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For the World Is Hollow and I Have Touched the Sky

von

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Lavellan

Ellana erwachte.

Sie lag auf der Seite, die Knie an die Brust gezogen, unter ihr nichts als kalter, felsiger Boden. Es gab keinen Teil ihres Körpers, der nicht schmerzte, und allein der Versuch, die Augen zu öffnen und den Kopf zu drehen, stellte sich als enormer Kraftakt heraus.

Das grüne Licht des Mals an ihrer Hand – „Anker“, so hatte Corypheus es genannt – wurde auf gespenstische Art von den feuchten, glatten Wänden der Höhle zurückgeworfen, in der sie sich befand. Kein Lufthauch regte sich, und außer dem gelegentlichen Tropfen von Wasser war es so still, wie in einem Grab.

Nicht mein Grab, dachte sie.

Sie schloss die Augen und sammelte sich für einen Moment. Jeder Atemzug rasselte in ihrer Brust und das konstante Gefühl, nicht genug Luft zu bekommen, sagte ihr, dass sie sich bei ihrem Sturz mindestens zwei Rippen gebrochen hatte. Ihre Arme und Beinen schienen jedoch trotz einiger oberflächlicher Verletzungen noch immer zu funktionieren.

Steh auf, dachte sie und biss die Zähne zusammen. Wenn du aufstehen kannst, dann kannst du auch laufen. Wenn du laufen kannst, dann wirst du überleben.

Sie stand auf.

An die Wand des schmalen Tunnels gelehnt, der von der Höhle wegführte, holte sie für einen Moment keuchend Luft, bevor sie sich auf den Weg konzentrierte, der vor ihr lag.

Heb den Fuß. Kleine Schritte. Spielt keine Rolle, wie schnell. Hauptsache, du läufst.

Langsam humpelte sie den Tunnel entlang, immer eine Handbreit von der Wand entfernt, um sich notfalls daran abzustützen.

Sie wusste nicht, wie lange sie so durch die Dunkelheit lief, nach den ersten hundert Schritten verlor sie jedes Zeitgefühl.

Doch ihr Wille trieb sie weiter an. Ihr Wille und...

Das Band. Die Verbindung zu dem Mann, der dich nicht erkannt hat, der deinen Namen noch nie zuvor gehört hat.

Selbst jetzt konnte sie ihn spüren, auch wenn viele Meilen zwischen ihnen lagen – konnte spüren, dass er noch lebte. Auch wenn es alles war, was sie durch das Band fühlen konnte, reichte es, um ihr Kraft und Hoffnung zu geben.

Vor allem Hoffnung.

Ellana machte sich keine Illusion. Solas mochte sein Interesse bekundet haben, eine engere Beziehung zu ihr aufzubauen, doch in erster Linie war sie für ihn lediglich die Trägerin des Mals, das Risse schließen konnte.

Bei ihrem letzten Gespräch hatte sie jedoch für einen kurzen Moment den Eindruck gehabt, dass dies nicht alles war, was er in ihr sah. Ihm selbst war es vermutlich nicht einmal bewusst gewesen, doch ihr war die Zuneigung in seinem Blick nicht entgangen, als sie seine Entschuldigung angenommen und ihn ihrerseits um Vergebung gebeten hatte.

Sie mochte nur für wenige Sekunden da gewesen sein, doch sie war echt gewesen, und sie hatte Ellana neuen Mut gegeben – Mut und genug Hoffnung, dass sie beschlossen hatte, in Zukunft weiter daran zu arbeiten, sein Vertrauen und seine Freundschaft zu erringen... und eines Tages vielleicht sogar mehr als das.

Doch dafür musste sie erst zur Inquisition zurückkehren.

Mit der Zeit wurde der Gang vor ihr breiter und mündete schließlich in einer großen, runden Höhle.

Licht drang durch Risse im Gestein und am anderen Ende der Höhle erblickte sie einen weiteren kurzen Gang, der ins Freie führte.

Plötzlich rasten Schatten auf sie zu, und Ellana riss instinktiv die Hände hoch, um ihr Gesicht vor den scharfen Klauen der Kreaturen zu schützen. Dabei begann das Mal an ihrer Hand zu summen und zu knistern, und plötzlich öffnete sich über ihrem Kopf ein Riss in der Luft. Ein unmenschliches Heulen ertönte, als die Dämonen in den grünen Mahlstrom gesogen wurde, der sich wenige Sekunden später wieder schloss.

Keuchend sank Ellana auf die Knie und starrte ungläubig auf den Anker. Hatte sie etwa den Riss geöffnet? Sie war sich bisher nicht bewusst gewesen, dass sie dessen überhaupt fähig war.

Das Mal pulsierte noch für einen Moment hell auf ihrer Hand, dann flackerte es kurz auf und das Licht wurde wieder schwächer, so als wäre es wieder zur Ruhe gekommen.

Ellana schloss kurz die Augen, dann stemmte sie sich hoch und lief weiter.

Eine heftige Windböe riss sie fast von den Füßen, als sie ins Freie hinaustrat. Innerhalb weniger Sekunden waren ihre Kleidung, Haare und Wimpern von winzigen Eiskristallen bedeckt, und der beißende Wind zwang sie, die Augen zu schmalen Schlitzen zu verengen, damit sie überhaupt etwas sehen konnte.

Nicht, dass es viel zu sehen gab. Der Sturm machte es nahezu unmöglich, weiter als ein paar Schritte zu sehen. Doch sie hatte keine Wahl. Wenn sie die Inquisition einholen wollte, musste sie die Sicherheit der Höhle verlassen.

Sie verschränkte die Arme vor der Brust und zog den Kopf zwischen die Schultern, dann lief sie los.

Nach wenigen Minuten wusste sie schon nicht mehr, aus welcher Richtung sie gekommen war oder wohin sie ging. Erst, als sie eine Reihe von Bäumen vor sich sah, hatte sie wieder einen festen Anhaltspunkt, und sie lief am Rande des Waldes entlang, in der Hoffnung, auf Spuren der Männer und Frauen zu treffen, die Cullen in das Gebirge gefolgt waren.

Der Wind heulte ohne Unterlass, und auf Dauer gegen ihn anzukämpfen war für die eh schon erschöpfte junge Frau sehr ermüdend. Immer häufiger musste sie kurze Pausen einlegen, in denen sie sich zwischen die Bäume zurückzog und sich an einen der dunklen Stämme lehnte, um dem Wind wenigstens für einen Moment zu entgehen.

Du wirst sterben, dachte sie mit seltsamer Gleichmütigkeit und schloss die Augen. Du wirst sterben, und niemand wird je wissen, dass du den Kampf überlebt hast...

Sie riss die Augen wieder auf.

„Nein!“, rief sie aus und ballte die Hände zu Fäusten, so dass sich ihre Fingernägel in die weiche Haut gruben. Der Schmerz brachte sie wieder zur Besinnung.

Reiß dich zusammen!, ermahnte sie sich. Dies wird nicht dein Ende sein!

Sie trat wieder zwischen den Bäumen hervor und sah in das Schneegestöber hinaus.

Dieses Mal versuchte sie, das Problem logisch anzugehen.

Es müssen Hunderte von Personen gewesen sein, die geflüchtet sind, überlegte sie. Und sie haben Verwundete bei sich, Alte, Kinder... eine Schar dieser Größe kommt nur langsam voran. Vermutlich sind sie dir nur wenige Meilen voraus.

Nur ein paar Meilen... das war etwas, was sie schaffen konnte.

Ellana biss die Zähne zusammen und begann zu laufen.

 

Sie wusste nicht, wie lange sie gelaufen war, als sie das nächste Mal stehenblieb, doch es mussten Stunden vergangen sein.

Sie hatte zwischendurch die Reste mehrerer Lagerfeuer entdeckt, und ein Stein war ihr vom Herzen gefallen, denn nun wusste sie, dass sie wenigstens auf dem richtigen Weg war. Doch wie weit es auch noch sein mochte, sie brauchte dringend eine Pause, denn von dem langen Marsch zitterten ihre Beine vor Erschöpfung und sie taumelte bei jedem Schritt.

Wie auch zuvor schon zog sie sich in die Sicherheit der Bäume zurück und lehnte sich an einen Stamm. Sie brauchte nur einen Augenblick zum Luftholen, lediglich einen kurzen Moment, um die Augen zu schließen...

 

Als sie wieder erwachte, war es dunkel, und in der Ferne ertönte das Heulen eines Wolfes.

Um sie herum hatte sich eine Schneewehe aufgetürmt und sie war so durchgefroren, dass sie weder ihre Hände noch ihre Füße spüren konnte.

Sie wollte aufstehen, doch ihre Beine gaben sofort nach und sie stürzte zurück in den Schnee. Mehrmals versuchte sie sich hochzustemmen, doch das Ergebnis war jedes Mal das gleiche. Sie hatte schlichtweg keine Kraft mehr.

Während Tränen der Verzweiflung über ihre Wangen liefen und in der Kälte sofort gefroren, hörte sie wieder das Heulen, dieses Mal wesentlich näher. Sie wollte nach ihrem Schwert greifen, doch sie konnte ihre Finger nicht krümmen, so dass sie immer wieder vom Griff abrutschten.

Und plötzlich wusste sie mit absoluter Gewissheit, dass dies ihr Ende sein würde.

Sie schloss die Augen und ließ sich zurück gegen den Baumstamm sinken. Jegliche Ängste und Sorgen waren mit einem Mal verschwunden und alles, was sie spürte, war eine tiefe, innere Ruhe.

Bitte lass es schnell vorbei sein, dachte sie.

Sie hatte getan, was sie konnte. Die Inquisition war gerettet und würde auch ohne sie überleben, und dieses Wissen spendete ihr auf seltsame Art Trost.

Zweige knackten, als sich der Wolf näherte, und bald war er so nah, dass sie sein Hecheln hören konnte.

Doch nichts geschah. Die Attacke, mit der sie gerechnet hatte, blieb aus.

Tu es, dachte sie. Worauf wartest du noch...?

Auf einmal stupste sie eine warme Schnauze an.

Überrascht schlug Ellana die Augen auf.

Vor ihr stand der größte Wolf, den sie jemals gesehen hatte; seine Schultern mussten ihr im Stehen mindestens bis zur Taille reichen. Sein Fell war schneeweiß und seine grauen Augen sahen mit einer Ruhe und Intelligenz auf sie herab, die für ein solches Tier ungewöhnlich waren.

Starr vor Schreck rührte sie sich nicht von der Stelle, und nach einer Weile senkte er erneut den Kopf und stieß sie an – eine stumme Aufforderung. Zögernd streckte sie den Arm aus, und der Wolf schob den Kopf darunter. Sein Fell war weich, und der Körper darunter warm. Ellana vergrub das Gesicht in seiner Seite und weinte stumm. Sie wusste nicht, was vor sich ging und wieso das Tier sie nicht angriff, doch eines spürte sie: der Wolf würde ihr keinen Schaden zufügen.

Für einen Moment verharrten sie in dieser Position, und der Wolf wartete geduldig, bis sie sich wieder gefasst hatte.

Dann winselte er leise und Ellana verstand den Hinweis. Sie legte auch den anderen Arm über den Rücken des Tieres und mit seiner Hilfe gelang es ihr schließlich, sich auf die Beine zu ziehen.

Sie wusste nicht, woher sie die Kraft nahm, doch Schritt für Schritt setzte sie ihren Weg fort. Der Wolf wich keinen Moment lang von ihrer Seite, und wann immer sie strauchelte, war er zur Stelle, damit sie sich auf ihn stützen konnte.

Mit der Zeit kehrte wieder Leben in ihre unterkühlten Gliedmaßen zurück, und sie vergrub eine Hand in dem weichen Fell und ließ sich von dem Wolf durch den Schneesturm führen.

 

Einige Meilen und eine gefühlte Ewigkeit später ließ der Sturm endlich etwas nach, und ohne den ständigen Gegenwind wagte Ellana es, das Fell loszulassen und auf eigenen Beinen weiterzulaufen. Der Wolf leckte ihr ermutigend die Hand, und nur wenige Minuten später entdeckte sie erneut Überreste eines Lagerfeuers. Dieses Mal war die Asche noch warm und Ellanas Herz schien vor Aufregung einen Sprung zu machen.

Sie drehte sich um, um dem Wolf vor Freude die Arme um den Hals zu schlingen... doch von dem Tier war weit und breit nichts zu sehen, und als sie zurückschaute, entdeckte sie nur eine einzige Fußspur im Schnee – ihre eigene.

Sie starrte noch für eine Weile in die Dunkelheit hinaus, doch sie konnte spüren, dass sie ihrem Ziel mittlerweile sehr nahe war, und so drehte sie sich schließlich um und setzte ihren Weg fort, ohne sich über die seltsame Begegnung weiter den Kopf zu zerbrechen.

Als sie eine Anhöhe hinaufstieg, sah sie plötzlich Fackelschein in der Ferne, und die Lichter Dutzender Lagerfeuer, die die Nacht erhellten. Sie sank auf die Knie und hätte vor Erleichterung fast geweint.

Sie hatte es geschafft.

„Dort!“, schallte in diesem Moment eine Stimme aus dem Tal zu ihr hinauf. Es war Cullen. „Es ist die Heroldin!“

„Dem Erbauer sei gedankt!“, rief Cassandra. Und dann war Ellana plötzlich von Menschen umgeben, die ihre Ankunft bejubelten und ihr alle gleichzeitig helfen wollten. Cassandra scheuchte die Menge mit einer unwirschen Geste fort, und gestützt von ihr und Cullen stieg die junge Frau schließlich den Hang hinab.

Solas erwartete sie zusammen mit den anderen Mitgliedern des inneren Kreises am ersten größeren Lagerfeuer, das sie erreichten, und ihr entging das kleine Lächeln nicht, das um seine Lippen spielte. Sie erwiderte das Lächeln, und als wäre damit ein Damm gebrochen, überwältigten sie auf einmal die Erschöpfung und Müdigkeit nach ihrem langen Marsch.

Das letzte, was sie spürte, bevor sie das Bewusstsein verlor, war die Wärme seiner Hände, als er sie auffing.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Schneesturm
2016-11-19T17:46:35+00:00 19.11.2016 18:46
Ich denke, du hast diese Szene noch viel besser umgesetzt. Man konnte ihre Schmerzen regelrecht selbst spüren, ich hatte beim Lesen die ganze Zeit über eine flache Atmung und Herzklopfen, so sehr konnte ich mich in deine Erzählung hineinversetzen. Ich fand auch das hinzufügen des Wolfes sehr spannend und man fragt sich nach seinem Verschwinden, was er war, nur eine Halluzination?
Und Solas fängt sie natürlich auf "<3 ..
Antwort von: Morwen
20.11.2016 20:23
Vielen Dank! ♥
Es war mal was anderes, dieses Kapitel zu schreiben, gerade weil es keine (wirklichen) Dialoge darin gibt, darum freut es mich, dass es so gut angekommen ist. :)

Ich mag die Vorstellung, dass Solas auf seine Art vielleicht doch irgendwie bei ihr war... :)
Antwort von:  Schneesturm
21.11.2016 18:30
Ja, ich hatte schon so einen Verdacht, dass Solas was damit zu tun hat, aber ist er der Wolf selbst oder nur sein Begleiter im Nichts (wie du ihn ja in Lavellans Traum darstellst)? :)
Antwort von: Morwen
26.11.2016 23:07
Eher letzteres: der Wolf ist ein Teil von ihm. Wie eine Art Manifestation seines Unterbewusstseins, die er manchmal (wie in diesem Fall) auch willkürlich steuern kann, wenn er sich stark genug konzentriert.

Er ist sowas wie sein Dæmon (wie bei "Der Goldene Kompass"), falls du das Buch kennst. :D


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