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Die Magie des Lesen lernens

...oder es zu lassen.
von

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„O“ war ein einfacher Buchstabe. Er sah aus, wie ein Kreis.

Noch einfacher wäre es allerdings, wenn nicht so viele Buchstaben so ähnlich aussehen würden, wie ein „O“.

Cato sah mit leicht zusammengekniffenen Augen auf die aufgeschlagene Buchseite vor sich und versuchte, die Überschrift des Kapitels zu entziffern. Die Oberverzauberin Livia saß zwar mit strengen, aber geduldigen Blick neben ihn. Wie sie so viel Zeit für ihn aufbringen konnte, wusste Cato bis heute nicht. Alle anderen Magier waren eher abweisend, kaum einer wollte sich länger als nötig mit ihm abgeben, aber sie opferte sogar ihre eigene Freizeit, nur um ihm noch einige weitere private Unterrichtsstunden zu ermöglichen.

Es war ungewohnt, dass sich jemand so um ihn bemühte.

Seit sie festgestellt hatten, dass er magisch begabt war, sahen ihn die Menschen in Tevinter nur noch kritischer an. Ein Sklave, noch dazu ein Elf, der zwischen ihren adeligen Kindern im Zirkel Magie lernen sollte? Das konnten nur die wenigsten Familien akzeptieren. Cato war froh, dass sein ehemaliger Meister ihm erlaubt hatte, hier zu sein, ohne Frage... aber es war schwierig. Manchmal wünschte sich Cato sogar zurück, in die Zeit vor noch wenigen Jahren, als er zusammen mit den anderen Haussklaven in ihrer eigenen, kleinen Welt leben konnte, ohne dass er sich Gedanken darum machen musste, wie er die gefühlt hunderten Buchstaben dieses Alphabets jemals auseinander halten sollte.

Nein, diese Welt war vollkommen anders. Eine, in der er nicht aufräumen, in der Küche helfen, Gäste bewirten oder den Sohn des Meisters bespaßen musste – zumindest so lange nicht, bis er zurück in das Anwesen seines Meisters kam. Dann war er wieder in der alten Welt, in der er seine Dankbarkeit dem Meister gegenüber auch jetzt noch mit Arbeit zeigen wollte.

Aber hier, in den Mauern des alten Tempels, der zu einer Schule umfunktioniert worden war, war alles anders. Eine, in der er zu lernen hatte, wie man schrieb und las, welche Dämonen wie von ihm Besitz ergreifen wollten, wie magische Rituale und Runen funktionierten und wie er welche Magie wirken konnte.

Runen waren so viel einfacher zu lernen als Schrift... Jedes Symbol hatte eine Bedeutung, die er aus der Form ableiten konnte. Buchstaben waren einfach nur... wirr.

„Konzentrier dich“, wies die Oberverzauberin ihn an, als könnte sie seine Gedanken sehen.

Sie war freundlich zu ihm, einer der wenigen Menschen hier, die es waren. Eigentlich mochte er sie recht gerne. Die anderen Schüler sagten häufig, dass sie sehr großmütterlich wirkte, was Cato nicht bestätigen konnte. Er wusste nicht, wie Großmütter waren.

Konzentrierter sah er auf die Buchstaben und blickte hin und wieder auf die Tabelle mit den verschiedenen Lauten, die er zur Hilfe nehmen durfte.

Wer immer diese Buchstaben erfunden hatte, hatte darüber nicht gründlich nachgedacht.

„Welcher Buchstabe macht dir gerade Probleme?“, fragte Livia, nachdem von Cato doch schon einige Zeit kein Laut mehr gekommen war.

'Alle' war sicherlich keine Antwort, die sie gerne hören wollte, also tippte der Zwölfjährige wahllos auf ein Symbol, das er nicht erkannte. „Der hier.“

Sie schien ihm nicht zu glauben, denn ihr Blick wurde kritischer. „Du musst mehr üben, Cato.“

Wann denn? Sobald der Unterricht vorbei war, begann die Arbeit. Sobald die Arbeit geschafft war, war er froh, ein wenig schlafen zu dürfen. Und dann begann wieder der Unterricht. Er senkte den Kopf, denn er wollte den enttäuschten Blick der Oberverzauberin nicht sehen. „Verzeiht mir“, murmelte er.

„Du bist ein kluger Junge.“ Cato bezweifelte das. Aber er widersprach nicht. „Du musst nur mehr üben, dann wirst du bald flüssig lesen können.“

...irgendwie bezweifelte Cato das. Es fühlte sich falsch an, lesen zu wollen. Er war kein Adeliger. Er war ja nicht mal ein Mensch. Als er nach oben schielte, lächelte Livia jedoch wieder aufmunternd und Cato schaffte es, selbst zaghaft zu Lächeln.

Konzentration.

Er wollte sie nicht enttäuschen.
 

Sein Kopf rauchte.

Cato hatte sich mit einem der Bücher, das er ausleihen durfte, zurück begeben. Der Meister war in einer Sitzung des Magisteriums und würde vermutlich erst spät in der Nacht nach Hause kommen, sodass die Vorbereitungen für das Abendessen ausfielen. Der junge Elf saß in der Küche, das Buch mit den Symboliken verschiedener Ritualzirkel aufgeschlagen, doch anstatt zu lesen, besah er sich viel lieber nur die gezeichneten Erklärungen der einzelnen Darstellungen an.

Mina war noch im Raum. Die Elfin, deren Haare schon mit grauen Strähnen durchzogen waren, war Cato noch immer die Liebste Gesellschaft. Seit er von dem Meister gekauft worden war, hatte sie ihm beigebracht, wie er sich verhalten sollte und häufig sogar ein paar seiner Aufgaben selbst erledigt. Sie war freundlich, schien immer gut gelaunt und manchmal, so wie heute, summte sie sogar leise vor sich hin. Musik war hier selten zu hören, umso mehr genoss Cato die leise Melodie, während er die Buchseiten umblätterte.

Hier wurden Sternenbilder erklärt. Einige kannte Cato noch, sie hatten sie im Unterricht benannt, und er sah sich interessiert an, wie sie mit den aufgemalten Zirkeln im Zusammenhang standen.

„Was ließt du schönes?“, fragte Mina und sah ihm neugierig über die Schulter.

„Nichts. Ich schau mir nur die Symbole an.“

„Oh.“ Mina setzte sich neben ihn und lächelte. „Sind das Symbole der Magier?“

„Ja. Für Rituale. Du hast doch schon mal Rituale der Magister gesehen.“

Sie nickte. „Aber ich habe nie auf die Symbole geachtet.“

„Es ist sehr interessant, wenn man weiß, wie das alles zusammenhängt.“

„Erklärst du es mir?“

Ihr... erklären? „Natürlich“, meinte Cato leicht verwirrt. Normalerweise war er es, der von anderen lernte. Gebeten zu werden, etwas zu erklären, war seltsam. „Hm... wo fange ich am besten an?“ Er blätterte ein paar Kapitel zurück.

Vielleicht würde er in diesem Leben nicht mehr anfangen, Buchstaben voneinander unterscheiden zu können.

Aber sehr vermutlich würde er das auch nicht brauchen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von: abgemeldet
2016-09-29T09:03:07+00:00 29.09.2016 11:03
Eine wirklich schöne Story!

Ich war ja gefühlsmäßig immer hin- und hergerissen. Einerseits tat mir Cato sehr leid, insbesondere zu Beginn, als auch seine Lebens(und Leidens-)zustände beschrieben wurden, als auch, dass er sich mit dem Lesen so schwer tut. Zum Ende hin hast du es aber geschafft, diese Traurigkeit der Geschichte abzufangen und den Leser in ein Hoffnungsvolles und schönes Ende zu entlassen - wenn auch nicht für das Lesen. Das wird vermutlich bei Cato nichts mehr (wenn er sich auch so ablenken lässt!).

Die Story ist sehr flüssig zu lesen, man merkt gar nicht, wie die Zeilen verfliegen. Fast schade, dass es nur so kurz ist, denn da hätte ich gern mehr von gelesen!
Die Schwäche hast du super eingebaut. Man merkt Cato an, wie schwer es ihm fällt. Kurioserweise müssten wir alle ja diese Gedanken schon einmal gehabt haben beim Lesen lernen; ich zumindest kann mich gar nicht an die Zeit "vor dem Lesen" erinnern - und somit auch nicht, was ich gedacht habe, als ich die Buchstaben gelernt habe. Ich fand es total witzig zu lesen, wie für Cato das System wirkt, nämlich unlogisch und zu kompliziert - stimmt ja irgendwie sogar, wenn man bedenkt, dass es an sich ja nur irgendwelche Striche komisch aneinander gefügt sind, die eine Sprache ausmachen... tolle Idee!

Die Geschichte war einfach wirklich schön zu lesen. Ich zumindest hatte sehr viel Spaß und wünsche Cato das Beste (wenn ich auch beim letzten Satz vermute, dass es darauf hinausläuft, dass er es SEHR WOHL braucht. xD)
 
Liebe Grüße,
Lichti
Von:  Kerstin-san
2016-07-17T16:44:56+00:00 17.07.2016 18:44
Hallo,
 
mir tat Cato richtig leid, wie er sich so abmüht und doch keine Forrtschritte zu machen scheint. Man merkt deutlich, dass er keinerlei Freude am Lesen lernen hat und es für ihn einfach nur eine lästige Pflichtaufgabe ist, bei der er zudem die ganze Zeit das Gefühl hat, nicht gut genug zu sein bzw. keinerlei Fortschritte zu machen und Livia zu enttäuschen.
 
Alles in allem, steht er ziemlich unter Druck. Nicht nur, dass wohl erst kürzlich festgestellt wurde, dass er magisch begabt ist und jetzt so einiges aufholen muss. Da ist ja auch noch die Tatsache, dass er eigentlich ein Sklave ist und sich auch noch mit den Vorurteilen und der Abneigung des Adels rumschlagen muss. Ich finde es gar nicht mal so abwegig, dass Cato sich zeitweise wünscht, er wäre nicht magisch begabt und könnte in sein altbekanntes Dasein als Sklave zurück.
Man kann ihm nur wünschen, dass es irgendwann Klick macht und dass es ihm dann leichter fällt.
 
Schön fand ich, dass es noch so ein positives Ende gab und dass Cato klar wird, dass er auch die Fähigkeit hat, jemand anderem etwas beizubringen und dass seine Stärken nun mal eher bei den Runen und Smybolen liegt. Trotzdem würde ich ihm natürlich nicht empfehlen, dass mit dem Lesen lernen einfach sein zu lassen. Ist ja schließlich auch wichtig :)
 
Liebe Grüße
Kerstin
Von:  japanfreak91
2016-06-12T09:07:44+00:00 12.06.2016 11:07
Nawww :'D Die Story ist ja echt süß XD
Livia gibt sich so viel Mühe und er lernt eigentlich nur, um sie nicht zu enttäuschen... würde er das Lesen von sich aus lernen wollen, würde das sicherlich auch besser klappen. Aber solange es Bilder gibt und er ein natürliches Talent hat... wozu lernen, eh? Vielleicht sollte sie mit kleinen Bildchen arbeiten, z.B. o sieht aus wie ein LOch, A wie ein HAusdach, usw. >.< Prägt sich zumindest etwas besser ein, finde ich^^
*Cato knuffz* Irgendwann lernst du die Dinger doch noch voneinander zu unterscheiden, nur Mut :3
Von:  Phinxie
2016-06-05T14:40:13+00:00 05.06.2016 16:40
Ach, Cato... Er ist immernoch verdammt niedlich ^_^

Ganz viel Liebe für Cato <3


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