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No Princess

von

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Runterkommen

Mirais Blick ruhte auf ihrem Gesicht. Sie schämte sich, das sah er sofort. Doch auch sah er, dass sie nicht geekelt von dem Gedanken war, ihn zu küssen. Auch wenn es im Moment nur ein Kuss auf die Wange und unter gezwungenen Umständen war. Und als ihre Lippen sich auf seine Haut gelegt hatten, hatte er gespürt, wie ihre Macht in ihn drang. Anna war sich dessen bestimmt nicht bewusst gewesen.

„Ja, für's erste.“ gab er als Antwort und lächelte, auch wenn er nicht zufrieden war. Ein Kuss auf die Wange war lange nicht genug. Er war schon übermächtig, doch dieser kurze Kontakt offenbarte ihm, wieviel Kraft in diesem kleinen Mädchen schlummerte. So klein, so jung und so unerfahren wie sie war.

Als die beiden den Weg weiter entlang liefen, schwiegen sie. Anna schämte sich immer noch, das wusste er. Immer wieder strauchelte sie über Äste, die morsch auf dem Boden herum lagen, oder Steine, die sich aus der Felswand gelöst hatten. Plötzlich blieb sie stehen, anscheinend unsicher über die Richtung, die sie einschlagen sollten. Mirai nahm nun doch Annas Hand und führte sie zurück zum Haus. Sie verbrachten den Marsch schweigend. Anna wehrte sich nicht gegen die sanfte Führung, sondern nahm sie still an.

Am Haus angekommen, erfrischte ein Windstoß Annas Gedanken. Sie zog sich erneut am Eingang die Schuhe aus, doch bevor sie diese gerade hinstellen konnte, öffneten sich die Türen und ein unerwarteter Anblick bot sich ihr: Diener, am Eingang säuberlich aufgereiht, begrüßten sie. Blütenblätter regneten aus ihren Händen. Alle von ihnen waren braun gebrannt und hatten braune oder blonde Haare, so wie Mirai. Bevor Anna ihrer Verwunderung Ausdruck verleihen konnte, führte Mirai sie wortlos an den Dienern vorbei. Er brachte sie in einen Raum, der ihr davor noch verborgen war: Er war mit Tatami Matten ausgelegt und bot Blick in den Innenhof. Der Blick auf den Pfirsichbaum beruhigte sie ein bisschen. Shiro lief sofort zur geöffneten Terrassentür und setzte sich hechelnd, mit Blick auf den Baum, hin.

„Wer sind die ganzen Menschen?“ fragte Anna verwirrt, als sie sich an einen kleinen Teetisch setzte.

„Das sind die Affen von vorhin.“ antwortete Mirai knapp. „Wenn ich wieder komme, machen sie alles für mich. Putzen, kochen, Rücken waschen. Anscheinend waren wir heute ein bisschen zu früh da.“ fügte er hinzu. Beim genaueren Hinsehen fiel Anna auch auf, dass das Haus plötzlich sauberer wirkte. Keine Spinnweben, kein Staub.

Es dauerte nicht lange, bis die Tür wieder aufgeschoben wurde. Diener kamen herein, trugen Speisen in beiden Händen und stellten sie auf den Tisch, der plötzlich viel zu klein für das ganze Essen wirkte. Mirai wurde eine Flasche mit hochprozentigem Alkohol hingestellt und auf die Frage hin, ob Anna auch was wollte, lehnte sie dankend ab.

„Du trinkst nicht? Ich dachte, so eine harte Braut wie du ist Alkohol gewöhnt.“ lachte Mirai kurz und auch Anna musste bei dem Gedanken lachen.

„Es passieren schlimme Dinge, wenn ich trinke.“ kommentierte sie kurz, nahm sich ihre Stäbchen und suchte sich ein Sushi Stück aus.

„Die da wären?“ Mirai schaute sie neugierig an und bediente sich an einer chinesischen Speise, die Anna nicht identifizieren konnte. „Wirst du aggressiv und verprügelst alle?“ Erneut lachte er.

„Nicht wirklich. Sagen wir mal so: Ich bin ziemlich trinkfest.“

„Interessant.“ Das Lächeln auf Mirais Lippen wurde herausfordernd, als wolle er das testen.

„Wie lange bleiben wir eigentlich noch hier?“ fragte Anna dann, um das Thema zu wechseln, und ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es später Nachmittag war.

„Hmm, wahrscheinlich wird es zu spät, um heute noch nach Hause zu fahren. Immerhin müssen wir noch den Berg runter und so.“

Anna verschluckte sich an einem Nigiri. „Bitte was?“

„Ja.“ Mirai wirkte nicht sonderlich besorgt, weder um die Schule, noch um die Reaktion von Annas Familie.

Anna seufzte genervt. „Ich muss meinen Bruder anrufen, wenn ich hier schlafe.“

„Mach das.“

Nach dem Essen und einem ziemlich angespannten Gespräch mit Adam setzte sich Anna neben Shiro auf die Terasse. Sie nippte an ihrem heißen, grünen Tee und starrte den Teich an. Die Sonne senkte sich langsam und Anna fühlte sich dick und schlapp vom Essen. Eigentlich eine gute Zeit, um ein Nickerchen zu halten. Auch ihre Füße schmerzten und sie hatte das Verlangen, die Socken auszuziehen und die Füße ins kalte Nass zu stecken.

Mirai war seit zehn Minuten verschwunden und ließ Anna in Ruhe ihr Essen verdauen. Erneut öffnete sich die Tür und eine Dienerin kam mit Handtüchern und Bademantel herein.

„Das Bad ist vorbereitet.“ Sie klang erstaunlich zickig.

„Danke…?“ fragte Anna zögerlich, nahm die Sachen entgegen und stand auf. Die Frau stand an der Tür, schwieg und schien darauf zu warten, dass die Fremde ihr folgte, was sie dann auch tat.

Durch Flure an Zimmer vorbei führte die Frau Anna tiefer und tiefer ins Haus. Anna blickte neugierig durch halboffene Türen. Das Haus war plötzlich erfüllt von Stimmen, Geräuschen und sogar Musik. Mit einem Räuspern machte sich die Frau aufmerksam und deutete zu zwei großen Schiebetüren. Wortlos entfernte sie sich wieder.

„Nett.“ murmelte Anna vor sich hin, öffnete die Türen und betrat eine Umkleide. Heißer Dampf stieg ihr entgegen, anscheinend von dem Raum gerade zu. Das Mädchen zog sich aus und legte ihre Kleidung fein säuberlich in einen dafür vorgesehenen Korb, ehe sie sich das Handtuch umwickelte und die nächste Tür zur Seite schob. Vor ihr war eine heiße Quelle. Der Dampf, der daraus kam, stieg in die mittlerweile kühle Luft und tanzte über der Wasseroberfläche. Um die Quelle herum war eine Linie aus Steinen gezogen und eine kleine Wiese gefüllt mit Gras und Blümchen zog sich bis zur Tür hin. Man sah den ersten Stern am Himmel.

Das Gefühl des Wasser war angenehm schmerzhaft beim ersten Eintauchen. Sofort entspannte sich Annas Körper. Sie hatte das Handtuch vor dem Reingehen fallen gelassen und badete nackt unter der unter gehenden Sonne. Zufrieden seufzte sie, legte ihren Hinterkopf am Rand ab und schloss die Augen.

„Hast du's auch hierher geschafft, ja?“ Mirais Stimme hallte durch den Garten. Erschrocken zuckte die Blondine zusammen und sah sich um. Die Stimme kam hinter einem Bambuszaun hervor – im Bad nebenan lag Mirai im Wasser und gönnte sich noch mehr Alkohol. Beruhigt lehnte sich Anna wieder zurück.

„Ja, eine sehr nette Bekannte von dir hat mich her gebracht.“ giftete sie zurück.

„Sie verstehen die Situation noch nicht ganz. Ich erklär's ihnen später.“

Anna fühlte sich in die schuldige Lage von vorhin zurück katapultiert. Sie seufzte. „Tut mir Leid.“ sagte sie erneut zögerlich.

Auch Mirai seufzte. „Kein Problem. Außerdem hast du dich ja schon entschuldigt.“ Man hörte ein Kichern aus seinem Satz. Anna wurde rot im Gesicht und es war weiß Gott nicht die Schuld des heißen Badewassers. Erst jetzt bemerkte sie, dass Blätter und Knospen im Wasser schwammen. Außergewöhnlich schnell senkte sich die Sonne hinter den Steinmauern. Eine kleine Kerze brannte in einer hölzernen Schale und trieb über das Wasser. Dann noch eine. Annas Blick wanderte zum Rand der heißen Quelle. Die Zwillinge saßen da und ließen Kräuter und Licht ins Wasser tauchen.

„Die zwei mögen dich trotzdem.“ hörte man Mirai sagen. Anna bewegte sich Richtung Affen und hielt ihre Hand hin.

„Tut mir Leid wegen vorhin...“ flüsterte sie leise, damit Mirai es nicht hörte, und streichelte einem der beiden über das plüschige Köpfchen. Anscheinend schienen sie die Entschuldigung anzunehmen – schon nach wenigen Sekunden tauchten beide ins Wasser ein und trieben auf dem Rücken durch die Quelle.

„Anna. Ich wollte dir noch was sagen. Wegen dem Kuss...“

„Kannst du jetzt mal aufhören?“ Annas Stimme klang merkwürdig hitzig, ihr Kopf begann noch heftiger zu glühen, als davor. Mirai lachte.

„Du brauchst dich nicht zu schämen. Es war cool. Allerdings hat es auch Konsequenzen, weißt du?“

Stille trat ein. Auch, wenn es Mirais Stimme war, die sie daran erinnerte, hörte sie die Stimme des Fremden in ihren Ohren, als sie noch 8 Jahre alt gewesen war. „Du darfst niemanden küssen.“

„Weißt du eigentlich, welche Kraft du in dir trägst?“ fragte Mirai dann zögerlich und Annas Herz schlug mit einem Mal so kräftig gegen ihre Brust, dass ihr schlecht wurde. Das Wasser schien kalt zu werden.

„Wenn du jemanden küsst, überträgst du einen Teil dieser Kraft. Ich weiß nicht, wie viel du über dich und deine Position weißt, aber...“

Bevor Mirai weiter reden konnte, ergriff Anna das Wort: „Mirai.“

Der Junge stoppte augenblicklich im Satz. Das Mädchen versuchte, ihre Worte zu finden.

„Ich weiß das.“ sagte sie schließlich, doch bekam keine Antwort. Dann fuhr sie fort: „Ich weiß eigentlich alles. Man erfährt alles ziemlich schnell, wenn man Gedanken lesen kann. Aber sag's niemandem, okay?“

Nach einigen Minuten fragte Mirai überrascht: „Du kannst Gedanken lesen? Also weißt du eigentlich alles, was ich denke, zu jeder Zeit an jedem Ort?“ Er klang merkwürdig erschrocken. Ein lautes Platschen verriet Anna, dass er sogar aufgesprungen war.

„Ich muss demjenigen dafür ziemlich direkt in die Augen schauen.“ erwiderte Anna dann, verwundert über seine Reaktion.

Alle Situationen, in denen das der Fall gewesen war, rauschten plötzlich durch Mirais Gedanken. Vor allem vorhin, beim Wolf. Deshalb wusste sie, dass er die Welpen nicht getötet hatte! Deshalb wusste sie, dass er sie noch versteckte! Aber was war mit danach? Als er einen Kuss von ihr wollte? Hatte er da ihr seine Gedanken verraten?

Anscheinend dachte auch Anna gerade an diese Situation. „Schätze, es funktioniert nicht, wenn ich nervös bin.“ gab sie hinnehmend und merkwürdig gleichgültig von sich. Mirai beruhigte sich schlagartig. Mehr Äffchen hatten sich bei Anna gesammelt, einer nach dem anderen warf Pfirsichblüten ins Wasser oder setzte sich selbst rein. Die Zwillinge hatten sich Waschlappen geschnappt und begannen, Anna den Rücken zu schrubben.

„Was passiert denn jetzt eigentlich, wenn du Alkohol trinkst?“ Mirai wechselte das Thema, aber für Anna war es eher im Stil von „Von einem Fettnäpfchen ins nächste“.

„Ich glaube, ich sollte dir nicht alle Geheimnisse von mir verraten.“ kicherte sie. Mirai grunzte nachgiebig.

„Und wer ist dieser Typ, der die ganze Zeit um dich umher schwirrt?“ Anna überlegte eine Weile. Wahrscheinlich einer von ihrer Gang?

„Meinst du Adam? Dunkle Haare, ziemlich groß, mit Kai in einer Klasse...“ sie zählte die Eigenschaften auf, die ihm vielleicht Anhaltspunkte geben könnten.

„Ja, der. Wer ist der Typ?“ Eifersucht? Anna war sich nicht ganz sicher. Aber sie würde es herausfinden.

„Hmm….“ grübelte sie gespielt nachdenklich. Sie brauchte nicht lange darüber nachdenken, wer ihr Bruder für sie war. „Man könnte sagen, dass ich ihn liebe.“ Sie konnte sich ein breites, hämisches Grinsen nicht verkneifen. Doch die Reaktion blieb aus. Schweigen erfüllte die Freiluft-Bäder.

„Ist das dein Ernst?“ fragte Mirai geschockt nach. Anna unterdrückte ihr Kichern. „Das wäre echt nicht gut...“ nun klang er eher besorgt.

„Mach dir keine Sorgen, er ist kein Rivale. Ich glaube nicht, dass er an mich interessiert ist.“ versuchte sie ihn zu beruhigen.

Aber er MACHTE sich Sorgen. Es geht nicht darum, wen sie letztendlich wählen würde, es ging darum, wem sie das HERZ schenkte. Ihr Herz. Und wenn sie aus politischen oder egoistischen Gründe eine Ehe eingehen würde, würde niemand ihre Macht bekommen, außer dem, den sie liebte. Und wo Mirai gerade bei dem Gedanken war: Wie kam es, dass er ihre Macht gespürt hatte, als sie seine Wange geküsst hatte? War sie in ihn verliebt? Wohl eher nicht. Die beiden hatten gerade mal einen Tag alleine zusammen verbracht. Das würde niemandem reichen, um sich zu verlieben, oder? Aber wenigstens schien sie ihm dann nicht ganz abgeneigt zu sein… oder?

„Ich geh' rein, meine Haut wird schon schrumplig. Wo soll ich eigentlich schlafen?“ Anna war aufgestanden und wickelte sich ihr Handtuch wieder um den Körper, das nun nach Blumen und Gras roch. Mirai sprang auf und tat es ihr gleich, das konnte sie am Platschen und Stolpern hören.

„Warte, ich zeig's dir.“ sagte er eilig und ging in die Männerumkleide.

Anna ging in die währenddessen Umkleide, die ihre Sachen beherbergte. Doch die schmutzigen Sachen von heute gefielen ihr nicht so gut, wie der warme, flauschige Bademantel, den ihr die Frau vorhin in die Hände gedrückt hatte. Also zog sie diesen an. Gerade rechtzeitig wohl, denn als sie den Knoten des Gürtels festzog, öffnete sich schon die Tür und ein leicht angetrunkener, noch vom Badewasser triefender Mirai stand im Türrahmen. Anscheinend war er etwas enttäuscht, sie nicht nackt zu erwischen. Und dafür musste Anna keine Gedanken lesen können.

„Ich bring euch hin.“ Der Affenkönig lachte kurz über seinen überstürzten Versuch, ihren Rücken nochmal zu sehen. Anna drehte sich verwundert um und sah, wie Shiro hinter ihr saß und in einem Meter Abstand die Äffchen einen Halbkreis um den Wolfsjungen bildeten.

Die beiden begaben sich zurück in den vorderen Teil des Hauses, gefolgt von einer Traube aus Tieren.

„Bitteschön.“ Mirai öffnete eine Zimmertür für sie. Hier stand ein Bett, auf dem schon ein Pyjama bereit lag. Er war merkwürdig schlicht gehalten. „Ich weck' dich morgen früh, damit wir den Zug kriegen, okay?“ Die beiden wünschten sich eine gute Nacht und Anna legte sich ins Bett.

Der Rest des 'Dates' lief relativ unspektakulär. Anna wurde gegen fünf geweckt. Shiro hatte sich in der Nacht neben sie gelegt und schien noch müder zu sein, als sie selbst. Der Weg zur Bahn war ziemlich amüsant. Mirai scherzte viel und begann dann, über das Leben im „Affenwald“ zu reden. Anscheinend zog er alle Äffchen mit auf und entweder blieben sie, um ihm zu dienen oder sie würden die Wälder weiter erforschen, um das Territorium zu erweitern. Er setzte sie am Bahnhof ab und wartete mit ihr auf den Zug. Zur Überraschung Annas umarmte er sie zum Abschied, murmelte „Wir sehen uns morgen in der Schule“ und küsste ihren Haarschopf. Dann schob er sie durch die Zugtür ins Abteil und schickte sie auf Heimreise.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: abgemeldet
2016-06-29T14:43:47+00:00 29.06.2016 16:43
"Ich glaube nicht, dass er an mich interessiert ist." ... an mir....?
"Es geht nicht darum" ... ging...?

Ich frage mich, was es mit dieser Dienerin auf sich hat. Wieso ist sie so "zickig". Hat sie zufällig ihren Nachwuchs an die Wölfe verloren oder hat es eine andere Bedeutung... hmmmm.....

"Anna ging in die währenddessen Umkleide" ??? Sie ging währenddessen in die Umkleide?
Antwort von: abgemeldet
29.06.2016 16:44
Ansonsten super Kapitel :DDD
Von:  blackyoshi
2016-05-13T07:02:47+00:00 13.05.2016 09:02
Hm, das erklärt irgendwie mehr, warum die alle so an Anna interessiert sind. Nur frage ich mich immer mehr, woher die das alles wissen. Alleine durch ihren Vater? Ich bin mal gespannt.


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