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Nähe

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Und hier ist es endlich, das Kapitel, das meiner Fanfiction ihren Namen verlieh. Hört euch doch bei Gelegenheit mal den wunderbaren Titel von [https://www.youtube.com/watch?v=O-_y8Fc-Xi4] Alin an ;) Komplett anzeigen

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Akt 11 - Ein neues Portrait

Setsuna schloss ihre Augen. Sie fühlte, wie die Wärme von Usagis Lippen auf sie überschwappte, konnte sogar dezent den Puls ihrer Prinzessin erspüren. War es ihr eigenes Herz, das so sehr raste, oder war es das ihres Schützlings? Zärtlich legte sich eine Hand auf ihre noch freie Wange, die sie weiter zu Usagi herunterlenkte. Langsam umfasste Setsuna das schlanke Handgelenk, um sich vorsichtig aus ihrer Lage zu befreien. Ihre traurigen Augen blickten in erwartungsvoll blaue. Kaum merklich schüttelte sie ihren Kopf.

Usagi schluckte. Hatte sie zu viel gefordert? Der durchdringende Blick ihrer Freundin sprach Bände. „Tut mir leid, Setsuna“, flüsterte sie. „Wir… Wir sehen uns drinnen.“ Damit wandte sie sich ab. Schnellen Schritts kehrte sie zur Haustür zurück und berührte schon die Klinke, als sie tief einatmete und ihre Lider senkte, die ein paar verirrte Tränen befreiten. Doch gleich hatte sich Usagi wieder gefangen. Sie wischte sich das salzige Nass von den Wangen und straffte ihre Schultern. Sie öffnete die Tür, setzte ihren ersten Schritt in den Korridor. Urplötzlich zuckte sie zusammen. Ein gekeuchter Schrei entwich ihr. Sie griff nach ihrem Bauch und sackte in sich zusammen.

„Usagi!?“ Setsuna war schon bei ihr, bevor sie selbst begriff, was ihr den Stich versetzt hatte. Kaum einen Augenblick später waren auch Haruka und Michiru zur Stelle. Usagis Zähne bissen hart aufeinander. Ein starkes Stechen durchzog ihren ganzen Bauchraum.

„Lehn dich zurück!“, befahl Setsuna ernst und die Prinzessin gehorchte. Langsam ließ sie sich in Setsunas Arme sinken. Als sie fast am Boden lag, die Gesichtszüge schmerzverzerrt, hörte sie die vertraute Stimme weiter dirigieren: „Zieh dein rechtes Bein an und streck es wieder aus!“ Erneut versuchte Usagi, den Anweisungen Folge zu leisten, aber das konnte sie nicht. Ihre Finger umklammerten hilfesuchend Setsunas Hand und einen weiteren Arm, der ihr nahe war. Gehörte er zu Haruka? Ganz fest hatte Usagi ihre Augen geschlossen, also hörte sie nur die Stimme des Rennprofis fragen: „Was ist mit ihr?“

„Ich denke, es ist ihr Blinddarm. Ruf einen Krankenwagen, Michiru!“, antwortete Setsunas Stimme, bevor sich leise Schritte schnell entfernten. „Usagi, hörst du mich?“, fragte die dunkle Stimme weiter.

Usagi nickte. Ihr Körper begann zu zittern. Keuchend sah sie auf und fragte angsterfüllt: „Ich muss ins Krankenhaus?“

Die gelernte Kinderärztin nickte, lächelte jedoch mitfühlend: „Wir lassen dich nicht allein, Princess! Es kann sein, dass du operiert werden musst. Das ist aber ein Routineeingriff. Der dauert keine 20 Minuten. Und ich bleibe bei dir und werde auf dich aufpassen. Das verspreche ich dir!“

Für Usagi unverständlich waren die Worte, die Michiru daraufhin aussprach und Haruka dazu veranlassten, in den Vorgarten zu stürzen. Statt mitzubekommen, dass Michiru nun neben ihr niederkniete, zuckte Usagi erneut zusammen und kauerte sich in Setsunas Arme.
 

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Ich halte deine Hand und hole dich etwas näher ran.

Und ich grab mich tief in deine Schulter und halte den Atem an.

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Nur wenige Minuten später bog der Krankenwagen mit Blaulicht in die Einfahrt. Der Notarzt bestätigte Setsunas Prognose. Im Handumdrehen war die Patientin verladen. Getreu ihrem Versprechen hatte Setsuna neben ihr im Transporter platzgenommen. Die ganze Fahrt über hielt sie die Hand ihrer Prinzessin. Nachdem sie ein paar Sachen zusammengepackt hatten, folgten Haruka und Michiru ihnen ins Krankenhaus. Usagi und Setsuna fanden sie in einem Einzelzimmer auf den Operationstermin wartend. Obwohl sie Angst vor der OP hatte, vergoss Usagi entgegen aller Erwartungen nicht eine einzige Träne. Viel zu beruhigend war die Tatsache, dass sie nicht allein gelassen wurde. Die Bedenken, die sie vor kurzem noch so verunsichert hatten, hatte sie längst verdrängt.

Setsunas Hand schenkte ihr noch Sicherheit, als sich ihre Augen schlossen und nach der Narkose wieder öffneten. Das Betäubungsmittel vernebelte noch immer ihre Sinne. Alles fühlte sich taub an, nur die Wärme, die von ihrer Wächterin ausging, schien wirklich real zu sein. Blinzelnd versuchte Usagi, im grellen abendlichen Sonnenlicht, das durch die Fenster ihres Krankenhauszimmers flutete, etwas zu erkennen, bis sich ein Schatten in ihr Blickfeld schob.

„Usagi? Hörst du mich?“

„Setsuna?“, fragte die Blondine mit rauer Stimme.

„Ich bin hier, Prinzessin. Du hast es überstanden. Es lief alles nach Plan.“

„Du warst bei mir, oder, Suna?“

„Ruh dich aus, Usagi.“

Eine wärmeschenkende Berührung veranlasste die junge Studentin dazu, seufzend auszuatmen. Sie schmiegte sich gegen die zärtlichen Finger und gab sich der Erschöpfung hin, aber…

Setsuna setzte sich zurück in ihren Stuhl. Ja, sie hatte hier ausgehalten, bis die schlafende Usagi in den OP gebracht worden war. Sie hatte sie dorthin begleitet, vor der Tür gewartet und war ihr auch danach auf dem Weg zurück in das kleine Einzelzimmer nicht von der Seite gewichen. Bis jetzt. Still beobachtete sie nun, wie ihr Engel ihre Nähe suchte, sich lächelnd in ihre Hand kuschelte.

Vorsichtig zog sie sich zurück. Usagis Brauen zogen sich verstimmt zusammen. Ein merkwürdiges Gefühl schlich sich in Setsunas Herz. Ähnlich merkwürdig wie jenes, welche sie wenige Stunden zuvor vor ihrer Haustür überkommen hatte. Ein eigenartiger Schauer brachte ihr eine Gänsehaut ein. Das war doch alles nicht normal!
 

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Ich will die Wärme deiner Arme - lege sie um mich und such Geborgenheit.

Doch ich merke schon, wie sich ein Zweifel regt, verzeih mir meine Unsicherheit.

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„Ist alles in Ordnung?“ Michirus Stimme ließ Setsuna hochschrecken. Sie hatte völlig vergessen, dass sie nicht allein mit ihrer Prinzessin war. Fragend sah sie zu der neben ihr sitzenden Violinistin. Diese begann daraufhin zu lächeln. „Du bist so abwesend, wirkst fast schon verträumt.“

Sich abwendend antwortete Setsuna: „Ich mache mir nur Sorgen.“

„Ich machte mir auch Sorgen. Das sah aber ganz sicher anders aus.“ Michiru bekam keine weitere Antwort. Heimlich beobachtete sie, wie sich ihre Freundin ihre Arme rieb, als wolle sie eine Kälte loswerden, die sich um sie gelegt hatte, obwohl dank der Sommersonne gut 25 Grad in diesem Zimmer herrschten. Kurz dachte sie nach. Dann stand Michiru auf und vergewisserte sich, dass Usagi wirklich wieder schlief. Anschließend flüsterte sie: „Siehst du es tatsächlich nicht, oder willst du es nur nicht wahrhaben?“

„Ich weiß nicht, was du meinst.“

Seufzend stellte sich Michiru ans Fenster und sah hinaus. „Wieso verschließt du dich vor ihr? Du wolltest doch, dass sie mehr in dir sieht, als nur ihre zerbrochene Zukunft. Und jetzt ist es endlich soweit und du machst einen Rückzieher?“

„Einen Rückzieher? Wovor, Michiru? Was sieht sie denn in mir? Hilf mir, es zu verstehen! Was sieht sie in mir, dass sie mich fragt, sie zu seinem Grab zu begleiten? Dass ausgerechnet ich bei ihr bleiben soll? Dass sie meine Nähe sucht…“
 

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Hält dein Herz die Nähe aus oder bin ich dir zu nah?

Wird da jetzt ein Abschied draus oder bleibst du noch da?

~~~
 

Michiru zögerte. Ihr Lächeln verschwand. „Ich kann dir nichts versprechen. Aber so wie sie dich in letzter Zeit ansieht, so hat sie früher ihn angesehen. Und irgendetwas sagt mir, dass es nicht der Traum einer zerbrochenen Zukunft ist, der sie dazu bringt. Du wolltest ein neues Bild von dir für sie malen. Ich glaube, sie guckt längst über deine Schulter und beobachtet dich bei jedem Pinselstrich. Fasziniert von den Farben und jeder einzelnen neuen Linie, die du auf deine Leinwand bringst.“ Langsam drehte sich die talentierte Violinistin um und sah durchdringend in die Augen ihrer Mitbewohnerin. „Dass du nervös wirst, wenn dir jemand beim Malen zusieht, ist normal. Aber verjag sie deshalb nicht! Sonst kann es passieren, dass sie sich dein Portrait nie wieder so aufmerksam ansieht.“

Nachdenklich starrte Setsuna nach dieser Erklärung zu Boden, bis eine gutgelaunte Haruka die Tür des Krankenzimmers aufstieß und mit mehreren Kaffeebechern bewaffnet eintrat. Erst am späten Abend erwachte Usagi wieder aus ihrem tiefen Schlaf. Hungrig und dementsprechend dankbar nahm sie das Abendessen an sich, dass Michiru eigenen Angaben zufolge mit ihrem Leben vor Haruka beschützt hatte. Während sie aß, wurde abermals die Zimmertür geöffnet und zum mittlerweile dritten Mal heute beschwerte sich die Stationsschwester, die Besuchszeit wäre längst überschritten.

„Aber ihr dürft doch trotzdem bei mir bleiben, oder nicht?“, fragte Usagi wehleidig Setsuna.

Ihre Beschützerin seufzte mitfühlend: „Ich fürchte, wir müssen bald gehen, Princess.“

Nach einigen protestierenden Einwänden seitens Usagi zog Michiru Haruka mit den Worten „Wir reden mal mit der Schwester!“ aus dem Zimmer und ließ Prinzessin und Wächterin somit allein.

„Ihr dürft nicht gehen“, schmollte Usagi sich selbst damit wiederholend. „Du darfst nicht gehen! Du hast es mir versprochen, Suna.“ Stur starrte sie die Ältere an.

Erneut hallten Michirus Worte durch Setsunas Kopf. Welches Bild wollte sie malen? Plötzlich griff sie nach Usagis Hand und stand auf. „Ich halte immer meine Versprechen, Sagi. Ich lasse dich nicht allein.“ Langsam beugte sie sich zu ihrem Engel herab und legte ihre Lippen gegen dessen Stirn.

Sofort legte sich Usagis Unmut. Dafür begann ihr Herz zu rasen. Ihr Mund formte sich zu einem glücklichen Lächeln und eine Gänsehaut prickelte auf ihren Armen. Genießend sog sie jeden einzelnen Bruchteil dieser wenigen Sekunden der warmen Nähe in sich auf. Für einen kurzen Moment stand die Zeit für sie still und sie war versucht, den Lippen zu folgen, als sie sich viel zu früh von ihrer Stirn lösten. Doch immerhin formten sie noch die Worte: „Nie mehr, Usagi. Nie mehr lasse ich dich allein.“

Der Moment fand abrupt ein Ende, als erneut die Tür aufgestoßen wurde.

„Nein! Die Besuchszeit ist um und damit basta!“, meckerte die Stationsschwester Haruka nach, aber der Rennprofi ließ sich davon nicht irritieren.

„So ein Quatsch, was soll denn schon dabei sein? Sehen Sie? Usagi hat ein Einzelzimmer. Das heißt, wir würden nicht mal jemanden stören, wenn wir hierblieben. Von mir aus bleiben wir auch die ganze Nacht hier drinnen.“

„Und es bleibt beim Nein! Auch wenn Sie noch so berühmt sind, gelten für Sie keine Sonderrechte! Wo kommen wir denn hin, wenn selbst eine Einundzwanzigjährige nicht einmal eine Nacht allein hier verbringen kann?! Nein und nein! Ich werde keinen drei erwachsenen Frauen erlauben, eine vierte genauso erwachsene Frau zu betätscheln! Wo kommen wir denn damit hin?!“

Genervt verdrehte Haruka die Augen. „Setsu, vielleicht könntest du ja auch mal etwas dazu sagen?“

Statt von Setsuna kam von Michiru der Einwurf: „Und wenn wir nicht alle drei bleiben, sondern nur eine von uns?“

Die gestandene Frau im weißen Kittel straffte die Schultern. Lange starrte sie Michiru an. Doch offenbar hatte sie lange genug diskutiert, also stimmte sie knurrend nach einiger Zeit zu: „Na schön. Aber nur eine von Ihnen! Und es herrscht Nachtruhe, also wird das Zimmer höchstens verlassen, wenn ihnen ein zweiter Kopf am Hintern wächst und ‚Halleluja! ‘ ruft!“ Ihr erhobener Zeigefinger sollte ihren Worten Nachdruck verleihen, bevor sie aufbrausend nach draußen stürmte.

Grinsend richtete Michiru ein „Geht doch!“ an Usagi.

Wer der Bettlägerigen die Nacht über Gesellschaft leisten sollte, war schnell geklärt. Also verabschiedeten sich Haruka und Michiru wenige Minuten später von ihren Freundinnen. Etwas befremdlich fühlte es sich für Setsuna trotz allem an, nun eine ganze Nacht mit ihrer Prinzessin allein zu verbringen.

„Ich wusste gar nicht, dass einen eine Blinddarmentzündung so plötzlich und unerwartet niederstrecken kann.“

Setsuna sah von der Tür, die sich eben erst geschlossen hatte, ab und drehte sich zu Usagi, die sich gerade noch mehr in ihre Decke kuschelte. Lächelnd stellte sich Setsuna zu ihr ans Bett und gab zurück: „Sowas kann ganz schnell passieren. Aber eigentlich trifft es eher Kinder als Erwachsene. Nur…“ Auf ihrer Stirn bildeten sich Denkfalten. „Eigentlich hätte dich der Silberkristall davor beschützen sollen…“

Kaum verständlich murmelte die Blondine zur Antwort: „Dafür hätte ich ihn wahrscheinlich immer bei mir tragen sollen…“

Vor Überraschung hoben sich Setsunas Brauen.

„Er liegt sicher versteckt in meinem Zimmer. Also in meinem Zimmer bei euch… Ich fühlte mich einfach so sicher in eurer Gegenwart. In… In deiner Gegenwart.“ Usagis Stimme war zum Ende hin so leise geworden, dass Setsuna sie nur schwer hatte verstehen können. Vor Verlegenheit errötend wandte sie sich ab. Zu Boden blickend erwiderte sie: „Leider kann ich dich nicht vor allem beschützen. Ich gebe mein Bestes, aber an die Macht des Silberkristalls reiche ich bei Weitem nicht heran.“

Ein Rascheln ließ sie auf sehen. Usagi hatte ihre Decke zurückgeschlagen. Sie versuchte sich aufzusetzen, aber Setsuna hielt sie zurück. „Und trotzdem versuchst du es. Trotzdem schenkst du mir so viel mehr Sicherheit“, hauchte die Blondine, als Setsuna sie umarmend zurück in ihr Kissen lenkte.

Die Wächterin schluckte. Schnell hatte sie verstanden, dass sich ihr Schützling nur aufgebäumt hatte, damit sie selbst ihr näher kam. Für einen Augenblick hielt sie Usagi sicher im Arm. Wieder hörte sie Michirus Warnung durch ihren Kopf hallen. Welches Bild sie malen wollte, wusste sie nicht genau. Sie wusste nur, dass sie Usagi nicht mehr von sich stoßen konnte. Nicht mehr von sich stoßen wollte…
 

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Ich will keine Grenze überschreiten

und wenn ich sie doch passier‘, sagst du "Alles ist gut",

aber ich frag' mich: Will ich zu viel von dir?

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„Für uns alle warst du schon immer der Fixpunkt, um den sich unsere Leben drehten. Wir würden alles für dich tun. Es ist, wie deine Mutter sagte; dein Lächeln ist uns Lohn genug. Wir verdanken dir unsere Existenz. Und ich…

Ich verdanke dir noch viel mehr. Vor deiner Geburt lebte ich allein im Nebel. Ich wachte über unser Reich und war immer loyal. Es war nun einmal mein Schicksal, mein Dasein so zu fristen. Ich lebte nur, um zu dienen. Also ertrug ich schweigend die Finsternis und die Kälte, die mich umgab. Bis ich den unheilvollen Schatten erkannte, der einem goldenen Licht nachschlich. Er lauerte, wartete, zeigte so viel Geduld, dass meine Warnungen meine Königin nicht überzeugen konnten.

Ich zerbrach beinahe an meinen Schuldgefühlen. Ich hatte meine Aufgabe nicht erfüllt. Trotzdem ich es erkannt hatte, ergriff das Chaos seine Chance, mein Reich ins Verderben zu stürzen. Ich war nicht da, als es unterging, als seine Dämonen erst die Erde an sich rissen und schließlich meine Königin stürzten. Und ich war nicht da, um zu verhindern, dass du…“ Setsuna schloss ihre Augen. Sie fühlte, wie sich Tränen der Erleichterung, endlich auszusprechen, was ihr Herz seit unsagbaren Zeiten gefangen hielt, ihren Weg bahnten. „Dennoch wurde in der Dunkelheit das hellste Licht, das ich je gesehen habe, geboren. Es schenkte mir die Kraft, trotz allem nicht zu zerbrechen. Vor deiner Geburt war es meine Pflicht, die mich am Leben hielt. Aber seitdem ich dich zum ersten Mal sah, bist du der Stern, der meinen Verstand beisammen hält. Du machst jede Schuld für mich erträglich. Du gabst mir Mut, als ich so einsam war, wie nie zuvor. Von deinem ersten Atemzug an, schenktest du mir deine Wärme, auch wenn ich so weit entfernt meinen Posten hielt. Dein Licht war alles, was ich sah, als ich alles verloren glaubte. Und es schenkte mir Hoffnung. Du gabst mir die Kraft, allein die Zeit zu überdauern und auf deine Wiedergeburt zu warten. Denn solange ich mich an dein Lächeln, deine Augen, deine Stimme erinnern konnte, musstest du einfach zurückkehren. Ich wusste es. Die ganze Zeit über wusste ich, dass ich nur warten musste, um dich endlich wiederzusehen.

Die Hoffnung, eines Tages für dich zu leben zu können, ließ es mich aushalten. Und dann war es soweit. Nicht ich war es, die dich fand. Du warst diejenige, die mich entdeckte. Und du warst noch so viel schöner, als ich es in Erinnerung hatte. Und ich erkannte, für dich zu leben und dich zu beschützen, ist die edelste Daseinsberechtigung, die ich mir nur vorstellen konnte.“

Beständig schlug Setsunas Herz. Nach unzähligen Jahren der getragenen Schuld schien es jetzt, sich von seiner Last befreit zu haben. Es brachte Setsunas Brustkorb zum Erzittern. Und dieses Zittern vernahm auch Usagi. Auch sie hielt ihre Augen geschlossen. Traurig lächelnd hatte sie den Worten gelauscht, sie in sich aufgenommen. Niemals würde sie auch nur eines von ihnen vergessen wollen.
 

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Das Gedankenkarussel, es dreht sich viel zu schnell,

ich komm immer an, wo ich schon war.

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„Dich trifft keine Schuld“, flüsterte Usagi nach einer stillen Weile. „Du hattest versucht, sie zu warnen. Das war alles, was in deiner Macht stand. Und dass du all die Zeit über allein mit deinen Schuldgefühlen leben musstest, tut mir unendlich leid.“ Usagi öffnete ihre Augen. Setsuna war ihr so nah, dass sie selbst die dunkelgrün schimmernden Strähnen ihres Ponys vor ihren eigenen Augen sah. Sie fühlte den seichten Atem auf ihren Wangen, den bebenden Brustkorb an ihrem Arm, jedes Zeichen des Lebens in ihrer treusten Beschützerin. Zärtlich legte sie eine Hand an Setsunas Hals. Sie hob ihr eigenes Kinn an, führte ihr Gesicht dichter zu den kirschroten Lippen.

Aber Setsunas Instinkt hielt seine Herrin fest im Griff. Sie spürte, was ihr Engel vorhatte. Also drehte sie sich nur um Millimeter von ihr Weg. Gerade weit genug, dass die weichen, warmen Lippen nicht die ihren berührten, sondern stattdessen die nassen Tränen nahe ihres Mundwinkels wegküssten.

Usagis Wangen röteten sich. Wieder fühlte es sich an, als wäre sie zu weit gegangen. Aber so viele Signale sprachen doch dagegen! Die Blicke, die Berührungen, die Worte, die ihr von Setsuna entgegengebracht wurden, zeugten doch von tieferen Gefühlen, als nur von Treue, oder nicht?

Langsam lehnte sich Usagi weiter zurück in ihr Kissen und befreite sich so aus der irritierenden Nähe. Vielleicht interpretierte sie das alles auch nur falsch! Vielleicht wünschte sie sich nur diese Signale, die sie zu erkennen glaubte. Sie selbst hatte allmählich akzeptiert, weshalb ihr ausgerechnet Setsunas Nähe so unbeschreiblich gut tat. Wieso sie ihre Gesellschaft suchte, ihr tiefer vertraute, als jedem anderen. Die Ruhe der mystischen Pluto schenkte ihr eine neue Form des Friedens. Zeit heilt alle Wunden. So schmerzvoll sie auch waren. Eines Tages schließen sie sich. Selbst wenn manchmal eine Narbe zurückbleibt, verheilen sie. Usagi wusste, die einzig wirksame Medizin für ihre Wunden hieß Setsuna Meioh.
 

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Denn ich hab noch nicht erreicht, dass die Angst dem Vertrauen weicht.

Bleibst du so lang noch da?

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Abermals ließ sich Setsuna auf dem Stuhl neben Usagis Bett nieder. Sie war verunsichert. Zu ihrer Welt gehörten keine Gefühle. Damit kannte sie sich nicht aus. Dementsprechend überfordert war sie mit Usagis Handlungen. Sie versuchte die Zeichen zu deuten, kam sich aber albern bei der Idee vor, die strahlende Prinzessin des Mondreiches würde ausgerechnet ihr gegenüber mehr empfinden als bloße Dankbarkeit. Die Wächterin der Zeit hatte ihre Pflicht. Und ihr Schicksal war es, die schwarze, bleierne Last zu tragen, die nicht auf den Schultern der Königsfamilie liegen durfte.

Zum ersten Mal fühlte sich das Schweigen zwischen Setsuna und Usagi befremdlich an. Beide Frauen gingen ihren eigenen Gedanken nach. Schließlich streckte sich Setsuna, stand auf, stellte sich ans Fenster und starrte in die Nacht. Derselbe Mond wie vor so vielen Stunden, als sie Usagi die Spieluhr geschenkt hatte, schien ihr entgegen.

Eben diese Spieluhr war es, die Usagis Blick gefangen hielt. Schweigend lag sie auf dem Beistelltisch ihres Bettes. Wie verzaubert funkelte das Gold im spärlichen Lichtschein. Wie viel Wahrheit konnte hinter Setsunas Worten stecken, wenn sie selbst noch immer an einer Schuld nagte, die sie sich vor so langer Zeit auferlegt hatte? Usagis Augen suchten sich ein neues Ziel. Sie sahen zu der anmutigen Frau, deren Gesichtszüge ebenso wie schon vor Stunden auf eine so unbeschreiblich atemberaubende Weise untermalt wurden. „Setsuna?“

Die Angesprochene reagierte sofort. Zunächst schweigend und verunsichert blickten die azurblauen Augen in faszinierend dunkelrote. Dann wagte es Usagi, ihre Hand zu heben und sie auffordernd in Setsunas Richtung zu strecken. Diese zögerte, bevor sie wieder näher an ihre Prinzessin herantrat. Zaghaft nahm sie die ihr gereichte Hand.

„Ich will mich aufsetzen.“

„Das darfst du noch nicht, Usagi“, gab Setsuna bestimmt zurück. „Damit solltest du noch bis morgen warten.“

„Dann… Dann komm näher zu mir, Suna.“
 

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Hält dein Herz die Nähe aus oder bin ich dir zu nah?

Wird da jetzt ein Abschied draus oder bleibst du noch da?

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Setsuna zögerte. Aber hatte sie nicht versprochen, alles für ihre Prinzessin zu tun? Also gehorchte sie, wenn auch verunsichert. Sie stützte ihren Ellenbogen in das weiche Kissen neben Usagis Kopf und zwang sich selbst zu einem zaghaften aber fragenden Lächeln.

Einige Minuten lang passierte nichts.

Dann lösten sich Usagis Finger von denen Setsunas. Stattdessen fanden sie den Weg in deren Nacken. Die Prinzessin kostete den Augenblick aus. Sie genoss, wie ihr Herz zu rasen begann, ließ zu, dass sich ihre Atmung beschleunigte. Noch länger wollte sie nicht warten, kein Risiko mehr eingehen. Sie wollte sie endlich schmecken, die dunkelroten Lippen, die ihr so viel Kraft, so viel Liebe und Fürsorge in den letzten Tagen zugeflüstert hatten.

Also zog sie Setsuna weiter zu sich herunter. Kein Ausweichmanöver würde sie mehr dulden. Und endlich trafen sich die so unterschiedlichen Lippenpaare, wie Tag und Nacht, wie Stille und Lachen, wie Licht und Dunkelheit.
 

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Oder du bleibst du da?

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  GothicVampir
2017-08-15T17:48:58+00:00 15.08.2017 19:48
Mit dem Anfang des Kapitels, hatte ich etwas Schwierigkeiten, musste 3x anfangen. ^^“ Als ich mich reingefunden habe, kommt Usagis Zusammenbruch oO ich hab mit allem gerechnet, nur nicht mit einer Blinddarmentzündung! Du weißt nicht, wie oft ich mich frage, woher du deine Ideen hast. ^^ Michiru’s bildliche Erörterung, der Situation zwischen Usagi und Setsuna, anhand der Gestaltung eines Gemäldes, gefällt mir sehr gut. ^^ Meine Güte, eine Furie von Stationsschwester, zum Glück hatte ich nicht so eine, bei meinen langen Aufenthalt im Krankenhaus.
Ich kann mir nicht helfen, aber bei Usagis Gedanken: „die einzig wirksame Medizin für ihre Wunden hieß...“ hatte ich wieder ein Déjà-vu!
Und der Kuss am Schluss, setzt dem Ganzen eine Krone auf. ;)

Von:  LouisaWilliams
2017-08-15T17:47:35+00:00 15.08.2017 19:47
Ich bin noch immer völlig begeistert und sprachlos... Was für ein Wahnsinns-Kapitel!!!!! Und es kam mir länger vor als sonst - das ist NATÜRLICH super.
Überraschend anders - das Spiel mit Nähe und Distanz ist fesselnd! Zuweit? Ja? Nein? Vielleicht.. Unsicherheit auf beiden Seiten. Setsunas Wunsch geht in Erfüllung und doch wagt sie nicht, es zu glauben. Weiß nicht, wie sie reagieren soll.
Michirus Beschreibung mit dem Portrait. Klasse. Einfach perfekt!
... und die Schwester im Krankenhaus. Grandios! Ich bin selbst Krankenschwester und ja, nachts müssen Besucher wirklich gehen. (Außer wenn jemand im Sterben liegt.) Klasse geschrieben.

Hach, ich platze schon jetzt vor Neugier, wie es denn weiter geht!!!
Go - Ruka - Go!!! ;)


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