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Tears and Laughter

von

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Saudade


 

Sky
 

Ich blinzelte immer noch die Türe an, obwohl Othello sie schon geschlossen hatte. Mein Gehirn brauchte tatsächlich ein paar Sekunden bis ich verstand, dass ein ‚Auf Nimmerwiedersehen‘ aus dem Munde eines Sensenmannes ein großer Glückwunsch für die nähere Zukunft war und keine Geste pietätloser Antipathie.

Ich legte seufzend den Kopf schief.

Undertaker legte den Kopf in dieselbe Richtung schief: „Glaubst du, dass du laufen kannst?“

Verlegen rieb ich mir über den Nacken. Seitdem gesagt wurde, dass dort dieses komische Mal sei, zwickte und kribbelte die Stelle. Ich konnte allerdings nicht sagen, ob ich laufen könnte. Ich konnte es schlicht und einfach nicht richtig einschätzen.

„Ich“, begann ich schließlich: „Weiß nicht so recht.“

„Willst du es probieren?“, stand der hochgewachsene Totengräber aus der Hocke auf. Ich bemerkte erst jetzt, dass er überhaupt in die Hocke gegangen war um mit mir auf Augenhöhe zu sein.

Mit einem kleinen Nicken antwortete ich auf die Frage des Bestatters und rutschte von dem grünen Plastik. Mein Kopf drehte sich immer noch, aber ich schaffte es halbwegs zu stehen. Bevor ich auch nur den ersten Schritt versucht hatte, hielt Undertaker mir seinen angewinkelten Arm hin.

Mein Blick wanderte an besagtem Arm hinauf, in das vernarbte Gesicht, was trotz des riesigen Schnitts darin nicht auch nur ansatzweise abstoßend wirkte… eher… im Gegenteil...

Kaum war mein Blick in seinem Gesicht angekommen, lachte Undertaker auch schon wieder vor sich hin: „Fu fu fu fu! Na komm. Gemeinsam sind wir stark.“

Ich merkte wie mein Gesicht zu brennen begann, doch trotzdem entfuhr mir ein kleines Lachen und ich harkte mich bei dem morbiden Totengräber ein.

„Ein richtiger Gentleman“, seufzte Grell angetan und verschränkte die Arme. Bei der Hälfte des Satzes allerdings wurde sein Ton etwas vorwurfsvoll und er schaute zu William. Dieser würdigte Grell allerdings nur eine halbherzig hochgezogene Augenbraue.

Wir setzten uns in Bewegung. Ronald hielt die Türe auf. Grell und William schlüpften hindurch und ich stolperte an Undertakers Arm hinterher. Obwohl ich versuchte so viel wie möglich meines Körpergewichtes selbst zu tragen, war ich doch sehr auf Undertakers Unterstützung angewiesen. Doch er ging durch den Flur, grinsend und federleicht, als würde ich gar nicht so furchtbar wackelig an seinem Arm hängen. Ohne Eile und relativ schweigsam gingen wir durch das klinische Gebäude, bis wir es schließlich verließen. Nun brachen Grell und Ronald die Stille und fingen an sich über Gott und die Welt zu unterhalten. Hin und wieder gab William einen Kommentar dazu ab und Undertaker lachte sie hier und da, mal lauter, mal leiser, an oder aus. So schlenderten wir den vor sich hin plätschernden Fluss entlang Richtung Bibliothek. Die frische Luft stieg durch meine Kopfschmerzen, beruhigte meinen Magen und ließ mich langsam aber sicher wieder selber Herr meines Körpers werden. Es war kein langer Fußmarsch, aber er reichte und kurz bevor wie die Bibliothek erreichten konnte ich meinen Körper auch schon wieder selber tragen. Doch Undertaker entließ mich nicht, obwohl er merken müsste, dass nicht mehr so viel Gewicht an seinem Arm hing. Ich sagte auch nichts, denn irgendwie… war dieses Gefühl schön. Verstohlen schielte ich hoch in das Gesicht des Leichengräbers, der gerade ein weiteres Mal darüber lachte, dass Ronald sich einen Kommentar von William eingefangen hatte. Ich mochte sein Lachen. Egal ob es schrill war oder leise. Es wirkte immer ehrlich. Ich mochte auch sein Grinsen, welches so breit war, dass er einen Hot Dog quer rein schieben könnte. Und sein Lächeln: ‚Awwwww!‘

Dieses Gefühl was mich beschlich, als ich den Totengräber beobachtete, war ein warmes Kribbeln in meinem Bauch, was einen großen Teil des Unwohlseins verscheuchte. Mir war immer noch schwindelig und ich hatte Kopfschmerzen, doch nun ging es mir irgendwie viel besser. Auch wenn mich dieses Kribbeln wieder verwirrte. Ich wusste nicht woher es kam oder was es zu bedeuten hatte.

Als das große Gebäude der Bibliothek in Sichtweite kam, ergriff William zum ersten Mal als Erster selbst das Wort: „Knox, Sutcliff. Ihr kommt gleich mit mir hoch.“

„Warum?“, fragten die beiden aus einem Munde.

„Ich will euch als Leumundszeugen dabei haben. Für den Fall der Fälle.“

„Othello hat doch sicher schon den Report weggeschickt“, verschränkte Ronald die Hände hinter dem Kopf: „Die wissen schon alle Bescheid.“

„Trotzdem Knox“, betonte William sein Anliegen sehr deutlich: „Ich möchte sicher gehen, dass es keinen… Redebedarf mit Miss Rosewell mehr gibt.“

Grell und Ronald drehten kurz den Kopf zu mir. Dann nickten sie.

So kam es, dass wir die Bibliothek betraten und William von mir den Besucherausweis forderte, um ihn mit in die Akte legen zu können. Dann verließen uns William, Grell und Ronald. William nahm mir noch die Bücher aus der Hand um sie wieder einsortieren zu können. Ich musterte ihn zwar kurz ein wenig skeptisch, überließ sie ihm aber schließlich. William war nicht der Typ, der sich wissentlich und vollkommen unnötig gegen die Regeln stemmte.

Undertaker führte mich zu einer der freien Sitzgruppen und drückte mich sanft an den Schultern auf die weichen Polster.

„Ehehehe! Ich möchte schnell etwas nachschauen“, grinste der Bestatter: „Ich bin nicht mehr oft hier. Nihihi. Kann ich dich kurz hier alleine lassen?“

Ich nickte: „Klar. Ich komm schon klar.“

Zumindest für Undertaker schien sich die Situation entspannt zu haben. Wollte er vorher auf keinen Fall das ich irgendwie alleine bleibe, ließ er mich nun wissentlich allein. Irgendwie war es beruhigend. Doch was genau ich nun mit mir machen sollte, wusste ich immer noch nicht.

Verflucht.

Ich war verflucht.

Zum ersten Mal konnte ich es in meinen Gedanken in Worte fassen.

Undertaker lachte noch einmal und wandte sich dann zum Gehen: „Ehehe. Vorzüglich. Ich bin nicht lange weg. Versprochen. Warte hier.“

„Lass dir ruhig Zeit“, sagte ich noch einmal und dann verschwand der Bestatter in den Bücherregalen, wo wir auch die anderen Dreien aus dem Blick verloren hatten.

Das Schwirren in meinem Kopf hatte nun fast komplett nachgelassen und die Kopfschmerzen waren auf ein unterschwelliges Wummern zurückgegangen, was nervig, aber aushaltbar war.

Ich blieb einige Momente sitzen. Es herrschte reger Verkehr in dem großen Raum und die Besucherflut musste unvermeidlich an mir vorbei. Dabei musterten sie mich reichlich kurios, begannen erneut zu tuscheln. Irgendwann hatte ich keine Lust mehr wie auf dem Silbertablett herumzusitzen. Undertaker wird mich finden. Wahrscheinlich ohne sich groß anstrengen zu müssen. Da meine Beine mir zum größten Teil wieder gehorchten, entschloss ich mich sie zu benutzen. Also wanderte ich so unauffällig wie möglich von der Sitzgruppe weg und schlüpfte durch die Bücherregale hindurch. Leider war ich noch immer etwas wackelig auf den Beinen und wankte. Ab und an tat ich einen ausladeneren Schritt als ich wollte. Zweimal rempelte ich sogar jemanden an. Die Shinigamis drehten sich erst ansatzweise genervt um, verschluckten dann aber ihren Satz auf halbem Wege, nachdem sie mich sahen.

Nach einigen Metern Herumgetapse landete ich in dem kleinen Bereich vor der großen Statue und der Glasvitrine mit 10 Büchern. Während ich die Statue des früheren Lebens des Bestatters so musterte, sausten die Gedanken durch meinen Kopf: Flüche, Segen, Dämonen, Engel, Sensenmänner, Legenden, Fehden.

Ich wusste nicht ob ich nun besser verstand was vor sich ging, oder nur 100 Fragen mehr hatte. Wieder rieb ich mir den kribbelnden Nacken, während meine Augen an den steinernen Zügen klebten.

„Die ist cool, nicht?“

Ich zuckte zusammen.

Ich musste mich dringend daran gewöhnen, dass um mich herum auf einmal Leute auftauchten. Vielleicht sollte ich auch nur langsam damit beginnen intensiver auf meine Umgebung zu achten als früher.

Mein Kopf fuhr herum, die Hand immer noch in meinem Nacken. Neben mir stand ein… Junge?… Mädchen? Es könnte beides sein. Sicher war nur es war relativ jung. Die Gestalt war nicht sonderlich groß, eher ein Stückchen kleiner als ich und ich war mit 1.72 m nun nicht gerade riesig. Sie hatte kurze dunkle Haare, vorne zwei lange Strähnen und einen seitlichen Pony. Eine große, weiße Brille lag über den großen und aus voller Begeisterung auf die Statue strahlenden, gelb-grünen Augen. Der Reaper trug einen formalen, schwarzen Anzug, ein weißes Hemd und eine schwarze Krawatte. An Stelle einer Weste trug er/sie allerdings einen langen, beigen Cardigan. Dazu schwarze Lackschuhe. Um den Hals baumelte eine Kamera.

Das feine Gesicht dreht sich zu mir. Unwillkürlich, als ich mich immer noch fragte ob ich neben einen Jungen oder einem Mädchen stand, stellte ich fest, dass Sensenmann wohl ein ziemlich typischer Männerberuf sein musste, hatte ich bis jetzt nur sehr wenige Frauen unter den Besuchern gesichtet.

Mit einem großen Lächeln schaute mich der Reaper neugierig an: „Du bist kein Shinigami.“

Die Stimme deutete allerdings eher auf einen Jungen hin. Er klang fast noch jünger, als er aussah.

Doch von dem was er sagte hatte ich kein Wort verstanden. Der Junge sprach eine andere Sprache als ich. Dem Klang nach tippte ich auf Deutsch. Es klang zumindest so ähnlich, wie ein paar Gesprächsbrocken, die ich zwischen Frank und Charlie hier und da mal aufgeschnappt hatte.

„Bitte?“, fragte ich also, natürlich auf Englisch, nach.

Der Reaper schloss die großen Augen und legte zum Lachen die halb in der beigen Strickjacke verschwundene Hand über den Mund: „Du bist kein Shinigami“, sprach er abermals, aber nun in Englisch.

Ich stockte: „Wo… woher?“

„Na“, kicherte er und zeigte mir ins Gesicht: „Deine Augen! Ein schönes Himmelblau! Aber dadurch sind sie nur allzu deutlich keine Reaperaugen.“

Ja, klar. Das hätte ich mir auch selber denken können: „Nein… ich bin kein Shinigami.“

„Was dann?“, fiel sein Kopf zur Seite.

„Ich… Ich bin ein Mensch.“

„Ehrlich?“, wurde die Neugier in dem jungen Gesicht größer: „Was machst du denn dann hier?“

Jetzt… hatte ich ein Problem und keine Ahnung wie ich es lösen sollte.

Meine Augen klimperten dem Jungen entgegen und ich blieb stumm. Nach ein paar Sekunden trat er zwei Schritte näher und steckte mir die Nase ins Gesicht: „Sag nicht es ist Top Secret!“

Er versuchte sicherlich zu flüstern, doch war er dafür viel zu aufgeregt.

Mein Hirn ratterte und ich nickte. Ob meine Angelegenheit wirklich ‚Top Secret‘ war, ich hatte keine Ahnung. Doch Fakt war, dass ich wohl keine bessere Option bekommen würde, um aus der Sache so glimpflich herauszukommen.

„Wow“, sagte der Junge fasziniert: „Echt aufregend! Und warum stehst du hier? Du weißt doch gar nicht wer das ist.“

Ich entschloss mich, dass es besser war den Reaper in seinem Glauben zu lassen ich hätte keine Ahnung. Ich war mir noch nicht einmal sicher in wie weit ich damit tatsächlich log. Den ‚Shinigami-Undertaker‘, den kannte ich ja wirklich nicht: „Nein. Weiß ich nicht.“

„Das“, lachte er immer noch vollkommen begeistert und machte eine ausschweifende Armgeste: „Ist der größte Sensenmann, der je gelebt hat. Der Legendäre Todesgott.“

„Öhm, also“, versuchte ich den Redeschwall des jungen Reaper zu stoppen. Doch der Junge beachtete mich eigentlich gar nicht und plauderte fröhlich weiter: „Legendär auf zweierlei Arten: Einmal, weil seine Fähigkeiten als Schnitter immer noch unerreicht sind und einmal, weil es über ihn mehr Legenden als Sterne am Himmel gibt!“

Meine Ohren wurden größer: „Aha?“

Der Reaper schaute mich wieder an: „Aber das interessiert dich sicher nicht. Du kennst dich mit dem allem hier ja gar nicht aus.“

„Doch, mich interessiert das und ein bisschen weiß ich schon.“

„Echt?“, drehte sich der mädchenhafte Junge wieder ganz zu mir und musterte mich kurios durch seine weiße Brille.

Ich nickte: „Shinigamis überführen die Seelen der Sterbenden. Dafür lesen sie die Cinematic Records eines Menschen aus. Sie sind extrem kurzsichtig, haben eine für sie charakteristische Augenfarbe und sind im ‚Grim Reaper Dispatch‘ organisiert. Sie sind die Seelen von verstorbenen Selbstmördern, verflucht den Job so lange zu machen bis ihnen irgendwann… vergeben wird.“

Der Sensenmann blinzelte: „Okaaaay. Du weißt ja wirklich Bescheid.“

Ich lachte kurz: „Nun ja… Ein bisschen halt.“

Als ich die Augen wieder öffnete hing das Gesicht mit der weißen Brille fast auf meiner Schulter und musterte meins: „Man. Ich würde so gern wissen was du hier tust. Aber dafür habe ich zu kleine Zahlen auf meinem Gehaltscheck, oder?“

„Ähm“, reckte ich meinen Kopf ein Stück nach hinten: „So gut kenne ich mich mit der Organisation hier nun auch nicht aus. Damit eigentlich gar nicht… Aber ich bin neugierig auf, nun ja“, ich drehte meinen Kopf in Richtung Statue und Bücher: „Das hier… Die Reaper, die ich getroffen habe, waren nicht gerade die Typen für Götzenverehrung. Deswegen frage ich mich was man tun muss, damit einem die Grim Reaper eine Statue bauen.“

Der Reaper lachte auf und hielt sich kurz den Bauch: „Na! Du musst atemberaubend sein. Total hervorragend und herausstechend! Einfach so wie er.“

Ich schielte einmal zu der Statue und dann zu dem immer noch lachenden Sensenmann: „Was hat er denn so tolles gemacht?“

„Vieles!“, rief er.

Ich neigte meinen Kopf auffordern ein Stück zu dem jungen Schnitter mit den fröhlichen Augen: „Zum Beispiel?“

„Er soll Seelen geholt haben, wie Marie Antoinette und Robin Hood!“, strahlte er weiter. Ich erinnerte mich, dass Ronald mir dasselbe erzählt hatte.

„Die waren sicher furchtbar zickig auf ihren letzten Metern!“, fuhr der Sensenmann fort: „Herrscher, Adel und Leute, die Großes bewirkt haben, wehren sich sehr oft sehr vehement und stürzen einige Reaper echt ins Unglück. Arme Tröpfe. Aber ihn! Ihn nicht! Man erzählt sich, dass weinende Kinder ihm freiwillig ihre Seelen überließen. Seine Augen sind legendär!“

‚Seine Augen... sind legendär?‘, mein Kopf baute abermals kleine Unfälle, als mir unwillkürlich diese zwei unglaublichen, kristallklaren Augen in den Sinn sprangen. Ich glaubte irgendwie sofort, dass diese Augen etwas ganz besonderes waren: „Warum seine Augen?“

„Es heißt, dass sie auf Menschen hypnotisierend gewirkt haben“, grinste der junge Reaper schon fast verschmitzt.

Ich schluckte trocken: „Wir… wirklich?“

Dass Undertakers Augen ungewöhnlich waren bejahte ich sofort, aber hypnotisierend? Das klang doch eher nach Fantasterei.

„Keine Ahnung“, kam sein Schulterzucken relativ unerwartet, hatte er doch vorher mit so viel Feuereifer erzählt: „Viel wurde sicher auch dazu gedichtet. Einige Ereignisse sind ja mittlerweile über 2000 Jahre her.“

„Tatsächlich? Welche?“

„Nun“, der Schnitter kratzte sich nachdenklich an der Nase und ich wandte meinen schief gelegten Kopf zu ihm: „Die Jagd auf Kain und Abel, die Schlacht bei Jerusalem, das Einsammeln der Seelen der Propheten und etlicher altertümlicher Könige. Seine To Do Liste war das Who is who des Altertums und vielen Epochen danach und...“

„Schlacht bei Jerusalem?“, ich legte den Kopf noch schiefer und der Junge blinzelte ein bisschen überrascht von meiner Unterbrechung: „Das klingt ja wie Krieg!“

„Das war Krieg“, grinste er irgendwie zu fröhlich: „Da war mal richtig was los!“

„Der Tod zieht in den Krieg?“, blinzelte ich weiter.

Ich hörte ein tiefes Wackeln hinter mir. Doch als ich mich umdrehte war nichts Außergewöhnliches zu sehen. Ich tippte, dass Jemand gegen eines der Regale gestoßen war.

Auch der junge Reaper hatte sich umgewandt und schaute dann kopfschüttelnd wieder zu mir, als auch er nichts Besonderes zu entdecken schien: „Da schon. Naja, er ist mit den andern 9 Alten und ein paar höheren Reapern nach Jerusalem gestiefelt. Die Babylonier haben Dämonen beschworen um Israel und Ägypten einzunehmen, ein paar Engel hatten allerdings einen ziemlichen Narren an Jerusalem gefressen. Wollten es ‚läutern‘ und ‚erstrahlen‘ lassen“, er wedelte einmal kurz mit seinen Händen auf Kopfhöhe herum, als wolle er heiliges Licht parodieren: „Sie konnten die Dämonen nur nicht richtig aufhalten, also haben sie versucht den Tod auszusperren, damit nur die starben, die sie tot sehen wollten. Irgendwie haben sie es geschafft ein paar Menschen abzuschirmen. Die Engel haben natürlich auch die Sensenmänner attackiert und Dämonen machen ja eh vor nix halt. Auf jeden Fall fanden die Alten ausgesperrt und attackiert zu werden nicht allzu lustig.“

Irgendwo kicherte jemand leise. Wieder drehte ich mich um: ‚Undertaker?‘

Niemand war zu sehen und die Bibliothek lag ruhig und friedlich hinter mir. Wenn ich Undertaker kichern hörte, stand er eigentlich immer genau hinter mir um mich damit zu erschrecken. Doch gerade stand niemand hinter mir. Wahrscheinlich hörte ich mittlerweile Gespenster. Es wurde Zeit mir Sorgen zu machen. Denn der Schnitter neben mir schien nichts bemerkt zu haben. Und mittlerweile wusste ich ja, dass Reaper aufgrund ihrer Kurzsichtigkeit ziemlich gute Ohren hatten. Er redete allerdings einfach fröhlich weiter: „Irgendwann war es ein großer, prügelnder Ball aus so ziemlich allem, was es so gibt.“

„Und wer hat gewonnen?“, fragte ich zögerlich, als ich den Kopf wieder zu der weißen Brille gedreht hatte. Es erklang ein leises ‚Wumps‘. Ich drehte mich erneut zu den Regalen. Eine kleine Staubwolke schwebte darüber hinweg.

Doch der Sensenmann schüttelte lachend den dunkelbraunen Schopf und ich wandte mich wieder zu ihm: „Der Tod gewinnt immer. Uns entkommt einfach keiner. Schon gar nicht, wenn sich die Alten darum gekümmert haben. Die waren so cool!“, kurz kicherte der junge Reaper in beide Hände, doch dann seufzte er. Ein weiteres leises ‚Wumps‘ ließ zwar meine Augen zur Seite zucken, doch ich richtete sie eigentlich sofort wieder auf den Reaper. Was die Shinigami da auch immer taten, interessierte mich nicht halb so sehr wie das, was der Junge mir nach dem Seufzen wohl zu erzählen hatte. Wahrscheinlich sortieren sie eh nur irgendetwas um oder machten Inventur, oder so.

„Naja“, schüttelte er den Kopf: „Das klingt alles so glorreich. Viele Reaper haben es nicht geschafft. Einer von den Alten ist dabei wohl auch drauf gegangen. Naja, schwere Zeiten. Doch wenigstens war es damals nicht so furchtbar langweilig.“

Der Spruch hätte auch von einem gewissen Jemand kommen können. Ich glaube der jungen Sensenmann und der Bestatter würden sich verstehen.

„Sascha?! Sascha, wo steckst du?!“, hallte eine Männerstimme durch die Bücherregale und sprach wieder eine andere Sprache. Ohrenscheinlich war es wieder deutsch: „Hast du Sascha gesehen?“

„Psssst!“, wurde ihr geantwortet.

„Hast du?“

„Nein“, antwortete das Pssst nach einem Räuspern dunkel. Irgendwie klang die Stimme komisch.

„Sascha!“

„Pssst!“

„Hilf mir oder halt die Klappe!“

Noch ein Räuspern: „Das hier ist eine Bibliothek!“

Der Junge kicherte in seine Hand.

„Wer ist das?“, fragte ich und schaute zu den Regalen.

„Mein Partner“, lachte er: „Und der Verfechter des Redeverbots ist einer der Bibliothekare.“

„Sascha! Unsere Schicht beginnt! Wir müssen los!“

„Ich komme!“, rief der Junge auf Deutsch. Er drehte sich nochmal kurz zu mir und schloss die Augen über dem breiten Strahlen, als er überschwänglich winkte und noch einmal auf Englisch umstieg: „Ich muss los oder meine Seele ist die erste auf der Liste. Mach‘s gut, Mädchen mit den Himmelaugen! Ich hoffe wir sehen uns so schnell nicht wieder!“

Der Reaper rauschte an mir vorbei und war wieder auf und davon. Ich schaute ihm ein bisschen hinterher. Dann schüttelte ich mit einen amüsierten Schnauben den Kopf. Schon wieder ein ‚Auf Nimmerwiedersehen‘. Ich schaute noch einmal zu der Statue: „Also auch noch ein Kriegsheld, hm?“

„Nehehehehe! Mach dich nicht lächerlich.“

„WA!“, ich sprang mit schlackernden Armen zur Seite. Jetzt hatte mich der Bestatter erschreckt!

Undertaker stand mit verschränkten Armen auf einmal genau neben mir. Sein Kopf kippte grinsender Weise zur Seite, sodass er mich anschauen konnte: „Tehehehe. Du bist so endlos neugierig.“

Ich atmete schwer. Dabei stellte ich fest wie sehr ich anfing es zu HASSEN wenn auf einmal, ohne Vorwarnung und vollkommen aus dem nichts, Leute neben mir auftauchten! Die Shinigami schienen einen Faible dafür zu haben: „Verdammt noch mal! Erschreck‘ mich nicht immer so!“

Undertaker lachte darauf hin nur: „Aber mir würde ohne dein possierliches Aufschreien etwas fehlen, liebe Skyler. Ehehehehehe!“

Ich ließ die Schultern hängen und zog eine Schnute: „Echt jetzt? Ich sterbe jedes Mal einen kleinen Tod und du findest das possierlich?“

Der Bestatter lachte lauter: „Pahahahahahahaha! Glaube mir! Sterbende Menschen sehen anders aus!“

Sein Kopf kippte ein Stück nach vorne. Dabei hüpfte der Pony ein Stück aus seinem Gesicht und das Lachen wurde zu einem breiten Lächeln, welches einen sehr sehr düsteren Touch hatte. Sein schmales, fluoreszierend grünes Auge blitzte in kaltem Amüsement: „Glaube mir, damit kenne ich mich aus. Ehehehe.“

„Keine weiteren Fragen, euer Ehren“, fiepste ich, machte große Augen und hob die Hände, als ich begriff was dieses düstere Lächeln eigentlich aussagte. Dass er sich damit auskannte, weil er schon oft genug dafür gesorgt hatte, dass jemand stirbt. Und das nicht nur durch seine Tätigkeit als Sensenmann, sollte man den vorherigen Gesprächen Glauben schenken.

Undertaker warf den Kopf wieder in den Nacken, als er erneut anfing laut zu lachen: „Ahahahahahahaha! Schaue nicht so, als ob ich dich fressen wolle!“

„Bist du sicher, dass du das nicht willst?“, sprudelte mein erster Gedanke vollkommen unreflektiert aus meinem Mund. Eine Röte getragen von purer Peinlichkeit flammte in meinem Gesicht auf, als mir wirklich bewusst wurde was ich gerade gesagt hatte.

Undertaker starb der Weilen einen langsamen, aber lachenden Tod. Ich versteckte mein Gesicht hinter meinen Händen, während ich mir wünschte endlich im Erdboden zu versinken.

„Wahahahahahahahahaha! Wie herrlich! Fuhuhuhuhuhu! Aber nein. Hehehehe! Heute habe ich gut gefrühstückt. Es wird nicht nötig sein.“

Ich riss die Hände vom Gesicht, als ich erschrocken feststellte wie nah seine Stimme war. Und tatsächlich hatte er sich mit in die Taille gestemmten Armen zu mir herunter gebeugt. Sein grünes Auge funkelte mir nun aus nur noch ein paar Zentimeter Entfernung entgegen.

„Ähm“, wischte das wohl intensivste Grün was ich je gesehen hatte mir erneut die Gedanken aus dem Kopf und trieb mir die Röte noch stärker auf die Wangen: „Du hast ein paar Löffel Marmite gegessen… Wie auch immer du das geschafft hast...“

„Ehehe. Das war mehr als du gegessen hast. Für den Augenblick reicht es. Aber vielleicht sollten wir zurück, damit wir das Abendessen nicht verpassen. Was sagst du? Tehe“, er schaute kurz auf seine alte Taschenuhr. Er muss sie sehr gut gepflegt und gehegt haben, denn sie tickte stramm und fleißig vor sich her: „Wir haben zwar noch etwas Zeit, hehehe, aber Sebastian schätzt Unpünktlichkeit nicht. Außerdem ist hier nun wirklich alles getan.“

„Ähm… Sind wir wirklich schon so lange hier?“

„Ihihihi. Ja. Schon eine ganze Weile.“

Ich seufzte: „Ich tippe Grell, Ronald und William bleiben hier, oder?“

„Warum sollten wir? Wir haben doch noch frei!“

„AAAAAAAHHHHHH!“, kreischte ich aufgrund der Stimme hinter meinem Rücken auf. Mein Herz setzte sehr schmerzhaft aus und ich sprang wie von der Tarantel gestochen in die Luft. Für einen Moment wackelte und ruckelte die ganze Welt. Mein Herz klopfte wild in meiner Brust und es tat furchtbar weh. Kalter Schweiß stand mir auf der Stirn. Ich keuchte als wäre ich gerade die Tour de France ohne Pause im höchsten Gang durch geradelt.

Ronald stand dort, wo eben noch hinter meinem Rücken gewesen war und lachte sich ins Fäustchen. Hinter ihm Grell und William.

„Du bist furchtbar gemein“, stemmte Grell in seinem unglaublich femininen Habitus einen Handrücken in die Hüfte und streckte selbige zur Seite heraus.

Ronald kicherte weiter in seinen schwarzen Handschuh: „Ich weiß. Hihi. Ich konnte es mir einfach nicht verkneifen.“

„DU!“, schrie ich und begann mit den Fußen zu strampeln und das, was auch immer ich umarmte, fester an mich zu drücken: „Bist doch ein kleines, verdammtes Arschloch! Hast du sie nicht mehr alle! Ich HASSE es! Ständig taucht irgendwer hinter mir oder neben mir auf und erschreckt mich zu Tode! SCHÖN, wenn IHR daran so viel SPAß habt, aber ICH habe keine LUST mehr darauf, KLAR?! Ihr seid doch alle nicht mehr ganz koscher! Es reicht ja nicht, dass Undertaker immer dafür sorgen muss, dass ich `nen halben Herzinfarkt bekomme, dann musst du Aushilfspausenclown nicht auch noch mitmachen! Und du willst ein Gentleman sein?!“

„Naja“, legte Ronald den Kopf schief und ich schaute ihn mit verärgert aufgeblähten Wangen an, als er die Arme verschränkte und weiter grinste: „So schlimm kann Undertaker ja nun auf nicht sein.“

Ich zog skeptisch Augen und Brauen zusammen, als ich die Andeutung nicht verstand: „Warum?“

Grell kicherte in die freie Hand hinein. William zog mit einem ungläubig, verständnislosen Blick seine linke Braue in die Höhe.

Ronald breitete die Hände aus, als er lachend den Kopf schüttelte: „Ehrlich jetzt? Das fragst du wirklich?“

Aus Grells Kichern wurde ein Lachen. William stützte einen Ellbogen auf den anderen Arm und sein Kinn in die Hand, als seine zweite Braue der ersten folgte.

„Was… habt ihr?“, fragte ich irritiert.

„Pahahahahaha! Fuhuhuhuhuhuhuhuhuhu! Ich hab da eine Theorie“, lachte eine sehr wohlbekannte Stimme direkt neben meinem Ohr. Mein Kopf flog herum und das Gesicht des Totengräbers grinste mir aus MEINEN EIGENEN Armen entgegen! Erst jetzt realisierte ich, dass ich gar nicht stand. Natürlich, ich hatte ja auch mit den Füßen strampeln können. Ich fühlte Druck in meiner Kniekehle und in meinem Rücken. Ich muss in meinem blanken Schreck dem Bestatter… vollkommen unbewusst… und ungewollt… in die Arme gesprungen sein. Ich merkte wie der Pegel meiner Schamesröte in Rekordzeit anstieg und ich mit weit aufgerissenen Augen in eine Art Schockstarre verfiel.

„Ehehehe! Willst du sie hören?“, grinste der Bestatter weiter.

Ich schüttelte nur den Kopf.

„Zeit nach Hause zu gehen“, lachte der Bestatter weiter und drehte sich um.

„Du… Du kannst mich ruhig runter lassen...“, murmelte ich, als der Leichengräber sich in Bewegung setzen wollte.

„Wie weit würdest du kommen? Hehe.“

„Haaaaaaa! Hinter dem verrückten Totengräber versteckt sich ja wirklich ein kleiner Gentleman“, hörte ich Grells Stimme hinter Undertakers Rücken, was unsere Konversation kurz unterbrach.

„Er schlägt sich ganz gut“, konterte Ronald halb lachend.

„Ach, pluster dich nicht so auf“, schnauzte Grell.

„Ihr könntet einfach Beide ruhig sein“, grätschte William in seiner gewohnt trockenen Art dazwischen.

Undertaker lachte leise, aber gewohnt schrill.

„Hm?“, machte ich reichlich ermüdet und von meiner Erschöpfung geplagt.

„Sind sie nicht süß? Ihihihihihihi!“, giggelte der Bestatter und grinste von einem Ohr bis zum Anderen.

Ich lachte leise mit: „Schon… Irgendwie. Aber du kannst mich jetzt wirklich runter lassen… Es war nicht meine Absicht dir… ja… ähm...“

„Mit reichlich Schwung um den Hals zu fallen? Hehe“, grinste der Totengräber.

„Ähm ja… Ich glaube... das beschreibt es ganz gut… Also... würdest du bitte?“

„Nihihi! Wie du wünschst“, Undertaker stellte mich sacht auf meine Füße und legte den Kopf schief: „Kannst du wirklich laufen?“

Ich nickte leicht.

William hatte uns überholt und die Hand auf ein Nichts gelegt. Die Luft riss auf und ich sah die Eingangshalle der Villa Phantomhive durch das Loch.

Nacheinander schlüpften wir durch das Loch.

Ronald streckte sich: „So viel Rennerei… und das an meinem freien Tag.“

Ich ging an Ronald vorbei: „Willst du dich wirklich beschweren?“

Ronald machte den Mund auf. Grell stupste in daraufhin mit dem Ellbogen an.

„Hey!“, Ronald stupste zurück, dann wieder Grell, wieder Ronald und so weiter. Die Beiden verfielen schnell in eine kleine Keilerei.

Ich blieb noch einmal stehen und beschaute das Schauspiel mit einer hoch und einer runter gezogenen Augenbraue. Undertakers Giggeln sickerte durch den großen Saal. Dann erschien William hinter den Beiden und brachte sie mit einem synchronen Klaps auf den Hinterkopf zum Schweigen.

Ich schüttelte kurz den Kopf und ließ die Grim Reaper hinter mir, die mittlerweile begonnen hatten darüber zu diskutieren ob es denn wirklich nötig gewesen war, dass William sie so harsch stoppte.

Wo genau ich hin wollte wusste ich gar nicht. Ich wollte nur irgendwie weg. Ich hatte das Gefühl alles was ich erfahren hatte, über Undertaker, die Shinigamis, über mich selbst noch die Erkenntnisse von heute früh, das alles steckte in meinem Kopf und es ging nicht vor und nicht zurück. Kopfschmerzen surrten wieder durch meine vollgestopften Gedanken, die zu keinem richtigen Denkprozess fähig schienen. Meine weichen Knie trugen mich zwar, doch hatte ich das Gefühl mein Körper wäre ein Bleiklumpen, der von zwei dünnen Strichhölzern getragen wurde. Mein flauer Magen gluckerte wieder. Ich schaute auf die Uhr auf meinem Handy: 15:14 Uhr.

Leise Schritte neben mir.

Meine Augen wanderten zu meiner rechten. Undertaker hatte mich mit ruhigen, aber zügigen Schritten eingeholt. Ich steckte mein Handy wieder in die Hosentasche. Sein Grinsen lachte mir entgegen, aber sein Auge musterte mich besorgt: „Hehe. Wohin des Weges?“

„Ich weiß nicht“, seufzte ich.

„Tihihihihi! Welch fantastisch ausgeklügelter Plan“, lachte der Bestatter ironisch. Dann wurde er ernster: „Du gefällst mir nicht.“

Ich steckte die Hände in die Hosentaschen: „Wundert dich das?“

„Nein“, gab der Bestatter zurück: „Das waren ja ein paar ziemlich ereignisreiche Stunden für dich.“

Ich schnaubte: „Ereignisreich… Ich bin ein Freak, verdammt...“

„Hehehe. Ach Sky“, klang die Stimme des Bestatters schon fast wie ein Seufzen: „Ich habe dir doch gesagt, dass...“

Ich hob die Hand und gebar dem Bestatter damit zu schweigen. Er blinzelte ein wenig verwundert.

„Bitte“, sagte ich: „Ich… möchte gerade nichts hören...“

„Was möchtest du dann?“

„Ich weiß es nicht...“

„Sky“, Undertaker stoppte meinen Gang indem er mich bei den Schultern nahm. Sein grünes Auge ruhte auf meinem Gesicht: „Du bist nicht allein.“

Ich schaute zu Boden und zog meine Augenbrauen zusammen: „… Wirklich?“

Eine Hand an meiner Wange hob meinen Kopf wieder an. Der Bestatter lächelte sanft: „Wirklich.“

Ich schloss mit einem traurigen Lächeln die Augen: „Danke… Aber ich glaube… Gerade möchte ich alleine sein...“

„Welt sortieren, hm?“

Ich nickte und die Hand verschwand: „Du solltest das Abendessen aber nicht verschmähen.“

Ich neigte den Kopf: „Gerade… kann ich nichts essen.“

„Sky“, sagte Undertaker bedeutungsschwer und ich wusste, dass ihm widerstrebte was ich sagte.

Doch ich schüttelte den Kopf: „Mach dir keine Sorgen. Ich mach das schon… irgendwie.“

„Und wie?“

„Erst einmal... muss ich meine Welt sortieren. Soweit es eben geht.“

„Wenn du etwas brauchst, rufe nach mir. Ich werde dich hören, versprochen.“

Ich seufzte erneut: „Mach dir nicht so viele Umstände wegen mir.“

„Wenn es nach mir ginge“, verschränkte der Bestatter die Arme: „Würdest du jetzt nicht alleine weiter ziehen. Doch wenn du dich so entscheidest. Bleibe bitte in der Nähe. Dann muss ich mir ein paar Sorgen weniger um dich machen.“

Ich blinzelte dem Bestatter in die mehr als nur smaragdgrünen Augen: „Du… machst dir wirklich Sorgen um mich?“

So ganz konnte ich das noch nicht glauben. Dass sich jemand wie Undertaker Sorgen um mich machte. Ein Jemand, der auf mehr Art und Weisen besonders war, als ich immer dachte. Ich hatte darüber hinaus das Gefühl ich hatte noch nicht alle Besonderheiten an dem skurrilen Bestatter gesehen.

„Natürlich“, lachte er. Er hob die Hand und die Rückseiten seiner kalten, langen Finger streiften kurz sanft meine rechte Wange. Ein Knistern ging dort durch die Haut und surrte durch meine Nerven. Eine Gänsehaut folgte dem Knistern und rieselte meinen rechte Arm herunter.

„Wie könnte ich nicht?“, fragte der Totengräber leise und lächelte mich weiter milde an.

Ich seufzte erneut, getragen von diesem innerlichen, doch unglaublich angenehmen, Schaudern: „I-Ich... bin ok. Gib mir… nur ein bisschen Zeit, ja?“

Die Hand, die eben noch meine Wange gestreift hatte, wanderte vor den giggelnden Mund des Leichengräbers: „Ihihihi. Wie gesagt: Wenn du das wünschst kann ich dich nicht aufhalten.“

Ich wusste, er konnte. Natürlich konnte er. Aber mein Herz ging auf, als er meine Entscheidungen und meine Gefühlslage respektierte.

Irgendwie dann doch mit einem gewissen inneren Widerstand wandte ich mich ab und durchquerte die Eingangshalle. Ich schlüpfte durch eine Türe in den Garten und die kalte Novemberluft schlug mir entgegen. Hier, in der Menschenwelt, war es kälter als im Reaper Realm. Um einiges sogar. Doch ich hatte nicht die Muse umzudrehen und mir eine Jacke zu besorgen. Also nahm ich nur die vorderen Säume meines Cardigans und schob sie übereinander. Auch neigte sich die Sonne gen Horizont und der Himmel driftete langsam in eine satte Abendröte. Mit verschränkten Armen ging ich zügig über das noch grüne Gras, den Bach entlang. Die kalte Novemberluft ließ mich frösteln und wehte durch meinen umgestürzten Kartenhaufen von Gedanken.

Irgendwann… saß ich am Bach. An derselben Stelle, wo ich gestern noch mit Undertaker gesessen und den kleinen Schiffen zugeschaut hatte.

Mein Kopf ratterte schmerzvoll, ohne dass ich wirklich dachte und irgendwann fiel ich auf den Rücken und blieb alle 4re von mir gestreckt liegen.

Ich schaute in den blauen Novemberhimmel, in den sich ein rot-orangener Schein mischte und der kühle Wind einige Schäfchenwolken vorantrieb: „Hast du einen guten Rat für mich Oma? Irgendeinen?“

Ich schloss meine schweren Augen. Natürlich wusste ich, dass meine verstorbene Großmutter mir nicht mehr antwortete. Es war nur umso tragischer, da sie immer einen guten Rat gehabt hatte. Sie starb als ich 4 war, doch ich wusste noch ganz genau wie sie aussah, wie sie gewesen war und dass sie vielleicht nicht immer eine Antwort, aber immer einen Ansatz zur Lösung parat gehabt hatte. Doch sie war fort und ihre Ratschläge und Ansätze mit ihr. Erinnerungen tanzten durch meinen Kopf. Meine Oma hatte immer ein Lied mit mir gesungen. Ich liebte dieses Lied. Ich hatte es nie vergessen. Die Stimme meiner Großmutter schwirrte durch meinen Kopf. Singend. Sie sang so schön. Ein Lächeln schlich auf mein Gesicht, während ich wieder auf die Wolken schaute die langsam vorbeizogen. Obwohl es so schöne Erinnerungen waren, taten sie so furchtbar weh: ‚♪ Old Roger is dead and he lies in his grave, lies in his grave, lies in his grave. Old Roger is dead and he lies in his grave, ay ee aye over...♫‘

Ich hatte als kleines Kind immer darüber gelacht und versucht mitzusingen. Doch ich hatte nie so schön geklungen wie sie. Das hatte mich schon als junges Kind frustriert. Meine Oma hatte dann gelacht: ‚Immer mit der Ruhe, meine Kleine. Irgendwann schaffst du es.‘

Dann hatten wir immer gemeinsam weiter gesungen, egal wie schief es war: ‚♪ They planted an apple tree over his head, over his head, over his head. They planted an apple tree over his head, ay ee aye over...♫‘

Ich atmete einmal tief durch: „...♪ The apple got ripe and began to fall, began to fall, began to fall. The apples got ripe and began to fall. Ay ee aye over...♫“

Meine Stimme zitterte als ich leise gesungen hatte. Denn mir waren schon wieder die Tränen in die Augen gestiegen. Nicht zwingend, weil ich mit mir selbst so unsagbar im unreinen war, sondern eher, weil ich mir einmal mehr gewahr wurde wie furchtbar ich meine Großmutter vermisste. Ich drehte mich auf die Seite, fasste an mein Medaillon und schaute auf die vielen grüne Grasstängel.

„Jetzt kann ich es Oma...“, flüsterte ich ins Gras: „Doch was tue ich nun?“

Warum ich mich jetzt an all das erinnerte, ich wusste es nicht. Ich hatte doch eigentlich viel anderes über das ich nachdenken musste. Flüche wurden vererbt, hatte Undertaker erklärt: „Von wem habe ich das…?“

Von ihr vielleicht? Doch meine Großmutter war eine so wunderbare Frau gewesen. War das ein Ausschlusskriterium? Ein guter Mensch zu sein? Wie mein Vater so verkommen konnte, war mir immer ein Rätsel gewesen. Ja, diese Frau war die Mutter meines Vaters gewesen. Die wunderbarste Frau die ich kannte, erzog den Menschen der mein Leben 3 Jahre zu der Hölle auf Erden gemacht hatte. Mit ihrem Tod hatte sich alles verändert. Mein Vater hatte sich verändert. Zumindest hatte meine Mutter immer gesagt, er sei eigentlich ein ganz wunderbarer Mensch. Irgendwann mal gewesen, vielleicht. Für mich war er ein Monster. Solche Leute waren Monster, nicht Wesen wie der giggelnde Totengräber. Ich hatte meinen Vater, als ich ganz klein war, nicht oft gesehen, da er im Ausland im Einsatz gewesen war. Jahrelang. Ich wusste also kaum was für ein Mensch er vorher gewesen war. Ich konnte mich einfach nicht erinnern. Doch nach Omas Tod war er endgültig nach Hause zurückgekommen, weil er unehrenhaft aus der Britsh Army entlassen wurde. Von da an war mein Leben, mein Zuhause ein feindseliger Ort gewesen. Ein grausamer Ort, der mir Angst machte. Und immer noch macht. Ein grausamer Ort wo es niemanden mehr gab, der sich um mich scherte. Denn meine Großmutter, sie war ja tot.

Eine Träne fiel von meiner Wange.

Obwohl ich den Worten des Bestatters wirklich glaubte, fühlte ich mich furchtbar alleine. Denn im Endeffekt musste nur ich mit mir selber leben und ich wusste gerade nicht wie das gehen sollte. Eigentlich hatte ich das noch nie wirklich gewusst. Ich dachte immer es kommt Zeit und damit auch Rat. Das ich irgendwann erwachsen war und es dann schon funktionierte. Irgendwie. Doch nun? Nun war ich erwachen. Doch… wer war ich überhaupt? Was war ich? Trotz aller so aufmunternden Worte hatte ich Angst gefährlich zu werden. Was war, wenn ich ausversehen andere Schüler verletzte? Oder sogar Amy? Was sollte ich denn dann tun? Was sollte ich jetzt noch von mir halten? Entkräftet schloss ich meine Augen, doch auch so konnte ich die Tränen nicht halten, die unentwegt weiter in das grüne Gras tropften. Ich wusste nicht wie lange ich dort gelegen hatte und meine Gedanken wälzte. So unfassbar ergebnislos. Ich dachte über alles nach. Gleichzeitig. Unsortiert. Total wirr. In meinem Kopf regierte das Chaos. Die Gedanken über das was ich heute erfahren hatte wurden ständig von Gedanken an meine Familie unterbrochen. Ich hatte das Gefühl innerlich daran auseinander zu fallen. Ich war mir ganz sicher, dass ich wirklich auf dem besten Weg war endgültig verrückt zu werden und an den Schmerzen, an der Angst und an diesem Gefühl der alles verzehrenden Einsamkeit in mir zu ersticken. Und ich konnte nichts dagegen tun. Ich lag einfach so im Gras, hörte viel zu weit entfernt den Bach vorbei rauschen und war vollkommen ohnmächtig gegenüber allem was in meinem Kopf vor sich ging. Gegenüber den Tränen, die den Rasen gossen. Meine Hände waren von der Novemberkälte schon ganz taub, aber wirklich erreichen tat mich das frieren nicht. Denn mein Körper fühlte sich an, als sei er eigentlich gar nicht da. Ich war eine Gefangene meines eigenen Kopfes und mir wurde gar nicht klar, dass ich im Gras liegend den Bezug zu Realität oder zu meiner Umgebung eigentlich schon gänzlich verloren hatte. So auch den Bezug zu mir selbst. Hatte ich immer das Gefühl gehabt zu normal zu sein, fühlte ich mich nun zu abnormal. Von einem Extrem ins Nächste, was nicht wirklich ein besseres Gefühl war. Perfekt? Ich war nicht perfekt. Zum ersten Mal glaubte ich, dass der Bestatter mich tatsächlich belogen hatte. Wahrscheinlich, damit es mir besser ging, doch machte auch dies das Gefühl nicht besser. Wie stand es denn um mich, wenn ein so Grund auf ehrliches Wesen das Gefühl hatte es müsse mich belügen, damit ich auch nur ansatzweise mit der Situation zurechtkam? Ab gesehen der Tatsache, dass ich es nicht tat. Ich kam mit der Situation nicht zurecht. Ich hatte keine Ahnung wie. Irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit, die sich wie eine anfühlte, aber irgendwie auch nicht, atmete ich das erste Mal aktiv daran denkend durch. Dabei rollte ich mich im Gras zusammen und versteckte mein Gesicht hinter meinen Armen: „♪ ...And then an old woman came picking them up, picking them up, picking them up. And then an old woman came picking them up, ay ee aye over...♫“

Etwas landete auf mir: „♪Old Roger got up and gave her a whack, gave her a whack, gave her a whack. Old Roger got up and gave her a whack, ay ee aye over.♫“

Ich hatte die Stimme sofort erkannt. Ich hörte sie jeden Tag. Diese Erkenntnis holte mich ein weiteres Stück in die Realität um mich herum zurück.

„...Was machst du hier, Amy?“, fragte ich ohne mein Gesicht aus den Armen zu nehmen.

Amy setzte sich ungefragt neben mich ins Gras: „Dasselbe könnte ich dich fragen.“

„Selbstfindungsphase...“, blieb ich zusammengerollt liegen.

„Erfolgreich?“

„Nicht ansatzweise...“

„Übel.“

„Oui...“

„Was kann ich für dich tun?“

„Nichts...“

„Sicher?

„Glaube schon...“

Amy seufzte: „Die Shinigamis haben uns alles erzählt.“

„War‘s interessant?“

„Unerwartet. Deswegen dachte ich, ich schau‘ mal nach dir.“

„Es geht mir gut Amy...“

„Du siehst nicht so aus.“

Ich schwieg. Ich wusste weder was ich Amy antworten sollte, noch hatte ich dazu die nötige Lust. Mein Kopf war voll, heiß und schmerzerfüllt genug. Da brauchte ich nicht noch eine Konversation, auf die ich mich konzentrieren musste.

Amy wusste, dass ich in schwierigen Situationen nie zum Sprechen aufgelegt war. Also sprach sie dann meistens solange über irgendetwas, bis ich mich erbarmte zu antworten. Sie ließ nie zu, dass ich mich vergrub, so wie ich es früher immer getan hatte, als ich noch vollkommen alleine war. In einem Kinderheim hatte man niemanden zum Reden. Seit ich Amy an meiner Seite hatte, hatte sich viel verändert. Die junge Phantomhive seufzte: „Weißt du?“, begann sie: „Du bist sicher ein bisschen durcheinander, aber… wenn ich ganz ehrlich bin… Macht mich das froh.“

Ich nahm mein Gesicht aus den Armen. Meine Augen wanderten zu Amy. Sie hatte die Arme locker um ihre angezogenen Knie gelegt und ihre langen, wilden Haare wogten in einer kleinen Brise, die mich frösteln ließ: „Wie meinst du das?“

„Nun ja“, Amys Augen klebten an dem kleinen Bach: „Ich… bin anders, Sky. Schon immer gewesen. Von dem Tag an dem ich geboren wurde, war in meinem Leben nichts normal. Und das wird sich auch nie mehr ändern. Meine Schulbrote wurden mir von einem Dämon geschmiert und mein Patenonkel, der früher ab und an auf uns aufgepasst hat, wenn meine Eltern mit Sebastian im Ausland waren, ist ein vollkommen verrückter und ewig lachender Sensenmann in Frührente. Das waren wahrscheinlich ziemlich verrückte Wochenenden für zwei Grundschüler, hahaha! Naja... mein erstes Gespräch über Jungs hatte ich übrigens nicht mit meiner Mum, sondern mit Grell und erklären wie Jungs ticken wollte mir nicht mein Vater, sondern Ronald… beides ebenfalls Reaper. William war 3 Jahre mein Nachhilfelehrer in Mathe und glaube mir, das war nicht schön und der beste Freund meines Bruders, mit dem auch ich eng aufgewachsen bin, war von vorne rein ein Anwärter auf eine Führungsposition bei den Triaden. Die Beiden waren auch die einzigen Gleichaltrigen, die eine Ahnung hatte was hinter der höflicher Fassade Sebastians steckt. Sie waren die Einzigen die wussten, wie es hinter Undertakers langen Haaren wirklich aussah. Nur mit ihnen konnte ich mich über das verrückte Zeug unterhalten was uns mit Will, Ron und Grell so passierte. Und es war eine Menge verrücktes Zeug passiert. Sie waren die Einzigen in meinem Alter die verstanden, wie es um Tod und Sterben wirklich steht. Wie diese Welt wirklich ist und sie funktioniert. Und es sind beides Jungs… und älter als ich. Nur ein paar Jahre, aber für sie machte das einen signifikanten Unterschied. Ich hatte nie das Gefühl… dass mich jemand verstand, verstehst du? Dann kam ich auf das College und traf dich. Dann verstand mich endlich jemand. Doch über alles konnte ich mit dir auch nicht reden. Du hast mir erlaubt einen Teil deiner Welt zu werden, obwohl du so viel erlebt hast und ich wollte dich auch an meiner Welt teilhaben lassen, doch… das durfte ich nicht...“

Ich setzte mich auf, als Amy die Augen nieder schlug. Dabei merkte ich, dass das was auf mir gelandet war mein Poncho war. Mittlerweile war es komplett dunkel. Ich muss wohl einige Zeit hier gelegen haben. Ich schaute auf mein Handy: 18:56 Uhr. Also waren es 3 Stunden und 42 Minuten gewesen.

Amy fuhr sich betrübt durch die Haare: „Du hättest wahrscheinlich relativ normal gelebt, hättest du mich nie getroffen, Sky. Oder hätte ich dich nicht in die Villa mitgenommen. Doch… es macht mich irgendwie froh, dass… gerade du auch anders bist… Denn… dadurch fühle ich mich nicht mehr so alleine damit. Und naja… wir sind beste Freunde, oder? Jetzt kann ich wirklich mit dir über alles reden,“ Amy ließ den Kopf hängen und ihr Gesicht verschwand hinter ihrer dichten schwarzen Mähne: „Auch wenn das furchtbar egoistisch ist. Ich freue mich, dass du dein normales Leben losgeworden bist, nur damit ich jemanden zum Reden habe...“

Ich legte Amy meine Arme um den Hals und meine Schläfe auf ihre Haare: „Das ist nicht egoistisch. Du warst immer für mich da und jetzt kann ich endlich richtig für dich da sein. Das ist definitiv einer der positiven Aspekte an der ganzen Sache und das ich jetzt auf dich aufpassen kann.“

Amy hob den Kopf und schaute mich ein wenig verwundert an: „Denkst du das wirklich? Und was meinst du mit ‚auf dich aufpassen‘?“

„Nun“, ich legte den Kopf schief: „Undertaker bat mich in deiner Nähe zu bleiben und Alarm zu schlagen, wenn Claude oder sonst jemand von denen bei dir auf der Matte stehen sollte. Er sagte… ich sei ein kleiner Dämonenradar und das sei überaus praktisch...“

Amy blinzelte: „Kleiner Dämonenradar? Schön und gut. Vielleicht… Wahrscheinlich. Aber ich will nicht, dass dir wegen mir etwas passiert, Sky. So wie gestern. Das könnte immer wieder passieren.“

Ich schüttelte den Kopf: „Wir sitzen jetzt in einem Boot, vergessen?“

Amy lächelte wieder: „Du hast recht“, dann knuffelte sie mich zurück: „Du bist der Hammer, Sky!“

„Du viel mehr“, flüsterte ich und warf uns beiden meinen Poncho über die Schultern.

Eine Zeitlang schwiegen wir, die Arme umeinander gelegt. Ich spürte wie mein überstrapaziertes Gehirn ein wenig herunter fuhr und das schlechte Gefühl in meinem Magen nach ließ.

„Bist du auch verflucht, Amy?“, brach ich schließlich die Stille.

Amy lachte auf: „Hahaha! Nein! Nein, wir sind nicht verflucht. Doch trotzdem wahrscheinlich anormaler, als du.“

Ich stutzte: „Ok… Es hätte mich nicht gewundert, ich meine ihr habt Sebastian und… Naja ihr habt Sebastian, das reicht eigentlich.“

Amy nickte und schaute mich an: „Du denkst Sebastian hätte uns irgendwann mal verflucht? Nein nein, das hat er nicht. Es wäre nur umständlich, wenn das Essen sich wehren könnte.“

„Das...“, ich stockte: „Das Essen!?“

Amy nickte erneut: „Die Gegenleistung für Sebastians Dienste ist die Seele des Earls Phantomhive. Also die meines Vater und irgendwann die von Fred.“

„Aber… Aber du…?“

Amy schüttelte lachend den Kopf und schloss kurz die königsblauen Augen: „Ich bin in der Erbfolge zu weit unten. Doch sollten Fred und Papa sterben, bevor Fred Kinder hat oder die Kinder alt genug sind, würde ich einspringen. Aber Sebastian passt auf uns auf, die anderen Aristokraten und Undertaker auch.“

Ich seufzte: ‚Undertaker...‘

Amys königsblaue Augen schauten mich wieder an: „Du hast doch noch mehr.“

Ich lachte kurz ohne amüsiert zu sein: „Ronald hat mir ein bisschen was erzählt… und ein anderer Reaper auch… über Reaper so allgemein und… ja… und...“

„Undertaker?“, fuhr Amy fort.

„Woher weißt du das?“, blinzelte ich sie an.

„Nun“, Amy lachte: „Über ihn gibt es wahrscheinlich das Meiste zu erzählen. So als Legende.“

„Ihr wisst das?!“

„Er hat sich vor einigen Jahren mal geoutet, ja.“

„Und wie habt ihr reagiert?“

„Wir?“, Amy lachte wieder: „Vor einigen Jahren ist ungefähr 120 Jahre her! Wir haben gar nicht reagiert. Zu der Zeit hat keiner daran gedacht, dass wir überhaupt mal existieren könnten. Aber Wissen wird bei uns immer weitergegeben. Denn Wissen ist Macht. Die Phantomhives haben ihre Position nicht nur durch Sebastian, sondern weil sie schlicht und einfach wissen wie diese Welt eigentlich wirklich funktioniert.“

Ich seufzte: „Ich habe irgendwie das Gefühl, dass ich niemanden hier wirklich kenne...“

„Mich kennst du“, lächelte Amy: „Trotz allem.“

Ich schaute sie von unten an: „Wirklich?“

Die Phantomhive drückte mich fester an sich: „Natürlich! Ich habe mich nie verstellt. Du bist meine allerbeste Freundin, Sky. Nein. Du bist meine Schwester! Für mich bist du eine Schwester und ich wäre tot traurig ohne dich.“

Eine weitere, nun etwas steifere Brise, rauschte kurz über uns beide hinweg. Ich überlegte ein paar Minuten, doch konnte keinen ordentlichen Satz als Antwort darauf formulieren. Natürlich. Auch für mich war Amy wie eine Schwester. Der wichtigste Mensch in meinem Leben. Und nicht einmal ein Dämon würde sie mir wegnehmen. Zumindest würde ich das nicht einfach so zulassen.

„Lass uns zusammen total anders sein“, lachte Amy schließlich leise: „Wir rocken das.“

„…Wirklich?“

Amy nickte: „Klar!“

Ich schloss kurz meine müden Augen: „Du bist die Beste, Amy… Ich passe auf dich auf. Für immer. Versprochen.“

„Hmmm, ich habe wirklich keine große Lust von den Trancys entführt zu werden. Aber solange du in der Nähe bist, bin ich ja sicher.“

Wir beide schauten einander an. Dann lachten wir uns gegenseitig ins Gesicht und mit dem Lachen mit meiner besten Freundin schwand ein Stück der schweren Unsicherheit.

„Und nun erzähl!“, Amy piekste mir in die Wange: „Was an Undertaker beschäftigt dich?“

Ich schlug die Augen nieder, als ich mir abermals ein paar Minuten zum Überlegen nehmen musste. Mich beschäftigte in seiner Sache vieles: Seine Einstellung zu seinem alten Leben, das totale Abstreiten jedes Lobes, sein Verhältnis zu den Menschen, den Shinigamis und die Tatsache, dass er selber von sich sagte, er sei ein mordendes Monster.

„Also… ähm… eigentlich… Am meisten stört mich, dass er sich selbst als ein mordendes Monster sieht… Ich meine er ist doch gar kein… Monster. Dafür ist er viel zu lieb.“

„Er ist lieb“, nickte Amy: „Und er ist ein Mörder.“

„...Ehrlich?“, fragte ich unsicher.

Amy nickte wieder: „Selbst Fred und Lee haben schon Blut auf ihrer weißen Weste und die sind viel kürzer dabei, als Undertaker. Die Aristokraten agieren im Londoner Untergrund, Sky. Das ist gefährlich und viele… Zielpersonen sind echt nicht nett. Hin und wieder sind es nicht einmal Menschen. Ich glaube teilweise… machen sie die Welt so zu einem besseren Ort. Es ist nicht so, dass es jeden Tag vorkommt. Es ist eher die Ausnahme. Meistens landen die Typen fein säuberlich mit einer roten Schleife verschnürt vor dem Türen des Scotland Yards, daneben ein Päckchen voller Beweise und ein Grußkärtchen mit Sebastians Handschrift. Undertaker selber schustert ihnen meistens nur Informationen zu. Für die Angelegenheiten mit Menschen brauchen sie von ihm auch gar nicht mehr. Er geht nur mit an die Front, wenn es sich um Übernatürliches handelt und selbst dann nur, wenn die Wesen wirklich stark sind… oder bei Geistern. Kommt noch seltener vor. Also mach nicht so ein Gesicht!“

Ich seufzte: „Das ist eine sehr schmutzige Ansicht von Gerechtigkeit, oder?“

„Diese Welt funktioniert aber so. Auch Gangster haben Netzwerke. Sie wegzusperren stoppt sie nicht. Gefängnis ändert sie auch nicht. Sie lernen nur es besser zu verstecken.“

„Wo du recht hast“, seufzte ich nochmal.

Ich hatte auf einmal ein ganz eigenartiges Gefühl. Ich rollte die Schultern um es zu vertreiben.

„Denkst du jetzt anders über uns?“, fragte Amy leise.

Doch ich schüttelte den Kopf, als ich den Gedanken an das komische Gefühl zur Seite schob: „Ihr… macht das ja für das Gemeinwohl und rennt nicht lachend und tötend durch die Gegend, oder?“

„Natürlich nicht!“

„Also“, ich schaute auf den Bach: „Es ist eher tragisch, dass wir in einer Welt leben, wo die Guten sowas machen müssen.“

Wieder rollte ich die Schultern. Das Gefühl kribbelte in meinem Nacken und gab nicht nach. Ich rieb ihn mir.

Amys Blick folgte meinen: „Ja. Wenn du sie als die Guten sehen willst hast du wohl recht, aber “, sie seufzte: „Sie heißen nicht ohne Grund Aristokraten des Bösen und nicht Justice League“, dann stand die Phantomhive auf und warf mir ihren Zipfel meines Ponchos über die Schulter. Sie musste auch nicht mehr sagen. Ich hatte schon verstanden. Die Aristokraten des Bösen machten sich die Hände schmutzig, wenn sie mussten und zwar ohne vorher mit der Wimper zu zucken. Ich streckte meine Wirbelsäule aufgrund des komischen Gefühls in meinem Nacken und rieb ihn mir ein weiteres Mal. Es war nicht das komische Zippen, was mich schon in der Welt der Shinigami befallen hatte. Es war eher wie im Flur, kurz bevor Claude aufgetaucht war. Amber streckte mir eine Hand hin und lies mich aus meinen Gedanken über mein komisches Gefühl aufblinzeln: „Komm. Das Abendessen ist fertig.“

Ich blinzelte sie über meine Schulter an: „Woher weißt du das?“

Die Hand, die Amy mir entgegenstreckte, zeigte auf einmal mit ihrem Zeigefinger nach links. Meine Augen folgten dem Finger. Ein paar Meter entfernt stand Sebastian und winkte freundlich lächelnd. Natürlich. Sebastian war ja auch ein Dämon. Schlechtes Gefühl = Dämon. Eine Gleichung, die in nächster Zeit sehr wichtig werden könnte. Jetzt wo wir ihn gesehen hatten, kam der Butler ohne Eile näher.

„Sebastian kommt selbst?“, fragte ich und schaute Amy an.

Sie zuckte mit den Schultern: „Wenn er sicher gehen will, dass Dinge auch wirklich passieren, kommt er immer selbst. Doch ich frage mich was er sicherstellen muss.“

„Ich mich auch“, kratzte ich mich an der Schläfe.

Sebastian verbeugte sich, als er bei uns angekommen war: „Myladys? Das Abendessen steht bereit. Die Herrschaften erwarten sie.“

Ich schaute ihn immer noch verwundert an. Der Butler richtete sich auf, schloss beim Lächeln seine rostroten Augen und zeigte mit einer Hand in Richtung Manor: „Der Earl und die Countess möchten sicher gehen, dass ihr etwas zu euch nehmt, Lady Rosewell.“

„Oh...“, machte ich und stand auf. Ich fühlte mich immer noch ein wenig schwächlich, doch Hunger hatte ich nach den Ereignissen des Tages nun wirklich nicht: „Sebastian… ich...“

„Der Meister und seine Gattin scheinen nicht diskutieren zu wollen“, hob Sebastian immer noch mit geschlossenen Augen lächelnd einen Zeigefinger: „Sie machen sich Sorgen um Ihre Gesundheit.“

Ich schaute Amy an. Sie verschränkte die Arme: „Ich sehe das genauso. Der Tag war anstrengend. Du musst essen, Sky.“

„Aber...“, doch Amy harkte sich bei mir ein und unterbrach mich: „Lass uns gehen, Sebastian!“

„Wie ihr wünscht, junge Lady“, legte der Butler eine Hand aufs Herz und ging uns dann voraus.

Kaum waren wir fast an der Villa angekommen, erreichte uns ein ungeahnter Lärm.

„Nicht so fest, verdammt!“

Ich erkannte die Stimme. Sie gehörte zu Ronald. Kurz darauf heulte ein Motor auf. Durch das Heulen des Motors mischte sich ein Lachen, welches ich auch sofort erkannte. Ich erkannte es noch schneller, als die Stimme des jungen Reapers: „Stell dich nicht so an! Ahahahahaha! Du wolltest trainieren. Dann gebe dir auch Mühe!“

Es erklang das Krachen von Metall auf Metall.

„Was ist denn da los?“, fragte ich ratlos, als wir an der letzten Baumgruppe vorbei gelaufen waren und ich die Szenerie ganz erblicken konnte.

Ronald und Undertaker hieben mit ihren Death Scythes auf sich ein. Naja, zumindest versuchte Ronald es, wurde von dem Bestatter aber immer mehr als leichthändig abgewehrt und musste dann dem Blatt der langen, silbernen Sense ausweichen. Einigen Schnitten in seinem Anzug nach, schaffte er es wohl nicht immer.

„Die Herrschaften trainieren“, antwortete der Butler trocken: „Sie belagern dafür den Garten des Öfteren.“

„Und Alex sagt nichts dagegen?“, fragte ich ein weiteres Mal, als wir der Szenerie näher kamen. Hinter den beiden Trainierenden lag Grell auf einer Gartenliege aus Korb. Er schien unbeeindruckt von der Szenerie, schlürfte an einem fast leeren Cocktail, hatte die Augen geschlossen und Brille in die Haare geschoben. Der Kontrast zwischen dem die Seele baumeln lassenden Grell, dem angestrengten Ronald und dem lachenden Bestatter war schon irgendwie lustig. Es wirkte auch wieder so harmonisch, obwohl Undertaker Ronald mächtig zusetzte. Wie die Drei es schafften dabei so friedvoll auszusehen, war mir ein Rätsel.

„Nein“, antwortete der Butler: „Die Shinigami haben nicht oft die Möglichkeit sich zu treffen. Ihre Arbeitszeiten sind recht streng.“

Ich nickte, während das Klirren der ungewöhnlichen Waffen, begleitet von Ronalds Ächzen und Undertakers Lachen, durch den Garten surrte.

„Au! Au, au, au!“, jammerte Ronald und wedelte mit einer Hand, auf die er gerade den Kopf von Undertakers Skelettezierde bekommen hatte: „Man, verdammt!“

Der junge Reaper griff seinen Rasenmäher und hob ihn über die Schulter, als er nach vorne stürmte: „Ich krieg dich noch!“

Undertaker drehte sich einfach aus der Bahn, als Ronald seinen Rasenmäher herunter fahren ließ: „Ehehehe! So nicht“, haute er Ronald mit dem Totenschädel auf den Hinterkopf.

Ronald wandte sich um und schlug ein weiteres Mal mit dem drehenden Blatt seines Rasenmähers zu. Es drehte sich auf der silbernen Sense. Funken flogen durch die Luft. Doch Undertaker ließ die Sense mit einem Lachen nach oben schnaken, was Ronalds Rasenmäher wegstieß und den Reaper ihm hinterher nach hinten ins Gras kippen ließ.

„Wieso?“, machte Ronald auf dem Boden: „Was mache ich falsch?“

Er setzte sich auf und beschaute das mittlerweile stehengebliebene Blatt seiner Waffe: „Ist was mit meiner Death Scythe nicht in Ordnung?“

Undertakers Sense verschwand: „Ehehehehe. Steck sie weg.“

„Was?!“, rief Ronald aus und schaute Undertaker an: „Ich stecke doch nicht meine Death Scythe weg! Ich will noch nicht sterben, verdammt!“

Undertaker schüttelte lachend den Kopf, als er seine Arme verschränkte: „Ehehehe. Herrje, herrje. Mit deiner Death Scythe ist alles in Ordnung. Du bist das Problem.“

Ronald Schultern sanken ein Stück und er ließ den Kopf hängen: „Ja… Eigentlich weiß ich das...“

Undertaker seufzte. Er ging auf den Blonden zu und legte ihm verständnisvoll die Hand auf den Kopf: „Schau nicht so schwer. Das ist ja furchtbar! Ehehehehe, du bist jung, Ronald. Da kann noch viel passieren.“

„Da muss viel passieren...“, seufzte der Reaper mit hängendem Kopf: „Ich hänge William und Grell immer wie ein Klotz am Bein...“

„Das hast du gesagt“, säuselte Grell auf seiner Liege an seinem Strohhalm vorbei.

„Tehehehe! Ich glaube auch nicht, dass es so schlimm ist. Ehehehe. Du hast Talent, Ronald. Es fehlt dir lediglich noch ein bisschen an Übung.“

„Ich weiß… ich müsste viel geübter sein...“, wirkte Ron immer noch unfassbar niedergeschlagen.

„Woher willst du die denn haben?“, sprach Grell wieder ohne seine Augen zu öffnen und unterbrach seinen Satz kurz, als er den letzten Rest seines Cocktails geräuschvoll durch den Strohhalm zog: „Wie gesagt, du bist noch jung.“

„Aber...“

„Nichts aber“, unterbrach ihn Undertaker und wuschelte final durch den kurzen braun- blonden Schopf: „Höre auf dich zu beschweren und steh auf. Death Scythe weg! Ehehehe! Du bist gut mit ihr, aber du musst deinen Körper besser unter Kontrolle bekommen und deine Reflexe müssen besser werden.“

Der Rasenmäher verschwand und Ronald erhob sich: „Das wird jetzt richtig wehtun, oder?“

Undertaker lachte mit seinem breiten Grinsen im Gesicht: „Tihihihi! Wahrscheinlich.“

Dann zog er sein Bein hoch. Ronald konnte gerade so beide Arme vor seine Nase heben um nicht frontal im Gesicht getroffen zu werden. Er rutschte mindestens zwei Meter über das Gras nach hinten.

Mir klappte der Mund auf. So leger wie Undertaker sein Bein hochgezogen hatte, hatte es fast fahrig gewirkt. Nie im Leben hätte ich diesen Tritt so viel Schwung zugesagt.

Ronald schüttelte mit verzogenem Gesicht seine anscheinend schmerzenden Arme aus, hatte aber keine Zeit ihnen weitere Aufmerksamkeit zu schenken. Denn der Bestatter war einfach von seinem Platz verschwunden und direkt vor seine Nase wieder aufgetaucht. Ronald tauchte unter dem Schlag hinweg, beugte sich nach vorne und wollte Undertaker wohl in die Magengrube schlagen. Doch in dem Moment war der Totengräber auch schon wieder verschwunden, hinter Ronald aufgetaucht und hatte ihm in den Rücken getreten. Die Beiden waren unglaublich schnell. Ich konnte die Bewegungen fast nicht sehen. Ein weiteres Mal landete Ronald im Gras: „Autsch… Jetzt weiß ich warum man als Mann Absätze trägt… Tut das weh...“

Sebastian klatschte in die Hände: „Meine Herren?“

Undertaker wandte den Kopf um und Ronald stützte sich auf die Hände. Grell sprang auf einmal auf Sebastian zu und sein Glas segelte durch die Luft: „Bassy!~♥“

Sebastian schritt zur Seite, fing das Glas und auch Grell landete im Rasen: „Das Abendessen ist angerichtet.“

Undertaker zog Ronald auf die Füße. Dieser rieb sich die Unterarme: „Machen wir nach dem Essen weiter?“

Undertaker lachte: „Ehehehe! Wenn du mich bezahlen kannst?“

Ich war verwundert: ‚Bezahlen?‘

Undertaker wirkte nicht wie jemand, dem Geld wirklich wichtig wäre.

„Komm schon!“, machte der Blonde: „Lass mich anschreiben!“

„Anschreiben?“, Undertaker lachte schrill auf: „Pahahahahaha! So läuft diese Welt nicht. Das weißt du.“

„Komm schon. Du bist doch nun wirklich nicht von dieser Welt!“

„Wahrscheinlich hast du damit recht“, Undertaker lachte ein weiteres Mal: „Tehehehe. Weil du es bist.“

„Juhu!“, rief der junge Reaper aus, auch wenn mir wirklich nicht erschloss, was daran so erquicklich war von Undertaker verdroschen zu werden: „Aber jetzt hab‘ ich Hunger!“

Grell hatte sich aufgerappelt: „Ihr seid hier auch schon eine Weile zugange.“

„Oh ja!“, Ronald ging Richtung Eingang: „Irgendwann Undertaker! Ich sage es dir!“

Dann war der Blonde auch schon verschwunden.

Undertaker kam zu uns herüber.

„Macht er sich gut?“, fragte Grell und Undertaker nickte: „Hehehe. Er lernt recht schnell.“

„Du gibst dir wirklich viel Mühe mit ihm“, verschränkte der rote Reaper die Arme.

„Tehe. Wie gesagt, er hat Talent“, grinste Undertaker: „Und er ist lernbegierig und vor allem -willig. Eehehehehe.“

„Trotzdem kriegt er für seine Mühe von dir nur auf die Nase“, Grell hob kopfschüttelnd die Hände: „Ich wäre frustriert.“

„Vergeudete Anstrengung ist eines der Privilegien der Jugend“, hob der Bestatter einen Zeigefinger: „Wer lernen will, muss einstecken können. Nehehehehe!“

„Den Spruch hast du auch mir schon mal gedrückt“, Grell verschränkte wieder die Arme: „Man, war ich sauer auf dich.“

„Es ist wie es ist“, lachte Undertaker.

„Ich hätte nie erwartet, dass du Ronald als Schüler nimmst. Dein Letzter ist schon ein paar Jahre her.“

„Und er ist tot“, lachte der Bestatter: „Mein Schüler zu sein ist kein Garant für irgendetwas. Außerdem, ehehehehe, würde ich nicht so weit gehen und ihn als meinen Schüler bezeichnen.“

Ich wusste wirklich nicht was ihm an dieser Aussage zum Lachen brachte. Noch weniger wusste ich, dass Undertaker Schüler hatte. Mir wurde ein weiteres Mal klar, dass ich über ihn eigentlich gar nichts wusste.

„Was soll er denn sonst sein?“, fragte Grell verständnislos.

„Ich löse Schulden ein. Tehehe. Das ist alles. Dass sich Ronald immer dasselbe von mir wünscht, ist seine Angelegenheit.“

Grell seufzte: „Du gibst dir zu viel Mühe mit ihm und bist viel zu verständnisvoll, als das du nur Schulden bezahlst. Außerdem lässt du ihn anschreiben! Ich muss immer bezahlen! Im Voraus! Genau wie alle anderen auch! Er ist dein Schüler und du legst Wert darauf, dass er den Vorangegangenen nicht folgt. Er ist so eifrig in seinem Bestreben mit uns mit zu halten und so ungeduldig mit sich selbst. Der einzige Grund warum er noch nie resigniert hat ist, dass du nicht zulässt, dass er es tut. Du bist viel zu faul um dir bei irgendjemanden bei dem du ‚nur Schulden bezahlst‘ die Mühe zu machen, dass seine Gefühlswelt nicht vor die Hunde geht.“

Ich legte den Kopf schief. Ronald wirkte immer so selbstsicher. Ich hätte nicht gedacht, dass er Bestätigung in seiner Person brauchen würde. Andererseits war Ronald wohl für einen Sensenmann noch relativ jung. Er wurde auch nie als höherer Reaper bezeichnet, im Vergleich zu Grell und William. Schon gar nicht war er eine Legende wie Undertaker. Diese Tatsachen und das er gerade mit den Dreien so viel zu tun hatte, war für ihn, so klang es, wohl recht belastend.

Undertaker grinste weiter: „Nenne es wie du möchtest.“

„Schlägt er sich wenigstens besser als die anderen?“, fragte nun Amy und lenkte meine Aufmerksamkeit zurück auf das Gespräch.

Der Bestatter lachte: „Schwer zu sagen. Ehehehe. Viele waren nicht schlecht.“

„Sie waren sicher akzeptabel stark“, lächelte Sebastian. Dieses Lächeln war eiskalt und wissend. Es wirkte auch nicht nur ansatzweise so, als läge darin irgendeine Art von Anerkennung. Ich fragte mich woher der Dämon über die Stärke von Undertakers Schülern Bescheid wissen wollte.

Undertakers Grinsen verrutschte auf Grund dieser kalten Aussage nicht einen Millimeter: „Du machst dir gar keine Vorstellung, Dämon. Nehehehehehe! Jeder von ihnen hätte dir unsagbare Probleme bereitet.“

Doch auch das Lächeln des Butlers blieb konstant: „Wenn du es sagst.“

Grell seufzte erneut: „Oh bitte. Keine tragischen Geschichten.“

Ich verstand diese Konversation nicht. Ich entnahm nur Grell, dass sie nicht so belustigend war, wie man bei einem Blick auf Undertakers breites Grinsen vermuten könnte.

Eben dieses Grinsen wandte sich nun zu mir: „Tehe. Du siehst immer noch nicht besser aus, meine schöne Puppe.“

Ich nickte langsam: „Es… es geht...“

Undertaker schüttelte immer noch grinsend den Kopf: „Keine gute Nachricht. Doch glaube mir, hehe, morgen sieht die Welt auch wieder ein Stück anders aus. Wenn du erst einmal ordentlich gegessen und geschlafen hast.“

„Also… eigentlich...“

„Lasst uns weiter“, unterbrach mich der Butler in dem Wissen, dass er das was folgen würde nicht hören wolle: „Das Essen wird ansonsten kalt.“

Der Butler setzte sich in Bewegung. Wir folgten. In der Eingangshalle stoppten wir zuerst an den Waschräumen, um uns die Hände zu waschen. Grell und Undertaker verschwanden in einem anderen als wir.

Als ich mir die Hände einseifte schaute ich zu Amy: „Wusstest du, dass Undertaker Schüler hatte?“

Amy nickte: „Ja, aber er redet nicht darüber.“

„Sein Letzter ist wirklich gestorben?“

„Jub. Soweit ich weiß sind sie alle tot.“

„Warum weiß Sebastian darüber Bescheid? Hat er es ihm erzählt?“

Der Butler schien nicht gerade der Ansprechpartner für solche Themen zu sein. Schon gar nicht, wenn man ansonsten nicht darüber sprach. Eigentlich konnte ich mir nicht vorstellen, dass man generell gut mit ihm reden konnte. Vor allem Undertaker nicht. Sebastians Lächeln war immer falsch. Undertaker müsste es, so wie ich ihn kennen gelernt hatte, verabscheuen. Doch ich wusste um ehrlich zu sein nicht mehr, wie gut ich ihn wirklich kannte.

„Nein“, trocknete sich Amy die Hände ab: „Soweit ich mich an die Geschichten erinnere, waren sie ziemlich tragisch und Sebastian ist nicht der Typ, der Seelensorge betreibt. Er ist ein Dämon. Er kann das nicht und will es mit ziemlicher Sicherheit auch gar nicht.“

Ich nickte in Zustimmung: „Aber woher weiß er es dann?“

„Wissen ist Macht. Sebastian hat seine Mittel und Wege um dran zu kommen.“

„Aber...“, ich klimperte Amy an: „Welche?“

„Grell zum Beispiel“, Amy drehte sich um und lehnte sich gegen das Waschbecken: „In dem Sebastian ihm Hoffnungen macht, bringt er ihn dazu zu tun was er will.“

Meine Verwirrung legte sich nicht ansatzweise: „Hö? Erzähl.“

„Er bringt ihm dazu ihm Geschichten der Shinigamis zu verraten“, begann Amy: „Sebastian empfindet Undertaker als gefährlich, nachdem er mal einen meiner Vorfahren verraten hat.“

Meine Augen wurden groß. Undertaker und jemanden verraten? Das passte wieder einmal nicht zu dem Bild was ich von ihm hatte: „Welchen?“

„Ciel“, Amy schaute mich an: „Wenn es dich interessiert frage Sebastian oder Undertaker. Es ist eine ziemlich lange Geschichte. Sie wurde mir nie ganz erzählt.“

Ich wusste sofort, dass ich nicht Sebastian fragen wollte. Der Butler war mir unglaublich unheimlich und suspekt: „Okay. Mach‘ ich. Sie ist wohl nicht ansatzweise schön, hm?“

„Nein. Aber ich kann dir da echt nicht helfen.“

„Es scheint ziemlich viele tragische Geschichten zu geben“, nuschelte ich. Keiner von denen hier Anwesenden hatte so viel Tragik verdient, wie in der Vergangenheit, wahrscheinlich weit vor Amys und meiner Zeit, vorgefallen sein musste.

Amy nickte: „Ja. Eigentlich habe ich nur sehr wenige schöne Geschichten gehört. Undertaker sagt immer, dass man Tragik viel länger in Erinnerung behält, als Freude“, sie seufzte frustriert: „Er wirkt als spricht er aus Erfahrung.“

Amy schien von der vielen Tragik genau so unangetan wie ich.

„Das ist echt… tragisch“, schüttelte ich meinen Kopf, als dieses Wort wieder fiel.

Amy nickte: „Er hätte mehr schöne Erinnerungen verdient. Er hat einige. Das sagt er immer wieder, doch ich weiß nicht ganz wie ich das einschätzen soll.“

„Inwiefern?“

„Nun“, Amy schüttelte den Kopf: „Undertaker ist unsterblich und stark und alt. Das heißt er ist schon seit Ewigkeiten unterwegs und sein Ende liegt in weiter, weiter Ferne.“

Das leuchtete mir ein. Der Umstand, dass Undertakers Ableben aber noch einige Zeit auf sich warten ließe, fand ich doch überhaupt nicht tragisch. Eher ganz im Gegenteil. Es konnte ganz, ganz weit weg bleiben. Ich verstand aber auch auf was Amy eigentlich hinaus wollte.

„Er trifft Menschen und sieht sie gehen“, ich legte nachdenklich eine Hand ans Kinn: „Immer und immer wieder. Für sein Verhältnis zur Zeit bleibt keiner wirklich lange an seiner Seite. Ein menschliches Leben dauert für ihn nur ein Wimpernschlag. Er kommt und kommt aus diesem Teufelskreis einfach nicht heraus. Er trifft Menschen, einige mag er auch und dann beerdigt er sie. Immer und immer wieder...“

Amy nickte abermals: „Umbringen kann er sich ja auch nicht, dass hat er ja schon mal getan und sich damit den ganzen Schlamassel überhaupt erst eingebrockt. Und bis jetzt war keiner stark genug ihn zu töten.“

Die Ansprache, dass Undertaker sich schon einmal selbst umgebracht hatte, versetzte mir wieder einen Stich. Auch Amys darauf folgende Ausführungen trafen mich wie viele feine Nadeln: „Hat er… mal gesagt es sei schlimm für ihn?“

Amy schüttelte den Kopf: „Nein. Nicht direkt. Er sagt immer man gewöhne sich an alles. Aber ich glaube schon, dass es schlimm für ihn ist.“

„Vielleicht...“, ich seufzte: „Sieht er das selber gar nicht ein, oder denkt er darf es nicht. Vielleicht hat er sich auch seiner eigenen Trauer gegenüber mittlerweile komplett verschlossen und sperrt sie aus. Versteckt sie ganz weit hinten, hinter seinem ewigen Grinsen.“

Amy nickte stumm mit verschränkten Armen.

Meine Augen fielen auf das weiße Waschbecken. Mein Herz fühlte sich ganz schwer an. Der Bestatter… er tat mir so unfassbar leid. Ich wusste nur leider, dass Mitleid nicht half. Es machte oft alles nur viel schlimmer, weil man sich seiner Ohnmacht in Anbetracht der Dinge gewahr wurde: „Ich frage mich, ob man ihm irgendwie helfen kann...“

„Wir müssen alle sterben. Das Einzige was wir tun können ist ihm gute Freunde zu sein, solange wir da sind.“

„Aber… das macht es doch gleichzeitig auch viel schlimmer, oder? Wenn er einen wirklich mag… und man dann weg ist...“

„Aber was sollen wir denn tun?“, fragte Amy zu Recht.

Ich schüttelte den Kopf: „Ich weiß es nicht...“

„Ich auch nicht“, Amy schwang sich von dem Waschbecken und ging zur Türe: „Komm, Sebastian wartet.“

Jetzt wo Amy es ansprach bemerkte ich, dass das Gefühl immer noch nicht verschwunden war. Es war unterschwelliger, doch es fühlte sich an als kroch irgendeine Art von Unheil von außen durch die Türe zu uns herein. Ich spürte Sebastians Anwesenheit, doch ich fragte mich woher Amy wusste, dass der Butler immer noch vor der Türe stand oder auch am Bach auf uns gewartet hatte.

Vor der Türe stoppte ich sie: „Woher weißt du, dass Sebastian wartet? Oder am Bach stand?“

Amy drehte sich zu mir um: „Hm? Ach so. Am Bach habe ich auf dich geachtet. Du hast die Schultern gerollt und dir den Nacken gerieben, genau wie gestern im Flur. Gerade ist es einfach Erfahrung. Sebastian ist trotz allem ein alter, englischer Gentleman, also wartet er auf uns, weil wir Mädchen sind. Das gehört sich so für einen Butler.“

Ich nickte kurz. Für Amy konnte es in nächster Zeit wichtig werden, meine Körpersprache deuten zu können. Ich war irgendwie beruhigt, dass sie es augenscheinlich schon konnte.

Wir kamen aus dem Waschraum und tatsächlich stand der Butler immer noch davor und wartete geduldig auf uns.

Sebastian führte uns durch die halbe Villa. Dieses komische Gefühl in seiner Nähe. Mittlerweile wusste ich was es war, auch wenn ich es immer noch nicht ganz fassen konnte. Vielleicht konnte ich dieses Gefühl irgendwann ausblenden. Heute war dieser Tag auf jeden Fall noch nicht.

Nachdem er unsere Jacken an sich genommen hatte, stieß Sebastian eine weiße, große Flügeltüre auf. Dahinter lag ein mit Holz vertäfelter Raum, der fast gänzlich von einer langen Tafel gefüllt wurde, die auf einem großen, eckigen, azurblauen Teppich stand. Dasselbe Blau, mit dem auch die 20 Stühle gepolstert waren, von denen im Moment nur 10 besetzt waren. Der Boden war ein Naturholzpaket und unsere Schritte klapperten darauf. Hier und da standen kleine Skulpturen oder Tische mit bunt gefüllten und extravagant gestalteten, großen Blumenvasen.

Abgesehen von der schönen Einrichtung war das Bild was sich uns bot nur mit eigentümlich zu beschreiben. Eigentümlich und trotzdem harmonisch, heimisch und irgendwie entspannt.

Als erstes fielen definitiv Grell und Undertaker auf. Die Beiden saßen am Ende einer Reihe, Undertaker an einem von den Plätzen ohne Besteck, was mich wunderte. Grell ging voll darin auf die langen, silbernen Haare des Bestatters zu einem buschigen Zopf zu flechten und redete dabei wie ein Wasserfall. Undertaker beschränkte sich auf ein konstantes Nicken und Giggeln, während er die Beine überschlagen relativ schief auf seinem Stuhl hing und sich bei jedem Nicken von Grell anhören durfte er solle gefälligst seinen Kopf still halten. Lee und Fred unterhielten sich über den Tisch hinweg. Lee hatte die Beine überschlagen und die Arme hinter dem Kopf verschränkt, während er mit einer ziemlich heiteren Stimme vor sich hin sprach. Fred seufzte viel und wirkte wie immer ein wenig grummelig mit seinen aufgestützten Ellbogen und den vor der Nase verschränkten Händen. Amys Eltern führten eine 4 Mann Konversation mit Charlie und Frank und wirkten damit noch am normalsten an dem Tisch, würde Frank nicht immer schauen, als würde gleich die Welt untergehen. Wer gar nicht normal wirkte waren William und Ronald. William hatte seine Nase in einem Buch mit vielen bunten Klebezetteln in den Seiten und redete über irgendwas, wahrscheinlich mit Ronald. Doch Ronald hing schlaff auf seinem Stuhl, von der Konversation sichtlich nicht angetan, den Kopf hinten über gekippt und die Augen unter der schwarzen Brille geschlossen. Das kleine Zucken, welches hin und wieder durch seinen Körper fuhr, zeugte zu gleichen Teilen davon, dass Ronald noch lebte und noch nicht ganz schlief. Das Training mit Undertaker war wohl anstrengender, als er durchblicken lassen wollte.

Ich schaute mich um und stellte fest, dass Sebastian schon wieder verschwunden war. Doch Zeit zu fragen wo er hin sei hatte ich nicht, denn Amy zog mich zu den freien Plätzen zwischen Heather und Lee. Kaum waren wir am Tisch angekommen erntete ich unzählige mitleidige Blicke. Ich hasste mitleidige Blicke. Sie machten auch nichts besser. Sie sagten nur ‚Hey! Wir wissen, dass alles scheiße ist, doch etwas dagegen tun können wir trotzdem nicht‘. Das war immer ganz großes Kino.

Ich setzte mich zwischen Amy, welche sich neben ihre Mutter gesetzt hatte, und Lee. Zwischen dem Asiaten und mir war allerdings noch ein eingedeckter Platz frei.

„So!“, hörte ich Grells Stimme: „Fertig! Noooah! Es steht dir!~♥ Du solltest viel öfter was mit deinen Haaren machen!“

Ich hörte das Knirschen eines Stuhls auf dem Boden, bevor ich meinen Kopf endgültig zu den Beiden gedreht hatte. Undertaker war aufgestanden und hatte seinen Stuhl wieder unter den Tisch geschoben, als er Grell angrinste: „Nihihihi! Denkst du das, ja?“

„Jaaaaa!“

„Thihi! Ich denke darüber nach.“

Nach diesem Satz ging er gemütlich um den Tisch herum. Lee schob seine Beine endgültig unter den Tisch, sodass sich der Bestatter anständig zwischen dem Drogenbaron und mir hinsetzen konnte. Der von Grell in Perfektion geflochtene Zopf hing lässig über seiner Schulter, als mich sein freigelegtes Auge anlächelte: „Hast du dich noch ein wenig mehr beruhigen können?“

Es klang, als fragte der Bestatter sehr bewusst nicht nach, ob es mir besser ginge. Ich atmete durch: „Ja… Ein bisschen zumindest.“

Das Lächeln wurde ein wenig weiter und ging nun mehr in Richtung eines Grinsens: „Das ist gut. Ehehehe. Wirklich. Der erste Schritt in die richtige Richtung. Der Zweite wäre...“

Aus einem plötzlichen unbestimmten Gefühl fuhr ich herum. Der Bestatter verstummte im Satz und hinter mir stand Sebastian. Er lächelte mit einem Teller mit Tellerglocke in beiden Händen und einem Servierwagen neben sich: „Etwas zu speisen.“

Undertaker giggelte nur, als Sebastian seinen Satz beendet hatte, den ich durch das Wegdrehen meines Gesichtes relativ unelegant und fast schon schroff beendet hatte.

Ich war erleichtert, dass zumindest Sebastian mich nicht so hemmungslos erschrecken konnte, wie die Grim Reaper es taten. Mit Wonne, wie ich das Gefühl hatte. Ein weiterer Vorteil an dieser außerordentlich bescheidenen Fluchgeschichte.

Sebastian fing natürlich bei seinem Meister mit dem Servieren an und ging dann reihum. Die Komposition von Lebensmitteln auf den Tellern sah herrlich aus und mir war noch nie etwas begegnet was so gut roch.

„Ich darf servieren“, sprach der Butler in einen für ihn schon sehr beschwingten Tonfall, als wolle er mit jedem Wort das Gericht unterstreichen: „Jakobsmuscheltatar in Sherry. Serviert mit geräucherter Blumenkohl, Blumenkohlcreme und gegrillte Shiitakepilze. Dazu gereicht ein Litmus White Pinot Jahrgang 2013 aus den nördlichen Länderein von Surrey. Ich wünsche besten Appetit.“

Als Sebastien die Tellerglocke vor mir hochhob wusste mein Magen nicht so recht was er tun sollte. Es roch so gut, doch mein Magen hüpfte einmal auf den Kopf.

Ich schaute wie ein geprügelter Hund zu den Anderen. Auf Undertakers Teller lag tatsächlich nur ein Häufchen knochenförmiger Kekse, doch der Bestatter rieb sich freudig lachend die Hände, als habe er die goldene Gans auf dem Teller. William legte das Buch weg und es verschwand, als Sebastian den Teller vor ihn auf den Tisch stellte. Der Dämon lächelte den Grim Reaper an, doch dieser drehte sich weg und schob seine Brille die Nase hoch.

Ronalds Teller rutschte dem Butler ‚ganz ausversehen‘ aus der Hand und krachte geräuschvoll auf den Tisch. Der blonder Reaper fuhr aus seinem Dämmerzustand, wedelte mit den Armen, als sich sein Stuhl wie ein wütendes Pferd auf die Hinterbeine stellte und schaffte es mit einem gestressten Gesichtsausdruck irgendwie sein Stuhl wieder auf alle vier Füße zu stellen, bevor ihm die Balance verließ. Geschockt von dem Krachen japste der junge Sensenmann vor sich her.

„Pardon“, lächelte Sebastian mit geschlossenen Augen und Ronald schaute ihn mit dem Wissen an, dass dem Dämon gerade gar nichts Leid tat und es grausame Berechnung gewesen war, sparte sich aber jeglichen Kommentar.

Neben mir hörte ich ein schrilles, amüsiertes Lachen, was mich nicht verwunderte.

Die restlichen Teller verteilte Sebastian relativ unspektakulär, musste sich allerdings einmal Grells erwehren, als dieser äußerte er hätte doch gerne den Butler selbst als Dessert.

„Guten Appetit“, lächelte Alexander von seinem Platz vor Kopf in die Runde und alle begangen zu essen, nachdem sie einen Essensgruß zurück geworfen hatten. Geschirr klirrte, leise Gespräche schwirrten über den Tisch und ich saß dort, starrte auf meine Jakobsmuscheln und wusste nicht was ich mit ihnen tun sollte, oder wollte.

„Nihihihi“, machte es neben mir und mein Kopf wanderte ein Stück herum. Mit einem Zeigefinger schob der Bestatter sich den Rest eines Kekses in den Mund, kaute genüsslich darauf herum und schaute mich mit seinem strahlend, grünen Auge an.

„Wartest du darauf, dass sie wieder lebendig werden?“, fragte er amüsiert, nachdem er hinunter geschluckt hatte.

Ich schaute wieder auf mein Tatar: „Ich… ähm.“

Ich drehte meinen Kopf wieder, bevor ich auch nur zu Ende denken konnte. Sebastians immer noch lächelndes Gesicht schaute mir entgegen, als er sich in einem ziemlich akkuraten 90 ° Winkel zu mir herunterbeugte: „Kann ich behilflich sein, Lady Rosewell?“

„Ööööhm...“, nahm ich meinen Kopf soweit es ging zurück: „Ich wüsste nicht wie.“

„Nun“, Sebastian hob eine Hand, in der er einen silbernen Löffel hielt: „Ich könnte...“

„Nein!“, unterbrach ich den Butler und unterlag einem Miniflashback zu den drei Bissen des peinlichsten Frühstücks meines Lebens: „Vergiss den Gedanken bevor du ihn zu Ende denkst, Sebastian!“

Der Butler stellte sich wieder gerade hin und verschränkte nachdenkend die Arme: „Aber wie bekomme ich sie ansonsten zum Essen, Miss Rosewell?“

„Hört doch auf damit“, jammerte ich. In meiner puren Hilflosigkeit schnappte ich mir Undertakers Arm und rüttelte daran: „Hilf mir, man!“

Undertaker fiel fast sein Keks aus der Hand und er machte ein paar Saltos bis der Bestatter ihn wieder zu fassen bekam. Der Totengräber legte lachend seinen Keks auf den Teller und grinste mich an. Nur irgendwie verursachte dieses Grinsen in mir kein gutes Gefühl: „Oh, natürlich helfe ich dir. Ehehehehehe! Zu jeder Zeit, meine Schöne. Ihihihihi!“

Ich konnte nicht reagieren, da hatte Undertaker auch schon meine Arme fest im Griff.

„Hey!“, rief ich aus. Ich kam aus dem Griff des unmenschlichen Totengräbers nicht heraus, obwohl er nicht fest genug drückte um mir zu schmerzen.

„Sebastian? Du kannst. Ehehehehehe!“

Der Butler nickte lächelnd und versenkte den Löffel in meinem Essen.

„Oh! Bitte nicht nochmal! Das ist vollkommen entwürdigend!“, echauffierte ich mich und versuchte aus Undertakers Griff heraus zu kommen: „Undertaker, du treulose Tomate!“

„Iss einfach selbst und deine Schmach hat ein Ende. Ehehehehehehe!“

Sebastian lächelte mich an und streckte mir den Löffel ins Gesicht: „Hier kommt der Zug.“

„Ich ergebe mich!“, jammerte ich: „Ihr habt gewonnen! Ich gebe auf! Ich gebe auf!“

Undertaker ließ mich laut lachend los und Sebastian legte mir den Löffel mit Tatar in die Hand: „Bon Appetit.“

Ich schaute auf den Löffel, dann zu Sebastian und dann zu Undertaker. Undertaker hob die Hände und wackelte grinsend mit dem Finger, als würde er mir androhen wollen mich ein weiteres Mal fest zuhalten. Ich schaute wieder auf den Löffel… und steckte ihn mir in den Mund.

Als ich mich wieder zu meinem Teller drehte schaute ich in einige belustigte Gesichter. Doch ich ertrug sie einfach und aß schweigend meine geschredderten Muscheln. Sie schmeckten wirklich ausgezeichnet und nachdem ich den Punkt der alles verzehrenden Übelkeit, in endloser Angst vor weiteren Attentaten Undertakers und Sebastians, überwunden hatte, merkte ich wie viel Hunger ich hatte. Allerdings fühlte sich mein ganzer Körper furchtbar steif an, denn ich war so nervös mit so vielen besser Gestellten an einem Tisch zu sitzen, die ich nicht richtig kannte, dass meine Bewegungen ungefähr so geschmeidig waren, wie die eines eingerosteten Roboters. Ein Roboter mit Akkuschaden. Denn ich könnte essen und schlafen zur selben Zeit.

„Tihihihi! Entspann dich“, lach-nuschelte Undertaker neben mir an seinem Keks vorbei.

„Du“, sagte ich ohne ihn anzusehen: „Hast Sendepause, klar?“

Um sicher zu gehen, dass er auch wirklich verstand, dass ich mit ihm nicht reden wollte, steckte ich mir provokativ einen Löffel Tatar in den Mund.

„Hm“, lachte der Bestatter und stellte seinen Stuhl auf die Hinterbeine, als er seinen Keks beschaute, die Beine überschlug und die freie Hand locker auf seinem Schoß ablegte: „Ehehe. Da du endlich isst, ertrage ich deinen Misskredit liebend gern.“

„Weißt du“, ich legte meinen Löffel weg und schaute ihn an: „Wenn du dich nicht wenigstens ein bisschen aufregst, macht das einfach keinen Spaß.“

Undertaker lachte wieder schrill auf und steckte sich seinen Keks in den Mund. Er kaute und lachte gleichzeitig, ohne an den Kekskrümmeln in seinem Mund zu ersticken.

„Ich habe eine Menge Spaß. Fuhuhuhuhuhuhu!“, lachte Undertaker weiter, klemmte sein oben auf liegendes Bein unter eine Kante des Esstisches und wackelte mit dem Stuhl leicht vor und zurück.

Ich hatte meinen Teller irgendwann als Letzte besiegt und mein Magen wusste nicht, ob er überglücklich oder überstrapaziert war.

Sebastian räumte die Teller ab, außer Undertakers auf dem immer noch Kekse lagen.

Kaum hatte Sebastian unsere Teller mit sich genommen stand er auch schon wieder hinter Alex mit einer weiteren Tellerglocke: „Zum Hauptgang...“

Ich stockte: ‚Hauptgang?! Oh... Oh nö...‘

2 Dinge waren mir klar: Undertaker würde dafür sorgen, dass ich diesen Teller essen werde und ich werde am Ende deswegen brechen. Oder einfach platzen. Meinem momentanen Glück nach eher Zweiteres. Spontane Selbstverpuffung durch Gourmetessen. Ich bin für die besseren Kreise einfach nicht geschaffen.

Es gab gepuderte Entenbrust mit geschmortem und gegrilltem Rotkohl, dazu gewürzte Birnen und eingelegte Kirschen. Als Beilage Karotten mit Kümmel und gemischter Blattsalat mit einem leichten Dressing. Sebastian goss jedem noch ein Glas schwarzen Riesling ein und Charlie freute sich darüber einen guten deutschen Wein zu trinken zu bekommen. Er erging sich 30 Minuten in eine ausführliche Beschreibung über diesen Wein und das er ja mal ein paar Tage auf einem Weingut gewesen war. Was Charlie erzählte war schon interessant. Wie Winzern funktionierte, wie ein Weinberg aussähe und und und. Doch viel beeindruckender als seine Erzählung an sich war die begeisterte Art, mit der Charlie erzählte. Er sprach und sprach, doch man fühlte sich nicht an die Wand geredet. Es sei denn man hieß Frank. Aber dann schien man schon ansatzweise genervt zu sein, wenn Menschen um einen herum atmen. Doch seine Kommentare waren weniger schnippisch, als mehr trocken informativ. So verlief das Gespräch während des Hauptgerichts und irgendwie zwang ich diesen Teller noch in meinen Magen. Langsam wurde mir wieder übel. Denn Wein gab ich an Amy ab. Das wäre für meinen Magen wirklich zu viel gewesen. Ich wusste ja jetzt schon nicht mehr wie ich laufen sollte.

Doch die Welt war grausam und Sebastian machte den Dämonen alle Ehre, als er es schaffte, dass sich ein Dessert wie Folter anfühlte.

Es gab Sambocade, ein Ziegenmilchkäsekuchen mit Holunderblüten, Apfel, pochierte Birnen & geräuchert wie kandierten Walnüssen. Ein Gedicht, wäre die Speicherkapazität meines Magens nicht eigentlich schon überschritten.

„Ich kann nicht mehr“, fiel mein Kopf nach unten: „Wirklich...“

Doch Amy nahm meine Gabel, erstach ein Stückchen Kuchen und hielt es vor mein hängendes Gesicht: „Hier kommt der Zug!“

Mein Kopf flog hoch: „Amy!“

Wären wir in der Schule gewesen, ich hätte meinen Teller genommen und meinen Kuchen in ihrem Gesicht versenkt. Doch ich beschränkte mich darauf ihr die Gabel aus der Hand zu reißen: „Nicht du auch noch.“

Amy lachte. Undertaker neben mir auch. Es lachten eigentlich einfach alle. Außer William und Frank natürlich.

Also aß ich mal wieder in schweigender Schmach.

„Hm“, machte es irgendwann und Alexander deutete mit seiner Kuchengabel auf Undertaker, der immer noch seine Kekse aß: „Undertaker, ich habe nachgedacht.“

„Oh weia. Ehehehehe“, grinste der Bestatter und wackelte immer noch mit seinem Stuhl vor und zurück: „Das ist meistens der Beginn fantastischer Geschichten! Oder des perfektem Chaos. Je nachdem auch beidem. Tehehehehe!“

„Naja“, lachte Alex: „Spektakulär wird es dieses Mal nicht werden, aber ich habe eine Bitte an dich.“

„Oh! Wenn ihr mich bezahlen könnt, Earl. Ehehehehehe!“, giggelte Undertaker und musterte Alexander mit einer belustigten Neugierde.

Ein weiteres Mal war ich darüber verwundert, dass der Bestatter Bezahlung verlangte. Andererseits war wohl eine der wenigen Dinge, worum sich ein Phantomhive keine Gedanken machen musste, Geld.

Alexander seufzte seicht: „Werde ich, Undertaker. Keine Sorge. Die Idee mit den Telefonnummern und mit Skyler ist ganz gut, doch es beruhigt mich nicht so ganz. Ich würde dich bitten alle zwei Tage bei den Mädchen nach dem Rechten zu sehen. Ich kann Sebastian nicht immer entbehren und du wohnst in der Nähe. Sei so gütig.“

„Was?!“, kam es von Amy und mir wie aus einem Munde.

„Dad!“, machte Amy: „Das ist wirklich nicht...“

„Wie ihr wünscht, Earl“, sagte Undertaker mit ruhiger Stimme und grinste weiter vor sich her. Unsere Köpfe flogen herum: „Bitte was?!“

„Meine Damen, meine Damen“, machte der Bestatter lachend und wackelte mit dem Kopf: „Ich werde nicht Stunden meines Lebens bei euch verbringen. Ehehehe! Ich bin nicht eure Anstandsdame und dazu habe ich nun wirklich auch keine Lust. Ich stecke kurz meine Nase durch Fenster, erkundige mich und verschwinde wieder.“

„Aber“, versuchte Amy ein letztes Mal unsere Privatsphäre zu retten. Doch ihr Vater zeigte sich erbarmungslos und beendete die Diskussion, bevor sie richtig starten konnte: „Nichts aber. In dieser Sache überlasse ich nichts dem Zufall.“

Amy seufzte und schaute mich an: „Hach verdammt“, dann lachte sie in die Runde: „Dann muss ich ja mein Zimmer aufräumen.“
 

Wir saßen noch eine Weile zusammen. Die Anderen tranken noch ein paar Gläser Wein und redeten über Gott und die Welt. Irgendwann war Alexander auf seinen Geburtstag zu sprechen gekommen, der wohl in ein wenig mehr als einem Monat vor der Türe stand: „Und ich weiß nicht, was ich dieses Jahr machen soll.“

„Oh!“, rief Grell aus: „Einen Kostümball!“

„Wir hatten doch erst einen“, nuschelte William unbegeistert in sein Weinglas.

„Man kann nie genug davon haben!“, erwiderte der Rothaarige aufgeregt.

Alexander lachte: „Hättest du denn auch ein Vorschlag für ein Thema, Grell?“

„Oh ja!~♥“

„Dann sprich“, lachte der Earl weiter.

Grell schaute durch die Runde: „Alice im Wunderland!“

„Oh nein...“, stöhnte William.

„Oh ja!~♥“

„Was denn?“, blieb Ronald William auch nicht treu: „Alice im Wunderland war immer cool!“

William trank nur weiter seinen Wein und schien sich alles zu verkneifen was er hätte sagen können. Genauso überdeutlich stand dafür das Missfallen in seinem Gesicht.

Ich hatte den Kopf schief gelegt: „War?“

Ronalds Lächeln schien mir begeistert entgegen: „Wir hatten das Thema schon ein paar Mal! Grell wünscht es sich ständig. Eigentlich mindestens ein oder zweimal in jeder Generation. Es ist eigentlich Tradition.“

„Oh ja! Und diese Generation hatten wir es noch nicht! Und irgendwann!“, Grell war aufgesprungen, hatte ein Bein auf den Stuhl gestellt und eine Faust in die Luft gestreckt: „Wird Sebastian mich lieben! Und wenn ich aussehe wie eins seiner geliebten Kätzchen, kann er mir ganz sicher nicht widerstehen!~♥“

An Sebastians Schläfe hing ein großer Schweißtropfen: „Oh doch. Kann ich. Ganz sicher.“

„Aber… aber Bassy!“

„Nichts aber“, Sebastian schüttelte den Kopf: „Nicht in diesem Leben und in keinem das folgen wird...“

Grell ließ die Arme hängen.

„Fuß vom Polster“, betonte der Butler noch trockener und Grell folgt der Anweisung und setzte sich wieder.

„Was sagen die anderen?“, Alexander lächelte durch die Runde: „Außer Frank und William.“

Was die Beiden davon hielten, war auch nur allzu offensichtlich: Nichts.

Amy hatte zu kichern begonnen: „Ich bin dabei!“

Lee und Fred hatten ebenfalls genickt, Lee wirklich begeistert, Fred eher gezwungen.

Undertaker klatschte neben mir in die Hände: „Ein fantastisches Stück Literatur! Ehehehehehe! Immer wieder gerne!“

Heather lachte fein und herzlich: „Gut. Also? Wer verkleidet sich als was?“

Lee hob die Hand als Erster: „Absolem!“

Fred schnaubte lachend in sein Weinglas: „War ja klar. Der Drogenbaron nimmt die Kifferraupe.“

Lee hob nur lachend die Hände: „Man soll sich selbst treu bleiben. Was nimmst du denn, hm?“

Fred schaute zu seinem Vater: „Kann ich den Herzbuben nehmen?“

Alexander nickte gefällig: „Warum nicht. Dann übernehme ich den Herzkönig“, dann nahm Alex Heathers Hand in seine eigene: „Möchtest du meine Herzkönigin sein, meine Teuerste?“

Heather kicherte etwas schüchtern in ihre andere Hand. Die Beiden waren so süß: „Liebend gerne, Liebling.“

Ich seufzte: ‚Awwwwww! Das muss Liebe sein!‘

Aus irgendeinem Grund wanderte mein Blick kurz zu Undertaker, der die Szenerie ruhig, mit einem breiten Grinsen und verschränkten Beinen beschaute. Sein Weinglas baumelte locker in der Hand, deren Arm er auf seinen, über den Bauch verschränkten, anderen Arm stützte. Sein Blick wanderte plötzlich zu mir und sein Kopf legte sich mit einer Frage im Grinsen schief.

Ich drehte meinen Kopf abrupt weg, wurde rot und ließ die stumme Frage des Bestatters unbeantwortet, da ich die Antwort selbst nicht wusste: ‚Warum schaust du dahin?‘

Die zweite Stimme in meinem Kopf zog ihre Augenbraue hoch.

‚Kusch!‘

Sie ging seufzend in den hintersten Teil meiner Gedanken zurück.

„Oh! Oh!“, ließ Amys aufgeregte Stimme meinem Kopf zu ihr hoch zucken: „Ich will die weiße Königin!“

Dann wandte sich die junge Phantomhive zu mir: „Und du! Du machst Alice!“

„Ich?“, fragte ich verwirrt. Ich hatte mir keine Gedanken gemacht wen ich übernehmen wollen würde, da ich mir sicher war ich war gar nicht eingeladen: „Warum ich? Ich bin doch gar nicht eingeladen.“

„Natürlich bist du das“, lachte Alexander: „Du bist ein immer gern gesehener Gast bei uns, Skyler. Ich wäre geehrt, wenn du meine Einladung annehmen würdest.“

Ich senkte meinen Blick, als ich nicht wusste was ich sagen sollte.

„Komm!“, machte Amy: „Sei unsere Alice.“

Ich schaute Amy an und merkte diese unangenehme Wärme in meinem Gesicht: „Ich habe aber keine langen, blonden Haare...“

„Niemand hier hat lange, blonde Ha… oh...“, Amber brach in ihrem Ausruf ab, als sei ihr siedend heiß etwas aufgefallen.

„PFFFFFFF!“, prustete es neben mir zweistimmig, wie laut im Chor und Undertaker brach mit Lee in ein tobendes Gelächter aus.

Selbst Fred lachte in seine Hand. Alexander und Heather hatten die Köpfe schmunzelt zueinander gedreht und selbst Frank hatte begonnen den Kopf zu schütteln mit so etwas ähnlichem wie einem Lächeln im Gesicht. Sebastian lächelte mit geschlossenen Augen und Ronald stimmte mit Grell in Lees und Undertakers Lachen ein, nur nicht ganz so laut. William hatte die Hand über seinen Augen gelegt und seine Mundwinkel waren ein, wenn auch nur ganz kleines, Stück nach oben gezuckt.

Ich war von diesem spontanen Ausbruch allgemeiner Belustigung ja nur verwirrt, da ich ihn nicht verstand.

„Tja, Charlie“, lachte Lee: „Du bist wohl dran!“

„Pahahahahahaha!“, lachte Undertaker wie von Sinnen und legte den Kopf auf den Tisch: „Charlie in einem blauem Kleidchen! Awuwuwuwuwuwuwuwuwu! Ich kann nicht mehr! Fuhuhuhuhuhuhu! Vergiss die Schürze nicht! Tehehehehehehehe!“

Mein Blick drehte sich zu Charlie, der selber lachte. Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Charlie war der Einzige, der lange, blonde Haare hatte.

Als mich die Erkenntnis als Letzte erreichte musste auch ich kichern.

„Oh nein, nein, nein!“, rief er lachend aus: „Ich ziehe kein Kleid an! Vergesst es Leute!“

„Ach komm schon!“, lachte Lee und stützte sich auf den Tisch: „Das steht dir sicherlich ausgesprochen gut!“

Die Weingläser, die auf dem Tisch standen begangen zu hüpfen, als Undertaker in seinem Lachanfall anfing auf den Tisch zu klopfen: „Tahahahahahahaha! Schon allein die Vorstellung ist ein Bild für die Götter!“

Charlie lachte weiter, versuchte sich trotzdem diesen Scherz auf seine Kosten zu erwehren: „Wenn du es so unsagbar lustig findest, wenn Männer ein Kleid tragen Undertaker, dann zieh es doch selber an!“

Undertaker warf sich zurück ein seinem Stuhl: „Nihihihihihihihihi! Ich im Kleid! Das gab es schon!“

Mein Kopf flog zu Undertaker: „Woas?!“

Doch der Bestatter war viel zu sehr mit Lachen beschäftigt um mir zu antworten.

Grell wischte sich lachend ein paar Tränen aus ein Augen: „Ja, ja. Dich im rosa Prinzessinnenkostüm! Ich werde es nie vergessen!“

Ich schaute mit großen Augen zu Grell: „Rosa… Prinzessinnen… kostüm?“

Ronald nickte lachend: „Ja, man! Vor etlichen Jahren haben einige von uns Hamlet nachgespielt! Undertaker war die Königin! In einem knarsch rosa Kleid! Ich hab es leider verpasst! Das ärgert mich heute immer noch!“

Ich schaute zu dem Bestatter, den ich mir definitiv nicht in einem rosernen Kleid vorstellen konnte: „Was?“

Der Gedanke an das alte Theaterstück muss für Undertaker so unglaublich belustigend sein, dass er einfach seitlich vom Stuhl fiel. Er lag mit wedelnden Beinen auf dem Boden, schlang beide Arme um den Bauch und lachte weiter.

„Armer Irrer“, nuschelte Frank, was sich sicherlich auf Undertakers aktuellen Lachanfall, wie auch auf die Tatsache bezog, dass er in der Öffentlichkeit ein rosernes Kleid getragen hatte.

„Oh man!“, lachte Amy neben mir: „Das hätte ich zu gerne gesehen!“

„Hier, Mylady“, Sebastian stand zwischen mir und Amy und hatte ein aufgeschlagenes Fotoalbum in der Hand. Wo auch immer er das jetzt her hatte. Auf den Seiten prangte ein Gruppenfoto. Es war zwar Schwarz/Weiß, doch ließ es mir den Kiefer aus den Angeln rutschen. Ich erkannte zwar nur Undertaker, Grell, William und Sebastian, doch schwankte ich irgendwo zwischen tief geschockt und hoch amüsiert. Nicht, dass mich Grell in einem Kleid verwundert hätte, nein, doch tatsächlich erkannte ich das vernarbte Gesicht unter einem langem Pony, in einem wallenden Kleid mit einem Schleier und einer Krone in den Haaren. Undertaker war auch eng an einen anderen Mann geschmiegt, was mich irgendwie tief verstörte und mir irgendwie so gar nicht passte.

„Oh mein Gott!“, trotz allem hob ich meine Hand vor dem Mund, jetzt, wo ich doch lachen musste, als ich mir das Kleid in rosa vorstellte: „Ach du meine Güte!“

Das Grinsen des Bestatter auf dem Foto war hinter dem langen Ärmel seines Kleides versteckt, doch deutlich zu erahnen, so dermaßen souverän und amüsiert, dass man ihm ansah, dass er sich in seinem Aufzug nicht ansatzweise unwohl fühlte.

Amy war neben mir in schallendes Lachen ausgebrochen: „Ich fass‘ es nicht! Ich bin definitiv zu spät geboren worden!“

Undertakers Kopf erschien wieder über der Tischplatte: „Wuhuhuhuhuhuhuhu! Ja, ja! Das war definitiv ein guter Tag! Tehehehe! Wie Grell aus dem Boot gesegelt ist, als William ein Seil durchgeschnitten hat!“

Grell schaute mit aufgeplusterten Wangen zu William: „Du hast meinen Auftritt sabotiert!“

William wirkte wieder vollkommen neutral: „Du hättest arbeiten sollen.“

„Du bist so gemein!“, ärgerte sich Grell weiter, was William gekonnt ignorierte.

Ich schaute noch einmal auf das Foto. Man sah ihm an, dass es ein guter Tag war. Nur William, der Grell am Ohr gepackt hatte und wirkte als gehörte er gar nicht zum Assembel, und ein Junge neben Sebastian sahen nicht begeistert aus, wie die anderen.

„Wer sind die anderen?“, fragte ich nachdenklich.

Undertaker hatte sich wieder gesetzt und nahm Sebastian giggelnd das Fotoalbum aus der Hand: „Fu fu fu! Das ist so lange her! Doch ich erinnere mich als wäre es gestern gewesen!“

Ein kleiner Schatten tanzten durch sein Auge, obwohl sein Grinsen so freudig und ehrlich war. Dieser Schatten piekste in meiner Brust. Doch Undertaker schien ihn selber zu ignorieren, was mich an das Gespräch mit Amy im Waschraum zurück denken ließ: ‚Vielleicht hat er sich auch seiner eigenen Trauer gegenüber mittlerweile komplett verschlossen und sperrt sie aus. Versteckt sie ganz weit hinten, hinter seinem ewigen Grinsen.‘

Mein Herz wurde wieder so unsagbar schwer, doch der lange Finger des Bestatters zeigte auf eine Frau im Algenköstum ganz rechts auf dem Foto. Ich beugte mich übers das Fotoalbum, genau wie Amy und Lee. Auch alle andern Menschen reckten ihre Hälse um sehen zu können auf wen der Totengräber deutete: „Tehehehe! Das ist Ran Mao. Lees Urururgroßmutter.“

„Meine Urururgroßmutter war eine Alge?“, lachte Lee: „Na wunderbar.“

„Erklärt einiges“, trietzte Fred seinen besten Freund.

„Ruhe auf den billigen Plätzen“, nickte Lee lachend und gespielt provokant mit dem Kopf zu Amys älterem Bruder.

Undertakers Finger wanderte eine Person nach links. Ein großer Mann mit Baskenmütze: „Das war Baldroy. Der damalige Chief der Phantomhives. Er war nur leider kein guter Koch. Tehehehehehe!“

Sebastian schüttelte den Kopf: „Erinnere mich nicht…“

Undertaker giggelte darauf hin: „Ja, der kleine Feuerteufel“, sein Grinsen drehte sich zu mir und Amy: „Hat immer mit einen Flammenwerfer gekocht und die Küche in Brand gesetzt. Tehehehehe!“

Ich zog die Augenbrauen zusammen und lachte verwirrt: „Was? Echt jetzt?“

„Oh, ja… In der Tat“, seufzte Sebastian.

Undertakers Finger wanderte weiter auf eine Frau mit großer runder Brille, zwei kurzen Zöpfen und einem knielangen Kleid: „Mey-Rin. Das alte Hausmädchen. Nehehehehe! Hat immer das Geschirr zerlegt!“

„Und alles andere was ihr in den Weg kam“, seufzte der Butler erneut.

Wieder rutschte der Finger weiter auf einen fröhlich lachenden Teenager im billigen Anzug: „Tihihi Finnian. Der Gärtner, der seine Kraft nicht unter Kontrolle hatte.“

„Ebenfalls das wandelnde Chaos“, stöhnte der Dämon hinter mir.

Die Person neben dem Gärtner war sehr klein, alt und trug eine Robe und ein Monokel: „Tanaka, der alte Hausverwalter. Ich kannte ihn ewig. Fu fu fu.“

„Der Einzige, mit dem man ansatzweise arbeiten konnte“, schüttelte Sebastian den Kopf.

Der Finger des Totengräbers wanderte wieder weiter. Ein blondes, sehr junges Mädchen mit zwei gelockten Zöpfen in einem Ritterkostüm: „Lizzy. Amys Ururgroßmutter. Puhuhuhuhu! Wollte unbedingt die Königin spielen und war noch mindestens drei Wochen nach der Aufführung sauer auf mich! Daneben ihr Verlobter Ciel, der damalige Earl, Amys Ururgroßvater. Tehehe. In der Hauptrolle, versteht sich.“

„Warte!“, ich schaute zu dem Bestatter: „Der Earl war ein Kind?!“

Dieser nickte immer noch mit dem breiten Grinsen und dem verdrängten Schatten in den Augen: „In der Tat. Tehehehehe! Das waren verrückte Zeiten!“

Mit einem weiteren Blick auf dem Foto glaubte ich ihm sofort.

Sein Finger übersprang Sebastian: „Den kennt ihr ja alle, tehehe“, dann blieb auf zwei die Arme weit hochstreckenden und breit lächelnden Gestalten stehen. Einer mit einem mittellangen Halbzopf und einer mit kurzen Haaren: „Soma und Agni. Hehe. Zwei vollkommen bescheuerte Inder.“

Dann landete sein Finger auf dem Mann, an den sich der Bestatter auf dem Bild vollkommen ungeniert ran schmiegte. Er trug eine große Krone auf dem kurzem Haar und ein prächtiges Gewand: „Und Lau. Fuhuhuhuhu! Lees Urururgroßvater.“

„Was!?“, Lee schaute von dem Foto auf Undertaker: „Warum… kuschelt ihr auf dem Bild, verdammt?!“

Fred drückte sich seine Hand fester auf dem Mund, doch sein Lachen war klar hörbar.

„Hör auf zu lachen, man! Das ist extrem verstörend!“, keifte Lee nun gar nicht mehr belustigt. Das war wohl selbst für ihn zu viel, was Fred sichtlich Freude bereitete.

Doch auch Undertaker fing an zu lachen: „Na! Hehehehehe! Er hat den König gespielt!“

Sebastian rollte die Augen nach oben: „Mit viel zu viel Elan.“

Lees Auge zuckte: „Wie…. meint ihr das?“

Der Bestatter verfing sich wieder in einem kleinen Lachanfall: „Tehehehehehehe! Wenn es nach Lau gegangen wäre, hätte auch ich deine Urururgroßmutter werden können. Fuhuhuhuhuhu!“

Stille.

Abgesehen von Undertaker, der seinem Lachanfall noch nicht Herr geworden war, waren alle totenstill.

Lee hatte den Kopf soweit es ihm möglich war nach hinten gezogen. Er starrte den Totengräber leichenblass entgegen, den Mund zu einer verstörten, wie halb angewiderten Grimasse verzogen und die Augen so weit aufgerissen, dass sie ihm fast aus den Höhlen fielen.

Alle Blicke an dem Tisch starrten den immer noch lachenden Totengräber in geschockter und verständnisloser Perplexität an. Frank hatte synchron mit William seine Augen kopfschüttelnd hinter einer Hand versteckt.

Selbst Fred konnte anscheinend über das, was gerade vor sich ging einfach nicht mehr lachen, obwohl es immer noch auf Kosten seines besten Freundes war.

Meine eigenen Gedanken krachten in eine Wand und blieben unter ihren Trümmern verschüttet und in den letzten Atemzügen zuckend liegen.

„Was?“, fragte Lee irgendwann leise und vollkommen verstört.

Der Butler schüttelte nur den Kopf: „Oh bitte, fragt nicht. Es war… mehr als nur obszön.“

„Awuwuwuwuwu! Also ich möchte anmerken, dass ich mich seiner Avancen erwehrt habe! Ehehehehe! Denn...“, lachte Undertaker, doch Lee schnellte nach vorne und hielt ihm den Mund zu: „NEIN! Behalte alles Weitere für dich! Ich will es NICHT mehr wissen!“

Der Bestatter lachte unter Lees Fingern immer lauter.

Nun unterlag die Gruppe doch wieder einem allgemeinen Lachanfall. Außer Lee natürlich. Auch Frank und William schauten aus ihrer Hand nicht auf. Aber Lees Reaktion und das schwere Trauma, was er augenscheinlich davon getragen hatte, war auch wirklich einfach nur zum Lachen und das nicht nur für den vergnügungssüchtigen Totengräber. Lee hatte mittlerweile von ihm abgelassen, wirkte aber immer noch von dem Schock nicht ganz erholt.

Alexander schüttelte den Kopf, doch wirkte auch er wie die meisten anderen nun mächtig amüsiert dabei: „Genug in Erinnerungen geschwelgt. Zurück zum Thema. Da Charlie ja nicht Manns genug ist ein Kleid zu tragen, springe doch für ihn ein Skyler.“

Undertaker klappte das Album zu und strich liebevoll mit der langen Hand darüber. Ich schaute zu dem Earl und dann zu Charlie. Dieser lächelte mir entgegen: „Es stände dir viel besser als mir. Wirklich.“

Ich schüttelte mit einem leichten Lachen den Kopf: „Aber ich habe kein blaues Kleid.“

„Lasst dies meine Sorge sein, Lady Rosewell“, verneigte sich der Butler.

„Also… Ich weiß nicht“, senkte ich den Kopf.

„Ok“, lächelte Heather und ich schaute sie an: „Versuchen wir etwas anderes. Welches sind denn deine Lieblingsfiguren?“

„Öhm...“, ich überlegte kurz: „Also… die Grinsekatze ist echt cool… und der Hutmacher wirklich lustig. Wenn ich mich entscheiden müsste, der Hutmacher.“

Amy fing neben mir wieder an zu lachen. Ich wusste nur nicht warum. Sie schielte grinsend und giggelnd an mir vorbei.

„Was ist so lustig?“, fragte ich sie fast gereizt.

Amy schaute mich kichernd an: „Sind beide schon vergeben.“

„Woher weiß du das?“

„Erzählungen“, kicherte sie weiter.

„Die Grinsekatze kriegst du nicht“, kreischte Grell: „Das ist mein Freifahrtschein in Bassys Herz!“

„Nein“, stöhnte der Butler erneut: „Ist es nicht...“

„Aber Bassy!“

„Und…“, ich traute mich ja fast nicht zu fragen: „...Wer ist der Hutmacher?“

Amy deutete lachend an mir vorbei. Mein Kopf wandte sich um und Undertaker winkte mir mit einem riesigen Grinsen entgegen.

Ich blinzelte und ließ die Schultern hängen: „Warum überrascht mich das so gar nicht?“

Undertaker gigglte: „Das könnte daran liegen, dass du mich kennst. Fu fu fu fu!“

Ich stockte kurz: ‚Tue ich das?‘

Ich war mir dessen wirklich nicht mehr sicher. Obwohl die Stimmung so ausgelassen war, griff eine klamme Hand mein Herz.

Undertaker legte den Kopf schief: „Du wärst eine wundervolle Alice.“

„Denkst du?“

„Tehe. Aber ja!“

„Okay“, seufzte ich: „Gut, ich mach‘s...“

„Meine Heldin!“, lachte Charlie.

„Dich im Kleid hätte ich ja schon gerne gesehen“, kicherte Lee nun wieder.

Undertaker schlug das Fotoalbum wieder auf und hielt dem Asiaten giggelnd das Foto vors Gesicht.

Dieser klappte hektisch das Büchlein wieder zu: „Wä! Tu‘ das weg, verdammt!“

Der Bestatter kicherte zufrieden.

Amy schaute fröhlich zu Ronald und William: „Wer seid ihr?“

Ronald legte William grinsend den Arm um die Schulter: „Haselmaus und Märzhase. Ich bin die Haselmaus.“

„Tu deine Hand da weg“, grummelte William düster.

Der junge Reaper zog seinen Arm zu sich: „Ist ja gut... Sorry.“

„Und du?“, drehte sich Amy zu dem Butler.

Dieser legte eine Hand auf sein Herz: „Das weiße Kaninchen, Mylady.“

Ronald drehte sich zu Charlie und Frank: „Aber wer bleibt denn dann für die Beiden übrig?“

Frank seufzte: „Gar nichts. Wie überaus tragisch.“

„Oh!“, klatschte Charlie in die Hände und stupste Frank mit dem Ellbogen an: „Komm, wir machen die Kartensoldaten!“

„Fantastische Idee“, lachte Alexander.

„Ich hasse dich“, stöhnte Frank.

„Du Pik“, grinste Charlie in dem Wissen weiter wie wenig Frank sein Einfall gefiel: „Und ich Herz.“

„Ich glaube ich kann dieses Jahr leider nicht kommen“, drehte Frank mit verschränkten Armen den Kopf zu Alexander.

„Du kannst mich doch nicht hängen lassen“, lächelte dieser voll Schadenfreude.

„Oh doch, kann ich“, konterte Frank kühl.

„Oh nein, das bringst du nicht fertig.“

„Ist das eine Kampfansage, Alex?“

„Ich kann dich auch von Sebastian abholen lassen.“

Frank schüttelte weiter mit dem Kopf: „Ihr seid furchtbar. Alle miteinander.“

Die Gruppe lachte wieder.

Ausgelassen unterhielt sie sich noch eine Weile weiter und tranken Wein.

Irgendwann drohten meine Augen zu zu fallen. War es doch wirklich noch ein sehr amüsanter, in Teilen auch wirklich verstörender, Abend geworden, war der Tag an sich einfach furchtbar anstrengend gewesen. Doch wenigstens hatten mich die Anderen für ein paar Stunden erfolgreich abgelenkt. Ich stellte fest, dass es mit dieser Gruppe unmöglich langweilig werden konnte. Ich fühlte mich wirklich ein Stück wie Alice im Wunderland.

Doch nun entschuldigte ich mich und die Anderen hatten es auch zum Anlass genommen zu gehen. Auf ihr Zimmer oder in einer kleineren Gruppe noch in einen der Salons. Ronald und Undertaker verschwanden tatsächlich noch einmal im Garten.

Morgen würden Amy und ich noch hier bleiben. Alexander wollte uns so spät nicht wegschicken und morgen nicht so früh aus den Federn scheuchen.

Um 22 Uhr lag ich schließlich vollkommen ermattet in meinem Gästebett. Allerdings war ich nach 3 Stunden, wie mir der Wecker auf meinem Nachtisch verriet, immer noch wach und konnte einfach nicht einschlafen. Es lag nicht an dem Fluchen und Lachen, was leise von Undertaker und Ronald durch mein Fenster sickerte, die darunter trainierten.

Nun, wo ich alleine war, verfolgten mich wieder zu sehr die Ereignisse dieses Tages. Nach zwei Stunden war der Lärm der beiden Shinigamis verebbt. Wahrscheinlich waren auch sie mittlerweile ins Bett gefallen. Eine weitere schlaflose Stunde später, warf ich meine Beine aus dem Bett und meinen Poncho über das dünne Nachthemd, welches mir Amy geliehen hatte.

Ich begab mich zu der Balkontür, schob die Gardinen zur Seite und schaute ein paar Minuten auf den vollen Mond. Sein silbernes Licht erleuchtete die Nacht. Die Bäume und Büsche im Garten warfen blasse Schatten auf den Rasen, der im fahlen Mondlicht fast so aussah als läge dort schon Schnee. So silbern leuchtete er. Mir fiel sofort etwas ein, was auch immer so silbern leuchtete. Das fahle Mondlicht hatte genau dieselbe Farbe wie die langen Haare des Bestatters. Die, die immer so herrlich nach gemähtem Gras rochen. Gemähtem Gras, Zedernholz und Zucker.

Ich öffnete die Tür. Nicht einen Schritt hatte ich mit meinen nackten Füßen auf den Balkon getan, da stoppte mich eine Stimme: „Du solltest wenigstens Socken tragen, aber ich habe ja Sendepause. Hehehehe.“

Mein Kopf zuckte nach rechts, wo ich den Bestatter mit seinen Ellbogen auf der Brüstung seines Balkons lehnen sah, der nur einen schmalen Spalt von meinem entfernt war. Seine Haut wirkte im hellen Mondlicht noch blasser als sonst und in den drahtigen Händen hatte er seine Anhänger und eine Zange. Er bog an dem Verschluss herum, den ich so grausam zu Grunde gerichtet hatte. Sein Auge funkelte mit dem vollen Mond um die Wette und gewann.

Obwohl seine Aussage relativ schnippisch war, wirkte Undertaker nicht beleidigt oder ähnliches. Eher amüsiert, wie immer.

„Ich“, machte ich und ging endgültig durch die Balkontür: „Wollte dich nicht… Naja… Dir nicht zu nahe treten.“

Mit einem Lächeln wanderte sein Auge kurz von den Anhängern weg: „Ehehe. Mir zu nahe zu treten ist sehr schwierig, kleine Skyler.“

„Sicher?“, fragte ich unsicher und stellte mich auf die Ecke meines Balkons, so dass ich eigentlich neben den Bestatter stand.

Dieser hatte sich wieder seinen Anhängern zugewandt: „Ja doch.“

Ich wartete auf das gewohnte Lachen, doch es blieb aus.

Der Bestatter wirkte sehr ruhig und wieder so unendlich melancholisch, als er tief in Gedanken versunken an dem Verschluss werkelte. Ich wusste nicht ob ich jetzt etwas sagen musste. Ich war nicht gut in solchen Dingen. Doch irgendwie fühlte sich die Stille zwischen uns nicht komisch an. Es war eher die Art von Stille bei der Niemand etwas sagen musste. Meine Gedanken fingen wieder an unaufhörlich diesen außergewöhnlichen 1.11 zu repetieren. Das Gespräch im Garten, das Gespräch mit Ronald, mit dem anderen Reaper, mit Amy. Ich wusste immer noch nicht ganz wie ich mit der Wahrheit über mich umgehen sollte, doch es fühlte sich nun ein bisschen weniger hoffnungslos an. Ich wusste auch nicht ganz was ich von dem ganzen Anderen halten sollte, doch ich wusste ganz genau, dass mir in der Welt der Shinigami bewusst geworden war, dass ich die Reaper eigentlich mochte. Die Reaper… und Undertaker auch. Ich würde ihn so sehr vermissen. Ich mochte ihn bei weitem mehr, als ich ihn fürchten könnte.

Ich seufzte kurz und verschränkte meine Arme gegen das Frösteln. Die eh schon kalte Luft war noch kühler geworden.

„Herrje, herrje“, lachte Undertaker sanft: „So ein schweres Seufzen und abermals scheinst du vollkommen schlaf- und rastlos.“

Ich nickte: „Ja, ich… überlege noch.“

„Tehe. Worüber?“

„Über… mich… und ein paar andere Dinge.“

„Hehe. Zum Beispiel?“

Ich schaute den Bestatter an: „Warum hast du mir nicht erzählt, wie man zum Reaper wird?“

„Weil es nicht wichtig ist.“

„Du hast dich selbst umgebracht...“

„Vor wahrlich Ewigkeiten!“, der Bestatter lachte wieder: „Ehehehehe! Da kräht nun wirklich kein Hahn mehr nach.“

Ich schaute ihn an und zog meine Augenbrauen zusammen: „Kikeriki.“

Undertakers Kopf zuckte zu mir: „Bitte?“

„Kikeriki.“

„Pffffffff!“, kam es aus den zusammengepressten Lippen des Bestatters, als er krampfhaft versuchte ein Lachen zu unterdrücken. Seine Wangen blähten sich auf und als er mich anschaute füllte sich das eine Auge, das ich sehen konnte, mit Tränen. Lachtränen. Denn sein Lachen war ein weiteres Mal stärker als er. Wie es eigentlich immer der Fall war. Und laut. Es war sehr laut. Ein paar Bröckchen des Außenputzes rieselten durch den Spalt zwischen seinem und meinem Balkon. Ich war mir sicher das Manor war jetzt wieder wach. Doch Undertaker lachte weiter, krümmte sich ein wenig und hielt sich dabei den Bauch. Und das sicherlich 5 Minuten lang. Irgendwann wedelte er mit seiner Hand vor seinem Gesicht herum und atmete tief durch: „Wie unendlich kreativ! Fuhuhuhuhuhuhu! Du bist ein nicht versiegender Quell endloser Freude!“

„Nimmst du mich auch ernst?… Lachen ist ok, aber… ich mein das ernst, Undertaker.“

Er wuschelte mir durch die Haare: „Fu fu fu! Du bist so herrlich. Natürlich nehme ich dich ernst! Aber warum interessierst du dich für so langweilige Geschichten?“

„Es klang nicht so, als seien sie langweilig“, konterte ich: „Die Reaper sind vollkommen begeistert davon.“

„Die Reaper“, schnaubte Undertaker und wandte sich wieder ab: „Ehehehehe! Haben schon so viel dazu gedichtet. Es war alles nur halb so glorreich und nur halb so episch. Im Endeffekt“, Undertaker bog, während er redete mit diesem melancholischen Ausdruck in dem Auge über dem üblichen Lächeln weiter an seinen Anhängern herum: „War ich auch nur ein Shinigami wie jeder andere. Ich hing in meinem Büro herum, hab Formulare ausgefüllt, oder Papierflieger daraus gebastelt, je nach Laune. Und ich habe mich gelangweilt! Unendlich gelangweilt! Meine Fälle waren nur etwas schwieriger und ich hatte das Doppelte an Aufgaben. Ehehe! Wer viel kann, muss viel tun.“

„Was für Aufgaben hattest du denn noch? Außer Seelen holen.“

„Ich war Lehrer an der Akademie, Ausbilder im Dispatch und befugt die Liste zu ändern. Viele übernatürliche Wesen haben im Laufe der Jahre versucht mich zu ihrem Werkzeug zu machen. Ihihihihi! Zwang, Versuchung, Erpressung. Sie haben alles ausprobiert“, sein Lächeln wurde ein Grinsen: „Erfolglos. Gihi!“

„Die… Liste?“

„Die Liste mit den Todesdaten. Dieses sympathische, kleine Büchlein mit den bunten Zettelchen, welches William des Öfteren in der Hand hat. Darin stehen die allgemeinen Informationen, ein nicht ansatzweise vorteilhaftes Foto und Todesart, wie -uhrzeit. Die Reaper arbeiten sie ab. Nihihihi! Eine endlose Aufgabe, versteht sich.“

„Und... du kannst sie ändern? Also… Todesart und -uhrzeit und so?“

Undertaker nickte nur und bog mit seinen geschickten Fingern weiter an dem Verschluss.

„Passierte das oft?“, trieb ich das Thema weiter an, doch erntete nur ein Kopfschütteln. Mein Kopf fiel ein Stück zur Seite und mein Blick ein weiteres Mal auf die Anhänger in den langen Fingern: „Waren sie ein Geschenk?“

Wichtig waren diese Anhänger dem Inkognito- Sensenmann, so viel konnte man erkennen. Er trug sie immer bei sich, als ob sie ein Teil von ihm wären.

„Ehehehe“, Undertaker hob die Anhänger in die Höhe. Er betrachtete sie mit einem komischen Gesichtsausdruck. Obwohl er grinste wurde sein Auge immer schattiger: „Ja und Nein.“

„Wie?“, fragte ich mehr als nur verwirrt.

„Ich hab sie mir anfertigen lassen“, leuchtete dieses unglaubliche grüne Augen so unglaublich traurig im fahlen Mondlicht, als es mit einem schweren, aber nicht ganz unehrlichen Lächeln der goldenen Kette mit den 12 Anhängern entgegen schaute: „Doch das wofür sie stehen, das war ein Geschenk.“

Ich war wieder einmal nicht in der Lage von diesem Auge wegzublicken. Es funkelte in diesem Silberlicht und sah so herrlich aus. Herrlich und traurig. Daran änderte auch sein Grinsen nichts. In meinem Kopf kehrte der Gedanke zurück, dass das Grinsen des Bestatters wohl nicht nur ein Stilmittel war um seine bizarre Art zu unterstreichen. Nein. Es war auch eine Möglichkeit seine Empfindungen zu verstecken. Seine Augen sah man ja für gewöhnlich nicht. Nur dieses Grinsen. Ich wurde traurig, als ich mir vorstellen musste, wie oft Undertaker wohl schon bei den Anderen und den Anderen vor den Anderen gestanden hatte, umringt von Menschen und gegrinst hatte. Und sie hatten nur sein Grinsen gesehen, nicht seine Augen die dunkel und schwer gewesen waren. Gelegt in tiefe, tiefe Schatten deren Trauer ein Mensch wahrscheinlich gar nicht gänzlich verstand. Wie oft ihm vielleicht schon Taktlosigkeit wegen diesem Grinsen unterstellt wurde, obwohl in seinen Augen eine unendliche Melancholie gestanden hatte. Versteckt hinter einem dichten, silbernen Vorhang, hinter den die meisten Menschen noch nicht mal einen Blick riskieren würden, wenn sie dafür Geld bekämen. Vielleicht weil es zu anstrengend oder der Totengräber zu seltsam war. Sie waren dumm. Sie waren alle so dumm. Ich blinzelte ein paar Tränen weg, die sich bei der Vorstellung, wie einsam sich der Bestatter manchmal in der Gegenwart anderer Menschen fühlen musste, in meine Augen gestohlen hatte.

Ohne wirklich darüber nachzudenken griff ich den Arm des Totengräbers und zog ihn in meine eigenen. Über die Distanz von zwei Brüstungen und dem kleinen Spalt hinweg legte ich meine Schläfe an seinen Oberarm und schaute auf den runden Mond, der groß und voll direkt über uns stand: „Und wofür stehen sie?“

Undertaker antwortete nicht sofort. Eine kalte Hand legte sich auf meine. Als er nach ein paar Wimpernschlägen antwortete, tat er dies mit einem sehr seichten Schnauben: „Freundschaft.“

„Und wer hat dir dieses Geschenk gemacht?“

„Viele“, jetzt wurde das Schnauben zu einem leisen Lachen. „Die Erste war Cloudia.“

„Cloudia?“, wieder sprang in meinem Kopf das Bild von den 3 Sarkophagen im Mausoleum an: „Sie war eine Phantomhive, richtig?“

„Exakt. Vincents Mutter. Ciels Großmutter.“

„Die Phantomhives bedeuten die Welt für dich, oder?“

Wieder ließ die Antwort ein paar Sekunden auf sich warten: „Einen großen Teil davon. Mit Cloudia fing damals alles an.“

Ein weiteres Mal konnte ich mir nicht vorstellen, dass Undertaker wirklich mal einen Phantomhive verraten hatte. Es musste etwas anderes gewesen sein: „Was hat sie denn gemacht?“

„Herrje“, seufzte Undertaker und lachte dann: „Ein paar Dinge. Sie hat mir unter anderem geholfen mein Bestattungsunternehmen zu eröffnen. Durch ihre Tätigkeit als Wachhund der Königin stolperte sie eines Tages über mich. Da war ich nicht mehr als ein morbider Landstreicher, der die Welt nicht verstand. Sie griff mir unter die Arme und das gegenseitige Hände waschen begann.“

„Sie griff dir unter die Arme? Einfach so?“

„Klingt das so unmöglich?“, klang ein Grinsen ganz deutlich in seiner Stimme mit.

„Nein, aber… die Phantomhives sind sicher nicht die schlechtesten Menschen, aber sie wirken nicht so als würden sie aus reiner Nächstenliebe jedem Straßenhund ein Zuhause geben.“

Sein Arm bebte kurz, als der Bestatter einmal herzlich lachte: „Ahahaha! Da hast du wohl Recht. Nein. Eigentlich hat sie versucht mich umzubringen. Das hat nicht funktioniert und sie entschied mich lieber als Freund, als als Feind zu haben.“

Ich nahm erschrocken meinen Kopf von seinen Arm ohne ihn los zu lassen und schaute zu ihm hoch: „Wie?! Was?! Wieso?!“

Doch Undertaker kicherte nun wieder wirklich belustigt in eine Hand und schloss dabei sein Auge. Mir fiel auf, dass Zange wie auch Anhänger ihren Platz auf der Brüstung gefunden hatten und die andere Hand des Bestatters immer noch auf meinen Fingern lag: „Naja. Ehehehehehehehehehehehehehehe! Ich bin kein gütiges Wesen, Sky. Wenn du diesem Irrtum unterlegen bist, solltest du ihn schnell loswerden. Ehehehehe!“

„Ich glaube du bist eins“, meine Hand drehte sich und schnappte seine Finger, ohne dass ich aktiv daran gedacht hatte es zu tun. Seine Hand war so kalt wie der frische Novemberwind: „Nur nicht bedingungslos.“

Er lachte: „Tehehe. Sei nur vorsichtig mit solchen Annahmen. Die Dinge sind nicht immer annähernd wie sie scheinen. Oft sind Tagträume doch nur verkleidete Schreckgespenster.“

Meine Augen fielen nach unten. Irgendetwas daran klang furchtbar grausam. Doch nach einem Durchatmen schaute ich den Totengräber wieder ins Gesicht: „Aber für Cloudia warst du kein Schreckgespenst, oder?“

„Nein“, er schüttelte grinsend mit den Kopf und sein Daumen begann sanft über die Rückseite meiner Finger zu streichen, als sein Grinsen eine endlos melancholische, wie gleichzeitig freudige Nostalgie beschlich. Das Streichen war ein beruhigendes Gefühl. Seine Hände waren relativ rau, wahrscheinlich weil er so viel damit arbeitete, doch auch irgendwie ganz weich. Als hätte man raues Leder über ein weiches Kissen gespannt: „Ich habe angefangen einige Dinge für die Familie Phantomhive zu erledigen und schnell ging ich in meiner neuen Berufung auf und konzentrierte mich zum größten Teil darauf. Tehehe.“

„Nicht gesucht, aber doch gefunden“, sagte ich leise mit einem leichten Lächeln.

Doch Undertaker hatte mich gehört und nickte: „Das ist eine sehr gute Bezeichnung dafür. Hihi. Auf jeden Fall. Cloudia half mir, mir ein Leben aufzubauen und ich half ihr, wenn die Dinge übernatürlich wurden. So lernte ich auch Vincent kennen. Zu dieser Zeit war er noch ein Teenager mit dem Kopf in den Wolken“, Undertaker schaute wieder auf den Mond und schüttelte leicht den Kopf, als er leise vor sich hin lachte. Auch sein Auge lachte und lachte doch wieder nicht. Mir fiel ein Wort dafür ein.

Saudade.

Das fortwährende Betrachten von Erinnerungen an glückliche Tage, mit der traurigen Gewissheit, dass diese nie wiederkehren.

„Er hat ihn nie wirklich dort heraus bekommen“, fuhr Undertaker mit diesem Ausdruck in dem Auge fort und weckte mich aus meinen Gedankengang: „Doch ich mochte ihn sofort. Er war lustig. Ehehehe. Als Cloudia bei ihrer Pflicht umkam und Vincent der neue Wachhund wurde, beschloss er mich endgültig in die Pflicht zu nehmen. Er machte mich zu einem Aristokraten des Bösen und ich war eine Zeitlang endgültig die Zähne des Wachhundes. Ich habe jeden Tag genossen. Doch dann...“, sein Lächeln brach so plötzlich in sich zusammen, dass ich das Gefühl hatte mein Herz blieb stehen. Sein Daumen stoppte, als er seine Augen abermals schloss und ich merkte wie der Griff seiner Hand um meine fester wurde. Mit Schock geweiteten Augen schaute ich ihn an. Was in seinem Gesicht stand war nicht länger Saudade. Das war Trauer und das war Schmerz.

„Brannte die Villa“, sprach Undertaker mit einem unterdrückten Zittern in der Stimme nach einem kurzen Moment weiter, öffnete wieder sein Auge und etwas blitzte in seinem Gesicht auf. Eine kleine Träne, angestrahlt vom silbernen Mondlicht: „Und alle darin mit ihr. Was ein grausamer Tod.“

Sein Smaragdauge fiel hinunter und mein Herz zog sich zusammen. Ich wusste nicht, was ich tun oder sagen sollte. Ob ich überhaupt etwas tun oder sagen konnte. Der Tod Vincents schien für Undertaker nach wie vor unendlich schmerzvoll zu sein.

Er weinte.

Es war nur eine kleine Träne, die langsam seine bleiche Wange hinunter rollte, doch… er weinte. Und es wirkte so unendlich bitterlich: „Er ist bis auf die Knochen zu Asche verbrannt. Ich habe einen fast leeren Sarg beerdigt.“

Ich hatte einen Kloß in meinem Hals. Nie hätte ich gedacht den Bestatter so zu sehen.

Ihn, der immer grinste.

Ihn, der selbst Gott auslachen würde.

Ich zog seinen Arm näher zu mir heran und kletterte, mit seinem Arm als Halt, mit meinen Knien auf die Balustrade. Überrascht von dem kleinen Ruck wandte er sich zu mir. In diesem Moment hob ich meine Hand in sein Gesicht und wischte die kleine Träne fort. Der Totengräber schaute mich mit einem großen Auge vollkommen überrascht an.

„Vincent würde das nicht wollen“, sagte ich ohne die Hand von seiner kalten Wange zu nehmen: „Er würde wollen, dass du weiter lachst und fröhlich bist. Ich bin sicher das hat er immer sehr an dir geschätzt.“

Sein Mund zog sich wieder in ein sanftes Lächeln. Er schloss langsam die Lider und öffnete sie wieder, als er seine Hand auf meine Hand in seinem Gesicht legte: „Das tat er. Ich habe das Gefühl in gewisser Weise taten sie das alle.“

„Alle?“

„Vincent, Cloudia, Diedrich, Ciel, Lau, Madame Red, Claus“, sein Blick fiel auf die Anhänger: „Jeder für den ein Medaillon an dieser… Kette hängt.“

„Nicht nur sie taten das“, legte ich mit einem Lächeln den Kopf schief: „Wir tun das auch. Alexander, Heather, Amy, Fred, Lee, Charlie und Frank. Grell, Ronald und William. Und ich auch.“

Undertakers Gesicht drehte sich wieder zu mir und das sanfte Lächeln wurde weiter: „Du bist zu liebenswürdig für diese kalte Welt, schöne Skyler.“

„Das bedeutet dieses Geschenk doch, oder? Freundschaft meint doch liebenswürdig zueinander zu sein, gerade wenn die Welt furchtbar kalt zu sein scheint.“

Der Bestatter lachte seicht auf: „Ich habe noch niemanden kennen gelernt, der es schöner formulierte. Und da waren einige sehr gute Redner dabei.“

Ich schloss die Augen, als ich weiter lächeln musste: „Danke für die Blumen! Aber… ich glaube das war ein bisschen zu geschwollen.“

Undertaker lachte wieder, nahm meine Hand von seinem Gesicht und beschaute sie als er mit seinem Daumen sanft über meine Handfläche strich: „Ehehehe! Und zu bescheiden bist du auch.“

Meine Handfläche surrte unter seiner Berührung.

Ich öffnete die Augen wieder und als mein Blick den des Totengräbers traf fingen wir gemeinschaftlich an zu lachen. Danach schob ich meine Beine nach vorne und setzte mich ganz auf die beiden Balustraden.

„Fall nicht“, lächelte Undertaker und hielt meine Hand fester, wahrscheinlich um mich zu halten sollte ich doch abstürzen.

Ich schüttelte den Kopf: „So ungeschickt bin ich auch nicht.“

„Du bist aber auch nicht gerade deines Karmas bester Freund“, grinste der Bestatter seicht, doch amüsiert.

Ich schnaufte schwer und meine Augen fielen nach unten, als mich die ganzen Gedanken einholten, die ich mir den Tag über über den Bestatter gemacht hatte. Ich schaute ihn von unten an: „Du auch nicht, oder?“

Er legte den Kopf schief: „Wie meinst du das?“

Ich drehte meine Hand in seiner, schloss wieder meine Finger darum und nahm sie auch in meine andere. Ich beschaute sie ein paar Sekunden. Dann schaute ich dem Bestatter wieder ins Gesicht: „Bist du glücklich, Undertaker?“

Ich wollte sein Gesicht sehen, wenn er antwortete.

Tatsächlich fielen seine Augen kurz nach unten und wurden dabei für einen kurzen Moment unsagbar dunkel. Der Schatten huschte hindurch und verschwand wieder in den Hintergrund, als er sie wieder auf mein Gesicht richtete. Ich war mir sicher, der Bestatter versteckte etwas. Nicht zwingend vor mir, sondern eher vor sich selbst.

„Warum fragst du?“, fragte er, als seine Augen meine wieder erreicht hatten.

„Du hattest mal Schüler“, sagte ich und ein weiterer Schatten huschten durch seine Augen.

„Ja“, antwortete er: „Hatte ich.“

„Viele?“

„Einige“, nickte er.

„Mochtest du sie?“

Wieder ein Nicken.

„Sie sind tot, nicht wahr?“

„Ja.“

„Alle?“

„Alle.“

„Du hattest auch schon viele Freunde, oder?“

„In der Tat“, er lachte seicht, doch hatte ich noch nie ein Lachen gehört, das bei ihm so künstlich klang: „Tehe. Sie wussten es nicht immer, doch sie waren meine Freunde.“

„Die Meisten davon sind auch tot, richtig?“, fragte ich weiter ohne seinem Lachen auch nur einen Funken an Glauben zu schenken.

Undertaker nickte und schaute auf den runden Mond. Er grinste, doch seine Augen verrieten mir, dass es in ihm anders aussah: „Viele. Ja.“

„Macht dich das nicht traurig? Die Gewissheit, dass jeder geht? Dass keiner bleibt?“

Der Bestatter schloss die Augen. Für einen Moment sagte er nichts. Als er die Augen öffnete, wanderten sie über seinem immer noch allgegenwärtigen Grinsen langsam wieder zu mir: „Ich frage dich erneut: Warum fragst du?“

Ich schaute ihn an: „Weil ich es gerne hätte, dass du glücklich bist.“

Er schaute mich eine kurze Weile an: „Warum?“

Ich wunderte mich wirklich, dass sein Grinsen immer noch an Ort und Stelle war: „Weil du es verdient hast.“

„Habe ich nicht.“

„Warum?“

„Dafür gibt es viele Gründe.“

„Erzähl sie mir.“

„Warum sollte ich?“

„Ich würde dich gerne kennen lernen. Das habe ich doch schon mal gesagt. Ich wäre gerne eine Freundin für dich, Undertaker. Ich würde dir gerne helfen, doch das kann ich nicht, wenn ich nicht weiß wobei.“

Der Bestatter schaute mich für einen Moment ganz komisch an. Sein Grinsen hing schief. Furchtbar schief. Hinter den kristallklaren Augen tobte Krieg.

Ich zog seine Hand in meinen Händen zu mir: „Du bist auch nicht alleine, Undertaker.“

Mit einem traurigen Schmunzeln schloss der Bestatter abermals seine Augen. Dann öffnete er sie wieder und sein schiefes Grinsen wirkte so herzzerreißend traurig: „Hehe. Am Ende bin ich es doch.“

Ich ließ meine Augen sinken.

„Ich habe mich daran gewöhnt“, fuhr er mit einem traurigen Lachen fort: „Denn man gewöhnt sich an alles, kleine Sky.“

Ich schaute ihn wieder an. An so etwas sollte man sich nicht gewöhnen müssen! Niemand! Schon gar nicht er! Ich wurde sauer. Nicht auf ihn, sondern auf das Schicksal. Ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass man sich wirklich an so etwas gewöhnen konnte.

Ich seufzte: „Heute war ein lustiger Abend, oder?“

Er blinzelte ein wenig irritiert. Dann lachte er kurz: „Tehe. Ja. Vortrefflich, wieso?“

„Es haben alle viel gelacht.“

Der Totengräber lachte ein wenig amüsierter: „Ehehehe! Lees Gesichtsausdruck lud auch herzlich dazu ein!“

„Wenn du in, sagen wir, 100 Jahren daran zurück denkst“, begann ich und schaute dem Bestatter fest in das freigelegte Auge: „Dann sind alle Menschen, die mit dir an diesem Tisch saßen, tot.“

Sein Grinsen brach endgültig in sich zusammen. Er musterte mich mit einem ernsten und skeptischen Gesichtsausdruck, der so streng wirkte das er gruselig war: „Fein erkannt.“

Ich atmete tief durch: „Wie fühlst du dich dann?“

Urplötzlich riss er seine Hand aus meinen Händen. Geschockt blinzelte ich ihn an.

Undertaker hatte sich mit den Händen auf die Brüstung gestemmt und schaute in den vom Mond erhellten Garten. Aus seinem Mund, gerade wie ein Strich, kam nichts. Kein Giggeln, kein Kichern, kein Lachen, kein Wort. Er schaute nur in den Garten. Ich hörte ein Knacken. Die Finger des Bestatter hatten sich so fest um die Balustrade gezogen, dass sie sie an den Ecken eingedrückt hatten.

Mein Herz setzte aus.

Doch mir wurde klar, ich hatte recht. Er hatte sich an gar nichts gewöhnt. Er hätte nur gerne, dass es so wäre.

Die nun folgende Stille war wirklich unangenehm. Doch mir fiel nichts ein um sie zu brechen. Ich wollte irgendwie, dass der Bestatter aufhörte alles in sich hinein zu fressen. Dass er es aufarbeitete und irgendwie loswurde. Doch wahrscheinlich war ich zu weit gegangen. Viel zu weit. Ich hatte kein Recht dazu gehabt. Ich hasste mich selbst. So unendlich. Mich und meine große Klappe. Natürlich war es nicht gesund, dass er das alles in sich hineinfraß, doch konnte er alles überhaupt aufarbeiten? War das überhaupt noch möglich? Ich machte mir Sorgen um ihn. Viele.

Nach einigen Minuten zog sich sein gerader Mund in ein düsteres Lächeln: „Tehehe. Was möchtest du jetzt von mir hören?“

Ich schaute ihn besorgt entgegen: „Die Wahrheit.“

„Ich sage immer die Wahrheit.“

„Oder gar nichts.“

„In der Tat.“

„Sagst du mir jetzt die Wahrheit, oder gar nichts?“

Seine Augen wanderten zu mir, ohne dass er seinen Kopf drehte. Einen Moment musterte er mich. Dann schaute er wieder auf den Garten und sein düsteres Grinsen wurde eine furchtbare Grimasse. Sie sah grässlich aus. Wütend. Schmerzerfüllt. Gepeinigt.

„Willst du von mir hören, dass ich traurig bin wenn ich an schöne Momente zurück denke?“, sprach er ruhig, obwohl seine Gesicht alles andere als ruhig wirkte: „Dann ist die Antwort ja. Ich erfreue mich daran und gleichzeitig sind sie schmerzlich. Willst du hören, dass ich jedes Mal einen kleinen Tod mit meinen Freunden sterbe? Auch hier ist die Antwort ja. Willst du hören, dass es kein Geschenk ist unsterblich zu sein? Nein, ist es wirklich nicht“, er seufzte gestresst und sein Gesicht entspannte sich in einen nicht mehr wütenden, aber traurigen Ausdruck. Er verschränkte die Arme auf der Balustrade: „Willst du hören, dass ich sie alle vermisse? Tue ich. Jeden Tag.“

Dann drehte er den Kopf zu mir: „Ich frage mich nur, warum du das alles wissen willst.“

Ich seufzte: „Immer wenn du von Vincent sprichst oder von anderen alten Freunden, grinst du und lachst, aber… deine Augen tun das nicht. Sie werden ganz dunkel und traurig. Dann siehst du so... verlassen aus. Das… ist kein schöner Anblick.“

Sein Gesicht drehte sich wieder zum Garten: „Es ist auch kein schönes Gefühl.“

„Du redest auch nie darüber.“

„Warum sollte ich?“, fragte er einsilbig.

„Ein bisschen Schmerz von der Seele reden, tut doch immer gut, oder?“

Er schwieg.

Ich schaute nach unten: „Immer wenn du so traurig schaust, frage ich mich wie ich dir helfen kann...“

„Hehe“, das Lachen überraschte mich und ich schaute wieder in sein Gesicht, auf dem dieses gottverdammte traurige Grinsen lag: „Das kannst du nicht.“

„Wer dann?“

„Niemand.“

Ich schüttelte frustriert den Kopf und schaute wieder betreten nach unten: „Das kann doch nicht wahr sein…“

Zwei Finger schoben mein Kinn sachte nach oben. Undertaker schaute mich an: „Es ist wie es ist. Niemand kann etwas daran ändern. Nicht ich, kein Mensch, kein Shinigami, kein Dämon, kein Engel. Ich habe nur zwei Möglichkeiten: Ich gehe daran zu Grunde, oder ich mache das Beste daraus. Ersteres ist sinnlos und bringt mich auch nicht weiter. Das Zweite ist nicht immer einfach, doch die beste Option die ich habe. Auf meinem Weg haben mich schon viele Wesen begleitet. Einige länger, andere kürzer und ich bin ihnen für jede Sekunde dankbar, die sie da waren. Ich nehme Freundschaften wie sie kommen, auch wenn das heißt, dass ich sie verabschieden muss. Was soll ich sonst tun? Mich einschließen? Schau nicht so traurig, meine schöne Puppe. Das musst du nicht. Du musst dir keine Gedanken um mich machen. Es geht mir gut. Trotz allem, eigentlich geht es mir gut. Auch wenn Erinnerungen bitter schmecken und Freunde kommen und gehen. Im Grunde geht es mir gut“, er lächelte immer noch schwer, aber ehrlich: „Ich mache, wie gesagt, das Beste daraus.“

Ich glaubte ihm, dass was er sagte die Wahrheit war, doch es klang auch ein Stück danach als habe sich der Bestatter selber daran erinnern müssen. Ich griff die Hand die an meinem Kinn ruhte und zog einmal kräftig daran. Wieder einmal schien der Totengräber damit nicht gerechnet zu haben und strauchelte auf mich zu. Ich griff seine Taille und drückte ihn an mich. So fest ich konnte: „Ich möchte, dass du glücklich bist...“, nuschelte ich in sein Hemd.

Ich hörte ihn seufzen und dann leise lachen, als auch er seine Arme um mich schloss. Das er es tat verwunderte mich. Ich könnte verstehen, wenn er sauer auf mich war. Doch ich merkte Gewicht auf meinem Kopf, das der Kopf des Bestatters war.

„Das glaube ich dir“, hauchte er in meine Haare.

Ich nahm den Kopf hoch, ohne ihn los zu lassen, was auch ihn dazu brachte das Gesicht hochzunehmen und schaute ihn an. Auch er ließ mich nicht los. Sorgen machte ich mir immer noch. Also musterte ich sein Gesicht.

Sein Mund war zu einem sanften Lächeln geworden: „Danke.“

Ich blinzelte überrascht: „Was? Warum?… I-Ich… wollte dir helfen, doch ich… ich habe das Gefühl ich habe es eher geschafft dich zu foltern…“

Er wackelte mit seinem lächelnden Kopf: „Ehehehe. Teilweise. Ein bisschen. Doch es tut doch immer gut sich ein bisschen Schmerz von der Seele zureden“, er zeigte beim Lächeln die Zähne: „Oder?“

Ein erleichtertes Lachen entfloh mir, als mich dieses Lächeln irgendwie total aus dem Konzept brachte: „Ich hoffe.“

Er neigte ein wenig den lächelnden Kopf: „Tut es.“

Ein kleines Lächeln der Erleichterung erschien auf meinen Gesicht: „Wenn du wieder Jemanden zum Reden brauchst, mach einfach Kikeriki.“

Der Bestatter fing an amüsiert zu lachen: „Ehehehehehe! Ich werde es mir merken!“

Ich stieg in sein Lachen ein. Es war wieder so leicht, dass es mich entspannte.

Doch mitten in dem seichten, doch wieder recht fröhlichen Gelächter rollte ein steifer, sehr kalter Windstoß über uns hinweg. Der Wind kroch mir in die Kleidung. Meine Haare flogen nach vorne und ich zog meinen Kopf ein, als ich heftig zu zittern begann, durch mein dünnes Nachtkleid und meine nackten Füße. Erst jetzt merkte ich wie taub meine Füße waren.

Doch Undertaker zog mich auf einmal wieder zu sich. Einen Arm um meine Schultern gefaltet und die andere auf meine Haare gelegt, drückte mich der Leichengräber an sich und schirmte mich so gut es ging von dem kalten Wind ab, der mir in den Rücken blies. Der Geruch von Gras, Zucker und Zedernholz stieg mir in die Nase und der Wind ließ wieder nach.

„Du solltest wieder rein gehen und dich hin legen“, hörte ich seine sanfte, tiefe Stimme. Sanft und tief wie schwarzer Samt.

Er nahm mich an den Schultern, schob mich ein Stück nach hinten und legte den Kopf schief: „Du wirst noch krank und du müsstest doch langsam wirklich müde sein, oder?“

Ich nickte. Müde war ich schon den ganzen Tag, doch das hieß nicht, dass ich schlafen konnte. Doch es war wirklich, wirklich kalt geworden und ich spürte meine Füße nicht mehr.

Die Hände des Totengräbers schnappten mich und hoben mich ungefragt zurück auf meinen Balkon: „Schlaf gut, meine schöne Puppe“, sprach er mit seinem herrlichen Lächeln.

Ich trat einen Schritt zurück und faltete zu Boden schauend meine Hände vor meinem Bauch: „Schlaf… Schlaf du auch gut.“

Sein beringter Zeigefinger drückte ein letztes Mal mein Kinn nach oben.

„Werde ich“, lächelte er mir entgegen. Dann nahm er seine Hand weg und schubste leicht vor meine Schulter: „Und nun geh. Hehehe!“

Mit einem letzten Lächeln verschwand ich wieder in mein Zimmer. Dieses Gespräch war irgendwie anstrengend gewesen. Doch ich hatte ein komisch warmes Kribbeln in meinem Bauch. Die schweren Gardinen blieben zur Seite geschoben und im Schein des vollen Mondes fand ich schließlich endlich etwas Schlaf.
 

Undertaker
 

Sky blinzelte immer noch die Türe an, obwohl Othello schon verschwunden war und schien über etwas nachzudenken, als sie seufzend den Kopf schief legte.

Ich tat es ihr gleich: „Glaubst du, dass du laufen kannst?“

Verlegen rieb sie sich den Nacken, dort wo die feine Zeichnung saß: „Ich… weiß nicht so recht.“

„Willst du es probieren?“, richtete ich mich auf und Skyler rutschte mit einem leichten Nicken von der Liege. Sie stand, doch so ganz vertraute ich ihren wackeligen Knien nicht. Also streckte ich ihr in bekannter Manier meinen Ellbogen hin.

Ihr Blick wanderte langsam zu mir herauf und ich lachte sie an: „Fu fu fu fu! Na komm. Gemeinsam sind wir stark.“

Mit einem kleinen Lachen und einem herrlich roten Gesicht harkte sie sich bei mir ein.

„Ein richtiger Gentleman“, seufzte Grell mit verschränkten Arme, bevor er William strafend anblickte und dieser nur eine Augenbraue hoch zog.

Dann gingen wir alle durch die Tür, die Ronald uns aufhielt. Skyler versuchte alles ihr Mögliche um eigenständig zu laufen, doch war sie eindeutig auf meinen Arm angewiesen. Doch sie war so leicht. Wäre das Ruckeln an meinem Arm nicht, würde ich sie fast nicht merken.

Schweigsam verließen wir das Gebäude. Grell und Ronald starteten eine Unterhaltung, sobald wir es verlassen hatte und versuchten auch William einzubinden, der aber nicht wirklich in Laune schien und mich zum Lachen brachte. So spazierten wir durch meine alte Welt, den gepflasterten Boden unter den Füßen, die Sonne über den Köpfen und den Fluss an unserer Seite. Das eh kaum merkliche Gewicht schwand nach und nach von meinem Arm, was mir verriet, dass Skyler langsam ihres Körpers wieder Herr zu werden schien. Alle Medizin in allen Ehren, doch frische Luft wirkte doch manchmal die besten Wunder. Doch ich machte keine Anstalten Skylers Arm zu entlassen. Ich mochte das Gefühl mit ihren Arm in meinen geharkt durch eine frühlingshafte Welt zu schlendern. Nebenbei lachte ich Ronald aus, der gerade einen spitzen Kommentar Williams verschmerzen musste.

Als sich die Bibliothek vor uns auftürmte ergriff William von sich aus das Wort: „Knox, Sutcliff. Ihr kommt gleich mit mir hoch.“

„Warum?“

„Ich will euch als Leumundszeugen dabei haben. Für den Fall der Fälle.“

„Othello hat doch sicher schon den Report weggeschickt“, machte Ronald genervt: „Die wissen schon alle Bescheid.“

„Trotzdem Knox“, sprach William bedeutungsschwer: „Ich möchte sicher gehen, dass es keinen… Redebedarf mit Miss Rosewell mehr gibt.“

Grell und Ronald drehen kurz den Kopf zu ihr. Dann nickten sie.

Als wir die große Halle betraten nahm William von Skyler Bücher und Ausweis entgegen. Eher skeptisch übergab die schöne Brünette die Bücher. Dann verschwanden sie in den Regalen, da William immer als erste Amtshandlung die Bücher weg sortierte. Ich schaute ihnen kurz hinter her und haderte mit mir selbst über den nächsten Schritt. Doch recht zügig entschloss ich mich.

Ich führte Sky zu einer der freien Sitzgruppen und setzte sie auf eine Couch: „Ehehehe! Ich möchte schnell etwas nachschauen. Ich bin nicht mehr oft hier. Nihihi. Kann ich dich kurz hier alleine lassen?“

Sie nickte: „Klar. Ich komm schon klar.“

Nun, da sie für die Shinigami keine Gefahr oder sonstiges mehr war, drohte ihr nichts mehr. Beruhigend. Beruhigend genug, um sie einen kurzen Moment verschnaufen zu lassen. Ein bisschen Zeit für sich selbst schadete nicht und ich hatte noch etwas vor.

„Ehehe. Vorzüglich“, lachte ich: „Ich bin nicht lange weg. Versprochen. Warte hier.“

„Lass dir ruhig Zeit“, sagte sie immer noch etwas ermattet, doch zumindest ging es ihr körperlich wohl wieder ein wenig besser.

Ich verschwand in den Bücherregalen, dort wo sie auch Grell, Ronald und William verschluckt hatten. Ich zog mir meine Brille auf die Nase und verschwand so endgültig in der Menge. Ich war nur ein Typ in Hemd und mit Brille über den gleichen grellen Augen. Vielleicht waren meine Schuhe doch etwas außergewöhnlicher, denn ein paar Shinigami, die ich passierte, musterten mich doch recht irritiert.

Doch mein Blick wanderte durch die ewig langen Regalreihen.

M... N... O...

Ich seufzte aufgrund der vielen Bücherreihen mit denselben Buchstaben.

P... Q... R!

Ich bog ein und fuhr mit meinem Zeigefinger über die vielen Buchrücken: ‚Ra… Ra… Ra… Re… Re… Re… immer noch Re… Ri… bla… bla… bla… Ri… Na komm schon… Ro!‘, ich schaute dir Reihe entlang. Seufzend stellte ich fest, dass auch sie endlos schien. Also schlenderte ich die Hände in den Hosentaschen weiter: ‚Robert… Roberts… nein… auch nicht… nop… net… Haaaaaa… bla bla bla…“, mein Kopf fiel ein Stück zur Seite, als die Reihe zu Ende war und ich das Regal an der anderen Seite wieder zurückging: ‚Wie endlos... Ronalds… Ronil… suche ich nicht… will ich nicht… brauche ich nicht... Rosewell!‘

Ich kicherte leise und murmelte vor mich her: „Alyson… Angelika… Benjamin… David… Graham...“, ich wackelte kurz abfällig mit der Nase, als mir dieser Name ins Auge fiel: „Bastard… Julie… Kylen… Lenc… Lewis… Libby… Rachel… Ha! Skyler!“

Ich zog das in rotes Leder gebundene Buch heraus. Silberne Lettern schienen mir entgegen »Skyler Rosewell, geb. Nightingale«.

Es wunderte mich doch, dass es augenscheinlich einige Roswells gab. Zumindest väterlicherseits hatte sie einige Verwandte.

Auch verwunderte mich, dass Rosewell nicht ihr Geburtsname war: ‚Hmmm… Nightingale … Skyler Nightingale‘, ich seufzte halb lachend: ‚Klingt ja fast noch besser. Hehehe.‘

Ich schob einen Fingernagel zwischen die Seiten. Meine Neugier hatte mich gepackt und ich wollte wissen wie es um die junge Skyler wirklich stand.

Natürlich war ich nicht mehr ansatzweise befugt meine Nase hier in irgendwelche Bücher zu stecken und genauso natürlich war mir das vollkommen egal. Die ‚Administrative‘ der Shinigamis konnte sich von mir aus auf den Kopf stellen und mit den Beinen Hurra schreien. Fast meine ganze unsägliche Amtszeit war ich selber Teil der Administrative gewesen. Ich hatte nie jemanden nach irgendetwas fragen müssen! Also fing ich nun sicher nicht damit an. Es war des Weiteren furchtbar langweilig, unendlich einschläfernd und über alle Maßen ätzend gewesen.

Doch als ich im Begriff war dieses Buch aufzuklappen, zauderte ich.

‚Das geht nicht einmal Gott etwas an!‘, rief die Stimme der jungen Sky durch meinen Kopf.

Scham war für gewöhnlich ein Gefühl, das ich nicht kannte. Doch gerade klopfte ich unschlüssig, immer noch den Daumennagel in den Seiten mit dem Buch auf meine andere Hand. Ich pfiff unstet durch die Zähne, als meine Neugier mit meinem Anstand diskutierte. Oder was auch immer es war, dass mich gerade davon abhielt dieses Buch aufzuschlagen. Ich wechselte mein Standbein, verschränkte einen Arm um meinen Oberkörper und stützte die Hand mit dem Buch darauf ab.

‚Warum?‘, fragte ich mich selbst und wackelte mit dem roten Buch: ‚Ansonsten hab ich doch auch wirklich kein Problem damit.‘

Doch Skyler hatte so wütend ausgesehen, als sie William zusammen gekeift hatte. Wütend und verzweifelt. So enttäuscht darüber, dass Grell nicht zu ihr gestanden hatte und so erleichtert und doch traurig, als ich ihr diese drei Bücher gegeben hatte.

Mit einem seichten Lachen schob ich das Buch zurück in seine Nische. Ich brachte es nicht übers Herz der jungen Skyler derartig in den Rücken zu fallen. Vincent, Ciel, Diedrich. Bei ihnen war es so leicht gewesen, doch bei ihr… ging es nicht.

Ich ging wieder zurück. Doch die Regale mit dem Buchstaben P stoppten mich. Wo dieses andere Buch stand wusste ich auswendig. Als ich die erste Seite aufschlug, die eigentlich immer leer war, schien mir das Gesicht meines toten besten Freundes entgegen. Das Wort darunter ließ mein Herz schwer werden: ‚Deceased‘

Ich beschaute dieses Wort eine Zeit lang. Es legte mir Blei in den ganzen Körper und einen immer wieder zu stechenden Schmerz in mein Herz, als ich mich an die lichterloh brennende Villa erinnerte. Ich war hinein gelaufen. Vorbei an Madame Red, die mit großen ungläubigen Augen davor gestanden hatte. Sie hatte mich noch nicht einmal gesehen, so wenig konnte sie die Szenerie begreifen, die vor sich gegangen war. Doch in der Villa hatte ich Vincent auch nicht mehr retten können. Als ich ihn fand war er schon mehr tot als lebendig gewesen. Rachel ebenso. Und Ciel war fort gewesen. Verschleppt. Nur Tanaka, zu der Zeit noch Butler, unter Ciel später Verwalter, hatte ich lebend aus dem brennenden Gebäude schaffen können. Er wollte nicht gehen. Nicht ohne seinen Herren und in der Hitze der Flammen musste ich ihm erklären, dass er schon tot war. In meinem Armen gestorben, von mir zurück gelassen und zu Asche verbrannt. Ich schloss die Augen. Wäre ich auf diese Fehde doch nie hereingefallen… Wäre ich doch nur pünktlich dort gewesen… nur 10 Minuten schneller…

Ich schaute wieder auf das gedruckte Abbild meines Freundes. Selbst seinen Wunsch hatte ich ihm nicht erfüllen können. Seinen letzten. Seinen Sohn zu retten. Ich hatte ganz London und Umgebung tagelang auf links gedreht. Doch als ich den jungen Earl in der Nähe von London fand, war er blutverschmiert und mit seinem Butler auf dem Weg zurück in die Heimat. Wo niemand mehr auf ihn gewartete hatte. Niemand außer Tanaka. Und auch ich. Doch das hatte der junge Earl vorerst nicht gewusst. Ich hatte mich den Beiden damals am Tag von Ciels Rückkehr nicht gezeigt.

Wozu?

Ich hatte versagt, von Anfang bis Ende, auf ganzer Linie, was vollkommen unverzeihlich war. Egal wie viele Generationen der Phantomhives ich begleiten werde, ich werde es nie gut machen können diesen Jungen, diese dummdreiste kleine Rotzgöre, nicht gerettet zu haben.

Mein Kopf fiel seufzend zur Seite. Das waren alte Geschichten. Alles. Wahrscheinlich nie mehr der Rede wert. Doch die Blätter bogen sich unter meinen Fingern, um dann schnell hintereinander auf die andere Seite zu hüpften. Ein paar Stellen las ich mir durch. An allen schmunzelte ich amüsiert, schwelgend in viel besseren Erinnerungen. Niemand konnte mich so bezahlen wie Vincent. Das junge Ding kam schon recht nah an ihn heran. Aber es reichte noch nicht ganz. Doch nach 10 Minuten schob ich auch dieses Buch schwungvoll, belustigt und trotzdem ansatzweise frustriert und wütend, zurück in seinen Spalt, als ich seinem Ende, seinem plötzlichen Ende, gefährlich nah kam: ‚Tehehe! Zur Hölle mit all dem!‘

Ich schlenderte aus den Bücherregalen wieder heraus und mein Blick fiel auf die Sitzgruppe, wo ich die junge Skyler zurück gelassen hatte. Eigentlich. Ich seufzte der leeren Couch entgegen: ‚Dieses Mädchen ist schwerer zu hüten als ein Sack Flöhe…‘

Da ich meine Brille immer noch trug sah ich die Umgebung um mich herum ungewohnt gut. Doch nirgendwo wuselte ein schönes, brünettes Mädchen mit der falschen Augenfarbe umher.

Wohin ging man, an einem Ort den man nicht kannte, in einer Welt die man nicht kannte?

Wahrscheinlich an einen der wenigen Orte, die man ansatzweise kennt. Das war für sie in diesem großen Saal nur einer: ‚Och nein… Was will sie da nur?‘

Mit einem halb genervten und halb amüsierten Schnauben begab ich mich also zu meinem ganz persönlichen Nichtlieblingsort.

Und tatsächlich. Kaum hatten sich die Regale gelichtet, erblickte ich den Rücken der schönen Brünette vor der Statue und der Vitrine, neben einer anderen Gestalt. Sie war kleiner als das junge Ding. Zierlicher. Doch seine Stimme wirkte wie die eines Jungen. Trotz der kurzen, braunen Haare hätte es sehr gut auch ein Mädchen sein können. Unter dem schwarzen Jackett schaute ein beiger Cardigan hervor.

„Na!“, machte der andere Reaper ganz aufgeregt mit seiner jungen Jungenstimme: „Du musst atemberaubend sein. Total hervorragend und herausstechend! Einfach so wie er.“

Skys Kopf drehte sich leicht zu dem immer noch lachenden Sensenmann: „Was hat er denn so tolles gemacht?“

‚Er? Oh nein...‘, er war wahrscheinlich ich. Das junge Ding wühlte schon wieder in meiner Vergangenheit herum. Im Gegensatz zu mir schien sie keinerlei Skrupel davor zu haben.

„Vieles!“, rief der junge Reaper, den ich so ca. auf Ronalds Alter schätzen würde, auch wenn er jünger aussah. Das hieß hier in dieser Welt nicht zwingend viel.

Skyler neigte auffordernd den Kopf ein Stück zu dem Schnitter: „Zum Beispiel?“

„Er soll Seelen geholt haben, wie Marie Antoinette und Robin Hood!“, ja, sie redeten über mich: „Die waren sicher furchtbar zickig auf ihren letzten Metern!“

‚Oh ja. Ehehehehehehe! Und wie!‘

„Herrscher, Adel und Leute, die Großes bewirkt haben wehren sich sehr oft sehr vehement und stürzen einige Reaper echt ins Unglück. Arme Tröpfe. Aber ihn! Ihn nicht! Man erzählt sich, dass weinende Kinder ihm freiwillig ihre Seelen überließen. Seine Augen sind legendär!“, man konnte das Grinsen des Reapers förmlich hören. Obwohl mir seine Loblieder furchtbar gegen den Strich gingen, mochte ich irgendwie die fröhliche Art des jungen Reapers, wie er so vollkommen unbeschwert über das düstere Schicksal seiner Kollegen sprach. Das Problem war nur, dass ich ihn nicht kannte. Im Gegensatz zu, zum Beispiel Ronald, hatte ich ihn nicht gebrieft und so wirkte er als posaunte er ungefragt und vollkommen freiwillig wirklich alles heraus. Ich machte mich bereit dem kleinen Schnitter in den Nacken springen zu können, sollte ich müssen.

„Warum seine Augen?“, fragte Sky eher verwundert nach.

„Es heißt, dass sie auf Menschen hypnotisierend gewirkt haben!“

‚Nicht die Geschichte‘, seufzte ich innerlich. Meine Augen waren nicht hypnotisch. Sie waren lediglich ausdrucksstark. Für Menschen streckenweise zu ausdrucksstark, zugegeben.

Sky schluckte trocken: „Wir… wirklich?“

Ich hoffte inständig, dass sie den Mist nicht wirklich glaubte.

„Keine Ahnung“, kam ein Schulterzucken des kleinen Sensenmannes, was mich erleichtert durchatmen lies: „Viel wurde sicher auch dazu gedichtet. Einige Ereignisse sind ja mittlerweile über 2000 Jahre her.“

„Tatsächlich? Welche?“

„Nun“, und das war es auch schon wieder mit der Erleichterung. Ich ging zwei Schritte auf die Beiden zu, hob meine Hände und wollte den kleinen Schnitter von hinten packen. Doch Skys Kopf zuckte in diesem Moment zu ihm und ich verschwand mit einem Satz hinter der zweiten Bücherregalreihe. So nah an dieser Statue lief ich immer Gefahr aufzufallen. Sie sah mir ja leider nicht ganz unähnlich. Einige Reaper die hier hinten herumstreunten interessierten sich darüber hinaus sehr für die alten Geschichten. Vorher hatte mein Lachanfall für sie alle die Möglichkeit vertrieben, ich könnte ein legendärer Shinigami gewesen sein. Niemand von ihnen dachte, dass das lebende Gegenstück der Statue mittlerweile ein lachender Irrer war, oder überhaupt noch am Leben, was gut für mich war. Noch dachten sie, dass andere Reaper sich trauen würden, einer Legende fluchend und zeternd an die Gurgel zugehen, so wie Grell und Ronald es getan hatten. Diese Deckung fehlte mir nun und so begeistert wie der Kleine dort schien, hätte er mich wahrscheinlich sofort erkannt. Ich stupste bei meiner Flucht einen weiblichen Schnitter an, die schon vor mir hinter dem Regal gestanden hatte.

„Die Jagd auf Kain und Abel, die Schlacht bei Jerusalem, das Einsammeln der Seelen der Propheten und etlicher altertümlicher Könige“, plapperte der fremde Reaper neben Skyler.

„He…!“, begann die Sensenfrau neben mir zu rufen, erstarrte dann aber als sie mich sah. Unglauben schwang durch ihr Stottern und sie zeigte mit zittriger Hand auf mich: „Ihr… ihr seid… ihr seid der...“

‚Oh nein...‘, ihr Mund verschwand hinter meiner Hand. Vom Regen in die Traufe hatte wohl gerade seinen Höhepunkt erreicht.

Die Reaper unter meiner Hand dachte sich sicher ähnliches, denn sie zog wütend nuschelnd an meinem Arm.

„Scht!“, zischte ich leise und schickte sie mit einem kontrollierten Schlag in den Nacken ins Land der Träume. Viel hielt die Gute ja nicht aus: ‚Huch...Ähähä...Upsala.‘

Da stand ich nun, eine K.o. geschlagene Frau am Kragen gepackt, zwischen den Bücherregalen der Shinigamibibliothek. Ungünstig.

„Seine To Do Liste war das Who is who des Altertums“, klang der andere Reaper immer noch ganz begeistert, als ich darauf achtete kein Geräusch mit dem Bücherregal zu machen, auf dessen oberen Brett ich in einer recht wackeligen, aber geräuschlosen, Kletterpartie die ohnmächtige Reaper ablegen wollte und nichts mehr verhindern konnte: „Und vielen Epochen danach und...“

„Schlacht bei Jerusalem?“, hörte ich Skylers erstaunte Stimme: „Das klingt ja wie Krieg!“

Das Regal wackelte leicht, als ich versuchte den letzten Arm des Reapers auf das Brett zu schubsen: ‚Jetzt frag nicht auch noch nach, du neugieriges, kleines Schlitzohr!‘

„Das war Krieg“, lachte der andere Sensenmann fröhlich: „Da war mal richtig was los!“

Ich wackelte abwägend mit dem Kopf. Unsympathisch war das kleine Kerlchen ja wirklich nicht. Ich kletterte vom Regal, als ich den schlaffen Körper der Shinigami verstaut hatte und wollte wieder zu der Ecke. Doch hatte ich die Sensenfrau wohl nicht ganz mittig abgelegt und das Regal kippte mir entgegen. Ich stemmte mich gerade noch rechtzeitig in Dreiecksstellung dagegen und ein paar Bücher rutschten nur ein bisschen auf den Brettern nach vorne ohne heraus zu fallen.

„Der Tod zieht in den Krieg?“, hörte ich Skylers Stimme.

Ich wollte das Regal wieder auf seinen Füße schieben und am besten einen großen Satz darüber tun, um den zu gesprächigen Reaper von seinen Füßen zu reißen damit er nicht weiter sprach, doch der Körper der ausgeknockten Schnitterin rutschte wieder vom Brett. Ich hüpfte mit ausgestreckten Armen nach hinten, um das Regal vor mir in seiner wackeligen Position zu halten und legte hastig einen Fuß auf ein Regalbrett hinter mir. Die Reaper landete auf meinem Bein, anstatt krachend auf dem Boden. Zumindest blieb ich trotz allem fast geräuschlos und unentdeckt. Doch die Position, die ich nun innehatte, war weder sonderlich bequem, noch sonderlich vorteilhaft. Ich korrigierte meine vorangegangene Vermutung. Denn nun war ich endgültig in der Traufe angekommen: ‚Warum hasst mich das Schicksal eigentlich so sehr?‘

Denn mit etwas anderem, außer einer Verschwörung höherer Mächte, konnte ich mir meine Situation nicht erklären. Und sie wurde nicht besser, als die Quasselstrippe neben Skyler weitersprach: „Da schon. Naja, er ist mit den andern 9 Alten und ein paar höheren Reapern nach Jerusalem gestiefelt. Die Babylonier haben Dämonen beschworen um Israel und Ägypten einzunehmen, ein paar Engel hatten allerdings einen ziemlichen Narren an Jerusalem gefressen. Wollten es ‚läutern‘ und ‚erstrahlen‘ lassen.“

Ich seufzte. Der Kleine machte sich ja keine Vorstellung über die Beharrlichkeit hoch ambitionierter Engelchen. Ich schaute mich um. Wie kam ich nun hier wieder raus?

Das Schicksal, in Form eines kleinen Sensenmannes, erbarmte sich meiner der Weilen nicht: „Sie konnten die Dämonen nur nicht richtig aufhalten, also haben sie versucht den Tod auszusperren, damit nur die starben, die sie tot sehen wollten. Irgendwie haben sie es geschafft ein paar Menschen abzuschirmen. Die Engel haben natürlich auch die Sensenmänner attackiert und Dämonen machen ja eh vor nix halt. Auf jeden Fall fanden die Alten ausgesperrt und attackiert zu werden nicht allzu lustig.“

Ich musste kichern. Eigentlich war Jerusalem sehr lustig gewesen. Zumindest für mich. Und interessant! Ich hatte Ehen vorher noch nie mit so leuchtenden Augen gesehen. Denn das ‚Irgendwie‘ war das Tau-Zeichen gewesen, welches mein alter Weggefährte natürlich sofort unter die Lupe hatte nehmen musste. Nur das Ende, da hatte der Kleine recht, dass fand wirklich niemand von uns sonderlich erquicklich.

„Irgendwann war es ein großer, prügelnder Ball aus so ziemlich allem was es so gibt.“

Ich zog mit zuckenden Bewegungen mein Bein in die Luft und der Körper der ohnmächtigen Sensenfrau hüpfte auf meinem Oberschenkel. Das Bein immer noch erhoben, damit die Reaper nicht doch noch unnötigerweise auf dem Boden landete, hüpfte ich wieder zu dem vorderen Regal. Ich kippte es auf die Füße. Leider nicht ganz so stumm, wie ich es gerne gehabt hätte.

„Und wer hat gewonnen?“, fragte Skyler nach einem kurzen Augenblick zögerlich.

Ich seufzte ein weiteres Mal. Das Kind war eh schon in den Brunnen gefallen. Nein. Mittlerweile war es ertrunken. Kläglich.

„Der Tod gewinnt immer. Uns entkommt einfach keiner. Schon gar nicht wenn sich die Alten darum gekümmert haben. Die waren so cool!“

Ich seufzte erneut recht unangetan. Mit einem Ruck meines Beines, landete die Shinigami endlich endgültig auf dem Regal, wenn auch mit einem hörbaren Geräusch.

Auch der junge Reaper seufzte, als ich meine Nase wieder um die Ecke schob: „Naja. Das klingt alles so glorreich. Viele Reaper haben es nicht geschafft. Einer von den Alten ist dabei wohl auch drauf gegangen. Naja, schwere Zeiten. Doch wenigstens war es damals nicht so furchtbar langweilig.“

Ich drehte mich wieder zurück und lehnte mich mit dem Rücken gegen das Regal, als meine Augen zu Boden fielen: ‚Nevet...‘

Das Schlimme an der Geschichte war, dass ich daran schuld gewesen war, dass Nevet gestorben war. Ich seufzte schwer.

„Sascha?! Sascha, wo steckst du?!“, hallte eine Männerstimme durch die Bücherregale und weckte mich aus meinen Gedanken. Sie sprach deutsch und war gefährlich nah.

Als der Reaper, zu dem die Stimme gehörte, um die Ecke schaute, hatte ich meine Nase tief in einem Buch versteckt und tat so als würde ich es lesen.

„Hast du Sascha gesehen?“, fragte der Reaper und sprach mich auf Deutsch an. Gott sei Dank konnte ich durch die Hermanns und Von Steinen flüssig deutsch sprechen und verstehen.

Der Sensenmann war eine bebrillte, große, schlanke Gestalt mit kurzen braunen Haaren. Er trug ein Paar weiße Sportschuhe und einen formalen Anzug, bestehend aus einer schwarzen Jacke, einem weißen Hemd mit einer schwarzen Krawatte und einer ebenso schwarzen Hose.

„Psssst!“, antwortete ich ihm, ohne die Nase aus dem Buch zu nehmen.

„Hast du?“

„Nein“, antwortete ich nach einem Räuspern mit verstellt tiefer Stimme.

„Sascha!“

„Pssst!“

„Hilf mir oder halt die Klappe!“

Ich wackelte überlegend mit dem Kopf. Ich räusperte mich erneut, um die Stimmlage zu halten, als ich nach bestem Wissen über die Sensenmänner improvisierte: „Das hier ist eine Bibliothek!“

Ich hörte von der anderen Seite des Regals ein Kichern.

„Wer ist das?“, fragte Skyler.

„Mein Partner“, lachte der andere Reaper: „Und der Verfechter des Redeverbots ist einer der Bibliothekare.“

Ich drückte das Buch in mein Gesicht, als ich merkte wie der Lachanfall anklopfte. Der Junge hält mich für einen Bibliothekar!

„Dieser Junge ist so eine Plage“, stöhnte der andere Reaper, bevor er wieder anfing zu rufen: „Sascha! Unsere Schicht beginnt! Wir müssen los!“

„Ich komme!“, rief der Junge auf Deutsch. Dann sprach er noch einmal englisch: „Ich muss los, oder meine Seele ist die Erste auf der Liste. Mach‘s gut, Mädchen mit den Himmelaugen! Ich hoffe wir sehen uns so schnell nicht wieder!“

Ich lugte über das Buch. Der Reaper tauchte neben seinem Partner auf.

„Da bist du ja, Sascha“, schüttelte der hochgewachsene Reaper den Kopf.

„Tut mir leid, Ludgar. Ich hab die Zeit vergessen“, grinste der Kleine, der eine große weiße Brille auf der Nase hatte.

„Komm“, nickte Ludgar mit den Kopf: „Wir müssen.“

Die Beiden verschwanden und mit einem erleichterten Seufzen ließ ich das Buch sinken: ‚Was ein Affentanz...‘

Das junge Ding weiß wirklich wie man jemanden, vollkommen ohne jegliche Motivation dazu, in Teufelsküche brachte. Doch ich erinnerte mich, dass Dämonen Menschen nur allzu liebend gerne mit Unglück verfluchten. Für ihre Tollpatschigkeit, ihr ganzes Pech und das Talent auch andere regelrecht in die Zwickmühle zu bringen konnte sie vielleicht gar nichts. Ich steckte das Buch zurück und hing meine Brille an mein Hemd, als ich mich mit verschränkten Armen neben das auf die Statue schauende Mädchen stellte.

„Also auch noch ein Kriegsheld, hm?“, hauchte sie seicht.

„Nehehehehe! Mach dich nicht lächerlich“, lachte ich erheblich amüsiert. Ich war kein Held, Himmel Herrgott Sakrament!

„WA!“, sprang sie mit wedelnden Armen zur Seite.

„Tehehehe“, kippte mein Kopf in ihre Richtung: „Du bist so endlos neugierig.“

Sie atmete schwer und schaute mich böse an. Naja, so böse wie das knuffige Ding halt schauen konnte: „Verdammt noch mal! Erschreck‘ mich nicht immer so!“

Ich lachte sie an: „Aber mir würde ohne dein possierliches Aufschreien etwas fehlen, liebe Skyler. Ehehehehehe!“

‚Außerdem hast du eine Menge gut zu machen ohne es zu wissen, hehehe!‘, setzte ich hinter meinem Grinsen in meinen Gedanken hinzu.

Sie ließ ihre Schultern hängen und verzog den geschwungenen Mund: „Echt jetzt? Ich sterbe jedes Mal einen kleinen Tod und du findest das possierlich?“

Ich lachte lauter: „Pahahahahahahaha! Glaube mir! Sterbende Menschen sehen anders aus!“

Mein Kopf kippte ein Stück nach vorne, als mein breites Lächeln wieder von den vielen herrlichen Toden zeugte, die mein Kopf für mich abspielte: „Glaube mir, damit kenne ich mich aus. Ehehehe.“

„Keine weiteren Fragen, euer Ehren“, hob sie fiepsend ihre Hände und machte riesige Augen.

Ich warf lachend meinen Kopf in den Nacken: „Ahahahahahahaha! Schaue nicht so, als ob ich dich fressen wolle!“

„Bist du sicher, dass du das nicht willst?“, sprach sie schnell und ihr Gesicht entflammte sofort in einem satten Rot, was mich einen weiteren Lachanfall unterwarf.

Sie versteckte ihr Gesicht hinter den Händen.

„Wahahahahahahahahaha! Wie herrlich! Fuhuhuhuhuhu! Aber nein. Hehehehe! Heute habe ich gut gefrühstückt. Es wird nicht nötig sein“, beugte ich mich mit in die Taille gestemmten Handrücken zu ihr hinunter.

Sie nahm abrupt die Hände vom Gesicht und schaute mir immer noch so wunderbar satt rot im Gesicht entgegen: „Ähm… Du hast ein paar Löffel Marmite gegessen… Wie auch immer du das geschafft hast...“

„Ehehe. Das war mehr als du gegessen hast. Für den Augenblick reicht es. Aber vielleicht sollten wir zurück, damit wir das Abendessen nicht verpassen. Was sagst du? Tehe“, ich schaute auf meine alte Taschenuhr. Immer wieder auf das kleine Ding zuschauen war eine der wenigen Angewohnheiten die verrieten, dass ich mal ein Shinigami gewesen war: „Wir haben zwar noch etwas Zeit, hehehe, aber Sebastian schätzt Unpünktlichkeit nicht. Außerdem ist hier nun wirklich alles getan.“

„Ähm… Sind wir wirklich schon so lange hier?“, fragte sie unsicher. Zeit war wahrscheinlich einer der Dinge, um die sie sich in den letzten Stunden keine Gedanken gemacht hatte.

Ich sah Grell, Ronald und William hinter Skyler auftauchen: „Ihihihi. Ja. Schon eine ganze Weile.“

Sie seufzte: „Ich tippe Grell, Ronald und William bleiben hier, oder?“

„Warum sollten wir? Wir haben doch noch frei!“, sprach Ronald grinsend genau hinter der jungen Frau.

„AAAAAAAHHHHHH!“, kreischte das hübsche Ding und sprang mit einem Satz in die Luft. Ich wollte lachen, doch kam ich nicht dazu. Denn ich musste die schöne Brünette fangen, die mir genau in die Arme sprang und mir ihre fest um den Hals legte. Sehr fest. Davon doch reichlich überrascht wie irritiert, strauchelte ich zwei Schritte nach hinten, bis ich meine Balance wieder gefunden hatte.

Sie keuchte in kalten Schweiß ausgebrochen, während Ronald in seine Hand kicherte.

„Du bist furchtbar gemein“, stemmte Grell seine Hände in die raus gestreckte Hüfte.

Ronald kicherte weiter: „Ich weiß. Hihi. Ich konnte es mir einfach nicht verkneifen.“

„DU!“, schrie Sky und begann in meinem Armen mit den Fußen zu strampeln und meinen Hals noch fester zu drücken: „Bist doch ein kleines, verdammtes Arschloch! Hast du sie nicht mehr alle! Ich HASSE es! Ständig taucht irgendwer hinter mir oder neben mir auf und erschreckt mich zu Tode! SCHÖN wenn IHR daran so viel SPAß habt, aber ICH habe keine LUST mehr darauf, KLAR?! Ihr seid doch alle nicht mehr ganz koscher! Es reicht ja nicht, dass Undertaker immer dafür sorgen muss, dass ich `nen halben Herzinfarkt bekomme, dann musst du Aushilfspausenclown nicht auch noch mitmachen! Und du willst ein Gentleman sein?!“

Meine Augen wanderten amüsiert, aber mit fragend erhobenen Augenbrauen zu ihr.

„Naja“, legte Ronald lachend den Kopf schief und Sky schaute ihn mit verärgert aufgeblähten Wangen an. Ich hätte von diesem süßen Gesicht so gerne ein Foto!

Als der junge Reaper die Arme verschränkte sprach er grinsend weiter: „So schlimm kann Undertaker ja nun auf nicht sein.“

Sky zog skeptisch Augen und ihre geschwungenen Brauen in einem Anfall von Unverständnis zusammen: „Warum?“

Ich fragte mich still und leise, ob das hübsche Ding überhaupt wusste wo sie gelandet war. Dieser Gedanke amüsierte mich stumm, aber mit einem breiten Grinsen.

Grell kicherte in eine Hand hinein. William zog mit einem ungläubig, verständnislosen Blick seine linke Augenbraue hoch.

Ronald breitete lachend kopfschüttelnd die Hände aus: „Ehrlich jetzt? Das fragst du wirklich?“

Mein Grinsen wurde weiter. Denn auch ich empfand das als eine sehr gute Frage.

Grell begann leise zu lachen. William stützte einen Ellbogen auf den anderen Arm und legte sein Kinn nun beiden Brauen hochgezogenen in die Hand.

„Was… habt ihr?“, fragte Skyler irritiert.

„Pahahahahaha! Fuhuhuhuhuhuhuhuhuhu! Ich hab da eine Theorie“, konnte ich mein Lachen schließlich nicht mehr zurückhalten.

Ihr Kopf flog zu mir und ich grinste ihr entgegen.

Das durch den Schreck verscheuchte Rot kehrte zurück und sie starrte mich an, als glaube sie selber nicht was sie getan hatte. Jetzt wusste ich, dass sie definitiv nicht gemerkt hatte wo sie gelandet war und die Erkenntnis wurde zu einem belustigen Giggeln meinerseits: „Ehehehe! Willst du sie hören?“

Sie schüttelte stumm den Kopf.

„Zeit nach Hause zu gehen“, lachte ich und drehte mich um. Wenn man schon nicht mehr mitbekam, dass man jemandem in die Arme sprang, war es wirklich Zeit zu gehen.

„Du… Du kannst mich ruhig runter lassen...“, murmelte sie nach meinem ersten Schritt.

Die hübsche Brünette war so leicht, so zerbrechlich und so angeschlagen. Obwohl ich das Gefühl hatte, dass sich ihr Körper recht gut von ihrem Schwindelanfall erholt hatte, war ich ihrem Schlafmangel und der ihr fehlenden Nahrung mehr als nur gewahr. Gerade weil sie so dünn und so zerbrechlich war verursachten mir diese Umstände Sorgen: „Wie weit würdest du kommen? Hehe.“

„Haaaaaaa! Hinter dem verrückten Totengräber versteckt sich ja wirklich ein kleiner Gentleman“, seufzte Grell hinter mir.

Ich wünschte mir augenblicklich, dass er wieder die Klappe hielt und keine Ahnung hatte wie es um mich stand.

„Er schlägt sich ganz gut“, konterte Ronald halb lachend.

Auch hier sah mein inneres Empfinden sehr ähnlich aus.

„Ach, pluster dich nicht so auf“, schnauzte Grell den Jüngling an.

Eine Kartoffel zwischen den rot geschminkten Lippen stände Grell jetzt gerade sicherlich ausgesprochen gut.

„Ihr könntet einfach Beide ruhig sein“, unterbrach sie William und ich war zum ersten Mal an diesem Tag dankbar, dass er da war. Auch wenn er das natürlich nicht tat um mir zu helfen. Denn wenn ich mir einem sicher sein konnte, dann das William nicht gemerkt hatte was mit mir los war.

Der Gedanke ließ mich leise, aber gewohnt schrill lachen.

„Hm?“, machte Skyler, die mittlerweile recht schlaff in meinen Armen lag. Sie schien müde. Natürlich war sie müde.

„Sind sie nicht süß? Ihihihihihihi!“, giggelte ich ihr entgegen.

Sie lachte leise mit mir. Dann wurde sie wieder so wunderbar schüchtern unbeholfen: „Schon… Irgendwie. Aber du kannst mich jetzt wirklich runter lassen… Es war nicht meine Absicht dir… ja… ähm...“

„Mit reichlich Schwung um den Hals zu fallen? Hehe“, grinste ich ihren Satz zu Ende. Ich liebte dieses Spiel!

„Ähm ja… Ich glaube... das beschreibt es ganz gut… Also... würdest du bitte?“

„Nihihi! Wie du wünscht“, stellte ich sie behutsam wieder auf ihre Füße und legte grinsend, aber skeptisch Kopf schief: „Kannst du wirklich laufen?“

Sie nickte leicht.

William hatte derweilen ein Tor zurück in die Menschenwelt geöffnet.

Wir huschten hindurch und Ronald streckte sich auf der anderen Seite: „So viel Rennerei… und das an meinem freien Tag.“

Skyler ging an Ronald vorbei: „Willst du dich wirklich beschweren?“

Zu Recht. Wenn einer sagen könne, sein Tag wäre anstrengend gewesen dann das hübsche Ding.

Ronald machte den Mund auf, doch Grell gebar ihn mit einem Stupsen mit dem Ellbogen zu schweigen.

„Hey!“, schwieg Ronald natürlich nicht und stupste zurück, dann wieder Grell, wieder Ronald und irgendwann hingen die Beiden sich am Hals. Dann erschien William wie das Demoglasschwert hinter ihnen.

Was jetzt folgte, musste gut werden. Ich giggelte in vorfreudiger Schadenfreude.

Und es kam wie ich erhoffte: Mit einem parallelen Klaps auf dem Hinterkopf schwiegen die Beiden, Hände an die aufblühende Beule erhoben.

Ich schaute mich um, als die drei zu diskutieren begannen.

Skyler war schon einige Schritte weit weg, ging selbständig, wirkte aber immer noch unsäglich geschwächt. Sie schaute auf ihren komischen kleinen Taschencomputer.

Zügig, doch ohne Eile schloss ich zu ihr auf. Wo sie wohl hin wollte?

Ihre Augen wanderten zu mir, als ich an ihrer Seite erschien. Sie packte das komische Ding weg.

„Hehe. Wohin des Weges?“

„Ich weiß nicht“, seufzte sie.

„Tihihihihi! Welch fantastisch ausgeklügelter Plan“, lachte ich ironisch. Dann vertrieb ich den Spaß zum größten Teil aus meiner Stimme: „Du gefällst mir nicht.“

Sie steckte die Hände in die Hosentaschen: „Wundert dich das?“

„Nein. Das waren ja ein paar ziemlich ereignisreiche Stunden für dich.“

Sie schnaubte geschwächt: „Ereignisreich… Ich bin ein Freak, verdammt...“

„Hehehe. Ach Sky“, es war doch gar nicht so dramatisch. Ich wusste langsam nicht mehr was ich ihr sagen sollte, damit es ihr besser ging. Das ich in Wortnot kam war selten und ließ mich seufzen: „Ich habe dir doch gesagt, dass...“

Sie hob mir die Hand ins Gesicht ohne mich anzuschauen. Ich blinzelte verwundert, folgte aber ihren Wunsch und brach ab.

„Bitte… Ich… möchte gerade nichts hören...“

„Was möchtest du dann?“, zog ich besorgt die Augenbrauen zusammen.

„Ich weiß es nicht...“

Sie sah so herzzerreißend aus. Ich nahm sie an den Schultern und blieb stehen, wodurch auch sie stoppen musste: „Sky. Du bist nicht allein.“

Sie schaute zu Boden und zog ihre Augenbrauen zusammen: „…Wirklich?“

Mit einem Lächeln im Gesicht und eine Hand an ihrer Wange hob ich ihren Kopf wieder zu mir. Ihre Haut fühlte sich so unbeschreiblich gut an. Ein weiteres Mal fand ich für etwas keine Worte. In beachtlich kurzer Zeit. Ich wollte so gern, dass sie wieder lachte: „Wirklich.“

Sie lachte. Doch schloss sie mit einem traurigen Lächeln die Augen, was nun nicht das war, was ich gerne in ihrem so schönen Gesicht wiedergesehen hätte: „Danke… Aber ich glaube… Gerade möchte ich alleine sein...“

„Welt sortieren, hm?“, ich konnte sie verstehen. Manchmal brauchte man Zeit für sich. Vor allem, wenn man wie Sky relativ verschlossen war. Gestern war sie von Menschen belagert worden, dann von Höllenhunden angegriffen und heute waren die ganze Zeit Shinigami um sie herum getanzt. Von allem was sie erfahren hatte ganz zu schwiegen.

Sie nickte und ich nahm die Hand von ihrer weichen Wange: „Du solltest das Abendessen aber nicht verschmähen.“

Sie neigte den Kopf: „Gerade… kann ich nichts essen.“

Das könnte eine ewige Diskussion sein und immer bleiben. Warum wollte sie nicht essen? Sie muss doch unsagbar hungrig sein.

„Sky“, sprach ich ihren Namen bedeutungsschwer in der Gewissheit nicht mehr sagen zu müssen.

Doch sie schüttelte den Kopf: „Mach dir keine Sorgen. Ich mach das schon… irgendwie.“

„Und wie?“, legte ich den Kopf schief.

Mir widerstrebte es nicht zu wissen wohin die Schöne gerade ging und was sie dort wollte. Was ist, wenn sich ihre Achtlosigkeit ihrem Körper gegenüber wieder rächte und sie dann keiner fand? Ich würde nie mehr glücklich werden, passierte ihr etwas. Ihr war schon zu viel passiert und das obwohl ich in der Nähe gewesen war. Ich musste endlich aufhören immer mal wieder, auch in kleinen Dingen, so schädlich zu versagen oder nur halb zu siegen.

„Erst einmal... muss ich meine Welt sortieren. Soweit es eben geht“, führte sie aus und schien mir nicht so antworten zu können wie ich es gerne hätte, da sie selbst die Antwort nicht hatte.

„Wenn du etwas brauchst, rufe nach mir. Ich werde dich hören, versprochen.“

Sky seufzte erneut: „Mach dir nicht so viele Umstände wegen mir.“

„Wenn es nach mir ginge“, verschränkte ich die Arme und sprach meinen vorherigen Gedanken wenigstens halb aus: „Würdest du jetzt nicht alleine weiter ziehen. Doch wenn du dich so entscheidest. Bleibe bitte in der Nähe. Dann muss ich mir ein paar Sorgen weniger um dich machen.“

Sie blinzelte mir in die Augen: „Du… machst dir wirklich Sorgen um mich?“

„Natürlich“, lachte ich. Unwillkürlich hob ich die Hand und die Rückseiten meiner kalten Finger streiften wunderbar warme Wange. Bevor ich sie kannte, hatte ich mich nach Wärme nicht gesehnt. Kälte gefiel mir, da ich sie nicht spürte. Da jede Hand die ich griff kalt gewesen war. Doch nun? Nun sehnte ich mich nach Wärme und ich nahm jeden schlechten Vorwand an um mir ein Stück davon zu klauen. Ein Knistern ging durch meine Finger, als sie ihr Gesicht wieder verließen: „Wie könnte ich nicht?“

Sie seufzte abermals. Nur klang es dieses Mal anders. Nicht frustriert oder gestresst. Ich wusste nur nicht recht nach was: „I-Ich... bin ok. Gib mir… nur ein bisschen Zeit, ja?“

Auf Grund ihres so wunderbar unbeholfenen Stotterns wanderte meine Hand vor meinen giggelnden Mund: „Ihihihi. Wie gesagt: Wenn du das wünschst kann ich dich nicht aufhalten.“

Ich hätte gekonnt. Ich hätte auch gewollt, doch Sky war kein Kind mehr. Ich stand wieder auf dem Drahtseil zwischen dem gut gemeinten Willen sie zu beschützen und dem Absprechen ihrer Entscheidungen. Im Endeffekt war ihr Wort, was sie selbst betraf, aber Gesetz.

Sie drehte sich mit einem verunglückten Lächeln weg, welches ich heute wirklich nicht mehr ehrlich erwarten durfte, und verschwand in einer Tür.
 

„Yo! Undertaker!“, ich drehte mich zu Ronalds Stimme. Er winkte mir, eine Hand in der Hosentasche: „Wir wollen zum Earl! Kommst du?!“

Auch die anderen Beiden sahen nach Aufbruch aus.

Ich schaute ein letztes Mal kurz auf die Tür, durch die die junge Skyler verschwunden war, dann ging ich zu den drei bebrillten Gestalten.

„Wo will sie hin?“, fragte Grell seinen Zeigefinger an der Wange.

„Welt sortieren“, grinste ich als Antwort.

„Armes Ding“, seufzte Grell.

Doch Ronald lachte, als er die Finger hinter dem Kopf verschränkte: „Wenigstens passt sie jetzt ziemlich gut zu uns.“

Wir setzten uns in Bewegung.

„Ja, ja“, lachte ich derweilen: „Irgendwann wird sie schon noch merken, dass wir viel schlimmer sind, als sie je sein könnte. Hehehe!“

„Du“, meinte William kurz abgebunden.

Ich lachte ein weiteres Mal: „Na fein. Tehehe. Dass ich viel schlimmer bin, als sie je sein könnte. Nehehe!“

Wir schlenderten ein paar Minuten durch die weitläufigen Flure des Manors, bis wir in den Salon traten, den der Earl immer für die Treffen der Aristokraten nutzte. In goldenen Bilderrahmen hingen Gemälde der vergangenen Generationen der Aristokraten an den dunkel getäfelten Wänden. Mein eigenes Gesicht schaute mir aus ihnen viel zu oft entgegen. Auf dem dunklem Parkett standen große, dunkelrot gepolsterte Sessel und Couchen, sowie ein paar Kommoden aus dunklem Holz. Das Mobiliar hatte sich seit Jahrzehnten so gut wie nicht verändert. Folglich waren die Möbel massiv und ziemlich alt, doch von Sebastian mit Perfektion gepflegt. In der Mitte stand ein großer Billardtisch, dessen Stoff schon unzählige Male zerspielt und von dem Butler ausgetauscht worden ist. Ein Feuer in dem großen, alten Kamin legte den düsteren Raum und die Gesichter darin in einen zusätzlich unheimlichen Schatten.

Alle waren dort.

Selbst Amy saß neben ihrem telefonierenden Bruder auf einer Couch und sprach mit Lee, der auf einem Sessel immer wieder das Ober- und Unterteil einer kleinen Metalldose ratschend in entgegengesetzte Richtungen drehte.

Frank und Charlie blinzelten von einer Partie Pool hoch und Sebastian regelte das Feuer in dem Kamin vor dem das Ehepaar Phantomhive in zwei Ohrensesseln saß.

Der Kopf des Earls wandte sich von seiner Frau weg und schaute uns an: „Willkommen zurück.“

„Hallo Earl“, grinste ich.

William nickte stumm.

Grell und Ronald winkten.

„Wo ist Sky?“, fragt Amy und schaute auf die Türe, als wartete sie darauf, dass die schöne Brünette hindurch kommt.

„Sie braucht etwas Zeit für sich“, lächelte ich der jungen Phantomhive entgegen.

„Also habt ihr Ergebnisse dabei?“, legte Heph den Kopf schief.

Ich nickte: „Ehehe! Ja und nein.“

„Wie?“, machte Frank genervt.

Ich grinste ihn an: „Wie ich es sagte: Ja und nein. Ehehehehe!“

Frank schüttelte genervt seinen kurzen braunen Schopf und zündete sich eine Zigarette an.

„Herrje“, lachte Lee und kippte den Inhalt des Metalldöschen auf ein kleines mit Tabak ausgelegtes Papier: „So kryptisch. Muss ja spannend gewesen sein.“

„Das kann man so sagen“, lachte Ronald.

„Und das bleibt es wohl auch noch ein wenig“, ich hob giggelnd meine Hand vor den Mund: „Wie wundervoll. Tehehehe! Oder nicht?“

„Nun sprecht schon“, lächelte der Earl mit einer Engelsgeduld auf den noblen Zügen.

Ich lachte weiter: „Nehehehe! Haaaa… Weißt du Earl. In meinem Alter, da wird man so vergesslich. Fu fu fu. Ein Lachen könnte meinen Erinnerungen allerdings auf die Sprünge helfen.“

Alex lachte, als habe er nur auf diese Aussage nur gewartet. Sebastian stellte sich hinter seinen Meister und seufzte. Der Earl öffnete den Mund, doch William war schneller: „Die junge Miss Rosewell scheint verflucht zu sein.“

Stöhnend ließ ich die Schultern hängen. Dann schaute ich zu William: „Tehehe. Du bist ein verdammter Spielverderber.“

„Nein“, erwiderte er trocken: „Aber meine Zeit ist mir heilig. Bevor Etwas gefunden ist, was dich zu genüge belustigt, ist die Sonne unter und schon 3 x wieder auf gegangen.“

Ich seufzte, allerdings nur gespielt gestresst: „Haaaa, was ein tristes Dasein ich fristen muss. Hehe.“

Erst jetzt bemerkte ich, dass die Menschen uns mit großen Augen entgegen klimperten. Selbst der Butler sah bedeckt erstaunt aus. Lee war, seine Zunge an dem Papier, eingefroren. Fred steckte blinzelnd sein Handy weg und Amy schien das Atmen vergessen zu haben.

„Woas?!“, schaffte es die junge Phantomhive schließlich zu sagen: „Sky ist verflucht?!“

Ich nickte und verschränkte die Arme, als ich mich gegen eine kleine Kommode lehnte: „In der Tat.“

Die Reaper setzte sich auf ein paar leere Sessel.

Lee lachte kopfschüttelnd, während er das Papier zu Ende anleckte und einrollte: „Die beste Freundin einer Phantomhive ist verflucht. Sobald der Name ‚Phantomhive‘ in dem Satz auftaucht, ist es irgendwie nur noch halb so kurios.“

Amy wirkte immer noch mehr als nur verwirrt: „Aber… Seit wann? Von wem? Sky hat in letzter Zeit nur Sebastian und Claude getroffen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass einer der Beiden sie verflucht hat.“

„Ich wasche meine Hände in Unschuld“, legte der Butler seine Rechte auf sein Herz und neigte den Kopf.

Ein Lachen platzte aus mir heraus: „Pahahahahahahaha! Durch diesen Satz ist sicherlich irgendwo ein Engel tot vom Stuhl gefallen. Tihhihihihi!“

„Ich hoffe“, lächelte der Butler kalt.

„Bleib bei der Sache, Undertaker“, grummelte Frank an seiner Zigarette vorbei.

„Ehehehehe! Ich bin bei der Sache!“, lachte ich zurück.

„Natürlich“, stöhnte der Deutsche unbeeindruckt.

Ein erdiger Geruch schwebte durch den Raum, als Lee sein selbst gewickeltes Stängelchen anzündete: „Entspann dich Frank! Es bringt doch nichts.“

Frank schaute den Asiaten gereizt an.

Ich drehte meinen Kopf wieder zu Amber: „Nihihi. Skyler ist aller Wahrscheinlichkeit nach eine Flucherbin. Das heißt sie wurde nie verflucht. Sie hat ihn vererbt bekommen.“

„Aber“, Amy schien noch nicht überzeugt: „Von wem?“

Ich hob meine Hände: „Eine ausgezeichnete Frage, liebste Amber. Ihihihi.“

„Amber“, sprach Alex seine Tochter an: „Du kennst Skyler am besten. Ist jemals etwas Ungewöhnliches passiert, als ihr zusammen unterwegs wart?“

Amy legte eine Hand an ihr Kinn und einige Minuten konnte man ihren Kopf förmlich rattern hören. Der angestrengte Gesichtsausdruck der Adelstochter lag gleichzeitig in besorgten Falten.

„Nein“, schüttelte sie schließlich den Kopf: „Sky war immer ein bisschen seltsam. Sehr ruhig. Verschlossen, wenn nicht sogar eigenbrötlerisch. Doch das habe ich alles auf ihre Familiengeschichte gemünzt. Die war nicht schön. Die ersten zwei Schuljahre war Sky sogar in Therapie. Danach ging es besser. Aber… ganz normal wurde sie nie. Doch sie war nie in dem Sinne ungewöhnlich wie… wir.“

Ich zog die Augen ein Stück zusammen. Dass das junge Ding nach ihrer Familiensituation professionelle Hilfe nötig gehabt hatte, konnte ich mir nur allzu gut vorstellen. Ich war ein weiteres Mal froh, dass es sie aufs Weston Ladys College verschlagen hatte. Dort wurde das Wohl der Schüler wenigstens ernst genommen und dafür gesorgt, dass sie die Hilfe bekamen die sie nötig hatten. Was aus dem jungen Ding wohl ansonsten geworden wäre? Wahrscheinlich hätte ich sie irgendwann zu Tode gefixt oder ermordet nach einer langen Laufbahn in etlichen Professionen denen man niemandem wünscht, auf dem Tisch gehabt. Doch aus ihr war eine atemberaubende, wenn auch recht in sich gekehrte, junge Frau geworden.

„Gut“, machte Charlie: „Zumindest mehr oder weniger. Doch was nun?“

Ich schaute den Butler an: „Warum fragen wir nicht den Dämon in unserer Runde. Hehehehe. Eigentlich hättest du den Fluch förmlich riechen müssen, Butler.“

Doch Sebastian schüttelte den Kopf: „Ich muss verneinen, Undertaker. Ich habe nichts Ungewöhnliches an Lady Rosewell bemerkt.“

„Aber warum?“, lehnte sich Lee in seinen Sessel zurück.

Frank drückte seine Zigarette aus: „So etwas ist noch nie passiert. Ansonsten hat Sebastian Flüche immer bemerkt.“

Mein Kopf fiel zur Seite. Das war wahr. Skyler war nicht die erste Verfluchte, die Sebastian und mir über den Weg gelaufen war. Doch auch auf mich hatte das junge Ding anfangs ganz normal gewirkt: „Mysteriös. Hehehe.“

„Unbehaglich“, erwiderte der Butler: „So etwas sollte nicht möglich sein. Was bringt euch zu der Überzeugung sie könnte einen Fluch geerbt haben?“

„Sie hat ein äh...“, Ronald wedelte mit einer Hand: „Fluch… Dingens.“

„Fluchdingens?“, lachte der Butler kalt: „Ihr sprecht nicht zufällig von einem Fluchmal, oder?“

„Öh“, Ronald nickte: „Ich glaube schon.“

„Tun wir“, blitzte William den Dämon kalt an: „In ihrem Nacken.“

„Wie sieht es aus?“, fragte der Butler nach.

„Eine Kombination aus dem Symbol für Chaos und Ordnung. Ehehehehe.“

„Ungewöhnlich“, neigte der Butler den Kopf: „Diese Kombination passt zu keiner Familie, die ich kenne.“

Ich nickte grinsend: „Tehehe. Ich sah es auch zum ersten Mal.“

Grell seufzte: „Die Sache bleibt also ein Rätsel...“

Auch Fred seufzte: „Das ist eigentlich jetzt auch egal. Es gibt verschiedene Arten von Flüchen, oder? Duvall erzählte das mal.“

„Ehehehe. So viele Arten, wie es Sterne am Himmel gibt. Dämonen sind recht vielfältig in der Art wie sie Menschen verfluchen können.“

„Lediglich die Stärke des Dämons schränkt ihn ein“, führt der Butler weiter fort: „Je stärker der Dämon, desto... extravaganter kann ein Fluch ausfallen. Unglück, ein verändertes Aussehen, hohe Empfindlichkeiten, oder Immunitäten, Nachtsicht, gesteigerte oder gehemmte körperliche oder geistige Attribute sind Klassiker. Doch immer werden die Betroffenen affine gegenüber Dämonen.“

Alex wandte das Gesicht zu seinem Butler: „Gibt es irgendwelche Regeln die Dämonen folgen müssen, wenn sie einen Fluch aussprechen?“

„Nein“, schüttelte der teuflische Butler den Kopf: „Auch hier beschränkt die Kraft des Dämons das Maß der Möglichkeiten. Ein Fluch ist nicht recht zu steuern. Selbst die Dämonen wissen oft nicht was am Ende geschieht. Genauso oft ist es ihnen auch recht egal.“

Lee machte beim Auspusten einer dünnen Qualmwolke ein Geräusch und erhob das Wort: „Duvall hatte doch einen ganz besonderen Fluch, oder? Wie hieß der nochmal?“

Ich lachte auf: „Nehehe. Wiccacurse.“

„Das heißt?“, stöhnte Frank und steckte sich auch schon die nächste Zigarette an.

„Hexen“, lächelte der Butler: „Einer der wenigen namentlich benannten Flüche, was nicht heißt, dass er immer gleich ausfällt. Hexen bekommen dämonische Fähigkeiten, die Menschen gerne mit Magie umschreiben. Allerdings sind sie Dämonen immer noch stark unterlegen. Dafür sind die Nachteile massiv. Beispielsweise ist Duvalls Aussehen rabiat verändert, sie hat unglaublich schlechte regenerative Fähigkeiten und ist hoch empfindlich gegenüber Eisen. Des Weiteren kann sie mit ihren Schlangen sprechen, wie ihr Vater. Ein sehr seltener Fluch. Ein Dämon muss mächtig sein um ihn zu wirken.“

„Schön und gut“, erhob Amy das Wort: „Doch Duvall leuchtet für Sebastian auch wie ein Weihnachtsbaum und ist so was von offensichtlich nicht normal! Sky ist total unauffällig. Sebastian hatte keine Ahnung. Sie kann nur die Dämonen spüren, obwohl die die Ketten tragen. Sie sieht weder komisch aus, noch ist sie gegen irgendetwas hochempfindlich oder immun, noch hat sie…“, Amy brach ab und zwinkerte in einer unangenehmen Erkenntnis: „Sie hat furchtbar viel Pech. Sky ist der reinste Unglücksrabe. Sie wird auch unglaublich schnell krank und bleibt es recht lang.“

„Hmmm“, lachte ich: „Eine schlechte körperliche Wiederstandfähigkeit ist ein häufiger Nachteil. Rabe ist auch ein gutes Stichwort, hehehe. Merkenau fühlt nämlich mit dem jungen Ding mit. Ehehehehe!“

Einige Augen wandern zu mir.

„Merkenau?“, fragte Heather.

„Ah!“, machte Amy: „Der kleine Rabe!“

„Rabe?“, fragte Ronald.

Grell verschränkte mit aufgeblähten Wangen die Arme: „Zickiges Mistvieh...“

„Du hast ihn auch halb zu Tode erschreckt. Ehehehe.“

„Das Vieh ist trotzdem zickig!“

Ich lachte weiter: „Merkenau ist nicht zickig. Tehehehehe! Du bist zickig.“

„Stimmt nicht!“

„Hallo!“, rief Frank wütend: „Seid ihr fertig?!“

„Also“, grinste ich: „Wenn du so fragst...“

Charlies Lachen unterbrach mich: „Ach Gott! Also Merkenau ist ein Rabe. Aber was meinst du mit ‚mitfühlen‘?“

„Sobald“, grinste ich weiter: „Das junge Ding den Raben berührt spiegelt er ihre Gefühlswelt. Sie hat sich mal ganz furchtbar geschämt, da ist der kleine Piepmatz einfach, ehehehehe, in ihrer Hand umgefallen! Fu fu fu fu fu!“

„Nicht unüblich“, seufzte der Butler: „Raben und Krähen sind symbolbehaftete Tiere. Genau wie Schlangen, Ratten, Katzen, Wölfe und einige weitere. Es kommt öfter vor, dass solche Tiere auf Verfluchte oder Gesegnete reagieren. Die Menschen haben mit all ihren Errungenschaften einen großen Teil ihrer natürlichen Intuition eingebüßt. Tiere nicht.“

Ich nickte: „Fabelhaft ausgedrückt, Butler. Nehehehehe!“

Alexander wandte sich noch einmal seiner Tochter zu: „War das wirklich alles? Überlege genau. Der Teufel liegt hier wahrscheinlich wortwörtlich im Detail.“

Amy grübelte weiter. Sie überschlug ihre Beine und ihr Fuß hüpfte unstet auf und ab. Nach ein paar Minuten zuckte auf einmal ihr Kopf hoch und mit einem fast erschrockenen Ausdruck streckte sie ihre Wirbelsäule: „Doch! Da war mal was!“

„Was?“, fragte die ganze Gruppe aus einem Munde.

Amy schnippste aufgeregt mit einer Hand: „Das… ist schon etwas her. Sky hatte Ärger mit einem Lehrer. Das war vor… oh man… 3 Jahren! An dem Tag, wo es so furchtbar gestürmt hatte, erinnert ihr euch? Ich weiß noch es war mitten am Tag nachtdunklel draußen und es hatte geblitzt und gedonnert. Der Lehrer hatte sie ganz furchtbar angeschrien, ich weiß nicht mehr weswegen. Skyler ist neben mir immer kleiner geworden und ich hatte das Gefühl sie fängt gleich an zu weinen. In dem Moment hatte ein Blitz eine der Fahnenstangen auf dem Hof, direkt neben unserem Fenster erwischt und es war ganz kurz unglaublich hell und laut geworden. Kaum konnten wir wieder sehen, war sie verschwunden! Ich hatte damals gedacht sie ist einfach raus gelaufen, doch müsste sie schon verdammt schnell gewesen sein… Das waren höchstens 1,2 Sekunden in denen wir nichts sehen konnten. Sie hätte auch an mir vorbei gemusst, doch ich hatte nichts bemerkt. Ich hab sie nach dem Unterricht total nass geregnet im Irrgarten hinterm Vampires Castle gefunden. Sie meinte auch sie hatte keine Ahnung wie sie dahin gekommen war“, Amy blinzelte seufzend: „Jetzt wo ich daran denke… Es kam ein paar Mal vor, dass Sky einfach verschwunden ist und immer waren es Situationen gewesen, in denen sie sich echt nicht wohl fühlte. Einmal war es ein angekündigter Besuch vom Jugendamt. Ein anderes Mal hatte sie eine Gruppe Mädchen wegen ihrer billigen Schuhe geärgert und noch 2 oder 3-mal mehr. Ich hab sie immer im Irrgarten aufgelesen, doch sie meinte jedes Mal sie wusste weder was sie dort mache, noch wie sie dahin gekommen sei. Ich hab immer gedacht sie schämte sich und wollte einfach nicht reden. Auch wenn ich mir nie erklären konnte, wie sie verschwinden konnte, ohne dass jemand es gesehen oder gehört hatte. Außerdem war sie nie der Typ fürs wegrennen gewesen. Sie erstarrte eher. Man sah ihr zwar immer an, dass sie am liebsten rennen würde wie ein Hase, doch sie schien irgendwie immer Angst gehabt zu haben, es zu tun.“

Ich schaute von Amy zum Butler. Er hatte überlegend die Hand an ein Kinn gehoben: „Interessant. Ein unterdrückter Fluchtreflex, Angst und Scham. So heftige Gefühlsregungen könnten auslösen was tief in einem schlummert. “

Amy hob die Hände: „Wie gesagt ich bin mir nicht sicher. Sky ist immer noch auf den Straßen des East Ends aufgewachsen. Das wird man nie mehr los. Ich dachte immer sie hat einfach Übung darin sich ungesehen aus dem Staub zu machen.“

Lee lachte auf: „Ja, ja, in der Tat. Auf den Straßen des East Ends hat man entweder die richtigen falschen Freunde oder ist lieber unsichtbar.“

Amy nickte: „Sky war dort unterwegs bis sie 13 war. Von Freunden hat sie mir nie erzählt und ich meine behaupten zu können das Meiste zu wissen. Sie fährt auch in den Ferien nie zurück ins Wohnheim, im Gegensatz zu anderen Stipendiaten, die dort noch Freunde oder Familie haben. Keine Post, keine Email, keine Nachrichten, gar nichts.“

„Dann“, schüttelte Lee den Kopf: „Hat sie gelernt ein Geist zu sein.“

„Und hatte dafür vielleicht die ein oder andere hilfreiche Eigenschaft“, ergänzte Charlie: „Doch im Endeffekt sind das alles nur Vermutungen.“

Das Gespräch ging noch eine halbe Stunde hin und her, ohne weitere Erkenntnisse zu liefern. Es wurde nur immer wieder festgestellt, dass das junge Ding selbst für jemand komischen wie einen Verfluchten komisch war und das Gespräch drehte sich im Kreis. Allerdings waren sowohl Amy, als auch ich der Meinung, dass dieser Fakt diesen Raum vorerst nicht verlassen sollte. So verwirrt wie Skyler war, war sie sicher noch gänzlich mit sich selbst beschäftigt. Es wäre für sie sicherlich alles andere als hilfreich auch noch eröffnet zu bekommen, dass sie noch komischer als komisch war.

Ich machte mir Sorgen. Denn auf Amys Frage wo Skyler jetzt sei, konnte ich nicht antworten. Das Mädchen war noch nicht wieder aufgetaucht.

Die junge Adelstochter wollte zu ihrer Freundin, allerdings wirkte auch sie mittlerweile reichlich neben sich. Man sah ihr an, dass sie genau wusste wie ihre beste Freundin sich fühlen musste und ein gewisses Stück mit ihr litt. Heather mahnte Amy, dass sie sich erst selbst beruhigen müsse, um Sky helfen zu können und ging mit ihr nach besagter halben Stunde aus dem Raum.

Fred seufzte schwer: „Kann sie jetzt nur Dämonen spüren und das war‘s, oder auch verschwinden? Wir sind keinen Schritt weiter gekommen!“

„Das“, lachte ich: „Gilt es herauszufinden. Hehehehe.“

„Wie? Wir brauchen Gewissheit“, fragte der junge Phantomhive.

„Ich setzte Duvall darauf an“, seufzte Alexander: „Sie hat da Ahnung. Sebastian! Ich möchte, dass du Duvall zur Hand gehst, sollte sie deiner Unterstützung bedürfen.“

Der Butler verneigte sich: „Ja, mein Lord.“

„Gut“, Alexander seufzte: „Das ist zwar eine ziemlich unvorhergesehene Wendung und ich hätte gerne mehr Antworten, als Fragen gehabt, doch sehen wir es positiv. Skyler hat uns allen vorweg einen immensen Vorteil. Denn sie weiß wann ein Dämon in der Nähe ist, im Gegensatz zu uns.“

Ich nickte lachend: „Hehehe! In der Tat, in der Tat. Ich war so frei uns das zu Nutze zu machen.“

Frank bekam schmale Augen: „Was in drei Teufels Namen hast du mit dem Mädchen vor?“

Ich hob lachend eine Hand: „Vertraust du mir denn gar nicht, werter Frank? Tehehe.“

„Nicht ansatzweise“, gab mir der Deutsche kalt zurück.

Ich seufzte ein weiteres Mal gespielt: „Herrje. Das habe ich einfach nicht verdient. Hehehe!“

„Doch“, grummelte der Baron: „Hast du. Was hast du vor?“

Ich legte meine Finger an meine Brust: „Nicht schlimmes, mein Lieber. Ehehehehe! Ich habe unsere kleine Skyler lediglich angehalten bei Amy zu bleiben. Den Umständen mit den Trancys entgegensehend, wäre alles andere eine achtlose Verschwendung wertvoller Ressourcen, findest du nicht Frank? Ronald hatte dazu den fabulösen Vorschlag ihr unsere Telefonnummern mitzugeben, damit sie uns alarmieren kann sollte es zu gewissen, ehehehehe, unangenehmen Besuchen kommen. Ich dachte dies sei in deinem Wille, Earl. Nehehe.“

Der Earl Phantomhive nickte: „In der Tat. Das ist in meinem Sinne. Gut. Undertaker, Ronald, wir machen es so. Ich hoffe nur es kommt nicht zu… unangebrachten Heldentaten.“

„Jup“, machte Ronald: „Das könnte in die Hose gehen.“

Ich schaute Ronald an: „Die Mädchen sind nicht blöd.“

Ronald zog eine Augenbraue hoch: „Habe ich das gesagt?“

„Es schwang so mit, hehehe.“

„Nein, tat es nicht“, seufzte der blonde Reaper: „Chill mal.“

Ich breitete die Arme aus: „Ich bin tiefenentspannt, Ronald! Wie immer! Ahahahaha!“

„Tiefenentspannt“, lachte Frank abfällig: „Wann warst du hyperaktiver Irrer denn bitte das letzte Mal tiefenentspannt?“

„Ich bin es immer! Nihihihi!“

Frank rollte kopfschüttelnd mit den Augen: „Sagt er und lacht wie ein Clown auf Crack...“

Diese Aussage brachte mich dazu schriller zu lachen: „Gihihihihi! Was du nur für ein Bild von mir hast!“

„Kein gutes“, fauchte der strenge Deutsche zurück, was ich auch nur wieder herzlich belachte.

Ronald warf die Hände nach oben: „Ihr seid wie ein altes Ehepaar!“

Ich lachte. Doch Frank zog Ronald dafür wortlos seinen Queue über den Schädel, was mich noch mehr zum Lachen brachte.

Alex schüttelte irgendwann lachend den Kopf: „Ihr seid wahrlich unglaublich.“

Frank schaute ihn böse an und dann ebenso böse zu Charlie, der hinter ihm zu kichern angefangen hatte.

„Sind wir durch, Earl?“, fragte Ronald nachdem er ausgiebig seine zweite oder dritte Beule dieses Tages gerieben hatte: „Ich will noch was machen, solange ich hier bin.“

Alex seufzte seicht: „Sind wir, Ron. Was hast du denn noch vor?“

Der Blonde schnippste in seine Richtung: „Trainieren!“, dann drehte er sich zu mir: „Du hast es mir versprochen!“

Ich kicherte: „Tihihi. In der Tat. Von mir aus.“

Der Blonde sprang auf: „Los! Dann komm!“

Keine 10 Minuten später standen wir auf dem grünen Rassen der Phantomhives und hieben mit unseren Death Scythes aufeinander ein.

Grell war uns gefolgt, doch lag er nur, einen aufklappbaren Handreflektor unter dem Kinn und seine Nase in der Abendsonne in einer Gartenliege und schlürfte die rote Brille in die Haare geschoben Cocktails, die er sich nur aus dem Grund orderte um Sebastian immer und immer wieder antanzen zu lassen und ihn belagern zu können, was wie immer nur in Ablehnungen und Beulen endete.

Ich stellte fest, dass Ronald sich gemacht hatte. Er war kein Vergleich mehr zu dem ungestümen Jungspund der auf der Campania den fatalen Fehler begangen hatte Sebastian als leichten Gegner zu interpretieren. Der junge Mann hatte Talent. Schon damals. Doch mittlerweile schaffte er es sein bloßes Talent auch mit einer gewissen Taktik zu unterstreichen. Trotz allem war der junge Reaper noch nicht dort abgekommen wo er hin wollte. In Vergleich zu William und Grell war er immer noch ein recht kleines Licht. Was nicht hieß, dass er nicht gut war. Grell und William waren einfach ungemein stark, hatten ebenfalls viel Talent und um die 100 Jahre mehr Erfahrung als er.

Obwohl Ronald regelmäßig Nase oder Allerwertesten voran im Gras landete, rappelte er sich jedes Mal wieder auf und stürmte erneut auf mich zu. Mit dieser Beharrlichkeit und diesem Ehrgeiz zeigte der junge Schnitter ein weiteres Mal, dass er durchaus Potential zu Höherem hatte. Ich wünschte ihm, dass er seine jugendliche Energie noch lange behielt.

War ich ganz ehrlich mit mir selbst, so lobte ich mir doch diese kleinen Trainingseinheiten mit dem jungen Schnitter. Ich merkte gar nicht wie rasch die Zeit verstrich und das schon bald die Sonne hinter dem Horizont verschwunden war.

„Nicht so fest, verdammt!“, rief er zum wiederholten Male aus, ohne es wirklich zu meinen, als er sich recht unsanft ins Gras gesetzt hatte. Ich wusste, dass Ronald eine Behandlung mit Samthandschuhen von mir weder erwartete, noch wollte. Ich gab nicht alles was ich konnte, schließlich wollte ich den blonden Reaper an einem Stück lassen, doch konnte ich mittlerweile wesentlich härtere Bandagen aufziehen, als es noch vor ein paar Jahren der Fall gewesen war. Die Entwicklung des Jungspunds gefiel mir.

Also lachte ich los, als er sich abermals auf die Füße gerappelt hatte: „Stell dich nicht so an! Ahahahahaha! Du wolltest trainieren. Dann gebe dir auch Mühe!“

Mit einem Satz war ich bei ihm und meine Sense krachte auf seinen Rasenmäher.

Ron ächzte während er es mittlerweile viel öfter schaffte sich aus meiner Sense zu drehen. Doch nach einigen Schlagabtauschen haute ich ihm den Totenschädel meiner Sense auf die schwarz behandschuhten Finger.

„Au! Au, au, au!“, jammerte Ron und wedelte mit seiner lädierten Hand: „Man, verdammt!“

Doch er hob seinen Rasenmäher über seine Schulter und lief auf mich zu: „Ich krieg dich noch!“

Mit einem Lachen tauchte ich unter dem schweren Gartengerät hinweg, drehte mich um ihn und haute ihn den Totenschädel auf den Hinterkopf: „Ehehehe! So nicht.“

Ronald wirbelte herum, schluckte gekonnt den Schmerz hinunter und schlug ein weiteres Mal mit seinem aufheulenden Rasenmäher auf mich ein. Seine drehenden Messerbalken vibrierten auf dem Kopf meiner Sense und schlugen Funken auf ihrem Metall. Ich lachte auf, zog unsanft meine Sense nach oben, was den Reaper samt Sichelmäher nach hinten kippen ließ.

„Wieso?“, blieb Ronald liegen: „Was mache ich falsch?“

Er setzte sich auf und musterte seine Death Scythe: „Ist was mit meiner Death Scythe nicht in Ordnung?“

Ich ließ meine Sense verschwinden: „Ehehehehe. Steck sie weg.“

Sein Umgang mit dem doch recht unhandlichen Kampfwerkzeug war ausgezeichnet. Doch ihm fehlte definitiv Erfahrung im direkten Zweikampf. Solche Erfahrungswerte schlugen sich ebenfalls auf die Führung von Waffen nieder, auch wenn einige meiner alten Schüler das nie so recht verstehen wollten. Außerdem gab es immer die Möglichkeit seine Death Scythe im Kampf zu verlieren. Konnte man sich dann nicht ordentlich verteidigen, stand man im übertragenen Sinne nackt im Wind.

„Was?!“, rief Ronald aus und schaute mich schon fast pikiert an: „Ich stecke doch nicht meine Death Scythe weg! Ich will noch nicht sterben, verdammt!“

Ich schüttelte lachend den Kopf, als ich meine Arme verschränkte. Ich wusste, dass er diesen Ausruf nicht ernst meinte, doch ein weiteres Mal stand ich einem altbekannten Unverständnis gegenüber. Auf ihre Death Scythe verließen sich die Shinigami viel zu sehr. Ein Grund warum ich im Kampf oft meine Sotoba vorzog. Es war gefährlich sich so einzuschränken: „Ehehehe. Herrje, herrje. Mit deiner Death Scythe ist alles in Ordnung. Du bist das Problem.“

Rons Schultern sackten ein Stück ab und sein Kopf fiel hinunter: „Ja… Eigentlich weiß ich das...“

Ich seufzte in Anbetracht der sich anschleichenden Frustration und legte ihm eine Hand auf den kurzen Schopf: „Schau nicht so schwer. Das ist ja furchtbar! Ehehehehe, du bist jung, Ronald. Da kann noch viel passieren.“

„Da muss viel passieren...“, seufzte der Jüngling: „Ich hänge William und Grell immer wie ein Klotz am Bein...“

Ich seufzte ein weiteres Mal, nur dieses Mal innerlich. Ronald war niemand, der noch einen Babysitter brauchte. Er war nur viel zu viel mit Grell und Will unterwegs, die ein oder zwei Kampfklassen über ihm lagen und musste sich folglich auch mit ihren Problemen herumschlagen. Dafür schlug er sich bei weitem mehr als nur ordentlich.

„Das hast du gesagt“, schwebte Grells Stimme zu uns herüber. Vielleicht war der Rothaarige doch nicht nur hier, um einen schlechten Grund zu haben Sebastian zu sich zu locken. Ich hatte das Gefühl für Grell war Ronald fast so etwas wie ein kleiner Bruder.

„Tehehehe! Ich glaube auch nicht, dass es so schlimm ist“, stimmte ich Grell zu: „Ehehehe. Du hast Talent, Ronald. Es fehlt dir lediglich noch ein bisschen an Übung.“

„Ich weiß… ich müsste viel geübter sein...“, nahm der Junge das Lob nicht an und kritisierte sich weiter selbst am härtesten.

„Woher willst du die denn haben?“, schlürfte Grell seinen Cocktail zu Ende, wodurch er teilnahmsloser wirkte, als er war: „Wie gesagt, du bist noch jung.“

„Aber...“, fing Ronald wieder an, doch ich stoppte ihn, als ich mit meiner Hand seine Haare zerwuschelte: „Nichts aber. Höre auf dich zu beschweren und steh auf. Death Scythe weg! Ehehehe! Du bist gut mit ihr, aber du musst deinen Körper besser unter Kontrolle bekommen und deine Reflexe müssen besser werden.“

Mit einem leichten Widerwillen im Gesicht entließ Ronald endlich seinen Rasenmäher und richtete sich auf: „Das wird jetzt richtig wehtun, oder?“

Ich lachte: „Tihihihi! Wahrscheinlich.“

Direkt im Anschluss zog ich mein Bein hoch. Wenn ich sagte er brauche bessere Reflexe kann er davon ausgehen, dass ich mit ihm eben dieses trainieren werde. Komme was da wolle. Doch Ronald schaffte es seine Arme zwischen meinem Absatz und seiner Nase zu bringen. Obwohl er ein ganzes Stück über den Rasen nach hinten schlitterte, wurde mein Grinsen weiter angetan von Ronalds schneller Reaktion.

Der Jungspund schüttelte seine Arme aus. Eine Unachtsamkeit, die ihm in einem richtigen Kampf teuer zu stehen kommen könnte. Also erschien ich direkt vor seiner Nase und schlug nach ihm. Ronald wich mir aus und beugte sich in einer flüssigen Bewegung nach vorne, um mir in die Magengrube zu schlagen. Gut reagiert, doch zu vorhersehbar. Ich verschwand, tauchte hinter ihm auf und beförderte ihn mit meinem Fuß in seinem Rücken erneut ins Gras.

„Autsch…“, machte er die Nase im Rasen: „Jetzt weiß ich warum man als Mann Absätze trägt… Tut das weh...“

Ein Klatschen unterbrach uns: „Meine Herren?“

Ich schaute über die Schulter und erblickte Sebastian gefolgt von Amber und der jungen Skyler. Ich war unglaublich erleichtert zu sehen, dass Amy ihre beste Freundin wieder gefunden hatte und das junge Ding zumindest körperlich wohlauf zu sein schien. Doch in ihr drinnen herrschte immer noch Chaos. Es stand ihr so deutlich in dem schönen Gesicht.

Plötzlich segelte Grell durch mein Sichtfeld: „Bassy!~♥“

Doch Sebastian schritt zur Seite, fing Grells durch die Luft fliegendes Glas und der Rothaarige machte einen unfreiwilligen Köpfer in den Rasen. Sicherlich zum 4 oder 5-mal an diesem Abend.

„Das Abendessen ist angerichtet“, sprach der Butler als würde Grell gar nicht existieren.

Ich zog Ronald auf die Füße. Nun nahm er sich die Zeit sich ausgiebig seine Unterarme zu reiben, die ich doch sehr hart getroffen hatte: „Machen wir nach dem Essen weiter?“

Ich lachte ihn an: „Ehehehe! Wenn du mich bezahlen kannst?“

„Komm schon!“, zeterte der Blonde: „Lass mich anschreiben!“

„Anschreiben? Pahahahahaha! So läuft diese Welt nicht. Das weißt du“, warum gönnt mir eigentlich niemand ein bisschen Spaß?

„Komm schon. Du bist doch nun wirklich nicht von dieser Welt!“, bettelte der junge Reaper weiter.

Mit einem hinter meinem Lachen versteckten Seufzen schüttelte ich den Kopf: „Wahrscheinlich hast du damit recht. Tehehehe. Weil du es bist.“

„Juhu!“, rief der junge Reaper aus: „Aber jetzt hab‘ ich Hunger!“

Grell war derweilen wieder aufgestanden: „Ihr seid hier auch schon eine Weile zugange.“

„Oh ja!“, Ronald schlenderte Richtung Eingang: „Irgendwann Undertaker! Ich sage es dir!“

Ein weiteres Mal kam ich nicht herum seinen Eifer stumm zu loben. Ich ging zu Grell, Sebastian, Amber und der hübschen Skyler.

„Macht er sich gut?“, fragte Grell, worauf ich nickte: „Hehehe. Er lernt recht schnell.“

„Du gibst dir wirklich viel Mühe mit ihm“, verschränkte mein alter Freund die Arme.

„Tehe. Wie gesagt, er hat Talent und er ist lernbegierig und vor allem -willig. Eehehehehe.“

Nur allzu oft hatte ich erfahren, dass Schüler sich dachten Erfolg käme von alleine und ein hoch angesehener Lehrer sei alles was man dazu bräuchte. Ronald hatte von Anfang an verstanden, dass dem nicht so war.

„Trotzdem kriegt er für seine Mühe von dir nur auf die Nase“, schüttelte der Rothaarige den Kopf: „Ich wäre frustriert.“

„Vergeudete Anstrengung ist eines der Privilegien der Jugend“, hob ich meinen beringten Zeigefinger: „Wer lernen will, muss Einstecken können. Nehehehehe!“

„Den Spruch hast du auch mir schon mal gedrückt“, Grell verschränkte wieder die Arme: „Man, war ich sauer auf dich.“

„Es ist wie es ist“, lachte ich in an und aus.

„Ich hätte nie erwartet, dass du Ronald als Schüler nimmst. Dein Letzter ist schon ein paar Jahre her.“

Etwas zuckte für einen Bruchteil einer Sekunde scharf durch meine Brust, doch blieb mein Grinsen davon unerreicht: „Und er ist tot. Mein Schüler zu sein ist kein Garant für irgendetwas. Außerdem, ehehehehe, würde ich nicht so weit gehen und ihn als meinen Schüler bezeichnen.“

„Was soll er denn sonst sein?“, schnauzte Grell verständnislos.

„Ich löse Schulden ein. Tehehe. Das ist alles. Das sich Ronald immer dasselbe von mir wünscht, ist seine Angelegenheit.“

Der feminine Reaper seufzte: „Du gibst dir zu viel Mühe mit ihm und bist viel zu verständnisvoll, als das du nur Schulden bezahlst. Außerdem lässt du ihn anschreiben! Ich muss immer bezahlen! Im Voraus! Genau wie alle anderen auch! Er ist dein Schüler und du legst Wert darauf, dass er den vorangegangenen nicht folgt. Er ist so eifrig in seinem Bestreben mit uns mitzuhalten und so ungeduldig mit sich selbst. Der einzige Grund warum er noch nie resigniert hat ist, dass du nicht zulässt, dass er es tut. Du bist viel zu faul um dir bei irgendjemanden bei dem du ‚nur Schulden bezahlst‘ die Mühe zu machen, dass seine Gefühlswelt nicht vor die Hunde geht.“

„Nenne es wie du möchtest“, wollte ich diese Diskussion eigentlich beenden. Ich wollte keine Schüler mehr haben. Die Verantwortung war mir viel zu lästig. Doch Amber war mit dem Thema wohl noch nicht fertig: „Schlägt er sich wenigstens besser als die anderen?“

Ich drehte den Kopf lachend zu der jüngsten Phantomhive: „Schwer zu sagen. Ehehehe. Viele waren nicht schlecht.“

„Sie waren sicher akzeptabel stark“, richtete ich meine Augen auf das kalte Lächeln des Butlers. Grell hatte ihm sicher wieder irgendetwas erzählt. Der Butler war geschickt darin den roten Reaper um den Finger zu wickeln. Es war, zugegeben, auch nicht sonderlich schwierig.

Doch ich grinste dem Butler ungerührt entgegen: „Du machst dir gar keine Vorstellung, Dämon. Nehehehehehe! Jeder von ihnen hätte dir unsagbare Probleme bereitet.“

Schließlich redeten wir hier unter anderem von den anderen 9 Alten. Ich war mir ziemlich sicher, der Butler war sich dessen auch bewusst.

Doch immer noch blitzte das Lächeln des Dämons falsch und scharf: „Wenn du es sagst.“

Grell seufzte hörbar: „Oh bitte. Keine tragischen Geschichten.“

Ich lachte. Ich hatte auch keine Lust auf diese alten Geschichten. Also suchte ich mir mit einem Blick in das müde Gesicht der schönen Skyler ein neues Thema: „Tehe. Du siehst immer noch nicht besser aus, meine schöne Puppe.“

Sie nickte zögerlich: „Es… es geht...“

Ich schüttelte, immer noch grinsend, den Kopf: „Keine gute Nachricht. Doch glaube mir, hehe, morgen sieht die Welt auch wieder ein Stück anders aus. Wenn du erst einmal ordentlich gegessen und geschlafen hast.“

„Also… eigentlich...“, begann sie und ich wusste ein weiteres Mal worauf es hinaus laufen wird.

Der Butler hatte wohl denselben Gedanken, ließ Sky aber noch nicht einmal aussprechen: „Lasst uns weiter. Das Essen wird ansonsten kalt.“

Wir gingen in die Villa und verschwanden in einem Waschraum, bevor es weiter zum Speisesaal ging. Sky und Amy verschwanden im rechten und Grell mit mir im linken.

Irgendwann begann Grell zu lachen, als ich damit beschäftigt war mir Erde mit einer Nagelbürste aus meinen langen Fingernägeln zu schrubben.

Meine Augen wanderten zu ihm herüber: „Hehe. Was ist so lustig? Ich will auch lachen. Fu fu fu.“

Grell kicherte weiter: „Ich musste gerade daran denken, dass du dir natürlich aus den abertausend Mädchen auf dieser Welt eine Verfluchte aussuchen musstest.“

Ich wechselte die Hand: „Tehe. Das scheint dich ja reichlich zu beschäftigen.“

„Klar!“, machte Grell, als wäre es selbstverständlich: „Du bist verliebt! Das ist sowas wie das 8 Weltwunder!“

Ich seufzte: „Wenn du meinst.“

Grell trocknete sich die Hände ab: „Warum so grummelig, Undertaker?“

Ich legte die Bürste bei Seite: „Naja. Ehehehe. Es wäre eher das 8 Weltwunder, wenn...“, ich brach ab. Meine Augen fielen ein Stück weiter nach unten.

Grell beugte sich zu mir und lehnte sich auf mein Waschbecken: „Weeeeeeeenn?“

Ich seufzte, verschränkte meine Finger und machte mit schmatzenden Geräuschen kleine Seifenblasen aus meiner Handwaschseife: „Hmmm… Wenn… ich mit meinem Gefühl nicht alleine wäre.“

Grell ließ mit einem Zeigefinger die Seifenblasen platzen: „Was hält dich davon ab dem Kind einen Namen zugeben, hm? Du bist doch ansonsten nicht auf den Mund gefallen.“

Mit einem weiteren Seufzen wusch ich mir die Seife von den Händen. Das warme Wasser knisterte durch meine Finger: „Ich kann es dir nicht sagen, Grell.“

„Das kommt ebenfalls sehr selten vor.“

„Ich weiß, doch… es ist gerade so. Ich habe keine Ahnung was ich sagen soll. Wie ich das alles beschreiben soll. Was ich mir...“, mein Satz endete in einem dritten Seufzer.

„Was du dir wünschen sollst“, vollendete ihn Grell für mich.

Ich nickte, drehte den Hahn zu und schnappte mir ein Handtuch.

„Sprich es an.“

Mein Kopf zuckte zu ihm: „Bitte?“

„Du sollst sie darauf ansprechen“, sprach Grell überbetont.

Eine meiner Augenbrauen wanderte nach oben: „Und dann?“

Grell hob die Hände: „Mal sehen.“

Jetzt lachte ich doch wieder: „Hehehe. Das klingt nicht nach einem durchdachten Plan.“

„Das Leben ist ein Spiel, Undertaker. Gerade für jemanden wie dich.“

„Das ist wahr“, nickte ich, als ich das Handtuch weg hing: „Doch ich verliere nicht gerne. Tehehe.“

Grell verschränkte die Arme: „Sonst bist du doch auch mehr als nur risikofreudig. Warum jetzt nicht? Was hast du denn zu verlieren?“

Ich ging an dem roten Reaper vorbei zu Türe: „Würde, Ehre, Anstand. Nehehe!“

Grell folgt mir mit einem Seufzen auf dem Waschraum: „Wenn du denkst, dass du das noch hast...“

Wir gingen an dem Butler vorbei, der offenbar auf die beiden Damen wartete.

Ich wollte mich in dem Speisesaal auf meinen üblichen Platz neben Lee setzten, doch Grell hielt mich fest. Er zog mich zu dem Platz neben seinen, der nicht gedeckt war, da Sebastian genau wusste wer wo saß und wir unsere Sitzplätze eigentlich auch nicht wechselten. Nur als die kleine Skyler dazugekommen war, war ich einen Platz nach links gerückt um ihr Platz neben ihrer besten Freundin zu machen.

Ich setzte mich dorthin wo Grell mich haben wollte und er drehte meinen Stuhl mit der Lehne zu sich. Er griff meine Haare und begann sie zu flechten: „Ich bin immer noch der Meinung du solltest das machen“, sprach Grell überraschend leise für seine sonst immer so überschäumende Art.

Ich wackelte mit meinem grinsenden Kopf.

„Hey! Still halten! Nein ehrlich. Eigentlich ist es doch genau das, was du tun willst.“

Ich nickte. Eigentlich wollte ich das wirklich, doch wusste ich nicht wie. Ich war einfach nicht gut in solchen Dingen.

„Still halten! Wenn jemand anders in deiner Situation wäre, würdest du genau dasselbe sagen wie ich.“

Ich nickte wieder. Doch hätte ich nur allzu gerne Grell würde einfach gar nichts sagen.

„Nicht bewegen, man! Haaa… Mach es doch nicht so kompliziert. Eigentlich ist es doch ganz einfach.“

Ich nickte wieder grinsend. Es war ganz einfach und auch wieder so gar nicht.

„Kannst du endlich den Kopf still halten? Es passt nicht zu dir etwas nicht zu tun, was du eigentlich tun willst.“

Ich nickte wieder. Zum Teil, weil es stimmte und zum Teil um Grell zu ärgern.

Er zog schroff an meinem Zopf: „Lass das! Wenn du es gemacht hast, musst du es mir erzählen, ja?“

Wieder nickte ich. Gleichzeitig hoffte ich, dass Grell endlich damit fertig war auf mich einzureden. Es achtete keiner sonderlich auf uns. Lee redete mit Fred, das Ehepaar Phantomhive mit den beiden Deutschen, William redete eigentlich mit Ronald, doch eher mit sich selbst, da seine Ausführungen, die sich in Anbetracht der Todesliste in seiner Hand wohl auf die Arbeit bezogen, den blonden Reaper eher einzuschläfern schienen und Sebastian war noch mit den Mädchen unterwegs. Trotzdem wollte ich nach Möglichkeit nicht, dass es noch mehr Leute mitbekamen. Grell und Ronald reichten. Vollkommen. Das konnte mit den Beiden noch sehr, sehr heiter werden.

Die Türe ging auf und der Butler kam mit den beiden jungen Damen in den Speisesaal.

Kaum waren die Mädchen eingetreten verschwand der Butler, wahrscheinlich um das Abendessen zu holen.

Amy zog Sky mit sich und setzte sie neben sich. Unbegeistert musterte die schöne Brünette die vielen mitleidigen Gesichter.

„So!“, warf Grell den Zopf über meine Schulter: „Fertig! Noooah! Es steht dir!~♥ Du solltest viel öfter was mit deinen Haaren machen!“

Ich stand auf, schob den Stuhl unter den Tisch und schaute noch einmal zu Grell: „Nihihihi! Denkst du das, ja?“

„Jaaaaa!“

„Thihi! Ich denke darüber nach“, ging ich um die lange Tafel herum und setzte mich auf den freien Platz zwischen Sky und Lee. Ich lächelte das junge Ding an: „Hast du dich noch ein wenig mehr beruhigen können?“

Sie atmete durch: „Ja… Ein bisschen zumindest.“

Aus meinem Lächeln wurde ein Grinsen: „Das ist gut. Ehehehe. Wirklich. Der erste Schritt in die richtige Richtung. Der Zweite wäre...“

Plötzlich drehte sich das junge Ding um. Sebastian war hinter ihr aufgetaucht. Sie hatte den Butler prompt bemerkt, obwohl auch er einer meiner Ketten trug. Ich wusste, dass sie funktionierten, denn ich spürte niemanden an und um den Tisch. Skys Fähigkeit Dämonen zu entdecken war wirklich erstaunlich.

Der Butler lächelte sie mit geschlossenen Augen an: „Etwas zu speisen.“

Ich giggelte auf Grund der Erkenntnis, dass der Butler und ich dasselbe zu denken schienen.

Sebastian begann bei Alexander mit dem servieren: „Ich darf servieren: Jakobsmuscheltatar in Sherry. Serviert mit geräucherter Blumenkohl, Blumenkohlcreme und gegrillte Shiitakepilze. Dazu gereicht ein Litmus White Pinot Jahrgang 2013 aus den nördlichen Ländereien von Surrey. Ich wünsche besten Appetit.“

Sebastian war ein ausgezeichneter Koch. Obwohl sein Essen ebenso ausgezeichnet aussah wie roch, verschmähte ich es.Aus dem einfachen Grund, dass ich nie auf die Idee kommen würde Leichen zu essen. Der Butler wusste um diesen Umstand natürlich Bescheid, wie es sich für einen guten Butler nun mal gehörte, woher auch immer er das wusste. So landete vor meiner Nase ein Teller voller Kekse. Ich lachte und rieb mir die Hände in Vorfreude auf Sebastians selbstgebackene Biskuits. William legte die Liste weg und lieferte sich mit dem Dämon ein kurzes Blickduell. Anschließend weckte er Ronald, indem der Teller des blonden Reaper krachend auf dem Tisch landete. Der junge Reaper kippte fast mit seinem Stuhl nach hinten, fing sich aber japsend und schaute den Butler böse an.

„Pardon“, lächelte Sebastian mit geschlossenen Augen und Ronald hielt einfach den Mund, wissend das es nichts gab was er kontern konnte.

Diese Szenerie belustigte mich ungemein.

Grell versuchte ein weiteres Mal mit dem Butler zu flirten, doch der Butler ließ ihn wie gewohnt abblitzen.

„Guten Appetit“, lächelte Alexander und nachdem es ihm jeder gleichgetan hatte, verfiel die Gruppe in ein lockeres Reden und Essen. Es war friedlich. Nach dem anstrengenden Tag, angenehmes Gefühl. Doch nur die junge Skyler schien die entspannte Atmosphäre nicht zu erreichen. Während ich meine Kekse knusperte, sah ich wie sie ihr Essen musterte und nicht so recht zu wissen schien, was sie damit tun sollte.

„Nihihihi“, lachte ich reichlich unelegant mit vollem Mund und schluckte meinen Keks hinunter, nachdem die schöne Brünette ihr feines Gesicht zu mir gedreht hatte: „Wartest du darauf, dass sie wieder lebendig werden?“

Sie schaute wieder auf die Muscheln auf ihrem Teller: „Ich… ähm.“

Dann fuhr ihr Kopf wieder herum. Sebastian beugte sich zu ihr herunter: „Kann ich behilflich sein, Lady Rosewell?“

„Ööööhm...“, schob sie ihren Kopf von dem des Butlers weg: „Ich wüsste nicht wie.“

Ich schon. Der Butler auch. Denn er hob einen Silberlöffel in die Luft: „Nun, ich könnte...“

„Nein!“, entfuhr es der jungen Skyler: „Vergiss den Gedanken bevor du ihn zu Ende denkst, Sebastian!“

Der Butler richtete sich auf und verschränkte nachdenklich die Arme: „Aber wie bekomme ich sie ansonsten zum Essen, Lady Rosewell?“

„Hört doch auf damit“, klagte Sky wie schon am Frühstückstisch. Sie griff meinen Arm und schüttelte mich: „Hilf mir, man!“

Mein Keks rutschte aufgrund des plötzlichen Schüttelns aus meinen Fingern und ich fing ihn, nachdem er mit dreimal mit einem Salto wieder aus der Hand gehüpft war. Ich legte ihn auf meinen Teller: „Oh, natürlich helfe ich dir. Ehehehehehe! Zu jeder Zeit, meine Schöne. Ihihihihi!“

Ich griff mir ihre Arme. Leider hatte sie sich den falschen Verbündeten für ihre Absichten ausgesucht. Nach dem Frühstück hätte sie sich das eigentlich denken können: „Sebastian? Du kannst. Ehehehehehe!“

„Hey!“, protestierte sie und wandte sich in meinen Griff. Das junge Ding war so possierlich schwächlich.

Der Butler tat ein wenig Tatar auf den Löffel, nachdem er lächelnd genickt hatte. Ein Lächeln in Anbetracht seiner Absichten, die aus Skylers Position definitiv diabolisch war. Man sah dem Butler an, wie gut er sich dessen im Bilde war.

„Oh! Bitte nicht nochmal! Das ist vollkommen entwürdigend!“, zeterte das junge Ding: „Undertaker, du treulose Tomate!“

„Iss einfach selbst und deine Schmach hat ein Ende. Ehehehehehehe!“, konterte ich lachend. Ich war nicht treulos. Ich war ehrlich besorgt!

„Hier kommt der Zug“, setzte Sebastian lächelnd der Situation die Krone auf. Die anderem am Tisch begannen, mich natürlich eingeschlossen, zu kichern. Außer Frank und William, die ja bekannterweise vollends humorbefreit waren.

„Ich ergebe mich!“, jammerte sie: „Ihr habt gewonnen! Ich gebe auf! Ich gebe auf!“

Ich musste laut lachen, als ich ihre Arme entließ und Sebastian ihr den Löffel in die Hand drückte: „Bon Appetit.“

Sie musterte mutlos den Löffel, dann Sebastian und dann mich. Ich wackelte grinsend mit dem Finger. Skyler verstand meine Drohung und schob sich den Löffel in den Mund.

Sie drehte sich zu ihrem Teller und musterte die anderen Gesichter. Dann aß sie, mit diesem herrlich rosernen Schimmer auf den Wangenknochen, weiter. Sie wirkte ein bisschen grün um die Nase. Ihr leerer Magen schien sich noch nicht entschieden zu haben, ob Essensaufnahme gut oder schlecht war. Doch sie war nötig. Bitter nötig. Die Übelkeit wird vergehen. Doch das junge Ding war ungeahnt steif. Alle am Tisch redeten entspannt und aßen lachend, während sie sich über alles Mögliche unterhielten. Skyler antwortete eher einsilbig, wirkte verunsichert und bekam kein richtiges Lächeln zustande. Nur dieses messerscharfe, verunglückte Grinsen, was selbst das dämonische Lächeln des Butlers um Längen übertraf. Im negativen Sinne, versteht sich.

„Tihihihi! Entspann dich“, lachte ich an meinem Keks vorbei.

„Du“, schaute Sky provokant von mir weg: „Hast Sendepause, klar?“

Sie steckte sich zänkisch einen Löffel Tatar in den Mund. Wie sie auf die Idee kam mich mit der Zurschaustellung meines Erfolges ärgern zu können erschloss sich mir nicht. Aber es belustigte mich und war von daher gern gesehen.

„Hm“, lachte ich und kippte meinen Stuhl nach hinten, als ich einen Keks beschaute: „Ehehe. Da du endlich isst, ertrage ich deinen Misskredit liebend gern.“

„Weißt du“, sie legte ihren Löffel weg und schaute mich beleidigt an: „Wenn du dich nicht wenigstens ein bisschen aufregst, macht das einfach keinen Spaß.“

Ich lachte wieder schrill auf und steckte mir lachend den Keks in den Mund.

Ich klemmte meinen Fuß unter den Tisch und wackelte mit dem Stuhl vor und zurück: „Ich habe eine Menge Spaß. Fuhuhuhuhuhuhu!“

Sebastian räumte bis auf meinen die Teller ab.

Kaum war er damit fertig stand er auch schon mit dem nächsten Teller hinter Alexander: „Zum Hauptgang...“

Skyler schaute dem Dämon mit einem ungläubigen Gesichtsausdruck entgegen. Zugleich sah sie irgendwie gepeinigt aus. Doch nach fast 48 Stunden auf nüchternen Magen, kannte ich kein Erbarmen mit ihr und diese Gewissheit lag in ihrem Gesicht.

Sebastian servierte zu dem Hauptgang schwarzen Riesling, worauf hin Charlie 30 Minuten von seinem Aufenthalt auf einem Weingut erzählte. Nach und nach fanden auch wir wieder in das Gespräch und so verlief der Hauptgang in lockerem Geplaudere.

Nach dem Hauptgang gab es für die anderen Sambocade als Dessert. Ich aß weiter meine Kekse.

„Ich kann nicht mehr“, fiel Syklers Kopf nach unten: „Wirklich...“

Dieses Mal war es Amy, die ihre Gabel nahm und sie ihr mit einen Stück ihres Kuchens daran vor die süße Nase hielt: „Hier kommt der Zug!“

Skylers Kopf flog hoch: „Amy!“

Sie wirkte als wolle sie Amy am liebsten mit irgendetwas schlagen, doch sie besann sich darauf ihr nur reichlich schroff die Gabel aus der Hand zu reißen: „Nicht du auch noch.“

Amy lachte. Ich ebenfalls. Genau wir alle anderen, außer William und Frank natürlich.

Mit gesenktem Kopf aß die schöne Brünette ihren Kuchen, genau so langsam und gequält wie die restlichen Gänge.

„Hm“, machte der Earl ein halbes Kuchenstück später und deutete mit seiner kleinen Gabel in meine Richtung: „Undertaker, ich habe nachgedacht.“

„Oh weia. Ehehehehe“, lachte ich vorfreudig darauf, was dem Earl wohl eingefallen war: „Das ist meistens der Beginn fantastischer Geschichten! Oder des perfektem Chaos. Je nachdem auch beidem. Tehehehehe!“

Auch Alexander lachte: „Naja. Spektakulär wird es dieses Mal nicht werden, aber ich habe eine Bitte an dich.“

„Oh! Wenn ihr mich bezahlen könnt, Earl. Ehehehehehe!“, giggelte ich in meiner vorfreudigen Neugierde.

Der Earl seufzte in Anbetracht meiner üblichen Forderung: „Werde ich, Undertaker. Keine Sorge. Die Idee mit den Telefonnummern und mit Skyler ist ganz gut, doch es beruhigt mich nicht so ganz. Ich würde dich bitten alle zwei Tage bei den Mädchen nach dem Rechten zu sehen. Ich kann Sebastian nicht immer entbehren und du wohnst in der Nähe. Sei so gütig.“

„Was?!“, die beiden Mädchen schauten den Earl fast geschockt an.

„Dad!“, knirschte Amber: „Das ist wirklich nicht...“

„Wie ihr wünscht, Earl“, unterbrach ich sie allerdings grinsend. Das war eine Bitte, der ich doch liebend gerne Folge leistete. Ganz uneigennützig, versteht sich.

Die Köpfe der beiden flogen zu mir: „Bitte was?!“

„Meine Damen, meine Damen“, lachte ich mit wackelndem Kopf: „Ich werde nicht Stunden meines Lebens bei euch verbringen. Ehehehe! Ich bin nicht eure Anstandsdame und dazu habe ich nun wirklich auch keine Lust. Ich stecke kurz meine Nase durch Fenster, erkundige mich und verschwinde wieder.“

„Aber“, versuchte Amy ein weiteres Mal zu protestieren, doch hatte sie gegen ihren Vater keine Chance: „Nichts aber. In dieser Sache überlasse ich nichts den Zufall.“

Amy seufzte und schaute ihre beste Freundin an: „ Hach verdammt“, dann lachte sie in die Runde: „Dann muss ich ja mein Zimmer aufräumen.“
 

Nachdem der Butler abgeräumt hatte, genehmigten wir uns alle noch ein paar Gläser Wein in lockerer Runde. Die Gespräche streiften durch alle möglichen Themen und erreichten irgendwann Alexanders bevorstehenden Geburtstag: „Und ich weiß nicht was ich dieses Jahr machen soll.“

Natürlich haben die Phantomhives den Ruf zu verteidigen immer fantastische und extravagante Bälle zu geben und Grell war immer erpicht darauf, weswegen er auch gleich einen Vorschlag zum unterbreiten hatte: „Oh! Einen Kostümball!“

„Wir hatten doch erst einen“, war William nicht ansatzweise so begeistert wie sein Kollege in Rot.

„Man kann nie genug davon haben!“, konterte Grell aufgeregt.

Alexander lachte sichtlich angetan von der Idee: „Hättest du den auch ein Vorschlag für ein Thema, Grell?“

„Oh ja!~♥“

„Dann sprich.“

Grell schaute jeden einmal mit leuchtenden Augen ins Gesicht: „Alice im Wunderland!“

„Oh nein...“, stöhnte William.

„Oh ja!~♥“, flötete Grell.

„Was denn?“, kicherte Ron: „Alice im Wunderland war immer cool!“

Offensichtliches Missfallen in seinem Gesicht ergab sich William schweigend und trank einen Schluck seines Weißweines.

Skyler legte den Kopf schief: „War?“

„Wir hatten das Thema schon ein paar Mal!“, erklärte der blonde Reaper ihr aufgeregt: „Grell wünscht es sich ständig. Eigentlich mindestens ein oder zweimal in jeder Generation. Es ist eigentlich Tradition.“

„Oh ja! Und diese Generation hatten wir es noch nicht! Und irgendwann!“, rief Grell aufgesprungen, ein Bein auf den Stuhl gestellt und eine Faust in die Luft gestreckt: „Wird Sebastian mich lieben! Und wenn ich aussehe wie eins seiner geliebten Kätzchen, kann er mir ganz sicher nicht widerstehen!~♥“

Der Butler klimperte ihm ein wenig verstört entgegen: „Oh doch. Kann ich. Ganz sicher.“

„Aber… aber Bassy!“

„Nichts aber“, Sebastian schüttelte den Kopf: „Nicht in diesem Leben und in keinem das folgen wird...“

Grells Arme fielen nach unten.

„Fuß vom Polster“, betonte der Butler noch trockener und Grell folgte seiner Anweisung mit einem enttäuschten Gesichtsausdruck.

„Was sagen die anderen?“, fragte der Earl: „Außer Frank und William.“

Ich kicherte. Die Beiden waren wirklich für nichts zu begeistern.

Amber kicherte: „Ich bin dabei!“

Lee und Fred hatten ebenfalls genickt mit zwei gänzlich unterschiedlichen Gesichtsausdrücken.

Ich klatschte in die Hände. Ich liebte dieses Thema. Mein Hutmacherkostüm hing schon viel zu lange ungetragen in meinem Schrank: „Ein fantastisches Stück Literatur! Ehehehehehe! Immer wieder gerne!“

Heather lachte: „Gut. Also? Wer verkleidet sich als was?“

Lees Hand flog in die Luft: „Absolem!“

Fred lachte in sein Glas: „War ja klar. Der Drogenbaron nimmt die Kifferraupe.“

„Man soll sich selbst treu bleiben. Was nimmst du denn, hm?“, konterte der Asiate.

Freds Kopf wanderte zu seinem Vater: „Kann ich den Herzbuben nehmen?“

Dieser nickte: „Warum nicht. Dann übernehme ich den Herzkönig“, er nahm Heathers Hand und lächelte sie an: „Möchtest du meine Herzkönigin sein, meine Teuerste?“

Heather kicherte schüchtern: „Liebend gerne, Liebling.“

Skyler seufzte verträumt.

Dann sah ich aus meinem Augenwinkel wie ihr Kopf mit einem unergründlichen Gesicht zu mir wanderte. Ich schaute sie an und musterte ihr Gesicht. Da ich nicht ergründen konnte, was sie genau von mir wollte oder warum sie zu mir schaute, legte ich die Frage in meinem Grinsen den Kopf schief.

Das Skyler schlagartig dunkelrot im Gesicht wurde und den Kopf wegdrehte machte das Fragezeichen in meinem Gesicht eher größer anstatt kleiner.

„Oh! Oh!“, Amy hüpfte auf ihrem Stuhl auf und ab und lenkte mich von dem roten Gesicht ihrer Freundin ab: „Ich will die weiße Königin!“

Dann schaute Amy zu Skyler: „Und du! Du machst Alice!“

Mein Grinsen wurde schlagartig größer, als ich mir das hübsche Ding in einem possierlichen himmelblauen Kleidchen vorstellen musste. Das Bild in meinem Kopf war perfekt, genau wie sie.

Skyler blinzelte ihrer Freundin eher verwirrt und arg skeptisch entgegen: „Ich? Warum ich? Ich bin doch gar nicht eingeladen.“

Alexander lachte auf als klar wurde, dass Skylers Kopf noch nicht ganz erreicht hatte, dass sie jetzt Teil unserer illustren Runde war. Alex brauchte sie schließlich, damit Amy sicherer war und außerdem hatte die junge Phantomhive ihrem Vater erzählt wie glücklich sie ist eine Freundin auf den Bällen dabei zu haben: „Natürlich bist du das. Du bist ein immer gern gesehener Gast bei uns, Skyler. Ich wäre geehrt, wenn du meine Einladung annehmen würdest.“

Skylers Kopf fiel wieder nach unten und sie wackelte nervös mit den Beinen.

„Komm!“, bettelte Amy: „Sei unsere Alice.“

Sky schaute Amy wieder an und wurde ein weiteres Mal rot im Gesicht: „Ich habe aber keine langen, blonden Haare...“

Amy lachte: „Niemand hier hat lange, blonde Ha… oh...“

Mein Blick wanderte zu Charlie. Der aller anderen auch. Dem Mann mit den langen, blonden Haaren erschien die Erkenntnis, warum ihn auf einmal alle anschauten, sofort im Gesicht.

„PFFFFFFF!“, prustete ich los und hörte mit meinem linken Ohr, dass Lee es mir gleich tat. Dann brachen wir in schallendes Gelächter aus, in das auch Grell und Ronald einstimmten.

Fred lachte in seine Hand. Das Ehepaar Phantomhive hatte die Köpfe schmunzelt zueinander gedreht und selbst Frank schüttelte mit etwas, was man mit viel gutem Willen als Lächeln bezeichnen könnte, den Kopf. Während Sebastian die Situation belächelte, versteckte William seine Augen hinter seiner Hand, doch ich sah seine Mundwinkel zucken. Warum wehrte er sich dagegen zu lächeln oder zu lachen? Ich verstand ihn einfach nicht.

Skyler allerdings schaute recht verwirrt durch die Runde.

„Tja, Charlie“, lachte Lee: „Du bist wohl dran!“

Das Bild was ich nun im Kopf hatte war nicht halb so ansehnlich wie das der kleinen Skyler, dafür aber um Längen amüsanter. Mein Kopf fiel in meinem Lachanfall auf den Tisch: „Pahahahahahaha! Charlie in einem blauen Kleidchen! Awuwuwuwuwuwuwuwuwu! Ich kann nicht mehr! Fuhuhuhuhuhuhu! Vergiss die Schürze nicht! Tehehehehehehehe!“

Ich schloss meine Augen, doch meine Lachtränen kullerten auf den Tisch.

„Oh nein, nein, nein!“, hörte ich Charlie lachend rufen: „Ich ziehe kein Kleid an! Vergesst es Leute!“

„Ach komm schon!“, machte der Asiate neben mir: „Das steht dir sicherlich ausgesprochen gut!“

Ich klopfte auf die Tischplatte, ohnmächtig gegenüber meines wachsenden Lachanfalls: „Tahahahahahahaha! Schon allein die Vorstellung ist ein Bild für die Götter!“

„Wenn du es so unsagbar lustig findest, wenn Männer ein Kleid tragen Undertaker“, konterte Charlie amüsiert: „Dann zieh es doch selber an!“

Ich warf mich zurück in meinem Stuhl: „Nihihihihihihihihi! Ich im Kleid! Das gab es schon!“

Ich war fast überrascht als Skylers Kopf sich mit ungläubig geweiteten Augen zu mir drehte: „Woas?!“

Doch ich konnte ihr nicht antworten. Ich musste wieder viel zu viel lachen, um sprechen zu können.

Grell schaute mich an, als er sich mit spitzen Fingern Lachtränen aus den Augen rieb, bemüht seinen Kajal nicht zu verwischen: „Ja, ja. Dich im rosa Prinzessinnenkostüm! Ich werde es nie vergessen!“

Fast verstört wanderten Skylers Augen zu Grell: „Rosa… Prinzessinnen… kostüm?“

Ronald nickte lachend: „Ja, man! Vor etlichen Jahren haben einige von uns Hamlet nachgespielt! Undertaker war die Königin! In einem knarsch rosa Kleid! Ich hab es leider verpasst! Das ärgert mich heute immer noch!“

Sie schaute wieder zu mir und schien was sie hörte nicht in Kontext zu dem bringen zu können was sie sah: „Was?“

Doch antworten konnte ich immer noch nicht. Denn ich musste mich an die Theaterstunden erinnern. An Grells Passion, Ciels Aversion, Sebastians Bemühungen, Lizzys Groll, als ich das Kleid bekam und nicht sie und Soma, der eifersüchtig auf seinen eigenen Butler war, weil er eine Rolle bekam und er nicht. Ich erinnerte mich an Lau, der mir auf eine unglaublich obszöne Art und Weise nah gekommen war, die selbst ich nicht mehr feierlich gefunden hatte und mich dabei auch noch ausgekitzelt hatte, weil er mich sehr ungeniert begrapschen wollte.

„Armer Irrer“, stöhnte der deutsche Baron, doch selbst das brachte mich nur noch mehr zum Lachen. Mit einem vollkommen verkrampften Bauch fiel ich von meinem Stuhl und wackelte lachend auf dem Boden mit den Beiden.

„Oh man!“, lachte Amy: „Das hätte ich zu gerne gesehen!“

„Hier, Mylady“, tauchte der Butler aus dem Nichts mit dem alten Fotoalbum von 1889 auf. Hin und wieder fanden meine Füße wie von selbst den Weg zu den alten Alben und die von 1800 schaute ich mir mit am liebsten an. Ich hatte viele gute Erinnerungen an die Phantomhives und die Aristokraten, doch die mit Vincent und Ciel waren doch die Besten.

„Oh mein Gott!“, hörte ich Skylers glockenhelles Lachen und die eh schon fantastische Situation wurde fabelhaft: „Ach du meine Güte!“

Dass das junge Mädchen jetzt lachte, trotz des Hagels schlechter Nachrichten des heutigen Tages, zündete einen noch wärmeren Funken in meinem heiß gelachten Bauch an. Ich fühlte wie ein Stück der Sorgen schwand, die ich mir seit gestern Abend um das hübsche Ding machte. Denn eine ehrliche Lache war für mich an Zeichen dafür, dass sie sich langsam erholte. Es könnte auch daran liegen, dass sie endlich etwas gegessen hatte. Doch die Hauptsache war, dass sie jetzt lachte. Hell, ehrlich und ehrlich amüsiert. Es klang wie Musik in meinen Ohren.

Auch Amy hörte ich schallend durch mein eigenes Lachen lachen: „Ich fass‘ es nicht! Ich bin definitiv zu spät geboren worden!“

Ich atmete einmal durch und setzte mich auf, sodass ich über die Tischplatte schauen konnte: „Wuhuhuhuhuhuhuhu! Ja, ja! Das war definitiv ein guter Tag! Tehehehe! Wie Grell aus dem Boot gesegelt ist, als William ein Seil durchgeschnitten hat!“

Grell plusterte seine Wangen auf als er William beleidigt musterte: „Du hast meinen Auftritt sabotiert!“

Doch William war inzwischen wieder gewohnt ernst geworden: „Du hättest arbeiten sollen.“

„Du bist so gemein!“, zeterte Grell weiter.

Skyler schaute noch einmal auf das Foto. Ein schönes Foto. Eins meiner Lieblingsfotos. Ein Foto von einem unglaublich schönen Abend, der so deutlich in Erinnerung gewesen war, als wäre es gestern gewesen. Doch es war nicht gestern. Ein bitterer Geschmack legte sich auf diese wunderbare Erinnerung. Er war bald 130 Jahre her. Die Menschen darauf. Sie waren fort.

„Wer sind die anderen?“, weckte mich Skyler, als meine Augen ein kleines Stück auf die Tischplatte gefallen waren. Zur rechten Zeit. Denn so blieb die Bitterkeit ein feiner Hall in meinem sonst recht belustigten Gemüt.

Ich schluckte einmal um die bittere Note aus meinem Mund zu vertreiben, doch sie blieb als ein kleines, aber merkliches Gewicht auf meinem Herzen zurück, als ich mich auf den Stuhl setzte und Sebastian das Album aus der Hand nahm: „Fu fu fu! Das ist so lange her! Doch ich erinnere mich als wäre es gestern gewesen!“

Die Bitterkeit stieg mir kurz noch einmal sauer in den Hals, als ich die vielen Gesichter sah. Doch ich drängte ihn in den Hintergrund. Es war eh unnötig sich damit zu beschäftigen. Tot ist tot. Basta.

Stattdessen zeigte ich mit dem Finger auf die kleine Alge ganz rechts: „Tehehehe! Das ist Ran Mao. Lees Urururgroßmutter.“

„Meine Urururgroßmutter war eine Alge?“, lachte mich Lee an: „Na wunderbar.“

„Erklärt einiges“, zog Fred seinen besten Freund auf.

„Ruhe auf den billigen Plätzen“, nickte Lee Fred lachend und gespielt provokant entgegen. Die Heiterkeit der beiden Jungs schwächte die Bitterkeit ein wenig.

Ich zeigte auf den blonden Chaoskoch: „Das war Baldroy. Der damalige Chief der Phantomhives. Er war nur leider kein guter Koch. Tehehehehehe!“

Seine Kekse waren meistens Briketts gewesen und selbst wenn sie mal nicht verbrannt waren, hätte ich auch auf einem Echtlederschuh herum kauen können.

Der Butler schüttelte hinter Skyler den Kopf: „Erinnere mich nicht…“

Die Pein des perfektionistischen Butler war deutlich zu sehen, als er an daran zurückdachte wie viel Zeit er sich damit um die Ohren geschlagen hatte hinter unserer persönlichen Version von Trick, Tick, und Track hinterher zu räumen.

„Ja, der kleine Feuerteufel“, grinste ich zu Amy und Skyler, die mir mit neugierig leuchtenden Augen entgegen schauten. Ein herrlicher Anblick. Sky lehnte mit ihren Händen und ausgestreckten Arme auf dem Rand ihres Stuhls und ihre scheinenden Augen hingen abwechselnd an meinem Finger oder meinen Lippen und Amy hatte sie an den Schultern und schaute mich über diese hinweg an. Die beiden Mädchen waren so gespannt, neugierig und in Kombination zum Anbeißen niedlich: „Hat immer mit einen Flammenwerfer gekocht und die Küche in Brand gesetzt. Tehehehehe!“

Sky zog in einem verwirrten Lachen die Augenbrauen zusammen: „Was? Echt jetzt?“

„Oh, ja… In der Tat“, seufzte Sebastian.

Mein Finger wanderte zu dem Hausmädchen, als ich den Butler durch meine geschlossen Lippen belachte: „Mey-Rin. Das alte Hausmädchen. Nehehehehe! Hat immer das Geschirr zerlegt!“

„Und alles andere was ihr in den Weg kam“, seufzte Sebastian weiter.

Nun zeigte ich auf den Gärtner mit den strahlend, unschuldigen Augen: „Tihihi Finnian. Der Gärtner, der seine Kraft nicht unter Kontrolle hatte.“

„Ebenfalls das wandelnde Chaos“, stöhnte der Butler und verschränkte seine Arme.

Nun zeigte ich auf den Hausverwalter: „Tanaka, der alte Hausverwalter. Ich kannte ihn ewig. Fu fu fu.“

„Der Einzige, mit dem man ansatzweise arbeiten konnte“, schüttelte Sebastian den Kopf.

Mein Finger rutschte zu Lizzy, die ihr Ritterkostüm am Ende doch mit mehr Bravour als erwartet getragen hatte, und dem jungen Earl, der zu diesem Zeitpunkt die Begeisterung eines Kindes schon lange verloren hatte: „Lizzy. Amys Ururgroßmutter. Puhuhuhuhu! Wollte unbedingt die Königin spielen und war noch mindestens drei Wochen nach der Aufführung sauer auf mich! Daneben ihr Verlobter Ciel, der damalige Earl, Amys Ururgroßvater. Tehehe. In der Hauptrolle, versteht sich.“

„Warte!“, Sky klimperte mir irritiert entgegen: „Der Earl war ein Kind?!“

Ich nickte mit einem Grinsen im Gesicht und schaffte es das Aufbrodeln der Bitterkeit ein weiteres Mal zu ersticken, als ich an den jungen Earl und die vielen amüsanten Abenteuer dachte: „In der Tat. Tehehehehe! Das waren verrückte Zeiten!“

Sky schaute wieder auf das Foto. Ein Grübeln lag in ihrem Himmelblau.

Mein Finger übersprang Sebastian: „Den kennt ihr ja alle, tehehe“, dann zeigte ich auf den indischen Prinzen und seinem Butler, ein unglaublich sympathisch tollpatschiges Duo: „Soma und Agni. Hehe. Zwei vollkommen bescheuerte Inder.“

Und zu guter Letzt landete mein Finger auf Lau, der auch auf dem Foto nicht daran gedacht hatte eine akzeptable Distanz zu mir herzustellen. Wenigstens hatte er aufgehört an mir herum zu tatschen, nachdem ich ihn hinter der Bühne eine gepfefferte Ohrfeige verpasst hatte: „Und Lau. Fuhuhuhuhu! Lees Urururgroßvater.“

„Was!?“, machte Lee empört: „Warum… kuschelt ihr auf dem Bild, verdammt?!“

Fred versuchte vergebens sein Lachen mit der Hand zu ersticken.

„Hör auf zu lachen, man! Das ist extrem verstörend!“, keifte Lee und schien gar nicht mehr belustigt.

Ich fing laut an zu lachen, als ich die trotz allem doch sehr amüsanten Szenen mit Lau in meinem Kopf Revue passieren ließ: „Na! Hehehehehe! Er hat den König gespielt!“

Sebastian rollte mit den Augen, die Szenerie wohl genauso deutlich vor eben diesen wie ich: „Mit viel zu viel Elan.“

Lees Auge zuckte verstört: „Wie…. meint ihr das?“

Ein kleiner Lachanfall fing mich, als ich wusste das Lees Verstörtheit gerade erst seinen Anfang erreicht hatte: „Tehehehehehehe! Wenn es nach Lau gegangen wäre, hätte auch ich deine Urururgroßmutter werden können. Fuhuhuhuhuhu!“

Abgesehen von mir sprach niemand mehr. Es lachte auch niemand mehr. Die verstörten Gesichter amüsierten mich ungemein, soweit ich sie durch meine Lachtränen erkennen konnte.

„Was?“, fragte Lee nach einer geschockten Weile.

Sebastian schüttelte wieder den Kopf: „Oh bitte, fragt nicht. Es war… mehr als nur obszön.“

Nachdem mir heute sowohl William, als auch Ronald keinen Spaß gegönnt hatten und der Earl mich für seine Bitte noch nicht bezahlt hatte, sah ich meine Gelegenheit mir noch ein bisschen Pläsier bei dem jungen Asiaten abzustauben: „Awuwuwuwuwu! Also ich möchte anmerken, dass ich mich seiner Avancen erwehrt habe! Ehehehehe! Denn...“

Und wie erhofft reagierte er fast aggressiv, als er von seinem Stuhl aufsprang und mir den Mund zu hielt: „NEIN! Behalte alles Weitere für dich! Ich will es NICHT mehr wissen!“

Trotz der Hand des Chinesen, die mir Mund und Nase zu drückte, wurde mein Lachen immer lauter.

Die Anderen lachten mit mir. Lee ließ mich wieder los, sah aber immer noch reichlich verstört, wie überfordert aus.

Alexander schüttelte den Kopf: „Genug in Erinnerungen geschwelgt. Zurück zum Thema. Da Charlie ja nicht Manns genug ist ein Kleid zu tragen, springe doch für ihn ein Skyler.“

Ich klappte das Album zu und strich über das alte Leder: ‚Ruht in Frieden...‘

Sky schaute von dem Earl und zu Charlie. Dieser grinste sie an: „Es stände dir viel besser als mir. Wirklich.“

Sky schüttelte mit einem leichten Lachen den Kopf: „Aber ich habe kein blaues Kleid.“

Es war tragisch, dass Skyler von dieser Idee so ungebeistert schien. Sie sähe fabelhaft aus!

„Lasst dies meine Sorge sein, Lady Rosewell“, verneigte sich der Butler.

Ich feuerte ihn in meinem Kopf an. Wenn Sebastian Skyler ein Kleid besorgt, musste sie am Ende gar atemberaubend aussehen. Doch sie senkte nur ihren schönen Kopf: „Also… Ich weiß nicht...“

„Ok“, lächelte Heather und Skyler blinzelte sie an: „Versuchen wir etwas anderes. Welches sind denn deine Lieblingsfiguren?“

„Öhm...“, überlegte die schöne junge Frau kurz: „Also… die Grinsekatze ist echt cool… und der Hutmacher wirklich lustig. Wenn ich mich entscheiden müsste, der Hutmacher.“

Amy fing neben ihr an zu lachen und grinste einmal verstohlen zu mir herüber. Ich verstand. Sie wusste, dass ich immer den Hutmacher machte.

„Was ist so lustig?“, fragte Sky ihre beste Freundin allerdings fast gereizt.

Amy schaute sie wieder an und kicherte weiter: „Sind beide schon vergeben.“

„Woher weiß du das?“, fragte Sky skeptisch. Grell hatte ja schon erwähnt, dass diese Phantomhives das Thema noch nicht hatten.

„Erzählungen“, kicherte sie weiter.

„Die Grinsekatze kriegst du nicht“, quietschte Grell: „Das ist mein Freifahrtschein in Bassys Herz!“

„Nein“, stöhnte der Dämon genervt: „Ist es nicht...“

„Aber Bassy!“

„Und…“, unterbrach Skyler die Beiden mit zögerlicher Stimme: „...Wer ist der Hutmacher?“

Amy deutete lachend auf mich. Skys Kopf drehte sich zu mir und ich winkte ihr mit meinem breitesten Grinsen entgegen.

Sie blinzelte und ließ die Schultern hängen: „Warum überrascht mich das so gar nicht?“

Ich gigglte: „Das könnte daran liegen, das du mich kennst. Fu fu fu fu!“

Aus irgendwelchen Gründen schaute mich das junge Ding ganz komisch an. Sie musterte überlegend mein Gesicht und sah dabei irgendwie traurig drein. Schon wieder. Und ich wusste wirklich nicht warum. Sie war doch so gut drauf gewesen. Es war lustig gewesen. Und daran hatte sich auch nichts geändert.

Ich legte den Kopf schief und schaute der junge Frau tief in ihr endloses Himmelblau: „Du wärst eine wundervolle Alice.“

„Denkst du?“, fragte sie zögerlich.

„Tehe. Aber ja!“, antwortete ich in ehrlicher Zuversicht.

„Okay“, seufzte sie: „Gut, ich mach‘s...“

„Meine Heldin!“, lachte Charlie.

„Dich im Kleid hätte ich ja schon gerne gesehen“, hatte Lee sein Lachen wiedergefunden und ich eine weitere Möglichkeit für ein wenig Spaß.

Wissend was es auslösen wird, hielt ich dem Chinesen das Foto vor die Nase und er schlug so schnell er konnte das Buch zu und klemmt damit meinen Daumen ein: „Wä! Tu‘ das weg, verdammt!“

Ich kicherte zufrieden, trotz pukerndem Daumens.

Amy schaute fröhlich zu Ronald und William: „Wer seid ihr?“

Ronald legte William überschwänglich den Arm um die Schulter, was dem Aufsichtsbeamten sichtlich nicht passte: „Haselmaus und Märzhase. Ich bin die Haselmaus.“

„Tu deine Hand da weg“, raunte William unheilverheißend.

Ron zog seinen Arm zu sich: „Ist ja gut... Sorry.“

„Und du?“, drehte sich Amy zu dem Dämon.

Dieser legte eine Hand auf sein Herz: „Das weiße Kaninchen, Mylady.“

Ronald drehte sich zu den beiden Deutschen: „Aber wer bleibt denn dann für die Beiden übrig?“

Frank seufzte: „Gar nichts. Wie überaus tragisch.“

„Oh!“, klatschte Charlie in die Hände und stupste den Baron mit dem Ellbogen an: „Komm, wir machen die Kartensoldaten!“

„Fantastische Idee“, lachte der Earl angetan.

Frank teilte diese Angetanheit nicht ansatzweise: „Ich hasse dich“

„Du Pik“, grinste Charlie weiter, wie der netteste Folterknecht Londons: „Und ich Herz.“

„Ich glaube ich kann dieses Jahr leider nicht kommen“, verschränkte der Baron von Steinen die Arme und schaute den Earl Phantomhive an.

„Du kannst mich doch nicht hängen lassen“, lächelte Alex schadenfroh.

„Oh doch, kann ich“, grummelte Frank kühl.

„Oh nein, das bringst du nicht fertig“, grinste Alexander weiter.

„Ist das eine Kampfansage, Alex?“, feixte der Deutsche.

„Ich kann dich auch von Sebastian abholen lassen“, konterte der Earl gelassen.

Frank schüttelte weiter mit dem Kopf: „Ihr seid furchtbar. Alle miteinander.“

Alle lachten wieder, außer der geschlagene Deutsche und der freuderesistente William.

Wir sprachen noch eine Weile weiter und tranken weiter Wein.

Man merkte den Menschen an, dass sie langsam ein wenig torkelig wurden, aufgrund des guten Weines, der Sebastian so bereitwillig immer und immer wieder in unsere Gläser schüttete. Lediglich die Shinigamis blieben vom Effekt des Alkohols unbeeindruckt. Wir reagierten so nicht auf Alkohol wie die Menschen. Zumindest hatte ich noch nie so viel getrunken, dass ich etwas davon gemerkt hätte. Sebastian konnte Skyler allerdings mit dem Wein keine Freude machen.

Das Mädchen sah zunehmend müde aus und irgendwann merkte ich wie ihr Kopf neben mir nach unten kippte. Ich hatte die Hoffnung, dass sie diese Nacht ein wenig erholsamen Schlaf finden würde, wenn sie schon auf ihrem Stuhl einnickte.

Sie entschuldigte sich von uns und ging zu Bett. Auch die anderen verliefen sich. Doch Ronald erwischte mich, bevor ich klang heimlich in meinem Zimmer verschwinden konnte und zog mich in den Garten.

Obwohl der Abend mit 22 Uhr schon weiter fortgeschritten war, trainierte ich noch 2 Stunden mit dem jungen Reaper wie mir ein Blick auf meine alte Uhr verriet, als Ron auch wegen Erschöpfung das Training beenden wollte. Ich war sowohl nun, als auch vor ein paar Stunden nicht gerade zimperlich mit dem jungen Mann umgegangen und konnte seine Ermattung verstehen.

„Bist du denn gar nicht müde?“, regte sich der Jüngling, als wir durch die ruhigen Flure der Villa schritten.

Ich lachte: „Ein wenig.“

Ich war relativ müde sogar. Auch ich hatte nicht viel Ruhe bekommen diese Nacht.

Doch seit ich das Foto in der Hand gehabt hatte, denke ich ständig an ältere Zeiten zurück und betrachte sie mit einem lachenden und einem weinenden inneren Auge.

Ronald verschwand in seinem Zimmer und ein paar Minuten halten meine Schritte einsam durch den Gang. In meinem Zimmer angekommen, lag ich eine Zeit auf diesem unsäglichen Bett und schaute durch meine Balkontür und die zurückgeschobenen Gardinen auf den vollen Mond, der uns während unserem Training eine gute Sicht gewährt hatte, und streunte durch unzählige Erinnerungen. Ich hatte davon so viele. Zu viele. Wieder beschlich mich das Gefühl mich selbst überlebt zu haben.

Ich griff mir meine Kette, die auf meinem Nachttisch lag und die Zange, die ich mir von Sebastian hatte geben lassen. Sie blitzte in dem silbernen Mondlicht. Ich stellte mich auf den Balkon und begann an dem Verschluss herum zu biegen. Die Anhänger in der Hand zu haben machte die drohende Melancholie leider nicht besser. Eher schlechter. Diese Anhänger, sie waren mein ganz persönlicher Schatz. Nur einmal hatte ich sie aus der Hand gegeben und das war auf der Campania, in die Obhut des jungen Earls und des dämonischen Butlers. Ich wusste, dass er darauf achten würde. Ich wusste, dass sie ihn Hinweise geben wird, um herauszufinden was hinter meinem Verrat wirklich stand. Der Versuch aus ihm einen respektablen Edelmann zu machen, so wie es sich sein Vater für ihn gewünscht hätte. Leider hatte der kleine Lord eine ganze Zeit lang auf einen viel zu hohem Ross geritten. Durch seinen teuflischen Butler fühlte er sich unverwundbar. Ich musste ihm zeigen, dass dem nicht so war. Gab ihm Ratschläge, Tipps und Hinweise. Doch nichts hatte gefruchtet, sodass ich am Ende gezwungen war, meine Position als Aristokrat aufzugeben, meinen Laden eine Weile zu verlassen und ihn mit reichlich Schwung von seinem hohen Ross zu treten. Ins kühle Nass. Garniert mit ein paar geifernden Dolls.

Ich hörte das Öffnen einer Tür. Aus dem Augenwinkel sah ich die junge Skyler. Sie schlief also immer noch nicht. Wie kann man nur so unruhig sein? Sie stand nur ihren Poncho über dem dünnen Nachthemd und nackten Füßen in der Türe und beschaute verträumt den runden Mond. In ihrem Himmelblau lag ein atemberaubender dunstig silberner Schleier.

Ich erinnerte mich, dass Amy sagte das junge Ding sei für Krankheit recht anfällig. Deswegen musterte ich mit Ungefallen ihre nackten, zarten Füße, drehte mich aber wieder gänzlich zu meiner Kette: „Du solltest wenigstens Socken tragen, aber ich habe ja Sendepause. Hehehehe.“

Sky blieb einen kurzen Moment stehen. Was sie tat sah ich nicht, da es eine pfriemelige Arbeit war den Verschluss auszubeulen.

„Ich“, hörte ich ihre zögerliche Stimme: „Wollte dich nicht… Naja… Dir nicht zu nahe treten.“

Mit einem Lächeln schaute ich sie kurz an: „Ehehe. Mir zu nahe zu treten ist sehr schwierig, kleine Skyler.“

„Sicher?“, fragte sie unsicher und stellte sich an die äußerste Ecke ihres Balkons. Da unsere Balkons nur durch einen schmalen Spalt getrennt waren, hätte ich meinen Arm nicht ganz ausstrecken müssen um ihre Schulter zu greifen.

„Ja doch“, antwortete ich flach und schaute wieder auf meine Anhänger.

Obwohl ich mir die Anwesenheit des jungen Dings eigentlich immer lobte. Gerade gefiel sie mir nicht. Auch ich hatte heute eine Menge um die Ohren gehabt und wünschte mir etwas Ruhe, was sich daran niederschlug, dass ich bei weitem weniger gesprächig war als üblich. Außerdem surrten immer noch Erinnerungen in meinem Kopf auf und ab wie ein Schwarm wütender, asiatischer Bienen und zerstachen meine Gedanken. Dieses unwohle Gefühl von Bitterkeit lag wie ein dunkler Schleier in meinen Gedanken, obwohl ich die ganze Zeit versuchte es nieder zu kämpfen und zu verbannen. Ich wollte nicht, dass dieser Schatten da war. Ich wollte, dass er verschwand. Doch das tat er nicht und dies frustrierte mich.

Meine gute Laune war, seit ich alleine war, dahin.

Skyler schwieg, was ich begrüßte. Ich hatte wirklich keine Lust zu reden, doch wegschicken konnte ich sie auch nicht. Ich brachte es nicht übers Herz ihr verständlich zu machen, dass ich alleine sein möchte. Sie würde es auf sich beziehen, was Sonstiges in der zerbrechlichen Seele auslösen könnte.

Irgendwann seufzte Skyler und verschränkte ihre dünnen Arme.

„Herrje, herrje“, entfuhr mir ein halbherziges seichtes Lachen, welches meinen Mund aus Gewohnheit und nicht aus Pläsier verließ: „So ein schweres Seufzen und abermals scheinst du vollkommen schlaf- und rastlos.“

Sie nickte knapp: „Ja, ich… überlege noch.“

„Tehe. Worüber?“, fragte ich ein einer versteckten Besorgnis. Es konnte nicht so weiter gehen, dass man sie zum Essen und Schlafen zwingen musste. Menschen können wegen so etwas dauerhaften Schaden davon tragen. Außerdem machte ich mir immer noch Sorgen um ihr Seelenheil. Diese Sorge war sogar noch größer, als mein Wunsch nach ein bisschen friedvoller Einsamkeit.

„Über… mich… und ein paar andere Dinge...“

„Hehe. Zum Beispiel?“

„Warum hast du mir nicht erzählt, wie man zum Reaper wird?“

Ich stockte innerlich. Sie hatte prompt ein Thema angeschnitten über das gerade überhaupt nicht reden wollte. Woher wusste sie überhaupt wie man ein Sensenmann wird? Ich stöhnte innerlich als mich die Erkenntnis griff: ‚Ronald… Du Volltrottel...‘

Ich werde ihn irgendwann knebeln. Irgendwann.

„Weil es nicht wichtig ist“, wollte ich dieses unangenehme Thema schnellst möglich beenden. Menschen denken immer wir müssten depressiv sein, sobald sie von unserem Ursprung wussten. Dem war nicht so. Wir erinnern uns an unser menschliches Leben ja nicht einmal.

„Du hast dich selbst umgebracht...“, wisperte das hübsche Ding.

Ich lachte in Anbetracht ihres Schwermuts: „Vor wahrlich Ewigkeiten! Ehehehehe! Da kräht nun wirklich kein Hahn mehr nach.“

„Kikeriki“, machte es neben mir. Meine Gedanken stoppten abermals in verwunderter Überraschung. Ich drehte meinen Kopf zu dem hübschen Ding: „Bitte?“

„Kikeriki“, wiederholte sie mit einem bedeutungsschweren Ausdruck in dem silbrig schimmernden Himmelblau. Ich brauchte 1,2 Sekunden um zu realisieren, dass sie tatsächlich einen Hahn nachgeahmt hatte um meine Metapher aufzugreifen und gegen mich auszuspielen. Wie fantastisch! Und überaus amüsant!

Ich kniff meinen immer noch recht verwunderten Blick an ihre ernsten Augen gerichtete, die Lippen aufeinander und versuchte meinem Lachen Herr zu bleiben. Dem jungen Ding war was sie mit diesem Geräusch implizierte augenscheinlich sehr wichtig, weswegen ich sie dafür nicht auslachen wollte. Doch ich schaffte es nicht! Dieser Ausruf in Kombination mit diesen ernsten unsagbar seicht schimmernden Augen, war zu viel für mich: „Pffffffff! PAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHA! AWUWUWUWUWUWUWU! Wie unendlich kreativ! Fuhuhuhuhuhuhu! Du bist ein nicht versiegender Quell endloser Freude!“

Mein Lachen krachte förmlich durch die ruhige Nacht und ein bisschen Außenputz rieselte an mir vorbei. Aus den Bäumen stoben ein paar Vögel, die ich wohl recht unsanft geweckt hatte. Sicherlich saßen irgendwo jetzt Frank und William aufrecht im Bett und überlegten wie sie mich am besten umbringen können.

„Nimmst du mich auch ernst?…“, schaute mich die junge Skyler besorgt an: „Lachen ist ok, aber… ich mein das ernst, Undertaker.“

Ich wuschelte ihr durch die seidigen Haare: „Fu fu fu! Du bist so herrlich. Natürlich nehme ich dich ernst! Aber warum interessierst du dich für so langweilige Geschichten?“

„Es klang nicht so, als seien sie langweilig. Die Reaper sind vollkommen begeistert davon.“

Sie musste ja auch unbedingt einen erwischen, der die ganzen alten Kamellen so unglaublich toll fand. Waren sie aber nicht.

„Die Reaper“, schnaubte ich einmal, jetzt doch wieder bei weitem weniger belustigt. Diese Vergangenheit war so endlos langweilig. Warum kann sie nicht nach etwas Lustigem fragen? Noch einmal nach Hamlet, dem Zirkus, oder dieser psychotischen Puppe die andere Puppen auf Menschen gehetzt hatte. Warum musste sie ausgerechnet nach diesen abgewetzten Geschichten fragen? Doch ich hatte ihr versprochen zu antworten. Leider. Also bog ich weiter an meiner Kette herum um zu suggerieren wie unglaublich uninteressant dieses Thema war. Vincent hätte gelacht hätte er diese Szenerie mit angesehen. Er hätte...: „Ehehehehe! Haben schon so viel dazu gedichtet. Es war alles nur halb so glorreich und nur halb so episch. Im Endeffekt war ich auch nur ein Shinigami wie jeder andere. Ich hing in meinem Büro herum, hab Formulare ausgefüllt oder Papierflieger daraus gebastelt, je nach Laune. Und ich habe mich gelangweilt! Unendlich gelangweilt! Meine Fälle waren nur etwas schwieriger und ich hatte das Doppelte an Aufgaben. Ehehe! Wer viel kann, muss viel tun.“

„Was für Aufgaben hattest du denn noch? Außer Seelen holen“, ein weiteres schnarch langweiliges Thema. Warum interessierten sich nur alle so dafür? Für gewöhnlich umschiffte ich die Antworten ja einfach und lenkte das Gespräch vom Thema weg. Oft auf so bizarre Weise, dass sich mein Gegenüber nicht mehr traute nachzufragen. Doch ich hatte es versprochen…: „Ich war Lehrer an der Akademie, Ausbilder im Dispatch und befugt die Liste zu ändern. Viele übernatürliche Wesen haben im Laufe der Jahre versucht mich zu ihrem Werkzeug zu machen. Ihihihihi! Zwang, Versuchung, Erpressung. Sie haben alles ausprobiert“, ich versuchte mit einem düsteren Grinsen ihre Neugierde zu zerschlagen: „Erfolglos. Gihi!“

Erfolglos.

„Die… Liste?“, fragte sie weiter nach.

Ich seufzte innerlich: „Die Liste mit den Todesdaten. Dieses sympathische, kleine Büchlein mit den bunten Zettelchen, welches William des Öfteren in der Hand hat. Darin stehen die allgemeinen Informationen, ein nicht ansatzweise vorteilhaftes Foto und Todesart, wie -uhrzeit. Die Reaper arbeiten sie ab. Nihihihi! Eine endlose Aufgabe, versteht sich.“

„Und... du kannst sie ändern? Also… Todesart und -uhrzeit und so?“

Meine Antwort beschränkte sich auf ein Nicken. Ich hatte keine Lust weiter darüber zu sprechen.

„Passierte das oft?“, stocherte sie weiter auf diesem toten Thema herum. Es war so tot, dass es sogar mir stank. Und dafür brauchte es einiges. Also schüttelte ich wortlos den Kopf und reparierte weiter meine Kette, ohne sie anzuschauen.

„Waren sie ein Geschenk?“, wechselte sie endlich das Thema. Nur leider nicht zum Besseren.

„Ehehehe“, brachte ich ein Lachen zustande um meinen Unmut zu kaschieren und hob die Kette ins silbrige Licht. Sie funkelte. Ein trauriges Funkeln: „Ja und Nein.“

„Wie?“, fragte das junge Ding verwirrt.

„Ich hab sie mir anfertigen lassen“, mein Blick wanderte über jedes einzelne Amulette, indem sich eine Haarsträhne von jedem meiner gefallen Freunde versteckte: „Doch das wofür sie stehen, das war ein Geschenk.“

Wieder fiel eine kleine Stille zwischen mir und die hübsche junge Frau.

Ich schaffte es nicht meine Augen von den Anhängern zu nehmen, von denen jedes Einzelne Erinnerungen wie Filme in meinem Kopf abspielen ließ.

Auf einmal griff sie meinen Arm, zog mich über die Brüstungen zu sich und legte ihren Kopf an meinen Oberarm: „Und wofür stehen sie?“

Ich blinzelte ihr ein paar Sekunden in einer komischen Überraschung entgegen. Ein ungewohntes warmes Kribbeln surrte durch meine Magengegend und löste irgendetwas in mir aus. Es war nicht zwingend ein unangenehmes Gefühl, doch machte es mich irgendwie unruhig. Ich legte Kette und Zange auf die Balustrade und legte ihr meine Hand auf die Finger, in der Bemühung die aufkochende Unruhe niederzuringen.

Doch als ich meine Antwort überlegte und an dieses wunderbare Geschenk denken musste entfuhr mir ein Schnauben, welches meine unterdrückte Bitterkeit nun doch ein Stück in diese Welt trug: „Freundschaft.“

„Und wer hat dir dieses Geschenk gemacht?“

„Viele“, ich lachte leise und meine Erinnerungen rasten durcheinander: „Die Erste war Cloudia.“

„Cloudia? Sie war eine Phantomhive, richtig?“

„Exakt“, nickte ich, obwohl sie es nicht sehen konnte: „Vincents Mutter. Ciels Großmutter.“

„Die Phantomhives bedeuten die Welt für dich, oder?“

Ich stockte. Mittlerweile gab es etwas, was mir genauso viel bedeutete. Ich überlegte. Wenn ich einmal vor der Wahl stand einen der Phantomhives oder sie beschützen zu müssen, wen würde ich wählen? Würde ich mein Versprechen fallen lassen? Konnte ich das? „Einen großen Teil davon. Mit Cloudia fing damals alles an.“

„Was hat sie denn gemacht?“, schürte sie weitere Erinnerungen in mir an. Cloudia war eine wundervolle Frau gewesen. Ihr Verlust war plötzlich gewesen. Plötzlich und…: „Herrje. Ehehe. Ein paar Dinge. Sie hat mir unter anderem geholfen mein Bestattungsunternehmen zu eröffnen. Durch ihre Tätigkeit als Wachhund der Königin stolperte sie eines Tages über mich. Da war ich nicht mehr als ein morbider Landstreicher, der die Welt nicht verstand. Sie griff mir unter die Arme und das gegenseitige Hände waschen begann.“

„Sie griff dir unter die Arme? Einfach so?“

„Klingt das so unmöglich?“, musste ich doch kurz grinsen.

„Nein, aber… die Phantomhives sind sicher nicht die schlechtesten Menschen, aber sie wirken nicht so als würden sie aus reiner Nächstenliebe jedem Straßenhund ein Zuhause geben.“

Diese sehr passende Feststellung schüttelte mich in einem kurzen, aber lauten Lachen: „Ahahaha! Da hast du wohl Recht. Nein. Eigentlich hat sie versucht mich umzubringen. Das hat nicht funktioniert und sie entschied mich lieber als Freund, als als Feind zu haben.“

Ich merkte wie ihr Kopf erschrocken von meinem Arm zuckte und sah ihre aufgerissenen Augen, als ich den Kopf zu Skyler drehte: „Wie?! Was?! Wieso?!“

Ich schloss beim Kichern in meine Hand die Augen. Ihr erschrockenes Gesicht ist so unendlich niedlich. Ihre tropfenförmigen Augen wurden immer so herrlich riesig: „Naja. Ehehehehehehehehehehehehehehe! Ich bin kein gütiges Wesen, Sky. Wenn du diesem Irrtum unterlegen bist, solltest du ihn schnell loswerden. Ehehehehe!“

„Ich glaube du bist eins“, mein Herz übersprang einen Schlag, als sie ihre Hand unter meiner drehten und meine Finger griff. Sie hatte trotz der Kühle so herrlich warme Hände. Nicht so warm wie die der meisten Menschen, die ich kannte und die noch atmeten, doch im Vergleich zu meinen oder der meiner Gäste.

„Nur nicht Bedingungslos“, beendete sie ihren Satz.

Ich lachte auf. Ich war unter keinen Bedienungen gütig oder nett: „Tehehe. Sei nur vorsichtig mit solchen Annahmen. Die Dinge sind nicht immer annähernd wie sie scheinen. Oft sind Tagträume doch nur verkleidete Schreckgespenster.“

Ihre Augen fielen kurz nach unten, doch sie atmete bestimmt durch und schaute mich wieder an: „Aber für Cloudia warst du kein Schreckgespenst, oder?“

„Nein“, schüttelte ich grinsend den Kopf und strich mit den Daumen über ihre zarte Haut, als ich die Erinnerungen an Cloudia repetierte: „Ich habe angefangen einige Dinge für die Familie Phantomhive zu erledigen und schnell ging ich in meiner neuen Berufung auf und konzentrierte mich zum größten Teil darauf. Tehehe.“

„Nicht gesucht, aber doch gefunden“, hörte ich ein Lächeln aus ihrer leisen Stimme heraus.

Ich nickte: „Das ist eine sehr gute Bezeichnung dafür. Hihi. Auf jeden Fall. Cloudia half mir, mir ein Leben aufzubauen und ich half ihr, wenn die Dinge übernatürlich wurden. So lernte ich auch Vincent kennen. Zu dieser Zeit war er noch ein Teenager mit dem Kopf in den Wolken“, mein Blick fiel auf den runden Mond, als ich an die Familie Phantomhive dachte, wie sie damals gewesen war. An Claudia, Vincent und Francis. Eine liebevolle wenn auch strenge Mutter, mit einem Träumer als Sohn und einer rigorosen Tochter, die sich ständig irgendwie zankten. Die Beiden waren so herrlich gewesen und hatten ihre Mutter das ein oder andere Mal fast um den Verstand gebracht!

„Er hat ihn nie wirklich dort heraus bekommen“, erzählte ich weiter, mit den Gedanken an den im Gras liegenden, jungen Vincent, als er der Blue Prefect gewesen war. Wie egal ihm die Blicke der anderen waren und er nur da lag, in die Wolken schauend und mit einem leichten Lächeln träumend. Ohne darüber nachzudenken plauderte ich weiter und meine Erinnerungen schritten voran, zeigte mir gern erinnerte Szenen an Fälle und kämpfe und an Abenteuern. An ruhigen Abenden und lustigen Momente. An Vincent Hochzeit, die Geburt von Ciel. An diese glückliche Familie. Diese liebevollen Eltern. Dieses süße, glückliche Kind, das Ciel bis zu seinem 10. Lebensjahr gewesen war. Er hätte so wunderbar aufwachsen können: „Doch ich mochte ihn sofort. Er war lustig. Ehehehe. Als Cloudia bei ihrer Pflicht umkam und Vincent der neue Wachhund wurde, beschloss er mich endgültig in die Pflicht zu nehmen. Er machte mich zu einem Aristokraten des Bösen und ich war eine Zeitlang endgültig die Zähne des Wachhundes. Ich habe jeden Tag genossen. Doch dann...“, als ich merkte wohin mich meine Erinnerungen trieben, war es zu spät. Da konnte ich schon nichts mehr verhindern. Denn eigentlich hatte ich diese Erinnerung da schon gedacht. Auch Gedachtes kann nicht rückgängig gemacht werden.

Es war so heiß gewesen. Seit diesem Tag mochte ich Hitze nicht mehr. Mein Mund brach in sich zusammen, als ich an die roten Flammen dachte. Den schwarzen Qualm.

‚Finde ihn, Adrian... Finde Ciel... Bitte… Lass mich hier und passe auf ihn auf… Pass… auf… meine… Familie…. auf….‘

Ich hatte es nicht geschafft. Ich schloss die Augen und hielt mein Gesicht davon ab sich zu verkrampfen. Genau wie meine Hände. Meinen ganzen Körper. Doch ganz gelang es mir nicht. Ich wurde überwältigt von einem heißen, weißglühenden Gefühl, was mir Herz und Magen zerriss.

Er war voller Ruß gewesen. Er hatte gehustet. Er konnte nicht mehr atmen. Und ich hatte nichts mehr tun können, außer ihn anzuschauen und zu sprechen, dass ich tat worum er mich bat. Und die erste Hälfte hatte ich noch nicht einmal geschafft. Ich... hatte... es... nicht... geschafft...

Es soll verschwinden. Ich wollte, dass dieses Gefühl so plötzlich wieder verschwand wie es gekommen war.

„Brannte die Villa“, schaute ich wieder in das fahle Mondlicht und zwang meine Stimme, wie der Rest meines Körper irgendwie ruhig zu bleiben: „Und alle darin mit ihr. Was ein grausamer Tod.“

Ich ließ meine Augen von dem hellen Mond in das düstere Gras fallen.

Dieses Gefühl.

Es ging nicht weg. Es packte mich nur immer fester, als ich mich an die Beerdigung erinnern musste. Die einzige Beerdigung, die mir keine Freude bereitet hatte. Im Gegenteil: „Er ist bis auf die Knochen zu Asche verbrannt. Ich habe einen fast leeren Sarg beerdigt.“

Plötzlich zog etwas an meinem Arm. Ich schreckte aus dieser stechenden Erinnerung, bevor ich in meinem Kopf die erste Schaufel Erde auf den Sarg meines besten Freundes geworfen hatte.

Mein Kopf flog zu Skyler, die mich an meinem Arm zu sich gezogen hatte. Sie war auf die Balustrade geklettert. Erst verstand ich nicht wieso das hübsche Ding tat, was sie tat. Doch sie hob ihre Hand in mein Gesicht und ihre flinken, schlanken Künstlerfinger strichen etwas von meiner Wange. Es war nass und es war kalt. Es war eine kleine Träne gewesen. Ich hatte geweint? Bemerkt hatte ich die kleine Träne bis jetzt nicht. Ich will nicht weinen. Ich hasste Tränen. Mehr als Papierkram, Langeweile, diese furchtbare Statue oder Betten. Ich hasste Tränen. Ich hasste Trauer. Ich hasste es… traurig… zu sein.

Ich wusste auch nicht, ob mich die Träne überraschte oder diese warme Hand, die mir die Träne so zaghaft, aber bestimmt aus dem Gesicht gewischt hatte.

„Vincent würde das nicht wollen“, sprach Sky eindringlich und die Wärme ihrer Finger knisterte über die schmale, feuchte Spur, die die kleine Träne zurück gelassen hatte: „Er würde wollen, dass du weiter lachst und fröhlich bist. Ich bin sicher das hat er immer sehr an dir geschätzt.“

Kurz schloss ich meine Augen und meine Mundwinkel wanderten ein Stück nach oben, als sie Vincent so vortrefflich beschrieb. Ich legte meine Hand auf ihre, genoss kurz ihre aufbauende Wärme und der scharfe Sturm piksender Splitter in meinem Inneren ebbte ein wenig ab. Leider waren meine Mundwinkel nicht so weit oben wie ich wollte, als ich die hübsche, junge Dame wieder anschaute: „Das tat er. Ich habe das Gefühl in gewisser Weise taten sie das alle.“

„Alle?“

„Vincent, Cloudia, Diedrich, Ciel, Lau, Madame Red, Claus“, mein Blick fiel auf die Anhänger und ich merkte die Traurigkeit, dass sie als einziges von ihnen übrig waren. Goldenes Metall und eine Haarsträhne. Mehr war von ihnen nicht mehr da. Ich versteckte dieses grässliche Gefühl hinter einem leichten Lächeln: „Jeder für den ein Medaillon an dieser… Kette hängt.“

„Nicht nur sie taten das“, sprach das schöne Ding so einfühlsam wie ich es selten gehört hatte. Ich hatte es nicht oft erlebt, dass Jemand so mit mir sprach. Denn eigentlich sprach ich ja auch nicht über diese Dinge. Wozu auch? Es ändert nichts. Macht nichts besser oder schlechter. Es war, wie es war.

„Wir tun das auch“, fuhr sie fort: „Alexander, Heather, Amy, Fred, Lee, Charlie und Frank. Grell, Ronald und William. Und ich auch.“

Ich drehte mein Gesicht wieder zu ihr und mein Lächeln wurde weiter: „Du bist zu liebenswürdig für diese kalte Welt, schöne Skyler.“

„Das bedeutet dieses Geschenk doch, oder?“, sie lächelte mir aufbauend entgegen. Ein herrlicher Anblick: „Freundschaft meint doch liebenswürdig zueinander zu sein, gerade wenn die Welt furchtbar kalt zu sein scheint.“

Ich lachte auf. Ihre Art zu formulieren war wundervoll: „Ich habe noch niemanden kennen gelernt, der es schöner formulierte. Und da waren einige sehr gute Redner dabei.“

Skyler schloss die Augen und lächelte weiter. Ich wünschte mir sie hörte nie mehr damit auf. Das dieser Ausdruck blieb: „Danke für die Blumen! Aber… ich glaube das war ein bisschen zu geschwollen.“

Mit einem weiteren kleinen Lachen nahm ich ihre Hand von meinem Gesicht, beschaute ihre schön definierten Finger und strich langsam über ihre zarte Handfläche: „Ehehehe! Und zu bescheiden bist du auch.“

Als Skyler ihre Augen wieder aufschlug schaute sie mich an. Unwillkürlich und aus dem Nichts, vor allem aber ohne jeden Grund verfingen wir uns in einem herzlichen Lachen und dieses schneidende Gefühl verschwand ein Stück mehr. Die Hübsche streckte ihre endlos langen Beine nach vorne und setzte sich auf die Brüstung.

„Fall nicht“, hielt ich ihre Hand fester. Dass ihr Fluch, Karma oder sonst irgendwas jetzt zu schlug, wollte ich zu verhindern wissen.

Sie schüttelte den Kopf: „So ungeschickt bin ich auch nicht.“

Ich musste amüsiert grinsen. Sie war furchtbar ungeschickt: „Du bist aber auch nicht gerade deines Karmas bester Freund.“

Ihre Augen fielen nach unten und verursachten in mir ein skeptisches Gefühl. Der Heiterkeit war fort, was tragisch war und ihr Gesichtsausdruck kündigte weiteres Unheil an, als sie mir von unten entgegen schaute: „Du auch nicht, oder?“

Ich legte den Kopf schief: „Wie meinst du das?“

Dann nahm sie meine Hand in beide Hände. Von allen Seiten fuhr diese Wärme durch meine Finger und ließ sie kribbeln. Dann schaute Sky mir wieder ins Gesicht: „Bist du glücklich, Undertaker?“

Aus irgendeinem Grund traf mich diese Frage unvorhergesehen und relativ hart. Härter als mir lieb war. Ich strauchelte innerlich über meine Antwort. Was sollte ich sagen? Ja? Nein? Mein Leben gefiel mir. War das schon Glück?

„Warum fragst du?“, drückte ich mich um die Antwort und richtete meine Augen skeptisch in ihr Gesicht, die mir kurz nach unten gefallen waren.

„Du hattest mal Schüler“, diese Aussage schickte irgendetwas durch mich hindurch. Es war unterschwellig und nicht schön.

„Ja“, antwortete ich knapp: „Hatte ich.“

„Viele?“

Die Richtung, die dieses Gespräch einschlug, gefiel mir abermals nicht. Aber nicht, weil die Themen langweilig waren.

„Einige“, nickte ich.

„Mochtest du sie?“, mit dieser Richtung hatte ich gerechnet. Was wollte sie von mir? Ich nickte stumm.

„Sie sind tot, nicht wahr?“

‚Fast jeder ist tot.‘ „Ja.“

„Alle?“

„Alle.“

„Du hattest auch schon viele Freunde, oder?“

Mein inneres Widerstreben wurde größer und größer. Ich schickte ein Lachen durch meinen Mund um es zu kaschieren: „In der Tat. Tehe. Sie wussten es nicht immer, doch sie waren meine Freunde.“

„Die Meisten davon sind auch tot, richtig?“

Nachdenklich wanderte mein Blick auf den Mond, als stünde dort die Antwort, die ich suchte. Die diesen geschwungenen Mund verstummen ließ, der in meiner Seele bohrte. Auch die Menschen mit denen ich eben noch am Tisch gesessen hatte waren meine Freunde. Sie waren auch die Kinder meiner Freunde, die die Kinder meiner Freunde gewesen waren, welche ebenfalls die Kinder meiner Freunde waren. Einige davon waren auch die Kinder von Freunden gewesen: „Viele. Ja.“

„Macht dich das nicht traurig? Die Gewissheit, dass jeder geht? Dass keiner bleibt?“

Ich schloss abermals die Augen. Ich wollte nicht darüber nachdenken. Diese Gedanken waren verschwendet. Was nützt mir Trauer denn? Trauer ist nur eine der sinnlosesten Formen der Selbstgeißelung. Sie brachte mir nichts und denen um die ich trauere auch nicht. Denn denen brachte gar nichts mehr irgendetwas.

Ein hartes Gefühl auf meinen Herzen schaute ich grinsenderweise in das schöne Gesicht der jungen Brünetten: „Ich frage dich erneut: Warum fragst du?“

Sie schaute zurück: „Weil ich es gerne hätte, dass du glücklich bist.“

Auch diese Aussage traf mich unvorhergesehen. Woran machte sie fest, dass ich nicht glücklich war? Was brachte es ihr, wenn ich glücklich war? Was tut sie hier?

„Warum?“, stocherte in mir doch die Neugierde um ihre Beweggründe.

„Weil du es verdient hast.“

„Habe ich nicht“, antwortete ich ohne zu zögern.

„Warum?“

„Dafür gibt es viele Gründe“, darüber muss ich nicht nachdenken. Ich hatte in Punkten in meinem Leben versagt, die mir niemand verzeihen kann.

„Erzähl sie mir.“

„Warum sollte ich?“

Ich wollte nicht darüber reden. Unter keinen Umständen. Nicht mit ihr. Mit niemanden. Gar nicht.

„Ich würde dich gerne kennen lernen. Das habe ich doch schon mal gesagt. Ich wäre gerne eine Freundin für dich, Undertaker. Ich würde dir gerne helfen, doch das kann ich nicht, wenn ich nicht weiß wobei.“

‚Eine Freundin...‘, diese Formulierung traf mich. Sie traf mich schmerzlich. Ich fragte mich gleichzeitig was ich denn bitte erwartet hatte.

Doch sie zog meine Hand in meinen Händen zu sich: „Du bist auch nicht alleine, Undertaker.“

Ich musste schmunzeln. Jetzt gerade vielleicht nicht. Sie meinte es sicher wirklich ehrlich, doch das änderte nichts an der Wahrheit. Eine Wahrheit, die so lächerlich bitter war, dass man nur darüber lachen konnte: „Hehe. Am Ende bin ich es doch.“

Sky ließ ihre Augen sinken. Das war nicht was sie hören wollte. Doch auch sie wird gehen. Entweder, weil ich am Ende doch zu komisch war oder weil auch sie starb. Früher oder später. In naher Zukunft. Sie war der einzige Mensch, dem ich in meinem Leben nie einen Sarg bauen wollte. Auch diese Erkenntnis war so bitter. Sie war so bitter, dass ich sie ganz weit nach hinten schob und ein Lachen hervor kramte: „Ich habe mich daran gewöhnt. Denn man gewöhnt sich an alles, kleine Sky.“

Skys Augen sprangen zurück in mein Gesicht. Irgendwie sah sie wütend aus. Etwas widerstrebte ihr gewaltig.

Sie seufzte: „Heute war ein lustiger Abend, oder?“

Diese Frage verwirrte mich. War es nicht offensichtlich? Ich lachte, als ich mich an den heiteren Abend zurück dachte. An Lee, der Dinge erfahren hatte, die ihn wirklich nicht behagten. An Frank, der die Diskussion mit Alex und Charlie verloren hatte. An Charlie, für den dieser Abend fast in einem blauen Kleidchen mit Schürze geendet hatte: „Tehe. Ja. Vortrefflich, wieso?“

„Es haben alle viel gelacht“, betonte sie das Offensichtliche.

Doch ich lachte lauter bei dem Gedanken an die lachende Runde: „Ehehehe! Lees Gesichtsausdruck lud auch herzlich dazu ein!“

„Wenn du in, sagen wir, 100 Jahren daran zurück denkst“, Sky schaute mir fest in die Augen und ich hatte das unangenehme Gefühl, dass es nicht bei einer lustigen Konversation blieb: „Dann sind alle Menschen, die mit dir an diesem Tisch saßen, tot.“

Ich bekam einen Schlag. Das… war wirklich nicht lustig. Ich hatte keine Lust mehr auf dieses wehleidige Gespräch: „Fein erkannt.“

Doch Sky atmete tief durch, während ich mir nur wünschte sie würde endlich ihren schönen kleinen Mund halten: „Wie fühlst du dich dann?“

Ich riss meine Hand wieder an mich, übermannt von einer Welle unendlichen Unmutes und bodenlosen Widerstrebens. Wieder hatte ich die Gedanken gedacht, in dem Moment, indem ich wusste, dass ich sie nicht denken wollte. Das Paradoxe war, dass man es erst denken musste, um zu wissen, dass man es nicht denken wollte.

Ich krallte meine Hände um die Brüstung. Eine unendliche Anspannung hatte mich gepackt und ich entließ sie durch meine Finger. Ich spürte die Balustrade darunter bröckeln, als ich auf den seichte erhellten Rasen schaute. Stumm. Ich konnte nichts sagen. Zumindest nichts, was diese Ohren vertragen würden.

Auch Skyler schwieg. Ich wusste nicht was sie tat, denn ich schaffte es nicht sie anzusehen. Mein Kopf raste so ungeordnet. Warum hatte ich zu gelassen, dass sie mich so weit brachte? Jeden anderen hätte ich bei weniger als der Hälfte dieses Gesprächs einfach stehen lassen, wenn er nicht aufgehört hätte. Doch sie. Sie konnte ich nicht stehen lassen. Sie wollte mir ja nur eine gute Freundin sein.

‚Eine Freundin...‘, warum störte mich diese Formulierung so sehr? Weil es zu wenig war? Weil es mir zu wenig war, wenn sie mir nur eine gute Freundin war?

Durch diesen ganzen Wulst an schlechten Empfindungen erschien ein Lächeln auf meinem Mund. Es war nicht nett. Ich wusste, dass es nicht nett war. Doch meine Kontenance ging auf ihr Ende zu: „Tehehe. Was möchtest du jetzt von mir hören?“

„Die Wahrheit.“

„Ich sage immer die Wahrheit.“

„Oder gar nichts.“

„In der Tat.“

„Sagst du mir jetzt die Wahrheit oder gar nichts?“

Etwas in meinen Kopf machte Klick, als ich nur die Augen zu ihr wandte. Die Balustrade bröckelte weiter unter meinen Fingern. Ich wusste auch nicht, warum ich nicht einfach nichts sagte. Mein Gesicht entgleiste mir in eine fast zornige Fratze. Alles was folgte sprach ich ruhig, doch war das alles was von meiner Beherrschung übrig war. Denn ich sprach, ehrlich, aber ohne nachzudenken, was selten war: „Willst du von mir hören, dass ich traurig bin wenn ich an schöne Momente zurückdenke? Dann ist die Antwort ja. Ich erfreue mich daran und gleichzeitig sind sie schmerzlich. Willst du hören, dass ich jedes Mal einen kleinen Tod mit meinen Freunden sterbe? Auch hier ist die Antwort ja. Willst du hören, dass es kein Geschenk ist unsterblich zu sein? Nein, ist es wirklich nicht“, ich seufzte gestresst und schaffte es mein Gesicht zu entspannen. Dann verschränkte ich die Arme auf der Balustrade, damit Sebastian nicht morgen eine neue anbringen muss. Ich wollte unter keinen Umständen, dass er nachfragte, was denn mit ihr passiert sei: „Willst du hören, dass ich sie alle vermisse? Tue ich. Jeden Tag.“

Ich schaute zu Skyler, die mich etwas überfahren musterte. Und besorgt. Sie schaute so besorgt, was ich nicht einordnen konnte: „Ich frage mich nur, warum du das alles wissen willst.“

Die Schöne seufzte kurz: „Immer wenn du von Vincent sprichst oder von anderen alten Freunden, grinst du und lachst, aber… deine Augen tun das nicht. Sie werden ganz dunkel und traurig. Dann siehst du so... verlassen aus. Das… ist kein schöner Anblick.“

Ich schaute wieder in den Garten. Ich wusste, dass meine Augen immer viel über mich verrieten. Sie zu verstecken hatte viele Gründe. Unerkannt bleiben, aber in mehr als einem Sinne: „Es ist auch kein schönes Gefühl.“

„Du redest auch nie darüber.“

„Warum sollte ich?“

„Ein bisschen Schmerz von der Seele reden tut doch immer gut, oder?“

Ich schwieg. Ich hatte kein Händchen für Schmerzen. Zumindest nicht für meinen eigenen. Er sollte mir so fern bleiben wie möglich. Es brachte auch alles nicht. Sich ärgern, trauern, reden. Was bringt es denn?

„Immer wenn du so traurig schaust, frage ich mich wie ich dir helfen kann...“

Nun brachte mich ihre Aussage zum Lachen. Weil sie so gut gemeint und so herrlich blauäugig war: „Hehe. Das kannst du nicht.“

„Wer dann?“

„Niemand.“

Als ich zu ihr schaute sah ich, dass ihr schöner Kopf wieder herunter gefallen war. Sie sah so bekümmert aus: „Das kann doch nicht wahr sein…“

Ich hob sachte ihr Kinn an, um sie zu zwingen mich anzuschauen. Was ich sagte sollte, sollte final sein. Die Konversation sollte jetzt zu Ende sein: „Es ist wie es ist. Niemand kann etwas daran ändern. Nicht ich, kein Mensch, kein Shinigami, kein Dämon, kein Engel. Ich habe nur zwei Möglichkeiten: Ich gehe daran zu Grunde oder ich mache das Beste daraus. Ersteres ist sinnlos und bringt mich auch nicht weiter. Das Zweite ist nicht immer einfach, doch die beste Option die ich habe. Auf meinem Weg haben mich schon viele Wesen begleitet. Einige länger, andere kürzer und ich bin ihnen für jede Sekunde dankbar, die sie da waren. Ich nehme Freundschaften wie sie kommen, auch wenn das heißt, dass ich sie verabschieden muss. Was soll ich sonst tun? Mich einschließen? Schau nicht so traurig, meine schöne Puppe. Das musst du nicht. Du musst dir keine Gedanken um mich machen. Es geht mir gut. Trotz allem, eigentlich geht es mir gut. Auch wenn Erinnerungen bitter schmecken und Freunde kommen und gehen. Im Grunde geht es mir gut“, ich lächelte immer noch schwer, aber ehrlich: „Ich mache, wie gesagt, das Beste daraus.“

Die Brünette musterte mich abwägend. Durch diesen Gesichtsausdruck hatte ich die Befürchtung, dass diese Konversation immer noch kein Ende fand. Doch plötzlich griff sie meine Hand. Verwunderung wischte kurz alles andere fort, als sich mich zu sich zog, meine Taille griff und mich an sie drückte. Fest an sie drückte und ihr Gesicht in meinem Hemd versteckte: „Ich möchte, dass du glücklich bist...“

Mit einem Seufzen setzte sich meine Verwunderung und wurde zu einem leisen Lachen. Was auch immer das junge Ding bezwecken wollte, sie hatte es gut gemeint. Wir kann man so einem possierlichen Ding sauer sein, wenn sie es doch nur gut meint? Ich legte meinen Kopf auf ihre nach Lavendel riechenden Haare: „Das glaube ich dir.“

Ich wusste gerade nur kaum wie ich mich fühlte. Komisch. Erschöpft, doch irgendwie hatte diese Erschöpfung eine angenehme Nuance.

Sie nahm ihren Kopf hoch, sodass auch ich meinen aus ihren Haaren nehmen musste. Sie musterte mich immer noch mit einem besorgten Gesichtsausdruck und tat keine Anstalten mich aus der Umarmung zu entlassen. Nicht, dass ich mir das gewünscht hätte. Ich lächelte ihr seicht entgegen. Vielleicht war ich zu dem zerbrechlichen Ding doch ein wenig zu schroff gewesen. Sie wollte ja nur Gutes für mich: „Danke.“

Skyler blinzelte überrascht: „Was? Warum?… I-Ich… wollte dir helfen, doch ich… ich habe das Gefühl ich habe es eher geschafft dich zu foltern…“

Lächelnd wackelte ich mit dem Kopf: „Ehehehe. Teilweise. Ein bisschen. Doch es tut doch immer gut sich ein bisschen Schmerz von der Seele zu reden“, dann zog ich meinen Mund in mein alt bewehrtes Grinsen: „Oder?“

Sie lachte erleichtert und ihr Gesicht wirkte nicht mehr so schwer. Ich kann die vielen kleinen Steine fast von ihrem Herzen kullern hören: „Ich hoffe.“

Also neigte ich den lächelnden Kopf: „Tut es.“

Ihr Lächeln blieb erleichtert: „Wenn du wieder Jemanden zum Reden brauchst, mach einfach Kikeriki.“

Dieses Kikeriki brachte mich zu einem wieder gänzlich amüsierten Lachen: „Ehehehehehe! Ich werde es mir merken!“

Sie stieg in mein Lachen ein und die Situation verließ endlich diese ätzende Schwere.

Gerade als ich merkte, dass ich mich wieder entspannte hatte, rollte eine steife Brise über uns hinweg. Ich merkte wie das hübsche Ding, was doch so schnell krank wurde, in meinem Armen zu zittern begann.

Ich zog sie zu mir um den kalten Wind auszusperren, doch ich wusste das ich das kaum konnte: „Du solltest wieder rein gehen und dich hinlegen“, ich schob sie an den Schultern ein Stück von mir weg und legte meinen Kopf schief, als ich sie musterte: „Du wirst noch krank und du müsstest doch langsam wirklich müde sein, oder?“

Sie nickte und ihre Augen sahen furchtbar erschöpft aus. Dieser Tag sollte nun ein Ende haben. Er war anstrengend genug gewesen. Für sie und auch für mich.

Mit einem kleinen Lachen hob ich sie behutsam auf ihren Balkon: „Schlaf gut, meine schöne Puppe.“

Sky ging einen zögerlichen Schritt zurück und faltete ihre hängenden Hände mit ihrem Blick zu Boden: „Schlaf… Schlaf du auch gut.“

Ich hob ihr Kinn nach oben. Einmal wollte ich noch ihre schönen blauen Augen in dem fahlen Mondlicht sehen: „Werde ich“, dann stieß ich ihr spielerischer gegen die Schulter: „Und nun geh. Hehehe!“

Sie verschwand mit einem letzten scheuen Lächeln. Als ihre Balkontür zugefallen war, verschwand auch ich in mein Zimmer. Ich legte behutsam die Kette auf den Nachttisch und warf mich auf mein Bett. Liegend zog ihr mir wahrscheinlich eher umständlich meine Schuhe aus und ließ sie einfach auf den Boden fallen. Ich schaute auf meine Anhänger: „Eine gute Freundin...“

Seufzend schaute ich gegen den Himmel meines Gästebettes. Unruhig wackelte mein eines angezogenes Knie hin und her und ich wischte mir durch mein erschöpftes Gesicht. Trotz des warmen Nachhalls in meiner Brust, herrschte in mir ungeahnt viel Chaos. Alte und neue Gefühle. Meine Gedanken schweiften durch das Hier und Jetzt, dann in alte Zeiten, wieder zurück und wieder in verblasste Erinnerungen. Ich starrte Stunden mit einem wackeligen Knie an diese Decke: „Eine gute Freundin...“

Ich hasste diese Formulierung.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Sebastian4340
2017-04-09T20:21:02+00:00 09.04.2017 22:21
Dieses kapitle ist dir voll gut gelungen :) schreib bitte so schnell wie möglich weiter
Lg Sebastian4340


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