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Switched

Vertauschte Aces
von

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Magische Brunnen für Anfänger und Fortgeschrittene

Erstes Kapitel – Magische Brunnen für Anfänger und Fortgeschrittene
 

*

Portgas D. Ace

*
 

Der Wind, der Portgas D. Ace um die Nase wehte, als er den Schankraum verließ und die alte Holztür hinter ihm ins Schloss fiel, war bitterkalt, sodass er instinktiv nach dem Kragen seiner Jacke fassen und ihn hochschlagen wollte, als er bemerkte, dass er sie gar nicht trug. Er hatte sie auf dem Schiff gelassen. Also griff er stattdessen nach dem Riemen seiner Tasche, um sie fester um seine Schulter zu zurren. Aber wieder nur bekam er Leere zu fassen.
 

Was hatte er auch erwartet?, dachte er sich bissig und verdrehte die Augen. Er war ausgezogen, um eine Bar unsicher zu machen, nicht um zu einer Wanderung aufzubrechen, die ihn querfeldein und mutterseelenallein durch eine verschneite Berglandschaft führen würde.
 

Sein Blick glitt automatisch hinauf zu den Bergwipfeln, die in der Ferne lagen. Sie reckten sich so hoch in den Himmel hinauf, dass sogar die Moby Dick, welche in den eiskalten Gewässern vor einem kleinen Fischerdorf ankerte, umringt von verstreut treibenden Eisschollen und kleinwüchsigen Eisbergen, ein bisschen ihrer Imposanz einbüßte.

Die Berge waren unberührt und monolithisch und zu ihren Füßen erstreckten sich dichte Wälder aus vollen Kiefern und Tannen. Scheinbar endlos verliefen sie zwischen den Tälern der verschneiten Gebirgshänge. Darüber lag ein Meer aus glitzernden Sternen.
 

Entfernt nahm er das Lachen wahr, welches aus der Bar, die hinter ihm lag, dröhnte. Seine Familie verweilte noch dort. Er konnte ihre Stimmen hören und spürte, wie ihre Wärme durch die Kälte der Nacht floss und auch versuchte, nach Ace zu greifen. Er machte einen Schritt hinfort von ihnen. Weg vom Licht, das aus den geöffneten Fenstern fiel, und weiter auf die langen Schatten zu, die die verschiedenen Hütten des Dorfes auf die Straße warfen.
 

An manchen Tagen konnte Ace die Liebe, die er erfuhr, seit er zu Whitebeard gehörte, nicht ertragen. Statt sein Herz mit Wärme zu füllen, wie es Thatch so poetisch zu formulieren wusste, wenn er zu tief ins Glas schaute, verbrannte sie seins.
 

War es überhaupt wert, geliebt zu werden?
 

Ein feuchter Glanz legte sich über seine Augen und schimmerte im Mondlicht.
 

»Na, gefühlsduselig?«, hörte er eine neckende Stimme hinter sich fragen und er warf einen schnellen Blick über die Schulter. Marco war aus der Kneipe getreten. In seinem Mundwinkel steckte eine Zigarette und in einer Hand hantierte er lässig mit einem Feuerzeug. Aus der noch geöffneten Tür plärrte Piratenmusik und Ace konnte die Gesichter seiner Kameraden im warmen Lichtschein von Kerzenlicht erkennen.
 

»Quatsch«, meinte Ace sofort abwehrend und wandte rasch den Blick ab. Intuitiv wischte er sich über die feuchten Augen.
 

Marco lachte und schüttelte den Kopf.
 

»Mach dir nichts draus. Das passiert uns allen mal.« Der erste Kommandant ließ die Tür los, woraufhin sie sich wieder schloss und das fröhliche Gelächter ihrer Freunde hinter den dicken Mauern des Wirtshauses verbannte. Unter den Sohlen seiner Sandalen knirschte der Schnee, als er sich zu Ace gesellte. Auch er sah hinauf zum Sternenhimmel. Die Kälte ließ sie beeindruckend klar und nah erscheinen. Als ob man nur auf die Berge klettern müsste, um nach ihnen zu greifen.
 

Ungerührt schob er sich die Zigarette vom linken in den rechten Mundwinkel.
 

»Hast du an deine Heimat gedacht?«
 

»Nein.« Die Antwort der Feuerfaust kam rasch und klang steif. So lüpfte Marco, dessen schlaffe Lider üblicherweise den Ausdruck augenscheinlicher Langeweile signalisierten, jene minimal in die Höhe, woraufhin Ace schulterzuckend erklärte: »Ihr seid meine Heimat.«
 

»Das meinte ich nicht«, entgegnete Marco und steckte das Feuerzeug zurück in die Tasche seiner Hose. Die Zigarette blieb unangezündet. »Wir alle haben eine Heimat außerhalb unserer Familie. Wir alle haben einen Ort, von dem wir stammen. Und ganz gleich, wie viele gute oder schlechte Erinnerungen wir damit auch verbinden. Es bleibt immer ein Teil unseres Herzens.«
 

»Keine Ahnung, ob das auch auf mich zutrifft.« Ace nahm eine Hand aus der Tasche und streckte einen Finger in die Höhe. Ein kleiner Funken löste sich aus seiner Haut, welchen Marco dankbar annahm, um seine Zigarette zu entflammen. Er nickte anerkennend und gab Ace mit einer Handbewegung zu verstehen, seine Ausführungen fortzuführen. Dieser seufzte, gab sich aber geschlagen.
 

»Vor euch gab es nur meine Brüder. Und davor …« Er zuckte ratlos mit den Schultern und ihm grauste es ein wenig davor, dass Marco dieses Zögern als Einladung ansah, tiefergehende Fragen über Aces Herkunft zu stellen. Doch der Phönix hatte genügend Feingefühl, jene Fragen für sich zu behalten, obwohl Ace spürte, dass sie dem Kommandanten auf der Seele brannten. Ace hatte sich nie getraut, die Wahrheit über seiner Herkunft seinen Freunden anzuvertrauen.
 

Denn was würden sie schon sagen, wenn er es tat?
 

Würde Marco sich dann noch so um Ace bemühen?

Würde er ihn überhaupt noch akzeptieren?
 

Die Feuerfaust hatte ihre begründeten Zweifel daran und ohne es augenscheinlich zu bemerken, schüttelte Ace schwach den Kopf. Er musste die Wahrheit nicht erst erzählen, um die Antworten zu kennen.
 

Selbst Pops, dessen Güte Aces kühnste Vorstellungen gesprengt hatte, als er ihm seine Geschichte offenbart hatte, würde sein Gesicht wahren müssen, falls jemals öffentlich wurde, welches Ungeheuer sich in Aces Blut manifestiert hatte.
 

Wenn sie ihn nur rauswerfen würden, könnte er sich noch glücklich schätzen.
 

Also beließ er es dabei und tischte Marco die übliche abgedroschene Geschichte auf. Er zog die Schultern hoch, in der Hoffnung, glaubwürdiger zu erscheinen und drapierte ein freches Lächeln auf seinen Lippen. Er hatte die Hände wieder in den Taschen seiner schwarzen Shorts platziert und wippte auf den Fußballen balancierend vor und zurück.
 

»Die Gegend hier ähnelt dem Wald, in dem ich aufgewachsen bin. So ziemlich jedenfalls.«
 

Marco nahm die Zigarette zwischen seine Finger und blies den Rauch langsam aus seinen Lungen. Er glaubte der Feuerfaust kein Wort, doch tat ihm den Gefallen, die Fassade aufrecht zu erhalten.
 

»Inwiefern?«, fragte er daher und Ace war ihm dankbar dafür. Das gezwungene Lächeln lockerte sich.
 

»Ziemlich einsam, ziemlich trostlos und vermutlich ziemlich gefährlich. Allerdings mit ziemlich viel mehr Schnee als im East Blue.«
 

»Verstehe«, antwortete Marco, wobei sich eines seiner raren Schmunzeln auf seine Lippen stahl und ein amüsiertes Glucksen sich aus seiner Kehle löste, bevor es in der Nacht verhallte. Aces Anspannung löste sich und dankte Marco innerlich dafür, dass Marco ihm seine schlechte Gaukelei abnahm, obwohl er befürchtete, ihm doch noch Rede und Antwort stehen zu müssen, wenn er sich nicht schleunigst verdünnte.
 

Also tippte er sich mit einem Zeigefinger vielsagend gegen die Krempe seines orangefarbenen Cowboyhutes und machte sich davon. Vor ihm lagen die engen Straßen des kleinen Dorfes. Gedrungene Hütten standen dicht beisammen, um den kalten Bergwind wenig Angriffsfläche zu bieten und zwischen den schmalen Gassen, die Häuser ausbildeten, hatten sich Schneewehen aufgetürmt. Nur die notwendigsten Lebensadern waren freigeräumt worden, sodass sich Ace notgedrungen für die Hauptstraße entschied.
 

»Ich mach nur einen Spaziergang. Bin bis zum Frühstück wieder zurück«, rief er Marco über seine Schulter hinweg zu. Er schaffte es bis zur nächsten Kreuzung, bevor Marcos Worte ihn einholten.
 

»Du weißt, dass du mit mir reden kannst, wenn dich etwas bedrückt.«
 

Ace blieb stehen, seine Zähne streiften unbewusst über seine Unterlippe und ein klammes Gefühl packte seinen Körper und ließ ihn heftig zittern. Wenn Marco nur wüsste, wie sehr ihn diese Worte ins Herz trafen. Wie schmerzvoll es auf der Seele brannte, zu wissen, genau das niemals tun zu können.
 

»Jetzt wirst du aber gefühlsduselig«, gab Ace schließlich schelmisch zurück und streckte Marco über die Schulter hinweg die Zunge heraus. Der Kommandant rollte mit den Augen.
 

»Nun, entgegen den Behauptungen gewisser fanatischer Lockenköpfe …« – Marco machte ein schnaubendes Geräusch und Ace gluckste – »… bin ich kein herzloser Raubvogel, der kleine Kinder aufschlitzt und ihnen die Seelen aus den Leibern reißt.«
 

Er zog etwas aus der Tasche seines offenen Jacketts. Da das Mondlicht nur dürftig zwischen die dicht gedrängt stehenden Hütten des Dorfes drang und somit ein schwerer Schatten über den Kommandanten fiel, konnte Ace aus der Distanz nicht erkennen, was es war. Für einen Moment wog Marco es in seiner Hand. Schließlich warf er es Ace aus einer lockeren Handbewegung zu. Die Feuerfaust musste einige Schritte nach vorne stolpern, um zu verhindern, dass der faustgroße Gegenstand im Schnee landete. Mit beiden Händen fing er es auf und blickte verdutzt auf seinen Fang: das winzige Gehäuse einer Baby-Teleschnecke, die vor Angst und Kälte zitterte.
 

»Also ruf an, wenn du etwas brauchst.«
 

Ace salutierte halbherzig und murmelte: »Jawohl, Vogelmama.«
 

»Das habe ich gehört«, rief Marco ihm hinterher, wobei Ace noch vage wahrnahm, wie der erste Kommandant davon sprach, den Kontakt zu Thatch zu unterbinden, da Dummheit offensichtlich ansteckend war, während er zurück in den Schankraum einkehrte.
 

Ace lachte, wobei ein Echo durch die Nacht wehte, bevor er die Teleschnecke in seiner Hosentasche platzierte und aufbrach.
 

*

Gol D. Ace

*
 

»Ich kann es nicht lesen«, räumte Gol D. Ace ein und seine Finger fuhren andächtig über die alten Runen, welche vor Jahrhunderten in den Stein gemeißelt worden waren. Sie waren verwittert, und dort, wo sich die Feuchtigkeit durch das poröse Gestein gefressen hatte, hatte sich Moos abgesetzt, das Ace von den Zeichen hatte kratzen müssen, um sie freizulegen und zu entziffern.
 

Und doch wusste Ace nicht ihre Bedeutung zu verstehen. Die Sprache war zu alt, als dass er etwas mit ihr anfangen konnte. Ein letztes Mal strich er mit Hand über die Hieroglyphen, bevor er aus der Hocke ging und sich auf den Rand des alten Brunnens setzte, auf dem sich die antiken Runen in endlosen Spiralen entlang zogen. Sie kreuzten einander an den willkürlichsten Stellen und gaben kein Aufschluss über Anfang und Ende. Selbst wenn Ace die Sprache beherrscht – oder wenigstens verstanden – hätte, wäre es eine Arbeit von Tagen gewesen, die Inhalte auseinander zu klamüsern. Alles, was er sagen konnte war, dass es nicht die alte Sprache war.
 

»Ich glaube nicht, dass es etwas mit dem vergessenen Königreich zu tun hat«, schlussfolgerte er daher und platzierte beiläufig die Teleschnecke neben sich. Obwohl sich deren Lippen schnell bewegten, gab sie keinen Satz von sich, der Ace verständlich war, was den jungen Piraten dazu verleitete, die Augen zu verdrehen und einige Flüche zu murmeln. Sein Vater neigte dazu, seine Gedanken ohne jeden offensichtlichen Zusammenhang – oder geistigen Filter – kundzutun, was es mitunter auch für Ace schwierig machte, den Sinn der Wortfetzen zu erkennen.
 

»Dad, bitte so, dass ich es verstehe.«
 

Die Schnecke verstummte augenblicklich. Die Lider ihrer großen Glubschaugen flackerten heftig, bevor sie eine Fratze zog und lauthals lachte. Das tiefe Grölen seines Vaters donnerte über den Hügel hinweg und erreichte die Gebirgszüge, wo es sich als Echo festsetzte.
 

»Aber du hast es mit deinem Haki gefunden?«, fragte sein Vater schließlich, als sein Lachen verebbt war und nur noch der Wind durch die Berge pfiff.
 

Ace bejahte die Frage und erzählte seinem Vater von dem, was er gesehen hatte, bevor er den Brunnen entdeckt hatte. Die unsichtbaren Dämpfe, die von dem Brunnen, der verborgen zwischen einigen winterkargen Gewächsen platziert worden war, aufgestiegen waren, hatte ihm den Weg bis zu dem Relikt aus einer anderen Zeit gezeigt. Er wusste, dass es nur seinen geschärften Sinnen zu verdanken war, dass er den Brunnen überhaupt gefunden hatte.
 

Und trotzdem hatte ihm sein Haki nicht geholfen, das Mysterium des Brunnens zu entschlüsseln.
 

»Gut«, sagte sein Vater, »dann komm zurück, Kurzer.«
 

»Könntest du bitte aufhören, mich so zu nennen?«, zischte Ace genervt und verzog das Gesicht.
 

Faktisch gesehen war er ein erwachsener Mann und ein durchaus gefürchteter wie auch berüchtigter Pirat. Er war zu alt für elterliche Kosenamen. Und wenn er schon einmal dabei war: Er war ebenfalls zu alt für peinliche Anekdoten aus seiner Kindheit, die sein Vater jedem unter die Nase rieb, der sie nicht hören wollte. Wie sollte man sich einen anständigen Piratenruf aufbauen, wenn jeder wusste, wie er gelernt hatte, aufs Töpfchen zu gehen, oder dass er, als er das erste Mal betrunken gewesen war, sich auf die Seekarten des dunklen Königs erbrochen hatte?
 

Zu seinem Bedauern gab sein Vater ihm die übliche Antwort: »Nein.«
 

Na schön, schoss es Ace frustriert durch den Kopf und er massierte sich die Schläfen. Den Kampf gegen alberne Spitznamen würde er auf einen Zeitpunkt verschieben, den er nicht in einer arschkalten und langweiligen Eiswüste verbrachte.
 

»Grüß Mama von mir«, verabschiedete er sich und sein Vater gab ihm die üblichen Floskeln zur Antwort, die Ace sagten, dass er das nicht tun würde. Und wenn er ehrlich war, war er darüber erleichtert. Er hing die Sprechmuscheln zurück auf die Telefongabel, woraufhin die Schnecke eine kurze Bestätigung von sich gab.
 

Unbewusst begann er, seinen Mantel nach seiner Zigarettenschachtel und dem Feuerzeug abzuklopfen.
 

Es war keineswegs so, dass Ace seine Mutter nicht liebte. Ganz und gar nicht. Und wenn er je jemanden erwischte, der etwas Gegenteiliges behauptete, dann würde er ihm die Kehle aufschlitzen.
 

Doch seine Mutter, dass musste er sich bedauerlicherweise eingestehen, war schon lange nicht mehr die Frau, die er als Kind zu lieben gelernt hatte.
 

Früher hatte sie ihn oft auf ihren Schoß gezogen und ihm alberne Geschichten darüber erzählt.

Heute konnte er nicht einmal mehr sagen, ob sie seine Abwesenheit überhaupt schon zur Kenntnis genommen hatte.
 

Wie von selbst bahnte sich der brennende Schmerz seinen qualvollen Weg von Aces Kopf bis hinunter zu seinem Rücken, wo der unumstößliche Beweis seiner Schuld an dieser Veränderung saß und ihm eine permanente Ermahnung war.
 

Ein verräterisches Brennen kroch ihm in die Augen und er kniff sie zusammen, bevor sich eine jämmerliche Träne lösen und ihm in der Eiseskälte über die Wange rollen konnte. Inzwischen war seine Suche nach seiner Zigarettenschachtel erfolgreich gewesen. Rasch riss er die Packung auf und schob sich einen der Glimmstängel in den Mund.
 

Flüchtig warf er seinem Spiegelbild, welches er vage auf der verschwommenen Wasseroberfläche erkennen konnte, einen Blick zu, um sich eine Bestätigung seiner dunklen Gedanken zu holen, selbst wenn er die ewige Narbe durch seinen Mantel nicht sehen konnte.
 

Doch stattdessen fiel ihm vor Schreck beinahe die Zigarette aus dem Mund.
 

»Kneif mich mal einer …«, murmelte er perplex, blinzelte heftig und stürzte herum, um sich über den Brunnenrand zu beugen.
 

*

Portgas D. Ace

*
 

»Bei Pops allmächtigen Barte …«
 

Die Wasseroberfläche kräuselte sich unter der Vibration, die seine Stimme hinterließ. Kleine Wellen bildeten sich in zentrischen Kreisen und schlugen gegen den aus Felsengestein gemauerten Rand des Brunnens, über welchen Portgas D. Ace sich beugte. In der Dunkelheit, die die Nacht dominierte, hatte er nicht erwartet, sein eigenes Abbild auf der geschwärzten Wasseroberfläche auszumachen. Doch der klare Vollmond ließ ihn sein eigenes Spiegelbild erkennen … und ihn stutzen. Seine Lider klappten in aller Verblüffung hektisch auf und nieder.
 

Konnte das sein …?
 

Er beugte sich tiefer über den Brunnenrand und musterte eingehender sein Spiegelbild.
 

Seine Wanderung hatte ihn auf den Wipfel einer von Hügel und Bergketten zerfurchten Landschaft getrieben, bis er zwischen einigen blätterlosen Büschen einen verwitterten Brunnen gefunden hatte, wo er sich niedergelassen hatte, um seinen Verstand zu klären. Er hatte den Ausblick genießen wollen mit den prächtigen Sternen über seinem Kopf und dem tosenden Wind, der zwischen den Bergen seine Geschichte erzählte.
 

Doch dann hatte er sein eigenes Spiegelbild entdeckt, das verschwommen über den Wasserspiegel getanzt war, und ihm war tatsächlich die Luft weggeblieben.
 

Das, was er dort sah, war nicht das, was er erwartet hatte zu sehen.
 

Zweifelsohne blickte ihm von der Oberfläche ein Ace entgegen. Er hatte das gleiche Gesicht wie er mit den gleichen Sommersprossen, die ihm über Wangen und Nasenrücken liefen. Der gleiche verstrubbelte schwarze Haarschopf, auf dem ein abgetragener Cowboyhut saß, und die Augen seines Spiegelbilds beherbergten den gleichen verdutzten Ausdruck.
 

Und doch … etwas war so vollkommen ungleich.
 

Denn zwischen den Lippen von Spiegel-Ace steckte eine noch frische Zigarette und ein langer, schwarzer Mantel bauschte sich im Wind auf.
 

Was für ein grotesker Ort, dachte Ace und lehnte sich instinktiv tiefer über den Brunnen, die Neugier über die Wunderlichkeit des Gesehenen brannte ihm wie sein eigenes Feuer unter den Nägeln und fasziniert nahm er zur Kenntnis, dass der eigenartige Spiegel-Ace es ihm gleichtat.
 

Langsam löste Ace eine Hand, mit der er sich am Brunnenrand festgehalten hatte, und schob sie der Wasseroberfläche entgegen. Seine Finger streckten sich nach denen seines Spiegelbildes aus.

Spiegel-Ace war dabei, die Geste zu erwidern. Auch seine Hand bewegte sich und schien aus dem Wasser emporzuwachsen. Unter dem fahlen Mondlicht und der flackernden Wasseroberfläche wirkte sie wie die Hand eines Geistes.
 

Vorsichtig legten sich Aces Fingerspitzen auf die mattschwarze Oberfläche. Er spürte, wie sich die Kälte um seine Haut legte und Wasser zwischen seinen Fingern hindurchströmte, und fast hätte er sich über seine eigene kolossale Dummheit amüsiert, dass er den Kopf in den Nacken warf und ein spöttisches Lachen in den Himmel schickte.
 

Natürlich, dachte er sich und hätte sich fast die Hand an die Stirn geklatscht, hätte diese nicht noch unter Wasser verweilt. Er hatte getrunken. Der Alkohol spielte seinen Sinnen einen Streich und er-
 

Plötzlich fühlte er einen unerwarteten Wasserstrom über seine Haut gleiten und fremde Fingerspitzen – ja, ganz eindeutig – stießen vorsichtig gegen die seinen.
 

Erschrocken japste Ace auf und sog scharf die eiskalte Luft in seine Lungen. Ein Instinkt riet ihm, aufzuspringen und einen gesunden Abstand zwischen sich und den Brunnen zu legen, und genau das hatte er auch vorgehabt zu tun.
 

Aber in eben jenem Augenblick, als er versuchte, die Hand aus dem Wasser zu ziehen, da stürzte die junge Feuerfaust plötzlich – und ohne jede erkennbare Ursache – vornüber in die Tiefe.
 


 

*
 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo allerseits!

Ich hoffe, ihr seid mit dem andauernden Perspektivwechsel zurechtgekommen? Ich war mir zu Beginn noch nicht ganz sicher, wie ich Kapitel aufbauen soll, die beide Aces beinhalten, und habe mich etwas notdürftig für diese Zwischenüberschriften-Variante entschieden. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Votani
2016-02-02T16:59:55+00:00 02.02.2016 17:59
Mit dem Perspektivwechsel kommt man gut zurecht. Nicht nur, dass du es ja vorher praktisch ansagst, aber die beiden Ace leben ja doch recht unterschiedliche Leben und haben daher komplett verschiedene Gedanken. Ich bin gleich noch gespannter auf deinen Ace und was es mit seinem Leben auf sich hat. Man moechte gleich weiterlesen!
Auch den Brunnen hast du gut eingebaut. Ich wuerde an Aces Stelle auch nicht schlecht schauen, wenn mein Spiegelbild doch ein paar Unterschiede aufweist. Das war eine ulkige Begegnung. :D
Ich mochte auch Marcos Auftreten. Er kann Ace gleich durchschauen. Ich bin sicher, dass ihm Aces Veraenderung dann auch auffallen wird. Generell... das wir sicher eine Umstellung fuer den anderen Ace, wenn er ploetzlich in einer Welt auftaucht, in der niemand weiss, dass er Rogers Sohn ist. Ich kann mir nur zwei Szenarien vorstellen: Entweder Ace wird es geniessen, mal nicht offiziell Rogers Sohn zu sein, weil seinem Ruf dann nichts im Weg steht und er mehr Freiheit hat oder dass er es ausplaudern wird, weil er ja doch sehr stolz ist. Wenigstens muesste der andere Ace dann nicht Marco und etc. aufklaeren und koennte vielleicht sogar ehrlicher mit seinen Bruedern sein. :')
Von: abgemeldet
2016-01-31T15:51:23+00:00 31.01.2016 16:51
Also ich fande es genau richtig so! :)
Auch dieses Kapitel war sehr vielversprechend und bin schon richtig gespannt auf das nächste >o<


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