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No Princess

von

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Ein haarbreit Hoffnung

Annas Füße waren träge, als sie durch die Flure lief. Die Zwillinge folgten ihr, schienen glücklich zu sein, sprachen aber nicht. Wahrscheinlich waren sie der menschlichen Sprache einfach noch nicht mächtig. Die platschenden Geräusche ihrer nackten Füße hallten über den Dielenboden durch die Gänge. Sie folgten Anna zu ihrem Zimmer, betraten es aber nicht, wahrscheinlich wegen dem Miasma. Das Zimmer wirkte dunkel, fast schwarz, obwohl es gerade mal früher Nachmittag war. Die Äffchen stellten die Tabletts mit den Speisen ab und verabschiedeten sich. Die Königin brachte das Essen in das Zimmer und schloss die Tür hinter sich ab. Sie wollte keinen sehen. Sie wollte nur einen sehen. Manchmal fragte sich das Mädchen, ob Adam sie von den Schatten der Winkel und Ecken in diesem Zimmer beobachtete, ob er immer noch auf sie aufpasste. Sie fühlte sich nicht ganz, wenn er nicht da war.

Seufzend glitt das Mädchen wieder unter die Bettdecke und starrte an das verzierte Holz, das Sun Wukongs Geschichte erzählte. Die Blume neben ihr spendete ein bisschen Licht. Ab und zu flackerte es, als die Blüte zuckte. Annas Blick wandte sich der kleinen Pflanze zu. Die Knospe war auf jeden Fall größer geworden. Vielleicht brachten die Küsse doch etwas? Sie beugte sich vor, führte die Knospe an ihre Lippen und küsste das kostbare Pflänzchen. Dass ihre Kraft schrumpfte war weder Shiros Schuld, noch die der Pflanze. Anna vertraute Toki – er würde ihr keine Pflanze andrehen, die Anna letztendlich leer saugen würde. Oder vielleicht war es so? Zweifel kamen auf. Er hatte Anna nie wirklich die Pflanze anvertraut, stattdessen hat er lieber seine eigene Lebensenergie benutzt, bis er ins Koma fiel. Vielleicht, damit die Königin eben jenes nicht tun würde?

Die zarten Fasern der Blüten streichelten über Annas Fingerkuppen, als sie sich von der Pflanze trennte. Das einzige, was Anna tun konnte, war hoffen. Hoffen, dass sie die richtige Entscheidung traf, dass ihre Kräfte nicht wegen der Pflanze schwanden und die anderen, restlichen Leute, die sie kannte und liebte, nicht auch noch verschwinden würden. Vor allem Toki schien in einer unglaublichen Gefahr zu schweben. Anna stand ruckartig auf. Wieso lag sie hier herum und blies Trübsal, während Toki in Lebensgefahr war?

Sie küsste die kleine Blüte noch einmal, zog sich ihre Hausschuhe wieder an und begab sich Richtung Tokis Zimmer. Es dauerte eine Weile, bis sie die ganzen Gänge durchschaut und die richtigen gefunden hatte. Tokis Zimmer war nicht verschlossen gewesen – leise trat das Mädchen ein und schloss noch leiser die Tür hinter sich. Niemand außer den beiden war da.

Toki lag immer noch stocksteif im Bett. Er war nicht mehr so leichenblass wie vorher, dennoch sah er sehr krank aus und schien nicht all zu bald wieder aufzuwachen. Still seufzend setzte sich Anna auf die Bettkante und streichelte über die trockene, kühle Stirn des Elfs. Es hatte fast den Anschein, als würde er schlafen. Ihm fehlte Lebensenergie oder? Annas Kräfte begannen zu schwinden. Wenn es wirklich dazu kommen würde, dass sie sich komplett auflösten und alle sie verlassen würden, dann könnte sie wenigstens eine Sache noch tun oder?

Anna beugte sich vor. Ihre Lippen berührten die sanfte, spröde Haut, die sie gerade noch gestreichelt hatte. Mit all ihrer Kraft hoffte sie auf ein kleines Wunder. Ein Wunder, dass es Toki ermöglichen würde, wieder aufzuwachen. Seine strahlend blauen Augen zu öffnen, Anna anzugrinsen und zu begrüßen, als wäre nichts passiert. Sie wusste ganz genau – selbst wenn jeder gehen würde, würde Toki bei ihr bleiben. Es war einfach das Vertrauen in dieses treue, liebevolle Herz, dass er besaß, und Anna hoffen ließ. Als das Mädchen ihre Augen öffnete, starrte sie auf die langen, schönen Wimpern Tokis Augenlider. Er schlief weiter. Anna wusste nicht ob sie lächeln oder weinen sollte. Bei all ihren Erwartungen war es doch immer noch klar, dass ein Kuss ihn nicht aufwecken würde. Das hier war kein Märchen, in dem die Prinzessin durch einen Kuss urplötzlich wieder auf den Beinen stand und quietschfidel war. Das Bett knarzte leicht, als Anna sich wieder zurück lehnte. Sie wischte sich mit einem Finger am Auge entlang, um ihre Tränen davon abzuhalten, raus zu kommen. Sie durfte nicht weinen, sie musste stark sein. Aber für wen musste sie eigentlich stark sein? Für sich? Für Adam? Für die Leute, die Erwartungen in sie steckten? Für die Leute, die sie ausnutzen wollten?

Das Zimmer war genau so dunkel, wie als Anna es verlassen hatte. Shiro war nicht wieder gekommen. Die Glockenblume tänzelte leicht, als Anna zurück zum Bett lief und sich wieder hin legte. Stark sein war nicht einfach. Tatsächlich stellte sie sich gerade die Frage, wie man überhaupt stark sein konnte. War es Gewalt? War es Willenskraft? Musste man sich einfach nur sagen 'Ich mach das jetzt' und wenn man daran scheiterte, solange weiter probieren, bis es schließlich mit Erfolg gekrönt wurde? Das Mädchen wälzte sich herum. Ihr Blick war auf die Blume fixiert, die immer noch sachte hin und her schwang. Es steckte Leben in diesem kleinen Pflänzchen, dachte Anna sich. Leben, das für den Fortbestand der Feen und Elfen entscheidend war.

Eine Flutwelle aus Erinnerungen schwappte erneut durch Annas Gedanken. Wie Akira sie angeschaut hatte, die Gewaltbereitschaft, die er gezeigt hatte… Sie war wie ein kleines Mädchen vor ihm zusammen gezuckt. Da war sie schwach gewesen. Als sie den Streit zwischen ihm und Kai beendet hatte, war sie da stark gewesen? Das Blümchen erzitterte, als würde es Anna für einen Moment auslachen.

Am nächsten Morgen griff das Mädchen sofort zum Handy. Irgendwann war sie eingeschlafen und sie kreuzte ihre Finger, während sie nach dem Datum auf dem Smartphone spähte. Es war nur eine Nacht verstrichen. Alles okay. Als nächstes begutachtete die Königin die Blume: Still und ohne jegliche Bewegung hing die Knospe immer noch geschlossen an dem Stiel. Allerdings war sie jetzt faustgroß, bestimmt das Dreifache ihrer gestrigen Größe. Ein triumphierendes, aber müdes Grinsen machte sich auf Annas Gesicht breit. Als nächstes war ihr Rücken dran. Hastig zog sie das Shirt über die Schultern und rannte zum Spiegel, um ihren Rücken zu begutachten. Ihre Haare fielen ihr über die Schultern und tatsächlich, musste Anna schmerzhaft feststellen, tatsächlich war ihr Tattoo merkwürdig klein geworden. Es schien sich in der Mitte ihres Rückens zu zentrieren, als würde es seine Fänge aus Annas Schultern lösen und wieder einfahren. Bei diesem Gedanken blätterte Anna die Haare wieder über ihren Rücken, um ihre Schultern zu begutachten. Die kleine Linie, die sie beim Date mit Kai entdeckt hatte, war immer noch da. Tatsächlich war sie sogar gewachsen: Sie breitete sich vom Schulterblatt aus über ihr Schlüsselbein. Die Linie war nicht breiter als eines von Annas Haaren, aber sie hielt daran fest, dass es wirklich eine Linie ihres Tattoos war und keine merkwürdige Schlaffalte. Wenn das stimmte: Wuchs das Tattoo einfach an anderen Stellen weiter? War es fertig mit ihrem Rücken? Sofort sprang Anna aus ihren Klamotten, um weitere Anzeichen von Linien im Spiegel zu finden. Doch nichts. Egal, welche Pose Anna einnahm, sie konnte nichts finden. Gerade in diesem Moment flog die Tür auf. Erschrocken drehte sich Anna um. Erschrocken sah Kai sie an, machte auf dem Absatz kehrt und wollte wortlos wieder gehen, doch Anna sprang auf ihn zu und zog ihn ins Zimmer.

„Kai.“ sie sah ihn mit weit aufgerissenen, kristallblauen Augen an.

„Ich hab' nichts gesehen.“ sagte der junge Mann sofort, schloss die Augen und sein Gesicht bildete den perfekten Farbübergang von rot nach violett in seine Haaren.

„Kai, guck' hin.“

„Nein.“ Er weigerte sich immer noch. Nun schlug er sich die Hände vor die Augen und richtete den Kopf an die Decke. Anna packte sich Kais Gesicht und führte es an ihre Schulter.

„Mach' die Augen auf und sag mir, dass du das siehst.“ Ihre Stimme war ein kaltes, aufgeregtes Flüstern geworden. Unweigerlich öffnete Kai seine schwarzen Augen einen Spalt breit und begutachtete Annas Brüste… Natürlich Schulter. Eine feine, schwarze Linie zog sich über Annas Schulter über das Schlüsselbein und endete in kleinen Schnörkeln. Sofort öffnete Kai die Augen vollends und zog Annas Schulter näher an sich heran.

„Du siehst es oder?“ fragte das Mädchen aufgeregt. Ihr Herz raste vor Spannung, ihr Blut floss schwallartig durch ihre Venen. Kai spürte es sofort und ließ die Schulter los, um Abstand zu gewinnen. Er drehte sich weg.

„Ich sehe es. Aber zieh dir bitte was an.“ murmelte er eingeschüchtert.

„Du darfst es nicht den anderen sagen.“ sagte Anna sofort bestimmt und drehte sich erneut dem Spiegel zu, Kais Bitte ignorierend, um die Linie zu mustern.

„Wieso nicht? Alle machen sich Sorgen, dass du die Kräfte verliert.“ Kais Stimme wurde immer leiser, während er Annas nackten Rücken und Po anstarrte. Das Tattoo, das sich einst über ihren ganzen Rücken mit feinen Linien erstreckte, war dichter und kompakter, aber halt auch kleiner geworden.

„Nein. Sie dürfen es nicht wissen. Wenn ich mich in jemanden verliebe, soll es jemand sein, der mich auch ohne diese Macht lieben würde.“ Anna war begeistert. Nichts hatte sich geändert, rein gar nichts. Sie war weiterhin die Königin. Kai verzog sein Gesicht.

„Und da ich es weiß, fall' ich automatisch raus oder was?“ fragte er schmollend, drehte sich um und warf Anna Kleidung entgegen, welche sich letztendlich durch den ganzen Raum verteilte.

„Natürlich nicht.“ grinste Anna selbstbewusst. „Das macht es nur zu unserem kleinen Geheimnis.“ Wann war sie das letzte Mal so motiviert gewesen? Feuer pochte in ihrem Herzen.

Erneut flog die Tür auf und Mirai stand im Raum. Sein Blick glitt über den Fußboden und das Bett, wo Annas Wäsche überall verteilt lag, dann zu Anna, die nackt vor dem Spiegel stand und letztendlich blieb er bei Kai hängen, der gerade bemüht war, Annas Unterwäsche einzusammeln. Nie hätte man gedacht, dass dieses braune Gesicht jemals so weiß werden könnte.

„Du… Sie… Du-“ begann Mirai, völlig losgelöst und heiser. Anna drehte sich um. Sie wurde knallrot.

„RAUS!“ schrie sie sofort und bedeckte ihre Schultern und Brüste mit ihren Händen.

„WIESO KAI?“ brüllte Mirai los und warf die Tür hinter sich ins Schloss. Kai stand auf.

„Nichts ist mit Kai! Beide raus!“ schrie Anna zurück und lief seitlich zum Bett, um nach der Bettdecke zu schnappen und sie sich um den Körper zu wickeln.

„DAS KANN NICHT DEIN ERNST SEIN! Also bist du doch verliebt!“ Mirai war komplett außer sich. Kai machte einen Schritt auf ihm zu, was ihm damit gedankt wurde, dass der Affenkönig ihn an den Schultern packte, bereit um zuzuschlagen.

„Ich hab' nichts mit Kai gemacht, er hat mich nur überrascht und dann wollte er mir Kleidung geben, also lass' gut sein! RAUS JETZT!“ Kai zerrte den murrenden Mirai aus der Tür in den Gang und schloss die Tür hinter sich.

„Sie wollte nur wissen, ob ihr Tattoo wirklich geschrumpft ist.“ erklärte Kai leicht eingeschüchtert, denn Mirai war alles andere als zufrieden. Sein Gesicht hatte an Farbe wieder gefunden – wutentbrannte Röte stieg ihm bis unter die Augen und er starrte Kai an, als wolle er ihn töten.

„Ist ja schön, wie ihr beide einfach los lügen könnt.“ knurrte er wütend und schleuderte Kai an die gegenüberliegende Wand. „Ein scheiß Vampir wie du soll eine Königin abkriegen? Ich glaub' es hackt.“ fauchte er.

„Sie ist keine richtige Königin, wenn sie keine Macht mehr hat, oder?“ gab Kai gehässig zurück und schlug die Hand weg, die sich an seinem Kragen festhielt.

„Das hat damit nichts zu tun. Ich überlass' dir Anna nicht. Geh' irgendein Menschenweib vögeln oder aussaugen, aber sie wird nicht zu deiner Sklavin.“

„Was ist hier los?“ Ren tauchte auf. Erneut sah er, wie jemand Kai an die Gurgel wollte, und seufzte.

„Dieser Perverse hat Anna nackt gesehen!“ schrie Mirai sofort, packte Kai am Kragen und zerrte ihn vor Ren. Dieser hob kurz die Augenbrauen, musterte Kai und wandte sich dann an Mirai.

„Und? Hat er ihr Blut getrunken oder sie entjungfert?“ Ren war mehr als kühl, als er das fragte. Mirai war immer noch rot vor Zorn, doch ihm fiel keine Antwort ein. „Er hat kein Blut an sich und wenn er Anna ins Bett gekriegt hätte, hätten wir es gespürt. Es war bestimmt nur ein Missverständnis.“ nahm Ren Kai in Schutz und löste den starken Griff Mirais. Kai richtete sich sein Hemd.

„Sag' ich doch.“ murmelte er teilnahmslos und begann, zu gehen.

„Allerdings, Kai, finde ich es doch etwas verstörend, dass du solche Einblicke bei Anna hast. Lass das. Du sollst nachts nur auf sie aufpassen.“ ermahnte ihn Ren ein letztes Mal, doch Kai schaffte es, das zu ignorieren. Immerhin hatte er eine Sache, die ihn bei Laune hielt: ihr kleines Geheimnis.

Nichts konnte Anna an diesem Tag mehr aus der Fassung bringen. Vergnügt saß sie am Frühstückstisch, wuschelte Shiro liebevoll zur Begrüßung durch die Haare und verschlang einen Bissen nach dem anderen. Akira lief an ihr vorbei, wollte etwas sagen, schwieg dann jedoch und lief weiter. Anna hatte ihr Frühstück innerhalb von zehn Minuten hinunter geschlungen und sprang auf.

„Shiro, wir gehen zu deinem Papa.“ grinste das Mädchen breit. Shiro schaute kurz zu Anna, musterte sie, erhob sich dann und lief mit schuldvoller Miene Richtung Flur, um sich die Schuhe anzuziehen.

„Können wir mitkommen?“ fragte Mirai nervös. Anscheinend gefiel ihm die Idee nicht mehr, Anna alleine zu lassen.

Mit einem strahlenden Lächeln drehte sich Anna im Rahmen der Haustür um, musterte Mirais nervöse Miene und lachte: „Nein.“

Der Weg zum Alpha war genau so, wie Anna es in Erinnerung hatte: Gewundene Pfade, gepflastert mit dicken Ästen und Schlingpflanzen, pure Natur eben. Shiro führte den Weg an und nach einer halben Stunde fanden sich die zwei auf der alten Lichtung wieder, auf der Silver anscheinend gerade ein Nickerchen machte. Als Anna die Lichtung betrat öffnete Silver eines seiner dunklen Augen.

„Oh, wenn das nicht unsere Königin ist.“ brummte die tiefe Stimme und Anna spürte, wie der Boden unter dem Bass erzitterte.

„Hallo, Silver.“ Das Mädchen setzte sich auf den Boden vor ihm, streichelte ihm kurz über die Tatze, die so groß war, wie ihr ganzer Torso und verfiel dann in ein Schweigen. Bedrückt ließ Shiro sich neben Anna nieder.

„Was hast du mit meinem Sohn gemacht?“ knurrte der Wolf beim Anblick der erbärmlichen Gestalt.

„Oh, er wollte sich gestern prügeln und ich hab's unterbunden.“ lachte Anna.

„Wenn du deshalb hier bist… Ich misch mich nicht in deine Erziehung ein.“ seufzte der Alpha genervt, legte seinen Kopf wieder auf die Pfoten, schnaufte, und schloss die Augen. Als er die Luft durch seine Nase ausblies wurde Anna von einer frischen Böe erfasst. Seine Nase lag direkt vor ihrem Gesicht.

„Nein. Deswegen bin ich nicht hier.“ Shiro blickte Anna verwirrt an. Anscheinend hatte er wirklich damit gerechnet, jetzt auch noch einmal von seinem Vater gerügt zu werden. Als Silver nicht nach fragte, was nun Anna eigentlich konkret wollte, fuhr sie fort: „Du hast mir deine Treue geschwören. Deine und die deines Rudels.“ begann das Mädchen mit einem stetigen Lächeln. Silver öffnete seine Augen wieder einen Spalt breit und brummte.

„Ja. Brauchst du uns?“ fragte er leise. Doch Anna schüttelte den Kopf.

„Nein. Aber ich wollte noch einmal fest machen, woran ich bin. Wenn ich einen Feind habe, baue ich auf deine Unterstützung.“ erklärte sie ruhig. Silver hob seinen Kopf wieder etwas an. Er schien noch riesiger als früher zu sein.

„Ja. Natürlich. Das war die Bedingung.“ schnaufte er verdächtigend.

„Selbst, wenn es einer von uns ist? Zum Beispiel Wukong oder Akira?“ fragte Anna nach.

„Selbst, wenn es einer von ihnen ist.“ bestätigte der Alpha.

„Selbst, wenn ich wollte, dass du denjenigen in Stücke reißt?“ Shiro erstarrte bei diesen Worten, traute sich aber nicht, etwas zu sagen. Ungläubig starrte er Anna an. Was hatte sie vor? Der Alpha bleckte seine Zähne bei diesen Worten. Ein unheimliches, böses Grinsen legte sich in sein Gesicht und er hechelte kurz.

„Du fragst Sachen, Kind...“ lachte er kurz und verpasste Anna damit eine Gänsehaut. Doch diese lächelte immer noch erwartungsvoll. „Natürlich. Nichts leichter als das.“ beantwortete er ihre Frage.

Anna stand auf. „Gut. Ich hoffe, du passt auf meinen Sohn gut auf, bis ich ihn wieder zu mir rufe.“ grinste Anna nun und fuhr dem immer noch sitzenden Jungen durch die Haare. Silver schnaubte herablassend.

„Meinetwegen.“ knurrte er.

„Anna… was war das?“ fragte Shiro seine Mutter verblüfft, als die beiden wieder auf dem Rückweg waren. „Du glaubst doch nicht, dass Akira dir wirklich was tun würde?“

Anna schwieg auf diese Frage hin. Sie konnte es nicht mit Sicherheit sagen – immerhin war er ihr wirklich bedrohlich nahe gekommen. Eigentlich hatte sie das Gefühl gehabt, dass etwas zwischen ihnen gewesen war. Seit er sie geküsst hatte, fühlte sie so. Auch im Park, als er sie noch mal küssen wollte, hatte ihr Herz ihr zu verstehen gegeben, dass es da etwas gab. Doch all diese Gedanken und Gefühle waren weg.

„Ich weiß es nicht.“ schlussfolgerte die Blondine schließlich. „Aber ich will sicher gehen, dass Silver und die anderen auf meiner Seite stehen und dass sie da sind, wenn ich sie brauche. Und dich werde ich auch brauchen, Shiro.“ fügte sie lächelnd hinzu. „Ich brauch' aber wohl nicht nach deiner Loyalität zu mir zu fragen?“ säuselte sie und kniff dem jungen Mann in die Wange. Dieser rieb sich über die schmerzende Stelle.

„Natürlich nicht.“ murmelte er.

Am Ansatz der Treppen zum Palast wurden die zwei auch schon von den anderen abgefangen. Alle schienen ziemlich genervt von Annas Aktion zu sein, nur Kai grinste über beide Ohren, als er Anna sah.

„Wo warst du?“ fragte Ren in einem ernsten Tonfall.

„Ich habe dem Alpha meine Grüße überreicht.“ entgegnete Anna mit einem charmanten Lächeln.

„Und wieso konnten wir nicht mit?“ ergänzte Mirai nun argwöhnisch.

„Ich habe ein Vater-Mutter-Gespräch mit ihm über Shiro gehalten. Das geht euch nicht viel an.“ log sie dreist und Shiro konnte nicht anders, als sich bei dieser Lüge von Anna abzuwenden, um nichts zu verraten. Diese Lüge nahmen die Jungs halbherzig hin.

„Wir wollen morgen früh zurück in die Stadt, also… pack' deine Sachen.“ knurrte Mirai genervt und sie begannen, die Treppen hinauf zu steigen. Als Anna sich gerade in Bewegung setzen wollte, hielt sie eine warme Hand am Gelenk fest. Sie drehte sich um und sah in die Augen mit der Farbe der Sonne.

„Was ist wirklich los? Warum bist du plötzlich so aufgedreht?“ fragte Akira besorgt. Anna musterte den jungen Rotschopf. Was sollte sie ihm sagen? Sie konnte ihn nicht einmal richtig ansehen, ihre Augen gingen durch ihn hindurch. Sie wandte den Blick ab. Doch sie musste nicht einmal etwas sagen: Eine Hand legte sich auf Akiras Unterarm und zog ihn von Anna weg.

„Fass' sie nicht an.“ knurrte Shiros dunkle, gefährliche Stimme und es war das erste Mal, dass Akira tatsächlich eingeschüchtert aussah. Er ließ Anna los.

„So sieht's aus...“ dachte sich Anna insgeheim und begann, die Treppen zu steigen.
 

Der Rest des Abends war schweigsam. Anna verbarrikadierte sich in ihrem Zimmer, um ihre Sachen zu packen. Als sie auch die letzte Socke gefunden hatte, die Kai durchs Zimmer geworfen hatte, stolperte sie über etwas. Der Stein, den Shiro mit in die heiße Quelle gebracht hatte, lag unachtsam auf dem Boden. Er war weiß, schien aber glatter als vorher zu sein. Außerdem war er größer geworden. Bei dem Gedanken, das Ding den Berg runter zu tragen, wurde dem Mädchen ganz schlecht. Sie hob ihn an, um zu prüfen, wie schwer er eigentlich war und wurde überrascht. Er war ungewöhnlich leicht, höchstens ein Kilo schwer. Vielleicht war er innen hohl? Neugierig klopfte Anna leicht dagegen. Nein, er klang ziemlich fest.

„Komisch.“ murmelte die Königin und ließ den Stein neben der Blume aufs Bett fallen. Die Blume tänzelte unter den restlichen, leichten Sonnenstrahlen, die das Fenster ins Zimmer fallen ließ. Ihr ging es anscheinend genau so gut wie Anna.

Die Taschen waren gepackt und die Blume, sowie der Stein, bekamen einen feuchten Schmatzer, ehe Anna ihr Zimmer verließ und sich Richtung Abendessen aufmachte. Als sie gerade links abbiegen wollte, um zur Festhalle zu gelangen, führten ihre Füße sie allerdings weiter gerade aus. Ohne es wirklich zu verstehen fand das Mädchen sich vor Tokis Zimmer wieder. Vorsichtig klopfte sie an und trat ein. Die Blumen und Pflanzen, die bei ihrem letzten Besuch fast ausgetrocknet waren, hatten sich in riesige grüne Stauden verwandelt, die faustgroße Blüten hinunter hängen ließen. Anna kämpfte sich durch den kleinen Dschungel zu Tokis Bett.

„Toki…?“ flüsterte das Mädchen leise und fuhr mit ihrer Hand über Tokis Stirn. Er war warm. Seine Augenbrauen zuckten. Mürrisch drehte sich der Junge zur Seite, holte tief Luft, atmete aus und wurde wieder still. Anna grinste. Sie grinste über beide Ohren. Sie sprang mit aller Wucht auf Tokis Körper, der unter der Decke verhüllt war, schnappte sich seine Wange und gab auch ihm einen feuchten Kuss.

„Was?“ erschrocken setzte sich Toki auf und knallte mit seinem Kopf gegen Annas Kinn. Schmerzhaft rieb sich die Königin ihren Mund. „Anna?“ Toki sah sie verwundert an, rieb sich die Stelle auf seiner Stirn und sah sich um. Anna wischte sich eine Schmerzensträne weg.

„Keine Zeit. Lass uns gehen.“ murmelte sie, packte Tokis Hand und führte ihn durch die Gänge in den Speisesaal. Liam empfing sie bereits, als hätte er es geahnt. Bei Tokis Anblick sprangen auch die anderen auf. Liam sah mehr als verwirrt aus, als er Toki musterte, dann schaute er zu Anna und es war das erste Mal, dass der Waldgott so laut und erschöpft seufzte. Er führte Toki zu einem der freien Plätze, um ihm zu erklären, was passiert war.

„Wie hast du das geschafft?“ fragte Mirai überrascht und schaute dem Elfen hinterher, wie dieser zögerlich nach einem süßen Stück Kuchen griff. Anna grinste. „Triumph“ war ihr heute aufs Gesicht geschrieben.

„Du hast ihn geküsst, oder?“ murmelte Akira und dank dieser Aussage spürte Anna entgeisterte Blicke auf sich. Sogar Ren schien fassungslos zu sein.

„Ist dir ein Kuss echt so wenig wert?“ murrte dieser nun.

„Ein Kuss ist mir das Leben eines Freundes wert, ja.“ rechtfertigte sich die Blondine und schritt an den Leuten vorbei, um sich zu Toki zu setzen. Die Männer folgten ihr. Akira musterte Anna eine Zeit lang nachdenklich, fand sich dann aber doch damit ab, dass es Toki wieder besser ging und ließ die Sache so auf sich beruhen. Ren allerdings schmollte, genau so wie Kai. Mirai, der auch einen Kuss von Anna bekommen hatte, konnte nichts sagen, auch wenn er am liebsten los geplatzt wäre mit Anschuldigungen.

Auch am nächsten Morgen hatte Anna noch gute Laune. Sie schien die angespannte Luft zwischen ihr und ihren Freunden damit zu entspannen – viele konnten nichts mehr dagegen sagen, dass Anna sich in den letzten Tagen wie eine Kusswütige aufgeführt hatte. Liam und Toki hatten der Königin berichtet, dass sie auf dem Berg bleiben würde, bis es Toki wieder 100%ig besser ging. Das war okay. Die Zugfahrt war angenehm ruhig und entspannt. Akira und Mirai waren in ein Gespräch vertieft, Ren schlief und Kai hörte Musik. Shiro war nicht mitgekommen – Anna hatte ihm versprochen, das nächste Mal nach ihm zu rufen. Er sollte auf Toki aufpassen. Also saß Anna für sich alleine auf der Bank, drehte nachdenklich den Blumentopf in ihren Händen und summte eine kleine Melodie. Bald würden sie aussteigen müssen.



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