand mein Herz mit einem unbarmherzigen Griff. Ich sah, dass sich ihre Brust nicht hob! Mein Kopf fuhr wieder zu ihrem Gesicht: „Sky!!“

Als ich die Finger unter ihre Nase hob fühlte ich, was ich befürchtete: Nichts.

Mein Herz erhöhte seinen Takt: „Kein Atem… Das kann… das darf nicht wahr sein!“

Die Sorge endete in Angst. In Angst, die mir den Mund austrocknete.

Ich musste funktionieren! Mein Kopf schrie meinem Herz entgegen, dass ich jetzt funktionieren musste!

Ich legte sie auf den Boden. Dann schob ich sachte ihren Kopf nach hinten und legte eine Hand auf ihre Stirn um ihren Kopf überstreckt zu halten. Ich war kein Meister in solchen Dingen. Normalerweise hatte ich es mit Menschen zu tun, die solchen Maßnahmen nicht mehr bedurften. Doch ich hatte keine Wahl. Etliche Jahre in der Dispatch Association, hatten auch einige Schüler bereit gehalten, die es fast geschafft hatten ertränkt zu werden. Einen Sensenmann zu ertränken war langwierig und umständlich, doch mit Nichten unmöglich. Ich konnte nur hoffen, dass ich wirklich so viel behalten hatte, wie ich meinte. Mit Daumen und Zeigefinger der auf der Stirn liegenden Hand verschloss ich ihre feine Nase. Mit der anderen griff ich ihr Kinn und öffnete leicht ihren geschwungenen Mund. Mein Herz machte einen lauten Schlag, als ich an das dachte was ich nun tun musste. Mein Gesicht wurde mir warm, was mich verwirrte und fast erschreckte.

‚Konzentriere dich...‘, ermahnte ich mich mit einem weiteren durchatmen selbst. Dann atmete ich so tief ein wie ich konnte. Meinen weit geöffneten Mund setzte ich fest um den Mund des jungen Dings und drückte vorsichtig die Luft von meinen Lungen in ihre.

Als meine Lungen leer waren, nahm ich meinen Kopf hoch. Ich sah wie sich ihre Brust wieder senkte. Es muss funktioniert haben, doch ein eigenständiges Atmen Skylers blieb aus.

Mein Herz zog sich zusammen. Schmerzhaft. Unendlich schmerzhaft. Gestresste Hitze stieg mir ins Gesicht. Ich wollte nicht, dass sich das Schicksal für mein Eingreifen vor einigen Tagen jetzt rächte. Mir sie doch wegnahm. Endgültig wegnahm. Ich war mir bewusst sie schon verloren zu haben. Aber der Gedanke sie könnte mir unter den Händen wegsterben ertrug ich nicht: „Bitte... atme.“

Ein weiteres Mal holte ich tief Luft. Ein weiteres Mal drückte ich meinen Mund um ihren und presste ihr meine Luft in die Lungen. Ein weiteres Mal sah ich wie sich ihre Brust wieder senkte, als ich abgelassen hatte. Ein weiteres Mal zog sich mein Herz zusammen und ich merkte den Funken in mir flattern. Ich merkte wie er kleiner wurde. Wie er Verzweiflung wich: „Tu‘ mir das nicht an! Atme!“

Machte ich doch etwas verkehrt?

Ich musste gequält feststellen selbst wenn, ich wusste es nicht besser. Ich wusste es einfach nicht besser!

Ein drittes Mal atmete ich ein und ein drittes Mal drückte ich ihr meine Luft entgegen.

Dann merkte ich plötzlich ein Aufbäumen unter mir. Skys Mund stahl die Luft aus meinem. Hastig. Als ich ihr meinen ganzen Atem überlassen hatte, zog ich mein Kopf von ihrem weg.

Mit einem tiefen, heiseren Einatmen sprangen ihre blauen Augen auf. Dann hustete sie verkrampft. Wasser schwappte aus ihrem Mund.

Der Blick in diese blauen Augen gaben dem Funken neuen Zunder. Er wurde zu einer Flamme und vertrieb die aufkommende Verzweiflung mit einer warmen Flut Beruhigung: „Sky?“

Hustend huschten Skys Augen aufgeregt hin und her. Sie wirkte annähernd panisch. Ich legte meine Hand auf ihre Wange um ihr den Schock zu nehmen: „Sky?“

Als ich meine Hand wieder auf ihre ausgekühlte Haut gelegt hatte, fand ihr Blick meine Augen. Dort verblieb er. Schaute mir groß und ungläubig entgegen. Groß und ungläubig, aber atmend und lebendig.

„Ahahaha“, sickerte meine unendliche Erleichterung in einem leisen Lachen aus mir heraus. Ich war so froh. So unbeschreiblich froh, dass sie mich wieder anschaute: „Na hallo, meine kleine Heldin.“

„Under… Ahe! Ahe! Ahe!“, ihr Versuch zu Sprechen ging in einem weiteren gepeinigten Aushusten von Wasser unter.

„Shhh“, legte ich ihr einen Zeigefinger auf die Lippen: „Sprich nicht. Alles wird gut.“

Ich legte den Kopf schief und konnte das erleichterte Lächeln nicht aus meinem Gesicht vertreiben. Mein Herz war mir so warm geworden, als sie die Augen wieder aufgeschlagen und wieder zu atmen begonnen hatte. Warm und so ungeahnt leicht. Mit einem Mal.

Sie schaute mich weiter an. Ihre Brust hob sich schwer. Plötzlich floh eine Träne aus ihrem Augenwinkel. Bei diesem Anblick grätschte ein unangenehmer Gedanke in meine Erleichterung. Der Gedanke, nein, die Erinnerung, dass sie vor mir weggelaufen war. Dass sie Angst vor mir hatte. Mit Sicherheit nichts mehr mit mir zu tun haben wollte. Mit Sicherheit und zu Recht.

Ich konnte sie nicht glücklich machen.

Nur immer mehr unangenehm überraschen und noch mehr ängstigen.

Weil ich ein Monster war.

Nichts, was sie verdiente.

All dies stach mich. Hart und grausam. Doch nichtsdestotrotz, ich werde nicht zulassen, dass ihr junges Leben zu früh endet. Oder dass ihr großes Leid geschieht. Niemals. Mit diesen Gedanken nahm ich den Finger von ihren weichen Lippen und wischte die kleine Träne von ihrer nassen Wange. Strich mit den Rückseiten meiner Finger über ihre leicht eingefallenen Wangen: „Ich weiß, ich bin der Letzte, den du sehen wolltest.“

Ihre Unterlippe begann zu zittern. Sie hatte also tatsächlich Angst vor mir...

„Aber ich habe dir etwas versprochen“, redete ich gegen diese grausamen Gewissheiten an: „Und du kannst vor mir davonlaufen, aber nicht vor meinen Versprechen.“

Immer noch schauten mir ihre himmelblauen Augen geweitet entgegen. Darin lagen viele rasende Gedanken. Darin lag Schreck. Doch sie lebte. Es war die Hauptsache, dass sie lebte und einen kurzen Moment verscheuchte diese angenehme Erkenntnis die andere bittere. Sie entlockte mir ein leises Lachen und ich gab den Impuls nach meine Stirn auf ihre zu legen. Wenigstens kurz auszunutzen, dass sie sich nicht wehren konnte. Vollkommen unverschämt nutzte ich aus, dass sie nicht weglaufen konnte: „Ich bin so froh, dass du lebst.“

Ich wusste, dass meine Stirn nur kurz auf ihrer ruhte. Doch ich genoss dreist diese kurze gefühlte Ewigkeit.

Dann krachte ein weiteres Mal dieses grässliche Kreischen durch meine Ohren. Ich war mir fast sicher, es zerriss mir das Trommelfell. Mein Kopf fuhr zu dem Leviathan, dessen sich derweilen die Anderen angenommen haben. Das erkannte ich durch ein paar verschwommene Schatten. Ich griff in meine Tasche und setzte meine Brille wieder auf die Nase. Nicht nur die Reaper sprangen um den Leviathan herum. Auch der Butler war dort. Der Butler, der Skyler einfach zurückgelassen hatte. Ich wusste genau, dass es ihm ein Einfaches gewesen wäre, beide Mädchen mit sich zu nehmen. Wut gluckerte durch meinen Magen. Den Butler kralle ich mir noch. Später, aber ich werde es tun.

Eben dieser Butler sprang von einer Tentakel weg: „So ein Ärger!“

Ich hätte es ihm mehr als nur gegönnt voll erwischt zu werden.

Grell lenkte dies vollkommen ab und er ließ den Feind aus den Augen um zu Sebastian zu schauen, der weiteren Tentakeln auswich, indem er an ihnen weiter nach oben spurtete: „Bassy! Vorsicht!“

Ronald segelte einen Fuß auf seinem Rasenmäher durch die Luft, wedelte genervt wie angestrengt mit einem Arm und schaute ebenfalls nicht auf den Wasserdrachen, sondern war bemüht seine Balance zu halten: „Was ein Packo!“

„Sutcliff! Knox! Konzentriert euch!“, schallte sie William.

Zu Recht.

Ein Leviathan war kein Kontrahent, den man aus dem Fokus lassen sollte. Stark und mit 8 - gut, dieser nur noch 6 – Tentakel, zwei Händen mit scharfen Krallen, 4 großen Schwingen und etlichen spitzen Zähnen ausgestattet, hatte er ein großes Repertoire an Möglichkeiten einem sehr unangenehm zu Leibe zu rücken.

„Ehehehehe!“, wischte ich mir lachend den Pony ganz aus dem Gesicht, gespannt wann die Beiden die Retourkutsche für ihre Unumsichtigkeit bekamen. Dann schaute ich wieder auf die neben mir auf dem Boden liegende Skyler. Sie sah schwach aus. Eigentlich wollte ich sie nicht recht alleine zurücklassen, doch ich hatte keine Wahl. Die größte Gefahr war gerade der große Leviathan. Er musste schnellstmöglich wieder verschwinden, bevor er zu viel Schaden anrichten konnte: „Hör gut zu, meine Schöne. Tehe! Es gibt da noch eine Kleinigkeit bei der ich mit anfassen muss.“

Ein oranger Schein erreichte meinen Augenwinkel.

Ich schaute wieder zu den Kämpfenden und giggelte. Da war sie, die Retourkutsche. Grell und Ronald wurden von einer Flammenböe aus dem Mund des Wasserdrachens getroffen. Sie hatten wohl vergessen, dass auch ein Wasserdrache, ein Drache war. Und diese Biester hatten nicht nur ein flammendes Temperament. Hätten sie doch nur auf William gehört. Doch William sah nicht zu wie seine Gefährten in Flammen aufgingen. Durch seine Death Scythe nur eine Hand frei, hatte er Ron am Kragen gegriffen und fort geworfen. Dann packte er Grell an seinem Handgelenk und war mit ihm weggesprungen. Dafür opferte das Hosenbein seines Anzuges der Feuersäule.

Ronald und klopfte seinen brennenden Hosenboden aus, als er mit wedelnden Beinen durch die Luft strampelte: „Hei-ei-ei-eiß! So ein Drecksvieh!“

Ein Bild für die Götter!

Grell beschaute einige abgefackelte Haarsträhnen und schaute dann mehr als nur erzürnt zurück zu seinem Gegner: „Die Frisur! Doch nicht die Frisur! Ich komm gerade vom Friseur!“

„Das stelle ich dem Earl in Rechnung“, wedelte William, aufgrund seiner vollen Händen, mit dem Bein die kleinen Flammen aus. Es funktionierte nicht recht, doch Grell lieh ihm seine freie Hand und klopfte besonnen die kleinen Flämmchen aus.

„Wenn ihr überlebt, Mr. Spears“, lachte der Butler süffisant, der als einziger um Feuerschaden herum gekommen war. Niemand dort war ihm wichtiger, als sein Anzug.

Ich wollte Skyler nicht alleine lassen, doch ich wollt auch nicht, dass sich Grell und Ronald noch in Briketts verwandelten. So strich ich ihr ein letztes Mal mit meiner Hand über die Wange: „Stirb mir nicht, ja? Ich verlasse mich auf dich.“

Dann stand ich auf und schaute wieder zum Wasser.

Neben mir hörte ich Skyler husten. Parallel dazu sah ich wie der Leviathan Grell und Ronald mit seiner Hand wegschlug, die Wut schnaubend und viel zu unüberlegt zu einem impulsgesteuerten und dementsprechend dilettantischen Gegenangriff angesetzt hatten. Lautstark krachten sie in eine große Brücke. Der Leviathan setzte einen Tentakel hinterher, demolierte eine Hälfte der Brücke komplett und die zwei Reaper verschwanden mit etlichen Trümmerteilen im Wasser. Das kommt davon, wenn man seine Fassung verlor. Eine der wenigen Dinge, die ich und der strenge William in vollkommener Einigkeit immer wieder predigten. Ich stellte fest wie vergebens.

„Ich habe ihnen gesagt, sie sollen sich konzentrieren“, erreichte diese Erkenntnis William ebenfalls ohne den Leviathan aus dem Augen zu lassen und attackierte seine Hand mit seiner ausfahrenden Astschere. Er schwang sich daran hoch, um nicht aus der Luft zu fallen.

„Ihr kennt das Spiel doch“, stieß sich der Butler an einem hoch zuckenden Tentakel ab, ebenfalls nicht erpicht darauf in die Themse zu fallen.

Ich beschaute wie William und Sebastian um das Biest herumsprangen und versuchten dem Wasser fern zu bleiben und gleichzeitig Angriffe zu landen. Dies war koordinatorische Schwerstarbeit.

Ein Kampf ohne festen Boden war kompliziert.

Ein Kampf gegen einen schrill schreienden Gegner gerade für uns Reaper belastend und ein Kampf gegen einen so starken Gegner für alle geistig wie körperlich anstrengend.

Und hier handelte es sich um einen Kampf gegen einen starken, kreischenden Gegner, ohne festen Untergrund.

Ich stellte fest, unsere Karten standen nicht ganz so gut. Doch war das Spiel noch nicht verloren. Und als ich diesen Kampf so vollkommen unangemessen in meinem Kopf als ‚Spiel‘ bezeichnete flatterte in mir eine ebenso unangemessene spielerische Freude auf.

Mein Grinsen wurde weiter, fiel aber doch wieder ein Stück in sich zusammen, als mein Blick wieder auf die Themse fiel.

Ich ermahnte mich nicht darüber nachzudenken. Ich musste dem Wasser einfach fern bleiben. So wie es auch William und Sebastian blieben.

Ich streckte meine Hand aus, in der treu meine Sense erschien und sprang zu den anderen.

Im Sprung schickte ich dem Leviathan eine grün leuchtende Sichel von Blatt meiner Sense entgegen. Sie traf das Biest mit vollem Schwung im Rücken, was es zum schreien und taumeln brachte. Meine Trommelfelle vibrierten mehr als schmerzhaft und ich verzog kurz mein Gesicht.

Ich sprang von einer wedelnden Tentakel in die Luft und griff in meinem Mantel. Da mir der weite Mantel fehlte steckten meine Sotoba in dem engeren. Seit der Situation mit Oliver, Hannah und Claude ging ich ohne sie nicht mehr aus dem Haus. Lange war ich ohne ausgegangen. Doch die gesteigerte Bedrohung hatte dies wieder geändert. Eine nun bestätigt weise Entscheidung.

„Sotoba, Butler?“, erschien ich neben Sebastian und streckte ihm eins entgegen.

Während wir sprachen segelten wir ein Stück in die Tiefe.

„Warum denkst du ich wäre darauf angewiesen?“, fragte der Butler mit zusammengezogenen Augen. Ich versteckte meine Wut hinter einem zahnvollen, doch schadenfrohen Grinsen. Die kleine Ratte sollte froh sein, das ich ihm eine Waffe reichte anstatt ihn für seine vorangegangene Aktion in der Themse zu ertränken. Wäre der Butler nicht gerade durchaus nützlich, würden wir ein ganz anderes Gespräch führen. Und das sicherlich nicht mit Worten. Doch ich lachte: „Nun ja, ke he he he, du kannst natürlich auch Peu a Peu den Berg mit deinen Buttermessern abschaben, wenn du soviel Zeit und Muse besitzt. Uhuhuhu!“

Einige Sekunden schwieg der Butler nachdenklich, dann streckte er die Hand aus: „… Wir werden nie wieder darüber sprechen.“

Lachend reichte ich ihm ein Sotoba: „Ich schweige wie ein Grab. Nehehehe!“

„DU HAST MIR MEIN MAKE UP VERSAUT, DU HÄSSLICHES MISTVIEH!“, Grell preschte an uns vorbei. Einige Tropfen landeten auf dem Butler und mir. Grells Kettensäge surrte wütend. Nachdem der Leviathan ihm Make up und Frisur versaut hatte, konnte ich wenigstens sicher gehen, dass Grell mehr als genug Antrieb hatte um der Wasserschlange die Lichter auszupusten.

Ich nutzte den kleinen verwirrten Moment Sebastians, den Grells plötzliches Auftauchen und Ausruf mit sich führte, drückte einen Fuß auf seine Schulter und sprang schwungvoll, wie giggelnd wieder ein Stück nach oben.

Der Butler schwirrte ein Stück schneller nach unten, konnte aber einen Tentakel packen, der ihn gleich zu einer Runde Rodeo einlud, als der Leviathan versuchte ihn abzuschütteln.

Ich kicherte über meine erste kleine Racheaktion.

Als ich aufschaute sah ich wie Grell seine Kettensäge in einer Tentakel vergrub. Sie röhrte und knurrte als sie das Fleisch der Extremität zerriss und Blutstropfen, so wie Filmstreifen durch die Luft flogen. Ich spürte förmlich wie mit jedem scheppernden Kreischen, dass durch meinen Kopf knallte eine meiner grauen Zellen das Zeitliche segnete.

„Für so etwas werde ich einfach nicht gut genug bezahlt“, seufzte William gestresst, stach seine voll ausgefahrene Baumschere in das Flussbett der Themse und blieb am oberen Ende, mit einer Hand und gegen den Stab gestützten Füßen, hängen. Er nutzte die Eigenschaft seiner Death Scythe um sich eine kleine Verschnauf- und Denkpause zu ermogeln. Mit der freien Hand griff er Ronalds Hand, der ansonsten ein weiteres Mal zu den Fischen gefallen wäre. Der Blonde schaute seinem Arm hinauf: „Wir werden hier für gar nichts bezahlt, William.“

William schaute an seinem herunter: „Wie ich sagte, Knox.“

„Pahahahahahahahahahahahaha!“, flog mein lautes Lachen durch die schlagende Luft, als ich meine Sense in einem der Flügel vergrub und mich weiter nach oben schwang.

Ich wollt unter keinen Umständen wieder im Wasser landen. Nicht für den besten Witz der Welt!

Der Kampf hielt an. Er war anstrengend. Amüsant, doch äußerst anstrengend.

Groß und massig wie er war, war der Leviathan doch recht schnell. Zumindest verstand er es, den Schwung zu nutzen, die seine Extremitäten aufbauen konnten. Sich den etlichen Gliedmaßen zu erwehren war ein Akt für sich. Es ohne die Chance auf eine Denkpause auf festen Grund zu tun war ein Fakt, der alles noch zerrender machte.

„Das nimmt kein Ende! Das blöde Vieh will einfach nicht sterben! Das hat einfach keinen Schwachpunkt!“, beschwerte sich der Jüngste der Runde, dem der Kampf am meisten zusetzte. Natürlich ging es Ronald an die Substanz. So einen anstrengenden und langen Kampf hatte er viel seltener gefochten, als wir anderen.

„Kehehehe! Siehe es positiv, Ronald!“, gab ich ihn lachend einen versteckten Tipp.

„Was ist denn daran positiv?!“, fluchte Grell und schlug eine Tentakel mit seiner Kettensäge weg: „Hast du dir mal meine Haare angeschaut!?“

„Wenn das eure einzige Sorge ist, Mr. Sutcliff“, bohre der Butler das Sotoba in den Arm des Drachens. Wären die Scheite nicht gesegnet gewesen, wäre dies durch den Schuppenpanzer auch mit der übermenschlichen Stärke des Butlers nicht möglich gewesen. Durchbrechen konnte der Dämon den Panzer damit nicht, doch normales Holz wäre einfach daran gesplittert, anstatt darin stecken zu bleiben.

„Lasst uns das endlich hinter uns bringen“, schwang sich William wie ein Hochspringer an seiner Baumschere von A nach B: „Wir müssen die Arbeitszeit hinten dran hängen.“

„BITTE WAS?!“, riefen Gell und Ronald im Chor.

„Fuhuhuhuhuhuhuhu“, fing ich an über ihre Reaktion zu lachen.

Böser Fehler.

Just ins diesem Moment spürte ich, wie sich etwas um meinen Knöchel zog.

„Huch!“, beschritt ich einen so schnellen, wie unvorhergesehenen Abstieg, dass ich mich nicht sofort dagegen wären konnte.

Wieder schlug mir Wasser ins Gesicht, als mich der Leviathan in die Themse zog. Überrascht von meinem plötzlichen Abtauchen und dem Flusswasser um mich herum setzte mein Kopf aus und ich wedelte mit dem Armen, als mein Herz abermals zu rasen begann. Anstatt mich sofort effektiv zur Wehr zu setzen ruderte ich nur vollkommen geistlos mit den Armen und meinem freien Bein, während der Leviathan mich nach unten zog. Dadurch ließ ich meine Sense los. Erst in diesem Moment setzte sich mein Verstand wieder durch. Mit hektischen Händen griff ich meine Sense wieder. Ihr Blatt begann grün zu schimmern und ich schickte eine grüne Sichel in die Tiefe. Sie durchtrennte die Tentakel und der Griff um meinen Knöchel verschwand. Mit allem was ich hatte, drückte ich mich an dem abgetreten Teil ab und verließ dieses unsägliche Wasser so schnell ich konnte.

Kaum war ich aufgetaucht fiel mir Ronald entgegen. Ich griff seinen Kragen und zog ihn mit mir in die Höhe.

„Die Augen!“, rief er mir entgegen.

„Nihihihihi!“, erkannte ich gefällig, dass er meinen Wink verstanden hatte. Dumm war der Junge nicht. Er war unüberlegt, doch nicht verständnislos und auf keinen Fall schwer von Begriff: „Wenigstens einer, der mich versteht!“

Ronald schaute zu den anderen: „William! Sebastian! Die Augen!“

Auch dies erfüllte mich mit Gefälligkeit. William und Sebastian hatten längere Waffen, als Grell und wir waren noch zu weit von den Augen des Biestes entfernt. Das er dies erkannt hatte zeugte davon, dass er durchaus taktisch denken konnte, auch wenn ihm sein Temperament noch immer öfter dazwischen ging.

Ich warf Ronald auf eine Schulter des Drachen. Er machte sich sofort daran die zur Tat geschrittenen ernsten Männer zu unterstützen.

„Grell!“, rief ich dem roten Reaper zu: „Nehme doch den Anderen. Nihihi!“

„Und du?!“, rief er zurück.

Drei Tentakel flogen aus dem Wasser, erpicht darauf Sebastian und William aufzuhalten, die es sichtlich auf die Augen des Drachen abgesehen hatten. Empfindliche Körperteile und als einzige nicht geschützt durch den dicken Schuppenpanzer.

Ich warf meine Sense. Sie drehte sich um den Leviathan, stutzte ihm die Tentakel und kam verlässlich zu mir zurück.

„Weißt du was?“, klimperte mich Grell mit großen Augen an, was eine Lachanfall meinerseits provozierte: „… Vergiss es einfach“

Dann schritt auch Grell zur Tat.

Von allen Seiten attackiert, den Großteil seiner Tentakel verloren, wirkte nun der Leviathan in die Enge gedrängt. Als letzten Ausweg schlug es mit seinen großen Flügeln. Mir flogen die Haare aus dem Gesicht. Meine Brille segelte von meiner Nase. Ich wich nur recht knapp einem schlagenden Flügel aus, griff meine Brille und steckte sie sicher in meine Innentasche. Dann ergriff mich die steife Böe und stieß mich fort. Mich und die Anderen.

Die Böe hatte so viel Kraft, dass wir bis zum Ufer flogen. Einige auf halbem Weg, andere kurz vor knapp, fingen wir uns ab und landeten sicher auf unseren Füßen.

Die Gruppe war recht ramponiert. Nur der Butler glänzte wie eh und je. Wir Restlichen waren nass, angesengt, oder beides gleichzeitig.

Ronald band sich sein Jackett um die Hüften. Der Leviathan hatte seiner Hose an einer arg privaten Stelle einige Brandlöcher verpasst. Grell war von seiner in Mitleidenschaft gezogenen Erscheinung erwartend wenig begeistert: „Dieses MIESTVIEH! Wie kommen wir jetzt an den ran?!“

Ich stemmte eine Hand in die Hüfte und schaute in den Himmel. Ich sah den Drachen nicht. Ich sah gar nichts außer schwarzem und rotem Zucken. Durch die tosende Luft verschwand das Flügelschlagen schnell, was allerdings selbst ein Zeichen dafür war, dass der Leviathan mehr als ein paar Meter gen Himmel geflogen war: „Wuhuhuhuhuhu! Der will aber hoch hinaus für so ein großes Schlängelchen!“

„Schön, dass du das auch geschnallt hast!“, echauffierte sich Grell springenderweise: „Wir kommen trotzdem nicht an das Vieh ran! Von uns kann keiner fliegen!“

Ich verschränkte die Arme und sah den Butler an: „Wir können nicht fliegen, nein. Tehehehe.“

Sebastian sah unangtan zurück in mein Gesicht: „Ich bin nicht dein Werkzeug.“

„Aber eine Krähe. Hehe. Also“, ich zeigte mit meinem Zeigefinger in sein Gesicht. Sowohl ich, als auch der Butler wussten genau, dass er der Einzige in unserer Truppe war, der fliegen konnte. Der Leviathan musste fort. Es war unumgänglich, dass alles weitere an ihm hängen bleiben musste: „Also tu‘, was brave Vögelchen so tun und schwinge dich nach oben. Fuhuhuhuhu!“

„Sage das Zauberwort.“

„Nihihihihi!“, lachte ich, nicht ansatzweise dazu bereit den Butler um irgendetwas zu bitten. Ich hatte andere Möglichkeiten, dass er tat was ich wollte: „Das mit den fünf Buchstaben, Butler?“

Ich erntete nur ein Nicken. Der Butler im Gegenzug ein noch breiteres Grinsen. Ich freute mich ihm nun ein weiteres Mal ins Bockshorn zu jagen. Dahin schickte ich ihn nur allzu gern. Außerdem war ich immer noch alles andere als gut auf ihn zusprechen: „Tihihihihihi! Amber.“

Der Dämon seufzte und sprang ohne weitere Kommentare in die Luft.

Mit meinem breiten Grinsen genoss ich meinen Triumph und ließ mir meine weitere kleine Rache süß auf der Zunge zergehen: ‚Bis ich dich um etwas bitte muss schon die Welt untergehen, Butler! Ni hi hi hi!‘

Ich setzte meine Brille wieder auf. Sollte der Butler alleine nicht weiter kommen, musste ich halt in den sauren Apfel beißen und ihm zur Hilfe eilen. Schließlich musste dieses stinkende Schlangenvieh endlich verschwinden. Und mit ihm sein widerwärtiges Getöse und Gekreische. Doch nicht sofort. Das ein oder andere kann der Butler ruhig einstecken. Und die Schlange auch. So viel Zeit muss sein!

Nun sah ich auch wie der Butler zwei weiße Flügel ausklappte. Seine Art die Welt um ihn herum ein wenig auszulachen.

Grell allerdings lachte nicht. Er war vollkommen begeistert: „AAAAAAAAHHHHHH! Mein schöner Tyrann! Ein engelsgleicher Teufel! Ein Rabe mit den Flügeln einer Taube! Mein kleines Lamm mit dem Appetit eines Wolfs! Mein ganz eigener Sebastian Liebling!~♥ Mach ihn fertig, Bassy- Hasi!!~♥“

Ich lachte, während Ronald und William die Hand vor die Stirn schlugen.

Dann brach der Kampf über den Wolken los. Außerhalb unserer Reichweite. Doch leider nicht außerhalb unserer Hörweite. Das Vieh schrie und kreischte. Folglich stand in den Gesichtern der anderen Reaper eine ziemliche Anspannung. Auch ich war vor diesem Geräusch nicht gefeilt und steckte mir die Zeigefinger in die Ohren, während ich die Wolken nicht aus den Augen ließ. Grell und William hielten sich ebenfalls die Ohren zu. Ronald schrie: „Kannst du dem Vieh endlich das Maul stopfen?! Dieses Gekreische macht mich wahnsinnig!“

„Nihihihihi!“, lachte ich zustimmend: „Das ist wirklich kein schönes Geräusch!“

„Ach ne!“, blafften mir Ron und Grell im Chor entgegen.

Nach diesem kleinen Geplänkel schauten wir alle nur noch in den Himmel.

Der Butler focht einen strammen Kampf. Immer wieder segelte er aus den Wolken und schwang sich wieder zurück. Unermüdlich, so viel musste man ihm lassen.

Und ausdauernd.

Denn der Kampf war lang, war selbst als Zuschauer zehrend. Denn obwohl wir aktiv nicht mehr beteiligt waren, entspannen taten wir uns nicht. Abgesehen davon, dass es in dieser Geräuschkulisse unmöglich wäre, waren wir immer bereit einzuschreiten, sollten wir müssen. Auch wenn keiner so recht wusste wie. Natürlich, zusammen wären wir stark genug den Leviathan zu erlegen, doch Sensenmänner waren des Fliegens nicht mächtig. Weder Grell, noch Ronald, noch William, noch ich könnten dem Butler einfach so zur Seite eilen. Selbst wenn wir es schaffen sollten zu ihm hoch zu kommen, wären wir doch sehr schnell wieder auf dem Weg Richtung Boden. Überleben würden wir die Landung alle vier. Doch wahrscheinlich nur Grell und meine Wenigkeit unbeschadet.

Ich grübelte. Überlegte hin und her. Dachte darüber nach was wir im Notfall tun könnten. Doch ein ärgerliches Rufen und ein plötzliches Ruckeln an meiner Schulter unterbrachen meine Gedanken unvorhergesehen: „AH! Ich halt‘ das nicht aus!“, ich sah, dass es Grell war der mich schüttelte, warum auch immer er das tat: „Ich werde sterben, wenn Bassy irgendwas passiert! Mach etwas, verdammt!“

‚Ich hätte es mir denken können… Es ist doch immer wieder dasselbe‘, seufzte ich innerlich. Warum Grell sich um den Butler so sorgte, der ihn immer so harsch und vollkommen unverblümt feindselig von sich stieß, verstand ich nicht. Ich verstand nicht, warum Grell sich so behandeln ließ. Er hätte es so viel besser verdient. Doch meinem Lippen entfuhr ein schrilles Lachen: „Pahahaha! Und was soll ich deiner Meinung nach tun? Ich kann nicht fliegen! Nihihihi!“

„Und du willst eine Legende sein?!“, zeterte Grell weiter: „Lass‘ dir was einfallen, man!“

„Buhahahahahaha!“, mein Lachen wurde lauter, aufgrund dieser selten dämlichen Frage: „Nein, wollte ich nie!“

Grells Schütteln wurde fester, als mein Lachen lauter wurde: „Du weiß genau was ich meine, du furchtbarer alter Sack! Tu‘ irgendwas!“

Ein ungeahnt lautes Krachen durchbrach unsere Diskussion. Mein Kopf klingelte vom ganzen Gebrülle, Gekreische, Gekrache und Getose schon genug und dieser Laut war dadurch um ein vielfaches schmerzhafter. Dieser beständige Lärm war auf Dauer extrem anstrengend. Mit einem spitzen Schrei hatte ich auch plötzlich Grell auf dem Arm und um den Hals. Ronald zuckte zusammen, während William seinen Kopf gleichzeitig mit mir zu den dunklen Wolken drehte. Dann sah ich auch schon die sterblichen Überreste meines Sotobas auf den Boden zu segeln. Eine Hälfte fiel in die Themse. Die Zweite schlug ein wenig von uns entfernt in den Boden ein.

‚Na fein… -1‘, dachte ich mit einem kaum hörbaren Seufzen. Ich hatte im Kampf gegen die Trancys schon eine Sotoba verloren. Nun ein weiteres. Von den Dingern hatte ich nicht unendlich und wann ich das nächste Mal nach Japan kommen würde, um mir Neue segnen zu lassen stand in den Sternen.

„Die Sotoba!“, quietschte mir nun auch noch Grell direkt in meine eh schon lädierten Ohren, was meine Augenlider kurz flattern ließ und mich über alle Maßen nervte: „Er ist unbewaffnet! Undertaker! Maaaaaaach waaaaaaaas!“

Nun seufzte ich hörbar, als sich mir wieder die Frage stellte wie. Doch das Wort ‚Unbewaffnet‘ brachte mich auf eine Idee. Ich setzte Grell auf seine Füße und schaute zu dem strengen Aufsichtsbeamten: „William! Nehehe! Sei so gütig!“

Auch William seufzte, doch er verschränkte die Hände und ging in die Knie, als er ohne weitere Worte verstand was ich von ihm wollte. Es war auch nicht schwer zu erraten.

Ich nahm Anlauf und sprang mit einem Fuß in Williams gefaltete Hände.

Der Wind pfiff durch meine Ohren, als ich mit der Hilfe des strengen Reapers meinen Weg zu dem Butler zurücklegte. Meine Ohren waren so angestrengt, dass selbst das Geräusch des vorbei zischenden Windes extrem unangenehm war. Dann wurde auch noch das Kampfgeschrei des Leviathans lauter. Der Butler kam mir Rücken voran entgegen. Ich griff den Kragen seines Fracks und nahm ihn recht unsanft mit mir mit. So weit ich mit dem Schwung, den ich hatte, halt kam.

„Was tust du hier?“, fragte der Dämon angestrengt. Seine Garderobe war schon klar von der Auseinandersetzung gezeichnet.

„Dich retten“, verließ mich der Schwung. Die Schwerkraft griff mich und begann mich aus der Luft zu ziehen.

Der Dämon schlug mit seinen lachhaft weißen Flügeln und fing sich ab. Ich ließ seinen Kragen los und er griff mein Handgelenk: „Mit Verlaub, gerade bist du eher Ballast!“

„Nihihihi!“, lachte ich und meine Death Scythe erschien in meiner Hand. Ich hielt sie dem Butler hin: „Die auch?“

„Wie meinen?“, blinzelte der Dämon.

Ich streckt ihm meine Sense näher hin: „Kehe! Nimm. Alles andere wäre unsinnig unpraktisch, nicht?“

„In der Tat“, mit der freien Hand nahm der Dämon meine Sense: „Doch nun entschuldige mich, ich habe zu tun.“

Sebastian ließ meine Hand los.

Und so segelte ich zu Boden.

Erst langsam, doch sehr schnell, sehr viel schneller.

Ich sah mich mit einer Entscheidung konfrontiert, bei der Beide Optionen wie Pest und Cholera waren. Gefallen tat zumindest mir keine: ‚Boden, oder… Wasser...‘

Eine harte Landung würde es so oder so werden. Da führte mich kein Weg mehr dran vorbei. Denn die beiden Dämonen kämpften einige hundert Meter in der Luft. Dies war ratsam, da so alle am Boden sicherer waren. Für mich war dieser Umstand doch gerade eher als ungünstig zu bezeichnen. Für was ich mich entschied, war eigentlich egal. Aus dieser Höhe war der Unterschied verschwindend gering. Hätte der Butler nicht einen kleinen Schlenker machen können? Nur 200 Hundert Meter weniger und die Welt sähe ein bisschen anders aus. Oh, dieser ätzende Dämon! Aber der Butler war kein Dämon, um nachsichtig zu sein.

Alles in mir sträubte sich, ins Wasser zufallen… doch ich ärgerte mich zu lange und fiel zu schnell.

Mein Rücken knallte auf harten Untergrund. Dann gab er nach. Mir wurde die Luft aus den Lungen gedrückt. Scharfer Schmerz surrte durch meinen Rücken. Etwas knackte. Ziehender Schmerz verriet mir, dass es eine Rippe war. Das Wasser schlug über mir zusammen und erst dann realisierte ich überhaupt, dass es Wasser war.

Es war so grausig...

Mein Herz legte einen Takt zu. So gut ich konnte unterdrückte ich dieses Gefühl. Ich bekam Wasser in den Mund und hätte es nur all zu gerne ausgespuckt, doch wusste ich, dass es natürlich nicht funktionierte. Also wedelte ich mich mit den Armen in eine aufrechte Position. Meine Seite zog schmerzlich. Durch meinen Fall war ich fast auf dem Grund des Flusses gelandet. Ein Umstand, der mich nur beflügelte noch schneller aufzutauchen. So schnell wie nur irgendsmöglich.

Es war ein fast erlösendes Gefühl, als das Wasser sprang und mein Kopf durch die Oberfläche brach. Ich schüttelte den Kopf und damit die Tropfen aus meinem Gesicht. Dann spuckte ich das viele Wasser in die Luft.

Ich blinzelte kurz Richtung Himmel, doch erkannte das ich nichts erkennen konnte und machte mich dann schleunigst auf den Weg Richtung Ufer.

Als ich meine Arme auf den Wellenbrecher legte um mich daran hinaufzuziehen, kam Ronald zu mir geeilt und verstellte mir den Weg, als er sich zu mir hinunter kniete: „Was hast du gemacht?“

Ich grinste, obwohl ich nicht angetan war, dass Ronald mir den Weg versperrte: „Fu fu fu. Ich hab ihm meine Death Scythe überlassen. Könntest du zur Seite gehen? Ich möchte hier raus.“

„Echt?!“, mein Kopf fuhr mit Ronald zu Grell, der Skyler im Arm hatte und mit den Füßen wedelte. Er hatte Sand in Haaren und Gesicht und generell verstand ich nicht warum die Beiden so komisch ineinander verknotet beisammen saßen: „AHHH! Die Death Scythe des legendären Todesgottes! Er kann nur noch gewinnen! Du bist ein Geschenk des Himmels! Ich könnte dich von oben bis unten abknutschen, Undi-Schatzi!~♥“

Grells Überschwänglichkeit entlockte mir ein Blinzeln und vertrieb kurz den Drang dieses unsägliche Gewässer zu verlassen. Was folgte verwunderte mich allerdings: Mit einem sehr unbegeisterten Gesichtsausdruck nahm Skyler ihre freie Hand und drückte Grell in den Sand.

Aus dem Nichts fing Ronald nach einem Prusten an zu kichern.

Ich wandte meinem Kopf zu ihm: „Was ist so lustig? Ich will mitlachen!“

Auch Ronald drehte wieder den blonden Schopf zu mir: „Erklär ich dir später, versprochen.“

„Nihi. Wehe dir wenn nicht“, lachte ich kurz. Dann schwabbte mir eine Welle in den Nacken. Ich unterdrückte ein Zaudern und sie erinnerte mich daran wo ich war: „Kannst du nun endlich zur Seite gehen?“

„Mach ich, mach ich“, dann legte Ronald den eben noch schüttelnden Kopf schief: „Geht‘s dir gut?“

„Gewiss, gewiss“, grinste ich ihn an. Er kniete mir immer noch im Weg. Ronald wusste nichts von meiner Aversion gegen Flüsse. Und so sollte es auch bleiben. Trotz allem war ich von seinem Talent ewig im Weg zu stehen gerade ein wenig genervt: „Doch wärst du so gütig endlich zur Seite zu treten?“

„Hat deine Landung nicht furchtbar weh getan?“, fragte er und ignorierte meine Bitte mehr als nur gekonnt.

„Hat sie“, grinste ich zurück und versuchte die Anspannung aus meinem Gesicht zu halten: „Doch ich hatte nur die Wahl zwischen Wasser und Boden. Nehehehehe! Würdest du nun bitte?“

„Hat das wirklich noch ‘nen Unterschied gemacht?“

Ich verdrehte innerlich die Augen: „Vielleicht, vielleicht auch nicht. Puhuhuhu! Ich hatte wenig Lust es herauszufinden! Würdest du nun bitte zur Seite gehen?“

„Hast du dir wirklich nichts...“, setzte der Jüngling erneut dazu an meine Bitte ungeachtet zu lassen. Mein Mund verzog sich zu einer Fratze, die ich im letzten Moment zu einem Grinsen lenken konnte. Dieses Mal ließ ich ihn nicht zu Ende sprechen: „Ronald, ich will hier raus.“

Ronald blinzelte irritiert, als ich nun nicht mehr ganz verstecken konnte, dass ich irgendwie geartet gereizt war. Doch obwohl er es nicht recht einsortieren zu können schien, streckte er mir seine Hand entgegen: „Klar. Komm, ich helfe dir.“

Ich griff Ronalds Hand. In diesem Moment erreichte ein komischer Laut von oben meine Ohren. Ronald und ich schauten synchron in den Himmel.

„Oh oh“, machte der Jüngling, als wir sahen woher das Geräusch kam.

Meine Augen wurden weit. Dass selbst ich ohne Brille das was kam einigermaßen erkennen konnte, war ein klares Zeichen dafür, dass es schon viel zu nah war: „Och nö!“

„Scheiße...“, hörte ich Skylers dünne Stimme dicht gefolgt von Grells wesentlich lauterem: „Was?! Was ist los?!“

Ich war mir sicher Grell wird es nicht mehr wissen wollen, sobald er es wusste. Der Butler hatte entweder gewonnen oder keine Lust mehr den Kampf alleine zu führen. So oder so hätte er uns wenigstens irgendwie warnen können. Denn der Leviathan raste Rücken voran auf uns zu und ich hatte keine Death Scythe um zu verhindern, was ich kommen sah.

Ich konnte nichts tun.

William konnte.

Und William tat.

Seine Death Scythe schlug in der Seite der Wasserschlange ein und schob sie aus ihrer Flugbahn. Sekunden später landete der Leviathan mit einem lauten Krachen in der Themse. Sie bäumte sich auf.

„Soviel zu alles Gute kommt von oben!“, erreichte mich abermals Grells Stimme und ich konnte ihm nur vollkommen zustimmen, als ich mit größeren Augen als ich wollte auf die große Welle stierte. Etwas, das ich am heutigen Tag definitiv nicht mehr brauchte.

„Weg hier!“, zog Ronald an meinem Arm. Bitten brauchte mich der junge Reaper kein zweites Mal. Als Ronald mich soweit aus dem Wasser gezogen hatte, dass ich mein Knie auf den Wellenbrecher legen konnte, sah ich, dass auch Grell mit Sky zur Flucht angesetzt hatte. Doch bevor ich aus dem Wasser steigen konnte sprang mir die Welle in den Rücken und drückte mich mit dem ganzen Schwung den sie hatte nach vorne. Sie hatte reichlich davon. Ich versuchte Ron festzuhalten, doch seine Hand rutschte mir im Wasser aus den Fingern. Ich krachte mit meiner Stirn auf den betonierten Wellenbrecher. Mit einem fiesen Schmerz flatterte mein Sichtfeld in bunten Sternchen und die Welle nahm mich mit. Dann stieß ich frontal in etwas, doch meine lädierten Sinne konnte mir nicht sagen was es war.
 

Trotz des harten Schlags auf meinem Kopf, hatte ich das Bewusstsein nicht ganz verloren.

Ich spürte wie sich das Wasser zurückzog und ich einfach liegen blieb.

Von gänzlich bei mir war ich allerdings weit entfernt.

Immer noch tanzten Sternchen in allen Farben des Regenbogens vor meinen geschlossenen Augen.

Ein dumpfer Schmerz klopfte im Takt meines Pulses gegen meine Stirn.

Mein ganzer Kopf pochte aufgrund des Aufpralls.

Meine Ohren klingelten noch von dem Kreischen des Drachen.

Aufgrund alldem dauerte es, bis ich wieder bei Verstand und Sinnen war.

Sie kamen nur stückchenweise und langsam zu mir zurück.

Ebenso wie mein Körpergefühl.

Als erstes fiel mir auf, dass um mich herum nun Ruhe herrschte. Wohlige, wohlige Ruhe. Ich genoss sie. Nach dem ganzen Krach, war sie mir mehr als nur willkommen. Als zweites, dass ich nicht auf dem harten Boden lag. Unter mir war es weicher als es sein sollte. Auch hob sich der Untergrund immer ein Stück und senkte sich wieder. Mein angeschlagener Verstand konnte mir dafür nicht sofort eine Erklärung liefern.

Meine Augenlider lagen schwer aufeinander. Ich war dem Knistern und Klingeln noch nicht gänzlich Herr geworden, auch wenn ich langsam schaffte es zurück zu drängen

Es dauerte eine kleine Weile, als Husten aus etwas Entfernung meine Ohren erreichte.

Direkt danach ruckelte der Untergrund unter mir. Das Husten was darauf folgte war viel näher. Ich hörte danach schwach ein komisches leises Geräusch.

Eine Stimme?

Worauf lag ich?

Ich hörte ein: „Päh!“ und spürte ein weiteres Ruckeln unter mir. Daraufhin noch mehr Bewegung. Ich zwang die Benommenheit aus meinem Kopf und meinen Gliedern. Mit einem Zucken bekam ich die Kontrolle über meine Muskeln zurück. Ich hustete heiser, als mir mein wiedererlangtes Körpergefühl signalisierte, dass ich Wasser in der Kehle hatte. Haare flogen von meinem Gesicht. Weiter das Wasser aushustend nahm ich den Kopf hoch und stützte mich auf meine Hände. Als ich die Augen aufschlug hielt ich inne. Wie schon erwartet lag ich nicht auf den Boden. Was ich allerdings nicht erwartet hatte war der Anblick, der sich mir bot. Meine Augen wanderten ungläubig hin und her. Der Körper unter mir war schlank und zierlich, steckte in einer kurzen schwarzen Hose mit violetter Strumpfhose und war gewickelt in einen nassen Poncho. Ich erkannte diese Aufmachung sofort. Trotz allem musste ich mehr als nur irritiert blinzeln, als ich den Kopf hochgenommen hatte und in das feine Gesicht mit den großen himmelblauen Augen schaute: ‚Sky?‘

Wie war ich denn hier gelandet?

Ich erinnerte mich daran, dass ich gegen etwas geprallt war, als ich weggeschwemmt wurde. Es musste Skyler gewesen sein. Grell hatte sie also nicht aus der Affäre ziehen können. Ich tippte keiner von uns war davon gekommen.

Sky schaute mich genau so verwundert an wie ich sie. Einen Moment sagte keiner von uns irgendetwas. Keiner bewegte sich. Ich war immer noch etwas überrascht davon wohl auf sie gespült worden zu sein.

Das Schweigen zwischen uns wog schwer. Darin wog alles, was gesagt oder nicht gesagt wurde. Alles, was Freitagabend getan oder nicht getan wurde.

Ich kam in die Situation nicht recht zu wissen, wie ich reagieren sollte. Also beschränkte ich mich - wenn auch reichlich holprig - auf altbewährtes, lachte einmal und grinste sie an so gut ich es schaffte: „Ähähähä… Äh… Hi.“

Skyler starrte mich weiter an. Natürlich war sie nicht begeistert mich zu sehen. Für mich war die Situation nur seltsam, doch für sie? Für sie muss sie richtig gehend unangenehm sein. Ich erinnerte mich an ihre zitternde Unterlippe. Wie sie mich angeschaut hatte, nachdem ich sie aus dem Wasser gezogen hatte. Mit ihren feuchten, großen Augen. Bedroht von einem Leviathan, fast ertrunken, dann erfasst von einer großen Welle und nun zum zweiten Mal sehr unfreiwillig in meiner direkten Nähe: Sie muss das Gefühl haben immer wieder vom Regen in die Traufe zu geraten.

Doch anstatt sich davon zu machen wurden ihre Augen mit einem Mal weiter: „Was hast du gemacht?!“

Diese Frage irritierte mich erneut: „Bitte?“

Sie schaute mich weiter mit großen Augen an: „Dein… Dein...“, dann zeigte sie nach ein paar verwunderten Wimpernschlägen auf mein rechtes Auge: „Du… du blutest!“

‚Ich blute?‘, ich blinzelte und fuhr mir mit den Fingern durch mein Gesicht. Nass war es dank der Welle über und über, doch ich hatte tatsächlich rote Fingerspitzen, als ich wieder auf meine Hand schaute. Nachdenklich rieb ich meine Finger aneinander: ‚Woher?‘

Dann sprang der Funken über: „Oh, hehe. Das war wohl der Wellenbrecher.“

„Bitte?!“ machte Skyler erschrocken: „Der Wellenbrecher?!“

„Ja, der Wellenbrecher“, ich nahm meinen Unterarm und wischte mir über die Stelle, die eben noch gepocht hatte und über meine Wange: „Ich habe mir wohl ein bisschen den Kopf angeschlagen, als ich davon geschwemmt wurde.“

Ich ließ meinen Arm sinken und grinste sie an: „Nur gut, dass da drinnen eh nichts mehr kaputt gehen kann. Kihihi!“

Skys Gesicht blieb unverändert. Bitter stellte ich fest, dass kein Witz und kein lustiger Satz der Welt die Situation zwischen uns entspannen können wird.

Sie öffnete den Mund.

Dann entfuhr ihr ein Schrei.

Neben uns ertönte ein lautes Krachen. So unvorhergesehen, dass ich kurz zusammen zuckte. Im selben Moment hatte ich aus heiterem Himmel Skylers Arme um meinen Hals.

Meine Verwunderung riss nicht ab. Eher wuchs sie. Ich klimperte verwirrt mit den Augen. Dass sie mir die Arme um den Hals warf, war das Letzte mit dem ich gerechnet hatte.

Mir war klar sie hatte sich bloß erschreckt.

Es war keine mir zugeneigte Geste, sondern eine Schockreaktion aufgrund des plötzlichen Lärms.

Trotz meiner Verwirrung wanderte mein Kopf zur Seite und ich sah meine Sense neben uns im Boden stecken.

Der vom Kampf gezeichnete Butler landete auf dem Boden und lachte kalt. Der Dämon nervte mich. Über alle Maßen. Obwohl er heute wirklich nützlich gewesen war und die Situation gerettet hatte, nervte mich sein Benehmen. Denn der Ruhe entnahm ich der Kampf war vorüber und das Biest war tot. Auch der Himmel schien wieder in sanften rötlichen Pastellfarben. Das Höllentor schien fort zu sein. Es war trotz allem mehr als nur weise, dass der Butler sich darauf besann sich abzudrehen, die etwas weiter fort gespülten Ronald und Grell zu greifen und mit ihnen zu verschwinden.

Nun alleine und nicht mehr von meinen Groll gegen den dämonischen Butler abgelenkt, merkte ich wie schwer Skyler atmete. Wie sehr sie zitterte. Sicherlich war sie mit den Nerven wieder vollkommen am Ende. Wie oft sie das noch verkraftete wusste ich nicht. Ich wusste nur, dass es aufhören musste. Es musste aufhören, dass sie immer wieder bis an ihre Grenzen und darüber hinaus gefordert wurde. Allzu oft würde sie das nicht mehr vertragen und bleibende Spuren davon tragen. Zusätzlich zu den Spuren, die sie von mir schon hatte.

Ronald hatte Recht.

Ich bereute Freitagabend.

Ich bereute es sie so geängstigt zu haben, dass die Flucht nach vorn in ihren Augen ihr einziges Mittel gewesen war. Ich hätte ihr doch nie wissentlich irgendetwas angetan...

Meine Gedanken rissen ab und endeten in Verblüffung, als sie ihre Arme plötzlich enger um meinen Hals zog. Ich war verwirrt, dass sie mich fester hielt und nicht ein weiteres Mal die Flucht ergriff. Im nächsten Moment wich meine Verwirrung einer unangenehmen Überraschung. Skylers Körper begann zu beben. Ich hörte ein Schluchzen dicht gefolgt von einem anhaltenden bitterlichen Wimmern.

Sie weinte.

Wegen mir?

Hatte sie soviel Angst?

Doch warum ließ sie mich dann nicht los?

Was vor sich ging erschloss sich mir nicht.

Genau so wenig wie ich die Situation verstand, konnte ich sie ertragen. Ich konnte ihr wimmern nicht ertragen. Wie verkrampft sie zwischen ihren Schluchzen zu atmen versuchte. Ich wollte sie halten. Dafür sorgen, dass es ihr besser ging. Ich wusste nicht, ob ich es wirklich konnte, doch ich wollte es wenigsten versuchen. Aber ich war immer noch auf meine Arme gestützt und lag mehr, als das ich saß. Also stützte ich mich ein weiteres Stück auf und schob ein Knie nach vorne. Dann das zweite Knie. Ich merkte wie Skylers Arme um meinen Hals lockerer ließen. Doch ich ließ sie nicht ziehen.

Nicht jetzt.

Nicht so.

Als ich auf meinen Knien saß nahm ich meine Hände vom Boden und schlang meine Arme um Skylers viel zu schlanken, zittrigen Körper.

Ich drückte sie so fest an mich, wie ich mich traute. Sie war so fadendünn und wirkte immer so unendlich zerbrechlich. Ich wollte nicht, dass sie zerbrach. Wie auch immer geartet.

„Wa...“, schluchzte Skyler abgehackt: „Warum tust du das?“

Meine Augen fielen über ihre Schultern zu Boden: „Weil ich nicht möchte, dass du weinst.“

Sie schluchzte ein weiteres Mal: „Aber… Aber wieso…?“

Ich vergrub mein Gesicht ein Stück in ihren Haaren und schlug die Augen zu: „Weil ich möchte, dass du glücklich bist.“

Ich erinnerte mich so genau, wie sie an dem Abend auf dem Balkon der Phantomhives dasselbe gesprochen hatte. Und sie war bei weitem nicht die einzige von uns Beiden, die es dem anderen wünschte. Oder gewünscht hatte.

Ihr Wimmern ebbte nicht ab: „Aber… Aber… Aber...“

Es wurde immer schlimmer. Sky zitterte immer mehr und ihr Wimmern wurde ein bitterliches Weinen. So bitterlich, dass es mir mehr als nur eine Hand voll schwerer Steine ins Herz legte. Ich zog sie ein kleines Stück mehr an mich heran. Es war komisch sie im Arm zuhalten. Es war komisch, dass sie ihre Arme so fest um meinen Nacken zog, war sie doch noch vor 2 Tagen voller Panik von mir davon gerannt.

Doch was mir viel wichtiger war, war dass es ihr körperlich gut ging. Dass sie trotz allem unversehrt davon gekommen war. Dass sie wieder atmete und weiter lebte. Auch wenn die Situation zwischen uns so komisch war und sie nicht weiter an meiner Seite stand - was für sie wesentlich besser war - war sie doch wenigstens am Leben.

„Sccchhhh“, hauchte ich in ihr Ohr und strich über den nassen Stoff an ihren Rücken: „So beruhige dich doch.“

„Ich…“, Skyler entfuhr ein gequältes Husten: „Ahe! Ahe! Ich...“

Natürlich, sie war in Ordnung. Doch hatte sie sicher mehr als einmal Wasser geschluckt und es auch in die Lungen gekommen. Ihr Weinen macht diesen Umstand sicher nicht besser. Eher im Gegenteil: „Atme tief durch. Beruhige dich.“

„Ich...Ahe!“, wollte sie wieder sprechen, wurde aber von einem Husten unterbrochen.

Sie musste sich ganz dringend beruhigen und etwas zur Ruhe kommen um ihre lädierten Lungen nicht noch mehr zu strapazieren, als sie eh schon waren: „Sprich nicht. Atme tief durch.“

Doch ich redete gegen eine Wand. Geschüttelt und mit gepresster Stimme überschlugen sich fast ihre Worte, als selbst der Husten ihren Redefluss nicht mehr zurückhalten zu können schien: „Aber… Ich bin so ein Idiot! Ahe! Ahe! Ich hab alles falsch gemacht! Ich… Es tut mir leid! Du… Du musst mich nicht mehr retten. Ich... rede mit Amy, du... Du musst nicht mehr so tun, als würdest du mich mögen. Ich… Ich… Ich...“

Ich riss die Augen auf, als ich mit ungläubigen Ohren ihre Worte hörte, die doch wieder von ihrem lauten Weinen niedergedrückt wurden: ‚Mit Amy reden? Ich muss nicht mehr so tun, als würde ich sie mögen? Sie habe alles falsch gemacht? Bitte was?!‘

Ich brauchte Zeit um zu verarbeiten, was meine Ohren da gerade gehört hatten. Es hallte in meinen Kopf wieder und wieder: Ich muss nicht mehr so tun, als würde ich sie mögen? Was sollte das bedeuten? Ich mochte sie! So sehr wie ich vor ihr nur wenige Wesen gemocht hatte! Und auf eine Art und Weise wie vor ihr noch keines. Wie konnte sie auf den Gedanken kommen ich würde nur so tun als ob?

Ich nahm meinen Kopf aus ihren nassen Haaren und legte ihr die Hände auf die Schultern. Ich drückte sie ein Stück weg. Nicht um sie mir fern zu halten, sondern um ihr Gesicht zu sehen. Ich wollte sie sehen, wenn sie mir erklärte was sie gerade gesagt hatte, da ich es nicht verstand: „Was hast du da gerade gesagt?“

Natürlich verstand ich ihre Worte. Doch ich hatte doch so viel getan um ihr zu zeigen, dass ich sie mochte. Oder?

Anstatt mir zu antworten versteckte sie ihr schönes Gesicht in ihren Händen. Es war ein schmerzhafter Anblick. Sie wirkte so gepeinigt.

Ich griff mit einer Hand ihre Finger. Ihre Hände waren so zart, dass alle ihre 10 Finger in eine meiner Hände passten. Sachte zog ich ihre Hände von ihrem feinen Gesicht: „Sky? Was hast du da gerade gesagt?“

Doch sie starrte nur auf ihre Beine: „Die… die Wahrheit...“

Ich schüttelte einmal mit dem Kopf und schaute sie wieder an: „Denkst du das wirklich?“

Skyler nickte schwach.

Ich ließ ihre Finger los und griff ihr Kinn, um ihre Augen in meine zu heben. Sie schlug meine Hand weg. Das Klatschen ihrer Hand auf meiner surrte schmerzhaft durch mein Innerstes. Mein Herz setzte für einen kurzen Moment einfach aus. Für denselben Moment war ich vollkommen unfähig mich zu bewegen. Ich schaute auf ihren hängenden Kopf, ihr Gesicht verhangen von ihren zimtbraunen, feinen Haaren.

Sky setzte eine Hand hinter ihren Rücken und schob sich so nach hinten. Weg von mir. Mir war klar, dass sie nicht lange bei mir sein wollte. Doch was sie gesagt hatte drückte mir schwer auf der Seele. Zu schwer um es zu ertragen. Meine Hand schnellte nach vorne und griff ihre. Die, die meine eben noch weg geschlagen hatte: „Warte.“

Sky fror kurz ein. Ihr Kopf hob sich leicht. Nicht genug, dass ich ihr Gesicht sehen konnte. Doch genug um zu erahnen, dass sie auf meine Hand schaute.

Ich atmete tief durch, um das angespannte Gefühl in meiner Brust zu vertreiben. Es funktionierte nicht recht:„Bitte warte.“

Stumm schüttelte sie ihren braunen Schopf und schickte mir ein weiteres fieses Surren die Brust hinunter.

„Bitte“, beschwor ich sie und lehnte mich nach vorne. Ich streckte meine andere Hand nach ihrem schönen Gesicht aus: „Schaue mich an.“

Als meine Fingerspitzen ihre Wange berührten zuckte ihr Kopf sofort zur Seite. Das Surren wurde intensiver und schlimmer, was meine Finger ebenfalls ein Stück zurückzucken ließ. Es war heiß und kalt gleichzeitig. Unangenehm war dafür gar kein Ausdruck. Doch wie ich es genau beschreiben sollte, war mir ein Rätsel. Ich wusste nur, dass ich noch ein letztes Mal diese großen Augen sehen wollte. So blau als hätte man ein Stück Himmel gestohlen und es hinein gesetzt.

Ich wollte ihren Willen nicht untergraben. Doch das Bedürfnis in ihre Augen zu schauen war stärker. Wenigstens ein letztes Mal. So streckte ich meine Finger wieder aus und legte sie behutsam auf ihre kühle Wange: „Sky, schaue mich an.“.

„Warum?“, wich sie meinen Fingern zwar nicht aus, sah mich aber auch nicht an.

„Bitte. Tu‘ es“, bat ich sie ein weiteres Mal.

„Du musst nichts sagen“, sprach sie mit ihrer dünnen Stimme. Dünn, zerbrechlich und melodisch wie teures Glas: „Ich habe verstanden… Ich habe alles verstanden. Menschen sind dir egal… und ich. Ich bin ein Mensch.“

Nun verstand ich. Ich hatte es Freitagabend nicht mehr geschafft diese Aussage zu differenzieren. Was zwischen uns im Raum stehen blieb, war zu allgemein um wahr zu sein. Es stimmte nicht. Ich seufzte als ich verstand, was ich angerichtet hatte… unter anderem: „Ja, sind sie. Menschen sind mir egal. Bis auf einige und du...“

Abrupt drehte Skyler ihren Kopf zur Seite. Ihre Wange verließ meine Hand und ich fühlte mich sofort… einsam. Ihr mir abgewandtes Verhalten, es war verständlich. Es war klug, es war logisch und… es tat mir weh. Ich konnte es nicht anders beschreiben. Dieses furchtbar heiße Ziehen und Surren. Dieses kalte zusammengezogene Gefühl. Ihr Wegzucken und ihr Bedürfnis vor mir zu fliehen. All das tat mir weh.

„Siehst du“, hauchte Skyler mit ihrem abgewandten Kopf, der mir so schmerzte: „Du musst nichts mehr sagen...“

„Doch, muss ich“, sprach ich so ruhig ich konnte. Auf keinen Fall wollte ich, dass sich aus meiner Stimme herauskristallisierte, wie schlecht ich mich fühlte: „Aber nicht so. Schaue mich an. Sky. Schaue mir ins Gesicht.“

„Warum?“

„Weil du mich so nicht verstehen würdest.“

Sky riss ihre Hand aus meiner. Das Gefühl was darauf folgte war einfach nur schrecklich. Sie setzte sich auf ihre Knie und hob endlich ihr Gesicht. Sie schaute mich an. Doch der Ausdruck in ihren Augen war so wütend. So wütend und von Schmerz getragen. Immer noch funkelten darin viele Tränen in der pastellfarbenen Abendsonne und liefen über ihre seicht eingefallenen Wangen.

Dann erhob sie ihre Stimme.

Und sie war laut: „Ich habe dich sehr wohl verstanden! Ich habe alles verstanden! Du bist ein Sensenmann! Du bist kein Mensch und du hast mit ihnen nicht mehr am Hut, als sie als Versuchskaninchen zu benutzen! Du hast mir gesagt, du würdest nie lügen! Und ich dummes Stück hab‘ dir geglaubt! Doch eigentlich war alles was du getan hast doch nur ein großes Theater! Eine riesige Komödie und ich war deine Witzfigur! Gut genug zum erschrecken und zum auslachen! Zum an der Nase herumführen und drüber lustig machen! Denn für mehr brauchst du Menschen nicht! Du hast mir wochenlang vorgespielt du seiest ein Mensch! Du hast mir noch länger vorgespielt du würdest mich mögen. Doch das war alles nur heiße Luft! Warum hast du nicht einfach gesagt, dass du genervt von mir bist?! Warum hast du mich nicht einfach aus deinem Laden geworfen?! Warum hast du meine Geschenke nicht einfach vor meinen Augen in den Müll geschmissen und damit gewartet bis ich weg bin, hm?! Warum hast du mir nicht einfach die Wahrheit gesagt?! Warum hast du nicht viel früher gesagt, was du von Menschen hältst?! Dann hätte ich viel früher verstanden was du von mir hältst und du hättest mir und dir eine Menge erspart!“

Ich konnte nicht verhindern, dass mir die Augen weit wurden. Ich konnte nicht verhindern, dass sich mein Herz zusammenzog. Das war alles nicht wahr! Das stimmte schlicht nicht! Das war alles einfach nicht das, was ich von ihr dachte. Das war nicht das, was sie für mich war. Ich hatte schon bei ihren vorangegangenen Sätzen gedacht, ich hätte verstanden. Doch das hatte ich nicht. Was ich angerichtet hatte wog viel schwerer, als ich bei dem vorherig Gesprochenen gedacht hatte. Ich griff ihre Schultern, als mich eine peinigende Art von Verzweiflung ergriff: „Sky, ich…!“

Doch sie nahm meine Hände und drückte sie weg. Ein weiteres Mal konnte ich ihr nicht sagen, wie die Dinge wirklich standen: „Pfoten weg! Fass‘ mich nicht an!“

Ich war mir fast sicher so elend hatte ich mich nur einmal gefühlt. Nur bei einem Tod, den ich gesehen hatte. Bei einem Menschen, der mir so unglaublich nahe gestanden hatte und wie nah mir sein Tod folglich gegangen war. Dieser Ausruf war ein Messer in meiner Brust: „Sky, ich…!“

Kaum hatte ich zum Sprechen angesetzt, hatte ich eine Hand vor meinem Mund: „Nein! Nein, ich will nichts hören!“

Verwirrung stieg in meine Pein.

Sie hatte mir doch Fragen gestellt. Man will auf Fragen doch Antworten. Doch sie unterbrach mich, hielt mir den Mund zu und schrie mir entgegen nichts hören zu wollen. Das verstand ich ein weiteres Mal nicht, weswegen ich meine Augenbraue nicht davon abhalten konnte nach oben zu wandern.

Sky entging dies natürlich nicht: „Was soll dieses Gesicht?!“

Schon wieder eine Frage. Doch ihre Hand presste sich immer noch gegen meinen Mund, sodass ich nicht sprechen konnte. So konnte ich ihr nicht antworten. Als nahm ich meine wieder freie Hand und deutete auf ihre.

„Ich hab doch gesagt, ich will nichts hören!“

Schon wieder! Sie stellte mir eine Frage, nur um dann zu sagen sie wolle nichts hören. Abgesehen davon, dass dieser Umstand mit nichts logisch zu erklären war, konnte es so einfach nicht weiter gehen. Nach einem Seufzen nahm ich ihre Hand und zog sie von meinem Gesicht: „Erst stellst du mir Fragen und dann schreist du mich an, du willst nichts hören. Das ist paradox.“

Einen Moment sah sie mich an. Fast geschockt. Sie sagte nichts und ich sah wie ihr Unterkiefer zu zittern begann. Und wie sich neue Tränen in ihren himmelblauen Augen sammelten. Dann fielen sie wieder aus meinem Gesicht: „Ich… Ich will einfach nicht… dass du so tun musst, als würdest du mich mögen… Ich... Ich will nicht, dass du weiter lügen musst… Ich...“

Nun ließ ich sie nicht zu Ende sprechen. Ich ertrug das alles nicht mehr. Diese Distanz und ihre falschen Schlüsse. All das, was sie gesagt hatte, wog viel zu schwer in meiner Brust und flatterte unaufhörlich in meinem Kopf herum. Ich wollte ihr endlich sagen, dass es nicht wahr war. Also zog ich sie ein weiteres Mal in meine Arme: „Nicht du bist der Idiot. Ich bin es.“

„Aber… aber...“

Ich schüttelte meinen Kopf: „Nichts aber.“

Meine Ohren erreichte ein weiteres Wimmern. Ich wollte so gerne, dass sie aufhören konnte zu weinen. Ich wollte sie nicht weinen hören oder sehen: „Was du sagst… Das ist alles nicht wahr. Ich habe nie gelogen, Sky. Ich habe nie behauptet ich sei ein Mensch. Ich habe dir so oft gesagt, dass ich kein gutes Wesen bin. Ich habe nie behauptet ich würde Menschen mögen, doch“, ich nahm sie fester in die Arme, in der Hoffnung sie unterbrach mich nicht ein drittes Mal bei dem was ich ihr die ganze Zeit schon sagen wollte. Sky tat es nicht. Sie tat es nicht und ich konnte es endlich aussprechen: „Doch dich. Dich mag ich wirklich.“

Ich merkte wie sie in meinen Armen einfror: „Was?“

„So wie ich es sagte“, fuhr ich fort. Ich fuhr fort mit all dem was wirklich die Wahrheit war. Und doch waren meine Worte für das was ich eigentlich fühlte zu wenig. Doch mehr… Ich brachte einfach nicht mehr zustande: „Du warst nie eine Witzfigur für mich und schon gar nicht Teil irgendeiner Komödie. Ja, ich habe mit dir Scherze getrieben. Aber das liegt daran, dass ich vollkommen verrückt bin und an nichts anderem. Ich habe dich nie belogen, noch weniger warst du ein Versuchskaninchen, oder habe ich dich an der Nase herumgeführt. Warum ich nie sagte, ich sei genervt? Weil ich es nicht war. Warum ich dich nie aus meinem Laden geschmissen habe? Weil ich es nicht wollte, denn ich war glücklich, dass du da warst. Warum ich deine Geschenke nicht vor deinen Augen in den Müll geschmissen habe? Sky, ich habe deine Geschenke nie weggeschmissen. Ich habe mich viel zu sehr darüber gefreut. Über das Bild und die leckeren Kekse“, ich lachte kurz. Ich lachte kurz, weil ich mich erinnerte wie sehr ich mich über diese Geschenke gefreut hatte: „Ich habe immer noch welche davon. Es war nicht ganz einfach, aber ich habe sie mir eingeteilt. Nihihi! Ich weiß ehrlich gesagt nicht ganz was ich tun soll, wenn sie irgendwann doch leer sind. Aber ja, ich hätte dir einiges ersparen können. Als ich dir versprach, dir Rede und Antwort zu stehen, habe ich nicht erwartet, dass du hinter die Ereignisse auf der Campania kommst, oder je davon erfährst. Was dumm von mir war. Denn ich wusste ja schon lange was für ein kluges, hübsches Ding du bist.“

Als ich geendet hatte, als ich endlich alles aussprechen konnte, merkte ich wie Skyler in meinen Armen zusammensackte. Mit einem Mal wirkte ihr ganzer Körper vollkommen kraftlos. Ich realisierte abermals wie erschöpft sie sein muss.

„Aber…“, sprach sie kaum hörbar: „Ich bin doch nur ein Mensch...“

„Nein“ ich lockerte meine Umarmung. Doch ich hielt sie weiter fest. Dieses kraftlose, erschöpfte Ding. Meine zweite Hand griff ihr Kinn und ich hob ihren Kopf in mein Gesicht, der sich nicht mehr wehrte. Der nicht mehr weg zuckte. Und aufgrund dieser Tatsache fühlte ich mich in hohem Maße erleichtert. Ich wusste nicht ganz, warum sie meinem Gesicht nicht mehr entfloh, doch ich wusste wie gut es sich anfühlte. In dem Moment wo ihre Augen in meine schauten, sah ich eine weitere Träne ihre Wange hinunter kullern. Ihre Augen waren so rot vom vielen Weinen. Ein Anblick, der meine Erleichterung dämpfte. Nein, er erstickte sie.

Solche Augen sollten nicht so aussehen...

Und es war alles meine Schuld.

Ohne mich würden sie nicht so rot sein. Ohne mich hätte sie nicht so viel geweint. Wären nicht so erschöpft und so gepeinigt. Ich war Schuld. Der Ursprung alles Übels… der war ich. Und ich fühlte mich aufgrund dessen so schlecht. So unsagbar schlecht, dass das Wort ‚schlecht‘ zu wenig war um dieses Gefühl zu erfassen.

Und ich war mir sicher, würde sie in meiner Nähe bleiben, wäre dies nicht das einzige Mal wo sie mir mit so rot geweinten Augen entgegen schauen wird.

Ich kann nicht gut für sie sein.

Das geht nicht.

Nicht so wie ich war.

Doch weil ich sie so nicht sehen wollte, weil ich nicht wollte, dass sie weiter weinte und es ihr weiter schlecht ging, lächelte ich und fand meine Stimme um weiter zu sprechen: „Du bist bei weitem mehr als nur ein Mensch für mich.“

Angespannt kaute Skyler auf ihren geschwungenen Lippen herum. Und sie weinte weiter. Sie weinte immer weiter. Meine Augen folgten einer Träne, die mir ein so bitteres Gefühl in meinen ganzen Körper legte. Doch ich lachte. Ich lachte einmal auf, obwohl mir nicht zum lachen war, damit sie das Gefühl bekam nicht mehr weinen zu müssen. Dann wischte ich diese unsägliche Träne fort: „Du warst vom ersten Moment an eines meiner Lieblingswesen.“

Skys Augen wurden groß: „Was?“

Ich legte lächelnd den Kopf schief. Ich lächelte noch nicht einmal mehr aus Gewohnheit. Ich lächelte nur noch für sie. In der Hoffnung, dass es ihres zurück brachte. Denn nach lächeln war mir ganz und gar nicht: „Glaubst du mir nicht mehr?“

Sie ließ ihre Augen herabfallen: „Ich… Ich weiß nicht… Ich... kann mir halt vorstellen, dass es für jemanden wie dich doch nervig ist mich ständig retten zu müssen. Heute schon wieder…“

„Na na“, ich drückte ihren Kopf wieder hoch und lächelte für sie weiter dieses Lächeln, was für mich so anstrengend war: „Du bist nicht nervig. Ich will nicht, dass dir etwas passiert. Ich bin wahrlich Jemand, der nicht viel bereut und wahrscheinlich“, ich lachte einmal auf. Eigentlich wollte ich auch damit die Situation weiter entspannen, doch es klang so schwer und falsch wie es sich anfühlte. Weil mir ihr trauriges Gesicht so schmerzte. Und weil es mir so schmerzte schaute ich zur Seite: „Macht mich das nicht gerade zum sympathischsten Wesen zwischen den Welten, doch“, ich schaffte es ein erschöpftes Seufzen zu unterdrücken. Dieses Gespräch, diese Gefühle waren so viel anstrengender, als es ein Kampf gegen einen Leviathan je sein könnte. Doch fand ich die Kraft meine Augen wieder zu heben und ihr ins Gesicht zu schauen. Ich fixierte ihre Augen, weil ich wollte, dass sie ein für alle mal verstand: „Das ich einige Male nicht verhindern konnte, dass dir etwas zustößt. An Amys Geburtstag. An deinem Geburtstag. Heute. Das“, das bei diesen Erinnerungen an mein Versagen erneut anklopfende ermattete Seufzen atmete ich aus, doch ich konnte nicht mehr verhindern dass es in meinem Lächeln erschien: „Das bereue ich wirklich.“

Skylers schöner Mund klappte ein Stück auf. Ihre großen Augen schauten mir so ungläubig entgegen wie noch nie. Obwohl ich die vielen Gedanken darin rasen sah, konnte ich nicht sagen was für welche es waren. Sprechen tat sie nicht.

Ich schob meine Hand ihre Wange entlang und dabei ihren feuchten Pony aus ihrem schönen Gesicht: „Sage es mir. Sage mir was ich tun muss, damit du mir wieder glauben kannst. Oder sage mir, dass du es nie wieder können wirst und ich werde gehen. Doch ich werde immer dann da sein, wenn dir irgendetwas passieren könnte. Denn das habe ich dir versprochen und meine Versprechen sind mir wichtig. Diese Versprechen sind mir wichtig, weil du mir wichtig bist.“

Und das meinte ich. Trotz allem.

Doch noch während ich sprach wappnete ich mich dafür, dass sie mir nun verkündete ich habe alles vollends zu Grunde gerichtet und das ich jetzt gehen solle. Es war ihr gutes Recht. Denn sie hätte Recht. Wenn jemand von Anfang bis Ende und durch die Bank alles falsch gemacht hatte war ich es.

Nicht sie, ich.

Wofür ich mich nicht gewappnet hatte, waren ihre Arme um meinen Hals. Ich war vollkommen überrascht. Aufgrund dessen war es eher eine intuitive Reaktion, als ich meine Arme auch um ihren Rücken schlang und sie zu mir zog. Noch während ich das tat blinzelte ich verwirrt und begriff erst langsam, dass sie mich und ich sie im Arm hatte. Und wie gut es sich anfühlte.

Doch mein Herz das wog. Das wog schwer.

Denn sie weinte und schluchzte immer noch. Beruhigt hatte sie sich nicht ein Stück. Egal wie viel ich gelacht und gelächelt hatte.

So stellte ich mit meinem schwer wiegenden Herz fest, dass ich wohl nicht mehr in der Lage war sie zu beruhigen. Dass ich es verspielt hatte wie so vieles andere auch.

Und das Surren brach nicht ab.

„Ich“, Sky versteckte ihr weinendes Gesicht in meiner Schulter und riss mich aus meinen Gedanken: „Ich… Ich war so konfus! Du klangst so grausam! Was du sagtest war so grausam! Wie du geschaut hast war so grausam! Ich konnte… nein... ich kann mir immer noch nicht vorstellen was du da getan hast! Aber… Aber ich will nicht, dass du gehst! Bitte, bitte nicht!“

Obwohl sie mich fester in ihre Arme nahm, war ihre Umarmung so schwächlich. So erschöpft musste sie sein. Ich schlug meine Augen zu. Weil sie so entkräftet war. Weil sie sagte, sie könne sich nicht vorstellen ich hätte all das getan, was ich ihr erzählt hatte. Doch das hatte ich. Ich hatte das alles getan. Und ich bereute es nach wie vor nicht im Mindesten. Ich bereute nur, dass sie es wusste und so darunter zu leiden schien.

Doch bevor ich sprechen konnte sprach sie weiter. Aufgebracht und aufgezehrt. Sie wirkte vollkommen entnervt: „Ich weiß, ich war die, die weg gerannt ist. Es tut mir leid! Bitte… bitte bleib hier...“

Ich bekam einen weiteren Stich. Sie war die Letzte, die sich entschuldigen musste. Doch wie ich sie kennen gelernt hatte konnte ich ihr dies 100-mal hintereinander sagen und sie würde es trotzdem 200 weitere Male entschuldigen. Sie gehört sicher auch zu den Menschen, die sich dafür entschuldigen sich entschuldigt zu haben. Also ging ich nicht weiter darauf ein. Diese Diskussion muss jetzt einfach nicht geführt werden. Außerdem war es viel wichtiger, dass Skyler wieder etwas zur Ruhe kommt. Ich strich ihr aufmunternd mit meinem Finger der an ihrer Schläfe ruhenden Hand über ihre kühle Wange: „Sccchhh sccchhh, meine kleine Puppe. Ich bin hier, hörst du?“

Wieder merkte ich wie sie ihre schwachen Arme fester um mich zog.

Und ich hielt sie fest, während sie so bitterlich weiter weinte. Auch wenn es mir gefühlt mein Herz zerriss: „Hey, hey. Durchatmen, meine Schöne.“

Ich hörte ein ersticktes Geräusch, als ein Beben durch ihren dünnen Körper ging: „Es geht nicht! Ich muss... Ich kann nicht...“

Ich begriff, dass nur das Rauslassen ihrer Tränen ihr Ruhe bringen konnte. Also entschied ich es zu ertragen, solange ich musste. Ich war es ihr schuldig und sie alleine zu lassen war eine Option, die es für mich in diesem Moment einfach nicht gab: „Weine, wenn du weinen musst. Quäle dich nicht. Ich bin hier.“

Und so ertrug ich ihr bitterliches Weinen und Zittern minutenlang. Quälende Minuten, in denen ich immer wieder überlegte wie ich die Situation für sie ändern konnte. Doch mir fiel nichts ein. Ich blieb meine Arme um das zitternde junge Ding gefaltet sitzen und fuhr immer wieder durch ihre feuchten Haare. Das Gefühl ihrer Haare zwischen meinen Fingern war so schön. Es war so schön, dass es mir die Kraft gab zu ertragen was ich hörte und fühlte. Und in diesen endlos vielen Minuten wurde ich mir immer mehr gewahr was ich verbrochen hatte. Denn ein so schönes Wesen so zum Weinen zu bringen war ein Verbrechen. Und ich wurde mir der Tatsache immer mehr gewahr, dass es sich wiederholen würde, würde sie in meiner direkten Nähe bleiben.

Sie wusste von der Campania, aber beispielsweise noch nichts vom Weston College, was auch alles andere als ein feiner Zug meinerseits gewesen war. Ich wollte die vier Jungen unterstützen, ja. Diese vier reuevollen Jungen mit ihrem endlos belasteten Gewissen, die sich nicht anders zu helfen wussten und mit ihrem Mord wahrscheinlich so viel Schlimmeres verhindert hatten. Und danach immer und immer wieder vom Regen in die Traufe gekommen waren. Doch ich hatte auch geforscht. Ich hatte viel an den 6 neuen Dolls damals herum geforscht und Agares war ein Meisterwerk! …Zumindest von meiner Warte aus… Alle anderen sahen die Sache – wie bei allem was mit meinen Dolls zu tun hatte – doch ein wenig anders. Vor allen Dingen Sebastian war alles andere als begeistert gewesen. Nun gut, von seiner Sichtweise aus sicherlich vollkommen zu Recht. Schließlich hatte er, der große fabulöse Dämon, wie der letzte Trottel wochenlang neben einer meiner Dolls gestanden und sich lediglich gefragt wie blöd man als Vice-Headmaster sein kann, keine Treppen ordentlich steigen zu können. Die Erklärung gefiel ihm nicht ganz so gut. Und ich war mir sicher, dass auch Skyler wie schon Freitagabend die Meinung der Anderen teilen wird.

Nein, sie konnte nicht bei mir bleiben.

So etwas konnte ich ihr kein zweites Mal antun.

Oder ein drittes…

Oder ein viertes…

Ich hatte zu viel getan, was sie ängstigen und verstören wird und meine Gründe waren vollkommen irrelevant. Für eine reine Seele war es einfach nicht gut zu reden.

Doch gerade ging ich nicht. Es war niemand sonst da, der auf Sky achten konnte. Ich hatte diese ganzen Minuten, die ich das weinende zerbrechliche Ding im Arm hatte, die leise Hoffnung, dass vielleicht Amy kam um nach ihr zusehen. Dass ich sie hätte an sie abgeben können. Doch ich wusste nicht wo Amy gerade war. Sebastian hatte sie sicher versteckt, gut versteckt, damit Claude sie nicht haschen konnte. Und ihr Auftritt blieb aus.

Wenigstens war es irgendwann soweit, dass das junge Ding in meinen Armen aufhörte so gepeinigt zu weinen. Sie schluchzte noch, doch das Weinen verebbte. Ich wusste auch nicht wie lange ich es noch hätte verkraften können. Nachdem sie ein paar Mal tief geschluchzt hatte, flog ihr Kopf aus meiner Schulter: „Himmel! Ich bin so peinlich!“

Meine Hand drückte ihren Kopf auf meine Stirn, sodass ich sie mit einem seichten Lachen - das ich von irgendwo her genommen hatte, ich wusste nicht woher - zwang mit mir den Kopf zu schütteln: „Äh-äh. Bist du nicht.“

Einen Moment schaute sie mir mit ihren fürchterlich rot geweinten Augen entgegen: „Doch… ganz doll sogar.“

Ich lachte noch einmal, so warm und aufmunternd wie ich es schaffte: „Hehe. Aber nein. Nicht ansatzweise.“

„Doch…“, erwiderte sie kleinlaut: „Und du musst es ertragen...“

„Hey“, ich zog meinen Kopf zurück um ihr ganzes Gesicht zu sehen: „Fu fu fu. Das hier ist alles meine Schuld. Also hab ja kein Mitleid mit mir.“

„Das…“, Sky schaute schräg zu Seite. Ihre Wangen wurden rot und vertrieben so ein wenig ihre erschöpfte Blässe: „Ist nicht deine Schuld. Das ist meine… Ich hab meine Nase in deine Angelegenheiten gesteckt, obwohl ich merkte, dass du nicht drüber sprechen möchtest. Ich zwang dich es zu tun und dann... bin ich weg gerannt… Ich weiß nicht, warum ich das getan hab… Es war total doof und… und gemein...“

„Nein“, nachdem ich ihr auf die Nase getippt hatte schaute sie mich wieder an. Mit dem besten Lächeln, das ich zustande brachte, legte ich meinen Kopf ein Stück schief. Ich merkte allerdings, dass ich es nicht mehr schaffte meine Gefühlslage so gänzlich meinem Lächeln fernzuhalten: „Ich habe nicht damit gerechnet, dass du es verstehst. Ich hätte es auch nie verlangt. Ein so reines, junges Ding wie du, kann so etwas nicht verstehen. Aber ich verstehe dich. Glaube mir, ich war nie sauer oder wütend über das, was du getan hast. Ich habe es verstanden und ich dachte es war“, ich atmete kurz durch: „Ich denke es ist besser so.“

„Was?!“, Skylers aufgeschreckte Stimme verwirrte mich und ihre Augen schauten mir recht gehend schockiert entgegen: „Wieso?!“

Ich schloss die Augen, als ich kurz den Kopf schüttelte. Als ich meine Augen wieder öffnete, sah ich in ihr bleich gewordenes Gesicht: „Ich weiß, dass ich… dass ein Wesen wie ich es bin kein Wegbegleiter für dich ist.“

Sie riss ihre Augen noch mehr auf.

Sie hatte mich schon oft mit aufgerissenen Augen angeschaut, doch so schockiert nur einmal. Und das werde ich nie wieder vergessen. Es war Freitagabend gewesen. Dieser verflixte Freitagabend.

„Wie“, schluckte sie: „Wie meinst du das?“

‚Liegt das nicht auf der Hand?‘, mit diesem Gedanken beschaute ich ihr Gesicht eine ganze Weile. Sie war so schön. So fein, schön und endlos sensibel. Viel zu fein, schön und sensibel für mich. Schweren Herzens fuhr ich mit meiner Hand die Kontur ihres Gesichtes entlang. Ich strich sachte mir meinen Fingern über ihre schöne Wange, ihr kleines Kinn und ihre geschwungene Unterlippe, als mir abermals klar wurde aus was für verschiedenen Welten wir kamen. Welten, die nicht zueinander passten. Es passte einfach nicht.

Ich schaute ihr wieder in die Augen: „Ich bin ein Mörder“, legte ich meine Stirn an ihre. Schloss die Augen, als ich mir mein schweres Herz fasste. Strich weiter mit nervösen Fingern über ihr feines Gesicht, da ich jetzt wahrscheinlich die letzte Möglichkeit dazu hatte: „Ein Massenmörder sogar. Ein vollkommen verrückter Massenmörder.“

Ein Kopfschütteln Skylers ließ meine Augen wieder aufspringen. Ich schaute ihr tief in ihre blauen Augen. Ich wusste ich werde sie vermissen.

„Du bist kein verrückter Massenmörder“, sprach sie das erste Mal mit ruhiger Stimme. Es hatte trotz allem etwas Erlösendes: „Du bist ein verletzter Mann, der seinen besten Freund vermisst. Das macht einen himmelweiten Unterschied.“

Doch das Lachen, was mir aufgrund dieser naiv süßen Aussage entfuhr, war mehr als nur flach: „Ich bin ein verrückter Massenmörder und ein verletzter Mann, der seinen besten Freund vermisst. Das Eine schließt das Andere nicht aus.“

„Osiris.“

Fast erschrocken zuckte nun mein Kopf zurück. Nur ein paar Zentimeter. Ich musterte ihr Gesicht, von meinem Lächeln und Lachen nun komplett befreit. Ich hatte diesen Namen eine gefühlte Ewigkeit nicht gehört: „Woher kennst du diesen Namen?“

„Amy.“

‚Amy, natürlich… Die Retterin der Herzen‘, entfuhr mir ein weiteres Lachen, welches immer noch weit von fröhlich entfernt war. Zu weit für meinen Geschmack. Aber ich konnte es nicht ändern. Das Gefühl in mir war deprimierend. Scharf und kalt und zur gleichen Zeit weißglühend und sengend: „Hehe. Sie hat den Butler ausgefragt, richtig?“

Skyler nickte.

„Herrje… Hehe!“, war mein Lachen doch dieses mal halbwegs ehrlich, als ich der jungen Phantomhive ihre Fürsorge und Beharrlichkeit anrechnen musste: „Ich hätte mir denken können, dass die kleine Phantomhive nicht locker lässt.“

„Die Campania war nie deine Idee, oder?“, fragte Skyler.

Ich schüttelte den Kopf, nicht begeistert von der erneut aufkommenden Fragerunde: „Nein, aber das macht nichts besser.“

„Natürlich!“

Skys naiver Ausruf entlockte mir ein weiteres reichlich freudloses Lachen. Es machte nichts besser. Sky musste verstehen, dass ich aus eigenem Antrieb mitgemacht hatte. Und nicht nur mitgemacht. Dass sie mir am Besten so fern blieb wie es ihr nur möglich war: „Tihi. Sky. Ich habe mitgemacht. Zwingen musste man mich zu nichts. Chamber unterbreitete mir den Plan und ich habe sofort zugestimmt. Ich wollte wissen, wozu meine Dolls fähig sind. Ich habe mich Chamber und Stocker wahrlich nicht aus Sympathie angeschlossen. Sie waren nützlich. Stocker war nützlich, übereifrig, von seiner Begeisterung geblendet und dumm. Die perfekte Marionette. So hatte ich durch das Karnsteinhospital mehr als nur massig Material. Ich wollte wissen wie weit meine Dolls wirklich waren.“

Wieder schüttelte Sky nur ihren braunen Schopf: „Die Dolls an sich, Undertaker, das ist halb so wild.“

Eine meiner Augenbrauen wanderten fast perplex nach oben, als ich dem was ich hörte ein weiteres Mal mehr als nur ungläubig gegenüber stand: „Was?“

Sie seufzte seicht und legte mir eine Hand auf die Brust. Ihre Berührung vibrierte durch das schmerzende Surren in meinem Inneren: „Diese Menschen waren schon tot, Undertaker. Die hat das doch nicht mehr interessiert. Doch das mit der Campania… das hat sich angehört, als hast du dir Monster zusammengebastelt um die verdorbene Menschheit zu vernichten, oder irgendwie sowas. Aber das war gar nicht deine Intension. Du warst nur neugierig und hast dich an Dinge… Menschen… gehalten, denen es nicht mehr schadet.“

Der Unglauben klingelte lauter in meinen Ohren, als das infernalische Gekreische des Leviathans und ließ mich mit einem sicherlich reichlich intelligenzbefreitem Ausdruck im Gesicht blinzeln: „Aber du weißt was du da sagst, ja?“

„Ja“, hielt Skyler meinen Blick stand. Fest und überzeugt. So fest und überzeugt, dass ich es nicht einsortieren konnte: „Doch denke nicht, dass ich deine Aktion auf der Campania gut finde. Das war gelinde gesagt richtig scheiße, Undertaker. Das war so richtig großer Mist. Viel davon. Verdammt viel davon. Aber“, sie lächelte mich an. Ein erschöpftes, aber ehrliches Lächeln. So ehrlich, dass es einfach nur umwerfend war und meine Augen noch größer werden ließen, als sie nicht eh schon waren: „Ich glaube fest daran, dass du deine Gründe gehabt haben wirst und das diese Gründe nicht die Vernichtung der Menschheit und die Ausrottung allem Übels waren.“

Ich merkte wie ich kurz davor war meine eigene Zunge zu verschlucken. Ich hielt gerade noch rechtzeitig dagegen und schüttelte den Kopf: „Nein. Nein, das war es nicht. Ich war neugierig. Ich wollte einfach nur wissen, wie dass alles ausging.“

„Siehst du?“, lächelte sie weiter und ich wusste vollends nicht mehr wie ich mich fühlte… oder fühlen sollte: „Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Doch unwichtig ist er auch nicht.“

Mir entfuhr ein Schnauben und ein leichtes Grinsen schlich sich wieder auf mein Gesicht. Es war nicht amüsiert, doch ihr Lächeln hatte in meinem Sturm schlechter Gefühle etwas wunderbar Warmes ausgelöst. Ich wusste nicht was, ich wusste nicht woher, doch es sickerte sofort in meinen Verstand und drohte ihn zu übernehmen. Zu einem gewissen Maß tat es das auch. Dieses warme Gefühl ließ mich abermals die Ränder ihres Gesichtes mit den Fingerkuppen entlang fahren: „Du bist so schön.“

Skyler blinzelte mich irritiert an und dieser erquickliche rosa Schatten erschien wieder auf ihrem Gesicht.

„Und du hast so eine reine Seele und so einen unglaublichen Charakter“, ich strich mit meinem Finger über ihre weiche Unterlippe: „Du hast so viel an dir was so liebreizend ist, dass mir die Worte fehlen es zu beschreiben, meine Schöne.“

Trotz dieses Gefühls, die Gewissheit, dass sie so gerne ich es auch hätte nicht bei mir bleiben konnte, war unumstößlich. Ich schloss meine Augen und atmete tief durch. Und diese Gewissheit verscheuchte mein Lächeln endgültig: „Ich habe das alles nicht.“

„Was?“, Skys Hand verkrampfte sich in mein Hemd. Ihre andere Hand verschränkte ihre Finger in meine. Ich wehrte mich nicht dagegen. Es war ein schönes Gefühl. Doch es hatte einen so bitteren Beigeschmack, dass ich es nicht schaffte ihre Finger zurück zudrücken.

Ich schaute ihr nur wieder in ihre schönen tropfenförmigen Augen. So tief, dass ich fast darin verschwand. Wie gerne wäre ich einfach darin verschwunden: „Ich habe keine reine Seele. Bin kein unglaublicher Charakter. Ich bin mitleidslos, reuelos, selbstsüchtig, rachsüchtig. Einfach schlecht und verdorben bis ins Letzte. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn ich dich verderben würde. Doch genau das würde passieren. Es war gut, dass du ranntest. Du hast vollkommen intuitiv das Richtige getan. Ein so unbescholtenes, lauteres und argloses schönes Ding wie du, sollte ihre Zeit nicht mit einem Scheusal wie mir verbringen.“

„Was?“, fragte sie abermals mit ihren ungläubigen großen Augen: „Scheu… Bitte?! Scheusal?! Wa-warum sagst du sowas? Warum redest du so schlecht von dir?“

Ich seufzte innerlich: „Weil ich nicht lüge.“

„Aber…“, ihre Stimme wirkte, als könne sie ihre Gedanken nicht recht sortieren: „Das stimmt nicht! Du bist so gar nicht!“

„1873.“

Sie drückte meine in ihre verschränkten Finger fester und ich schaffte es immer noch nicht diese Geste zu erwidern: „Aber… warum bist du gerade nicht so?“

Ich schaffte ein halbes Lächeln. Ich schaffte es nur, weil ich das was folgte so ehrlich meinte: „Wegen dir.“

„Was? Warum?“

Mit dem Daumen fuhr ich über ihre Wange: „Weil ich dich mag.“

„Aber...“, Sky ließ ihre Augen nach unten fallen: „Ich… bin doch gar nicht mögenswert...“

Diese Aussagen waren so leidlich. Natürlich war sie das. Über alle Maßen und mehr als sie sich selber bewusst zu sein schien. Ich griff behutsam ihr Kinn und zog sie zu mir. Unsere Nasen stießen aneinander, was mich lächeln ließ. Ihre Nähe ließ mich lächeln, wenn sie doch so bitter schmeckte. Aber auch ihre Nähe war es, die diesen bitteren Geschmack gleichzeitig wieder vertrieb. Ein konfuses Gefühl. Ein konfus warmes Gefühl: „Natürlich bist du das. Hörst du mir denn gar nicht zu?“

Wieder schaute ich tief in diese Augen, in denen ein Stück Himmel lag. Und dieses Stück Himmel schaute genauso tief zurück. Keine Flucht, nicht den Hauch davon. Ein Umstand, der das Surren und Ziehen, das angespannt heiße und kalte in Wärme auflöste. Zum größten Teil. Ich merkte wie trotz all der Wärme, ein scharfer Splitter zurück blieb. Er steckte tief in meinem Herzen. Doch er war für den Moment nur unterschwellig und unwichtig. Denn ich durfte noch mal in ihre Augen schauen. Ich durfte ihr noch mal nah sein. Und dieses Mal zwang ich es ihr nicht auf. Sie akzeptierte es, da sie sich dagegen nicht mehr erwehrte.

„De-“, begann Sky nach einer kurzen Ewigkeit ein wenig holprig wieder zu sprechen: „Denkst du?“

„Aber natürlich“, mogelte die ganze Wärme ein leises Schmunzeln in meinem Stimme: „Sehr sogar.“

„Du“, atmete sie kurz durch: „Du bist auch kein schlechtes Wesen. In… in meinem Augen nicht.“

Ich schob meine Hand in Skylers Haare und strich ihr gedankenverloren über die Wange. Denn ich hatte meine Gedanken verloren. Irgendwo in diesem Stück Himmel: „Du sagst so etwas, obwohl du nun alles weißt?“

Sie nickte.

„Das ehrt mich“, hellte meine Stimme weiter auf und meine Gedanken drifteten weiter ab: „Wirklich.“

Sky rutschte ein Stück nach vorne und legte mir ihre Arme um den Hals. Schon wieder. Ich war so froh, dass sie das tat. Ich spürte ihre Stirn auf meiner und sie schlug ihre Lider mit den langen Wimpern zusammen: „Ich habe dich vermisst.“

Und mit einem leisen Lachen meinerseits war es um meine Gedanken vollends geschehen. Den kleinen Splitter spürte ich nicht mehr. Ich spürte nur noch wie gern ich ihr nah war… und wie gerne ich ihr noch näher wäre.

Und da ich nicht mehr dachte rutschte meine Nase neben ihre: „Ich habe dich auch vermisst“, und ich neigte meinen Kopf zur Seite: „So furchtbar...“

JAAAAAAAA!!!~♥

‘Grell!‘, schepperte dieser Ausruf und die sofortige und mehr als nur verstimmte Gewissheit von wem er kam durch meinen Verstand.

Skys Kopf zuckte erschrocken zurück.

‚Nein!‘, fluchte ich erzürnt in meinem Kopf und meine Hände verkrampften sich. Ich bedauerte nur, dass Grells Hals nicht dazwischen lag!

„Du machst das toll!“

‚Du nicht!‘

„Weiter so! Nur...!“, Grell brach ab.

Unterbrochen von... Ronald: „Och! Halt doch nur einmal deine Klappe, du Schwachmat!“

Ich hörte ein lautes Scheppern, gefolgt von einem spitzen Kreischen und lärmenden Platschen. Ich hoffte der blonde Jüngling hat Grell seine Death Scythe mit ordentlich Schwung über die Murmel gezogen! Ich brauchte keine Anfeuerungsrufe! Und schon gar nicht jetzt!

Mein Kopf fuhr herum und ich musste mich von Skyler abdrehen, um die Brücke mit den undeutlichen Schatten darauf zusehen. Skys Arme verloren ihren Halt um mich. Doch Grell hatte die Situation eh schon in vollkommener Bravour zu Grunde gerichtet! So wollte ich wenigstens sicher gehen, dass er seinen Abstieg so würdelos wie möglich beschritten hatte.

Mir entfuhr allerdings ein sehr genervtes Seufzen und ich legte meine Hand auf die Augen, als ich 3 Gestalten auf der Brücke sah. Kalkulierte ich nun ein, dass Grell nicht mehr dort stand, lag es auf der Hand, dass auch William und der Butler zum Spannen vorbei geschaut hatten. William war ja das kleinere Übel. Er war diskret und bedeckt.

Aber der Butler?

Warum ausgerechnet der Butler?

Natürlich wusste ich warum. Weil Sebastian sich nichts entgehen ließ, was er potenziell gegen mich verwenden konnte. Und wenn man etwas gegen mich verwenden konnte war es Skyler und meine Gefühlswelt. Oh, wie schwante mir Übles...

Mehr als nur resigniert stellte ich fest, dass nun eh nichts mehr zu ändern war. Ich musste damit leben wie es nun, mehr als nur gegen meinen Willen, gekommen war.

Also schaute ich auf die Themse. Ich sah etwas Unscharfes, was wohl der verstorbene und fast aufgelöste Leviathan war. Auch ein roter Klecks trieb auf der Oberfläche. Mein Mitleid hielt sich mehr als nur in Grenzen. Ich wünschte dem Rothaarigen die Kopfschmerzen seines Lebens.

Aber da es nun mal war wie es war, nutzte mir auch der ganze Ärger nichts. Ich konnte die Situation nur nicht noch unangenehmer werden lassen, als sie war. Also lachte ich. Laut. So laut, dass die Drei auf der Brücke es hören konnten: „Ehehehehehehehe! Ich glaube, er ertrinkt!“

„Zu Recht!“, rief Ronald.

Im Hinterkopf stimmte ich ihm zu, auch wenn ich auch von seiner Anwesenheit nicht gerade begeistert war.

„Ach?“, hörte ich William: „Möchtest du seine Schicht übernehmen?“

„Was?! Nein!“

Es krachte wieder.

Aus dem lauten: „AAAAAAHHHHHH! WIIIIIESO?!“, schlussfolgerte ich, dass William Ronald Grell hinterher geschickt hatte. Sehen konnte ich es nicht.

„Dann hole ihn da raus!“, bestätigte William meine Vermutung umgehend und es ertönte ein weiteres lautes Platschen.

‚Und wer wirft nun euch Beide von der Brücke?‘, fragte ich mich in meinem Kopf säuerlich.

Dann fiel mein Blick auf die Themse. Ein zweiter Schatten erschien, der wohl Ronald war, und zusammen drifteten sie über die Wasseroberfläche. Ein Anblick, der mich doch mit Pläsier erfüllte. Sadistisches Pläsier, aber Pläsier. Und wie es mit meinem Pläsier so war, hatte ich es nicht gut im Griff. Ich schlang die Arme um meinen Bauch und kippte wild lachend nach hinten: „Pahahahahahahaha! Awuwuwuwuwuwuw! Jetzt ertrinken Beide! Ehehehehehehehe!“

„Wenn du es schon feststellst“, hörte ich wieder Williams Stimme durch mein Lachen: „Hole sie doch raus. Du bist schon nass.“

„Was?!“, ich fuhr in den Sitz. Hatte der humorbefreite Langweiler mittlerweile Verdauungsprobleme, die ihm zu Kopf gestiegen waren? Erst bespitzelt er mich und nun soll ich seine Schäfchen wortwörtlich zurück ins Trockene bringen? „Warum soll ich jetzt deine Leute retten?!“

Doch die Beiden waren schon verschwunden und ließen mir so keine Wahl.

Mit einem Seufzen stand ich auf. Einem Seufzen, das halb wirklich resigniert und halb noch recht amüsiert war: „Haaaaaa… Nihihihi! Wie furchtbar. Das sind keine Grim Reaper, das ist eine Truppe schlecht bezahlter Zirkusclowns. Fu fu fu fu!“

Ich schaute zu Skyler, die mit hochrotem Kopf die Szenerie schweigend beschaut hatte. Begeisterung sah auch bei ihr anders aus: „Ki hi hi. Wenn du mich kurz entschuldigen würdest? Bevor die Beiden da ersaufen. Fuhuhu!“

„Klar...“, antworte sie gepresst: „Mach du mal...“

„Nihihi. Bis gleich“, entschwand ich zum Fluss. Ich wünschte Grell Kopfschmerzen und Ronald auch, aber nicht den Ertrinkungstod. Doch ich springe kein viertes Mal in diesen abstoßenden Fluss! Niemals! Auch nicht für zwei so gute Freunde wie Grell und Ronald eigentlich waren, wenn sie nicht gerade damit beschäftigt waren mich auszuspionieren, oder zu sabotieren, oder diese beiden unsäglichen Angewohnheiten zu kombinieren.

Es ging außerdem auch anders. Mit der Spitze meiner Sense angelte ich die beiden Idioten aus dem Fluss. Sie blieben bewegungslos liegen. Mit weiterer sadistischer Freude erkannte ich, dass Beide ganz ordentlich etwas abbekommen hatten. Kichernd entließ ich meine Sense, verschränkte die Arme und stieß mehrere Male mit meinem Fuß gegen Grells Schulter: „Nihihi! Lebst du noch?“

Doch er bewegte sich nicht.

Ich wandte mich zu Ronald und wiederholte die Prozedur: „Fuhuhu! Und du?“

Ronald spuckte Wasser aus und setzte sich auf, während er seinen Kopf hielt: „Warum tut William sowas immer? Ich habe doch wirklich nichts gemacht...“

„Nun ja“, das lag nun wirklich im Auge des Betrachters. Ich sah es nämlich anders: „Das könnte mein schon als hinterhältigen Mordversuch auslegen. Fu fu fu!“

„Als ob Grell sowas ernsthaft was ausmacht!“

Mein Gesicht wanderte wieder zu Grell: „Nun, tihi! Er bewegt sich nicht.“

„WAS?!“, entfuhr es Ronald: „Oh ne. Ach Scheiße! Sag‘ nicht der ist hin!“

„Fuhuhuhuhu!“, lachte ich nun doch wieder recht amüsiert. Wenigstens waren die Beiden amüsant genug ihre weit von Intelligenz entfernte Aktion wieder gut zu machen. Ich ging neben Grell in die Knie, griff sein Kinn, zerknautschte absichtlich sein von Make up verschmiertes Gesicht und drehte es hin und der: „Selbst wenn. Dann muss ich ihn halt wieder hübsch machen. Mit dem versauten Make up kann ich ihn nicht vergraben und der Aufzug geht für eine Gala nun gar nicht. Ihihihihi! Ein blaues Kleid steht ihm sicher vorzüglich. Puhu! Ja, genau so mache ich es!“

BLAUES KLEID?!“, ging Grell mir wie erwartet sofort an die Kehle: „Du kannst mir, mit meinem strahlend roten Haar, doch kein blaues Kleid anziehen! Das BEIßT sich! Oh, du hast von Mode sowas von dermaßen keine Ahnung, es ist zum Mäuse melken! Du stilbefreiter AFFE!“

Ich lachte weiter: „Pahahahahahahahaha! Du lebst ja doch noch!“

„Natürlich lebe ich, du irre alte Wachtel!“

„Wahahahahaha! Warum reagierst du dann nicht sofort?!“

„Warum bringt ihr mich immer halb um?!“

„Ich?“, lachte ich immer noch: „Ich habe dich aus dem Wasser gezogen, mein lieber Freund. Ehehehehehe! Du würgst den Falschen!“

Grell ließ von mir ab und ging auf Ronald los. Ihm entfuhr ein weiterer Schrei, doch er erstickte als Grell seine Kehle zuschnürte und ihn wieder und wieder auf den Boden haute: „DU kleiner Scheißer! Was denkst du dir eigentlich dabei?! Das hat verdammt weh getan! Mein Make up muss komplett im Eimer sein, wenn es schon dem Verrückten auffällt! Erwürgen sollte ich dich, du KLEINE RATTE!“

„Ja, was tust du denn gerade?!“, schrie Ronald erstickt: „Lass‘ mich los! Ich krieg‘ keine Luft!“

„Das ist der Sinn der Sache, du IDIOTISCHER GRÜNSCHNABEL!“

Ich konnte nicht mehr. Diese Szene war so unglaublich unterhaltsam, dass ich in einem Lachanfall unterging.

Dann hörte ich Skyler spitz aufschreien.

Ich hörte sofort auf zu lachen und fuhr herum. Ich dachte erst, es sei jemand aufgetaucht der Skyler etwas Böses wollte, doch als ich mich umdrehte sah ich schon Williams Astschere über das Ufer fegen, welche sehr gezielt ihren Weg zu Grells Schläfe fand. Er kippte einfach zur Seite. Ronald blieb geschlagen liegen, sicherlich um nicht noch mal der Wut des Aufsichtsbeamten zum Opfer zufallen.

Ich fing wieder an zu grinsen als ich merkte, dass die Neuankömmlinge nur William und der Butler waren. Niemand, der Sky schaden wollte und niemand, den ich einen anderen Ausdruck als einen Grinsen entgegen schicken wollte.

„Subtil, Mr. Spears“, schritt Sebastian an Sky vorbei und kam auf mich zu.

„Ich habe keine Lust mehr auf dieses Theater“, folgte ihm William.

Ich schüttelte lachend meinen Kopf und verschränkte die Arme: „Na, fabelhaft. Kihihihihi! Jetzt ist er wirklich K.O. Fuhuhuhu!“

„Mein Mitleid hält sich in Grenzen“, William schob seine Brille hoch.

„Nihihihi!“, lachte ich abermals: „Das fällt gar nicht auf, liebster William.“

„Nenne mich nicht so“, erwiderte er wie erhofft unangetan.

„Wir haben andere Probleme“, sprach nun der Butler.

„Aha?“, machte ich grinsend.

Sebastian zeigte mit einen Nicken auf den Fluss: „Das. Die ganze Schule hat es gesehen.“

„Das war auch wahrlich schwer zu übersehen, findest du nicht, Butler? Nihihihi!“

Der Dämon seufzte: „Dessen bin ich mir durchaus bewusst. Wir müssen es irgendwie erklären.“

„Viel Spaß“, grinste ich schadenfroh: „Kehehehe! Das könnte spannend werden. Wie viele Schüler hat diese Schule? 800? Das Jungscollege hat es definitiv auch mitbekommen. Da wären wir schon bei 1600. Fuhuhu! Dann noch mal um die 60 Angestellte und Lehrer auf beiden Schulen...“, ich tippte gespielt überlegend mit meinem Finger an mein Kinn: „Huhuhu! Das sind ja nur 1720! Die Nachbarn, die es sehr wohl auch gesehen haben werden, nicht mit eingerechnet. Kehehehe!“

„Auch dessen bin ich mir bewusst“, entgegnete der Butler entnervt. Oh, wie gönnte ich es ihm! Herrlich!

Mir war klar, dass wir es nicht erklären konnten. Hier handelte es sich nicht um eine handvoll Zeugen wie an Halloween. Ein solches Vieh mitten in der Londoner Innenstadt erweckte reichlich Aufsehen: „Fu fu fu. Da ist guter Rat wahrlich teuer, hm?“

Sebastian neigte skeptisch seinen Kopf: „Hast du denn einen guten Rat?“

Ich hielt dem Dämon in schäbigen Pläsier meine aneinander reibenden Finger vor die menschliche Maske: „Wie gesagt, der ist teuer. Nihihi!“

Seufzend wischte er sie weg: „Haben dich diese Einfaltspinsel denn nicht gebührlich genug unterhalten?“

„Hey!“, echauffierte sich Ronald und setzte sich auf, nur um von William Gesicht voran und mit wedelnden Armen in den sandigen Boden gedrückt zu werden.

Ich kicherte, als ich nicht im Mindesten vorhatte den Butler von der Angel zu lassen: „Kehehehe! In der Tat. Doch die fragen mich nicht.“

Ich hatte tatsächlich eine Idee. Eine, die ein wunderhübsch blöden Ausdruck auf der schicken Maske des Dämons erscheinen lassen wird. Was freute ich mich darauf! Doch er sollte mich bezahlen. So sehr wie ich mich heute über ihn geärgert hatte, sah ich es nicht ein dem Dämon einen Rabatt zu geben.

William tat es mir gleich. Auf einen Blick des Butlers schob er nur seine Brille hoch: „Ich helfe keinem Dämon. Meinen Rabat gebe ich für dich nicht aus.“

Ich kicherte wieder, als ich auch William ein wenig ärgern musste: „Sprach der, der eben noch Seite an Seite mit ihm kämpfte.“

Er warf mir einen vernichtenden Blick zu.

Dieser Blick war alles was ich sehen wollte. Also drehte ich mich wieder zu Sebastian: „Nihihi. Also?“

Mit einem Seufzen kam der Dämon auf mich zu: „Nun. Es muss wohl so sein.“

Da wir uns nicht in einen Raum befanden, aus dem der Butler die anderen werfen konnte, legte er seine Hand an mein Ohr und begann zu flüstern. Leise. Doch meine Ohren hörten ihn trotz allem fabelhaft: „Damals 1890.“

Ich nickte und meine Mundwinkel kräuselten sich nach oben. Geschichten die so anfingen hatte etwas mit dem kleinen Earl zu tun und hatte dementsprechend sehr viel Potenzial.

„Kamen der junge Meister, oder eher der jüngste Sklaventreiber der Welt wie ich ihn lieber nennen würde, und ich in die missliche Lage auf Mr. Sutcliffs Hilfe angewiesen zu sein.“

Mein Grinsen wurde weiter. Das konnte nur gut werden!

Der Butler fuhr fort: „Natürlich war es ein Akt für sich Mr. Sutcliff dazu zu bringen uns zu unterstützen. Also schlug die kleine Kröte ihm ein Geschäft vor.“

Ich gluckste. Das konnte nur auf Kosten des Butlers gegangen sein. Aber nicht komplett. Sebastian erzählte keine Geschichten die sich nicht irgendwann zu seinen Gunsten und gegen die Gunst aller anderen Beteiligten drehte. Hören wollte ich die Geschichte trotzdem!

„So kam ich in den sehr… speziellen… Genuss eines abendlichen Tanzes mit anschließenden ...Candlelightdinners… mit besagten Herren. Wie mir Mr. Sutcliff im Laufe des Abends erzählte versprach der junge Meister ihm ein Rendezvous mit“, der Butler seufzte kurz: „Allem was dazugehört. Für einen Abend hatte der… junge Meister… mich komplett an Herrn Sutcliff überschrieben.“

Ich prustete. Ciel war wirklich nie zimperlich gewesen seinen Butler als Einsatz zu benutzen, aber das war für den Dämon sicherlich die pure Folter! Und so sicher ich das wusste, wusste Ciel es damals auch. Ich nahm meinen Kopf ein Stück zurück und schaute den Butler giggelnd an: „Nicht im ernst, Butler! Nihihihi! Mit allem drum und dran?“

Sebastian nickte sichtlich gefangen in schlechten Erinnerungen, die er nur heraus kramte weil er genau wusste, dass sie mich amüsieren würden: „In der Tat, mit allem drum und dran.“

„Fuhuhu! Du armer Tropf!“, ich streckte ihm mein Ohr wieder entgegen: „Erzähl weiter!“

Der Butler fuhr fort: „ So landete ich also auf einem Abendball und legte mit Herrn Sutcliff irgendetwas auf das Parkett, was wohl ein Tanz werden wollte. Wie wir den werten Herrn Sutcliff kennen war er etwas zu… überschwänglich... um sich ganz auf den Tanz zu konzentrieren.“

Ich begann zu kichern, als ich genau das Bild von Sebastians unangetanen Gesichtsausdruck und Grells überschwänglichen Gebärden im Kopf hatte. Grell konnte tanzen. Doch er tanzte doch sehr auf seine eigene Art und Weise und diese war wie alles an dem Rotling doch sehr speziell. War der rote Reaper im 7ten Himmel gelandet, war es für Sebastian sicher eher seine persönliche Folterkammer gewesen!

„Nun ich brachte diesen Tanz so würdevoll wie irgendsmöglich hinter mich und wir gingen weiter zu dem Dinner. Mr. Sutcliff bestand darauf, dass ich seine Hand halten sollte damit die richtige, wie er es nannte, Atmosphäre aufkam.“

Mein Kichern riss nicht ab. Diese Bilder in meinem Kopf! Von Sebastians Gesichtsausdruck hätte ich nur allzu gern ein Foto!

„Das Dinner dauerte lange. Ich stellte fest und war wahrlich erstaunt wie viele Themen es gab, über die sich Mr. Sutcliff ‚unterhalten‘, oder wie ich es beschreiben würde, einen Monolog halten wollte. Vier Stunden verbrachte ich mit ihm zu Tisch.“

Mein Kichern wurde immer lauter. Dieses Gesicht muss herrlich gewesen sein! Warum hatte mir niemand Bescheid gegeben, dass ich sein Gesicht sehen konnte!

„Als ich auch dies irgendwie geartet durchgestanden hatte, beschlossen wir den Abend enden zu lassen. So brachte ich Mr. Sutcliff bis an seine Tür. Dort angekommen sah ich schon den kleinen Hoffnungsschimmer der Erlösung, doch Mr. Sutcliff ist immer für erneute Überraschungen gut. So hatte er einen letzten Wunsch.“

Ich ahnte welcher es war. Ich hatte selten in meinem Leben so spitze Ohren gehabt.

„Einen Abschiedskuss.“

‚Ich wusste es!‘, es war anstrengend nicht jetzt schon los zu lachen. Doch ich wollte die Geschichte unbedingt zu Ende hören.

„Allerdings.“

Dieses Wort machte alles noch viel viel spannender!

„Hatte ein Blumentopf, der Mr. Sutcliff selbst gehörte, Erbarmen mit mir.“

Mir war mehr als nur bewusst, dass der Butler irgendwie dafür gesorgt hatte, dass dieser Blumentopf Mitleid mit ihm hatte.

„Und beendete diesen Abend, als Mr. Sutcliff schon begonnen hatte zur Tat zuschreiten, doch kurz bevor es zu diesen… Umstand gekommen war mit einem lauten Krachen. Als letzte Amtshandlung trug ich den Ohnmächtigen Herrn Sutcliff zu Bett und entschwand.“

Als ich mir bildlich vorstellen musste wie Grell mit leuchtenden Augen kurz vor der Erfüllung seiner kühnsten Träume stand und dann von einem Blumentopf erschlagen wurde konnte ich mein Lachen nicht mehr zurückhalten. Es brach aus mir heraus und krachte durch die ruhige fast Nacht. Besiegt von meinen eigenem Lachanfall und immer noch Grell, der so schändlich von einem Blumentopf niedergestreckt wurde, und Sebastian, der einen Abend lang dank des kleinen Earls so viel zu leiden hatte, fiel ich geifernd lachend zu Boden und blieb dort liegen. Eine kleine Ewigkeit fingen mich die Bilder in meinem Kopf in einem Lachanfall der Superlative. Nach einiger Zeit flaute er ab, auch wenn ich mich immer noch nicht ganz beruhigt hatte. Recht ermattet und schwer atmend lag ich alle Viere von mir gestreckt auf dem Boden: „Kihihihi… Awuhuhuhuhu… Nahahahaha… Herrlich, Butler! Einfach… Buhuhuhu… Einfach vorzüglich!“

Sebastian hatte zwar geduldig gewartet, doch war er nur daran interessiert die Früchte seiner Arbeit zu ernten: „Nun?“

Mit einem breiten Grinsen setzte ich mich auf und freute mich schon auf das Gesicht des Dämons: „Tue einfach gar nichts.“

Und es kam wie ich es mir erhofft hatte. Sebastian schien seine liebe Mühe zu haben ein mächtiges Brodeln und Dampfen hinter einer pulsierenden Ader und einem höflichen Ausdruck zu verstecken. Begeistert war er von meinem Vorschlag wie erwartet eher weniger: „Bitte?“

„Tue gar nichts!“, mit einem schrillen Lachen stand ich wieder auf meinen Füßen, beschwingt von dem Ausdruck des dämonischen Butlers. Doch er hatte mich bezahlt und so verriet ich ihm was hinter dieser lapidaren Aussage eigentlich stand: „Menschen sind atemberaubend geschickt darin sich selbst zu belügen. Nihihihi! An so etwas, fu fu fu, abstruses, wie wir es sind, wollen sie nicht glauben. Sie werden sich ihre Geschichte schon zusammen puzzeln. Es wurde uns doch allen schon einmal eindrucksvoll demonstriert!“

William verstand mit einem unbegeisterten Gesichtsausdruck, während er Ronald im Sand erstickte: „Die Massenhalluzination auf der Campania.“

Mit einem Schnipsen zeigte mein Finger auf ihn: „Exakt. Kihihihi!“

Der Butler war derweilen in ein kleines Grübeln verfallen: „Dieser Einwand ist gar nicht so dumm.“

Gespielt beleidigt fiel mein Kopf zur Seite: „Naaaa. Das klingt ja, als würde ich den ganzen Tag nur Unsinn erzählen.“

„98% der Zeit“, triezte der Butler mich weiter: „Doch auch ein wahrhaft blindes Huhn, wie du, scheint hin und wieder ein Korn zu finden.“

Ich starb ja für diese kleinen Gefechte! Ärgern konnte der Butler mich damit nicht. Nur sehr gut unterhalten. So erntete der Butler nicht mehr als eine kichernd erhobene Augenbraue: „Deine Freundlichkeit sprengt mal wieder alle Grenzen. Ti hi hi hi.“

„Es ist erstaunlich, nicht?“, stieg Sebastian weiter ein: „Ich bin immer wieder selbst von mir überrascht.“

Ich reckte meinen Kopf ein Stück zu dem Dämon und zog ein paar Mal übertrieben laut Luft durch meine Nase ein. Dann lachte ich und wedelte mit meiner Hand vor meiner Nase: „Puuuuuuh... Ki hi hi hi!“

Sebastians Kampfgeist schlug in seichte Verwirrung um: „Was tust du da?“

„Ehehehehe! Dein Eigenlob stinkt zum Himmel!“

Mit einem Seufzen schüttelten Sebastian und William gleichzeitig ihre Köpfe.

Doch ein lautes und helles: „Hatschie!“, unterbrach unser nettes Geplänkel und ließ mich den Kopf drehen, als ich die Stimme wohl erkannte.

Skyler rieb sich zitternd ihre dünnen Arme. Ich seufzte innerlich. Da ich selbst nicht fror vergaß ich öfter wie schnell Menschen es taten. Vor allem, wenn sie vollkommen durchnässt an einem frischen Novemberabend draußen saßen. Und Sky tat dies schon seit einer ganzen Weile.

„Herrje herrje“, ging ich also zu dem dünnen jungen Ding und kniete mich vor ihr hin: „Wie unmanierlich von mir dich hier im Kalten sitzen zu lassen.“

„Ach“, sie lächelte, doch war es dieses Mal furchtbar schief: „Mir geht es… Hatschie!“

Aufgrund dieses schiefen Lächelns schloss ich mit einem inneren Seufzen die Augen. Dann schob ich die Arme unter die viel zu leichte junge Dame und hob sie hoch: „Na na. Keine faulen Ausreden. Die muffeln immer schlimmer, als das Eigenlob des Butlers und das, nihihihi, ist wahrlich gar nicht so einfach.“

„Äh äh äh… Ich… ich“, leuchtete ihr Gesicht auf einmal in einem satten possierlichen Rot: „Ich… kann selber laufen!“

„Gewiss“, grinste ich Sky entgegen und wandte mich dazu zu der kaputten Brücke zu gehen: „Aber ich lasse dich jetzt nicht bis zu nächsten intakten Brücke und wieder zurücklaufen, damit du auf jeden Fall wieder mit einer herrlichen Erkältung danieder liegst.“

Ich erinnerte mich nur so gut, dass Amy erzählte Skyler wurde recht schnell krank und ich hatte sie eine ganze Weile hier sitzen lassen. Außerdem wirkte sie recht erschöpft und war heute fast ertrunken. Da sie dazu noch so unfassbar dünn war, war ich mir nicht sicher wie weit ihr Kreislauf sie kommen ließ. Ginge es ihr gut, wäre sie einfach selbstständig aufgestanden und hätte sich entschuldigt. Doch sie hatte nur auf den Boden gesessen. Ich erinnerte mich ebenfalls noch genau, wie ihr Kreislauf ihr in Othellos Untersuchungszimmer schon einmal einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte. Auch da war sie recht lange einfach sitzen geblieben. Wiederholungsbedarf hatte dieser Umstand wirklich nicht.

„Aber aber…“, protestierte Sky stotternd, was mich nicht im Mindesten zum stoppen animierte: „Es macht doch keinen Unterschied, ob ich alleine zur nächsten heilen Brücke laufen oder du mich dort hin trägst!“

„Wer sagt, dass ich zur nächsten heilen Brücke will?“

„Ja, was denn sonst?“, fragte sie recht verwirrt: „Die hier ist total zerstört! Da kommt man nicht mehr weit!“

„Sicher?“, mein Grinsen wurde weiter. Für normale Menschen war dies durchaus richtig. Doch weder war ich normal, noch war ich ein Mensch. Ich kam soweit ich wollte!

„Ja!“, setzte Skyler bestimmt hinterher.

„Oh, wie schmerzlich“, neigte ich meinem Kopf mit dem immer größer werdenden Grinsen: „Dass du mir nicht einmal so etwas zutraust.“

„Hä?“, schaute sie mich verständnislos an und schien nicht auf den Gedanken zu kommen, dass jemand der sich mit großen bösen Monsterhunden und Wasserschlangen herumschlägt vielleicht nicht ganz so große Probleme mit einer kaputten Brücke hatte. Ich hätte es ihr erklären können, doch ich entschied, dass eine kleine Demonstration vielleicht länger im Gedächtnis blieb. Außerdem war es so amüsanter. Also sprang ich mit einem lauten Kichern in die 10 Meter in die Luft und landete auf der zerstörten Brücke. Skyler blinzelte mir etwas blass um das feine Näschen mit großen Augen entgegen.

„Kein Mensch“, grinste ich und begab mich zum bröckeligen Ende der Brücke: „Mir scheint du vergisst es des Öfteren, ni hi hi hi!“

„Öhm höm nöm… nein?“, es war ja schon erstaunlich wie sie es schaffte Frage und Antwort zu vermischen, sodass sie wahrscheinlich selbst nicht recht wusste was es hätte werden sollen: „Aber woher soll ich wissen, was du alles kannst?!“

Ich blieb stehen: „Vertraue mir doch einfach. Kihihihi!“

Ich blinzelte in die Themse und unterdrückte ein Schaudern. Dann schaute ich zu Skylers und Ambers Wohnheim. Oder wo ich dachte wo ihr Wohnheim stand. Ich war mir sicher es war dort und dass ich es erreichen konnte. Sehen konnte ich es allerdings nicht.

„Das schaffst du nicht!“, jammerte Skyler in meinen Armen: „Wir gehen beide baden! Oh bitte, Undertaker! Ich hab‘ genug von WassAAAAAHHHHH!!!“

Ich sprang ab, bevor sie ausgesprochen hatte. Sie wusste ja gar nicht wie sehr ich ihrer Meinung war. Mit einem spitzen Schrei warf sie mir die Arme um den Hals. Ich kam nicht drum herum zu kichern zu beginnen. Sie war so possierlich einfach zu erschrecken! Nun gut, meine Mittel waren wahrscheinlich auch reichlich unfair.

Der Wind sauste an meinen Ohren vorbei während es weiter hoch anstatt hinunter ging. Nach kurzer Zeit landete ich leichtfüßig mit dem dünnen Ding auf den Armen auf dem Dach des Wohnheimes der violetten Wölfe.

„Siehst du“, grinste ich in ihr Gesicht, welches mich reichlich durch den Wind zurück anschaute: „Ich schaffe es doch.“

„Du… du bist total verrückt!“, gab sie mir irgendwo zwischen aufgebracht und atemlos zurück.

Diese Aussage brachte mich wie üblich zum Lachen: „Ach, ist dir das auch schon aufgefallen? Nihihihihi!“

Sie blinzelte mich weiter an: „Ach weißt du… Vergiss‘ einfach alles was ich gesagt habe...“

„Kehehehe! Habe ich Alzheimer?“, lachte ich Skyler entgegen: „Wieso sollte ich? Das war amüsant!“

Sie schwieg mit einem eindeutig unbegeisterten Gesichtsausdruck.

„Sky!“, erreichte uns eine rufende Stimme, die ich sehr wohl kannte.

Als ich aufschaute sah ich einen Schatten, der laufenderweise die Konturen der jungen Phantomhive annahm: „Oh Sky! Es geht dir gut!“

Ich setzte Skyler sachte auf die Füße. Sie stand, wirkte aber mehr als wackelig. Als Amy ihr aus dem Lauf um den Hals fiel, strauchelte sie und kippte nach hinten. Ich griff ihre schmalen Schultern und sie lehnte mit dem Rücken vor meiner Brust, um auf ihren Füßen zu bleiben.

„Ich bin so froh!“, seufzte Amy ebenfalls erschöpft, doch vor allen Dingen erleichtert: „Ich hätte Sebastian den Hals umdrehen können! Dich einfach zurück zu lassen! Prefect vor Fag?! Ja, spinnst du denn?! Du bist doch total verrückt! Aber es geht dir gut! Oh, ich bin so froh, dass es dir gut geht!“

Sky schwieg kurz, legte ihrer Freundin dann die Arme um den Hals und vergrub das Gesicht in Amys langer nasser Mähne: „Ja, mir geht es gut.“

Und ich war so froh, dass sie in Ordnung war.
 

Kaum waren wir - nass und tropfend - in dem kleinen Apartment der Mädchen angekommen, entfuhr Skyler ein erneutes Niesen.

Sky zitterte. Amy nicht, doch ich konnte der Phantomhive ansehen, dass sie es unterdrückte.

Nachdem die junge Adelstochter das Licht angeschaltet hatte stemmte sie die Hände in die Hüften, während sie uns musterte: „Gott, ihr seid beide total nass.“

„Ach“, schaute Skyler ihre beste Freundin mit erhobener Augenbraue an: „Und du nicht?“

Amy ging nicht darauf ein und wandte ihren Kopf zu mir: „Außerdem siehst du aus, als hättest du mächtig einen vor die Murmel bekommen.“

Auch ich wandte meinen Kopf endgültig zu der jungen Phantomhive und ich betastete mein Gesicht, als ich mich der kleinen Wunde erinnerte, die mir wohl der Wellenbrecher verpasst hatte: „Nihihi! Sag nicht es blutet immer noch.“

„Ich glaube nicht“, antwortete Amber trocken: „Aber du bist total verschmiert.“

Ich lachte sie nur an. Ich hatte die kleine Wunde schon wieder vergessen und durch die vielen Tropfen, die die ganze Zeit aus meinen Haaren über mein Gesicht liefen, auch die Blutspur nicht bemerkt: „Kehehe! Kopfwunden sind nervig! Außerdem sehen sie meistens schlimmer aus als sie sind.“

Amy schüttelte nur den Kopf: „Schon klar. Trotzdem bist du blutverschmiert, nass und siehst deswegen ein wenig zerpflückt aus, Onkelchen.“

„Kihihi! Ist dem so?“, Amber hatte immer schon ein Problem damit gehabt jemanden von uns bluten zu sehen. Als sie jünger gewesen war hatte sie deswegen immer einen halben Panikanfall bekommen: „Mir macht so etwas doch nichts. Aber Sky und du solltet euch ganz dringend aufwärmen.“

„Ach passt scho… Hatschie!“, versuchte Skyler zu reden, wurde aber von Niesen und Husten unterbrochen. Ich hoffte sie war nicht schon krank: „Ahe! Ahe! Ich lebe und so...“

Plötzlich hellte Amys Gesicht in Anbetracht eines Einfalls auf: „Ich weiß wie wir es machen!“

Dann verschwand sie in einer Türe. Sky steckte ihr ihren Kopf hinterher: „Hey! Was hat dein Plan mit meinem Zimmer...“

Sie brach ab, als Amy sie aus der Türe schob und einen dunklen Stoffstapel in der Hand hatte. Ich erkannte meinen Mantel… und meine Jogginghose. Sofort hatte ich ein doofes Gefühl.

„...zu tun…“, beendete auch Skyler ihren Satz, als Amy mir meine Kleider in die Arme drückte: „Verschwinde schnell ins Bad, zieh dich um und wasch dir das Gesicht. Häng‘ deine nassen Sachen einfach über die Heizung. Danach stecken wir Skyler unter die Dusche und dann würde auch ich gerne warm duschen.“

Ich grinste Amy an, allerdings ein wenig schief. Ich hatte diese Hose noch nie getragen und wollte eigentlich, dass es so blieb: „Och. Das ist wirklich nicht nötig.“

Doch die Phantomhive verschränkte herrisch mit erhobener Augenbraue die Arme: „Verarschen? Du trägst eine Lederhose, man. Das muss ein ultra ekeliges Gefühl sein.“

„Joa“, grinste ich sie weiter an. Es stimmte. Wasser zwischen Haut und Leder war wirklich kein schönes Gefühl. Bis jetzt war ich allerdings zu abgelenkt gewesen es zu bemerken: „Erhebend ist es nicht, nehehehehe! Aber es gibt Schlimmeres.“

Amy schüttelte sich aufgrund meiner Aussage. Dann riss sie die Badezimmertüre auf und beförderte mich mit einem erstaunlich harten Tritt in meine vier Buchstaben durch eben diese: „Es ist nur eine Jogginghose! Stell‘ dich nicht an wie ein Mädchen!“

Mir entfloh ein kurzer Schrei, hatte ich doch nicht damit gerechnet, dass sich Amber solchen Mitteln bediente. Ich wedelte mit den Armen um meine Balance zu halten, ein Unterfangen was durch meine Überraschung fruchtlos blieb. Kurz nach meinen Kleidern landete auch ich auf den Kacheln des Fußbodens.

Ich hörte wie sich die Türe schloss und Amber durch diese gedämpfte Stimme: „Man man man, ist der teilweise furchtbar.“

Ich krabbelte auf die Knie und öffnete die Türe wieder ein Stück, in totaler Abneigung gegen diese Jogginghose: „Amber, nihihihi, es ist wirklich nicht… Jau!“

Bevor ich aussprechen konnte, sah ich abermals an diesem Tag viele viele bunte Sternchen. Die Türe traf meine Nase und schickte mich zurück auf den Boden.

„Jetzt zieh dich endlich um!“, tönte Ambers Stimme wieder durch die Türe: „Oder Skylers Erkältung ist deine Schuld!“

„Das ist ganz miese Erpressung“, murmelte ich auf dem Rücken liegend und zog meine knisternde Nase hoch.

„Hey!“, hörte ich Skyler sich beschweren. Sie klang zu meinem Leidwesen schon recht verschnupft: „Halt‘ mich daraus!“

Dann wurde es stumm hinter der Tür.

Da ich keine Lust hatte ein weiteres Mal an diesem Tag in den bunten Sternenhimmel zu schauen, stand ich auf und ergab mich der jüngsten Phantomhive, die ein weiteres Mal bewiesen hatte die Beharrlichkeit vorangegangener Generation geerbt zu haben. Außerdem hatte sie Recht. Eine Lederhose war nichts, in dem man schwimmen gehen wollte. Also zog ich seufzend Mantel und Hemd aus und schlüpfte in das T-Shirt. Als ich es übergestreift hatte erreichte ein seltsamer Geruch meine Nase. Es roch leicht nach dem Zitrusreiniger, den ich immer benutzte. Doch auch nach Lavendel. Ich zog ein Stück Stoff von der Schulterpartie zu meiner Nase und tatsächlich. Das T-Shirt roch nach Reiniger und Lavendel. Es roch nach…: „Sky...“

Nach Sky und ihrem Unfall am Freitag. Mit einem schweren Schmunzeln erinnerte ich mich daran wie sie in dem Sarg gelegen hatte, Putzwasser überall. Wie ich sie auf einen anderen Sarg gesetzt hatte und besagtes Putzwasser aus den großen blauen Augen gewischt hatte. Wie ich sie ins Badezimmer getragen hatte. Nur einige Momente, bevor dieses unsägliche Gespräch seinen Verlauf genommen hatte. Von dort aus wanderten meine Gedanken zu ihren roten verweinten Augen.

Ich seufzte frustriert, schloss meine Augen und schüttelte den Kopf, als der kleine Splitter zurückkehrte. Prägnant, intensiv und schmerzhaft. Ich wusste schon was es zu tun galt. Was das einzig Gute für das zerbrechlich sensible junge Ding war. Mit einem weiteren Seufzen entschied ich mich nicht noch mehr Zeit zu vertrödeln. Schließlich wartete Skyler darauf duschen zu können und sie war der Erkältung schon näher als mir lieb war.

Was das allerdings anders sah war meine Hose. Sie klebte an meinen Beinen und stellte sich als außergewöhnlich besitzergreifend heraus. Es dauerte eine Weile bis ich siegreich war und schlussendlich in der Jogginghose endete. Ich schaute an mir herunter. Diese Kleider waren durchaus gemütlich, doch sie sahen furchtbar aus. Wie jemand wissenden und sehenden Auges freiwillig so vor die Türe gehen konnte war mir ja durchweg schleierhaft.

Als ich es geschafft hatte mich umzuziehen angelte ich ein Haargummi aus meiner Manteltasche und wandte mich zu dem ovalen Spiegel um mir einen Zopf zu binden. Da sah ich was Amy meinte. Ich ging näher an den Spiegel heran und schob meinen Pony in die Haare. Eine kleine Wunde leuchtete an meinem Haaransatz. Nichts Gravierendes, aber sie hatte eine feine mittlerweile angetrocknete Blutspur über meine rechte Gesichtshälfte gezogen. Nachdem ich mir meine Haare zusammengefasst hatte, warf ich mir ein paar Hände Wasser ins Gesicht und wusch mir so das Blut ab.

Dann verließ ich das Badezimmer.

„Sebastian?“, hörte ich schon im Flur Skylers verwunderte Stimme.

Der Butler hatte sich also auch in dem Apartment der Mädchen eingefunden.

Sebastian blubberte sein übliches ‚Was-wäre-ich-denn-für-ein-Butler-wenn‘-Gefasel, während mich meine nackten Füße zu der Stube der Mädchen trugen.

Als ich im Rahmen der Wohnzimmertür erschien sah ich, dass nicht nur Sebastian seinen Weg in die kleine Wohnung der jungen Damen gefunden hatte. Alle waren da, auch die Reaper, Grell immer noch ohnmächtig.

Ich sah wie Skyler Sebastian verwirrt anblinzelte, nachdem er mit seiner Ausführung geendet hatte.

„Ein dämonischer...“, antwortet sie auf die Frage, die für gewöhnlich keiner beantwortete und schlug sofort beide Hände vor den Mund.

Mir entlockte diese Antwort ein Lachen, da sie so wahr war: „Nihihihihi! Sie hat Recht. Fuhuhuhu!“

Die Köpfe der Anwesenden fuhren zu mir herum, sofern sie nicht von einer Astschere K.O. geschlagen wurden. Dann spürte ich ein paar Augen auf mir. Ich drehte meinen Kopf zu der jungen Skyler, die immer noch beide Hände vor den Mund hielt und mich mit großen blauen Augen musterte. Ihr Gesicht hatte ein sattes Zinnoberrot angenommen und irgendwie wirkte ihr Gesichtsausdruck fast geschockt und irgendwie überfordert. Mir erschloss sich nicht warum sie mich so musterte. Ich überlegte kurz, ob ich schon wieder irgendetwas Seltsames getan hatte. Ich meinte nicht, doch das hieß nicht allzu viel. Ich fand mein Verhalten oft nicht ansatzweise so seltsam, wie andere es taten.

Sky versteckte ihr Gesicht nun komplett in ihren Händen. Meine Verwunderung wuchs ein Stück, doch dass Ronald anfing zu kichern und Sebastian wieder seine Stimme erhob lenkte mich davon ab: „Wahrscheinlich.“

Ich wandte meinen Gesicht wieder dem Butler zu: „Nihihihihihihi! Wie gut, dass es dir selbst auffällt, Butler.“

Dann schaute ich zu Grell, ging auf ihn zu und griff im Vorbeigehen eine Rolle Küchentücher. Da Grell zielgenau von einer Schere getroffen wurde und immer noch Ohnmächtig war tippte ich er war auch nicht um eine Wunde herum gekommen, auch wenn ich es nicht sah: „Amber, tihi, ihr habt doch sicher einen Verbandskasten.“

„Ja“, antwortete mir Amy mit amüsierter Stimme und ging aus der Türe: „Ich hole ihn.“

Als ich mich neben Grell kniete sah ich die kleine Wunde an seiner Schläfe. Nichts, was für ihn wirklich gefährlich wäre. Er würde bald wieder aufwachen und durch die Gegend hüpfen wie man es von ihm gewohnt war. Ich riss ein Blatt von der Rolle und wischte das Blut aus Grells nassem Gesicht: „Ehehehehe! Dem hast du es aber gezeigt, William!“

„Angemessene Härte“, erwiderte der strenge Mann in seinem monotonen Tonfall.

„Könntest du...“, hörte ich schließlich Skyler nach einem tiefen Durchatmen: „… Das Ding hier drin wegstecken, William?“

Als Ronalds Kichern ein lautes Lachen wurde wandte ich mich um. Doch meine schlechten Augen sah ich nichts, was zum Lachen wäre.

William entließ derweilen seine Death Scythe: „Natürlich.“

„Danke“, hörte ich Skylers dünnes Stimmchen.

Dann erschien Amy wieder im Raum und reichte mir den Verbandskasten. Ich machte mich daran Grells kleine Wunde zu versorgen.

„Ich war so frei euch Wechselwäsche mitzubringen“, hörte ich wie der Butler ein Tablett auf den gläsernen Kaffeetisch stellte und das Rascheln von Stoff.

„Cool“, machte Ronald: „Mir ist ziemlich kalt. Wo ist euer Bad?“

„Letzte Türe links. Häng‘ deine Sachen über die Heizung. Beeil dich, wir wollen duschen“, antwortete Amy.

Es gefiel mir nicht, dass Skyler noch länger auf die warme Dusche warten sollte, doch Ronald war schon entschwunden.

Ich klappte den Verbandskasten zu und sah wie sich der Dämon mit einem Kleiderstapel auf dem Arm zu Grell wandte.

„Kehehehe! Keine Chance“, schüttelte ich lachend meinen Kopf.

Doch auf Sebastians Gesicht schien nur ein wissendes Grinsen, als er den Stapel ablegte und sein Jackett aufknöpfte. Sofort erschloss sich mir was er vorhatte. Es war immer wieder derselbe Trick und er hatte immer wieder denselben einschlagenden Effekt.

Mit einem langen lauten Seufzen griff der Dämon das Reviere seiner Jacke: „Es ist so warm hier. Ich glaube ich muss ein paar Lagen ablegen...“

Grell sprang neben mir sofort auf die Couchlehne: „Was?! Das muss ich sehen!“

Ich musste wieder laut loslachen, als Grell mal wieder auf den Trick des Butlers hereinfiel. Man könnte annehmen, dass er die Tricks des Dämons mittlerweile kannte, aber dies war wohl eine Fehleinschätzung.

Sebastian ließ natürlich sein Jackett Jackett sein und reichte Grell nur den roten Stoffstapel: „Guten Morgen, Mr. Sutcliff.“

„Was?!“, schaute Grell fast enttäuscht und aufgeregt auf den Dämon in seiner menschlichen Verkleidung: „Das… das war nur eine Finte?!“

Der Butler legte den Kopf schief: „Ich dachte ihr könntet trockene Kleidung bedürfen.“

Der rote Reaper hüpfte von der Couch und begann wackelnd den Stoffstapel zu kuscheln: „Oh Bassy! Du liebst mich doch!~♥“

Ich stellte fest, dass kein Blumentopf der Welt Grell von seiner Obsession dem Butler gegenüber heilen konnte. Doch ich kicherte nur: „Na ja.“

Grell steckte mir wütend seine Nase ins Gesicht: „Du hast von sowas doch überhaupt keine Ahnung, du furchtbarer alter Knacker!“

„Nihihihihi!“, lachte ich wieder, als ich den Rotling zustimmen musste: „Ich habe nichts dagegen einzuwenden! Pahahahaha!“

„Hey, du stehst ja“, kündigte Ronald sein Wiedererscheinen an und William verließ den Raum. Auch der Blonde trug ein T-Shirt und eine Jogginghose.

Grell verschränkte mit einem verächtlichen Blick auf Ronald die Arme: „Du hast nicht viel dafür getan.“

Ronald öffnete seinen Mund um zu antworten. Doch ein lautes Klatschen unterbrach ihn, bevor er begonnen hatte.

Mein Kopf fuhr zur Quelle des Klatschens. Ich zog meine Augen ein Stück zusammen und konnte erahnen, dass sie eine Hand vor ihr Gesicht geschlagen hatte. Warum sie das nun getan hatte, war mir abermals ein Rätsel. Teilweise verstand ich dieses junge Ding wirklich nicht, egal wie amüsant ihr Betragen war: „Ehehehe! Was hat sie denn?“

„Ach nichts“, antwortete mir Amy kichernd: „Sie hat das manchmal einfach.“

Sie erntete wohl einen Blick von Skyler, das entnahm ich der Tatsache, dass der Schatten mit dem braunen Schopf ihre Hand vom Gesicht nahm und sie anschaute, worauf Amber noch mehr kicherte.

Mein Kopf fiel zur Seite. Ich konnte Skys immer so unterhaltsame Mimik nicht recht sehen und ihr Verhalten erschloss sich mir nicht, aber wenn es irgendetwas zu lachen gab, wollte ich wissen was: „Was ist dann so lustig? Ich will auch lachen!“

Amy brach in einen Lachanfall aus, der meinen durchaus Konkurrenz machte.

Auch Ronald begann wieder zu kichern: „Ich erkläre es dir später.“

Ich schaute den Jüngling an. Ich hasste es auf Erklärungen warten zu müssen, vor allem wenn es sich um die Erklärung von Komik handelte und dies war nicht die erste Erklärung seines Lachens, die der Blonde mir heute vorenthielt.

„Schon wieder?“, stand ich auf: „Alle Lachen und niemand weiht mich ein. Das ist grausam!“

Ronald lachte weiter

Schön für ihn!

Und was ist mit mir?!

Doch auf eine Erklärung wartete ich vergeblich. Ronald lachte weiter und weiter und speiste mich ab: „Ich erkläre es dir! Wirklich! Nur nicht hier.“

Ich verschränkte nur wenig begeistert die Arme, obwohl ich unverändert grinste: „Nihihihi! Gnade dir was immer dir heilig ist, wenn es am Ende nicht wirklich lustig ist!“

Mit wedelnder Hand atmete der Jüngling durch: „Puuuuuuh… Haha! Es ist eher eine Art Situationskomik.“

Meine Lieder flatterten als ich zusammenfügte was Ronald mir vermittelte. Dann ergriff mich Echauffiertheit: „Aber dann bringt es mir ja nichts, wenn du es mir später erzählst!“

„Was ich dir zu erklären habe, wird dir schon etwas bringen“, verteidigte sich Ronald und ich war mir mittlerweile fast sicher das Küken möchte mich veräppeln. Wo ist denn da der Sinn?!

„Ja, was denn?“, steckte ich Ron meine Nase ins Gesicht und bohrte ihn mahnend immer wieder den Finger in die Brust: „Was soll mir nachträglich erklärte Situationskomik denn bitte bringen? Das heißt Situationskomik, weil sie in der Situation komisch ist und nicht irgendwann im Nachhinein!“

„Es wird dich auch wahrscheinlich nicht zum Lachen bringen, doch...“, ich unterbrach ihn, indem ich ihm noch näher kam und er sich ganz komisch nach hinten beugte.

Ich wollte wissen was so lustig war und nicht irgendwas anderes! Was soll mir seine Erklärungen den bringen, wenn es gar nicht mehr komisch war?!: „Siehst du! Es bringt mir rein gar nichts!“

„Herrgott!“, wirkte Ronald schon fast genervt, wo auch immer er sich das Recht hernahm es zu sein: „Sei doch nicht so ungeduldig! Vertrau mir einfach!“

Ich stellte mich wieder gerade hin. Ronald fiel zu Boden. Mit verschränkten Armen wandte ich mich von ihm ab: „Ich kann niemandem vertrauen, der mir einen Witz vorenthält!“

Ich hörte den Jüngling aufstöhnen: „Himmel, Herrgott, Sakrament… So schlimm ist es nun auch nicht...“

„Schlimmer!“, erwiderte ich mit einem vernichtenden Blick zu ihm und wandte dann mit einem Seufzen die Augen an die Decke: „Alle lachen und ich kann nicht mitlachen… Was ein tristes Dasein ich fristen muss...“

Ich hörte Ronald vom Boden aus murmeln: „Sebastian und William lachen nicht...“

Was war denn das für eine Aussage?! Ich warf meine Arme nach vorne: „Sebastian und William lachen nie!“

Nun hörte ich nach einem doppelten Seufzen Amys Stimme, die mir im Punkto ‚Lachanfälle‘ heute in nichts nachstand: „Chill mal, Undertaker.“

Mit verschränkten Armen und erhobener Augenbraue schaute ich Amy entgegen.

Dann erreichte mich eine andere bekannte Stimme: „Was ist denn hier los?“

Mit einem Kopfschüttelnd schaute William kurz zu dem rothaarigen Widerankömmling: „Undertaker.“

Grell tat diesen Umstand ab. Anstatt sich weiter damit zu beschäftigen hüpfte er auf uns zu, zog Ronald auf die Füße und harkte sich bei uns ein: „Wie cool! Partnerlook! Yey!~♥“

„Ja, Grell“, Ronald klang, als habe er für heute genug erlebt: „Ist gut...“

„Hatschie!“, erreichte es wieder mein Ohr.

Mein Gesicht wanderte zu Skyler. Sie stand immer noch in ihren nassen Sachen im Wohnzimmer, obwohl nun alle umgezogen waren.

„Oh weh“, zog ich meinen Arm wieder zu mir, ging auf das nasse Ding zu und streckte ihr lächelnd meine Nase entgegen: „Mir scheint, da muss Jemand schnell unter die warme Dusche.“

Sie versuchte wieder zu lächeln, was allerdings recht schief und scheel wirkte: „Ach… Äh...Passt schon.“

Ich nahm meinen Kopf zurück und drehte meinen Kopf zu der jungen Phantomhive. Diese schaute darauf hin zu Skyler und diese zu ihr: „Geh du zuerst.“

„Oh nein, nein, nein, nein“, protestierte Amber vehement: „Ich falle nicht wegen jedem Bazillus um. Du schon. Und in der Themse gibt es davon sicherlich einige.“

„Ach“, wollte Sky es abtun: „Ich werde schon nicht sterben. Prefect vor...“

Doch Amy hielt sie auf: „ARG! Sage das nie, nie wieder!“

Skyler versuchte abermals zu protestieren, doch Amy drehte sie um und schob sie aus der Türe: „Nichts Aber! Ich habe keine Lust mehr auf deine Aber‘s!“

Ich schüttelte mit dem Kopf, als Amy ihre Freundin unter die Dusche bugsierte.

„Hey Leute“, forderte Ronald unsere Aufmerksamkeit ein.

Ich drehte mich zu ihm: „Hm?“

„Was sollte das wieder?“, fragte der Jüngling mit verschränkten Armen: „Da hing doch wieder Olivers Namensschild dran.“

„Überdeutlich“, bestätigte der Butler.

Ronald ließ sich schlaff in den Sessel plumpsen: „Doch was sollte das? Beschwört er jetzt ständig irgendwelche Viecher nur um Chaos zu veranstalten?“

Grell legte mit verschränkten Armen den Kopf schief: „Chaos ist ein starkes Werkzeug.“

„Wenn man es kontrollieren kann“, führte William fort: „Kontrolliert war dies aber definitiv nicht. Einen Leviathan kontrolliert man nicht.“

„Was will er dann? Schaden anrichten?“, fragte der Jüngling weiter: „Um Amy scheint es ja nicht gegangen zu sein.“

„Warum denkst du das?“, fragte ich zurück.

„Habt ihr Claude gesehen?“, schaute Ronald in die Gruppe: „Sebastian hat Amy aus der Schusslinie gebracht, doch wenn man eine riesige Schlange beschwört und ein Amulett besitzt was seine Präsenz versteckt, dann nutzt man das doch und sucht wenigstens, oder? Hätten wir ihn dann nicht bemerken müssen?“

Ich legte ebenfalls den Kopf zur Seite, als ich mir die Worte des jungen Reaper zweimal durch den Kopf gehen ließ: „Nihi. Claude ist gut. Wie du schon sagtest, spüren können wir ihn nicht, also könnte er durchaus gesucht haben, ohne das wir es mitbekamen. Der Leviathan hat uns ziemlich in Beschlag genommen.“

„Also können wir wieder nicht recht einschätzen, warum er das getan hat“, schlussfolgerte Ronald.

William nickte: „So sieht es aus.“

„Warum wehren wir uns nicht?“, fragt der Blonde weiter.

„Inwiefern?“, fragte Grell zurück.

„Wir reagieren nur!“, warf der Jüngling die Arme in die Luft: „Oliver und Claude schmeißen uns etwas entgegen und wir hacken darauf herum. Warum gehen wir nicht zum Manor Trancy und schlagen dem kleinen Idioten endlich die Zähne aus? Greifen mal als Erste an?“

„Weil es sich einfacher anhört, als es wirklich ist“, Ronald schaute zu mir, als ich weiter sprach: „Claude und Hannah sind an sich schon starke Gegner, beide haben ein Höllenschwert, die beide kein unbeschriebenes Blatt sind. Dann gibt es noch die Tripletts und einen Engel. Wie diese bewaffnet sind wissen wir nicht einmal, geschweige denn haben wir einen blassen Schimmer was dieser Engel ist. Er könnte zur dritten Triade gehören. Dann wäre alles halb so schlimm. Zweite Triade oder höher“, ich wackelte mit einer Hand: „Niiiijaaa. Weniger amüsant.“

Ronald zog die Augen zusammen: „Du findest etwas nicht amüsant?“

„In der Tat“, grinste ich zurück: „Engel der zweiten und ersten Triade sind definitiv nicht amüsant, sondern sehr sehr nervtötend.“

Ich hörte Schritte. Als ich mich zur Türe drehte sah ich Amy eintreten, ebenfalls in Top und Jogginghose, aber ungeduscht. Als ich zu ihr schaute sah ich auch Grell angestrengt mit einer zuckenden Augenbraue und einer Hand an seinem Kinn an die Decke schielen. Mir entfuhr ein Kichern: „Kihihi! Was überlegst du Grell?“

„Ich versuche die 9 Chöre auf die Kette zu kriegen“, entgegnete er: „Aber die der unteren 2 vergesse ich immer. Die haben aber auch Namen...“

Ich legte eine Hand vor den Mund: „Ehehehe! Schwach in Latein, lieber Grell? Dabei trifft man die der Dritten am öftesten. Sollte dir ein Cherub oder sogar ein Seraph über den Weg laufen, solltest du nicht mehr tun als rennen und beten. Schnell rennen und viel beten, tehehehehe!“

Mit nun verschränkten Armen kippte Grells Kopf zu mir: „Sprichst du aus Erfahrung?“

Ich nickte grinsend und in dem Wissen, dass es keine Begegnungen waren, die Grell anstreben sollte. Lief einem hier ein Engel über den Weg gehörte er in der Regel nur zum 9-7 Chor und war recht gut zu händeln. Engel höherer Chöre traf man eher selten. Sie zu beschwören war extrem kompliziert wie aufwendig und aus eigenem Antrieb stiegen sie eher selten herab. Selbst ich sah einen von ihnen in meinem langen langen Dasein pro Chor nur zwei-, oder dreimal. Gekämpft habe ich mit ihnen nur einmal. Vor über 2000 Jahren in Jerusalem. Viele Reaper waren sich nicht gewahr wie düster dieses Kapitel ihrer Geschichte wirklich war. Ich konnte die einzelnen Chöre also einschätzen. Folglich war ich nicht erpicht darauf, dass der neue Verbündete der Trancys sich als Angehöriger der höheren Chöre entpuppte. Wirklich nicht.

Noch bevor wir weiter spekulieren konnten zerriss die Luft ein spitzer Schrei. Der Schrei einer Stimme, die ich überall erkennen würde.

Ich stürzte aus der Türe. Etliche paar Füße hinter mir.

Der Flur war dunkel und leer. Ich sah nur Licht aus der offenen Badezimmertür fallen. 2 kleine nackte Füße und Waden schauten heraus. Saß Sky auf den Boden? Warum?

Mit dem Schwung meines kurzen Sprints rutschte auf meinen Knien über den Dielenboden: „Sky!“

Ich stoppte vor ihr. Mit riesigen Augen schaute sie in den Flur, atmete schwer, schnell und raschelnd, war so kreidebleich wie ich es noch nicht gesehen hatte. Ich nahm sie an den Schultern: „Was ist passiert? Du bist weiß wie die Wand.“

Ich hörte wie Grell, Ronald, William, Sebastian und Amy zu meiner linken stehen blieben.

Mit zitternder Hand zeigte Sky in den Flur rechts von mir: „Da… da… da war...“

Sie brach ab. Die blanke Panik stand in ihrem Himmelblau. Ich folgte ihrem Finger, doch der Flur war bis auf unserer Bekannten vollkommen leer. Wohin sie zeigte war nichts und vorher auch nichts gewesen, das hätte ich bemerkt.

„Was?“, schaute ich ihr wieder ins Gesicht: „Was war da?“

„Ein… ein…“, das junge Ding war vollkommen verschreckt: „Ich weiß es nicht!“

Ich nahm ihre erhobene Hand und legte sie auf meine Brust. Sie musste sich etwas beruhigen, ansonsten würde sie mir nichts erklären können: „Ruhig, meine Schöne. Atme tief durch. Was war dort? Beschreibe es mir.“

Taten und Worte stießen auf taube Ohren. Sky bekam ihren Atem nicht unter Kontrolle. Sie zitterte vom puren Schreck und ich hatte keine Ahnung, was sie so dermaßen geängstigt hatte: „Ein… ein… Habt ihr das denn nicht gehört?!“

Mein Kopf ratterte kurz. Dann schüttelte ich ihn: „Nein, ich habe nur dich schreien hören. Was ist passiert?“

„Ich...“, sie versuchte zu schlucken: „Ich wollte in mein Zimmer um mir etwas anzuziehen und...“

Skyler verstummte schlagartig. Ich schaute sie nachdenklich an. Kaum hatte sie aufgehört zu sprechen starrte sie mich an und ihr kreideweißes Gesicht fing an in einem so satten Rot zu leuchten, wie ich es ebenfalls noch nicht gesehen hatte.

Da sie weiter schwieg grübelte ich weiter wieso sie es tat und schaute abschätzend in ihr von nassen Haaren umrahmtes Gesicht.

Dann fiel mir auf, dass meine Hand auf ihrer Schulter auf warmer Haut lag.

Mein Gehirn begann zu kombinieren: Nasse Haare, warme Haut, die Tatsache, dass sie duschen gewesen war. Meine Vorahnung traf mich etwas unvorhergesehen.

Um zu überprüfen, ob ich richtig lag schaute ich an der dünnen Dame hinunter.

‚Oh...‘, tatsächlich. An ihren schlanken Körper verdeckte nur ein großes Frotteetuch das allernötigste und ließ stellenweise recht… tief blicken: ‚Oh!‘

Ein Umstand, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Nicht, dass ich mich beschweren wollen würde. Mir gefiel was ich sah! Ich war entzückt! Doch gerechnet hatte ich damit wahrlich nicht. Als ich merkte wie furchtbar warm mir wurde, schaute ich ihr wieder in ihr rotes Gesicht. Doch ich konnte nicht verhindern breit zu grinsen aufgrund dessen was ich gerade erblicken durfte: „Das ist definitiv ein“, ich räusperte mich einmal in meine vorgehaltene Hand um mir Zeit zu erspielen über eine Formulierung nachzudenken, die mich nicht auf direktem Weg und vor allen Dingen One Way in Teufelsküche schickte. Auch konnte ich einen Hauch Verlegenheit nicht verneinen, der mich doch nur reichlich selten ergriff: „Unerwarteter Anblick.“

Obwohl es mich beeindruckte, dass es noch möglich war, wurde Skylers Gesicht noch dunkler, als sie weiter schwieg und mir regungslos entgegen schaute.

Ich konnte nicht verhindern, dass meine Augen noch einmal nach unten fielen. Dieser kleine Anflug von Verlegenheit war bei weitem nicht so stark wie meine Neugierde und meine Begeisterung. Außerdem sollte man Möglichkeiten ergreifen wie sie kamen, oder nicht?

Ich für meinen Teil ergriff sie und legte meinen Zeigefinger an mein Kinn, als ich den schönen, dünnen und nur sehr spärlich bekleideten Leib der jungen Brünette musterte. Sie war eine äußerst attraktive junge Dame, dies war mir schon immer bewusst gewesen, doch gerade erfasste ich erst wie attraktiv sie wirklich war. Es war noch nicht einmal ihr exorbitanter Ausschnitt, der am reizendsten war. Viel erstaunlicher fand ich ihre endlos langen Beine, die neben mir über der Türschwelle des Badezimmers ragten. Endlos lang und schlank. Überzogen von ihrer makellosen bleichen Haut. Durch und durch einfach nur betörend.

Mir wurde wärmer...

… Viel wärmer...

Und bevor ich der fixen Idee unterlag, sie rückwärts zurück in das Badezimmer zu schieben, die Türe zu schließen und mir ein noch besseres Bild von ihr zu machen, besann ich mich darauf, dass es hier für solcherlei Gefühle etwas zu viel Publikum gab. Und ich wusste, dass auch Ronald hier stand. Ein junger Reaper, der nie um einen Blick auf eine schöne Frau verlegen war und der von diesem Anblick sicher ähnlich begeistert war wie ich. Und ich merkte nur zu genau, wie wenig es mir passte, dass er dasselbe sah wie ich. Ich konnte ihm allerdings keinen Strick drehen. Wir waren alle aus dem Wohnzimmer gestürzt um Skyler zu Hilfe zu eilen. Niemand hatte vorher mit den Offenbarungen rechnen können, die nun direkt vor mir lagen.

So schaute ich Skyler wieder ins Gesicht: „Was nicht heißt, kehehe! Dass er nicht gefallen würde.“

Sky schaute mich mit aufgerissenen Augen aus hochrotem Gesicht an. Dann merkte ich wie sie ihre Hand, die das Handtuch festhielt, lockerer ließ. Da ich mir gerade erst wieder bewusst geworden war, dass wir mitnichten auf dem Flur alleine waren und das für meinen Geschmack gewisse andere Sensenmänner eh schon zu viel sahen, griff ich ihre Finger und hielt sie an dem Handtuch: „Ah ah ah! Das solltest nicht los lassen.“

Es gab Dinge, die sah doch bitte nur ich.

Kaum hatte ich ihre Hand gegriffen, riss Skyler ihre Augen noch weiter auf. Der Ausdruck in diesen Augen schrie mir auf einmal förmlich entgegen und ich schaute auf meine Hand, die von beiden Seiten warme, weiche Haut fühlte.

‚Hallelujah!‘, fuhr es mir durch den Kopf, als ich sah was meine Finger eigentlich alles berührten. Die Innenseite meiner Finger berührten ihre feine Hand. Die Außenseite vermittelte mir eine sehr genaue Idee zweier fester Brüste. Mir wurde sofort klar, dass ich mir gerade mein One-Way-Ticket gekauft hatte, egal wie unwillentlich es gewesen war… Auch, wenn ich das Geschehene nicht gerade beweinte.

Ich schaute der jungen Dame wieder ins Gesicht: „...Ups.“

Skyler schrie laut und spitz aus. Dann löste sie mein Ticket ein. Ein Fuß ihrer so endlosen Beine bohrte sich aus dem Nichts und mit einer derartigen Kraft in meinen Solarplexus, dass er mir mit einem erstickten Geräusch die Luft aus den Lungen schob. Ich verlor den Halt an ihr und polterte rücklings und mit eineinhalb Überschlägen durch den kleinen Flur, ein weiteres Mal mit bestem Ausblick auf viele leuchtend bunte Sterne. Meine Beine krachten erst vor die Wand und kippten dann über mein Gesicht. Ich hörte eine Tür knallen.

Schritte kamen zu mir. Ich schob meine Augen in die Winkel, um an meinen Beinen vorbeizuschauen und zwei Füße in schwarzen Socken und den Saum einer roten Jogginghose zu sehen.

„Du bist ein Trottel vor dem Herrn, Undertaker“, sprach der rote Reaper, als er neben mir zum stehen kam.

Ich stellte einen Fuß gegen die Hand, stieß mich daran ab, kullerte auf meinen Hosenboden und blieb in einem Schneidersitz sitzen. Mein Solarplexus pochte. Das dünne Ding hatte bei weitem mehr Kraft, als ich ihr zugesprochen hätte.

Nur noch Grell, Ronald und Amy standen im Flur. Sebastian und William hatten wohl als einzige den Anstand besessen wieder zu verschwinden, als sie begriffen, dass keine Gefahr drohte und das alles nicht für ihre Augen bestimmt war.

Mit schief gelegten Kopf sah ich zu Grell: „Was habe ich denn getan?“

Grell klappte der Kiefer auf. Ronald legte eine Hand über seine Augen. Amy schritt mit schüttelndem Kopf an mir vorbei und klopfte an die Tür aus der sie auch meine Kleider geklaubt hatte. Dann verschwand sie darin, obwohl eine junge Stimme ganz eindeutig und laut: „NEIN!“, rief.

Grell blinzelte, nachdem er sich ein Stück fangen musste und zog beide Augenbrauen in die Höhe: „Das fragst du wirklich?“

„Ja, ich war doch nett, oder?“

Grell hustete ein paar Mal mit flatternden Lidern: „Dein Ernst?“

Ich verstand diese Reaktion nicht. Ich hatte mir doch alle Mühe gegeben nichts Falsches zu sagen: „Natürlich!“

„Du“, Grell schlug sich eine Hand gegen die Stirn als er immer weiter blinzelte: „Hast sie begafft!“

„Eine nicht ganz unverständliche Reaktion“, grinste Ronald und hatte sofort die Rückseite von Grells Faust im Gesicht, der sich noch nicht mal zu dem Jüngling herum gedreht hatte.

„FRESSE!“, schepperte es laut hinter der Türe, in der die Mädchen verschwunden waren und wir wandten ihr unsere Köpfe entgegen. Nur Ronald nicht. Der hielt sich die Nase.

Mit spitzen Ohren lauschte ich den durch die Tür gedämpften Stimmen.

„Meine Herren. Was war denn überhaupt los? Abgesehen davon, dass du fast nackt wie Gott dich schuf vor Undertaker gesessen hast?“

Mir entfuhr ein Glucksen. Amy musste es natürlich äußerst direkt formulieren. Da fand ich mich ja um Welten eleganter.

„Ach! Steck dir deine blöden Sprüche dahin, wo niemals die Sonne scheint!“

„Hat man(n) denn was gesehen, was man(n) nicht sehen sollte?“

„Du kannst mich mal am Arsch lecken, weißt du das?!“

Mein Glucksen wurde ein Kichern. Einen solchen Jargon hatte ich der sonst so schüchternen jungen Lady ja gar nicht zugetraut!

„Hat er?“

Von Skyler hörte ich auf diese Frage keine Antwort. Ich sah mich in der Pflicht ihr ein Stück zur Seite zu stehen: „Kehehehehe! Habe ich nicht!“

Darauf hin fuhr ein weiterer spitzer Schrei durch die Türe.

Sofort hatte ich eine Hand an meinem Arm.

„Du bist sowas von furchtbar!“, echauffierte sich Grell, zog mich auf die Füße und am Arm zurück in die Stube.

„Aber warum denn?“, fragte ich, als er mit mir durch die Tür bog: „Ich wollte doch nur helfen!“

„Du hast sie erst in diese Situation gebracht!“

Ich blieb stehen und zog an meinem Arm, sodass sich Grell zu mir umdrehte: „Wie soll ich sie denn in diese Situation gebracht haben? Sie saß so vor mir! Aus heiterem Himmel!“

Grell ließ von mir ab und stemmte die Hände in die Hüften: „Ach, also war es auch der heitere Himmel der dich zwang sie vollkommen offenkundig zu bespannen?“

„Nun“, ich hob meine Arme: „Ich habe lediglich die Gelegenheit beim...“

Grell hielt mir den Mund zu: „Sag‘ es ja nicht!“

Ich zog seine Hand von meinem Mund: „Warum?“

Grell ließ seufzend die Schultern hängen und schaute an die Decke: „Oh Herr schmeiß Hirn vom Himmel“, dann warf er die Arme nach vorne: „Oder Backsteine, hauptsache du triffst. Sag‘ mal, Undertaker, raffst du es nicht?!“

„Nein“, antworte ich vollkommen ehrlich. Ich hatte gar nichts getan! Ich hatte mich ja sogar noch zurückgehalten!

Grell schlug allerdings die Hände vor sein Gesicht. Kurz quoll ein nicht verständliches Gemurmel durch seine Finger, dann ließ er die Hände sinken: „Du warst es doch noch, der vor ein paar Tagen feststellte wie schüchtern sie ist!“

„Ja, und?“

„Dann kannst du sie doch nicht so unverhohlen bemustern!“

„Warum nicht? Man hat doch nichts gesehen“, doch nun verstanden ich wohl, dass mein offenkundiges Interesse in Skylers Augen wohl keine Schmeichelei gewesen war. Sie war wirklich unglaublich schüchtern und beschämt. Wahrscheinlich hätte es wirklich einige bessere Wege zu reagieren gegeben, aber unverhofft kommt nicht so oft wie man denken möge und ich hatte vielleicht nachgedacht, doch das nur recht einspurig.

„Herr im Himmel gib mir Kraft“, drehte sich der rote Reaper eine Hand an der Stirn von mir weg.

„Leider“, tönte es hinter mir und ich erkannte Ronald. Nun hatte er die Rückseite meiner Faust im Gesicht: „Kihihi! Du hast hier gar nichts zu bedauern.“

Ich hörte Ronald auf dem Boden landen.

„Beachtlich“, erreichte mich nun Williams Stimme: „Kaum lässt man euch alleine kommt es zu gewalttätigen Ausschreitungen.“

Ich grinste ihn an: „Jeder das, was er verdient. Außerdem bist du doch selbst alles andere als zimperlich.“

„Und wer schalt dich?!“, rief Grell mit annähernd verzweifelter Stimme aus und verhinderte so eine Antwort Williams.

„Genau!“, setzte sich Ronald auf: „Warum verprügeln alle nur mich? Ich saß nicht vor ihr und hab sie mit den Augen ausgezogen!“

William schob seine Brille hoch: „Was du getan hättest, wären die Positionen getauscht gewesen.“

„Ja, du nicht?!“

„Nein“, zog William eine Augenbraue hoch: „Warum sollte ich?“

Ronald ließ die Schultern hängen: „Du bist unfassbar. Bist du ein Mann? Hast du Bedürfnisse?“

„Das geht dich alles nichts an“, Will setzte sich auf die kleinere Couch: „Außerdem seid ihr unfassbar. Alle Beide.“

„Ist das etwas Neues?“, lachte ich.

„Es hat definitiv ganz neue Ausmaße erreicht“, verschränkte der Aufsichtsbeamte in Jogginghose Arme und Beine.

„Aber ich habe doch gar nichts getan! Ich habe ihr sogar ein Kompliment gemacht!“

„Ich brech‘ zusammen“, klang Grells Seufzen hinter mir.

Ronald stand auf, ging wieder zum Sessel und setzte sich: „Ich glaube sonderlich geschmeichelt war Skyler nicht.“

„Warum auch immer“, legte ich den Kopf schief: „Dabei habe ich meine Worte so sorgfältig gewählt.“

Grell hob die Hände in die Luft: „Als ob du nachgedacht hättest!“

„Hab ich.“

„Hat man nicht gemerkt!“

Mein Kopf kippte mit blinzelnden Augen zur Seite und Grell warf sich neben William auf die Couch: „Du machst mich fertig!“

„Wieso?“

„Frag nicht ständig wieso oder warum!“

Ich musste kurz auflachen. Dann erreichte ein leises Jammern mein Ohr.

Ich ging rückwärts zu der Türe und steckte meinen Kopf hindurch.

Skyler stand, in Jogginghose und Kapuzenpulli, neben der Türe an die Wand gelehnt.

Ich lachte sie an: „Eh he he he. Willst du nicht rein kommen?“

Ihr Kopf wandte sich hektisch zu mir. Mit einem erneuten roten Leuchten schaute sie nach zwei Wimpernschlägen zu Boden: „Es… Es tut mir leid...“

„Was?“, fragte ich irritiert.

„Da-da-da… Der Tritt...“, stammelte das schöne Ding und schaute weiter zu Boden.

„Ach der“, ich ging endgültig aus dem Türrahmen und drehte mich so, dass ich in ihr zu Boden schauendes Gesicht sah: „Kihihi! Ich habe es überlebt und ja, wahrscheinlich auch verdient.“

Sie schaute auf: „Wie?“

Auch ich richtete mich wieder auf und sah in ihr Gesicht: „Wie ich es sagte. Ich habe ihn wahrscheinlich verdient.“

„Wahrscheinlich verdient?“, fragte das junge Ding zögerlich.

„Nun“, hob ich beide Hände: „Ich hatte es mit Nichten geplant, doch es ist mir nicht entgangen, dass ich meine Hand ein...“, ich räusperte mich wieder da ich wieder sorgsam überlegte was ich sagte, obwohl mir dies keine glauben wollte. Vor allem aber musste ich gewisse Bilder aus meinem Kopf vertreiben: „Wenig unglücklich positioniert hatte.“

Ich grinste ihr breit entgegen.

Sky blinzelte mir wieder recht verstört entgegen, was mich ein wenig in Zugzwang brachte. Ich neigte meinen Kopf zur Seite: „Doch ich sah mich in der Pflicht nahendes Unglück abzuwenden. Ich wollte dir nicht zu nahe treten. Verzeihe mir.“

Ich hatte es ja wirklich alles andere als schlecht gemeint. Sie in Unannehmlichkeiten zu bringen lag mir fern, doch genau dass hatte ich getan. Also hatte ich wohl auch den Tritt verdient. Warum ihr aber ihr attraktiver Körper und dem entsprechen positive Resonanz unangenehm war, erschloss sich mir nicht.

Wieder blinzelte Sky. Dann wirkte ihr Gesicht betreten: „Nein… eigentlich bist du das nicht...“

„Dann“, verfiel ich in alte Muster und steckte ich ihr meine Nase ins Gesicht. Wenn ich ihr gar nicht zu nah getreten war, warum reagierte sie so?: „Bin ich doch neugierig, warum ich der Wand hallo sagen musste.“

„Äääääääh...“, wirkte sie sofort wieder vollkommen überfordert: „Nun ja... ich äääähm... bin nicht sonderlich ansehnlich und... das war mir alles einfach peinlich... 'Schuldigung...“

Ich nahm meinen Kopf zurück und beschaute ihren Körper. Selbst in dem Pulli zeichneten sich ihre entzückenden Konturen deutlich ab, da er recht eng um ihre Brust lag. Wie sie so von sich sprechen konnte war mir unbegreiflich: „Aha?“

Arme verdeckten mir die Sicht und Sky wandte sich halb zur Wand: „WAS MACHST DU DA?!“

Ich schaute wieder in ihr Gesicht: „Gucken.“

„WAS?!“

„Gucken.“

„BITTE?!“

Sprach ich eine andere Sprache? Ich hob eine Augenbraue, aufgrund ihres mehrfachen Nachfragens: „Na. G, u, c, k, e, n. Gucken.“

Mit weiten Augen schaute sie mir entgegen: „Wa-wa-warum?!“

Diese ganze Situation wurde mir immer schleierhafter: „Ich habe das Unansehnliche gesucht.“

Ihr geschwungener Mund klappte auf: „Das… das ist nicht dein Ernst?!“

Meine Verwirrung wuchs und wuchs, was meinen Kopf zur Seite kippen ließ: „Nun… Doch.“

„Das“, fragte sie vollkommen verständnislos: „Musst du suchen?!“

„Ja“, antwortete ich ihr. Sie war wunderhübsch! Dessen war ich mir nun noch sicherer als vorher. Es war unumstößlich und indiskutabel, dass sie attraktiv war. Sehr attraktiv. Ein hübsches Gesicht garniert mit einem schönen, schlanken Leib. Dahinter ein possierlicher Charakter und eine so reine Seele. Und wie sie lächeln und lachen konnte wenn es ehrlich war! Umwerfend! Natürlich musste ich da suchen, was unansehnlich sein sollte: „Sie blieb erfolglos.“

Ihr Kiefer klappte weiter auf: „Er-er-er-er-erfolglos?!“

Ich wackelte mit dem Kopf: „In der Tat. Erfolglos.“

WAS?!“, fragte sie abermals: „Wa-wa-wa-was meinst du damit?!“

„Na, ehehehe! Das, was erfolglos meint!“

„Wie?!“

Ich seufzte. Warum verstand sie mich nur nicht? Waren meine Worte so unverständlich? Ich musste wohl direkter werden, auch wenn ich dachte schon direkt gewesen zu sein. Weil ich einfach immer direkt war.

Ich lehnte meinen Unterarm gegen die Wand neben Skylers Gesicht. Dann beugte ich mich nach vorne und hob ihr Gesicht an ihrem Kinn in meines. Die wieder aufkommenden Bilder ließen meine Lippen weiter grinsen: „Erfolglos meint, dass ich nichts Unansehnliches gefunden habe, ke he he! Und man könnte sagen ich bin seit neustem ziemlich gut im Bilde.“

Sie starrte mich an. Mit schockierten Augen.

Ich fühlte einen Stich in meiner Brust und den Splitter aufglühen. Als ich diese aufgerissenen Augen sah, kam mir eine ganz andere Erkenntnis.

Vielleicht lag es gar nicht an der Situation an sich.

Vielleicht lag es an mir.

Vielleicht lag es daran, dass ich da gewesen war. Dass sie mich nicht da haben wollte. Aber sie hatte mich doch noch am Ufer gebeten zu bleiben.

Wahrscheinlich war sie einfach zum denken gekommen, als sie alleine in der Dusche stand.

Wahrscheinlich hatte sie erfasst wer ich wirklich war.

War sich alles bewusst geworden und hatte eingesehen… dass sie mir fern bleiben wollte. Dass ich nicht gut für sie sein konnte. Das ich verrückt und blutrünstig war.

Ein Monster...

Dann tauchte sie unter meinem Arm hinweg und verschwand schnell wie wortlos in die Stube.

Ich blieb zurück und schaute zu Boden. Ich fühlte mich so einsam, als dieser Splitter wieder schmerzhaft surrte, fror und glühte.

Aus dem Wohnzimmer erreichten mich Stimmen, doch ich gab ihnen kein Gehör. Ich war zu sehr damit beschäftigt festzustellen, dass die junge Dame mir immer noch floh. Dass sich nichts geändert hatte. Alles was sie gesagt hatte, dass ich in ihren Augen kein schlechtes Wesen war, hatte sie wahrscheinlich gesagt, weil sie dachte mir zu Dank verpflichtet zu sein.

Denn ich war ein schlechtes Wesen und ein so reines Wesen musste dies bemerken.

Und diese neue Erkenntnis, dass sie so unglaublich betörend und begehrenswert war, machte die Gewissheit ihr nicht mehr nahe sein zu können, so unendlich viel schlimmer. Sie zog und surrte noch schmerzhafter, als sie es am Ufer der Themse schon getan hatte. Ich war zerrissen zwischen dem Bedürfnis ihr nahe zu sein, bei ihr zu sein… und dem Wissen, dass dies nicht gut für sie war. Für meine Belange konnte ich sie nicht zerstören. Sie war so durcheinander und erschöpft gewesen. Hatte so furchtbar geweint. So lange und so bitterlich.

Nein.

Wiederholen durfte es sich auf keinen Fall.

Auf gar keinen Fall.

Nach einem tiefen Seufzen hob ich wieder den Kopf und ging ins Wohnzimmer.

Es gab noch etwas, dass ich wissen wollte. Ich wollte wissen was überhaupt zu dieser ganzen Situation am Badezimmer geführt hatte. Wenn Sky so schrie, konnte es nichts Lapidares gewesen sein und wenn sie immer noch in Gefahr war musste ich es wissen. Denn auch, dass ich sie weiter beschützen wollte, meinte ich.

In der Stube sah ich, dass der einzige freie Platz auf der großen Couch neben Skyler war. Sie griff mit erschöpfter Mine eine Tasse mit Sebastians Kakao. Außer dem Butler hatte jeder eine Tasse in der Hand. An der Sitzgruppe angekommen, hielt er auch mir eine hin, doch ich winkte ab. Mir war nicht nach Kakao. Mir war gerade eigentlich nach gar nichts. Dieser fiese Splitter schmerzte und vertrieb mir jede Lust. Ich fiel neben Skyler auf die Couch, da es der einzige Sitzplatz war und dieses Gefühl ermüdete mich so sehr, dass ich nicht stehen wollte. Und es war auch der kleine Funken, der nach ihrer Nähe wünschte.

Skyler schaute mich kurz an und sofort wieder weg. Sie nahm einen Schluck Kakao, um nicht mit mir sprechen zu müssen. So flaute dieses Gefühl in mir einfach nicht ab. Eher flaute es schmerzhaft auf.

„Du siehst nicht gut aus, Herzchen“, erhob Grell die Stimme und nahm so das Gespräch in die Hand.

Ich musterte Skyler. Sie wirkte wieder so endlos müde. Als hielt sie ihre Augen nur mit Mühe offen. War wieder ganz blass und so stumm, als sie uns allen entgegen schaute.

Aus einem Impuls, der zu plötzlich kam um ihn zu unterdrücken legte ich ihr meine Hand sachte auf die feuchten, doch nun sauberen Haare. Mir schlug der Geruch von Lavendel entgegen und verschlimmerte das Surren ein weiteres Mal. Doch ich lachte auf. Niemand hier sollte wissen, wie es in mir aussah: „Fu fu fu. Mir scheint als bräuchte da jemand dringend sein Bett.“

Sky schaute mich an und ich lächelte. Wieder lächelte ich nur für sie: „Erzähle uns was geschehen ist. Danach solltest du zu Bett gehen.“

„Ich“, sie schaute wieder weg von mir auf ihre Tasse. Der Splitter bohrte sich tiefer und tiefer: „Weiß nicht genau... Als ich die Türe aufgemacht habe, stand da so ein... Ding...“

„Ding?“, fragte Ronald verwirrt: „Was für ein Ding?“

Sebastian legte den Kopf schief: „Ihr habt es nicht bemerkt, Lady Rosewell?“

Es brauchte etwas bis Skyler antwortete. Sie wirkte nicht so, als könne sie nicht recht nachdenken: „Äh... nein. Nein, ich meine nicht...“

„Du meinst?“, schien auch Ronald überzeugt, dass Skyler nicht mehr ganz bei sich war.

Ich nahm meine Hand von ihren Haaren. Ich tat es mit Widerwillen, doch meine Hand war sicher die Letzte, die sie noch berühren sollte. Ich verschränkte Arme und Beine um sie endgültig unter Kontrolle halten zu können. Dann lachte ich wieder. Irgendwie: „Nun. Fuhuhuhu! Heute war ein sehr ereignisreicher Tag, danach kann man nicht von jedem erwarten noch aller Sinne vollends Herr zu sein.“

Ich beschaute die Gruppe. Auch ohne Brille merkte ich wie erschöpft alle waren. Auch Sebastian und William. Eine müde Atmosphäre lag über den Raum. Erschöpft, doch furchtbar angespannt. Ein zerrendes Klima.

Grell bestätigte mich mit einem tiefen Seufzen: „Ja, ja das ist wohl wahr.“

„Oder es war kein Dämon“, lenkte William das Gespräch wieder aufs Wesentliche.

Unsere Augen blieben an ihm hängen.

Sebastian wirkte skeptisch: „Wie sollen wir das verstehen, Mr. Spears?“

„Es gibt mehr als nur Dämonen. Wir sind darüber im Bilde. Die Trancys auch“, William wandte sich Skyler zu: „Eine detaillierte Beschreibung wäre dienlich, Miss Rosewell.“

„Nun...“, begann sie stockend und schien sich extrem konzentrieren zu müssen um zu beschreiben, was sie gesehen hatte: „Sie war groß, unproportional langgezogen und... verfault.“

Sofort horchte ich auf: „Verfault?“

Sky neigte ihr Gesicht zu mir. Nicht ganz. Nur ein kleines Stück: „Ja, sie... Das Ding... war total verrottet. Überall sah man die Knochen und das... ihre... Innereien fielen aus dem Bauchraum. Es hatte nur noch ein Auge, sah aus wie ein vermoderter Zombie und kreischte ganz schrill. Es war so laut, es tat richtig in den Ohren weh. Als ich die Tür öffnete, schrie es mich an. Ich habe intuitiv die Augen zusammen gekniffen und als ich wieder hinschaute... war sie einfach weg...“

Ich überlegte wieder. Ich hatte nichts außer Skyler schreien hören und meinen Ohren war bis jetzt nur sehr wenig entgangen.

Plötzlich merkte ich alle Blicke auf mir. Ich wusste sofort warum. Immer wenn das Wort ‚Zombie‘ fiel sahen mich alle direkt an. Dieser immer wiederkehrende Umstand ließ mich lachen: „Fuhuhu! Schaut' mich nicht so an! Eine Doll war es nicht.“

„Aha“, William wirkte wie immer bei diesem Thema mehr als skeptisch: „Sicher?“

Ich grinste ihn an: „Aber über alle Maßen! Ich würde nie eine Doll so verkommen lassen. Außerdem kann es sich nicht um einen menschlichen Körper handeln.“

„Warum nicht?“, fragte Ronald verwundert.

Nun lachte ich ihn an: „Kehehehehe! So wie es klingt war dieses Wesen schon recht verwittert. Ab einem gewissen Verwesungsgrad sind nicht mehr genug intakte Muskeln und Sehnen vorhanden, um einen menschlichen Körper zu bewegen. Ganz einfach.“

„Macht Sinn“, Grell trank einen Schluck Kakao: „Es ist widerlich, aber es macht Sinn.“

„Habt ihr was bemerkt?“, lenkte Ronald das Gespräch in eine andere Richtung, die alles andere als eine dumme war: „Sky ist schließlich nicht die Einzige, die Präsenzen mitbekommen sollte. Vielleicht sollten wir uns nicht nur auf ihr Gespür verlassen.“

„Hast du was bemerkt?“, fragte Grell zurück.

„Nein“, schüttelte Ronald den Kopf: „Aber ich bin auch kein Maß.“

„Stimmt, aber ich passe auch“, stimmte Grell ihm frustriert zu.

„Ebenfalls“, tat William es ihm gleich.

Der Butler schüttelte stumm den Kopf.

Auch ich schüttelte den Kopf: „Nein, nichts.“

Das gefiel mir nicht. Ganz und gar nicht. Sky bemerkte es nicht und wir alle anderen auch nicht. Was war das Ding? Verfault, komisch geartet und für unsere sehr feinen Sensoren vollkommen unsichtbar. Mir widerstrebte ein Kontrahent, der nun vollkommen unter dem Radar agieren konnte. Ich kannte auch kein Wesen, das vollkommen präsenzlos war.

„Aber William“, brach Grell durch meine Gedanken: „Warum erwähnst du die Trancys?“

William trank bevor er sprach: „Weil es kein fernliegender Gedanke ist, dass sie ihre Finger im Spiel haben könnten. Sie werden bemerkt haben, dass Miss Rosewell fähig ist Dämonen trotz der Steinmedaillons zu bemerken. Dass sie nun plötzlich ein Wesen ängstigt, welches keiner mehr spüren kann, ist entweder ein Streich ihres gestressten Gemütes, oder ein neuer Schachzug Olivers und Claudes.“

William hatte Recht. Ich glaubte nicht, dass es nur ein Hirngespinst gewesen war. Davon auszugehen war außerdem potenziell gefährlich. Was hatten die Trancys da ausgegraben? Was war es und wo kam es her? Und warum hatte es Skyler nur erschreckt und nicht angegriffen? War es dem Kämpfen vielleicht gar nicht mächtig? Oder wir zu schnell da?

Fragen über Fragen und mein Widerstreben wuchs.

Betretenheit fiel über die Gruppe.

Betretenheit und Erschöpfung. Ich konnte fühlen wie müde alle waren. Ich war es ebenfalls. Dass wir heute noch zu einem sinnvollen Gedanken kamen, bezweifelte ich. Ermattet und ohne jeden Hinweis gab es dafür keine Grundlage.

Ronald musterte jeden von uns kurz und stellte eine weitere äußerst sinnige Frage, die bis jetzt nur stumm gestellt wurde, doch jedem im Raum deutlich auf dem Leib geschrieben stand: „Aber was für ein Ding war das, wenn es weder eine Doll, noch ein Dämon war?“

„Gute Frage“, seufzte Grell und schaute mich an.

Ich schüttelte den Kopf, mit meiner eigenen inneren Abhandlung nicht weiter gekommen.

Grell seufzte erneut: „Das ist mehr als nur schlecht.“

„Was?“, erschien Amy im Zimmer und setzte sich neben mich: „Was ist schlecht?“

„Das Wesen, welches uns Lady Rosewell beschrieb, stellt uns vor ein Rätsel, junge Lady“, gab der Butler ihr eine Tasse: „Keiner ist fähig es zu spüren und selbst Undertaker kennt es nicht.“

„Woas?!“, Amy Kopf flog zu mir: „Du hast keine Idee?“

Wieder schüttelte ich nur den Kopf. Mir war nicht mehr nach reden. Ich war deprimiert, selbst erschöpft, von schlechten Empfindungen gebeutelt und stand einer neuen Gefahr vollkommen ansatzlos gegenüber.

Amy seufzte und dieses ganze Geseufze macht die Atmosphäre nur noch drückender: „Na prächtig. Und nun?“

Schweigen.

Bedrückendes, ratloses, müdes und betretenes Schweigen.

Ich wälzte meine Gedanken. Die schwächsten Präsenzen hatten Geister. Doch einen Geist hätten wir Reaper bemerkt. War es ein Dämon mit einem weiteren ‚fessles Stone‘? Wie viele davon hatten die Trancys? Oder eine erschaffene Illusion? Darauf zu vertrauen, dass dieses Wesen nicht real war, war mir immer noch zu gefährlich.

Sebastian brach mit einem Wort an mich die Stille und abermals meinen inneren Diskurs mit mir selbst: „Undertaker?“

„Hm?“, schaute ich zu ihm auf, immer noch nicht recht zu Worten aufgelegt.

„Ich habe eine Bitte an dich.“

Mein Kopf fiel zur Seite. Das war selten. So selten, dass ich es schaffte ein wenn auch reichlich plakatives Grinsen aufzusetzen: „Ehehe! Nun bin ich gespannt.“

„Wäre es dir möglich täglich bei der jungen Lady vorbeizuschauen? Die neusten Entwicklungen bereiten mir Sorge.“

Ausnahmsweise waren der Butler und ich einer Meinung. Ich war sicher er wusste es und nutzte es nun schamlos aus: „Kehe! Welch seltenen Worte aus deinem Munde, Butler.“

„Was wäre ich für ein Butler, wenn ich mich um die Tochter meines Herren nicht sorgen würde?“

Diese immer gleiche Phrase. Amüsiert dachte ich an Skylers so ehrlich und treffende Antwort von früher am Abend: „Nihi! Keiner, der der Familie Phantomhive würdig wäre“, doch mein Amüsement verließ mich fast im selben Atemzug: „In der Tat, Butler. Es ist mir möglich.“

„Ich danke dir.“

„Wuhuhu!“, lachte ich wieder. Ich musste. Alle hätten sofort Verdacht geschöpft hätte ich ein ‚Danke‘ des Dämons nicht belacht: „Noch seltener! Ich muss mir diesen Tag rot im Kalender anstreichen!“

Der Butler seufzte: „Es ist nicht die Zeit zu scherzen.“

„Es ist immer Zeit für ein herzliches Lachen“, grinste ich mein maskenhaftes Grinsen. Es war so anstrengend. So unfassbar anstrengend: „Aber es wundert mich nicht, dass du dies nicht verstehst.“

Plötzlich spielte Musik durch den Raum.

Sofort untersuchte Amy ihre Hose: „Hü? Wo ist es denn?“

Sebastian hielt ihr ihr Telefon entgegen: „Ich war so frei es aufzulesen.“

„Danke“, schaute Amy auf das Ding in Sebastians Hand: „Oh, oh...“

„Wer ist es?“, hörte ich Sky.

Und ihre Stimme stach mir.

So furchtbar...

„Lowell...“, klang Amy alles andere als glücklich.

Sebastian erlöste die Phantomhive.

Er hob an ihrer Stelle ab und begann mit der Lehrerin zu telefonieren. Bravourös belog der Butler sie vom A bis Z und das ohne rot zu werden.

Ich kicherte. Ich kicherte, weil ich kichern musste um zu verschleiern wir grässlich es mir ging. Die Reaper sollten es nicht wissen. Der Butler schon gar nicht. Amy auch nicht und Sky von allen am allerwenigsten. So fürsorglich wie sie war, hätte sie sicher ein schlechtes Gewissen. Ich wollte nicht, dass sie ein schlechtes Gewissen quält. Eines was sie nicht haben musste.

An allem Schuld war doch nur ich.

Amys Hand presste sich auf meinen Mund und verblieb dort bis der Butler zu Ende gelogen hatte.

Erst als er Amy ihr Handy mit der Versicherung alles geklärt zu haben entgegenstreckte ließ sie mich los und ich fing an zu lachen.

Und es fühlte sich so falsch und freudlos an. Und da es sich so anfühlte verebbte es schneller als üblich.

Neben mir hörte ich ein Seufzen.

Als ich Skyler anschaute wirkte sie so endlos ermattet. Und obwohl mir ihr Anblick schwer fiel, ließ mich die Sorge um sie ihr müdes Gesicht mustern.

Recht schnell schaute Sky zurück und Skepsis schlich in ihren Blick: „Was schaust du?“

Ich fuhr mir mit meinen Fingern durch ihre nach Lavendel duftenden Haare. Vollkommen unüberlegt und diesem kleinen Funken erlegend, der sich einen grausamen Kampf mit dem Splitter lieferte: „Du siehst müde aus.“

Alle waren müde. Es machte alles keinen Sinn mehr. In jeder Hinsicht machte alles einfach keinen Sinn mehr. Jeder wurde nur gebeutelt. Von der Situation, der Atmosphäre. Von zurückliegenden Situationen. Ihrer eigenen zerrenden Erschöpfung.

Mein plakatives Grinsen wurde kleiner, als ich Skyler noch einmal ein Lächeln schenken wollte: „Gehe ins Bett.“

„Aber...“

Ich schüttelte den Kopf: „Nichts aber. Ich möchte, dass du nun schlafen gehst. Es ist heute genug passiert. Lass den Tag enden und ruhe dich aus.“

Der Blick in ihre Augen ließ mich meine Hand auf ihre Wange legen. Ich wusste, dass es ein Fehler war, doch ich kam gegen diese Bedürfnisse nicht an. Ich kam nicht gegen diesen Funken an, der einfach keine Distanz zu lassen wollte, obwohl der Splitter schrie es müsse sein.

Kaum hatte meine Hand ihre Wange berührt, spürte ich wie warm sie war. Zu warm. Natürlich war Skyler für mich immer warm, aber so warm? In der unguten Vorahnung, sie wurde schon krank und bekam Fieber zog ich die Augen zusammen: „Geht es dir gut?“

Sky runzelte die Stirn: „Wieso fragst du?“

Ich strich mit dem Daumen über ihre viel zu warme Wange. Sorge erstickte den Splitter unterstützt von diesem unsäglichen Funken: „Du bist ganz warm“, ich legte meine Hand auf ihre Stirn: „Ist dir wohl?“

„Ähm“, brach sie ab.

Dann kaute sie auf ihrer Unterlippe.

Warum?

Ich beschaute sie eindringlich.

Dann ergriff der Splitter wieder Oberhand.

Weil ich sie anfasste.

Meine Hand verließ ihr Gesicht. Ruckartiger als ich wollte.

Sky ließ ihre Augen herabfallen: „Ich... bin nur müde.“

Obwohl ich die Hand weggenommen hatte schaute ich sie weiter an. Ich glaubte ihr nicht ganz. Sicher wurde sie schon krank. Warum hatte ich sie nur so lange draußen sitzen lassen? Warum hatte ich nicht daran gedacht, dass sie frieren musste? Warum...: „Nur?“

Sie nickte erschöpft. Ihr Aussage war nicht gelogen, aber auch nicht alles, dass sah man ihr an.

Doch Ronald sprang aus dem Sessel und griff sich jede Aufmerksamkeit: „Für uns wird es auch Zeit. Nicht?“

Stumm dankte ich Ronald. Er war sicher von uns Nicht-Menschen am meisten erschöpft. Er hatte auch einfach Recht.

Es reichte.

Es wurde Zeit.

William stand auf: „Sicherlich. Morgen wird ein langer Tag.“

Grell tat es ihm gleich und streckte die Arme: „Betone es nicht so... Mir ist bei diesem Gedanke nur allzu sehr nach Urlaub.“

Sebastian entschuldigte sich mit einer Verbeugung: „Ich werde mich ebenfalls empfehlen. Euer Vater erwartet meinen Bericht sicher mit scharrenden Hufen, junge Lady. Ich wünsche allen Anwesenden eine erholsame Nachtruhe.“

Dann verschwand er.

„Ich schließe mich dem an“, ging William zum Fenster: „Gute Nacht.“

Kaum war er hinaus gesprungen schwebte Grell hinterher und blies noch ein Küsschen in die Runde: „Gute Nacht, meine Süßen! ~♥“

Auch Ronald stellte ein Fuß auf den Fensterrahmen: „Schlaft gut! Last euch nicht fressen!“

Dann waren alle entschwunden.

Ich stand auf.

Es wurde Zeit das erschöpfte Ding endlich aus meiner unsäglichen Anwesenheit zu entlassen.

So gut ich konnte grinste ich die beiden Freundinnen ein letztes Mal an: „Skyler? Amber?“

„Hm?“, antworteten mir die Beiden, zu müde für Worte.

„Sollte einer von euch unerwartet Besuch bekommen ruft mich an. Sofort. Kehehehe! Keine Heldentaten.“

Verstehend knirschte Amber mit den Zähnen: „Ist gut. Ich habe verstanden...“

„Nun denn“, ich verbeugte mich. Ich verbeugte mich, da ich Skylers gebeuteltes Gesicht nicht länger ertragen konnte. Ein Ausdruck, der in so hohem Maße meine Schuld war: „Erholt euch gut. Gute Nacht.“

Mit diesen Worten war auch ich verschwunden.

Und der Splitter glühte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  satin
2017-11-18T20:46:49+00:00 18.11.2017 21:46
weiter!weiter?weiter!? :)
Antwort von:  DeNoir
19.11.2017 23:32
Ich bin dran, wirklich.

Leider habe ich privat und im Job sehr viel zu tun und so nur noch wenig Zeit (und manchmal auch Konzentration) zum Schreiben. Dazu ist mir letztens mein Pc gestorben, so das ich jetzt schauen kann woher ich meine Dateien bekomme, die sind nämlich jetzt alle einfach weg.

Ich gebe mir Mühe es so schnell wie möglich zu schaffen.
Von:  Marlene220
2017-07-10T16:03:39+00:00 10.07.2017 18:03
Hi,
Ich wollte nur mal sagen dass es mich jedes mal aufs neue freut zu sehen dass du ein neues Kapitel hochgeladen hast. Ich liebe deine Story,und es ist es mir jedes mal mehr als wert auf das nächste zu warten! Ich finde die länge der einzelnen Kapitel immer wieder erstaunlich! Und jetzt zum Kapitel: kann es sein dass Undertaker ne ziemlich lange Leitung hat?! Und dass er jede kleine Handlung von Sky so fabelhaft falsch interpretiert,da sagt die schon klipp und klar dass er doch bitte bleiben solle und der will sich auf emotionaler Ebene entfernen... ich hoffe dass entweder sie oder die anderen die ganze Situation noch gerade biegen! Könnte es sein dass dieses `Viech` von dieser Organisation stammt? Oder hat dieses Etwas mit ihrem Fluchmahl zu tun. Zudem bin ich auch schon gespannt was es mit Skylers früheren Nachnamen auf sich hat. Außerdem hab ich es im Gefühl dass ihre Oma auch noch eine größere Rolle spielen wird als bisher gesagt.. ich freu mich schon aufs nächste Kapi
LG Marlene220


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