Zum Inhalt der Seite

Spiegelwelt

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]


 

~*~*~ Echo aus der Vergangenheit ~*~*~
 

~ Luke ~

„Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob wir auch wirklich das richtige tun, Jocelyn. Ich meine, wieso tut der Rat es nicht selber? Bisher hat er sich dem immer selber angenommen, und es nie jungen Schattenjägern überlassen. Das ergibt ja auch keinen Sinn.“ Und darüber hinaus, will ich es auch nicht tun.
 

Jocelyn und ich gehen zusammen zum ausgemachten Treffpunkt. Dabei laufen wir still nebeneinander her und fühlen uns beide unwohl.
 

Es ist ein komisches Gefühl, ihr so nah zu sein, und sie doch nicht berühren zu können. Nicht berühren zu dürfen. Denn immerhin ist Jocelyn mit meinem besten Freund, meinem Parabatai, verlobt. Und das bedeutet, dass sie für mich tabu ist. Tabu sein sollte. Doch gegen die Liebe ist niemand gefeit – vor allem Jocelyn und ich nicht.
 

Laut Valentin hat unser ‚Kreis‘ diesen wichtigen Auftrag vom Rat bekommen, zu dem wir gerade auf dem Weg sind. Nur Valentin weiß den Grund, warum ausgerechnet wir das tun sollen, doch er will ihn uns nicht mitteilen. Alles was er uns dazu sagte war, dass wir die einzigen sind, die ihn ausführen können. Doch das glaube ich nicht. Da muss mehr dahinter stecken, viel mehr.
 

„Ich vertraue Valentin und das solltest du auch tun, Lucien.“ Jocelyns Stimme ist schneidend, weswegen ich leicht zusammen zucke.
 

Aus irgendeinem Grund mag ich es überhaupt nicht, wenn sie mit solch einem Ton mit mir redet. Vielleicht weil ich es nicht mag wenn sie wütend auf mich ist, oder aber… weil ich es nicht ertragen kann, wenn sie Valentin verteidigt. Dann kommt in mir der Gedanke hoch, dass ich einfach nur ein Ausrutscher für Jocelyn war. Und das sie mich nicht liebt, sondern einzig und alleine Valentin.
 

Ich hole einmal kräftig Luft und bringe Jocelyn dann dazu stehen zu bleiben. Ich halte sie am Arm zurück.
 

„Ich habe nicht gesagt dass ich ihm nicht vertraue, sondern lediglich, dass ich es komisch finde, dass UNS der Rat diesen Auftrag gegeben haben soll. Wieso soll er wollen, dass wir für ihn die Drecksarbeit erledigen. Bisher haben sie es immer selber erledigt. Also frage ich dich: Wieso, Jocelyn?“ Ich verstehe einfach nicht was sie damit bezwecken wollen.
 

Mit weit aufgerissenen Augen sieht Jocelyn mich an. Sofort lasse ich sie los und schließe für einen winzigen Moment meine Augen. Ich öffne sie wieder und blicke wieder in Jocelyns Augen. Tränen haben sich in ihnen gesammelt. Ohne mir Gedanken darüber zu machen dass Valentin uns jederzeit so sehen könnte, schließe ich sie in meine Arme. Und entgegen meiner Erwartungen, drückt sich Jocelyn fest an mich.
 

„Ich muss Valentin einfach vertrauen, Lucien“, flüstert sie an meine Brust gepresst. „Und ich muss auch bei ihm bleiben, egal wie viel ich für dich empfinde. Ich… Wir haben einen gemeinsamen Sohn, Lucien. Ich kann ihn nicht verlassen … Bitte hasse mich deswegen nicht.“
 

Bitte hasse mich deswegen nicht.
 

„Ich hasse dich doch nicht, Jocy. Ich verstehe dass du ihn um Jonathans Willen nicht verlassen kannst. Aber nur weil euch beide was verbindet, heißt das nicht, dass du ihm…
 

„Was trödelt ihr denn so lange herum?“
 

Jocelyn und ich trennen uns blitzschnell und drehen uns dem Störenfried entgegen. Es ist Erika, zusammen mit ihrer Freundin Hanna. Die beiden haben fast dasselbe Problem wie Jocelyn und ich, nur dass es bei den beiden noch etwas komplizierter ist. Immerhin sind sie ein Paar.
 

Glücklich lächelnd – bei uns können sie sein wie sie sind und müssen sich nicht verstellen – kommen sie zu uns geschlendert. Hanna henkelt sich bei mir ein und Erika bei Jocelyn.
 

„Zieht nicht so ein Gesicht, ihr beiden. Wir werden euch bestimmt nicht verpfeifen, oder Erika“, plabbert Hanna fröhlich drauf los.
 

„Wir wären schön doof, täten wir es. Außerdem finden wir…
 

„…passt ihr perfekt zueinander. Ihr seid unser heimliches Lieblingspärchen“, flüstert Hanna mir ins Ohr. Ich laufe sofort Rot an. „Aber verrate es Valentin nicht. Der hat heute sowas von eine Mordslaune. Sogar Quentin hat vorhin den Kopf eingezogen, als unser furchtloser Anführer quer durch den Runenraum brüllte. Dabei hat er sonst immer solch eine große Klappe und kennt das Wort ‚Angst‘ nicht. Aber naja. Mittlerweile hat er ihn ja besser kennengelernt und weiß, dass Valentin auch für einen Hexenmeister gefährlich werden kann. Mit dem legt man sich besser nicht an. Selbst der Rat hat Respekt vor unserem Valli.“
 

Ich pruste los.
 

„Wie hast du Valentin eben genannt? Valli? Nenne ihn blos nicht in seiner Gegenwart so“, sage ich belustigt.
 

Hanna hat für jeden von uns einen Spitznamen, doch für Valentin… das hat sie sich bisher nie getraut. Wer weiß, wie lange sie schon auf die Gelegenheit gewartet hat, ihn mal aussprechen zu können. Ihn uns endlich präsentieren zu können.
 

„Ich bin ja nicht doof“, antwortet Hanna lächelnd und zieht mich immer weiter hinter sich her. Aus dem Augenwinkel sehe ich Jocelyn schmunzeln. Es hat ganz den Anschein, dass es ihr mehr als gut tut, wenn sie mit ihren besten Freunden zusammen ist. Stumm danke ich Hanna und Erika dafür, dass sie immer wo sie auftauchen, für gute Laune sorgen und Jocelyn heute von ihren Sorgen abgelenkt haben. Wenn auch nur für einen kurzen Moment.
 

~*~*~*~
 

„Da seid ihr ja endlich“, begrüßt uns Quentin unfreundlich wie eh und je. Der hat wirklich nur vor Valentin Respekt – das wurmt mich. Zwar habe ich nichts gegen Schattenweltler, solange sie keine Dämonen sind und unschuldige töten, doch dieser Hexenmeister bringt mich manchmal echt…
 

„Lass sie in Ruhe, Quentin“, höre ich Valentin sagen. Seine raue Stimme trieft nur so vor Ungeduld und Mordlust. Und das ist kein gutes Zeichen.
 

„Sind Eizen und Layla schon da“, fragt Hanna. Ich sehe mich im Runenraum um, kann sie aber nicht sehen. Unsere beiden Nesthäkchen kommen mal wieder als letzte an.
 

„Nein!“, beantwortet Valentin ihr ihre Frage und kapselt sich dann, zusammen mit Quentin, von uns anderen ab. Sie tuscheln miteinander.
 

Ich setze mich abseits der anderen auf den kalten Boden und lasse mich langsam nach hinten Fallen. Mit den Armen hinter meinem Kopf verschränkt, starre ich an die Decke. Auch dort sind überall Runen aufgetragen, sowie andere Symbole, die ich nicht kenne. Soviel ich weiß, handelt es sich bei denen um uralte Runen, die heute nicht mehr Verwendung finden, weil kaum mehr einer sie zeichnen kann. Was nicht verwunderlich ist, da sie wirklich mehr als merkwürdig aussehen.
 

„Du bist heute so ruhig, Lucien.“ Ich drehe meinen Kopf nach links. Robert Lightwood steht neben mir und sieht auf mich herab. Von all unseren Freunden, hat er das schlechteste Verhältnis zu Valentin. Ich glaube sogar zu wissen, dass er nur noch wegen Maryse hier ist. Sie vergöttert Valentin. Wieso nur stehen die Frauen auf solche Männer wie ihn… Ich werde es wohl nie verstehen.
 

Robert setzt sich zu mir.
 

„Ich denke nur nach. Kein Grund sich sorgen um mich zu machen, Robert.“
 

Wir schweigen gut eine Minute, bis Robert die Stille zwischen uns bricht.
 

„Du hast Zweifel an dem was wir gleich tun werden, habe ich nicht recht?“
 

„Ja!“, antworte ich wahrheitsgemäß. Es bringt eh nichts zu lügen.
 

„Ich auch!“ Sofort schnellt mein Kopf zur Seite. Ich sehe Robert ungläubig an. Also damit hätte ich jetzt nicht gerechnet.
 

Robert ist derjenige von uns, der am meisten an den Rat und dessen Gesetze glaubt. Und gerade weil das so ist, dachte ich eigentlich, dass er ohne Skrupel oder zumindest ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, heute hier ist. Das dies scheinbar nicht der Fall ist, lässt mich noch mehr Zweifeln.
 

Ich lasse meinen Blick zum Rest unserer Freunde wandeln. Jocelyn steht zusammen mit Hanna und Erika rechts neben dem Eingang zum Runenraum. Sie unterhalten sich – lachen über irgendetwas. Karina, Oriana und Maryse haben es sich auf dem kleinen Altar, der in der Mitte des Raumes thront bequem gemacht und scheinen sich auch über irgendetwas zu unterhalten, doch bei den drei Damen, scheint es nichts Fröhliches zu sein, im Gegenteil. Maryse Blicke, die sie Robert immer wieder zuwirft, lassen auf was anderes schließen. In deren Ehe scheint es wohl gekracht zu haben. Die letzte dreiergruppe besteht aus Tristan, Lincoln und Tiron. Die drei lehnen etwas von Robert und mir entfernt, an einer der Steinmauern. Sie schweigen, wie fast immer eigentlich. Die größten Redner waren sie ja noch nie. Ich wende mich wieder Robert zu.
 

„Ist bei dir und Maryse alles in Ordnung?“, frage ich nach. Robert und ich waren zwar nie die besten Freunde, aber Freunde sind wir dennoch. Und Freunde müssen zusammenhalten und müssen sich gegenseitig unterstützen. Das ist etwas, was ich mir zumindest immer so gewünscht habe, also das es zwischen Valentin und mir so ist. Immerhin sind wir ja auch Parabatai.
 

Ich weiß noch ganz genau wie froh und auch glücklich ich war, als Valentin mich gefragt hatte, ob ich nicht sein Parabatai werden will. Ich hatte nie viele Freunde gehabt und das dann ausgerechnet er… derjenige, der der beste Kämpfer unserer Generation ist, mich fragt… erschien mir wie ein Traum. Natürlich sagte ich ohne darüber nachzudenken zu müssen, Ja! Ich wollte sein Parabatai sein. Ich wollte mit ihm so tief verbunden sein. Ich wollte einfach das Gefühl, dass ich jemanden wichtig bin. Denn das hieß es doch, oder? Also das Valentin etwas an mir lag und vielleicht immer noch liegt.
 

Als das alles angefangen hatte mit unserem ‚Kreis‘, da war ich eifersüchtig über jeden, den Valentin einlud sich ihm anzuschließen. Ich fühlte mich verraten, doch mit der Zeit hat sich das gelegt. Im Hier und Jetzt bin ich sogar froh, dass wir so eine große Gruppe sind. Denn wir halten alle zusammen. Wir sind wie eine große Familie – und das habe ich mir immer gewünscht.
 

„Ich habe mich informiert“, sagt Robert und setzt sich auf. „Es gibt keine Aufzeichnungen darüber, dass der Rat diese Aufgabe, die heute uns zufällt, jemals auf einfache Schattenjäger übertragen hatte. Bisher haben sie sich immer selber darum gekümmert. Es ist also nur normal, dass ich das was uns Valentin gesagt hat, hinterfrage.“
 

Gut zu wissen dass es nicht nur mir so geht. Doch was heißt das jetzt, wenn ich nicht mehr der einzige bin, der glaubt, dass wir hier angelogen werden. Das irgendwas anderes vor sich geht. Etwas, von dem wir nichts wissen.
 

Roberts Blick heftet sich an die Gestalt seiner Frau. Sie redet noch immer mit Karina und Oriana.
 

„Sie vertraut ihm mehr, als sie mir vertraut“, vertraut Robert mir schließlich an. „Wenn sich das nicht ändert, Lucien, dann werde ich sie an ihn verlieren. Doch das will ich nicht. Ich liebe sie… und ich liebe unseren heranreifenden Sohn.“
 

Moment Mal! Heißt das…
 

„Maryse ist Schwanger?“ Robert nickt. „Wow! Das ist… Ich freue mich für euch beide und…“ Ich lege Robert eine Hand auf die Schulter, „ihr werdet das zusammen schaffen.“ Ein Kind verbindet.
 

Robert nickt mir mit einem zaghaften Lächeln zu und steht dann langsam auf.
 

„Ich danke dir für deine ehrlichen Worte, Lucien. Und keine Sorge, Jocelyn wird schon noch mitbekommen, dass du die bessere Wahl für sie bist.“ Dann entfernt er sich von mir und geht zu seiner Frau. Er nimmt sie etwas abseits und küsst sie.
 

Die Türen zum Runenraum öffnen sich und Eizen und Layla kommen herein. Sie grüßen uns mit einem lauten: Hallo! Valentin kommt zu den beiden und winkt dann den Rest ebenfalls zu sich.
 

Ich erhebe mich und gehe mit einem mulmigen Gefühl im Bauch, zu meinen Freunden, die sich als Kreis, um Valentin, Quentin, Eizen und Layla, versammelt haben.
 

„Wir haben vom Rat einen wichtigen Auftrag bekommen“, sagt Valentin mit kräftiger Stimme. Er sieht einen nach dem anderen von uns an, und bleibt schließlich an unsere beiden Jüngsten hängen. „Wie ihr beiden wisst“, sagt er nur an die beiden gewandt, „ist das Gesetz hart, aber es ist das Gesetz. Und jeder der gegen dieses verstößt, muss mit den Konsequenzen leben. Und das wichtigste Gesetz für zwei Parabatai ist, dass sie sich nicht lieben dürfen.“
 

Kaum ausgesprochen, zucken Eizen und Layla zusammen und sehen sich geschockt an. Ein ausgetauschter Blick der beiden reicht aus, und sie wollen an Valentin vorbeistürmen, doch der stellt sich ihnen in den Weg. Mit dieser Reaktion der beiden hat er wohl gerechnet. Mit einem stummen Nicken gibt Valentin Quentin einen Befehl, den der Hexenmeister auch sofort ausführt. Er murmelt hastig ein paar Worte und kurz darauf, wird unter Eizen und Layla eine schwarze Rune sichtbar.
 

„Diese Rune stammt aus sehr früher Vorzeit“, erklärt Valentin. „Sie ist eine der ersten schwarzen Runen die erschaffen und irgendwann dann verboten wurden. Ihre Funktion ist einfach. Wer auch immer sich in ihr befindet, kann sie nicht mehr verlassen, solange sie aktiviert ist.“ Valentins Stimme ist ruhig und kalt zugleich. Sie jagt mir eine Gänsehaut über den Rücken.
 

Ich habe zwar gewusst was unsere Aufgabe ist – jeder von uns hat das, außer natürlich Eizen und Layla – doch das wir um sie zu erfüllen, sogar mit schwarzen Runen arbeiten, damit habe ich nicht gerechnet. Und wenn ich ehrlich bin, dann kommt mir das komisch vor. Zudem bestärkt es mein bereits vorhandenes Gefühl, dass hier irgendwas faul ist.
 

„Was soll das?“, verlangt Eizen von Valentin zu erfahren. „Ich dachte wir sind Freunde?“
 

„Das sind wir auch“, antwortet Quentin. Sein Gesicht ziert ein breites Grinsen. „Und weil wir eure Freunde sind, werden wir euch auch nicht eure Runen nehmen, wie es eigentlich euer Gesetz verlangt…“
 

„Das soll das bedeuten?“
 

Valentin dreht seinen Kopf in meine Richtung. Er sieht mich eindringlich an.
 

„Das sollte dich doch eigentlich freuen, Lucien“, wispert er. „Du hattest doch eh Gewissensbisse wegen unseres Auftrages.“
 

Bevor ich Valentin antworten kann, dreht er sich mir wieder weg. Eine Hand greift nach meiner und drückt sie. Es ist Jocelyn.
 

„Valentin tut es für die beiden“, flüstert sie mir zu. „Er respektiert sie als Schattenjäger und als Freunde. Und genau deswegen will er nicht, dass zwei solch talentierte Nephilim verbannt werden.“
 

„Aber der Rat“, murmle ich. Der Rat weiß von Eizens und Laylas Liebe zueinander. Unser Auftrag lautet… Wie konnte ich nur so Blind sein. „Sie wissen es gar nicht. Nicht wahr, Valentin? … Valentin!“, schreie ich ihn an.
 

„Das kannst du uns nicht antun“, wispert Layla. „Bitte!“, doch Valentin ignoriert sie. Aber ich tue das nicht. Layla hat Recht. Wir können das nicht tun.
 

Ich verlasse den Kreis und mache zwei Schritte auf Valentin drauf zu. Leider komme ich aber nicht weit, weil sich Lincoln zwischen mich und Valentin stellt. Ohne ein Wort zu verlieren drängt er mich wieder zurück in den Kreis und stellt sich dort dicht neben mich, um sofort einschreiten zu können, sollte ich erneut aus dem Kreis auszubrechen versuchen.
 

„Natürlich weiß der Rat nichts hiervon“, beantwortet Valentin mir dann auch endlich mal meine Frage.
 

„Du willst den beiden aber nur helfen, oder?“, mischt sich nun auch Jocelyn mit ein. Sie klingt ein wenig skeptisch und sieht Valentin dabei mit so viel Liebe an, dass ich meinen Blick von ihnen abwenden muss. Ich kann es nicht ertragen sie so zu sehen.
 

„Aber natürlich will ich ihnen helfen“, säuselt Valentin und schafft es doch tatsächlich, sich mal wieder bei Jocelyn einzuschleimen. Sie atmet hörbar aus und nickt Valentin lächelnd zu. „Dann lass uns beginnen.“
 

Wieder gibt Valentin Quentin ein Zeichen, und wieder gehorcht er aufs Wort. Er murmelt erneut ein paar mir unbekannte Worte und eine zweite Rune wird aktiviert. Doch diese ist nicht für Eizen und Layla bestimmt, sondern für uns. Die neue Rune umschließt unseren äußeren Kreis.
 

Quentin reicht Valentin seine linke Hand, die er sofort ergreift. Dann wird sein merkwürdiger Gesang immer und immer lauter. Die Wirkung seines Gesanges lässt nicht lange auf sich warten. Quentin entzieht uns unsere Energie und unsere Kraft. Wir Zehn gehen synchron zu Boden.
 

Es fällt mir immer schwerer meine Augen offen zu halten. Es ist also nicht verwunderlich, dass ich nur noch verschwommen, die Umrisse von Quentin, Valentin, Eizen und Layla erkennen kann.
 

Irgendwas Merkwürdiges geht zwischen den vieren vor sich.
 

Genauso wie wir, hocken Eizen und Layla am Boden, doch im Gegensatz zu uns, scheint Quentins Zauber ihnen Schmerzen zu bereiten. Ich vernehme zwar keine Schmerzenslaute, aber in ihren Gesichtern zeichnet sich das ganze Ausmaß von Quentins Zauber ab.
 

Meine Lider werden immer schwerer und schwerer… dann umschließt mich völlige Dunkelheit.
 

~*~*~*~
 

Als ich meine Augen wieder öffne, liege ich komplett auf dem Boden. Ich stütze mich mit meinen Armen ab und hebe so meinen Oberkörper etwas an. So wie es aussieht, bin ich der einzige, der von uns Zehnen wieder bei Bewusstsein ist. Als erstes suche ich nach Jocelyn. Ich robbe mich zu ihr und überprüfe ihren Puls. Es ist einer vorhanden – zwar ist er nicht sehr stark, aber auch nicht lebensbedrohlich schwach. Es wird ihr bald wieder besser gehen.
 

Als nächstes überprüfe ich den Puls von Maryse, die neben Jocelyn liegt. Ihrer ist sogar noch etwas schwächer als der von Jocelyn, aber auch nicht im kritischen Bereich. Ich atme erleichtert aus. Als nächstes will ich nach Robert sehen, als ich aber von weiter weg, zwei Stimmen vernehme. Es sind die von Valentin und Quentin. Sie streiten.
 

„Was ist schiefgelaufen“, verlangt Valentin von Quentin zu erfahren. Er hört sich nicht sehr glücklich an.
 

„Die Kraft der Zehn hat nicht ausgereicht, um dem Transfer standzuhalten. Es tut mir leid, aber… ich glaube nicht das du dir ihre Kraft so aneignen kannst.“
 

„Dann muss ich mehrere Nephilim finden.“
 

„Selbst wenn du Hundert zusammenbekommen würdest, würde es nicht funktionieren. Es liegt nicht an der Anzahl, sondern an der Kraft eines jeden einzelnen.“
 

„Und wieso haben dann Eizen und Layla sie? Sie sind…“ Valentins Wutausbruch drängt sich in den Hintergrund. Ich blende ihn und Quentin völlig aus. Wichtiger als die beiden ist die Frage, wo Eizen und Layla sind.
 

Ich sehe mich weiter in dem Raum um. Versuche jede noch so kleine Ecke auszuspähen… Da sind sie. Die beiden stehen stumm und bewegungslos auf dem kleinen Altar. Wieso sehe ich sie erst jetzt? Egal. Ich rüttle stark an Jocelyns Schulter und versuche sie so wach zu bekommen. Doch erfolglos. Ich versuche es jetzt bei Robert. Irgendwen von ihnen muss ich wach bekommen, denn alleine brauche ich nicht erst versuchen gegen Valentin und Quentin zu kämpfen. Ich brauche ihre Hilfe!
 

„…haben kann, soll sie auch niemand anderes haben“, dringt wieder Valentins Stimme an mein Ohr. Und seine Worte lassen mich mehr als hellhörig werden.
 

Ich versuche mich vollständig aufzurichten, aber dafür bin ich definitiv noch zu schwach. Was auch immer das für ein Zauber war, den Quentin an uns angewandt hatte, er muss gewaltig gewesen sein. Ich kann nichts machen, bin unfähig meinen Freunden zu Hilfe zu kommen und kann nur zusehen, wie Valentin erhobenen Hauptes an Quentin vorbei und auf Eizen und Layla drauf zu stolziert. Vor den beiden bleibt er stehen.
 

„Sie zu töten wäre nicht sehr vorteilhaft“, sagt Quentin und gesellt sich zu Valentin.
 

Quentin hat Recht. Denn sobald der Rat herausfindet, dass er mit geholfen hat zwei Schattenjäger zu ermorden, werden sie ihn jagen. Jeder von uns wird das. Denn auch wenn er es nicht direkt war, der Rat wird niemals offiziell bekanntgeben, dass Valentin, ihr Wunderkind, derjenige welcher war. Sie werden Quentin als Sündenbock benutzen. Es ist nur natürlich, dass er dem entgehen will.
 

„Ich will sie ja nicht töten“, zischt Valentin. „Ich will dass du ihnen ihre Runen nimmst und dann ihr Gedächtnis löschst. Mach sie unauffindbar für den Rat und auch für euch Hexenmeister. Jeder soll denken dass sie untergetaucht sind. Dass sie ihre Liebe gewählt haben und nicht das Pflichtbewusstsein eines Kriegers, eines Soldaten. Sobald dem Rat das klar wird, werden sie aufhören nach ihnen zu suchen. Dann kann ich sie immer noch töten, sollte mir danach sein.“ Mir wird schlecht. So kenn ich Valentin nicht. So war er früher nie… Er…
 

Die plötzliche Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag. Doch das war er… Er war schon immer so. Das wird mir jetzt klar.
 

Wie konnte ich nur so Blind sein.
 

„Um das zu bewerkstelligen muss ich allerdings das Siegel brechen“, sagt Quentin. Ich robbe weiter auf die beiden zu. Noch immer haben sie mich nicht mitbekommen. „Du aber solltest dich fernhalten, Valentin. Es sei denn, du willst ebenfalls von dem Zauber getroffen werden.“
 

Diese Aussage belächelt Valentin.
 

„Erledige es“, sagt er dann und stellt sich so vor Eizen und Layla, dass ich sie nicht mehr sehen kann. Alles was ich sehe, ist der Rücken von Valentin.
 

Ich robbe doch wieder zurück. Versuche erneut mein Glück bei Jocelyn und endlich… sie öffnet ihre Augen. Neben ihrem leichten Stöhnen vernehme ich auch noch das von Karina, Lincoln und Tiron. Verwirrt sehen sie sich um.
 

„Kannst du dich aufrichten“, frage ich Jocelyn. Sie versucht es, doch es klappt nicht. Auch Lincoln und die anderen scheitern an ihrem Versuch.
 

Unser aller Konzentration wird von zwei markerschütternden Schreien unterbrochen. Wir drehen unsere Köpfe in die Richtung aus der sie kamen, doch alles was wir sehen, ist Valentins Rücken.
 

„Was passiert dort?“, fragt Jocelyn. Sie hält sich die Ohren zu. „Valentin!“ … Immer und immer wieder ruft sie seinen Namen, doch sie erhält, natürlich, keine Antwort von ihm. Ihr Rufen ist einfach zu leise. „Valentin!“, brüllt sie mit einmal laut, dass sie damit Eizens und Laylas Schrei übertrumpft.
 

Valentin dreht sich zu uns um. Und endlich erhalten wir einen Blick auf unsere beiden Jüngsten. Sie hocken gekrümmt vor Schmerzen noch immer auf dem kleinen Altar. Quentin steht seitlich von ihnen und murmelt weiterhin sein Mantra.
 

Ich sehe sie...
 

Die Runen von Eizen und Layla… Sie alle, sogar die alten und bereits verblassten, werden erneut sichtbar. Aber nur, um danach erneut zu verschwinden – und diesmal wohl für immer.
 

„Tue das nicht, Valentin!“, flehe ich ihn an. Ein weiterer Schrei von Layla ist zu hören – Eizen liegt bewusstlos am Boden – und dieser Schrei, geht mir durch Mark und Bein.
 

Mein Blick wandert zu der kleinen Schwarzhaarigen – zu unserem Nesthäkchen – und bleibt an ihr heften. Layla wird immer schwächer und bricht auch schon neben Eizen zusammen. Ihre Gesichter sind einander zugewandt.
 

Fassungslos über die Skrupellosigkeit von Valentin versuche ich erst einmal Luft zu holen. Ich kann es nicht fassen. Er hat… Ich schaffe es endlich aufzustehen. Zwar bin ich noch etwas wackelig auf den Beinen, aber das hindert mich nicht daran, an Valentin vorbei, zu Eizen und Layla zu gehen. Bei ihnen angekommen lasse ich mich neben sie nieder.
 

Eine erste Träne löst sich aus meinen Augen und tropft auf Eizens Schulter. Sie bewegt sich.
 

Ächzend öffnet Eizen seine Augen. Orientierungslos sieht er sich um, bis sein Blick auf Layla fällt. Mit zitternden Händen streicht er durch ihre Haare, dann ruckt sein Kopf in meine Richtung.
 

„Eizen!“, spreche ich ihn an. Ob er sich an mich erinnert? Ich habe keine Ahnung was alles mit einem Nephilim passiert, dem die Runen genommen wurden. „Bist du…“, weiter komme ich nicht, denn Eizen stößt mich mit solcher Gewalt zu Boden, das mir die Luft wegbleibt.
 

Ich höre jemanden Schreien – Lincoln – dann wieder jemanden – Karina – und dann ist erst einmal Stille.
 

Jocelyn hilft mir aufzustehen. Ich habe nicht mal mitbekommen das sie zu mir gekommen ist. Ich schüttle meinen Kopf, versuche so wieder klar im Kopf zu werden.
 

„Aua!“ Das tat verdammt weh.
 

„Eizen dreht völlig durch“, sagt Jocelyn hastig und lehnt mich mit meinem Oberkörper gegen ihre Schulter. Als ein weiterer Schrei – Tiron – zu hören ist, lässt sie mich aber wieder zu Boden gleiten. Dann rennt sie dem Geschehen entgegen.
 

Mit meinen Augen folge ich ihr. Jocelyn rennt zu dem wütenden Eizen, der Lincolns Seraphklinge gerade aus Tirons Brust zieht. Mutig stellt sie sich ihm entgegen.
 

Ich verstehe nicht wieso Eizen noch eine Seraphklinge benutzen kann, wo er doch seiner Runen beraubt wurde. Das dürfte doch gar nicht möglich sein. Auch Valentin scheint sich diese Frage zu stellen, denn statt einzugreifen und Jocelyn zu unterstützen, steht er seelenruhig neben diesem hässlichen alten Spiegel, der mir jedes Mal wenn ich in ihn blicke, eine Gänsehaut beschert. Mit grüblerischer Miene beobachtet Valentin Eizen stumm.
 

Ich muss ihr helfen.
 

Mühsam kämpfe ich mich hoch und aktiviere meine eigene Seraphklinge. Wenn Valentin schon nicht hilft, dann muss wenigstens ich es tun. Jocelyn pariert Eizens Angriffe, doch lange hält sie ihm nicht mehr stand. Ich renne zu ihr – doch merkwürdigerweise habe ich das Gefühl, dass ich den beiden nicht näher komme. Die Entfernung verringert sich einfach nicht.
 

Jocelyn stürzt zu Boden und sieht mit aufgerissenen Augen zu Eizen hoch. Der hebt Lincolns Waffe und…
 

„Nein!“, höre ich einen verzweifelten Schrei.
 

Es ist mein eigener.
 

Ich renne und renne. Doch egal wie schnell ich renne, ich werde nicht rechtzeitig da sein. Ich werde Jocelyn nicht retten können. Doch ich gebe nicht auf, ich…
 

Ruckartig bleibe ich stehen… und starre auf das Bild, welches sich vor mir abspielt.
 

Aus Eizens Brust ragt die Spitze einer Lanze, Karinas Lanze. Wie in Zeitlupe beobachte ich Eizen dabei, wie er zu Boden geht, zusammen mit Layla, die das andere Ende der Lanze in ihren zitternden Händen hält. Sie hat…
 

Lincolns Seraphklinge rutscht aus Eizens Hand und fällt klirrend zu Boden.
 

„Eizen!“ Aus dem Schluchzen wird Weinen. Aus dem Weinen ein Schrei. Und aus dem Schrei… Laylas ganzer Schmerz ist aus ihm herauszuhören, als sie mit Eizen zusammen auf dem Boden ankommt. Sie presst sich dicht an seinen Rücken und umklammert mit beiden Händen die Spitze der Lanze. „Es tut mir so leid!“, haucht sie.
 

„Lay-la“, presst Eizen mühevoll hervor. Blut sickert aus seiner Wunde am Bauch und vermischt sich mit Laylas Tränen.
 

Unfähig mich zu rühren, stehe ich einfach nur da und starre die beiden Liebenden an. Mit letzter Kraft hebt Eizen seine Hände und legt sie über die von Layla. Zusammen ziehen sie die Lanze ein Stück nach vorne – dann sehen sich mit einem Lächeln auf den Lippen tief in die Augen – und drücken die Lanze wieder zurück.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück