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Herzenswille

von

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Wieder Daheim

Wie eigenartig es sich doch anfühlte, in den Alltag zurückzukehren zu müssen, wenn einem bewusst wurde, dass sich einiges geändert hatte. Ja, die Woche in der Normandie war vorüber und obwohl alles beim Alten zu sein schien, blieb trotzdem ein seltsames, dumpfes Gefühl, dass etwas fehlte. Die Liebe und Leidenschaft, die Geborgenheit und Zuneigung, die Oscar mit André in der Normandie verlebt hatte, durfte nun nicht mehr offen zur Schau getragen werden. Oscar und André war das bewusst und doch stimmte sie das wehmütig, sobald sie auf das Anwesen ankamen und ihren Dienst wieder antraten.

 

 

 

In der Kaserne mussten sie erfahren, dass Alain schon seit Wochen von seinem Urlaub nicht zurück gekehrt war. Merkwürdig. Alain de Soisson war einer der zuverlässigsten Soldaten in der Söldnertruppe, die ausschließlich aus Männer bürgerlicher Herkunft bestand. Er war ein hervorragender Kämpfer, seine Kameraden folgten und vertrauten ihm blindlings, und André zählte zu seinen Freunden.

„Vor etwa einer Woche hatte er Urlaub genommen, um seine Schwester zu besuchen und ist noch immer nicht zurückgekehrt.“, berichtete der unterstellte Adjutant Dagous, der neben Oscar dem Adel angehörte. „Das ist noch nie geschehen. Er ist kein Mann, der ohne Erlaubnis von der Truppe fernbleibt.“ Das war in der Tat sehr eigenartig und nicht seine Art der Kaserne unerlaubt fernzubleiben.

 

Oscar konnte Alains Verhalten sich nicht richtig vorstellen und während sie später bei der Überprüfung einiger Dokumenten über ihn rätselte, kam André zu ihr in das Offizierszimmer. „Oscar, ich bitte um Erlaubnis, die Kaserne zu verlassen. Ich möchte Alain seinen Sold bringen.“

 

Oscar war schon selbst am Überlegen, Alain aufzusuchen. „Ich komme mit dir mit.“

 

 

 

- - -

 

 

 

Drei Mal kräftig klopfte André an der Wohnungstür de Soissons, aber keiner machte auf. Unheimliche Totenstille lag hinter der Tür, als wäre niemand Zuhause. Dennoch spürte André, dass etwas nicht stimmte und drehte den Türknauf, bis die alte Tür nachgab und mit lautem Knarzen aufging. „Alain! Ich bin es, André. Ich bringe dir deinen Sold.“, meldete er sich gleichzeitig, um Missverständnisse zu vermeiden. Er erhielt darauf keine Antwort und trat mit Oscar in die Wohnung vorsichtig ein. Beißender Gestank stieg den beiden in die Nase, als sie sich in der ärmlichen und schäbigen Wohnung umsahen. Eine alte, abgemagerte und tot unglückliche Frau saß vor einem Vorhang auf einem Stuhl und hüllte sich in ein zerlumptes Tuch um ihre knochigen Schultern ein. Oscar und André bewegten ihre Füße auf die Frau zu, dabei verdeckten sie ihre Nasen mit dem Unterarm. „Seid Ihr Alains Mutter?“, fragte André mit einem dumpfen Gefühl. Madame de Soisson nickte nur darauf zustimmend, ohne ihren verweinten Blick zu heben und Andrés Stimmer wurde belegter: „Wo ist Alain?“

 

„Bei seiner geliebten Schwester...“, schluchzte sie und schlug sich die Hände vors Gesicht.

 

André schob die schwere Vorhänge auseinander und das Bild, das sich ihm und Oscar dahinter offenbarte, ließ alle beide vor Entsetzen erstarren: Am Fenster stand ein Bett und darauf lag ein verwesender Leichnam einer jungen Frau im Brautkleid. Diane, Alains jüngere Schwester, die vor wenigen Wochen heiraten wollte und deshalb Alain Urlaub genommen hatte...

 

Nun erfuhren sie den Grund seiner Abwesenheit und der Schrecken stand ihnen förmlich in den Gesichtern geschrieben. Alains Schwester hatte sich erhängt, weil ihr Bräutigam sie verraten hatte. „...er war ein verarmter Adliger...“, schluchzte die Mutter von Alain in ihrem Stuhl noch heftiger und ließ ihren Tränen freien Lauf. „...einen Tag vor der Hochzeit erhielt er einen Antrag von der Tochter eines reichen Mannes und dann hatte er Diane sitzen lassen... So, als würde man eine Tasse Kaffee wegkippen, die übrig geblieben ist... Sie hat ihn geliebt und hat ihm alles gegeben... Sie hat es nicht ertragen, dass er sie so schrecklich hintergangen hat und hat sich erhängt... Unser Leben ist mit ihrem zerstört worden...“

 

Alain kniete vor dem Bett seiner Schwester – verbittert, am Boden zerstört und als wäre er selbst gestorben. Nur sein rauer Ton verriet, dass in ihm noch Leben war. „Es tut mir leid, aber ich werde eine ganze Weile nicht mehr nach Hause kommen können. Bis ich begriffen habe, dass es ihr Lächeln, ihr Liebreiz – das alles nicht mehr geben wird... Dass so etwas Kostbares für immer verloren ist... Und nichts mehr, nichts mehr so sein kann, wie es einmal war...“, sprach er aus und auch ihm rollten die Tränen die Wangen herab.

 

Oscar schluckte hart – sie war unfähig etwas zu sagen, aber etwas tun musste sie. Schließlich war sie sein Oberst. Das Einzige, was sie für ihn tun konnte, war ihn weiterhin zu beurlauben. Und bevor sie aus der Wohnung ging, ließ André seinem Freund und dessen Mutter den Sold.

 

Draußen schnappten sie nach der stickigen Luft und als sie zu Pferde durch die Straßen von Paris ritten, mussten sie einer Gruppe Menschen ausweichen, die mit fordernden und lauten Stimmen ihnen entgegen marschierten. „Nieder mit dem Adel, es lebe die Republik!“

 

Oscar zügelte ihr Pferd, ließ sie passieren und sah ihnen mit gemischten Gefühlen nach. „Es werden immer mehr...“, stellte sie fest, als aus einer Seitenstraße sich noch eine Gruppe der Bewegung anschloss.

 

„Es scheinen neue Zeiten anzubrechen...“, vermutete André mit einem ebenso mulmigen Gefühl.

 

„Ich muss dagegen etwas unternehmen!“ Oscar gab unvermittelt ihrem Schimmel die Sporen und ritt nach Versailles. Sie musste unbedingt die Königin konfrontieren, damit endlich was getan würde!

 

Es waren etliche Monate her, als sie die Königin zuletzt besucht hatte. Versailles strotzte noch immer vor Eleganz, Reichtum und Glanz, was Oscar in Anbetracht des Leidens und der elendigen Zustände der armen Menschen aus dem Volk zuwider war. Der glatt polierte Fließboden knirschte unter ihren Stiefelsohlen, der Weg durch die langen Gänge, die von Marmorskulpturen der Reihe nach ausgestattet war, erschien ihr zum ersten Mal viel zu lang als noch vor einigen Jahren.

 

„Oscar!“ Die altbekannte Stimme ihres Vaters ließ sie mitten auf dem Weg zu Audienzsaal stocksteif stehenbleiben. „Du bist schon zurück?“, fragte er in seinem tiefen Ton.

 

„Wie Ihr es seht, ja, Vater.“ Oscar gab sich Mühe, ihre lodernden Gefühle nicht vor ihm ausbrechen zu lassen.

 

„Gut.“ Reynier schweifte mit seinem Blick auf André und musterte ihn abschätzend. „Und du bist also auch schon da.“ Das war eher eine Feststellung als eine Frage.

 

„Ja, General.“

 

„Bist du dir sicher, dass du Oscar weiterhin begleiten kannst?“, fragte Reynier ihn zynisch.

 

„Natürlich, General.“ André verstand ihn nicht so recht.

 

„Was soll das, Vater!“, platzte Oscar dazwischen. Sie dagegen verstand ihren Vater sehr wohl und worauf dieser anspielte. „André ist wieder gesund und...“

 

„Ist das so?“ Reynier ließ sie nicht weiter sprechen. Sein Blick ruhte weiterhin auf André – hart und zweifelnd. „Ich habe nämlich das Gefühl, dass du schon ausgedient hast – schon alleine wegen deiner Erblindung an einem Auge und in dem du es versäumt hast, meine Tochter vor dem Mob zu bewahren!“

 

Was für eine schamlose Anschuldigung! André wurde fahl im Gesicht, Oscar brauste dagegen auf: „Wie könnt Ihr so etwas sagen! Es waren viele verzweifelte, wütende Bürger! Wie konnte André mich davor bewahren, wenn er von mir getrennt wurde und selbst beinahe gestorben wäre! Ihr habt kein Recht, ihm alleine die Schuld zu geben!“

 

„Sei still!“, fuhr der General seine Tochter schroff an. „Vergiss nicht, wo du dich hier befindest! Und natürlich habe ich das Recht, ihn zu verurteilen! Immerhin habe ich ihn in deine Dienste gestellt und kann es genauso widerrufen!“ Ja, das stimmte, er hatte André als Kind zu Diensten seiner Tochter eingestellt, damit dieser mit ihr im Fechten übte und sie vor Gefahren beschützte.

 

„Nein!“ Oscar kochte bereits das Blut in den Adern, sie konnte kaum noch an sich halten. „André bleibt an meiner Seite!“

 

Die darauffolgende Ohrfeige von ihrem Vater saß und brannte höllisch auf ihrer Wange. „Ich habe dir schon einmal gesagt, was ich tun werde, wenn so ein Vorfall sich wiederholt! Und was den Mob angeht, darum wird sich seine Majestät kümmern!“

 

Oscar versuchte ihre Rage zu dämpfen und gleichzeitig ihrem Vater die Augen zu öffnen. „Deswegen bin ich auch hier und will mit Ihrer Majestät sprechen! Es muss etwas getan werden! Die Bewegung wird immer größer und wenn nichts unternommen wird, wird etwas Schreckliches passieren!“

 

„Das braucht dich nicht zu kümmern! Geh zurück auf deinen Posten und sorge dafür, dass Ruhe in der Stadt herrscht! Das ist nämlich deine Aufgabe!“ Reynier wartete nicht auf ihre Antwort und setzte seinen Weg fort. Dieses widerspenstige Kind! War es etwa doch ein Fehler, sie wie einen Knaben zu erziehen? Sie war doch sonst so gehorsam! Und wieso interessierte sie die Meinung des Volkes mehr, als seine oder gar königliche Anordnungen? Das dürfte er ihr auf kein Fall durchgehen lassen! Etwas würde ihm schon einfallen...

 

 

 

Oscar glühte vor Wut. André stand zwar direkt hinter ihr, aber er vermochte nicht sie zu trösten. Sie befanden sich in Versailles und jede noch so kleinste Unachtsamkeit würde viel Getuschel auf sich ziehen und dann würde ihre Beziehung in Gefahr geraten. Weder André noch Oscar wollten über die Folgen nachdenken. „Ich werde trotzdem mit Ihrer Majestät sprechen!“, schnaufte Oscar und setzte sich aufgebracht in Bewegung.

 

André folgte ihr selbstverständlich, allerdings musste er vor dem Audienzsaal draußen vor der Tür bleiben. Obwohl er Oscars Begleiter und Gefährte war, durfte er wegen seiner niederen Herkunft trotzdem solche Räume nicht unaufgefordert betreten. Er vertrat sich an der Tür, hinter der Oscar verschwunden war, die Füße, betrachtete desinteressiert das goldverzierte Muster an den Türrahmen und merkte nicht, wie der Kommandant des königlichen Garderegiments auf ihn zukam. „Ist wohl Lady Oscar bei der Königin?“, fragte dieser und blieb bei ihm stehen. Nach Oscars Versetzung in die Söldnertruppe, bekam Graf de Girodel das Kommando über die königliche Garde.

 

„Ja.“ sagte André schlicht. Der Mann behagte ihm nicht. Weil ausgerechnet Girodel vor kurzem Oscar heiraten wollte, aber nachdem sie ihn abgewiesen hatte, musste er wohl oder übel ihre Entscheidung anerkennen.

 

„Geht es ihr wieder gut? Ich bedaure den Überfall sehr und werde alles in meiner Macht setzen, um die Verantwortlichen dingfest zu machen und sie zur Rechenschaft ziehen. Ich habe mich schon deshalb mit dem General besprochen und er hat mir seine Hilfe zugesichert.“ Girodel lächelte vor sich hin. „Bestellt Lady Oscar herzliche Grüße von mir und sagt ihr, wenn sie eine neue Leibgarde braucht, stehe ich ihr gerne zur Verfügung.“ Er beachtete Andrés leicht geweiteten Augen nicht und ging einfach weiter.

 

André fühlte sich zur Seite geschoben und sein sonst so gelassenes Gemüt verwandelte sich in Bestürzung. Nein, er würde Oscar nicht verlassen, das würde sie nicht einmal zulassen! Aber wer war er schon, um darüber zu entscheiden? Nur ein einfacher Bediensteter, ein Stallbursche? Dieser Standesunterschied war falsch und ungerecht! Alle Menschen waren doch gleich!

 

Oscar kam nach einer Weile aus dem Audienzsaal auf ihn zugesteuert. André las schon von ihrem wütenden Gesichtsausdruck, dass sie wenig erreicht hatte. „Marie Antoinette wird mein Anliegen seiner Majestät sagen.“, erzählte sie, als sie Versailles ein gutes Stück hinter sich ließen und ihre Pferde etwas langsamer trabten. „Sie hat mir zugehört, aber ich habe nicht das Gefühl, dass meine Worte sie erreicht hatten.“

 

„Sie war bestimmt bei von Fersen in Gedanken.“, vermutete André und Oscar nickte ihm einvernehmlich zu. „Das denke ich auch.“

 

„Wo reiten wir jetzt hin, Oscar?“ Das interessierte ihn wirklich sehr. Nach allem, was er und seine Geliebte heute erleben mussten, und dazu noch die unerfreuliche Begegnung mit ihrem Vater und der abweisende Empfang der Königin, befürchtete er, dass sie etwas Unüberlegtes tun würde.

 

„Zurück in die Kaserne natürlich.“, belehrte ihn Oscar eines Besseren. „Wir warten ab, was noch so passiert. Aber eines sage ich dir: Ich werde nichts gegen einfache Bürger unternehmen und gegen sie mit Waffengewalt angehen!“

 

Auch wenn André etwas erleichtert aufatmete, lastete trotzdem ein mulmiges Gefühl in seiner Seele. „Und ich hoffe, dass es zu so etwas gar nicht kommen wird.“

 

„Das hoffe ich auch, André...“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  chrizzly
2016-07-06T18:28:04+00:00 06.07.2016 20:28
Oh aber jetzt hast du es aber spannend gemacht. Der General und Girodele... Eine gefährliche Mischung. Mir tut Andre leid. Da macht er und tut er die ganzen Jahre und dann gibt es mehr als ein arschtritt. So lass nicht zu lange auf das nächste Kapitel Warten. Bin schon ganz gespannt drauf. Kussi. Freue mich.
Antwort von:  Saph_ira
06.07.2016 20:37
Da gebe ich dir recht, aber zum Glück hat André Oscar an seiner Seite und sie wird schon das Kind schauckeln. XD Und das nächste Kapitel kommt am Freitag, versprochen. ;-) Dankeschön für deinen Kommentar, Kuss und Gruß zurück. :-)
Von:  YngvartheViking86
2016-07-06T17:16:52+00:00 06.07.2016 19:16
Mir scheint als ob sich der Alte (General) und der Graf schon abgesprochen haben und irgendwie gemeinsame Sache machen, was Andre angeht.
Ist auf jeden Fall nicht nett, was die Beiden da von sich geben.
Ist das Auge von Andre jetzt wieder gesund? Davon konnt man nix lesen.
Bin mal gespannt wie das weiter geht :)
Liebe Grüße
Chris
Antwort von:  Saph_ira
06.07.2016 19:22
Ich würde sagen, Andrés Auge ist auf dem Weg der Besserung - nach so einer Behandlung und erwiderten Liebe von Oscar muss es ja sein. XD
Und ob der General und Girodel gemeinsame Sachen machen, wird sich noch zeigen, aber auf jeden Fall wird es dramatisch. Und dankeschön für deinen Kommentar. :-)
Liebe Grüße,
Ira


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