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Der Schwur des Wolfes

von

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9. Kapitel - Zuhause

„Ein Baby?“ Wir blickten beide in ungläubige Gesichter, als wir es dem Rest unserer Freunde am Sonntag vor der wöchentlichen Versammlung erzählten. Da standen sie nun und wussten nicht recht, wie sie reagieren sollten. Fröhlich, erstaunt, nervös, kritisch? Taylor und ich hatten ihnen extra mitgeteilt früher zu kommen, damit niemand Anderes es mitbekam. Es musste ja nicht gleich in der ganzen Stadt die Runde machen, aber ich war mir schon ziemlich sicher, dass mein Vater es seinen Kumpels erzählen würde. Und darunter befanden sich ein paar kleine Tratschtanten. „Ja“, ließ Taylor verläuten und ich musste mir ein Lachen verkneifen. Es war, als würde er darauf warten, dass sie endlich bemerkten, dass man sich über so eine Nachricht freuen müsste und man den zukünftigen Eltern um den Hals fallen sollte. Dann ergriff Carly das Wort, während Sean ihre Hand hielt, um sie etwas zu zügeln. „Mein Gott, jetzt schaut doch nicht so! Die beiden gehen noch auf die High School, wollen bald heiraten und bekommen ein Baby. Ja, und? Sie sind glücklich und freuen sich darüber. Und sie wollten, dass ihr es erfahrt. Fühlt euch geehrt, beglückwünscht sie und dann können wir uns benehmen wie immer!“ Also wenn sich Carly einmal in Rage redete, war sie wirklich unschlagbar. Die Vier erwachten aus einer Art Trance und begannen dann zu jubeln. Jeder beglückwünschte uns und schon waren wir bei dem Wort ‚Babyparty‘. „Leute, Leute. Wirklich süß von euch an so etwas zu denken, aber ich bin erst im zweiten Monat. Also, lasst es einfach langsam angehen, ja?“ „Papperlapapp. Man kann mit Planung nie früh genug anfangen, alles klar?“ „Carly! Langsam, bitte.“ „Fein, aber wir machen eine.“ „Meinetwegen, aber noch keine nähere Planung, klar?“ „Ja, ja.“ „Ich weiß genau, was das in deinem Wortschatz bedeutet. Lauf jetzt gefälligst nicht vor mir weg!“ „Lilly?“ Ein schlanker Herr in Karohemd und abgewetzten Arbeiterjeans tauchte hinter uns auf. Ich musste Carly wohl oder übel entkommen lassen, aber das würde ich heute nicht so auf mir beruhen lassen. „Steve, hey!“ Ich drückte ihn kurz und stellte ihm dann Taylor vor. „Dein Dad sagte mir, dass ihr eine Wohnung sucht. Er hat sich auch etwas verplappert, also… Herzlichen Glückwunsch!“ „Danke.“ „Na ja. Ich wollte euch eigentlich nur ein paar Unterlagen geben. Guckt die Angebote durch und wenn euch eine zusagt, können wir sie mal besichtigen gehen. Nächste Woche oder so.“ „Super. Vielen Dank. Ich hab gar nicht so schnell mit möglichen Wohnungen gerechnet.“ „So viele sind es auch nicht. Häuser wären ein paar Schönere dabei, aber das wird wohl erst einmal zu teuer sein.“ Ich nickte und er ging zu seiner Frau zurück, die am Eingang der Halle wartete und uns zuwinkte. Ich verstaute die Unterlagen in meiner Tasche und ging dann mit Taylor ebenfalls hinein. Es wurde überall getuschelt und da hätte es mir schon klar sein müssen. Natürlich wusste es bereits ganz Crystal Falls.

Er beobachtete sie und hörte, wie sie leise seufzte. „Was ist?“ „Hörst du gar nicht hin, wenn sie alle so flüstern?“ „Nein, ich schalte so etwas aus Gewohnheit bei größeren Menschenansammlungen aus, weißt du doch. Warum?“ „Du solltest da etwas über meinen Vater erfahren.“ Sie wandte sich zu ihm um und seufzte noch einmal. „Er erzählt Neuigkeiten mindestens einem seiner Freunde. Er tut immer so, als sei es ihm »aus Versehen« herausgerutscht, aber das ist es nicht. Und der eingeweihte Freund hat es einem anderen zufällig erzählt und der wiederum… Na ja, du kannst dir den Rest sicher denken.“ „Und da heißt es immer Frauen wären solche Klatschbasen…“ „Ja, in Crystal Falls ist das alles etwas anders. Und manchmal habe ich das Gefühl, mein Vater ist der Gipfel dieses Eisbergs.“ Er lachte leise und setzte sich dann mit ihr auf die nächstgelegenen zwei freien Stühle. Von allen Seiten wurden sie angesehen, verhalten gegrüßt oder angelächelt. „Die jagen mich nicht gleich aus der Stadt, weil ich dich geschwängert habe, oder?“, fragte er flüsternd. „Ich stelle mich schützend dazwischen, versprochen.“ „Vielen Dank, ich fühl mich gleich viel sicherer.“ „Ich weiß!“ Er hob ihre Hand an seinen Mund und küsste diese. Die Versammlung begann und es wurde über Kleinigkeiten, wie die nächsten Baustellen und den geplanten Anbau an die Schule gesprochen. Sie waren ziemlich schnell damit durch und dann meinte der Bürgermeister: „Nun, wenn keiner mehr Fragen hat, würde ich…“ Eine Hand schnellte in die Luft und er spürte, wie Lilly ihn erschrocken anblickte. „Ja, Mr. Wood?“ „Ich habe keine Frage, aber ich würde gern etwas sagen.“ „Nun, sicher. Stehen Sie ruhig auf und… Sie haben das Wort.“ „Vielen Dank. …Ich möchte Sie alle gar nicht lange aufhalten, aber da ich mir sicher bin, dass noch niemand es weiß, dem wir es noch nicht persönlich gesagt haben…“ Carly und Sean verkniffen es sich, laut aufzulachen und Lilly rutschte auf ihrem Stuhl nervös hin und her. Er umschloss ihre Hand fester und sie blickte resignierend zu ihm auf. „Vor einer Weile habe ich bei Dr. Connor um die Hand seiner Tochter angehalten. Er hat uns seinen Segen gegeben und ich bin mir sicher, dass Sie sich auch für uns freuen. Außerdem hat mir Lilly vor Kurzem gesagt, dass wir ein Baby erwarten. Ich wollte, dass Sie alle es erfahren, weil wir doch zu einer Stadt gehören und ich auf diese Nachrichten auch sehr stolz bin. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.“ Er setzte sich wieder und man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Dann stellte sich Mr. Cooper wieder an sein Pult und…begann zu klatschen. Einer nach dem Anderen stimmte mit ein und von allen Seiten wurden Glückwünsche gerufen. „Du bist wirklich einzigartig, Taylor. Danke“, flüsterte sie und er wischte die eine kleine Träne von ihrer Wange fort. „Das ist dein Verdienst.“

 

Am Donnerstagnachmittag - er hatte sich beim Training entschuldigt gemeldet - saßen sie im Krankenhaus. Er zeigte es ihr nicht, aber er war wahnsinnig nervös. Sie würden heute zum ersten Mal ein Ultraschallbild ihres Babys machen lassen. Zur Nervosität gesellte sich Stolz und Ehrfurcht. Ein Leben, das sie gemeinsam geschaffen hatten, wuchs in dem Bauch seiner Verlobten. „Da lebt etwas in dir…“, stellte er fest und sie blickte von ihrer Zeitschrift mit hinaufgezogenen Augenbrauen zu ihm auf. Zwei weitere schwangere Frauen lächelten belustigt, da sie es ebenfalls gehört hatten. „Ist dir das jetzt erst aufgefallen?“, fragte Lilly. „Sagen wir so, es kommt jetzt langsam richtig bei mir an. Das ist so verrückt.“ „Ja.“ Sie lächelte und lehnte sich an seine Schulter. „Du bist auch nervös, oder?“ Jetzt war er es, der sie ansah. „Du…?“ „Ich hab wohl endlich ein Gespür dafür entwickelt. Du bist etwas schwerer zu durchschauen, aber ich merke es, wenn ich mich anlehne. Stärker, als wenn ich dich ansehe.“ „Du hast Recht. Ich habe nicht gewollt, dass du es merkst.“ „Wieso nicht? Ich finde das ziemlich süß und es ist vollkommen okay. Warum sollte man auch nicht nervös sein? Heute sehen wir unser Kind zum ersten Mal. Es wird alles noch nicht allzu ausgeprägt sein, aber…“ „Du sagst gar nicht ‚Er‘. Hast du was Neues gesehen?“, fragte er flüsternd. „Nein. Nur in meinen früheren Träumen waren wir älter, als wir ihn bekamen. Daher bin ich mir nicht mehr sicher, ob es Junge oder Mädchen sein wird.“ „Lillian Connor?“, rief eine junge Schwester und beide erhoben sich. „Folgen Sie mir, bitte.“ Sie wurden in einen Raum geführt, dort gab man Lilly Anweisungen, dass sie sich auf die Liege legen und den Bauch frei machen sollte. „Dr. Beckett ist gleich bei Ihnen. Ich nehme an, Sie sind der Vater?“ „Ja“, sagte er stolz. „Nehmen Sie sich ruhig den Stuhl von da hinten. Sitzen ist in solchen Situationen für die meisten Männer angenehmer.“ Sie zwinkerte ihm scherzend zu. „Danke.“ Die Schwester verließ den Raum und kurze Zeit später kam die Ärztin herein. Er hatte sie sich irgendwie anders vorgestellt. Aber es war eine nette Frau mit rotbraunem Haar, einem schmalen Gesicht und weisen grauen Augen. „Hallo, Lilly. Wie geht es uns?“ „Super. Das ist Taylor, mein Verlobter.“ „Ah, der Papa höchstpersönlich. Schön, dass Sie mitkommen konnten.“ „Das lasse ich mir doch nicht entgehen.“ „Gut, dann sehen wir uns den kleinen Embryo mal an, hm? Das wird kurz kalt.“ Lilly zuckte kurz zusammen. „Wird aber gleich besser. So…“ Sie schaltete den kleinen Monitor an und drehte ihn so, dass sie alle Drei gut sehen konnten. Dann hob sie das Abtastgerät, das mit der Maschine verbunden war, an und fuhr damit über Lillys Bauch. Gespannt blickten sie auf den Bildschirm, während Lilly nach seiner Hand tastete und sie festhielt. „Also hier haben wir die Gebärmutterwand, die sieht sehr gut aus. Keine Ablagerungen oder Ähnliches. Das ist wichtig. Und da…haben wir das Baby.“ Ein wummernder Ton erklang. Zunächst fragte er sich, was das sein sollte, doch dann wurde es ihm schlagartig klar. Der Herzschlag ihres Kindes. Man konnte bereits erkennen, wo der Kopf war, die Ansätze von Armen und Beinen wuchsen, sogar die Nasenspitze war erkennbar. „Oh mein Gott,…das ist einfach unglaublich“, hauchte Lilly und schlug ihre freie Hand vor den Mund. Er war sprachlos. Das Baby zu sehen war einfach ein Wunder. Es zu hören. So klein war es und trotzdem konnte man schon ein paar Gliedmaßen erkennen. Er küsste sie auf die Stirn. „Vielen Dank!“ „Wieso dankst du mir? Wir sind beide dran beteiligt.“ Sie lachte und wandte sich dann wieder dem Bild zu. „Wenn Sie möchten mache ich ein Standbild und drucke es Ihnen aus. Dann können Sie den Großeltern auch das zukünftige Enkelkind zeigen.“ „Ja, bitte.“ „Gut“, meinte Dr. Beckett, drückte einen Knopf auf der Tastatur und reinigte dann das Abtastgerät. Dann reichte sie Lilly ebenfalls ein paar Tücher, damit die sich das Gel abwischen konnte. „Einen Moment, dann bin ich wieder bei Ihnen.“ Er nickte ihr zu und blickte mit seiner Freundin wieder auf den Monitor, wo noch immer das Standbild flackerte. „Das ist so… Ich weiß überhaupt nicht, was ich dazu sagen soll.“ „Es ist unser Baby. Unser erstes gemeinsames Baby, Taylor. …Ich will es nicht verlieren!“ „Das wirst du auch nicht. In deinem Traum damals warst du doch älter, oder?“ „Ich weiß nicht mehr so genau. Ich glaube schon,…keine Ahnung.“ „Du verlierst dieses Baby nicht! Es ist so Einiges anders, als du bereits geträumt hast. Mit jeder unserer Entscheidungen, das weißt du doch. Wir lassen das nicht zu, verstanden?“ Sie nickte und atmete tief ein. Dann kam Dr. Beckett wieder herein und bat sie zu ihrem großen Tisch. „Hier einmal das Bild für Sie und dann sprechen wir gleich den nächsten Termin ab, wenn Sie einverstanden sind.“ „Gern.“ „Möchten Sie eigentlich das Geschlecht des Babys erfahren, oder wollen Sie sich beide überraschen lassen?“ „Konnte man das denn schon sehen?“, fragte er und schielte auf das Foto. „Nein, erst im dritten oder vierten Schwangerschaftsmonat sind die Organe vollständig ausgebildet. Die Lebenswichtigen bereits jetzt. Man bezeichnet es dann als Fötus. Dann erst kann ich Ihnen sagen, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird. Sie sind in der achten Woche, also nächstes Mal könnte man eventuell schon Näheres sagen.“ „Eventuell?“ „Nun, es ist immer möglich, dass sich das Baby wegdreht oder ein Beinchen davor ist. So etwas kann ich nicht ausschließen.“ „Ach so.“ Sie entschieden sich, es beim nächsten Termin darauf ankommen zu lassen.

„Wenn wir nichts sehen, ist das ein Zeichen dafür, dass wir uns überraschen lassen sollen“, meinte Lilly, als sie wieder im Auto saßen und auf dem Rückweg nach Crystal Falls waren. „Wir schieben also jetzt schon die Entscheidung auf unser Kind. Wie erwachsen!“ „Du bist so ein Spinner. Du hättest ja sagen können, dass du es nächstes Mal wissen möchtest.“ „Hey, pass auf was du sagst. Außerdem bin ich selbst ganz hin- und hergerissen. Interessieren würde es mich natürlich schon, aber einen Namen für zwei mögliche Geschlechter auszuwählen, klingt auch lustig.“ „Einen Namen. Daran hab ich noch gar nicht gedacht. Hast du schon Ideen?“ „Es sollte zu Wood passen. Ich würde dich nämlich gern vor der Geburt heiraten.“ „Wie?“ Sie sah vom Foto auf und ihr Herzschlag verstärkte sich. „Na, was hast du denn gedacht?“ „Du hast immer vom nächsten Sommer gesprochen. Also hab ich mich darauf eingestellt, dass wir nach der Geburt…“ „Das wird ein eheliches Kind. Das ist doch wohl klar. Stellt sich nur die Frage, willst du hochschwanger vor den Altar oder soll das Kleid noch nicht ganz so sehr vom Bauch abstehen?“ „Fährst du bitte rechts ran?“ „Ist dir schlecht?“ „Nein. Alles gut.“ Er hielt und noch ehe er sie fragen konnte, was los sei, schnallte sie sich ab und kletterte zu ihm auf den Sitz. Sie nahm sein Gesicht zwischen beide Hände und küsste ihn dann innig. „Es ist mir gleich, wie fett ich aussehen würde. Ich möchte unbedingt deine Frau werden. Du bist so viel mehr, als ich je geglaubt habe vom Leben zu bekommen. Ich liebe dich von ganzem Herzen und ich will endlich Lillian Wood heißen.“ „Lillian Wood… Mir ist gar nicht aufgefallen, wie harmonisch das klingt.“ Sie lachte und lehnte sich an ihn, den Blick aus dem Beifahrerfenster gerichtet. „Das gibt es nicht…“, wisperte sie und kletterte unbeholfen aus dem Wagen. „Was ist denn?“ Lilly antwortete nicht und ging auf das Grundstück zu, vor dem sie gehalten hatten. „Hey, was hast du denn?“ „Es ist… Taylor, das ist unser Haus!“ „Wie bitte?“ Er sah auf und war zum zweiten Mal sprachlos an diesem Tag. Während Lilly gerade die Stufen hinaufstieg und mit ihrer Hand vorsichtig über das Geländer strich, stand er wie versteinert da. Es war ein wunderschönes altes Fachwerkhaus, das vom bisherigen Besitzer wundervoll erhalten worden war. Cremefarbene Wände, die Holz aus Nussbaum umschlossen. Aus demselben Holz waren die Fenster-, die Türrahmen und die Geländer von Treppe und Veranda. Lilly lehnte sich an eine der zwei Säulen, die am Treppenabsatz standen und er hatte das Gefühl, dass sie schon immer hierher gehört hatte. „Der Vorgarten ist noch nicht ganz so…, aber die Fassade erkenne ich aus meinen Träumen. Das ist unser Zuhause.“ Das ‚Zu Verkaufen‘-Schild ließ sein Herz schneller schlagen. Es war gar nicht nötig, weiter nur davon zu träumen. Das Innere musste er gar nicht erst sehen. Er schmiedete bereits Pläne, wie man die Umzüge am Besten plante, als sie ihn anblickte und traurig lächelte. „Der neue Besitzer wird total glücklich hier sein.“ „Was?“ „Eine wirklich schöne Gegend hier. …Na los, lass uns fahren. Ich möchte den anderen das Bild zeigen.“ Schweren Herzens riss sie sich von dem Anblick los und trat auf ihn zu. Sie nahm seine Hand und zog ihn mit sich. „Wieso?“ „Es ist viel zu groß und viel zu teuer. Das können wir uns noch nicht kaufen. In ein paar Jahren wird es auch noch hier sein.“ So ein Schmuckstück? Garantiert nicht! In einem unbeobachteten Moment speicherte er die Nummer vom Schild in seinem Handy und stieg dann ohne ein weiteres Wort in den Wagen. Es gab nicht viel, dass sie sich je von ihm wünschte. Und immer trat sie selbst zurück, um anderen etwas zu erfüllen. Nun war sie dran und er würde alles dafür tun, dieses Haus zu bekommen. Koste es, was es wolle.

 

Mein Herz war immer noch bei dem Haus. Auch wenn es schon lange Zeit her war, ich konnte das Gefühl nicht vergessen, das ich empfunden hatte, als ich das Holz berührt hatte. Die Wohngegend war wirklich toll. Nicht viele Autos auf der Straße und die anderen Vorgärten sahen so aus, als würden dort einige Familien mit Kindern leben. So wäre also auch für Spielkameraden gesorgt. Immer, wenn ich kleine Besorgungen machte, fuhr ich extra einen Umweg, um an dem Haus vorbei zu kommen.

Der November war bald vorbei und mein Bauch wölbte sich leicht. Taylor und ich hatten bereits einige der Wohnungen besichtigt, die Steve uns herausgesucht hatte. Ich fand immer etwas, dass mir nicht gefiel und Taylor sagte nie etwas dazu. Manchmal sah ich, wie kurz ein Lächeln über sein Gesicht huschte, wenn ich die Aussicht oder die undichten Fenster bemängelte. Aber er ertrug alles und machte nie auch nur eine Bemerkung zu den Wohnungen. Daher wusste ich nie, ob sie ihm gefiel oder nicht. In der Schule hatten sich langsam alle wieder eingekriegt. Der Direktor war zunächst nicht begeistert gewesen, dass eine seiner Schülerinnen so früh schon ein Kind bekam, aber ich versprach ihm, dass meine schulischen Leistungen nicht darunter leiden würden. Bat ihn allerdings darum, mich vom Sport auszuschließen und nicht mehr bewerten zu lassen. Ich wollte jegliche Anstrengungen vermeiden, die dazu führen konnten, das Baby zu verlieren. Und Knochenbrecher war nicht gerade für ihre feinfühlige Art bekannt. Er willigte ein und ich saß nun immer neben den verletzten Mädchen oder in der Mitte der Turnhalle, wo ich Taylor beim Sport beobachtete. Manchmal gesellten sich auch Kelly, Mia, Elli oder Carly zu mir, wenn sie gerade nicht an einem Foltergerät turnten. Manchmal sogar Jamie. Das Footballtraining powerte Taylor immer mächtig aus, aber er beschwerte sich nicht. Denn schließlich hielt es ihn fit und lenkte ihn vom Wald ab. Es machte ihm sogar mehr Spaß, als er zuvor für möglich gehalten hatte. Jamie war bereits zuvor im Team gewesen und beide machten auf dem Spielfeld eine gute Figur. Die Mannschaft hatte bisher keines der Spiele verloren und der Coach war vollkommen aus dem Häuschen, weil das lange nicht vorgekommen war. Die Eagles waren auch vorher gut gewesen, aber eben noch nie ungeschlagen. „Morgen soll wunderbares Wetter werden. Was haltet ihr davon, wenn wir alle gemeinsam einen Ausflug nach Iron River machen und dort irgendwas unternehmen?“, fragte uns Carly am Freitag in der Mittagspause und tippte fleißig an einer SMS. Ich war mir sicher, dass sie bereits Sean bearbeitete. Der hatte sich auch sehr verändert. Er tat immer so, als würde er sich mit ihr streiten wollen; ein wenig dagegen halten, wenn sie wieder einmal ihren Kopf durchsetzen wollte. Aber insgeheim war uns allen wohl klar, dass er das nur zum Schein tat. Eigentlich las er ihr nämlich jeden Wunsch von den Augen ab und tat nur zu gern, was sie von ihm verlangte. Er tat ihr gut und sie ihm. Es war herrlich zu sehen, wie ernst sie die ganze Sache mit ihm nahm. Sie hatte lange keinen der anderen Jungs an der Schule auch nur eines Blickes gewürdigt. Und es verging keine Minute, in der sie nicht mit ihm textete oder telefonierte, wenn sie voneinander getrennt waren. „Alle acht?“, fragte Kelly und hatte schon die drei Jungs mitgezählt. „Ja, und in der nächsten Zeit sollten wir auch unbedingt wieder einen Mädelstag machen“, verkündete ich und schlug Taylor auf die Hand, der gerade meinen Nachtisch klauen wollte. „Au!“ „Hol dir selbst einen. Das Baby hat Hunger auf Schokoladenpudding. Und genau den werden wir auch essen.“ „Ist sie immer so?“, fragte Jamie ihn leise und ich blickte kurz zu ihnen herüber. „Soll das ein Scherz sein? Seitdem er für das Footballteam trainiert, isst er mehr als ich. Und ich brauche eine Menge Energie, also…“ Die Mädels lachten. „Und die Wohnungssuche?“, fragte Elli. „Na ja, es könnte besser laufen.“ „Keine Schönen dabei?“ Taylor lächelte verschmitzt und ich zuckte mit den Schultern. Ich wollte nicht davon erzählen, um mir dann sagen lassen zu müssen, dass ich meine Ansprüche etwas herunterschrauben sollte. „Einen Ausflug? Also, ich weiß nicht“, meinte dann Kelly und rettete mir unwissentlich die Haut. „Hey, jetzt hab dich nicht so. Das wird lustig. Und wer weiß schon, wann wir das das nächste Mal machen können“, verkündete Carly und umarmte sie von der Seite. „Wieso?“ Ich schob mir gerade den Löffel mit Pudding in den Mund, als sie mit dem Finger auf mich deutete. „Unser kleines Fass wird nicht mehr lange reisen können…“ In mir stiegen die Tränen auf, ich setzte den Becher ab und kuschelte mich in Taylors Arme. Meine beste Freundin interessierte das nicht. „…und außerdem wissen wir ja auch nicht, wo wir am Ende alle landen werden. Unsere Runde wird es eventuell nur noch dieses letzte Schuljahr geben. Zumindest in dieser Konstellation.“ Mit dieser Aussage hatte sie uns alle mehr getroffen, als ihr selbst wahrscheinlich lieb war. Das dumme an der Sache war nur, sie hatte Recht. Es würde sich so Einiges ändern in nächster Zeit. Und wer konnte schon sagen, wann wir uns alle gemeinsam mal wieder sehen würden. „Überredet.“ „Wusste ich es doch! Und die anderen? Ihr seid doch auch dabei, oder?“ Die anderen stimmten ihr zu, nur ich hielt mich zurück. „Was hat sie? Hey, Süße!“ „Ich würde sagen, du hast ihr wehgetan. Entschuldige dich, dann wird das schon“, erläuterte ihr Taylor und streichelte sanft meinen Rücken. „Oh nein! Mit einer Entschuldigung ist es nicht so einfach getan. Vergiss es!“ Ich schnappte mir Tasche und Tablett und brachte dieses zurück. Dann wandte ich mich zum Ausgang. Taylor holte mich schnell ein und lächelte amüsiert auf mich hinunter. „Lach nicht! So einfach kommt sie mir damit nicht davon. Diesmal nicht!“ „Okay.“ „Was ist?“ „Ich weiß ja, dass deine Hormone dabei auch `ne große Rolle spielen, aber… Dir ist schon klar, dass sie Recht hat, oder? Ich meine den Ausflug.“ „Natürlich. Aber beleidigen muss sie mich ja trotzdem nicht deswegen. Im Moment bin ich gefühlstechnisch angeknickt wie nie.“ „Oh je…“ „Hör auf mit deinen Scherzen…“ Wir waren auf dem fast leeren Schulflur unterwegs, als ein paar seiner Footballkollegen an uns vorüber gingen. „Hey, hey. Die kleine Lilly! Der Quarterback in dir wächst und gedeiht, was?“, fragte Collin, ein netter groß gewachsener Junge mit klaren grünen Augen und einem hundert Watt Lächeln. Er strich sich durch sein braunes Haar und grinste schief. Die anderen gesellten sich ebenfalls zu uns. „Quarterback?“, fragte ich und erntete verhaltenes Kichern. „Na, bei den Wood-Genen nehme ich mal an, dass es ein Junge wird.“ „Keine Ahnung, das Baby weigert sich uns das zu verraten“, erklärte Taylor und wieder lachten sie. Ich war es gewohnt, dass alle auf meinen Bauch sahen, je mehr er anwuchs. Und es war mir auch gar nicht mehr so unangenehm. Ich meine, schließlich wussten dadurch alle, dass wir miteinander Sex hatten. Es ist das Natürlichste auf der Welt, das weiß ich ja. Aber man erzählte so was ja normalerweise auch nicht in aller Öffentlichkeit, aber den Bauch verstecken wollte ich auch nicht. Dafür war ich zu stolz darauf. So also trug ich meine normale Kleidung, die den neuen Bauchumfang allerdings nicht kannte und daher natürlich so langsam zu spannen begann. Auch meine Hosen ließen sich nicht mehr so leicht zuknöpfen. Die Jungs machten ihre Späße und unterhielten sich über das nächste Training, als sich mir plötzlich der Magen drehte. Es ging also los… Ich ließ meine Tasche achtlos zu Boden fallen und riss die Tür zur Mädchentoilette auf, die glücklicherweise direkt hinter uns lag. In letzter Sekunde schaffte ich es in eine der Kabinen und entledigte mich innerhalb weniger Momente des guten Mittagessens der Schulcaféteria. Zur Sicherheit blieb ich noch ein paar Minuten neben dem Klo sitzen und war froh, dass ich mir heute einen Pferdeschwanz gebunden hatte. Schon als ich noch klein war, hatte ich krank sein gehasst. Magen-Darm-Infekte oder sogar eine Magen-Darm-Grippe waren für mich schon immer ein Graus gewesen. Ich mochte es einfach nicht. Dieses Gefühl, wenn der Mageninhalt in einem aufstieg und man spürte, dass man sich übergeben würde. Ich trat an eines der Waschbecken und spülte meinen Mund aus. Seitdem diese Übelkeit öfter auftrat, trug ich immer eine Packung Kaugummis oder Minzbonbons in meiner Hosentasche. Daher schob ich mir von Letzterem eines in den Mund und trocknete meine Hände. „Süße?“ „Mhm“, brummte ich und blickte stur auf die Wassertropfen, die durch die heiße Luft von meinen Händen gedrängt wurden. „Taylor sagt, du wärst einfach aufs Klo gestürmt. Bei dir alles gut?“ „Mhm.“ „Alles okay. Es geht ihr gut“, rief sie aus der Tür und ich hörte, wie mehrere Leute erleichtert aufatmeten. Dann umarmte sie mich von hinten. „Es tut mir leid. Ich wollte nicht so unsensibel sein!“ Ich seufzte auf. „Das weiß ich doch. Ich hab auch überreagiert…“ „Nein, meine Süße. Ich weiß, dass du nicht wie andere Mädchen bist, die penibel auf ihre Figur achten und das musst du ja auch nicht. Egal, was du isst, du nimmst nicht zu. Aber jetzt wo du schwanger bist und deine Gefühle ständig schwanken…ich hätte das nicht sagen dürfen. Verzeih mir, bitte!“ „Natürlich“, meinte ich und wandte mich zu ihr um, um sie auf die Wange zu küssen, „außerdem kann ich dir doch gar nicht lange böse sein.“ „Du bist ein wirklich wundervoller Mensch und ich hoffe, dass sich das nie ändern wird.“ „Wenn wir für den Rest unseres Lebens beste Freundinnen bleiben, kannst du ja darauf achten, dass ich auf dem Boden der Tatsachen bleibe. Was sagst du?“ „Dass ich nie ein besseres Angebot bekommen habe!“ Wir traten beide aus der Toilettentür und ich sah die große Meute, die nur auf uns wartete. Unglaublich, dass all diese Menschen meine Freunde waren. Kelly, Elli, Mia und Jamie, Taylor, sogar die Jungs aus der Footballmannschaft waren noch da. Taylor hatte mir erzählt, dass sie in mir eine Art kleine Schwester sahen, auch wenn wir gleichaltrig waren. Ich mochte sie alle so wahnsinnig gern und sagte: „Ich bin morgen auf jeden Fall dabei!“

 

„Das ist aber nicht der Weg zu dir nach Hause, das weißt du schon, oder?“ „Ich habe nie behauptet, dass wir zu mir fahren würden.“ „Du sagtest, wir würden es uns gemütlich machen und da mein Vater noch zu Hause ist, würde das wohl kaum funktionieren… Also bleibt nur euer Haus!“ „Langsam glaube ich wirklich, du stehst auf meinen Vater“, verkündete er und verstärkte den Griff ums Lenkrad. „Was hat mich verraten?“, fragte sie und er blickte sie geschockt an. Zur selben Zeit streckte sie ihm die Zunge heraus. „Meine Güte, ich habe ihn ja wirklich sehr gern, aber er ist so alt wie mein Vater. Ich bitte dich, so merkwürdig bin ich ja nun doch nicht.“ „Wieso? Glaubst du, du bist jetzt merkwürdig?“ Die Antwort kam nicht so schnell, wie er gedacht hatte. „Nein.“ Den Verdacht hatte er schon öfter gehabt. Schon damals hatte sie ihm gesagt, dass sie nicht glaubte, zu ihm zu passen. Doch nach seiner Rede, was er an ihr liebte, sah sie so glücklich aus. Aber nun wuchs wohl doch noch ein kleiner Zweifel in ihr, den sie sonst so sorgfältig vor ihm verborgen hielt. Sie nahm sich selbst nicht so wahr, wie er und andere es taten. Wie oft schon lief er rasend eifersüchtig neben ihr her, während er das Getuschel der Jungs über sie hörte? Mit seinen guten Ohren konnte er natürlich alles verstehen und daher stellte er das normalerweise bei größeren Menschenansammlungen aus, aber in der Schule musste er wachsam sein. Viele ihrer Mitschüler hielten sie für hübsch, intelligent, unglaublich nett, großzügig, hilfsbereit und stark, weil sie sich von nichts und niemandem unterkriegen ließ. Nur er und auch Carly, schätzte er, kannten ihre unglaublich verletzliche Seite. Ihre zerbrechliche Seele, die er um alles in der Welt schützen wollte. Doch seit sie beide von der Schwangerschaft wussten, strahlte sie eine solche Kraft und Schönheit aus, dass es ihn selbst immer noch überwältigte, wenn er sie ansah. Lilly machte ihn komplett und im Dezember würde sie zu seiner Familie gehören. Nein, sie würde seine eigene Familie werden. Kurz vor Heiligabend hatten sie einen Termin in der Kapelle, hier in Crystal Falls. Die engsten Freunde und Verwandten waren bereits informiert und nun, also heute Abend, würde er ihr ein Geschenk machen. Es stand für alles, was sie in dem letzten halben Jahr für ihn getan hatte und was sie für den Rest seines Lebens für ihn noch auf sich nehmen würde. Sie war das unglaublichste Mädchen, das ihm je begegnet war. „Warte mal, die Straße hier…?!“ Er wurde langsamer und hielt schließlich vor dem Grundstück, dass sie, da war er sich ganz sicher, bereits in- und auswendig kannte. In der Dunkelheit, die jetzt immer früher einsetzte, war nicht viel zu erkennen und das war der Plan gewesen, aber sie erkannte es natürlich trotzdem. Er stieg aus und öffnete die Tür auf der Beifahrerseite, um ihr aus dem Wagen zu helfen. „Taylor, was tun wir hier?“ „Wir machen es uns gemütlich…“ Sie blickte zu ihm auf und überlegte gerade, ob er für sie da einbrechen würde. Da holte er die Schlüssel aus der Jackentasche und hielt sie ihr vors Gesicht. „…und zwar zu Hause!“ „Nein“, keuchte sie und schlug eine behandschuhte Hand vor den Mund. „Es gehört jetzt uns. Zumindest fast.“ „Ich sagte doch, dass es zu groß ist und auch zu teuer…“ „Und dennoch hast du dir nichts mehr gewünscht, als darin leben zu können. Meinst du, mir ist nicht aufgefallen, dass du nach dem Einkaufen oder ähnlichem einen Umweg gefahren bist, um es dir anzusehen? Lilly, jedes verdammte Mal, trittst du zurück, um jemand anderen glücklich zu machen, ihm einen Wunsch zu erfüllen. Aber jetzt bist du mal dran. Es war das erste Mal, dass ich dir angesehen habe, dass du dir etwas von ganzem Herzen wünscht. Ich habe dich die Wohnungen ansehen lassen, damit du merkst, dass dieses Haus perfekt für uns ist. Aber von Anfang an habe ich Pläne geschmiedet und alle Hebel in Bewegung gesetzt, um dieses Haus zu kaufen. Ich habe nicht eingesehen, warum wir es uns nicht gleich schnappen sollten, wenn es schon zum Verkauf…“ Doch weiter kam er nicht mehr, denn da hatte sie bereits ihre Handschuhe ausgezogen, ihre Hände auf seine Wangen gelegt und sein Gesicht zu sich herunter gezogen, um ihn zu küssen. Er spürte ihre heißen Tränen, die auch seine Haut benetzten. Ihre Lippen waren so unsagbar weich und schmeckten süß. Lavendelduft umgab ihn und machte ihn mit jeder Sekunde schwächer, ihre Zunge tat das übrige. Das Gefühl, das ihn durchfuhr, war nicht von dieser Welt und endlich verstand er. Auch sein Herz würde bald platzen. Ihre Hände strichen über seine Wangen, berührten sanft seinen Hals, um dann in seinem Nacken zu verharren. Er konnte einfach nicht länger warten. Also hob er sie auf seine Arme und trug sie die Stufen hinauf, schaffte es irgendwie aufzuschließen, trat die Tür hinter sich zu und setzte sie auf einer Couch ab, die von einem Laken verdeckt war. Einige Möbel hatten die Vorbesitzer hier gelassen, die sie ebenfalls mit dem Hauskauf erstanden hatten und er war ihnen überaus dankbar für diese Sitzgelegenheit. Während er ganz langsam ihre Jacke öffnete und mit seinen Fingern unter ihre Kleidung fuhr, um ihre heiße Haut zu fühlen, küsste sie ihn noch immer. Er musste sie jetzt einfach ansehen und öffnete seine Augen. Ihre dichten Wimpern waren mit kleinen, glitzernden Perlen ihrer Tränen besetzt, ihre Haut sah so unglaublich schön aus. „Danke“, wisperte sie, als sie sich einen kurzen Augenblick von ihm löste, um Luft zu holen. „Ich bin froh, dass ich das nicht auf sich habe beruhen lassen.“ Gerade wollte sie ihn wieder küssen, als er sie stoppte, indem er sagte: „Einen Moment! Du musst kurz aufstehen. Mal sehen, ob die Couch… Ah ja.“ Mit ein paar Handgriffen, ließ sie sich zu einer Schlafcouch ausklappen. Dann feuerte er den Kamin an, den er bereits gestern vorbereitet hatte. „Eigentlich wollte ich ja ein Indoor-Picknick machen…“ „Taylor, halt den Mund, bitte, und küss mich.“ Er ließ sich neben sie sinken und tat, wie ihm geheißen worden war. Lilly zog die Jacke aus und er löste das Gummiband aus ihrem Haar. Im Schein des Kamins flammte das Gold leicht rot auf, sodass es kupferfarben wirkte. Er verschränkte seine Hände mit ihren, ihre Finger verflochten sich ineinander und ehe sie wieder ihre Lippen auf die seinen legte, hauchte sie: „Tausend Dank.“

Eine Weile später lagen sie, Taylor einen Arm von hinten um sie geschlungen, verdeckt unter dem Laken und blickten auf das knisternde Feuer im Kamin. Er küsste sanft ihren Hals, fuhr mit seinen Fingern über ihren Nacken und knabberte dann an ihrem Ohrläppchen, was sie leicht zum Lachen brachte. „Wie hast du es gemacht?“, erkundigte sie sich und drehte sich zu ihm herum. Ihr Gesicht drückte sie fest an seine warme Brust. „Ich hatte Einiges gespart und unsere Väter haben einen Teil dazu bezahlt. Sie sagten, dies sei ihr Hochzeitsgeschenk. Und den Rest können wir in monatlichen Raten abzahlen.“ „Dad und Kenneth? Sie können doch solche Sachen sonst nicht so gut für sich behalten?! Mein Vater wird kurz vorm Platzen sein.“ Wieder kicherte sie. „Vielen Dank, Taylor. Ich hätte nie…“ „…auch nur ein Wort darüber verloren, dass du gern hier leben willst, ich weiß. Aber es wird Zeit, dass wir uns auch ein paar Träume erfüllen, findest du nicht?“ „Was ist dein Traum?“ „Der ist schon erfüllt worden, keine Angst.“ „Hattest du nur den Einen?“ „Im Moment bin ich wunschlos glücklich. Vielleicht kommt später ein neuer hinzu, wir werden sehen.“ Sie schloss für ein paar Augenblicke ihre Augen und atmete tief ein. „Bist du müde?“, fragte er leise, weil er dachte, dass sie gleich einschlafen würde. „Nein. Mir war nur kurz schlecht. Keine Ahnung, warum es Morgenübelkeit heißt, wenn man es den ganzen Tag hat… Ich bete nur dafür, dass ich mich in keinem völlig unpassenden Augenblick übergebe. Das ist meine größte Angst.“ „Du meinst, mitten im Unterricht?“ „Auch, aber viel schlimmer wäre es vor deinen Augen“, antwortete sie kleinlaut und wich seinem Blick aus. „Worüber du dir immer Gedanken machst. Wenn es dir schlecht geht, möchte ich dir helfen. Es muss dir nicht peinlich sein. Außerdem gehört das zu einer Schwangerschaft dazu.“ Sie tastete neben der Couch nach ihrer Kleidung und hob dann sein kariertes Hemd auf. „Ich leih mir das mal eben. Das Baby drückt auf die Blase.“ „Möchtest du etwas essen?“ „Au ja. Was hast du denn?“ „Lass dich überraschen. Husch, gib mir ein paar Minuten.“ Er schlüpfte in seine Boxershorts und die Jeans, dann umfasste sie seinen Nacken und küsste ihn leidenschaftlich auf den Mund. Er sah ihr nach, als sie wie selbstverständlich die Tür zum Badezimmer nahm, so als würde sie schon seit Jahren hier leben. Sie sah einfach göttlich aus, nur mit seinem Hemd bekleidet. Der Saum endete in einem sehr anziehenden Bereich ihrer Oberschenkel und bedeckte nicht allzu viel ihrer wunderschönen samtweichen Haut. Er schluckte schwer und wandte sich dann der Küche zu, wo er das Essen aufbewahrt hatte. Vor dem Kamin breitete er eine Decke, die er von seinem Vater mitgebracht hatte, aus und drapierte Baguette, kleine Käsewürfel, Erdbeeren, Salat, Kuchen, verschiedene Säfte und einiges mehr darauf. Gerade holte er Gläser aus dem Korb in der Küche, als sie ihre Arme von hinten um ihn schlang. „Gott, hast du mich erschreckt. Du bist schnell und leise!“ „Ja, ich hab mir ein bisschen was abgeguckt. Und barfuss zu gehen, trägt auch etwas dazu bei.“ „Haha.“ Der Mond schien durch die Fenster und ließ sie noch hellhäutiger erscheinen. Erst da fiel ihm auf, dass sie gar nicht alle Knöpfe geschlossen hatte und er einen gar nicht so schlechten Ausblick auf ihr Dekollete hatte. „Später, ich hab Hunger“, meinte sie nur und grinste. „Du bist blass, ist alles okay?“ „Na ja, mir ist immer noch schlecht…“ Sie machte plötzlich einen etwas gequälten Ausdruck, hielt sich die Hand vor den Mund und ahnte wohl, dass sie es nicht mehr bis ins Badezimmer schaffen würde. So blieb ihr nur die Flucht nach vorn und sie beugte sich über die Spüle. Er strich ihr rasch die Haare zurück und hielt sie wie einen Pferdeschwanz nach oben. „Uah, haben wir nicht gerade darüber geredet?“ Sie spülte schnell alles den Abfluss hinunter. „Nun, man soll sich ja seinen Ängsten stellen, heißt es doch“, scherzte er, doch sie lachte nicht. Lilly wusch ihren Mund mit Wasser aus und wandte sich dann um, um ihre Hose zu suchen. Gerade noch sah er, dass sie sich ein Pfefferminz in den Mund schob. Ja, das war seine Verlobte, wie sie leibt und lebt. Immer auf alles vorbereitet. Niemand sollte merken, dass etwas passiert war. Er schüttelte den Kopf und lächelte leicht. „Dann ist ja jetzt wieder Platz in deinem Magen. Los, komm essen.“ „Ich sagte dir schon in der Schule, übertreib es nicht mit deinen Scherzen…“ „Entschuldige. Das war das letzte Mal.“ „Für heute oder für den Rest der Schwangerschaft?“ „Danach darf ich wieder?“ „Von mir aus!“ „Ach je, das ist jetzt doof. Ich hatte noch so viel in petto.“ Sie lachte und kuschelte sich an ihn. „Wahnsinn, wie du das immer machst. Ehrlich.“ „Was?“ „Mich aufheitern. Ich meine, ich war eben nicht traurig oder so, aber du schaffst es immer wieder, mich in eine noch bessere Stimmung zu versetzen als zuvor.“ „Das ist eines der Talente, die ich von meiner Mutter habe…“ Er strich ihr sanft über den Kopf und seufzte. „Erzählst du mir von ihr? …Beim Essen, ich hab total Kohldampf.“ „Gern. Was willst du wissen?“ „Alles, was du mir erzählen möchtest.“ So verbrachten sie den ganzen Abend damit über seine Mutter zu reden und machten in den frühen Morgenstunden Pläne für den Umzug und die Hochzeit.

 

„Der Ausflug wird super!“, gellte Carly uns entgegen, als wir auf den Parkplatz kamen, auf dem wir uns verabredet hatten. „Dir auch einen Guten Morgen“, gähnte Mia und kuschelte sich unter Jamies Jacke. Es war noch sehr kalt so früh am Morgen und man merkte, dass der Winter nicht mehr lange auf sich warten ließ. „Wo hast du meinen Bruder gelassen?“, fragte jetzt Taylor und ich sah mich suchend um. „Ich hatte für den Kaffee-Schock zu sorgen“, verkündete dieser, als er aus dem George kam, mit Kaffee-Bechern beladen. „Hatte sie schon auf?“ „Nein, aber sie meinte, sie würde gerne für die Reiseverpflegung sorgen“, erklärte Carly. Ich sah hinüber und winkte zurück, als Rosie uns freudestrahlend grüßte. Sean reichte mir einen Becher Kakao, da ich leider meinen Koffeinkonsum zurückschrauben musste, und meinte: „Du siehst müde aus, habt ihr denn gar nicht geschlafen?“ „Doch, aber nicht viel. Wir haben Pläne wegen des Umzuges und der Hochzeit gemacht.“ „Umzug? Wann und wo? Ich dachte, ihr hättet noch nichts Geeignetes gefunden!“, schaltete sich nun Elli ein. „Taylor hat mich gestern überrascht. Wir wohnen in dem hübschen Haus in der Harbour Lane. Nächste Woche geht es los!“ „Das hübsche Fachwerkhaus?! Das ist eine wundervolle Wohngegend dort. Nur Familien mit Kindern oder Rentner. Freunde meines Vaters wohnen dort, daher sind wir schon öfter daran vorbeigefahren. Taylor, du hast echt Geschmack.“ „Wir haben es schon vor einer Weile gesehen, aber da sich Lilly immer nicht durchringen konnte zu sagen, dass sie es haben will…“ „Richtig so. Der Mann gefällt mir. Endlich mal Einer, der dir etwas gibt von dem er weiß, dass du es dir wünscht. Geschenke mag sie ja sonst nicht so. Du weißt, ihr Geburtstag“, pflichtete Carly bei. „Ja, ich erinnere mich dunkel.“ „Dann melde ich mich schon mal als Packesel an!“, jubelte Jamie und Mia nickte eifrig. „Ja. Das wird lustig“, meinte nun auch Sean. „Danke, Leute. Damit würdet ihr uns wirklich helfen.“ „Wer sind Sie und was haben Sie mit Lillian Connor gemacht?!“

Taylor sah sie fragend an und Carly wisperte ihm zu: „Lilly hackt sich lieber ein Bein ab, als Hilfe anzunehmen. Sie redet es uns normalerweise aus und spielt runter, wobei wir ihr helfen wollen. Du tust ihr wirklich gut, Taylor. Und… Ich wollte dir schon seit Langem etwas sagen: Danke, dass du sie so glücklich machst. Sie hat sich sehr verändert, seit du an ihrer Seite bist.“ Er blickte auf das Mädchen, das lachend neben seinem Bruder stand, sich das Haar nach hinten strich und an dem noch heißen Kakao nippte. „Früher war sie die stille, kluge Lilly, die jedem half, wo sie konnte und nie etwas im Gegenzug verlangte oder annahm. Jetzt sagt sie bereits gelegentlich, was ihr nicht passt oder nimmt tatsächlich Hilfe an. Du hast sie wirklich zu sich selbst finden lassen, danke vielmals.“ „Für mich hat sie dasselbe getan! Du brauchst mir nicht zu danken. …Pass du gut auf meinen Bruder auf, ja?“ „Es wird mir eine Ehre sein!“ Er lächelte sie an. Sie war wirklich eine tolle junge Frau. Es wunderte ihn nicht, dass Lilly und sie beste Freundinnen waren. Und auch für ihn war sie, seit sie das Geheimnis seiner Familie kannte, eine echte Verbündete geworden. Beide stießen mit ihren Bechern an. Sie klatschte in die Hände und meinte: „Na los, lasst uns fahren. Wir haben doch nur den einen Tag…“ „Oh je. Ich ahne Furchtbares. Was genau hast du denn geplant?“, fragte Mia und stieg hinten in Seans Auto ein. „Lasst euch überraschen.“ Sie verteilten sich alle auf zwei Autos, Seans und Taylors. Elli und Kelly fuhren bei Letzterem mit und allein die Fahrt wurde wahnsinnig lustig.

„Können wir noch einmal anhalten? Das Baby drückt schon wieder auf die Blase“, sagte ich und Taylor blinkte bereits, um Sean hinter uns das Zeichen für einen Zwischenstopp zu geben. Als wir hielten, erntete ich natürlich ein paar Kommentare. „Ich wusste, dass es eine gute Idee war, so früh zu fahren… Lilly, das wie vielte Mal ist das jetzt?“ „Ich werde dich daran erinnern, wenn du ein Baby mit dir rumschleppst, das sich ständig auf deine Blase zu bewegt…“ Die Jungs lachten und Carly meinte: „Ich kriege keins, so einfach ist das!“ „Glaub mir, du bekommst auch mindestens eins! Du bist einfach der Typ dafür.“ „Tss.“ Nach dem Halt bekamen wir alle langsam Hunger und Sean schlug vor, die Pakete von Rosie zu vertilgen. „Ich stimme dafür. Es ist sowieso Zeit fürs Frühstück“, meinte Taylor und wir fuhren zum nächstgelegenen Rastplatz. Als wir dann endlich in Iron River ankamen - nicht ohne zwei weitere Pausen -, öffneten langsam die kleinen Geschäfte und ein Jahrmarkt. „Nun sag schon, was du für uns geplant hast?!“, forderte Mia und Jamie legte seinen Arm um ihre Schulter als wir die Hauptstraße entlang gingen. Carly hielt vor uns, breitete feierlich ihre Arme aus und meinte: „Zuerst machen wir einen Gang über den Markt, später dann Kino und danach Essen gehen. Na, was meint ihr?“ „Klingt nett. Und ich hatte schon die Befürchtung, du planst etwas Ausgeflipptes!“ „Um ehrlich zu sein, habe ich für dich auch noch ne extra Sache“, antwortete sie mir und ich sah sie mit hochgezogener Augenbraue an. „Erinnerst du dich an den kleinen Laden, den wir Mädels das letzte Mal hier besucht haben?“ „Du meinst doch nicht den, in dem wir alle nichts gekauft haben?!“ „Genau den. Dieses Mal müssen wir etwas kaufen, das weißt du.“ „Müssen wir nicht. Wozu?“ „Weil Das deiner Mutter nicht passen wird.“ „Natürlich, denn ich kann es umnähen.“ „Sei nicht albern. Du brauchst ein Eigenes! Auch, wenn ich weiß, wie sehr du es anziehen willst, glaub mir. Du würdest dich später dafür hassen, dass du es umgenäht hast.“ Sie hatte Recht und das Furchtbare daran war, dass sie das genau wusste. „Fein. Aber wann wollen wir das noch machen?“ „Die Jungs können sich ja ein bisschen die Zeit auf dem Jahrmarkt vertreiben, während wir die Besorgungen machen…“ Sean verstand den Wink. „Auf geht es, Jungs. Wir werden im Moment nicht gebraucht.“ Jamie folgte bereits, während Taylor sich kurz zu mir beugte. Sein Mund war nah an meinem Ohr, als er wisperte: „Mein Handy ist an. Wenn ich dich erretten soll, schreib mir oder ruf an.“ „Danke, mein Held.“ Er küsste meine Stirn, strich mir übers Haar und wurde dann von Sean fortgezogen. Während Carly mich den kurzen Weg zum Brautmodengeschäft zerrte. Ich verfluchte leise den Tag, an dem ich Carly Simmons in mein Leben gelassen hatte.

Zwei Stunden später verließen wir kichernd und, ich musste es gestehen, total happy den Laden. Carly Simmons war doch ein Schatz. Ich war immer noch der Meinung, dass sich die Verkäuferinnen an uns erinnerten und damit gerechnet hatten, dass wir wieder nichts kauften. Aber ich hatte das perfekte Kleid gefunden. Ein oder zwei Tage vor der Trauung würde ich noch einmal mit Carly herfahren und die letzten Änderungen vornehmen lassen. Schließlich würde mein Bauchumfang bis dahin noch etwas zunehmen. Aber es war wirklich ein traumhaftes Hochzeitskleid. Nachdem wir den Kleidersack im Auto verstaut hatten, suchten wir auf dem Jahrmarkt nach den Jungs und wurden an einer Schießbude fündig. Jamie und Sean lieferten sich gerade einen erbitterten Kampf, während Taylor, die Hände in den Taschen, daneben stand und ihnen lachend zusah. „Hast du keine Lust?“, fragte ihn Mia und feuerte Jamie an. „Ich habe schon. Und dann forderte Jamie Sean heraus, der zuerst gar nicht wollte.“ „Ja, wenn sein Kampfgeist erst mal erwacht, ist er kaum noch zu bremsen“, seufzte Carly und wandelte sich zum feurigen Cheerleader. Ich zog mir die Kapuze über den Kopf, weil meine Ohren entsetzlich froren und durchsuchte dann meine Tasche nach den Handschuhen. Taylor nahm meine linke Hand und schob sie gemeinsam in seine Jackentasche. „Nachher wechseln wir die Seiten…“, sagte er und ich lehnte mich seitlich an ihn. „Kuschelig warm, wie herrlich.“ Kelly und Elli durchstöberten den Nachbarstand nach Schmuck. Die anderen Vier waren noch immer in ihren Wettkampf vertieft und ich fühlte mich total geborgen zwischen all diesen tollen Menschen. Mir war nie aufgefallen, was für eine eingeschworene Truppe wir in der kurzen Zeit schon geworden waren. „Hast du denn vorhin etwas gewonnen?“, fragte ich und sah ihn unter meiner Kapuze heraus an. „Ja, aber der Hauptgewinn war es nicht.“ „Das hatte ich auch nicht gemeint… Zeig mal!“ Er zog seine linke Hand hervor und präsentierte mir auf seiner Handfläche eine kleine Blechdose mit Tannenbäumchen und Schneeflocken darauf. „Wofür soll die sein?“ „Ich glaube dieser Jahrmarkt ist mehr für Familien mit kleinen Kindern. Der Budenbesitzer meinte, es wäre eine »Geheimdose«.“ „Ja, wo du so was unbedingt brauchst.“ Taylor grinste. „Fand ich auch sehr komisch. Aber mal im Ernst. Zuerst habe ich sie tauschen wollen, doch dann fiel mir ein, dass wir sie als Milchzahndose nehmen könnten. Ein bisschen Watte rein und vóila fertig ist sie. So was hat unsere Mutter auch für uns gehabt.“ „Darüber machst du dir jetzt schon Gedanken? Ich bin erst in zwei Wochen im fünften Monat.“ „Was wir haben, das haben wir. Oder nicht?“ „Ja, da hast du Recht und sie ist echt niedlich.“ Plötzlich tippte mir jemand auf die Schulter. „Maggie! Hallo, was machst du denn hier?“ Das niedliche Mädchen sah mich lächelnd an. Sie sah schick aus in ihrem beigen Kortrock und dem dunkelbraunen Mantel. Auf dem Kopf trug sie eine beige Pudelmütze. „Noch ein paar Besorgungen für Weihnachten und ihr?“ „Einen Ausflug mit Freunden. Bist du ganz alleine unterwegs?“ „Nein, eine Cousine von mir ist noch mitgekommen. Wir haben uns gerade nur irgendwie aus den Augen verloren…“ Sie sah sich kurz um und zuckte dann mit den Schultern. Taylor hielt sich zurück. Er kam mir irgendwie merkwürdig vor, aber ich dachte, er hätte nur langsam keine Lust mehr auf den Kampf zwischen Sean und Jamie. „Wir haben uns in der Schule gar nicht gesehen, alles okay im Moment?“ „Ja, ich denke, das letzte Mal hat die beiden abgeschreckt. Vielen Dank noch mal!“ „Gar kein Problem. Sollen wir vielleicht beim Suchen helfen?“ „Suchen? Was?“ „Deine Cousine!“ „Oh, nein. Wir haben verabredet uns an ihrem Auto zu treffen, wenn wir uns nicht auf dem Markt finden sollten. Wir kommen schon seit ein paar Jahren immer wieder für letzte Einkäufe her. Iron River ist wie ein zweites Zuhause für mich.“ „Dann ist ja gut.“ „Na ja, ich wollte auch nur kurz Hallo sagen. Ich mache mich dann mal wieder auf den Weg. Sie wird sicher schon warten. Wir sehen uns dann in der Schule. Bis Montag!“ „Ja, bis dann!“ Kurz darauf war sie aus unserem Sichtfeld verschwunden. Taylor hielt meine Hand fester als gewöhnlich und langsam schmerzten meine Finger. „Wir können jetzt gern die Hand wechseln…“ Er reagierte nicht und ich sah, wie seine Nasenflügel zuckten, er blickte in die Richtung, in die Maggie verschwunden war. „Taylor, du drückst etwas fest. Taylor!“ Jetzt sah er mich an. „Wie?“ „Ich sagte, du drückst meine Hand etwas fest. Wir können jetzt gern die Seiten wechseln, meine linke Hand ist warm genug.“ „Oh, entschuldige!“ Während er mich freigab, sah er wieder in die Ferne. „Ist alles in Ordnung? Hast du etwas gerochen?“, fragte ich leise und er schob seine Linke mit meiner rechten Hand in die Tasche. „Ich dachte, aber…“ „Hast du irgendwas? Du bist so komisch.“ „Nein, alles gut. Nur, tu mir den Gefallen und sei nicht allzu oft mit ihr allein, ja?“ „Mit Maggie? Wieso?“ „Irgendwas gefällt mir da nicht. Ich weiß nicht genau, was, aber bitte sei so nett und halt dich von ihr fern, wenn du allein bist.“ „Ich glaube zwar nicht, dass sie mir was tun würde, aber wenn du mich schon darum bittest, in Ordnung.“ Er lächelte erleichtert und wir wandten uns dem Gespräch, nun eher der Diskussion, der anderen zu, die sich über den Film, den sie im Kino sehen wollten, nicht einig wurden. Ich ertappte Taylor noch einmal dabei, wie er sich aufmerksam umschaute und in die Luft schnüffelte. Irgendwas verschwieg er mir, aber ich konnte mir nicht erklären, was und warum.

 

15. November

So viele Visionen, so viele Gelegenheiten, Tage und Ereignisse, die ich niemals mit dir zusammen erleben kann. Es ist irgendwie merkwürdig dich zu sehen, wenn du älter bist und deinen ersten Freund hast. Deinen ersten Kuss erlebst oder vor dem Altar stehst, mit dem Mann, den du für den Rest deines Lebens lieben willst. Ich bewundere dich und habe gleichzeitig so große Angst um dich, weil ich weiß, wie es für dich sein wird, wenn du die ganze Wahrheit erfährst. Es warten viele Schicksalsschläge auf dich. Tränen und Schmerz werden auch dich manchmal verzweifeln lassen, und ich wünschte, dass ich dich in diesen Momenten in die Arme schließen und trösten könnte, aber ich werde nicht da sein. Ich verspreche auf dich aufzupassen, so wie ich es immer getan habe, aber auch ich kann nicht alle schlimmen Dinge von dir fernhalten. So gern ich es auch möchte.

Ich wünschte, ich hätte dir damals mehr über die Visionen erzählen können. Aber du warst noch zu klein und hättest nicht verstanden, was ich dir sagen will. Es muss ein großer Schock für dich gewesen sein. Ich hoffe sehr, dass das erste Mal keine schlechte Erfahrung war. Mit etwas Schönem zu beginnen, ist viel besser. Aber man kann sich auch das leider nicht aussuchen. Auf den nächsten Seiten werde ich versuchen, dir zu erklären, wie man damit klarkommt. Ich kann dir nicht versprechen, dass du sie eines Tages los sein wirst, aber glaub mir, auch wenn schlimme, traurige und angsteinflößende Visionen auf dich warten, umso mehr werden dich die Schöneren begeistern. Lass dich nicht von ihnen einschüchtern oder zu sehr beeinflussen, denn kein Leben ist vorherbestimmt. Jeder von uns hat die Wahl sein Leben so zu leben und gestalten, wie er es will. Darum verlass dich niemals zu 100% auf die Visionen. Sie sind mehr eine Art Leitfaden, die dir zeigen, dass du ein paar Dinge überdenken solltest, um zu den guten Seiten zu gelangen. Bitte verzeih mir und vergiss niemals, dass ich dich sehr liebe und immer bei dir bin.

 

Schon zwei Freitage danach, direkt nach der Schule sollte der Umzug in unser eigenes Heim starten. Die Ferien würden am nächsten Tag beginnen. Und nur wenige Tage danach, würden wir uns das Ja-Wort geben. Mein Vater hatte versprochen pünktlich Feierabend zu machen, um mir beim Leerräumen meines Zimmers zu helfen und einige der Möbel mit seinem großen Wagen zu transportieren. In der Woche hatten Taylor und ich bereits einen Kaffeetisch, vier Esszimmerstühle, Badmöbel aus Bambus und ein paar Kinderzimmermöbel gekauft und ins Haus gebracht. Unsere Freunde würden bei seinem Zimmer und beim Aufbau der neuen Möbel helfen. Es war so aufregend! Obwohl ich gestehen musste, dass ich wohl nicht viel tun können würde. Mein Bauch ließ Vieles schon nicht mehr zu und ich würde schnell müde werden. „Lils, wo soll der Karton hier hin?“ „Oh, der kommt ins Schlafzimmer. Oben, zweite Tür rechts.“ Ich war gerade dabei die Küchenschränke von innen zu säubern und saß auf dem Boden, weil knien nicht ausreichte um in die hintersten Winkel zu gelangen, da hörte ich den lauten Wagen Jamies. Kurze Zeit später stieß jemand die Tür auf, um zwei Kartons ins Haus zu jonglieren. „Schatz, warte! Nein, nicht da. Ja, geradeaus, noch ein Stück. Gut, hinstellen!“ Mia hatte ihm Anweisungen gegeben und klopfte ihm auf den Rücken, nachdem sie eine Kiste voller Stoffe neben ihm abgestellt hatte. „Lilly? Wir sind jetzt da!“ „Ich sehe es!“ Beide erschraken und wandten sich zu mir um. „Wärt ihr so lieb, mir aufzuhelfen?“ Jeder reichte mir eine Hand und sie zogen mich auf die Füße. „Danke, das hätte sonst länger gedauert.“ Jamie grinste und machte dann Carly, Sean und Taylor, die ein langes Brett schleppten, und Kenneth, der die Matratze trug, Platz. Letzterer begrüßte mich freudig. „Wie geht es meiner Schwiegertochter und meinem Enkelkind?“ Er ließ die Matratze einfach achtlos zu Boden plumpsen und trat lächelnd zu mir. Ich sah noch aus dem Augenwinkel, wie seine Söhne fassungslos lächelnd die Köpfe schüttelten, ehe sie ins obere Stockwerk verschwanden. „Wir sind beide mächtig aufgeregt und das Enkelkind ärgert seine Mami gerade“, meinte ich und stemmte eine Hand in die Seite. „Darf ich?“ Ich nickte nur und ließ ihn seine Hand auf den Bauch legen. Gerade in dem Moment trat es heftig zu. „Ist wohl richtig was los da drin. Ist irgendwas?“ „Eigentlich nicht.“ Taylor kam mit meinem Vater wieder runter, beide fachsimpelten über den organisatorischen Ablauf. „Rein logisch betrachtet würde ich mit dem Schlafzimmer anfangen und dann im Bad weiter machen, aber ich habe noch nicht alles ganz genau inspiziert, sodass es sein kann, dass mehrere kleine Baustellen in der Küche sind. Ausbauarbeiten und ein paar Schönheitsfehler bereinigen, weißt du?“ „Ja. Aber da kann ich den Mädels unter die Arme greifen. Sean kann doch das Bad übernehmen und Jamie mit Ken das Schlafzimmer. Wir sind doch alle ganz gut im Schrauben und Hämmern.“ „Gut, dann machen wir erst die Autos leer. Von Lilly habt ihr alles hier?“ „Ein paar kleine Kisten sind noch zu Hause, aber die Möbel ja.“ Ich stand schweigend daneben und wartete auf Anweisungen. Genau wie Carly. „Alles gehört, ihr beiden?“, fragte Taylor und ich salutierte vor ihm. „Schön, dann richten wir mal unser Zuhause ein, oder?“ Sein breites Grinsen ließ mich kurz aufseufzen.

Kelly und Elli hupten, als sie zu uns stießen. Sie hatten beide noch einen Termin gehabt, waren aber früher da, als eigentlich erwartet. Wie bereits vermutet, konnte ich nicht viel tun. Hauptsächlich beschäftigte ich mich mit dem Einräumen der Schränke, dem Zureichen von Gegenständen und Werkzeug und kümmerte mich nun um das leibliche Wohl. Es war Zeit für das Abendbrot und ich hatte das Chili fast fertig. Kenneth hatte uns einen alten Esstisch überlassen, den Taylor gestern Abend abgeschliffen, neu gebeizt und lasiert hatte und der jetzt perfekt in die braun-dunkelgrüne Küche passte. Carly half mir ein paar mehr Sitzgelegenheiten zusammen zu sammeln. Stühle hatten wir nicht genug für so viele Helfer. „Verfluchte Scheiße!“, brüllte Taylor plötzlich von oben und alle blickten von ihren Arbeiten auf. Er hatte sich als Verantwortlicher für das Kinderzimmer erklärt und war die ganze Zeit eher ruhig bei der Arbeit gewesen. „Alles in Ordnung, Schatz?“ Zuerst nichts, doch dann kam er, die linke Hand bzw. die untere Hälfte seines Daumens im Mund, nach unten. „Was ist passiert?“ „Der Schraubenzieher hat den Kampf gewonnen“, presste er hervor, den Finger noch immer zwischen den Lippen. Ich zog ihn ans Spülbecken und besah mir die ganze Geschichte. Er musste ordentlich abgerutscht sein. Ein langer tiefer Riss zog sich von der Daumenmitte bis fast zum Handgelenk hinunter. „Der Verbandskasten ist im Wirtschaftsraum, komm! Und ihr fangt doch alle schon zu essen an. Haut ordentlich rein!“ Die Meute stürzte sich auf das Chili, als ich hinter uns die Tür schloss und das Licht anknipste, weil es jetzt dunkel draußen wurde und das Licht, das durch die Fenster fiel, nicht mehr ausreichte, um den Raum genug zu beleuchten. „Wieso bist du denn abgerutscht?“ „Da sind so winzige Schrauben beim Kinderbett bei… Das hätte ich nie für möglich gehalten, dass so ein kleines Bett so viel Arbeit macht. Der Schrank und der Wickeltisch waren viel einfacher!“ Ich sah prüfend zu ihm und seiner Hand. „Halt die Hand noch ein bisschen unters Wasser“, wies ich ihn an und kramte die Mullbinden und eine Kompresse hervor. „Wieso hast du nicht einen von den Männern um Hilfe gerufen?“ „Haben doch alle genug zu tun.“ „Was nicht heißt, dass sie dir nicht helfen würden… Fragen kostet doch nichts. Sie hätten dir schon gesagt, wenn es nicht ginge.“ Ich setzte mich vor ihn, bedeckte meinen Schoß mit einem alten Handtuch und legte dann seine Hand darauf. Das Bluten hatte nachgelassen und ich säuberte die Wunde. „Und wie geht es dir?“ „Ich würde gerne etwas hilfreicher sein, aber ich bin brav und begnüge mich mit dem, was im Rahmen des Möglichen liegt. Beweg mal den Daumen, geht das?“ „Ja. …Ich bin froh, dass du brav bist.“ „Das war mir klar.“ Ich widmete mich wieder der Wunde und meinte: „Wir schlafen heute Nacht doch schon hier, oder?“ „Das war eigentlich der Plan, ja. Soweit ich weiß, ist das Schlafzimmer auch gleich fertig. Die Nachttische fehlen nur noch und die Klamotten müssen wir noch in die Schränke einräumen, aber das Bett steht.“ „Schön. Mir ist aufgefallen, dass wir unbedingt ein oder zwei Bücherregale mehr brauchen. Zusammen haben wir eine ganz beachtliche Sammlung. Aber das kann auch bis nächste Woche oder bis Januar warten. Einmal die Hand hoch. Gut. Drehen… Geht es so? Oder ist es zu fest?“ „Nein, super.“ „Okay. Fertig.“ Ich packte das übrige Verbandszeug weg und wandte mich dann zu Taylor. Wir grinsten uns gleichzeitig an. „Geht es dir auch so unbeschreiblich gut? Ich könnte die ganze Zeit Freudensprünge machen, weil das hier wirklich unser Zuhause ist. Wir werden ab sofort allein hier wohnen. Das ist so toll!“ „Gott sei Dank. Ich dachte schon, nur ich hätte so ein Gefühl. Aber mit jedem weiteren Möbelstück das steht, werde ich aufgeregter. Wir haben schon eine Nacht hier verbracht, das weiß ich, aber die heute wird viel besser werden. Da bin ich mir sicher!“ Ich drückte mich kurz an ihn und wir standen einfach nur da. „Danke noch mal. Ich bin wirklich froh, dass du wegen des Hauses alles so in die Wege geleitet hast. Ich hätte es mir nie verziehen, wenn wir nicht hier eingezogen wären.“ „Gern geschehen.“ Er zog mein Kinn zu sich nach oben und küsste mich sanft. „Du musst am Verhungern sein, Schatz. Komm, ehe die Anderen alles weg essen!“ Taylor stemmte sich gegen die Tür. Er stand nah hinter mir, eine Hand am Holz, die andere berührte meine Hand. Ein leises Klicken verriet, dass er das Licht ausgeschaltet hatte. Ich blickte auf das dunkle Grün vor mir, betrachtete die Maserung und atmete ruhig weiter. Er hauchte mir ins Ohr: „Ist mir egal. Sollen die ruhig futtern. Ich möchte noch ein paar Minuten mit dir hier verbringen.“ Er strich mir die Haare aus dem Nacken und küsste ihn. „Wieso?“, japste ich und drückte seine Hand fester. „Wieso nicht?“ „Weil wir ab sofort doch jeden Abend nur für uns haben werden.“ „Stimmt schon, aber du willst auch noch nicht weg, hab ich nicht Recht?“ Seine andere Hand berührte sanft meinen Bauch und er kannte meine Antwort bereits, sodass ich mir gar nicht erst die Mühe machte, meine Stimme wieder zu finden. Tat es dann aber doch: „Du bist unmöglich!“ Ich konnte förmlich fühlen, wie er mit den Schultern zuckte.

 

Drei Stunden später verabschiedeten sich unsere Freunde und nur Sean, Carly, Kenneth und mein Vater blieben mit uns zurück. Die beiden Letzteren verstauten ihr Werkzeug in den Autos, während Sean und Taylor kurz nach oben verschwunden waren und Carly mir beim Abtrocknen half. „Es ist wirklich ein wunderschönes Haus.“ „Ich bin auch mächtig froh, dass Taylor alles arrangiert und nicht auf mich gehört hat.“ „Glaub ich gern. Aber für deinen Vater wird es von nun an schon komisch sein, so allein im Haus…“ „Ja, oder? Ich hoffe, er gibt mir nicht all zu sehr die Schuld daran.“ „Ach was, er kann doch genauso froh darüber sein, dass ihr hierher zieht. Es hätte ja auch weiter weg sein können, aber in derselben Stadt… Das wird er schon überleben. Und außerdem bist du alt genug, schwanger und wirst bald heiraten. Ewig wärst du doch nicht bei ihm wohnen geblieben.“ „Mag sein, aber ich werde ihn echt vermissen. Es hatte etwas Beruhigendes zu wissen, dass mein Vater im unteren Stockwerk war. Aber Taylor gibt mir dieses Gefühl sogar noch einige Male mehr.“ „Sean und ich haben auch schon ein wenig über die Zukunft gesprochen…“ „Tatsächlich?“ „Ja. Ich liebe ihn sehr und jeder Tag mit ihm bedeutet mir so unglaublich viel. Aber wem erzähl ich das?“ Ich legte das Geschirrtuch beiseite, nahm ihre Hände und meinte: „Carly Simmons, ich bin mir ganz sicher, dass du ein wundervolles Leben vor dir hast. Und ich bin wahnsinnig froh, dass ich ein Teil davon sein darf.“ „Ein großer Teil. Danke, Süße!“ „So, ich mach mich dann mal auf den Heimweg. Wenn morgen noch was sein sollte, die Nummer kennst du ja“, sagte mein Vater und blickte mich aus traurigen Augen an. „Vielen lieben Dank, dass du noch nach der Arbeit geholfen hast.“ „Kein Thema!“ „Du weißt, dass du mir sehr fehlen wirst, oder? Ich hab dich unglaublich doll lieb, Dad. Und ich, nein wir, werden dich oft besuchen kommen.“ „Ich hab euch auch lieb, Schatz. Aber du bist nicht aus der Welt und irgendwann zieht jedes Kind von zuhause aus. Ich kriege das hin!“ Sean kam ebenfalls hinunter und fuhr dann mit Carly zu dieser nach Hause. Kenneth packte noch ein paar leere Kartons in sein Auto und machte sich dann auch auf den Weg. Als ich hinter ihm die Tür schloss und den Schlüssel herumdrehte, herrschte eine ganz andere Stimmung im Haus. „Taylor, wo steckst du?“ „Im Kinderzimmer.“ Langsam stieg ich die Treppe hinauf, ließ meine Finger sachte über das Geländer streichen und begann zu lächeln. Es war wie in so vielen Träumen von mir. Dasselbe Gefühl. Als ich dann die Tür öffnete, die zum Kinderzimmer führte, stockte ich ihm Türrahmen. „Schatz…“ Es verschlug mir die Sprache und ich legte eine Hand über den Mund. „Ich wollte dich unbedingt überraschen…“ Er hatte tatsächlich das ganze Kinderzimmer fertig. Vor einer Weile hatten wir uns auf ein hübsches Grün geeinigt, weil das für Mädchen und Junge passte, das er jetzt an die Wände gebracht hatte. Das Gitterbettchen, die Kommode und der Wickeltisch waren in dunklem Wallnussholz und passten wunderbar zur Wandfarbe. Er hatte die weißen Vorhänge an die zwei Fenster angebracht, einen hellen kuschelweichen Teppich verlegt, Regalbretter angebaut und einen cremefarbenen weichen Sessel mit kleinen grünen Punkten hineingestellt. Und dann fiel mein Blick auf ein offenes hohes Regal, wo all unsere Kinderbücher aufgereiht worden waren. Das Brett, das bisher in meinem Zimmer gewesen war, auf dem wir den monatlichen Umriss meines wachsenden Bauches festgehalten hatten, hatte er neben der Tür angebracht. „Es ist wundervoll geworden, Taylor. Noch viel besser als das, worüber wir gesprochen hatten.“ „Schön, dass es dir gefällt.“ „Gefallen? Ich liebe es. Hier wird sich unser Kind sehr wohl fühlen.“ Er legte einen Arm um mich und ich lehnte mich an ihn. Und nun war mir auch klar, warum er unbedingt dieses Zimmer übernehmen wollte und ich ihm dabei nicht helfen sollte. „Was hältst du davon, wenn wir jetzt schlafen gehen?! Du siehst müde aus und ich bin auch echt geschafft.“ „Ja.“ Taylor hatte Recht, mir fielen fast die Augen zu, obwohl ich selbst gar nicht viel getan hatte. Was eine Schwangerschaft alles so änderte, wurde mir erst nach und nach bewusst. Als wir uns bettfertig gemacht hatten, standen wir beide vor dem großen Bett und grinsten einander an. „Auf Drei?“, fragte ich und er nickte. „Eins, zwei…“ „Und drei!“ Wir schlugen die Bettdecke zurück und krochen darunter. Ich kuschelte mich ganz nah an ihn und Taylor streichelte meinen Arm. „Daran gewöhn ich mich bestimmt schnell“, wisperte er und ich schloss die Augen, um sein Aftershave besser riechen zu können. „Ich liebe dich!“ „Danke…“, murmelte ich und war kurz davor einzuschlafen, sodass ich seine Worte schon gar nicht mehr richtig mitbekam. „So müde bist du?“, fragte er amüsiert. „Und dabei habe ich gar nicht viel getan.“ „Na ja, den ganzen Tag einen kleinen Menschen mit sich herumzutragen, raubt einem bestimmt viel Energie…“ „Mhm.“ „Schlaf gut, mein Schatz.“ Noch ehe ich dazu kam, ihm zu antworten, war ich bereits ins Land der Träume gefallen.

 

Es klopfte und er ging, die Toaststulle im Mund, die Tür öffnen. „Daniel, guten Morgen. Was führt dich her?“ „Ich habe gestern noch mein Arbeitszimmer durchgesehen und einige Sachen von Lils gefunden. Ich wollte es gleich vorbei bringen. Ich hoffe, ich störe nicht. Die restlichen Kartons sind auch im Wagen.“ „Aber nein.“ Er hielt die Tür weit auf und sein zukünftiger Schwiegervater trat ein. „Ist sie gar nicht da?“, fragte Dan, als er sah, dass sich Lilly nicht im unteren Stockwerk befand. „Sie schläft noch. Neuerdings braucht sie immer ein wenig mehr Zeit, um in die Gänge zu kommen.“ „Ich komm dann später noch mal…“ „Sei nicht albern. Willst du einen Kaffee?“ „Gern.“ Das liebte er so an Daniel Connor. Er war ein ziemlich zurückhaltender Mensch, der sich niemandem aufdrängen wollte. Aber wenn er jemanden mochte, ließ er sich nicht lange bitten. Taylor gefiel es, sich einfach mit ihm hinzusetzen und über Gott und die Welt zu sprechen. Manchmal saßen sie auch nur stundenlang nebeneinander, in stillschweigender Einkunft. Wenn Lilly von ihrer Mutter erzählte, dann war ihm klar, warum die beiden Eheleute ein so tolles Team gewesen waren. Die beiden hatten sich perfekt ergänzt. Ihre Mutter war wohl ein lebhafter, optimistischer Mensch. Ihr Vater hingegen der schweigsame Realist, der sie am Boden gehalten hatte, wenn das Temperament mit ihr durchgegangen war. Was Lillys Erzählungen nach oft der Fall gewesen sein sollte. Er wünschte, er hätte sie kennen lernen können, als sie noch lebte. „Du hast tatsächlich eine große Sammlung an Büchern“, erkannte Dan an und erhob sich, um sich die Buchrücken anzusehen. „Von Lilly sind doch auf welche dabei.“ „Schon, aber solche Fachliteratur hat sie nicht besessen. Interessiert dich Genetik?“ „Ja, ich finde es echt spannend. Was wir alles so von Generation zu Generation weiter tragen, nur weil ein paar Zellen diese Dinge speichern.“ „Ich habe dich noch gar nicht gefragt, was du später vorhast?!“ „Mh?“ „Nach der High School. Ich schätze, Lils wird erstmal wegen dem Baby aussetzen und später aufs College gehen, aber du könntest doch studieren. Soweit ich weiß, sind deine Noten doch auch klasse.“ „Ich habe keine Ahnung. Sicher, so mit Biologie und Naturwissenschaften könnte ich mir schon was vorstellen. Aber ich hab es da nicht so eilig.“ Er verschwieg absichtlich, dass er bereits ein paar College-Zusagen hatte. Solange er das nicht genau mit Lilly abgesprochen hatte, würde er das keinem erzählen. Daniel schien ein wenig enttäuscht. „Leg nicht alles auf Eis, versprich mir das. Die Möglichkeit besteht, also lass dir das nicht nehmen. Ich weiß, dass du sie liebst und das finde ich toll, wirklich. Ich wünsche euch nur das Beste, aber verbau dir nicht die Chance auf einen Collegeabschluss, okay?“ „Versprochen!“ Dan nickte. Am liebsten hätte er ihm jetzt dankbar die Hand gereicht, aber er hörte, wie oben eine Tür ins Schloss klickte und spürte dann den Herzschlag Lillys, der langsam auf Trab kam. Sie hatte in letzter Zeit richtig Probleme aus dem Bett zu kommen und war abends die Erste, die beim Fernsehen oder ins zu Bett gehen, einschlief. „Guten Morgen, Dad. Hattest du schon Sehnsucht?“ „Na klar. Und ich hab noch ein paar Dinge in meinem Arbeitszimmer gefunden, die ich dir bringen wollte.“ „Nett von dir, danke.“ Sie schnüffelte ganz vorsichtig in die Luft und erinnerte ihn dabei an sich selbst, wenn er draußen im Wald umherstreifte und nach Anzeichen von neuen Wölfen suchte. „Kaffee?“, fragte sie leise und man sah, wie es hinter ihrer Stirn arbeitete. „Ja.“ Daniel sah den beiden zu und runzelte die Stirn. Er konnte sich nicht erklären, warum seine Tochter so eine Frage stellte und nicht einfach auf die Maschine zustürzte, wie sie es sonst tat. Lilly richtete ihr Shirt, dass sich leicht über die süße Kugel an ihrem Bauch spannte und seufzte resignierend. „Ich mach dir einen Tee, ja?“, fragte er sicherheitshalber und sie blickte ihn traurig an. „Okay.“ Während sie zum Kühlschrank schlurfte und den Aufschnitt hervorkramte, setzte er den Wasserkessel auf. „Gut, ich verstehe gar nichts mehr.“ Und genauso sah Daniel auch aus. „Dr. Bennet meinte, dass ich durchaus ein oder zwei Tassen Kaffee trinken dürfte, aber ich sollte meine sonstige Tagesration nicht beibehalten. Daher muss ich mir jetzt immer genau überlegen, wann ich eine Tasse davon trinke. Meist mach ich das zur Kaffeezeit und dann noch abends nach dem Abendbrot. Aber es kostet mich immer totale Überwindung. Ganz furchtbar ist es, wenn Taylor einen getrunken hat und ich ihn dann küsse. Dann schmecke ich den noch.“ Sie ließ sich auf den Stuhl am Küchentisch plumpsen und bestrich ihren Toast mit Butter. Ihr Vater setzte sich zu ihr und zog langsam ein kleines dickes Buch hervor, dass in einen lilafarbenen Lederbezug eingebunden war. „Was ist das?“, fragte sie und legte das Messer beiseite. „Ich würde dir gerne die Geschichte erzählen, wie ich deine Mutter zum ersten Mal kennen lernte.“



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