Zum Inhalt der Seite

Der Vater aller Monster

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

1.1 Kapitel 6
 

"Quistis", flüsterte jemand neben ihr. "Quistis, wach auf. Der Kampf ist

vorbei."
 

"Squall?" flüsterte sie schwach zurück. Nein, Squall hatte keine so tiefe

Stimme. "Irvine?" fragte sie unsicher. Sie versuchte, die Augen zu öffnen,

aber ein paar Momente lang sah sie überhaupt nichts.
 

"Gott sei dank", meinte die Stimme mit deutlicher Erleichterung. "Ich

dachte schon, du würdest nicht mehr erwachen. Das wäre zu viel gewesen,

dich durch meine eigene Hand zu verlieren, nachdem ich dich durch eine

glückliche Fügung wiedergefunden habe."
 

"Sie!" stieß sie mit eisigem Entsetzen hervor. "Wieso haben Sie mich nicht

sterben lassen?" Neben ihr auf einem sehr komfortablen Bett saß der Mann,

den sie zu töten ausgezogen waren. Der Monsterbeschwörer sah sie mit einem

Blick an, der Erleichterung, Neugier, Unsicherheit und... Glück ausdrückte.

Aber wieso das?
 

"Dich sterben lassen? Nein. Ich wollte dich nicht endgültig verlieren,

nicht, nachdem ich damals schon glaubte, dich verloren zu haben."
 

"Damals? Was meinen Sie damit? Ich habe Sie noch nie im Leben gesehen?"

Quistis setzte sich langsam auf und wich ein wenig vor dem Mann zurück. Was

wollte er von ihr? Sie war noch immer etwas schwach, wahrscheinlich eine

Droge, aber sie konnte sich zur Wehr setzen, wenn nötig. Man hatte sie

nicht einmal gefesselt, nur die Peitsche lag außerhalb ihrer Reichweite auf

einem langen Tisch.
 

Der Blick des Mannes wurde noch ein wenig trauriger. "Ja..., das stimmt

leider. Adell hat mir nicht die Zeit gelassen, dich sehen zu können." Er

stand auf und ging zu einem der Monitore hinüber, die von überall im Zimmer

aus gesehen werden konnten. Er ließ sie dabei nicht aus den Augen, genauso

wenig wie sie ihn. "Du bist ein Waisenkind, nicht? Du weißt nicht, woher du

kommst, wo du geboren wurdest. Ich vermute, dass du in irgendeinem

Waisenhaus aufgewachsen bist und dann von dieser eigenartigen Kampfschule

rekrutiert wurdest, weil du niemanden hattest, der etwas dagegen sagen

konnte. Ist das richtig?" Er drückte einige Befehle in die Tastatur.
 

"Woher wissen Sie das?" Quistis wurde heiß und kalt. Wie konnte dieser

Mensch, der so lange Zeit auf dem Mond gewesen war, von ihrer Vergangenheit

wissen? Wer war er?
 

Er antwortete nicht. Aber auf dem Bildschirm erschien ein Bild. Es war ein

Bild eines Hauses, eines nicht sehr großen Hauses. Es schien sich um eine

Wohnung in Esthar zu handeln, denn sie war sehr modern eingerichtet. Sie

stellte offenbar eine Mischung aus Arbeitszimmer und normaler Wohnung dar,

vergleichbar mit der Einrichtung hier in diesem Raum. Irgendwie... berührte

Quistis dieses Bild. Sie hatte dieses Zimmer schon einmal gesehen, das

wusste sie. Es musste in ihrer Kindheit gewesen sein. Aber sie war vor

ihrem Besuch mit Edea niemals in Esthar gewesen!
 

Das Bild wechselte. Eine Frau erschien. Eine junge Frau, Anfang zwanzig.

Sie wurde offenbar von jemandem gefilmt, denn das Bild wackelte hin und

her. Sie lachte und stellte sich in Positur, wie für eine Malerei. Dann kam

sie näher und nahm dem Filmer die Kamera aus der Hand. Das Bild wurde

schwarz. Quistis war wie gelähmt. Sie kannte diese Frau. Dieses Gesicht.

Und diese Stimme, so weich und hell. Es war lange her, dass sie diese

Stimme gehört hatte. Sehr lange. "Wer... ist das?" würgte sie hervor. "Und

wer sind Sie?"
 

Offenbar hatte ihre Reaktion auf diese Kurzfilme den Beschwörer in seiner

Meinung über sie bestärkt, denn seine Stimme war nun nicht mehr unsicher.

"Ich", fing er an, "war früher ein Wissenschaftler in Esthar mit Namen

Feyjar Standron. Zumindest bis zu dem Tag, an dem ich die junge Frau kennen

lernte, die du auf diesem Film gesehen hast. Ich verliebte mich in sie, und

ungefähr ein Jahr später heirateten wir, obwohl wir erst zwanzig waren. Ich

nahm den Namen ihrer Familie an, als ich Siviane Trepe zur Frau nahm."
 

Quistis sog entsetzt Luft ein, aber er sprach sofort weiter, ohne ihr Zeit

zu einer Frage zu geben: "Wir waren nur ungefähr ein Jahr zusammen, bevor

ich eine Entdeckung machte, die mich berühmt machen hätte können. Siviane

war skeptisch, aber sie wusste, dass ich dadurch weit nach oben kommen

konnte. Und wir brauchten dringend Geld, auch wenn ich das damals noch

nicht wusste. Ich durfte meine Idee, die Monster in der Gegend gentechnisch

zu verändern und damit zu einer unbezwingbaren Wache für Esthar zu machen,

Adell persönlich vortragen, und sie war interessiert. Nur kam ihr

irgendwann der Gedanke, dass ich ihr mit dieser Armee gefährlich werden

könnte, und sie ließ mich festnehmen. An dem Tag, als ich zur Rakete

geführt wurde, um zum Mond geschossen zu werden, ließ man mich noch einmal

mit Siviane reden. Unter unzähligen Liebesbeteuerungen gestand sie mir

schließlich, dass sie schwanger war. Dann zerrte man mich fort und schickte

mich ins Exil im All."
 

Er unterbrach sich und sah Quistis an, die ihn nunmehr wie vom Donner

gerührt anstarrte. Ihre Lippen formten Worte, aber sie brachte keins davon

hervor. "Meine Frau war schwanger, Quistis! Mit einem Mädchen!" Er schritt

auf sie zu und ergriff sie an den Schultern. "Quistis, du bist meine

Tochter! Du bist die Tochter, die Adell aus Esthar fortbringen ließ, bevor

sie deine Mutter und meine Frau tötete! Du hast sie auf dem Bild erkannt!"
 

Sie sah ihm ins Gesicht und versuchte, etwas zu sagen, brachte aber nur ein

Krächzen hervor. Nervös fuhr er sich durch das grauwerdende Haar. "Du musst

mir nicht sofort Glauben schenken", versicherte er. "Aber du wirst merken,

dass ich die Wahrheit sage. Sieh dir die Filme noch einmal an, Quistis! Du

hast deine Mutter erkannt, als du sie sahst! Du bist meine Tochter!" Er

stand auf und trat einen Schritt zurück. "Du brauchst wahrscheinlich Zeit,

um das alles zu verarbeiten, das verstehe ich. Ich werde dich jetzt allein

lassen." Damit wandte er sich zur Tür und schloss sie hinter sich.
 

Eine Minute lang saß das Mädchen einfach nur da, ohne zu denken, nur auf

die Tür sehend, die sich hinter diesem Mann geschlossen hatte. Dann

richtete sie ihren Blick auf den Monitor, der ihr diese so vertrauten

Bilder gezeigt hatte. Und dann warf sie sich auf das Bett und begann zu

schluchzen, leise und völlig verwirrt.
 

Als sich die Tür das nächste Mal öffnete, saß Quistis aufrecht auf dem

Bett, mit ihrer Peitsche in der Hand. "Du hast dich hoffentlich beruhigt,

oder?" versuchte der Wissenschaftler ein Gespräch anzufangen. "Wenn nicht,

kann ich dir noch ein wenig Zeit lassen."
 

"Kommen Sie nur herein", sagte Quistis kühl. "Das Zimmer gehört ja

schließlich Ihnen!"
 

Er wirkte enttäuscht. "Du glaubst mir noch immer nicht, wie?" murmelte er.
 

"Es gibt keinen eindeutigen Beweis, dass Sie tatsächlich mein Vater sind!"

entgegnete sie ihm. "Auch wenn ich meine Mutter im Film erkannt habe, muss

sie noch lange nicht Ihre Frau gewesen sein. Sie könnten genauso jemand

gewesen sein, der sie gekannt hat und der mich belügen will, damit ich ihm

vertraue."
 

"Und warum sollte ich das tun?" fragte er sie ruhig. "Warum sollte ich

dieses Risiko auf mich nehmen? Ich hätte dich sterben lassen können,

erinnere dich. Ich habe es nicht getan."
 

Darauf konnte Quistis nichts erwidern. Aber sie war nicht bereit, diesen

Mann, der beabsichtigte, mit einer Horde Monster seine Heimatstadt zu

stürmen, als ihren Vater anzuerkennen. "Was ist mit meinen Freunden?"

konterte sie zornig. "Wieso haben Sie sie sterben lassen, wenn Sie wussten,

dass ich Ihre Tochter bin?"
 

"Jemand, der im Kampf stirbt, ist nicht endgültig tot, gerade du müsstest

das wissen, Quistis", meinte er zaghaft lächelnd. "Einige dieser

interessanten Federn, die ihr so massenhaft bei euch tragt, haben sie

schnell wieder ins Leben zurückgeholt, auch wenn sie noch eine Zeitlang aus

Sicherheitsgründen betäubt werden mussten. Schließlich konnte ich nicht

riskieren, mit ihnen in einem Zimmer zu sein, wenn sie erwachen."
 

"Sie leben?" Quistis riss die Augen auf. "Ich will sie sehen!"
 

"Wenn du willst" sagte ihr Vater achselzuckend. "Sie sind im ehemaligen

Sicherheitsraum für einen Bergeinsturz untergebracht. Dort dürfte die Tür

eine Zeitlang ihren Angriffen standhalten. Du kannst sie gerne durch die

dort angebrachte Kamera beobachten."
 

"Ich will sie nicht nur sehen, ich will zu ihnen!" erwiderte Quistis

hitzig. Squall und die anderen lebten noch! Sie musste sofort mit ihnen

reden und sie bitten, den Berg sofort zu verlassen, damit sie mit mehr

Unterstützung zurückkommen konnten und ihren Vater... Sie biss sich auf die

Zunge. Sie begann schon, diesen Mann in Gedanken ihren Vater zu nennen. Das

war ein wunder Punkt, sollte es jemals wieder zum Kampf mit ihm kommen.

Aber schön langsam fing auch ihr Zweifel an zu bröckeln. Nur noch ein paar

Mal diese Filme ansehen, dann würde sie ihm glauben.
 

"Das würde ich nicht unbedingt empfehlen!" wehrte der Monsterbeschwörer ab.

"Ich habe sie schon einmal ein paar Minuten lang beobachtet und sie...

nein, sieh lieber selbst. Du würdest mir ohnehin nicht glauben."
 

Er trat an die Tastatur heran, gab einen Befehl ein und das Bild auf dem

Monitor veränderte sich zu dem eines ziemlich großen, sehr massiv

aussehenden Raums. Ein großer Tisch stand in der Mitte, und einige Kojen

waren an den Wänden untergebracht. In zwei der Kojen hingen Xell und

Selphie herum, Rinoa ging nervös im Zimmer auf und ab, Squall saß in einem

der Sessel. Auf der anderen Seite lag Rai-Jin in einer Koje, die ziemlich

klein für ihn war. Neben ihm lehnten Cifer und Fu-Jin an der Wand. Quistis'

Herz machte einen Luftsprung. Sie waren tatsächlich noch am Leben.
 

"Sieh sie dir ruhig an. Aber ich warne dich: Es wird vielleicht sehr

schmerzvoll für dich sein!" bat sie der Wissenschaftler zu sich. Einen

Moment lang sah Quistis ihm scharf ins Gesicht, dann setzte sie sich auf

den Stuhl vor dem Monitor, da sie keine Hinterlist in seiner Miene

entdecken konnte. Irgendwie würde sie ihren Freunden zur Flucht verhelfen.

Sie vertrauten ihr. Sie hatten sich immer vertraut.
 

"Auch wenn's dir nicht gefällt, Squall, ich sag's noch mal: Deine feine

Freundin hat uns alle an diesen Mistkerl verraten!" verkündete Cifer

gerade. Nun, von ihm war das keine Überraschung. Er hatte sie nie gemocht.
 

"Hör auf, solchen Blödsinn zu reden, Cifer!" zischte Rinoa ihn an. "Quistis

würde niemals ihre Freunde verraten!"
 

"Wie nobel!" ließ Rai-Jin von sich vernehmen. "Als ich sie das letzte Mal

gesehen habe, schien sie mal ziemlich abweisend zu euch zu sein. Oder sehe

ich das falsch?"
 

Rinoa antwortete nicht, sondern setzte ihre Wanderung durchs Zimmer fort.

Sag ihnen, dass ich es nicht war, Rinoa, flehte Quistis sie an, aber das

schwarzhaarige Mädchen widersprach Rai-Jin nicht. Dafür Squall.
 

"Quistis ist ein SEED", entgegnete er ruhig. "Sie wurde dazu ausgebildet,

übermächtige Wesen auszuschalten, und das mit einem gesamten SEED-Team.

Noch nie hat ein SEED, der noch dazu Ausbilder war, einen solchen Verrat

begangen, Cifer, das weißt du. Und Quistis am allerwenigsten!"
 

"Und da bist du dir sicher?" fragte dieser störrisch. "Ich wäre auch fast

SEED geworden, und ich habe den Garden verlassen. Viele SEED-Anwärter haben

sich kaufen lassen, um irgendwelche Dörfer zu bewachen. Nicht alle sind so

edel wie du, Squall. Die meisten Menschen haben ihren Preis. Man muss ihn

nur kennen."
 

Squall zog die Gunblade so schnell, dass man sie erst sah, als sie in

seiner Hand lag. Er sprang über den Tisch auf Cifer zu, der es gerade noch

schaffte, seine eigene Waffe hochzureißen. Die beiden kämpften in dem Raum,

und keiner der anderen wagte es, ihnen zu nahe zu kommen. Es wären

vielleicht noch weitere Narben entstanden, wäre nicht plötzlich ein

Projektil zwischen den Kämpfern durchgeschossen und hätte sich in einer der

Wände gebohrt.
 

"Hört auf mit dem Quatsch!" fuhr Irvine sie an, seine Exetor rauchte noch.

"Egal, ob Quistis uns verraten hat oder nicht, es hilft uns nichts, wenn

ihr euch gegenseitig umbringt! Wir müssen hier raus und den

Monsterbeschwörer töten, bevor er Esthar angreift, rafft ihr das nicht?"
 

Die beiden gingen tatsächlich auseinander, wenn auch widerwillig. "Du

kannst die Wahrheit nicht verleugnen, Squall", brummte Cifer. "Dieser

Forscher kannte sie, das haben wir gemerkt. Er machte ein ganz komisches

Gesicht, als wir ihren Namen erwähnten." "Untreue" fügte Fu-Jin finster

drein sehend hinzu.
 

"Squall, du musst zugeben, dass Quistis sich in letzter Zeit sehr seltsam

verhalten hat", flüsterte Xell leise, aber alle hörten ihn. "Ich will damit

nicht behaupten zu wissen, dass sie eine Verräterin ist, aber du hast

selbst gesehen, wie der Beschwörer den Monstern befohlen hat, sie zu

verschonen. Wir sollten zumindest die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass

sie auf der anderen Seite steht!"
 

"Xell hat Recht, Squall!" Selphie setzte sich auf. "Ich will auch nicht

glauben, dass Quistis so etwas tuuuuun würde, aber als SEEDs müssen wir

darauf gefasst sein, sie gegen uns zu haben. Daaaas ist die Sachlage."
 

Quistis war geschockt. Sie trauten ihr wirklich so etwas zu? Squall, bitte

weis sie zurecht! bat sie inständig, aber ihre Gebete wurden nicht erhört.

Squall sah die beiden lediglich an, steckte seine Gunblade wieder ein,

setzte sich hin und verbarg das Gesicht zwischen den Händen.
 

"Die beiden sind wenigstens realistisch, Squall!" bekräftigte Cifer, der

wieder an der Wand lehnte. "Irgendwann wirst auch du es einsehen müssen."
 

"Halt den Mund", murmelte Squall müde, aber er wirkte nicht sehr

überzeugend. Sogar er? Verdächtigte sogar er sie? Quistis fühlte sich, als

ob ihr Herz in Stücke gerissen und dann von einem hungrigen Monster Stück

für Stück verspeist würde. Waren das wirklich die Menschen gewesen, denen

sie wie keinen anderen vertraute, die eben gehört hatte? Obwohl sie

versuchte, es zu unterdrücken, entkam ein Schluchzen ihrer Kehle.
 

"Ich weiß, wie dir zumute ist, Quistis", erklang die Stimme hinter ihr

beruhigend. "Glaub mir, ich habe dasselbe durchgemacht wie du, als ich zur

Rakete gezerrt wurde, immer weiter von deiner Mutter weg. Und keiner,

absolut keiner dieser Feiglinge von Esthar-Bewohnern versuchte, irgendwas

zu tun, obwohl Adell weit weg in ihrer sicheren Residenz weilte. Manche der

Leute kannte ich gut, aber niemand bequemte sich, wenigstens zu

protestieren, obwohl den meisten Soldaten auch nicht wohl bei dem Gedanken

war, jemanden, der all sein Wissen für die Stadt eingesetzt hatte, auf den

Mond zu schießen. Ich habe es noch nie zugegeben, und ich werde es auch

nicht wieder tun, aber in den ersten Jahren im Exil war es nur die

Verachtung, die ich für diese Menschen empfand, die mich überleben ließ."
 

Er legte ihr den Arm auf die Schulter und sie ließ es geschehen. Alle

hatten sich gegen sie gewandt. Warum sollte sie den Trost, den sie nun

spürte, zurückweisen? In der Zwischenzeit hatten die Gefangenen nichts

gesagt, aber jetzt stand Squall auf, mit gebeugten Schultern und

verkündete: "Alle mal herhören. Ja, auch du, Cifer, auch wenn's dir

schwerfällt! Wir müssen jetzt mal versuchen, diese Tür da aufzubekommen,

dann kannst du mit deinen Kumpanen meinetwegen abhauen. Wir werden

jedenfalls versuchen, die Zuflucht des Feindes zu finden und ihn... und

Quistis... zu töten!"
 

Cifer sah ihn einen Moment lang trotzig an, dann wurde er nachdenklich.

"Natürlich werden wir abhauen!" behauptete er. "Glaubst du im Ernst, ich

würde mich auf dieses Himmelfahrtskommando einlassen?" Aber an seinen Augen

konnte man sehen, dass er das noch nicht entschieden hatte. Er war stolz.

Und sein Stolz hatte den angeblichen Verrat von Quistis noch nicht

vergessen. Dafür wollte er sie tot sehen. Sie und ihren Vater. Die Zeit

würde zeigen, ob sein Stolz oder sein Überlebensinstinkt stärker war.
 

Das war zuviel! Sogar Squall! Der Junge, den sie einst geglaubt hatte zu

lieben! Wie konnte er nur denken, sie würde ihn und die Menschen, mit denen

sie aufgewachsen war, verraten? Zwei Tränen rannen ihr über die Wange, aber

sie wischte sie schnell ab.
 

"Quistis, fühlst du dich nicht wohl?" fragte ihr Vater hinter ihr. "Du

solltest dich hinlegen und die Sache erst mal überschlafen. Ich glaube

nicht, dass sich die Meinung deiner Freunde dort unten ändern wird, aber

vielleicht siehst du selbst die Sache dann nicht mehr so schlimm!"
 

"Nein!" flüsterte sie. "Nein!" wiederholte sie lauter. "Das wird nicht

passieren. Sollen sie doch alle miteinander zur Hölle fahren! Wenn sie mir

einen solchen Verrat zutrauen..., dann will ich sie nie wieder sehen! Ich

will, dass sie leiden, so wie ich gelitten habe, als sie diese Worte

ausgesprochen haben!"
 

Ganz auf ihre düsteren Gedanken konzentriert, verabsäumte Quistis, ihrem

Vater ins Gesicht zu blicken, wo sie ein böses Lächeln gesehen hätte. Gut,

dachte er, sehr gut. Das ist die Tochter, die ich mir gewünscht habe. Sie

wird mir eine große Hilfe sein. Willkommen daheim!
 

"Vielleicht kann ich dir dabei helfen", bot er unschuldig an. "Ich habe

deinen Freunden nie das Schicksal zugedacht, in diesem Bunker zu verrotten.

Wahrscheinlich hätte die Tür ihren seltsamen Waffen ohnehin nicht lange

widerstanden. Ich hatte eigentlich etwas anderes für sie vorgesehen, etwas,

wo sie ihre Kraft sinnvoller einsetzen können..., aber nein, das würdest du

nicht gutheißen. Vergessen wir's."
 

Quistis blickte ihn mit kalten Augen an. "Das sind nicht meine Freunde!"

sagte sie leise. "Was hast du ihnen zugedacht? Ich höre!"
 

Teilnahmslos hörte sie ihm zu. Sie hatten sie von sich gestoßen, sie

verleumdet und des Verrats bezichtigt. Das würden sie büßen. Der Plan, den

ihr Vater (sie war nun bereit, ihn so zu bezeichnen) vorschlug, war gut.

Sie würden Schmerzen erleiden, große Schmerzen, aber sie hatten die Chance

zu überleben, was die Möglichkeit ausschloss, dass sie ablehnten. Am Ende

der Erklärung stand sie auf. "Ich gehe zu ihnen!" verkündete sie. "Ich

werde ihnen deine Botschaft überbringen. Bereite du deine Überraschung

vor,... Vater."
 

Sie ging und schloss die Tür hinter sich. Der Monsterbeschwörer lächelte.

Alles verlief nach Plan. Vater und Tochter würden bald ihre Rache nehmen

können, an Esthar, und dann, mit ihrer Hilfe, am Balamb-Garden, der ihnen

noch gefährlich werden konnte. Wenn ihre Macht über Esthar dann gefestigt

war, konnte man Galbadia getrost vergessen. Gegen diese Armee, über die er

gebot, konnte auch das gesamte Heer Galbadias nichts ausrichten. Er

aktivierte das Gerät in seiner Hirnrinde und rief seine Armee. Sie sollten

heute eine weitere Aufgabe bekommen.
 

"Woraus ist diese blöde Tür?" staunte Xell erschöpft, nachdem er fast 10

Minuten darauf eingeschlagen hatte. Auch Blitzga-Zauber, die beiden

Gunblades und Irvines Exetor hatten nicht mehr als ein paar Dellen

hinterlassen. "Sie muss ja mindestens einen halben Meter dick sein!"
 

"Squall, das bringt nichts!" meldete sich Rinoa. "Wir müssen Limits

anwenden, sonst kommen wir hier nie raus." Sie wollte gerade einen Aura-

Zauber auf sich sprechen, als man an der Tür ein Geräusch hörte.
 

"Warte!" wies Squall sie an. Er ging in Angriffsstellung. Sollte der

Monsterbeschwörer wirklich so verrückt sein, sie angreifen zu wollen, dann

würden sie ihren Auftrag schneller erledigen können als gedacht. "Alle in

Angriffsposition! Und allergrößte Vorsicht! Vielleicht kommen gleich ein

paar Monster rein!"
 

Die Tür entriegelte sich mit einem lauten Zischen. Die extrem komprimierte

Druckluft in einer Spalte zwischen den Metallplatten waren es wohl gewesen,

die die ungeheure Wucht ihrer Angriffe abgefangen hatten. Sie waren

wahrlich ein Meisterwerk estharischer Baukunst. Squall wunderte sich, dass

er in der Stadt selbst so wenig von diesem erstaunlichen Material gesehen

hatte, beantwortete sich aber gleich darauf selbst, dass es wohl hinter den

dünnen Kunststoffschichten verborgen war, die Esthar auszeichneten. Selbst

die Monsterarmee würde es nicht leicht haben, diese Wände zu durchbrechen,

aber genug Menschen würden auf den Straßen sterben oder früher oder später

verhungern.
 

Die Tür schwang langsam auf und nachdem sich der Dampf verzogen hatte,

erkannte man eine schmale, blonde Gestalt, die die Anwesenden kühl

musterte. Cifer erkannte sie als erste. "Die Verräterin!" heulte er.

"Stirb, du Miststück!" Er holte weit mit seiner Gunblade aus und wollte

sich auf Quistis stürzen, diese blickte ihn jedoch nur verachtend an und

hob die Hand. "Stop!" Der Zeit-Zauber wirkte sofort und ließ Cifer auf der

Stelle erstarren. "Ich bin nicht hierher gekommen, um meine Zeit mit einem

Kampf zu verschwenden!" erklärte sie dem stocksteifen Jungen und fuhr dann

fort: "Und wenn ihr nicht noch länger hier herinnen bleiben wollt, dann

folgt mir."
 

"Quiiiiistie ist unschuldig!" jubelte Selphie und hüpfte in die Luft. "Los,

folgen wir ihr!"
 

Squall steckte zögernd seine Gunblade ein, lächelte dann aber und gab das

Zeichen zur Entwarnung. Ebenfalls zögernd, aber mit aufkeimender Hoffnung

verstauten auch die anderen ihre Waffen und gingen durch die Tür. Rinoa

blieb mit Rai-Jin und Fu-Jin zurück, um Cifer zu erlösen. "Anti-Z!" rief

sie und packte den Jungen gleich darauf am Arm. Auch Rai-Jin griff zu und

Fu-Jin stellte sich vor die Tür, damit er sich nicht auf Quistis stürzte,

die ihn immer noch ernst musterte.
 

"Cifer, hör auf!" zischte sie ihm zu. "Ich weiß, dass du dich an ihr rächen

willst, aber tu das gefälligst später! Jetzt haben wir keine Zeit dazu! Wir

müssen den Monsterbeschwörer finden, verdammt noch mal! Er hat dich

verraten und angegriffen, das ist sicher, oder? Quistis kannst du dir

später auch noch vornehmen!"
 

Einen Moment lang bäumte sich Cifer noch in ihrem Griff auf, dann

entspannte er sich. Mit glitzernden Augen rief er Quistis zu: "Hüte dich,

irgendwas zu tun, das mir verdächtig vorkommt, sonst werde ich dich

schneller töten, als du bereuen kannst!" Dann wand er sich aus den Händen

der anderen heraus und marschierte so würdevoll wie möglich an der blonden

Frau vorbei. Rai-Jin und Fu-Jin folgte ihm.
 

Rinoa wartete, bis Quistis draußen war, dann ging sie ebenfalls durch die

Tür und schloss sie. Dabei ließ sie ihre Freundin nicht aus den Augen. Alle

außer Cifer wollten glauben, dass Quistis sie nicht verraten hatte, auch

Squall. Sie wollte das auch, aber... irgendetwas, vielleicht ihre

Hexenkräfte, machte sie stutzig. Und sie hatte den Blick der jungen Frau

gesehen, mit dem sie alle gestreift hatte. Kein Gefühl hatte darin gelegen.

Sie musste vorsichtig sein.
 

"Wir müssen hinaus zur Ragnarok!" verkündete Quistis gerade. "Der

Beschwörer will seine Armee dort sammeln und auf die letzten Nachzügler

warten. Dann wird er ihnen die Befehle eingeben, um Esthar einzunehmen. Es

wird vielleicht noch einen Tag dauern, dann wird die Monsterhorde auf die

Stadt zumarschieren."
 

"Eine Frage noch", unterbrach Squall. "Wieso wollte der Feind dich nicht

töten?" Es wurde völlig still.
 

"Weil er etwas in mir sah, was er sehr vermisst hat", beantwortete Quistis,

noch immer ohne Gefühl in der Stimme. "Er hatte früher einmal eine Tochter,

die mir sehr ähnlich sah. Er glaubt, dass ich in Esthar geboren bin und nur

ins Waisenhaus gebracht wurde, weil Adell mich für ungefährlich hielt.

Seine Frau hat sie jedoch getötet. Er glaubt, dass er nur noch mich auf der

Welt hat." Sie drehte den Kopf. "Folgt mir jetzt. Wir müssen ihn

überraschen."
 

Rinoa wurde immer unbehaglicher. An der Geschichte mit der Tochter war mehr

Wahres, als Quistis zugab, das spürte sie. Dennoch folgte sie den anderen.

Sie hielt sich in Squalls Nähe auf, um ihn schützen zu können, sollten sie

in einen Hinterhalt geführt werden, blickte aber immer wieder zu Cifer

zurück. Er war der einzige, der dieser Rettungsaktion außer ihr misstraute.
 

Als sie zum Kraftfeld kamen, nahm Quistis Anlauf und sprang hindurch. Die

anderen folgten. Rinoa spürte ein seltsames Kribbeln. Zögernd holte sie

unter den erstaunten Blicken von Cifer, Rai-Jin und Fu-Jin ihre Waffe

hervor. Dann schritt sie ohne ein Wort durch das Kraftfeld. Und sah gerade

noch, wie Quistis in einem Gang verschwand, den die Monster hinter ihr

sofort wieder schlossen. Sofort schoss sie auf einen Morbol, der nahe bei

ihr stand, aber seltsamerweise stürzte er sich nicht auf sie. Das war

richtiggehend unheimlich.
 

"Bitte hören Sie mir jetzt gut zu!" erklang die Stimme des

Monsterbeschwörers vom Rücken eines weit entfernten Rumbrum-Drachen. Der

Anblick war so unglaublich, dass er schon lächerlich wirkte: ein Mensch auf

einem Monster, das ihn um das 10-fache an Körpermasse übertraf. Nein, zwei

Menschen. Wäre Squall nicht Squall gewesen, dann wären ihm vermutlich

Tränen des Zorns in die Augen geschossen, aber so sah er nur mit einem

wütenden Flackern im Auge zu, wie sich der Kopf des Monsters herabbeugte

und Quistis aufsteigen ließ. Dann beförderte er sie zum Beschwörer auf den

Rücken.
 

Rinoa fluchte. Wieso hatte sie ihre Bedenken bloß nicht Squall mitgeteilt?

Er hätte ihr sicher geglaubt, er war schließlich ihr Hexen-Ritter! Sie

stellte sich an seine Seite, und er lächelte ihr ermutigend zu, auch wenn

sie wusste, dass er tief im Inneren nur verletzt und ängstlich war. Aber

das zeigte er für gewöhnlich nur, wenn sie beide zusammen waren. Dann

schüttelte sie den Kopf und verdrängte diese schönen Erinnerungen. Jetzt

galt es erst einmal zu hören.
 

"Wie Sie sehen, haben meine Geschöpfe Sie noch nicht getötet!" fuhr der

Wissenschaftler fort, an dessen Seite Quistis sie kalt musterte. "Das ist

aber nur so, weil ich mit Ihrer Freundin Quistis übereingekommen bin, Ihnen

eine Chance auf Überleben einzuräumen. Meine Monster werden vor Ihnen einen

100 Meter langen Gang öffnen. Wenn Sie diesen Gang betreten, werden Sie

sofort von Ihnen angegriffen. Sollten Sie es tatsächlich schaffen, diese

Angriffe erfolgreich abzuwehren und den Gang wieder zu verlassen, werden

wir Sie Ihr Raumschiff besteigen und davonfliegen lassen. Sollte das nicht

der Fall sein, werden wir Ihnen Grabsteine aus dem besten Laden von Esthar

hierher schicken lassen!"
 

"Und was würde passieren, wenn wir diesen verdammten Gang ignorieren und

statt dessen Sie und Ihre Überläuferin angreifen würden?" Cifer sprühte

förmlich vor solcher Wut, die Squall selten bei ihm gesehen hatte. Dennoch,

Quistis war davon nicht beeindruckt. Sie sah ihn mit einem Blick an, der

sogar Shiva hätte frösteln lassen. Er musste den Blick als erster abwenden.
 

"Quistis!" mischte sich Xell in das Gespräch ein. "Hast du wirklich alles

verraten, was du im Garden gelernt hast? Was hat dir dieser Wahnsinnige

dafür geboten? Halb Esthar? Oder die halbe Welt?" Auch er war wütend, aber

im Gegensatz zu Cifer hoffte er noch immer, Quistis würde sich nur

verstellen. Squall wusste aber, dass dem nicht so war. Er gebot dem

Faustkämpfer zu schweigen.
 

"Warum?" fragte er. Nur dieses eine Wort. Aber vermutlich hätte sie auch

keine andere Frage beantwortet. "Weil ihr mich sehr enttäuscht habt,

Squall!" rief sie ihm ebenso ruhig zu. "Und weil ich euch nicht angelogen

habe. Dieser Mann hier musste mir nichts anbieten. Er ist mein Vater!"
 

Alle außer Rinoa waren überrascht, aber sie senkte nur traurig den Kopf. Es

war also tatsächlich richtig gewesen, was ihr die innere Stimme sagen

wollte. Sie hätte auf sie hören sollen. "Aber halten wir uns nicht allzu

lange mit Gesprächen auf" redete Quistis weiter. "Ihr wisst, dass ihr uns

durch diese Armee nicht erreichen könnt. Euch bleibt nur der Korridor.

Bleibt und sterbt oder geht und kämpft." Mit diesen Worten öffnete sich der

Gang. 100 Meter. Lächerliche 100 Meter! Aber unter diesen Umständen war der

Weg zum Mond auch nicht viel länger.
 

Squall resignierte. "Cifer, habt ihr Aura-Steine? Wenn ja, dann nützt sie

jetzt! Wir werden, bevor wir loslaufen, Protes und Shell auf alle sprechen,

außerdem Regena. Selphie, du bleibst im Hintergrund und heilst, greif nicht

selbst in den Kampf ein! Wir anderen werden versuchen, so viele Monster wie

möglich zu töten, damit wir den Weg freibekommen."
 

Cifer widersprach ihm zu aller Verwunderung nicht, er fragte lediglich:

"Glaubst du etwa auch, dass sie den Gang wieder schließen werden, sobald

wir drin sind? Endlich wirst du vernünftig!"
 

"Ich weiß lediglich, dass wir auf alles gefasst sein müssen!" gab Squall

mit fester Stimme zurück. "Jeder soll seine Zauber aussprechen. Und

verzichtet auf G.F.! In diesem Kampf würde das zu lange dauern!" Er

wartete, bis alle die lebensverlängernden Zauber gesprochen hatten, dann

rief er: "Los!"
 

Im nächsten Augenblick rannten alle wie ein Mann los. Einen Augenblick lang

waren die Monster zu überrascht, um anzugreifen, und sie konnten gute 10

Meter zurücklegen. Aber dann brach die Hölle los. Von allen Seiten schossen

Feuerstrahlen aus Drachenhälsen, giftiger Morbolatem und Zauber heran. Ein

Archeodinos trat Squall in den Weg, wurde jedoch von seinem Multi

weggeräumt. Angel, Rinoas Hund, riss einen Wild Hook in die Höhe und ließ

ihn mit ungeheurer Wucht zu Boden krachen. Irvine schoss pausenlos

Silbermunition in die Reihen der Monster. Rai-Jin konnte seinen Limit nicht

anwenden und warf statt dessen einen Ultima-Stein, der drei Quale verenden

ließ. Fu-Jin halbierte zwei Galchimesäras, die sich zu nahe an sie

herangewagt hatten. Cifer hob mit seinem Limit einen Stahlgiganten in die

Höhe und zerschnipselte ihn förmlich, und Selphie versuchte derweil, ihre

Lebenspunkte auf dem nötigen Level zu halten, denn sie wurden trotz der

vielen Treffer, die sie anbrachten, noch öfter selbst getroffen. Xell blieb

bei ihr und prügelte die Ungeheuer nieder, die dem Mädchen zu nahe kamen.
 

Squall sprach statt seiner Spezialfähigkeit Meteor und wieder fielen einige

Monster. Rinoa rief noch einmal Angel, um die Feinde mit Sternschnuppe zu

dezimieren, und ein halbes Dutzend Ungeheuer bezahlte einen Angriff mit

ihrem Leben. Selphie warf ein Mega-Potion, während Irvine Squalls Weisung

missachtete und eine G.F. beschwor. Sie verloren beinahe den Kontakt, aber

Eden war um ein Fünkchen schneller als die Hiebe der Monster. Der "Hauch

des Universums"-Angriff löschte beinahe alle Monster im näheren Umkreis des

Scharfschützen aus. Xell versuchte derweil, gleich zwei Grendels

gleichzeitig niederzustrecken, tat sich aber schwer damit. Rai-Jin fegte

mit seinem Drachentöter einen Rumbrum-Drachen von den Füßen und Fu-Jin

beförderte einige Monster mit dem Tornado-Zauber aus ihrer Laufrichtung.

Cifer glänzte förmlich vor Erregung, als er zwei Chimära-Hirne gleichzeitig

angriff und zurücktrieb. Sie waren fast 30 Meter weit gekommen.
 

Aber das war zu wenig. Pausenlos strömten mehr Monster heran, und vor ihnen

bildete sich langsam ein Wall, der bald nicht mehr zu durchbrechen sein

würde. "Lasst von den Monstern ab", brüllte Squall, während er eine Drachen-

Isolde zweiteilte. "Wir müssen durchbrechen!" Er wusste nicht, ob ihn seine

Freunde verstanden hatten, aber er verschwendete auch keine Zeit damit, es

herauszufinden. Er räumte mit Blast-Zone einen Teil des Weges frei und

rannte sofort los, blind um sich hackend. Er sah nicht, dass Cifer neben

ihm rannte und einige aufdringliche Gogue Seals und Schmelzdrachen

fernhielt. Hinter ihnen rannte Rinoa, die anscheinend etwas versuchte, mit

Irvine als Leibwache, der die Monster auf Distanz hielt. Xell, der schon

etwas erschöpft wirkte, bildete mit Selphie, die gerade ein Final-Elixier

warf, den Abschluss.
 

Es reicht nicht, schoss es Squall durch den Kopf. Egal, wie schnell wir

sind, wir werden immer noch durch Monster aufgehalten. Und wenn... Im

selben Augenblick sah er in den Augenwinkeln, dass Selphie durch einen

Morbol und einen Stahlgiganten niedergestreckt wurde. Auch das noch!

Verzweifelt stach er auf alles ein, was nicht menschliche Hautfarbe

aufwies. Jetzt war es aus. Wenn sie nicht mehr regelmäßig geheilt wurden,

dann war der Kampf schon so gut wie verloren. Er drehte den Kopf, um Rinoa

noch ein letztes Mal zu sehen, bevor...
 

Er erstarrte. Das war nicht möglich! Im ersten Moment wollte er seinen

Augen nicht trauen, dann fingen sie wieder an zu glänzen. Deswegen hatte

Rinoa nicht gekämpft! Sie hatte auf ihr Limit gewartet! Der "Unsichtbare

Mond", den Angel auf sie zauberte, erfüllte ihn mit neuer Kraft. Er schrie

begeistert auf, tötete einige Drachen, die ihm im Weg standen, durch seinen

Herzensbrecher und schrie dann: "Haltet euch nicht mit den Monstern auf!

Wir müssen zum Schiff, bevor die Wirkung nachlässt!"
 

Er wunderte sich, dass sogar Cifer widerwillig, aber doch von dem Rudel

Drachen-Isolden abließ, das er gerade vor sich hertrieb und zur Ragnarok

rannte. Fu-Jin und Rai-Jin folgte ihm, nachdem sie sich ihrer Gegner

entledigt hatten. Rinoa schenkte Angel für ihren unschätzbaren Dienst

schnell noch eine Leckerei, dann drehte sie sich ebenfalls um und lief den

dreien nach. Irvine warf Selphies schlaffen Körper über die Schulter und

schoss einen Behemoth, der ihm den Weg versperrte, so glücklich an, dass

dieser umfiel und dabei ein paar Galchimesäras zerquetschte. Xell, der es

nicht lassen konnte, beschwor noch kurz die Brothers, die einige

heranstürmende Wild Hooks über die Köpfe der anderen hinwegkatapultierten,

dann schloss er sich ebenfalls der allgemeinen Flucht an. Squall selbst

bildete das Schlusslicht, nachdem er zwei zudringliche Lebensverbieter noch

niedergeschlagen hatte.
 

Sofort, nachdem er die Schleuse passiert hatte, drückte er den Knopf, um

sie zu verschließen, aber das war nicht nötig: ihre Feinde hielten Wort und

die Monster damit zurück. Erleichtert ließ er sich niedersinken. Irvine

hatte Selphie inzwischen sanft an eine der Außenwände gelehnt und zauberte

gerade Erzengel auf sie. Sie wollte sofort wieder nach ihrer Waffe greifen,

als er sie zurückhielt. "Es ist vorbei, Sephie", meinte er beruhigend. "Wir

sind in Sicherheit."
 

"Bin ich frooooooh!" seufzte das Mädchen glücklich und ließ sich wieder

zurücksinken. "Das waaaar aber wirklich knapp!"
 

Cifer, der mit Rai-Jin und Fu-Jin an einer anderen Wand lehnte, war

ungewöhnlich schweigsam, aber Squall zog es vor, diesen Zustand so lange

wie möglich beizubehalten. In diesem Moment erklang Rinoas Stimme aus dem

Bordlautsprecher: "Achtung, Achtung! Haltet euch gut fest dort unten, Xell

startet nämlich gleich! Xell, bitte voooorsichtig!" rief sie, als das

Raumschiff so schnell abhob, dass alle durcheinandergeschüttelt wurden.
 

"Ist der Hasenfuß jetzt vollkommen durchgedreht?" rief Cifer, während er

versuchte, wieder auf die Füße zu kommen. Keiner war imstande zu antworten.

Squall kämpfte sich mühsam hoch. Er musste ins Cockpit, um zu entscheiden,

wo sie wieder landen sollten. Esthar musste gewarnt werden, aber der Balamb-

Garden hatte ebenfalls ein Recht darauf, informiert zu werden, genau wie

Galbadia und die anderen Staaten, dass möglicherweise bald ein Krieg

beginnen würde. Aber wo sollten sie zuerst hin?
 

"Ah, Squall", begrüßte ihn Rinoa, als er schwankend die Brücke des Schiffes

betrat. "Ich wollte dich gerade suchen." "Hab ich dir denn so sehr

gefehlt?" fragte er, obwohl ihm momentan nicht gerade der Sinn nach Humor

stand. "Das natürlich auch", grinste sie, bevor sie ihm einen Kuss gab.

Dann wurde sie wieder ernst. "Squall, ich denke, wir sollten beim

Waisenhaus landen. Edea kann uns vielleicht sagen, wieso Quistis sich

diesem Wahnsinnigen angeschlossen hat, außerdem könnte sie einen

Gegenzauber kennen. Immerhin ist sie die älteste noch lebende Hexe, auch

wenn sie keine Kräfte mehr hat!"
 

Squall dachte darüber nach. Ja, was Rinoa sagte, klang sinnvoll. "Xell,

schalt die Lautsprecher im Frachtraum ein!" wies er den Piloten an. "Alle

mal herhören! Wir werden beim Waisenhaus landen und Edea um Rat fragen,

bevor wir die anderen Staaten warnen. Quistis hat bestimmt nicht gelogen,

als sie sagte, dass die Armee noch nicht einsatzbereit ist, und sonst wird

die Schutzbarriere von Esthar den Angriffen schon eine Weile standhalten.

Cifer, kommt ihr mit?"
 

"Nein", tönte es blechern. "Setzt uns bei den Centra-Ruinen ab! Ich habe

keine Lust auf dieses Himmelfahrtskommando. Wir werden eine Zeitlang

untertauchen, dann wird man uns schon vergessen."
 

Squall war zwar ein bisschen überrascht, dass Cifer so leicht aufgeben

wollte, aber er respektierte seinen Wunsch. Er nickte Xell zu, Kurs auf die

Centra-Ruinen zu nehmen. Er wunderte sich, wieso sein ehemaliger Gegner sie

überhaupt kannte, aber dann dachte er sich, dass Cifer wahrscheinlich dort

den Trick gefunden hatte, mit dem er Odin damals überlistet hatte. Dann

schloss er die Augen. Er hoffte, Edea würde ihnen helfen können. Er fühlte

sich von dieser Situation völlig überfordert. Quistis hatte sich gegen sie

gewandt, ihr angeblicher Vater würde seine Armee bald beisammen haben und

es war ihnen nicht gelungen, ihn aufzuhalten. Dankbar nahm er es hin, dass

Rinoa ihn umarmte und mittels Hexenkraft Trost in ihn überfließen ließ. Er

drückte sie an sich und sah aus dem Fenster. Was für eine Zeit.
 

"Sie haben es tatsächlich geschafft! Diese SEEDs sind wirklich Gegner, die

man fürchten muss!" bekannte der Monsterbeschwörer widerwillig. Er hatte

wohl nicht geglaubt, dass Squall, Cifer und die anderen diesen

Spießrutenlauf überstehen würden. Quistis hatte gewusst, dass sie dazu

fähig waren.
 

"Aber sie sind die einzigen ihrer Art", erinnerte sie ihn. "Alle anderen

SEEDs sind entweder noch nicht lange ausgebildet oder im Kampf gegen die

letzte Hexe gestorben. Wir müssen niemanden fürchten außer sie. Mit den

G.F.s könnten sie uns erhebliche Schwierigkeiten machen, aber aufhalten

können sie uns nicht, Vater!"
 

"Ah ja, diese G.F.s..." murmelte er, während er sie ansah. "Hast nicht auch

du noch einige davon "gekoppelt", wie ihr es nennt?"
 

Ja, daran hatte sie noch gar nicht gedacht. Die G.F.s waren das letzte

Bindeglied zu ihrer Vergangenheit. Nur sie erinnerten noch daran, dass sie

zu Beginn dieses Auftrages SEED gewesen war. Aber sie hatte sich vom Garden

losgesagt, im selben Moment, als sie die anderen gegen die Monster antreten

ließ. Sie wusste, dass es unvorsichtig war, aber dennoch war sie sich

sicher, dass sie die Schutzgeister nicht mehr mit gutem Gewissen einsetzen

konnte. Sie ließ sie frei. Squall und die anderen würden dadurch bessere

Chancen haben, aber das war ihr in diesem Moment egal.
 

"Nein, jetzt nicht mehr!" Sie sah ihn fest an. "Ich lasse die Vergangenheit

hinter mir!"
 

Feyjar Trepe ließ nicht durchblicken, ob er mit dieser Entscheidung

einverstanden war. Er suchte in seinen Taschen nach etwas und hielt es dann

hoch. Es war ein Anhänger, seltsam geformt. Er war silbern und bestand aus

zwei Strichen, die sich in der oberen Hälfte des senkrechten kreuzten. Bis

auf ein paar zierende Linien war er schmucklos, aber es war auch nicht die

Schönheit des Anhängers, die Quistis beeindruckte. Der Anhänger besaß

Macht, stark und rein, auch wenn sie durch die Größe des Schmuckstücks

gebändigt war.
 

"Was ist das?" fragte sie interessiert. "Hast du dieses... Ding auf dem

Mond gefunden?"
 

"Ja", bestätigte er. "So könnte man es nennen. Ich glaube, dass es große

Macht besitzt, aber ich weiß nicht, wie man sie einsetzt. Aber vielleicht

gelingt es ja dir, sie dir zunutze zu machen. Sie kann dich möglicherweise

vor den SEEDs schützen, wenn sie dich angreifen. Ich werde dann

wahrscheinlich zu beschäftigt sein, um uns beide abschirmen zu können. Das

musst du dann übernehmen."
 

Quistis nickte und griff nach dem Anhänger. Als er in ihre Hand glitt,

begann er sich zu erwärmen, sodass er genau ihre Körpertemperatur

erreichte. Es fühlte sich sehr gut an, als sie ihn sich an einer Kette um

den Hals hängte. Er vermittelte ihr tatsächlich ein gewisses Gefühl von

Schutz, auch wenn sie bezweifelte, dass er gegen einen Schwertstreich

helfen würde. Sie sah hinaus auf die Armee von Monstern, die sich langsam

wieder formierte. Viele der Bestien waren verletzt, aber noch mehr waren

tot. Sie hatte gewusst, dass die SEEDs große Löcher in der Monsterhorde

hinterlassen würde, aber sie war dennoch beeindruckt. Auch wenn es niemals

genug Schaden war, um sie aufzuhalten, waren die Verluste groß.
 

Wenn Rinoa nicht ihre Spezialtechnik angewandt hätte, wären sie jetzt tot

und könnten ihnen nicht mehr schaden. Obwohl sie versuchte, es zu

unterdrücken, freute sich ein Teil von ihr darüber, dass ihre ehemaligen

Freunde entkommen waren. Aber das würde sie beim nächsten Mal auch nicht

schützen. Dessen war sie sich sicher. "Wie lange brauchen wir noch, um

unsere Armee zu vervollständigen?" fragte sie.
 

"Nur noch ein paar Stunden, mein Kind. Nur noch ein paar Stunden. Die

letzten Truppen werden schon bald eintreffen."
 

1.2 Kapitel 7
 

Edea versuchte gerade, Skirr, einen Jungen, der seit kurzem in ihrem

Waisenhaus lebte, dazu zu bringen, seine Geschwister in Ruhe zu lassen, als

die Ragnarok landete. Momentan lebten drei Kinder bei ihr, Skirr und zwei

jüngere Mädchen namens Lana und Veilu. Skirr erinnerte sie irgendwie an den

jungen Cifer. Er hatte auch immer versucht, die anderen bei seinen

Zieheltern auszustechen, eine Eigenschaft, die er bis heute behalten hatte.

Natürlich rannten alle drei zum Fenster und sahen mit großen Augen das

riesige Raumschiff an, welches gerade vor dem neuaufgebauten Gebäude

landete.
 

"Mama, Mama!" rief Veilu aufgeregt. "Ist das ein UFO? Was will es bei uns?"
 

Lana, die jüngste, wurde ängstlich und rannte zurück zu Edea, um sich an

sie zu klammern. Die ehemalige Hexe beruhigte sie und strich ihr über die

Wange. "Nein, Lana, das ist kein UFO, und es will dich auch nicht wegholen.

Das sind nur ein paar Gäste, die uns besuchen wollen."
 

"Gäste?" fragte Skirr misstrauisch. "Welche Gäste können sich solch ein

Ding leisten? Der Präsident von Esthar oder der Militärchef Galbadias?"
 

"Weder noch", entgegnete Edea. "Da ich mal denke, dass ihr ohnehin nicht

ins Bett gehen würdet, wenn ich es euch befehle, könnt ihr ruhig vom

Fenster aus zuschauen. Keine Angst, das sind nur eure Vorgänger hier." Mit

diesen Worten verließ sie das Haus und wartete, bis sich die Klappe der

Ragnarok öffnete und ihre Kinder heraustraten. Sie waren nicht ihre

leiblichen Nachkommen, aber sie hatte sie aufgezogen, und deshalb waren sie

ihre Kinder, basta! Aber irgendwas stimmte heute anscheinend nicht. Wieso

war Quistis nicht dabei? Und wieso kam nicht zumindest Selphie hier

heraufgerannt, um sie zu begrüßen? Von Squall war sie es gewöhnt, dass er

seine Gefühle zurückhielt, und Irvine und Xell bemühten sich auch, einen

gewissen Stolz als SEEDs zu wahren, aber die kleine Selphie hatte solche

Formalitäten immer über Bord geworfen. Was war los?
 

"Schön, euch einmal wiederzusehen, meine Kinder!" begrüßte sie die

herankommende Schar. "Natürlich auch dich, Rinoa. Was ist los? Ist etwas so

Schlimmes geschehen, dass ihr eure Mutter nicht einmal umarmen könnt?"
 

Selphie warf sich an ihren Hals und rief: "Etwas Fuuuuurchtbares ist

passiert, Mama! Soooo was Schlimmes ist noch nie auf der Welt passiert!"
 

Als Edea verwundert die anderen anstarrte, fragte Xell rasch: "Hast du etwa

Neuzugang bekommen, Mama?" Er deutete auf das Fenster, wo die drei Kinder

immer noch standen und die Neuankömmlinge erstaunt musterten. Er winkte

ihnen zu, aber nur Skirr traute sich zurückzuwinken. "Oh ja, ich habe ihnen

schon gesagt, dass ihre älteren Geschwister gerade angekommen sind. Wollt

ihr nicht mal reinkommen und sie begrüßen?"
 

"Nein, lieber nicht!" wandte Squall ein. "Wir müssen etwas Ernstes mit dir

besprechen, Mama. Kannst du sie nicht ins Bett schicken oder so?"
 

"Ich gehe rein und rede ein wenig mit ihnen", erbot sich Rinoa. "Ich werde

ihnen die Geschichte des unbesiegbaren Squall Leonhart erzählen. Sogar die

großen Kinder im Garden schwärmen noch davon." Kichernd lief sie aufs Haus

zu, während Squall etwas Undefinierbares brummte.
 

"Du musst uns helfen, Mama!" schaltete sich Irvine ins Gespräch ein.

"Quistis ist übergeschnappt! Sie hat sich auf die Seite eines wahnsinnigen

Wissenschaftlers gestellt, der versucht, Esthar zu zerstören!"
 

"Jetzt mal langsam, ihr alle", sagte Edea mit einer beruhigenden Geste.

"Erzählt mir mal alles von Anfang an, damit ich mitkomme. Dann werden wir

weitersehen."
 

Squall begann zu erzählen, nur unterbrochen von kleinen Einwürfen der

anderen, die natürlich auch etwas zur Geschichte beitragen wollten. "Tja,

und nachdem wir mit Müh und Not entkommen waren, haben wir Cifer und seine

Kumpane an den Centra-Ruinen abgesetzt und sind dann zu dir geflogen. Rinoa

meinte, dass du dich vielleicht noch an einen Zauberspruch erinnern kannst,

der Quistis wieder zur Vernunft bringt. Kannst du uns dabei helfen?"
 

Einen Moment lang war Edea still, dann begann sie den Kopf zu schütteln.

"Einen solchen Zauber gibt es nicht. Und Quistis hat auch nicht den

Verstand verloren, ich glaube eher, dass ihr sie durch etwas so sehr

gekränkt habt, dass dieser Beschwörer sie auf seine Seite ziehen konnte. Du

hast erzählt, dass Quistis sich sehr einsam fühlt, Squall. Habt ihr

irgendwann mal etwas gesagt, was ihr das Gefühl gegeben haben könnte, dass

sie nicht mehr euer Vertrauen genießt?"
 

Betreten sah der Gunblade-Kämpfer zu Boden. Xell antwortete statt ihm: "Ja,

haben wir. Als wir eingeschlossen waren, haben wir uns gefragt, ob wir es

nicht vielleicht Quistis zu verdanken hätten. Aber ich habe nur die

Möglichkeit ausgesprochen, weil wir gelernt haben, auf alles vorbereitet zu

sein. Ich konnte doch nicht ahnen, dass sie zusieht und das für bare Münze

nimmt..."
 

"Ja, das ist wahr!" warf Irvine ein. "Wir haben nur die Möglichkeit in

Betracht gezogen, aber in Wahrheit hat doch sogar Cifer gehofft, dass sie

uns retten kommt. Der Angeber ist doch nur so über sie hergezogen, damit er

einen Vorwand hatte, an Squall seine Wut abzulassen."
 

"Nun, wenn das so ist, kann ich Quistis verstehen!" Edea sah traurig zum

Himmel hinauf. "Es tut furchtbar weh, wenn man von jemandem, den man liebt,

hören muss, dass er einem nicht mehr vertraut. In einer solchen Situation

würde man auf jede Stimme, die einem Hilfe verspricht, hereinfallen. Ich

glaube diesem Menschen sogar, dass er Quistis' Vater ist. Sie kam

tatsächlich mit einer Botin aus Esthar. Aber er nutzt sie nur aus.

Vielleicht glaubt er sogar, ihr damit das Beste zu tun, aber er wird sie

damit zerstören." Einen Moment lang dachte sie nach, dann sah sie ihnen

fest in die Augen. "Als erstes müssen wir alle Hilfe zusammentrommeln, die

wir finden können. Xell, du fliegst nach Balamb und warnst den Garden und

die Bevölkerung vor den Monstern in der Gegend. Vielleicht sind auch sie

von diesem Mann beeinflusst. Irvine, du gehst zum Galbadia-Garden. Du

kennst dort viele Leute, vielleicht wollen uns ja ein paar von ihnen

helfen, auch wenn Galbadia selbst nicht eingreifen will. Selphie, du wirst

zum Trabia-Garden gehen und dort um Hilfe bitten. Sie werden vielleicht

nicht viel tun können, aber fragen können wir ja. Und warne auch die

Shumis!"
 

"Okaaaay, Mama, Sir!" Selphie salutierte.
 

"Ich nehme an, ich soll dann nach Esthar gehen und Rinoa nach Galbadia zu

ihrem Vater, wie?" vermutete Squall, doch Edea schüttelte den Kopf. "Nein,

genau andersrum!" Sie nahm ihn beiseite und flüsterte ihm zu: "Warum

glaubst du denn, habe ich die drei an diese Orte geschickt? Damit sie ihre

Angelegenheiten dort in Ordnung bringen können! Irvine und Selphie fühlen

sich wohl bei euch, aber ich glaube, vor einem solchen Kampf sollten sie

noch einmal mit ihren Freunden in ihren alten Schulen reden können. Und

Xell? Willst du ihm das Recht vorenthalten, sich von seiner Familie zu

verabschieden, wenn er gegen diesen Kerl ziehen muss? Und du und Rinoa, ihr

seid doch über beide Ohren ineinander verliebt. Versuch jetzt nicht, dich

rauszureden, junger Mann!" meinte sie streng. Squall wurde ein wenig rot.

"Sicher seid ihr das. Aber ihr wisst, dass eure Eltern nicht unbedingt

damit einverstanden sind. Oberst Carway war noch nie sehr begeistert davon,

dass du ihm seine Tochter ausspannst, und Laguna ist nicht recht wohl bei

dem Gedanken, mit dem Oberst verwandt zu sein. Also solltet ihr euch mit

ihnen aussprechen. Du wirst sehen, wenn man seine Angelegenheiten geregelt

hat, dann fühlt man sich viel besser. Und wer sich gut fühlt, erzielt auch

bessere Ergebnisse, habt ihr das nicht gelernt? Wenn nicht, muss ich mit

Cid mal ein ernstes Wort reden!"
 

Squall zeigte eins seiner seltenen Lächeln. "Zu Befehl, Mama!" bekräftigte

er nickend. "Los, Leute, ich hole noch Rinoa, dann fliegen wir los.

Selphie, ich hole dich später wieder mit der Ragnarok ab, Irvine, du kommst

nach Deling City, wenn's mit dem Garden nicht klappen sollte! Rinoa setze

ich gleich in Esthar ab. Sie wird dort auf uns warten!" Er ging ins Haus,

um Rinoa klarzumachen, dass sie die "süßen Kleinen" jetzt wieder verlassen

musste.
 

"Ach, Xell", wandte sich Edea an den blonden Jungen. "Wenn du in Balamb

bist, dann sorg bitte dafür, dass..." Den Rest flüsterte sie ihm ins Ohr.

Er sah sie skeptisch an, zuckte dann aber mit den Schultern. "Na ja, wenn

du darauf bestehst... aber ich weiß nicht, ob Direktor Cid davon begeistert

sein wird!" "Ihn kannst du ruhig mir überlassen", entgegnete sie. "Er wird

es nicht wagen, meinen Wunsch abzuschlagen!"
 

In diesem Moment kam auch Squall mit Rinoa wieder heraus, sie winkte den

Kindern noch einmal zu, dann begaben sie sich alle zur Ragnarok und flogen

ab. Edea sah dem Raumschiff gedankenversunken nach. Es war wirklich eine

verfahrene Situation. Quistis davon zu überzeugen, dass sie auf der

falschen Seite stand, würde schwierig werden, sehr schwierig. Aber zusammen

müsste es möglich sein. Sie hoffte es. Sie wollte ihr kleines, starkes

Mädchen nicht an einen dahergelaufenen Eroberer verlieren.
 

Als sie Schritte hinter sich hörte, lächelte sie und sagte, ohne sich

umzusehen: "Es wird auch Zeit, dass ihr auftaucht! Squall und die anderen

sind bereits wieder abgeflogen, Cifer. Aber ich vermute, mit ihm wolltest

du ohnehin nicht sprechen." Sie hörte, wie die Schritte überrascht

stoppten. "Nein", gab der Junge zu, als er sich wieder gefangen hatte.

"Woher hast du gewusst, ob ich überhaupt hierher komme?" Edea drehte sich

um. "Cifer, ich habe dich so viele Jahre um mich gehabt, ich weiß, dass du

besonders Squall gegenüber niemals zugeben würdest, dass du deine Mutter um

Hilfe bittest! Deshalb bist du bei den Centra-Ruinen ausgestiegen."
 

"Wenn du schon alles über mich weißt, dann sag mir jetzt gefälligst, was

ich tun soll!" verlangte er wütend. Er mochte es nicht, wenn man ihm

überlegen war. "Ich habe keinen Grund, an diesem Wahnsinnsunternehmen

teilzunehmen, außer dem, dass ich mich rächen will! Aber das rechtfertigt

noch lange nicht dieses Risiko!"
 

"Das musst du ganz allein entscheiden!" meinte Edea mit den Schultern

zuckend. "Aber erinnere dich, dass du damals auch keinen anderen Grund

hattest, wiederholt gegen Squall zu kämpfen, außer dem, dass er dich einmal

geschlagen hat! Das war doch auch ein nicht unerhebliches Risiko, oder?"
 

Einen Moment lang dachte Cifer nach. Fu-Jin und Rai-Jin, die dieses

Wortduell verfolgten, warfen sich einen erstaunten Blick zu. Squall und die

anderen mochten Cifer im Kampf überlegen sein, aber mit Worten hatten sie

es noch nie mit ihm aufnehmen können. Und die ehemalige Hexe Edea brachte

ihn so weit, dass er nicht mehr wusste, was er sagen sollte! Plötzlich

lächelte er. "Du hast Recht", gab er zu. "Ich habe wirklich einen guten

Grund, mich gegen diesen Mistkerl zu stellen. Den besten, den ich haben

kann. Aber wie sollen wir nach Esthar kommen? Ich glaube nicht, dass du dir

in der Zwischenzeit ein Schnellboot angeschafft hast, oder?"
 

"Nein!" Edea lachte. "Aber ich habe Xell gebeten, uns mit dem Balamb-Garden

hier abzuholen. Ich glaube, er wird bald zurück sein." Nun waren die drei

wirklich verblüfft. "Woher?" wollte Fu-Jin wissen. "Ja, woher wussten Sie

mal im Vorhinein, dass wir mitkommen?" fügte Rai-Jin hinzu. Edea lachte

wieder, diesmal etwas lauter. "Glaubt ihr wirklich, dass ich euch so

schlecht kenne? Ich wusste sofort, als ich die Geschichte hörte, dass Cifer

wild auf diesen Kampf ist. Eine ganze Armee Monster! Wo es doch immer schon

sein Traum war, allen zu beweisen, wie gut er ist." Cifer grinste schief.

"Gebt es auf, ihr beiden. Sie ist mir einfach über. Aber wehe, du verrätst

weiter, dass ich das gesagt habe!" "Natürlich nicht. Und jetzt kommt rein,

ich muss die Kinder noch ins Bett schicken, bevor wir aufbringen. Ihr könnt

ihnen ja vielleicht eine Gute-Nacht-Geschichte erzählen, während ich mich

reisefertig mache!" Sie drehte sich um, ohne die verdutzten Gesichter der

drei noch weiter zu beachten.
 

Rinoa war die erste, die aus dem Raumschiff wieder ausstieg. "Und wenn

Laguna EIN schlechtes Wort über uns sagt, dann richtest du ihm aus, das

Duell findet morgen vor der Residenz statt!" flüsterte Squall Rinoa zu,

während er ihr mit dem Handschuh durchs Haar fuhr. "Mach ich!" versicherte

sie ihm grinsend. "Und du sagst meinem Vater, wenn er sich nicht anständig

benimmt, lade ich ihn nicht zur Hochzeit ein!" Sie küsste ihn noch einmal,

dann sprang sie die Rampe hinunter und sah zu, wie sich die Klappe wieder

schloss.
 

Nachdem die Ragnarok wieder verschwunden war, rief sie sich den Bauplan

Esthars in Erinnerung und machte sich auf den Weg zur Residenz. Unterwegs

konnte sie einige Gesprächsfetzen aufschnappen, wie: "Hast du gehört?

Irgendwo in der Wüste sollen sich Monster ansammeln." Und "Das muss

tatsächlich ernst sein. Der Präsident hat alle Militärs gebeten, sich

bereitzuhalten." Nein, sie mussten Esthar verteidigen, schon allein, um

diese Menschen zu schützen, die ihnen und Laguna vertrauten.
 

Sie hatte gar nicht gemerkt, wie schnell sie gegangen war, denn sie stand

bereits vor der Residenz, als sie diesen Gedanken beendet hatte. Sie setzte

sich auf das Transportband, ließ sich in das riesige Gebäude

hineintransportieren und lief dann den langen Gang entlang, der zum Büro

des Präsidenten führte. Zuerst wollten die Ehrenwachen vor der Tür sie

aufhalten, aber dann erkannten sie, wer sie war und ließen sie passieren.
 

Laguna war gerade damit beschäftigt gewesen, mit Ward und Kiros zu

streiten, als sie eintrat. "... und ich sage, es ist noch zu früh!"

behauptete er. "Wenn wir es den Leuten jetzt schon sagen, geraten sie in

Panik und wenn sich dann nichts tut, sind sie sauer auf uns!"
 

"Hey, ich hab ja nur einen Vorschlag gemacht", wehrte sich Kiros. "Aber

sieh mal hinter dich, wir haben nämlich Besuch bekommen."
 

Der Präsident drehte sich um und setzte sofort ein strahlendes Lächeln auf,

als er Rinoa erblickte. "Rinoa! Welch nette Überraschung! Aber wieso bist

du allein hier? Ist den anderen etwas zugestoßen?" Plötzlich wirkte er sehr

besorgt. "Nein, nein", wehrte sie ab. "Den anderen geht's gut, bis auf

Quistis." Dann erzählte sie knapp die ganze Geschichte. Als sie geendet

hatte, war die gute Stimmung im Raum verflogen.
 

"Das heißt also, dass wir jetzt nicht nur diesen Wahnsinnigen gegen uns

haben, sondern auch jemanden, der ihm Einzelheiten über Esthar berichten

kann." Laguna wirkte ziemlich besorgt. "Und das wiederum heißt, dass wir

den Vorteil verlieren, den wir wegen seinen schlechten Informationen

hatten. Ich glaube, unter diesen Umständen können wir es nicht riskieren,

den Kampf in der Stadt stattfinden zu lassen. Wir werden ihn auf die Ebene

davor verlagern, dort können wir dann auch unsere schweren Waffen

einsetzen." Als er Rinoas erschrockenen Gesichtsausdruck bemerkte, machte

er eine abschwächende Geste. "Nichts Ernstes. Nur ein paar Elektrokanonen,

die noch aus der Zeit von Adell stammen. Sie werden nicht genug Feuerkraft

haben, um die Monsterhorde zu stoppen, aber wir können sie immerhin damit

verhindern, dass zu viele der Bestien in die Stadt gelangen."
 

Einen kurzen Moment schloss er die Augen, dann riss er sie wieder auf und

wandte sich mit befehlsgewohnter Stimme an Kiros und Ward: "So, ihr beiden!

Ich glaube, JETZT ist der Zeitpunkt gekommen, an dem die Bevölkerung in

Panik geraten darf. Ruft das gesamte Militär zusammen und macht ihnen klar,

dass sie sich auf der Ebene vor der Stadt Richtung Grandieri-Wald

versammeln sollen. Wenn sie Glück haben, bekommen sie bald Gesellschaft zum

Kartenspielen, bevor die Monsterschwemme anrollt. Und bringt Ell an einen

Ort, wo sie sicher ist, aber ihre Kräfte wenn nötig einsetzen kann. Ab mit

euch!"
 

Die beiden verschwanden. Laguna stellte sich in seiner Lieblingsposition

ans Fenster und sah hinaus. "Nun, da das Offizielle jetzt erledigt ist,

können wir ja offen reden. Edea hat Recht, wenn man in die Schlacht zieht,

sollte man vorher noch alles Wichtige erledigen. Wir hätten dieses Gespräch

längst führen sollen." Er drehte sich um und blickte in Rinoas finsteres

Gesicht. "Was ist? Hab' ich etwa was Falsches gesagt? Du siehst genau so

aus wie Ell, als ich ihr verbieten musste, wegen eines Attentäters

rauszugehen."
 

"Wir hätten dieses Gespräch längst führen sollen!" Rinoa schnaubte

verächtlich. "Genau so fängt mein Vater auch immer an, wenn er mir etwas

ausreden will! Aber egal was du auch sagst, ich werde mich NICHT von Squall

trennen! Wenn wir diese blöde Schlacht überleben, dann werden wir uns

irgendwo hin zurückziehen, wo uns keiner von euch zwei finden kann. Ich

hätte eigentlich gedacht, dass du mit unserer Beziehung einverstanden bist,

Laguna, aber da habe ich mich wohl geirrt. Wahrscheinlich willst du nur,

dass Squall auch noch eine Weile dir gehört."
 

Laguna hatte diese Litanei stillschweigend über sich ergehen lassen. Er

setzte sich auf die Ecke seines Schreibtischs und sah Rinoa erstaunt eine

Weile lang an. Sie wurde unsicher. Ihr Vater hätte ihr nach dieser Rede

zumindest widersprochen, wenn nicht gar einen Streit angefangen. Dass der

Esthar-Präsident so ruhig blieb, brachte sie völlig aus dem Konzept.
 

"Ich glaube, du hast mich da komplett falsch verstanden, junge Dame",

entgegnete Laguna immer noch ruhig. "Ich habe nicht vor, mich gegen dich

und Squall zu stellen, im Gegenteil. Ich glaube nicht, dass ich überhaupt

das Recht dazu habe. Squall ist zwar mein Sohn, aber da ich ihn vor ein

paar Monaten das erste Mal gesehen habe, kann ich doch keine

Besitzansprüche auf ihn erheben. Er würde das doch ohnehin nicht zulassen,

oder?"
 

Nun war Rinoa überrascht. "Dann hast du wirklich nichts dagegen, dass er

und ich zusammen sind?" vergewisserte sie sich. "Und nenn mich nicht junge

Dame! Das hat mein Vater auch getan und ich hasse das!"
 

"Nein, ich habe wirklich nichts dagegen,... junge Dame! Ich glaube, du

bewertest deinen Vater viel zu streng, Rinoa. Versteh mich nicht falsch",

sagte er schnell mit einer abwehrenden Handbewegung, "ich halte ihn für

einen arroganten, kalten Mann, der niemandem, besonders dir nicht, seine

Gefühle offenbaren würde. Aber glaubst du nicht, dass das auch zum Teil

deine Schuld ist? Zuerst ist ihm seine Frau gestorben, und dann hast du

dich auch noch von ihm abgewandt. Wenn er auf Botschafterempfängen nicht

immer so herablassend wäre, könnte er mir sogar Leid tun. Ich hoffe, dass

ich mich mit dir besser verstehen werde als mit ihm. Also wehe, wenn ich

irgendwelche Schattenseiten an dir entdecken sollte!"
 

Rinoa strahlte ihn an. "Ach, die wirst du noch früh genug zu spüren

bekommen", feixte sie. "Besonders in nächster Zeit. Squall und ich haben

nämlich beschlossen, endgültig zusammenzuziehen. Und wir haben auch schon

überlegt, ob wir dich zur Heirat einladen sollen!"
 

Jetzt war zur Abwechslung Laguna baff, was Rinoa weiterhin grinsen ließ.

Dann schrie er auf. "Ich Unglücksseliger!" brüllte er. "Womit habe ich das

nur verdient? Hätte ich vorher nur nicht so gut von Carway geredet, jetzt

muss ich ihn bald mit SCHWAGER ansprechen! Das ist zuviel!" Er sank

zusammen. Rinoa musste beinahe lachen, als er wie ein Häufchen Elend vor

ihr saß. Dennoch hörte sie unterdrückte Freude in seiner Stimme, als er

leise sagte: "Aber versprich mir wenigstens eins: Kommt nicht so bald auf

die Idee, ein Baby zu haben! Für die Bezeichnung Großvater fühle ich mich

noch entschieden zu jung!"
 

Das Mädchen wurde ein bisschen rot, dann lachte sie und umarmte Laguna, der

dies willig geschehen ließ. "Versprochen... Papa!" meinte sie grinsend. Den

nächsten Satz des ehemaligen Soldaten verstand sie nicht genau, aber sie

nahm an, dass es sich um "Was hab ich nur verbrochen?" handelte.
 

Er löste sich nach einer Weile wieder von ihr, mit der Begründung: "Lassen

wir das jetzt lieber. Am Ende sieht uns noch jemand und erzählt es Squall.

Er fordert mich dann sicher zu einem Duell heraus, und darin hab ich nicht

so viel Übung wie er." Rinoa kicherte leise und hängte sich bei ihm ein.

"Na, dann gehen wir mal zu den Truppen und warten auf ihn. Dann kann ich

dich vor ihm beschützen!"
 

Laguna versuchte, wenigstens etwas Würde zu bewahren, als Rinoa ihn aus dem

Raum zerrte. Es gelang ihm nicht sonderlich gut. Er erkannte, dass er,

sollte Esthar den Krieg überstehen, nicht viel Frieden finden würde... mit

dieser Schwiegertochter... und ihrem Vater! Trotzdem seufzte er glücklich.

Endlich kam wieder ein wenig Schwung in sein altes Leben!
 

Xell hielt sich nicht lange damit auf, der Ragnarok nachzuwinken, als sie

am Horizont verschwand, dazu war er einfach nicht der Typ. Statt dessen

rannte er auf Balamb zu, seine Heimatstadt, wo er nach seiner Zeit im

Waisenhaus von der Familie Dincht aufgenommen worden war. Hier hatte er das

erste Mal seinen Großvater gesehen, als er in Militäruniform Leute

kommandierte. Und hier hatte er den Entschluss gefasst, selbst Kämpfer zu

werden. Seinen Eltern war es zwar nicht unbedingt recht gewesen, dass er

sich für einen so gefährlichen Beruf entschieden hatte, aber wie alle

Einwohner Balambs waren sie natürlich stolz darauf, was aus ihm geworden

war.
 

Als er näher kam, bemerkte er drei Beißkäfer, die vergeblich versuchten, in

die Stadt zu gelangen. Sie hatten nicht mal mehr Zeit, einen Gedanken an

Flucht zu verschwenden, als er schon zwei von ihnen mit einem flüchtigen

Schlag aus der Luft geholt hatte. Auch der dritte lebte nicht sonderlich

viel länger. Xell runzelte die Stirn und musste lachen, als ihm einfiel,

dass dafür eigentlich Squall zuständig war. Nachdem er dem Monsterheer von

Quistis'... Vater gegenübergestanden war, waren solche Gegner der reinste

Hohn für ihn, aber wegen seiner immensen Kräfte vergaß er oft, dass auch

diese Art Ungeheuer für Nicht-SEEDs tödlich sein konnte. Er wollte sich gar

nicht ausmalen, was hätte geschehen können, wenn diese Viecher auf eins der

Nachbarskinder getroffen wären...
 

Er schüttelte die trostlosen Gedanken ab und schritt mit einem Lächeln

durchs Eingangstor. Der Gebrauchtwagen-Verleiher grüßte ihn freundlich,

genau wie der Ladenbesitzer und der Hotelier, die er auf dem Hauptplatz des

Ortes traf. Alle waren stolz darauf, dass jemand aus ihrer Kleinstadt dabei

gewesen war, als Artemisia bezwungen wurde. Schade, dass er ihnen jetzt

solche Nachrichten überbringen musste. Aber erst mal würde er seine Familie

besuchen, wie Edea ihm geraten hatte.
 

Als er anklopfte, hörte man eine wohlbekannte Stimme, die laut verkündete:

"Ja, ja, ich komm ja schon. Sie brauchen nicht gleich die Tür

einzuschlagen, ich höre noch sehr gut! Ach, das ist ja wie damals, als die

Galbadier die Stadt besetzten..." Nachdem die Tür sich geöffnet hatte,

blickte Xell in das überraschte Gesicht seiner Ziehmutter. "Xell!" keuchte

sie. Dann fingen ihre Augen an zu leuchten, und sie umarmte ihren Sohn

stürmisch. "Xell, mein Junge! Dass du dich auch wieder mal hier sehen

lässt! Meine Güte, drück doch nicht so fest zu, du weißt doch, dass normale

Menschen wie ich es nicht mit dir aufnehmen können. He, Jungs, kommt mal

her, Xell ist wieder da!"
 

Einen Moment lang hörte man hektisches Stuhlrücken, dann stürmten die

Nachbarsjungen herein, die ihre Mutter mal wieder hinter sich ließen.

"Xell, wieso bist du her gekommen?" "Hast du eine wichtige Mission?"

"Kommen wieder neue Feinde nach Balamb?" "Wieso sind die anderen SEEDs

nicht da?" Von überall strömten die Fragen auf ihn ein, aber er machte

lachend eine beschwichtigende Geste.
 

"Ruhe, Ruhe mal, Leute, ich kann doch nichts sagen, wenn ihr so

herumschreit! Na also, schon besser. Nein, ich bin allein hier, und es

kommt auch kein neuer Einmarsch von Feinden auf euch zu. Ich wollte euch

einfach nur mal einen überraschenden Besuch abstatten, um zu sehen, ob man

sich noch an mich erinnert."
 

"So'n Quatsch, wie könnte man dich vergessen?" meinte einer der Jungen. Der

andere ging in seine persönliche Kampfstellung, wie er es nannte und

behauptete: "He, Xell, ich hab eine neue Kampftechnik entwickelt, mit der

ich jedes Monster fertig machen kann, das Balamb zu nahe kommt. Wenn ich

alt genug bin, melde ich mich auch beim Garden an." Ihre Mutter lächelte,

sagte aber: "Du bist noch viel zu jung, um das zu entscheiden. Xell ist

auch erst in den Garden gegangen, als er älter war als du! Momentan musst

du noch viel lernen."
 

"Ja, das solltest du", stimmte Xell zu. "Und überleg dir wirklich gut, ob

du SEED werden willst. Es könnte sein, dass du dann Dinge tun musst, die

dir nicht gefallen." Einen Augenblick lang starrte er ins Leere, dann fing

er sich wieder und bemerkte: "Aber wenn du bis dahin deine Techniken übst,

um Balamb zu beschützen, brauche ich ja gar nicht mehr so oft herzukommen.

Wer weiß, vielleicht bist du ja in ein paar Jahren der große Held, wenn

sich an mich gerade noch meine Eltern erinnern."
 

"So, jetzt aber raus mit euch!" bestimmte Frau Dincht fest. "Ihr seht doch,

dass der Junge erst mal was essen und sich ausruhen muss. Zweifellos hat er

gerade mehrere gefährliche Monster besiegt, bevor er hierher gekommen ist.

Ihr könnt ja in der Zwischenzeit in der ganzen Stadt verbreiten, dass er

wieder da ist. Auf Wiedersehen, Frau Nachbarin!"
 

Nachdem die Nachbarsfamilie draußen war, wandte sich seine Mutter wieder zu

Xell um. "So, und jetzt wirst du dich erst mal hinsetzen und mir ganz genau

erzählen, was passiert ist", sagte sie ernst. "Du hast vorher so bekümmert

gewirkt, als du über die Pflicht gesprochen hast. Was ist los?"
 

Vor seinen Eltern konnte man anscheinend nichts Wichtiges verbergen. Xell

setzte sich und fing an zu erzählen. Er war bei weitem kein so guter Redner

wie Squall oder gar Laguna, aber die Geschichte fand beinahe von allein den

Weg zu seinen Lippen. Nach ein paar Minuten war er fertig und blickte seine

Mutter, die die ganze Zeit wortlos zugehört hatte, herausfordernd an. Was

würde sie dazu sagen?
 

"Schlimme Geschichte, wirklich", brachte sie nach einer gewissen

Sammelphase heraus. "Und ich dachte, ihr hättet nach eurem großen Kampf

jetzt endlich eine Chance auf Ruhe und Frieden. Dass deine... Freundin (Sie

brachte es nicht fertig, die ehemalige Waisenhaus-Gefährtin ihres Sohnes

Schwester zu nennen) so etwas getan hat, tut mir Leid. Es muss dir sehr

schwer fallen, gegen einen solchen Gegner anzutreten. Du wirst doch

antreten, oder?"
 

Irrte er sich, oder klang seine Mutter traurig? "Ja", antwortete er. "Ich

muss. Ich und die anderen, wir sind die stärksten Kämpfer dieser Welt. Wir

können nicht einfach kneifen, weil wir Skrupel haben, einen Gegner zu

bekämpfen. Wir wurden ausgebildet, um die Menschen vor übernatürlichen

Mächten zu schützen, und das werden wir tun. Wir sind SEEDs!"
 

Seine Mutter lächelte. "Du brauchst dich hier nicht zu verstellen, Xell",

tadelte sie liebevoll. "Du bist völlig verunsichert, weil du gegen jemanden

kämpfen sollst, dem du vertraut hast und der sich von euch abgewandt hat.

Das macht einem schwer zu schaffen, das hat schon dein Großvater gewusst.

Aber du darfst die Hoffnung nicht aufgeben. Vielleicht wendet sich ja doch

noch alles zum Guten!"
 

Er lächelte zurück, aber es war nicht ganz echt. "Danke, Mum! Aber ich

glaube nicht so recht an Wunder, die genau dann auftauchen, wenn man sie

braucht. Wir werden uns wahrscheinlich ganz auf uns selbst verlassen

müssen. So, ich muss wieder los. Ich habe... Edea versprochen, mit Direktor

Cid zu sprechen. Er muss uns mit dem Garden helfen, dann gelingt es uns

vielleicht, den Beschwörer einzuschüchtern."
 

"Glaubst du das wirklich, nachdem Quistis ihn nun berät?" fragte seine

Mutter, aber dann stand sie auf. "Nun, das wird sich ja alles finden. Aber

ich hatte gehofft, dass du noch etwas länger bleiben könntest. Dein Vater

wäre bald nach Hause gekommen und er hätte sich sehr gefreut, dich

wiederzusehen. Irgendwie ist er immer dann außer Haus, wenn du mal Zeit für

uns findest." Sie umarmte ihn, aber Xell löste sich nach einer ihm lange

erscheinenden Zeit von ihr.
 

"Mum", beschwerte er sich. "Du tust ja so, als würde ich in den sicheren

Tod gehen! Das ist nicht sehr aufbauend, weißt du? Ich habe einen sehr

schweren Kampf zu bestehen, aber das heißt nicht, dass ich beabsichtige,

mich vom nächstbesten Monster besiegen zu lassen."
 

Seine Mutter rieb sich die Augen. "Natürlich", antwortete sie. "Der größte

Krieger Balambs, einer der Bezwinger Artemisias, kann ja von Monstern nicht

mehr ernsthaft verletzt werden. Das denken die Leute da draußen, Xell. Aber

ich weiß, dass du nicht immer Krieger warst, und damals musstest du dir von

Leuten helfen lassen. Und dass einer derjenigen, denen du dich früher

anvertraut hast, jetzt gegen dich steht. Deswegen wirst du zögern, deine

Freundin zu töten, solltest du diese Gelegenheit haben." Sie hob die Hand,

als er widersprechen wollte. "Du wirst zögern, Xell, aber das ist nichts

Schlechtes. Im Gegenteil, wenn du Quistis ohne Schuldgefühle umbringen

könntest, hätte ich Angst vor dir. Ich vertraue darauf, dass du das

Richtige tun wirst." Sie wischte sich mit der Schürze über das Gesicht.
 

"Geh jetzt, Xell. Aber versprich mir, dass du mich nach diesem Kampf

besuchen wirst. Und der nächste Besuch sollte etwas länger sein als dieser

hier." Xell grinste sie an. "Versprochen. Ich hoffe, Dad ist beim nächsten

Mal auch da. Ich sehne mich schon wieder nach seinem herzlichen "Findest du

auch mal wieder eine Minute Zeit für deine Familie?" Tschüss, Mum. Ich

komme bestimmt wieder!" Ein paar Sekunden später fiel die Tür hinter ihm

zu.
 

"Ja", flüsterte Frau Dincht, während sie sich wieder setzte. "Ja, das hoffe

ich wirklich."
 

"Das sind wahrlich nicht die Nachrichten, die ich mir erhofft hatte",

kommentierte Direktor Cid Xell's Rapport. Er hatte schon Schlimmes geahnt,

als er den jungen Faustkämpfer aus dem Lift treten hörte und Shou ihm

mitteilte, der Direktor wäre nicht zu sprechen. "Der Termin, der wichtiger

ist als meine Nachrichten, muss erst noch festgesetzt werden!" hatte er ihr

geantwortet. "Und nebenbei kann auch keine Arbeitsunterbrechung so viel

Schaden anrichten wie ich, wenn ich die Tür aus den Angeln hebe! Also,

kriege ich eine Audienz oder muss ich einfach so ins Büro platzen? Squall

schickt mich mit einer äußerst dringenden Meldung!" Aber das, was er gehört

hatte, übertraf seine wirrsten Alpträume.
 

"Quistis ist also jetzt auf der Seite dieses Monsterbeschwörers, den sie

für ihren Vater hält? Ich muss gestehen, hätte ich es nicht aus Ihrem Mund

gehört, würde ich es nicht glauben! Eine ehemalige Ausbilderin hat ihre

eigene Lehre verraten?" Sorgenvoll schüttelte er den Kopf. Er hatte schon

einmal so etwas durchgemacht, als er Squall und seine Freunde gegen seine

Frau Edea antreten ließ. Damals war zum Glück niemand getötet worden. Aber

würde das diesmal auch so sein? Würde er eins seiner ehemaligen

Waisenhauskinder verlieren? Oder gar alle seine Geschwister?
 

Seufzend stand er auf. "Wenn ich recht verstehe, dann sollen wir Ihnen wohl

bei der Verteidigung von Esthar zur Seite stehen. Nun, da eine der unsrigen

den Angriff leiten wird, haben wir wohl kaum eine andere Wahl, wie? Shou",

wandte er sich an seine Assistentin. "Sagen Sie Niida Bescheid, dass wir

ihn auf der Brücke brauchen! Wir müssen auf dem schnellsten Weg nach

Esthar! Haben wir dieses Gerät aus Esthar schon getestet, das es dem Garden

ermöglicht, über hohe Klippen zu fliegen? Egal, wir werden es riskieren

müssen."
 

Die junge Frau verschwand. Xell sah ihr nach, dann sagte er: "Auf ein Wort

noch, Direktor. Bevor ich nach Balamb kam, war ich mit den anderen bei Edea

im Waisenhaus. Sie besteht darauf, dass wir sie mit dem Garden abholen

kommen. Und sie hat extra darauf hingewiesen, dass Sie es mit ihr zu tun

bekommen, wenn Sie diesen Befehl verweigern!"
 

"Hat sie das, ja?" murmelte Cid. Es gefiel ihm ganz und gar nicht, dass nun

auch seine Frau in Gefahr geraten sollte, wenn ihre Kinder schon an

vorderster Front stehen würden. "Nun, da habe ich ja wohl keine Wahl. Sie

würde mich über alle Kontinente jagen, wenn ich diesem Befehl

zuwiderhandle. Gut, wir machen also einen Zwischenstopp auf Centra. Haben

Sie sonst noch unangenehme Nachrichten für mich?"
 

Xell lächelte leicht. "Nein, für heute nicht. Aber keine Sorge, zweifellos

kommen wieder welche rein, wenn wir Esthar erreicht haben." Cid rollte mit

den Augen. "Ja, vermutlich", bestätigte er.
 

Selphie drehte sich um und nickte Irvine zu, der hinter ihr in der Ragnarok

stand und den Knopf für die Schließung der Schleuse betätigte. "Bis

späääääter!" rief sie ihm zu. "Amüsiert euch guuuut!" "Pass gut auf dich

auf, Sephie", antwortete Irvine. "Nicht, dass du uns im Endkampf einfach im

Stich lässt!" Er versuchte zu grinsen, aber es gelang ihm nicht richtig. Er

fühlte sich noch immer etwas unwohl, wenn er mit ihr sprach. Sein Gegenüber

strahlte ihn an. "Keine Soooorge! Schließlich schuldest du mir noch eine

Partie Triple Triad. Ich verlaaaaange, dass wir sie nach dem Kampf in

Esthar austragen." Diesmal grinste er wirklich. "Versprochen." Er sagte

noch etwas, aber die sich schließende Klappe unterbrach das Gespräch.
 

Das Mädchen prüfte das Netz, das noch immer an der Wand ihres ehemaligen

Gardens hing. Es war inzwischen zwar versucht worden, die Tür auszubessern,

aber noch immer bestand ein nicht unbeträchtliches Risiko, wenn man unter

den Steinen durchging. Sicher war sicher. Und so sportlich, wie sie war,

bereitete es ihr ohnehin keine Mühe, die Mauer zu erklimmen. Als sie oben

angekommen war, war sie angenehm überrascht. Die Wiederaufbauarbeiten des

Trabia-Gardens hatten zwar schon vor Monaten begonnen, aber am Anfang war

die ganze Sache etwas schleppend vorangegangen, weil das nötige Geld für

dieses Projekt fehlte. Erst, als die Schwesterschule in Balamb beschloss,

Trabia das Bare zu spenden, welches sie für die Beseitigung der Hexe Adell

von Esthar bekommen hatte, ging es aufwärts. Zuerst hatte der Direktor das

Geld gar nicht annehmen wollen (O-Ton: "Wir können doch kein Geld von

Ausländern annehmen!"), aber als Selphie selbst gekommen war und es ihm als

ehemalige Schülerin überreicht hatte, fügte er sich.
 

Während der Balamb-Garden stark an ein überdimensionales Schneckenhaus

erinnerte, und der Galbadia-Garden von außen wie ein zum Angriff bereiter

Käfer aussah, hatten sich die Verantwortlichen offenbar entschlossen, die

Kampfschule von Trabia im Esthar-Stil zu gestalten: hoch, aber alles

abgerundet und lichtanziehend. Selphie vermisste zwar den Stil des alten

Gebäudes sehr, aber die Stadt von Squalls Vater hatte auch ihre Reize. Sie

glaubte, dass man in diesem Garden gut arbeiten würde können. Langsam ließ

sie sich zu Boden gleiten.
 

"Selphie?" meldete sich plötzlich eine Stimme, die vom Gebäude her kam.

"Selphie Tilmitt? Du alte Draufgängerin lebst noch immer? Himmel, was führt

dich denn hierher zurück?"
 

Sie hatte die Stimme sofort erkannt. "Kiveni? Die haben dich noch immer

niiiicht rausgeworfen? Wo bist duuuu denn?" Wild schwenkte sie den Kopf und

fand ihre beste Freundin in Trabia unter einem der jungen Bäume, den sie

nach dem Raketenbeschuss gepflanzt hatte. Sie pflegte immer zu sagen, dass

diese Bäume ihr dabei halfen, das Feuer zu vergessen. Allerdings hatte sie

Selphie gestanden, dass sie noch immer davon träumte.
 

Kiveni hatte sich aufgesetzt. "Na, hier, wo denn sonst? Aber wieso bist du

allein hierher gekommen? Wo sind deine neuen Freunde aus Balamb? Mann, ich

hätte zu gern noch einmal diesen netten Kerl aus Galbadia gesehen, wie hieß

er noch mal... ah, ja Irvine Kinneas!"
 

Selphie hob misstrauisch die Augenbrauen. "Wieso denn daaaas?" erkundigte

sie sich argwöhnisch. "Hast du etwa voooor, etwas mit ihm anzufangen? Tja,

ich muss dich enttäuschen, momentan fliegt er gerade mit Squall nach

Galbadia."
 

Kiveni grinste sie an. "Habe ich da etwa Eifersucht aus deiner Stimme

gehört? Man könnte meinen, du findest mehr an ihm als ich! Aber setz dich

erst mal, bevor du deiner Entrüstung Luft machst, man kann doch nicht den

ganzen Tag stehen. Und jetzt erzähl mal, was sich so in den letzten Monaten

abgespielt hat. Hast du im Garden schon einen Jungen gefunden, der dir

gefällt?"
 

Selphie sah sie vorwurfsvoll an. "Duuuu hast schon immer versucht, mich zu

verkuppeln. Nicht, dass ich dir deswegen böse wäre, aber ich denke, dass

ich dabeiiii auch noch ein Wörtchen mitzureden habe! Und wegen Irvine, da

gibt's nichts zu erzählen. Wir sind nur gute Freunde, wie damals im

Waisenhaus, weiter niiiichts."
 

Ihre Freundin wirkte überrascht. "Tatsächlich?" erkundigte sie sich. "Als

ihr das letzte Mal hier wart, hab ich wirklich geglaubt, dass er mehr für

dich übrig hätte. Er schien ständig Blicke auf dich zu werfen, hast du das

etwa nicht gemerkt? Ich glaube nicht, dass das allein deshalb war, weil er

in dir eine alte Spielkameradin entdeckt hatte. Hat er in all der Zeit

wirklich nicht versucht, dir näher zu kommen?"
 

Selphie wurde ein bisschen rot, als sie an den Handkuss dachte, den Irvine

ihr vor dem Kampf gegen den Beschwörer gegeben hatte. Damals hatte er nicht

so cool gewirkt wie sonst, wenn er ein Mädchen anmachte (Sie hatte ihn oft

genug dabei beobachtet). Eher überrascht über sich selbst. Komischer

Gedanke. "N-nein, nicht wirklich. Jedenfalls nichts Eindeutiges. Aaaaaber

lass uns jetzt bitte das Thema wechseln, ja?"
 

"Wieso denn? Hab ich etwa einen wunden Punkt berührt?" hakte Kiveni

grinsend nach. "Gut, wenn es dir wirklich zu peinlich ist. Aber ich beharre

weiterhin darauf: Der Typ hat etwas für dich übrig. Weswegen bist du jetzt

hergekommen? Du hast vorhin erwähnt, er und dieser andere tolle Typ,

Squall, wären nach Galbadia geflogen. Übrigens" fragte sie, die Stimme

senkend, "ist der noch immer mit dieser Rinoa zusammen?"
 

Als Selphie nickte, seufzte sie. "Schade", kommentierte sie, "wieder ein

gut aussehender freier Junge weniger auf der Welt. Ich hab wohl nie Glück!"
 

"Aaaach was, das wird schon mal werden!" versuchte ihre Freundin sie zu

trösten. "Was deine Fraaaage von vorhin angeht: Ich bin hier, weil ich den

Direktor um Unterstützung bitten muss. Es wird bald einen mächtig wichtigen

Kampf geben, bei dem wir alle, die nur ein bisschen kämpfen können, um

Hilfe bitten müssen. Wiiiiiirklich üble Sache!" Dann erzählte sie die ganze

Geschichte, angefangen von Koyo-Koyos Erscheinen im Garden. Kiveni hörte

ihr zu, ohne eine Zwischenfrage zu stellen, und auch, als Selphie geendet

hatte, sagte sie eine ganze Weile lang nichts.
 

"Mann!" kommentierte sie schließlich. "Das ist aber echt ernst! Und ihr

wollt tatsächlich gegen eure eigene Fast-Schwester antreten? Hört sich nach

einem schweren Gewissenskonflikt an, wenn du mich fragst! Willst du das

denn wirklich?" Als sie sah, wie unglücklich Selphie drein sah, legte sie

ihr den Arm um die Schulter. "Tut mir Leid. Das hätt' ich nicht fragen

müssen. Natürlich, du bist ein SEED und musst tun, was man dich gelehrt

hat. Langsam kommen mir Zweifel, ob ich selbst zum SEED geeignet bin, wenn

ich dann solche Entscheidungen fällen muss!"
 

"Ich bezweifle, ob dann überhaupt jemand zum SEED geeignet ist!" flüsterte

Selphie. Sie sah so ernst aus, dass sie Kiveni fast wie eine Fremde vorkam.

"Ich will nicht gegen Quistis kämpfen, wirklich nicht. Aber wenn wir uns

ihr und ihrem Vater niiiicht entgegenstellen, dann wird Esthar zerstört.

Und das können wir nicht zulassen."
 

Minutenlang schwiegen beide und Selphie lehnte sich an die Schulter ihrer

Freundin. Dann, nachdem beide ihre trüben Gedanken durchgekaut hatten,

sahen sie sich an. "Komm schon", meinte Kiveni. "Du machst mir ja angst! So

kenne ich dich ja überhaupt nicht. Ich werde dich jetzt erst mal im Garden

herumführen, dann werden wir sehen, ob ich die wahre Selphie nicht doch

wieder rauslocken kann. Wir haben jede Menge toller Sachen eingebaut, die

wir früher nicht hatten, dank eurer Riesenspende. Ich muss dir unbedingt

zeigen, was wir mit deinem alten Zimmer gemacht haben!"
 

Von einer Sekunde auf die andere strahlte Selphie sie wieder an. "Na, dann

looooos!" rief sie. "Ich hab nicht allzu viel Zeit und will uuuunbedingt

alles sehen. Wieso sitzt du noch hier? Wir sollten längst unterwegs sein!"
 

"Na also", lachte Kiveni. "Das ging ja schnell. Du bist wieder ganz die

alte. Wir gehen jetzt mal gemütlich den Garden durch, und nachher bringe

ich dich gleich zum Direktor. Keine Sorge wegen der Unterstützung, wir

haben zwar hier keine richtigen SEEDs, aber kämpfen können wir deshalb

auch!"
 

"Weiß ich dooooch!" krähte Selphie fröhlich. "Schließlich hab ich's ja hier

gelernt! Los, gehen wir endlich, wir haben schon genug Zeit vertrödelt!"

Dann erst bemerkte sie, dass Kiveni sie verschlagen angrinste. "Waaas ist

denn?" "Nichts, nichts", behauptete die. "Ich frage mich nur, ob dieser

Irvine wirklich..."
 

Die Kadetten im Garden staunten nicht schlecht, als sie Kiveni Sekunden

später lachend hereinlaufen sahen, verfolgt von der größten Heldin des

ganzen Gardens, die sie wutschnaubend aufforderte, endlich mit "diesem"

Thema aufzuhören. Sie fragten sich, ob man vom vielen Lernen

Wahnvorstellungen bekommen konnte, kamen dann zu dem Schluss, dass das

nicht wahrscheinlich war und rannten hinter den Mädchen hinterher.

Schließlich sah man so etwas nicht alle Tage!
 

Hätte Irvine gewusst, über was Selphie zu der Zeit, als er die Ragnarok

verließ, plauderte, wäre seine Laune vermutlich himmelhochjauchzend

gewesen. So war er ziemlich nachdenklich, als er das Schiff in der Ferne

verschwinden sah und sich dann bereitmachte, den Galbadia-Garden zu

betreten. Wieso konnte er nur nicht mehr so ungezwungen mit dem Mädchen

reden, seit er ihr diesen verwünschten Kuss gegeben hatte? Er konnte ohne

Übertreibung behaupten, schon einige Erfahrung in solchen Sachen zu

besitzen, aber so unsicher war er nie gewesen. Er wollte mit Selphie

zusammensein, nichts lieber als das, und es dämmerte ihm auch schon eine

Zeitlang, dass aus einer solchen Beziehung auch mehr werden könnte, aber

das war nur seine Meinung.
 

Bei Selphie wusste man nie, woran man war. Sie versteckte alles, was zu

einem erwachsenen Menschen gehörte, tief in sich und ließ immer nur das

Kind sprechen. Nur bei diesem Handkuss hatte er gedacht, ihre wahren

Gefühle sehen zu können, aber dann war sie wieder in ihr altes Ich

zurückgefallen. Andererseits war es genau diese Unschuld, die ihn anzog.

Die meisten anderen Freundinnen, die er gehabt hatte, hatten in ihm den

coolen Draufgänger, den charmanten Verführer oder den wortgewandten Freund

gesehen, mit dem sie angeben konnten, aber mit Selphie war das anders. Sie

sah in ihm anscheinend nur so etwas wie einen Bruder und Spielgefährten.

Wieso musste Liebe etwas so Kompliziertes sein?
 

"Irvine Kinneas?" fragte auf einmal eine Stimme neben ihm. "Bist du's

wirklich, du alter Schwerenöter?" Er sah sich suchend um und entdeckte mit

seinem Kennerblick rasch ein hellhaariges, schlankes Mädchen mit Brille,

das ihn erfreut musterte. "Was treibt dich denn hierher? Hast du die

Mädchen in Balamb schon alle durchprobiert und willst dich wieder hier

austoben?"
 

Irvine konnte nicht von sich behaupten, dass er ein gutes Namensgedächtnis

besaß, aber gewisse Personen merkt man sich leicht. Zum Beispiel jene, die

einem immer das ins Gesicht schleuderten, was sie dachten. "Crys?" fragte

er. Dann setzte er ein gewinnendes Lächeln auf, rückte seinen Hut zurecht

und verbeugte sich leicht. "Tja, ich muss zugeben, dass in Balamb der

Andrang nach mir nicht so groß ist wie erhofft, mein Gruppenführer Squall

beansprucht leider den größten Fanclub für sich. Also zog ich es vor,

reuevoll wieder hierher zurückzukommen und hübschen Damen wie dir die Frage

zu stellen, wie es derzeit um sie steht."
 

Crys kicherte leise. "Du hast dich überhaupt nicht verändert, Kinneas!"

meinte sie gespielt streng. "Du versuchst es immer wieder mit der gleichen

Masche, und ich muss dann immer wieder erstaunt feststellen, dass sie auch

bei mir wirkt. Aber als wir zusammen waren, hast du mir immer einen

Handkuss gegeben, wenn du nach einer kurzen Affäre reuevoll zurückgekehrt

bist!"
 

Irvine schlug sich an die Brust und verzog das Gesicht. "Oh, das gibt

meinem Herz den Gnadenstoß. So lange musste es sich nach den wunderschönen

Galbadianerinnen verzehren, und dann hört es solch brutale Worte! Aber du

hast ja Recht, ich vernachlässige wirklich meine Pflichten als Galan." Er

nahm ihre ausgestreckten Finger sanft hoch, nahm den Hut ab, beugte sich zu

ihnen hinunter und - erstarrte.
 

Es ging nicht. Er konnte ihre Hand unmöglich küssen, ohne dass sofort diese

unangenehme und doch so wertvolle Erinnerung in ihm hochschoss. Beinahe

hastig ließ er ihre Hand los, setzte seinen Hut wieder auf und drehte sich

um. "Tut mir Leid", murmelte er. "Ich kann das nicht tun. Hab's wohl in

Balamb während den vielen Ehrungen verlernt."
 

Er spürte Crys' Blick, erstaunt, aber nicht verletzt. "Wer ist sie?" Nur

drei Worte. Aber sie erschreckten ihn mehr als jeder Vorwurf, den sie ihm

hätte machen können. Dennoch hatte er sich gut genug in der Gewalt, um

keine dumme Gegenfrage zu stellen. Das hätte seinen guten Ruf hier völlig

ruiniert, dachte er zynisch. Crys deutete sein Schweigen anscheinend

falsch, denn sie fuhr fort: "Irvine, ich will jetzt keine Ausrede hören!

Ich weiß, dass du außer mir hier in Galbadia eine Menge Freundinnen

hattest, wahrscheinlich auch noch gleichzeitig. Aber ich bin nicht so wie

die meisten anderen, die auf deinen Charme reingefallen sind und mächtig

damit angegeben haben. Ich kenne dich. Ich weiß, dass du bisher noch nie in

Verlegenheit warst, wenn es darum ging, ein Mädchen zu küssen. Also,

welches erstaunliche Geschöpf hat dich derart bezaubert?"
 

"Ich weiß nicht, ob du sie kennst", erklärte er zögernd, drehte sich aber

noch immer nicht um. "Sie war damals im Waisenhaus, wo ich aufwuchs. Ich

habe sie zusammen mit den anderen getroffen, als sie einen Scharfschützen

für das Edea-Attentat suchten. Ihr Name ist Selphie Tilmitt."
 

"Selphie Tilmitt", wiederholte sie. "Ja, ich habe von ihr gehört, wenn auch

nur wenig. Angeblich soll sie ziemlich kindisch sein und einen komischen

Sprachfehler zu haben. Außerdem soll sie sehr unbekümmert sein, auch im

Kampf. Hast du früher nicht immer behauptet, dass du solche Eigenschaften

bei einem Mädchen nicht gerade schätzt?"
 

"Das geht dich nichts an!" platzte er heraus. Er zitterte vor Wut. Was fiel

ihr ein, an seinem Privatleben herumzunörgeln. "Mit Selphie kann ich

wenigstens über alles reden, nicht nur darüber, wie hübsch sie aussieht!

Außerdem ist sie eine hervorragende Kämpferin! Ich glaube nicht, dass eine

von euch den Kampf mit Artemisia überlebt hätte! Sie schon!" Jetzt drehte

er sich um, mit zornigem, aber verunsichertem Blick. "Und sie schafft es,

dass ich mich in ihrer Nähe wirklich wohl fühle. Das war bei fast keiner

von euch so", fauchte er.
 

Zu seinem nicht geringen Erstaunen lächelte Crys. "Wenn mir das jemand

gestern gesagt hätte", schmunzelte sie. "Der große Casanova Irvine Kinneas,

von einem Mädchen verunsichert, das sich benimmt wie ein Kind! Einfach

großartig!" Schlagartig wurde sie wieder ernst. "Du bist dir nicht sicher,

ob sie deine Gefühle erwidert, nicht wahr?" vermutete sie. "Deshalb

konntest du mir keinen Handkuss geben. Und deshalb bist du so gereizt. Du

weißt einfach nicht, wie du dich ihr gegenüber verhalten sollst."
 

Irvine war überrascht. "Woher weißt du das alles?" wollte er wissen. Sie

lächelte wieder, diesmal allerdings traurig. "Was glaubst du denn, wie es

mir gegangen ist, als wir ein Paar waren?" fragte sie leise. "Ich wusste

einfach nicht, was ich machen sollte, um deine Aufmerksamkeit von all den

anderen Mädchen auf mich zu lenken. Du wolltest damals keine echte

Beziehung, du wolltest dir nur einen Ruf aufbauen. Ich habe dich wirklich

geliebt, Irvine, damals. Aber ich wusste nicht, wie ich es dir sagen

sollte." Sie trat näher an ihn heran. "Deshalb gebe ich dir einen Rat. Rede

mit Selphie über das, was du für sie empfindest. Wenn du es für dich

behältst, wird dich die Ungewissheit eines Tages auffressen."
 

Einen Moment lang sah Irvine sie an, voller Erstaunen, was aus dem

schüchternen, naiven Mädchen geworden war, das vor Jahren einmal mit ihm

gegangen war. Dann verzog er die Lippen und hob ihr Kinn hoch. "Du bist

wirklich etwas Besonderes", flüsterte er. "Schade, dass ich das nicht

früher gemerkt habe. Wie dumm ich doch damals war."
 

"Ja, sehr schade", stimmte sie zu. Dann hängte sie sich bei ihm ein und sah

ihn spitzbübisch an. "Ich denke, dafür habe ich eine Entschädigung

verdient. Du lässt dich von mir jetzt durch den Garden führen, so, dass uns

alle sehen. Und dabei erzählst du mir, weswegen du wirklich gekommen bist!"
 

"Einverstanden!"
 

Überall, wo sie entlanggingen, steckten die Schüler die Köpfe zusammen und

murmelten Dinge wie: "Doch, das IST Irvine Kinneas. Und er ist wegen Crys

zurückgekommen..." Die beiden ließen sich davon nicht stören. Irvine

erzählte die ganze Geschichte, und Crys hörte ihm zu, wobei sie

gelegentlich kleinere Fragen stellte. Schließlich, als er fertig war, waren

sie beim Büro des Direktors angekommen.
 

"Da habt ihr ja einiges am Hals, du und deine Freunde", bemerkte sie und

ließ seinen Arm los. "Was habt ihr jetzt vor zu tun?" Er zuckte mit den

Schultern und meinte: "Squall hat mich hierher geschickt, um den Galbadia-

Garden aufzufordern, den anderen Gardens bei der Schlacht beizustehen. Aber

ich weiß nicht, ob sich das mit den Interessen Galbadias vereinbaren lässt.

Schließlich ist Esthar eine Konkurrenzstadt."
 

"Da mach dir mal keine Sorgen", entgegnete sie. "Unser neuer Direktor hält

nicht viel von Politik. Für ihn zählt nur, ob der Auftraggeber vermögend

genug ist und ob die Schüler ihre Fähigkeiten perfektionieren können. Ich

denke, wir beide könnten ihn dazu bewegen, euch zu helfen."
 

"Wieso habe ich bloß das Gefühl, dass du mich nicht zufällig hierher

geführt hast?" fragte er sie mit einem Augenzwinkern. "Vermutlich, weil dem

so ist!" antwortete sie. "Komm jetzt! Wenn ich die Sachlage richtig

verstanden habe, haben die Esthar-Bürger nicht mehr viel Zeit und wir einen

weiten Weg!" Sie öffnete die Tür und betrat das Direktorat. Irvine folgte

ihr.
 

Obwohl man es ihm nicht ansah, war Squall ziemlich mulmig zumute, als er

die Ragnarok vor Deling City, der Hauptstadt von Galbadia, landete. Er

hatte keine Angst vor Oberst Carway, und er hatte auch sicher keine Scheu,

Rinoas Vater seine unverblümte Meinung über ihn ins Gesicht zu sagen,

sollte er es für unvermeidbar halten. Aber mit ihm über dieses Thema zu

reden, ohne dass es dabei zum Streit kam..., das war etwas, das er zwischen

den Kategorien "Vielleicht klappt es eventuell, wenn du viel Glück hast"

und "Versuch's erst gar nicht" einstufte.
 

Er verließ das Raumschiff langsam, schloss die Luke sorgfältig und ging

ohne besondere Eile auf die Stadt zu. Das konnte er immerhin anderen so

erklären, dass er Irvine genug Zeit lassen musste, hierher zu kommen, wenn

er keinen Erfolg hatte, aber er zweifelte nicht daran, dass keiner seiner

Freunde das glauben würde. Es war schrecklich, wenn die Leute einen so gut

kannten! Besonders, wenn es sich dabei um einige der größten Klatschmäuler

von ganz Balamb handelte.
 

Die Stadt war immer noch so hektisch wie früher, auch wenn jetzt nicht mehr

so viele Soldaten herumlungerten. Squall musste schmunzeln, wenn er daran

dachte, dass auch sein Vater mal hier "herumgelungert" war. Galbadia war

schon immer ein Militärstaat gewesen, das hatte sich auch in den letzten

Monaten nicht geändert. Die Einwohner waren noch immer etwas nervös, was

das neu aufgetauchte Esthar anging. Er glaubte kaum, dass sich das

galbadianische Heer dazu bereit erklären würde, dem Feindstaat zu helfen.
 

Er nahm nicht den Bus, da er es gewohnt war, in Städten herumzulaufen. Er

war so fast so schnell wie die öffentlichen Verkehrsmittel, mit dem

Vorteil, dass er sich nicht zusammenquetschen lassen musste. Die Villa von

Oberst Carway lag etwas außerhalb des Zentrums, was nicht unbedingt

schlecht war. Es kamen nicht mehr so viele Leute hierher, was bedeutete,

dass es hier deutlich ruhiger war. Selbst eine bewaffnete

Auseinandersetzung zwischen dem Oberst und ihm (jetzt war er schon so weit,

dass er so etwas annahm!) würde man außerhalb dieses Gebäudes nicht hören.
 

Er brauchte nicht lange zu warten, bis er hineingebeten wurde. Sein Name

war in diesem Haus nicht sehr beliebt, es war anzunehmen, dass auch Rinoas

Vater dieses Gespräch so schnell wie möglich hinter sich bringen wollte.

Aber diesmal würde er nicht nur ein formelles Gespräch führen müssen. Als

sich die Tür zu Carways Arbeitszimmer hinter ihm schloss, kam es ihm vor,

als wäre er eingeschlossen worden, wie damals der Trupp, den Quistis

angeführt hatte. Quistis...
 

"Nun, Herr Leonhart, was verschafft mir die Ehre Ihres Besuches?" drang die

Stimme des Obersts durch seine Gedanken. "Sie wollten mich umgehend

sprechen, also kommen Sie auch gleich zur Sache!"
 

Squall zeigte nicht, dass ihm der Ton Carways nicht gefiel und nahm Haltung

an. "Ich bin hier, weil ich ein offizielles Ansuchen der SEEDs an das

galbadianische Militär zu überbringen habe. Ein äußerst dringendes

Ansuchen!"
 

Rinoas Vater, der in seinem hohen Sessel saß, hob eine Augenbraue. "Äußerst

dringend, so? Und um was möchten die allmächtigen SEEDs das Heer von

Galbadia bitten?"
 

Wäre Xell hier gestanden und nicht Squall, dann hätte er den Oberst

vermutlich angeschrieen, er blieb jedoch völlig ruhig. Äußerlich zumindest.

Rasch und ohne Ausschmückungen schilderte er die Lage, in der sich Esthar

momentan befand. Er versuchte, im Gesicht seines Gegenübers zu lesen, aber

es blieb unbewegt. Nur die Augen musterten ihn nicht unbedingt freundlich.

"Deshalb bitten wir im Namen von Esthar um Hilfe gegen das Monsterheer!"

beendete er sein Plädoyer.
 

Carway nickte, stand auf und ging um den Schreibtisch herum. "Nun, ich

denke nicht, dass ich Ihnen in dieser Sache behilflich sein kann,

Leonhart", verkündete er. "Natürlich werde ich sie an das Oberkommando

weiterleiten, aber ich bezweifle, dass sie sich schnell genug auf eine

Strategie einigen können, wie mit dieser Gefahr umzugehen ist. Immerhin

steht auch Galbadia auf dem Spiel, wie Sie selbst gesagt haben."
 

Und sollten Sie schnell genug eine Strategie finden, so werden die Soldaten

wahrscheinlich in dem Moment unabkömmlich sein, dachte Squall. Das war

keine Überraschung. "Wenn dies alles ist, was Sie mir zu sagen hatte, dann

können Sie ja wieder gehen", merkte der Oberst an. "Ich werde mich bemühen,

meinen Vorgesetzten schnellstmöglich zu informieren, aber wie gesagt, ich

bezweifle, dass das Heer rechtzeitig einsatzbereit sein wird! Tut mir

Leid!" Mit diesen Worten drehte er sich um.
 

So hört es sich aber nicht an, dachte der SEED. Eher im Gegenteil. "Wenn

Sie noch einige Minuten für mich opfern könnten, würde ich gerne noch etwas

Persönliches mit Ihnen besprechen, Oberst! Über Ihre Tochter!" sagte er

laut. Rinoas Vater lachte, aber es klang nicht gerade fröhlich. "Und was

gibt es da zu besprechen, SEED?" fragte er bitter. "Sie hat sich für Sie

entschlossen und gegen ihren Vater. Es ist entschieden!"
 

"Rinoa sieht das nicht so", entgegnete Squall. "Sie spricht nicht darüber,

aber ich glaube, sie würde sich besser fühlen, wenn sie wüsste, dass sie

mit unserer Beziehung einverstanden sind. Und ich ebenfalls." "So, denken

Sie das?" fragte Carway. Merkwürdigerweise klang es amüsiert. Er drehte

sich zu Squall um, der sehr erstaunt war, als er ihn lächeln sah, wenn auch

ein wenig traurig. "Meine Tochter interessiert sich also das erste Mal seit

10 Jahren für meine Meinung? Welche Ironie!"
 

Er hob die Hand, als Squall etwas sagen wollte. "Sie haben Recht, Leonhart,

wir hätten dieses Gespräch schon länger führen müssen. Egal, was Sie von

mir halten, ich habe meine Tochter geliebt, auch wenn wir oft nicht einer

Meinung waren. Es fiel mir damals sehr schwer, einzusehen, dass sie sich

nach dem Tod meiner Frau gegen mich wandte. Als sie sich dann den Waldeulen

anschloss und danach mit Ihnen ging, um gegen Artemisia zu kämpfen, wusste

ich, dass ich sie endgültig verloren hatte. Ich beschloss, jeglichen

Kontakt zu ihr abzubrechen, da sie mich anscheinend vergessen wollte. Und

jetzt höre ich von Ihnen, dass sie insgeheim wissen möchte, was ich über

sie und ihre Beziehung denke!"
 

Squall war verwirrt. Er hätte nicht gedacht, dass dieses Gespräch derart

persönlich werden würde. "Oberst, ich glaube nicht, dass Rinoa es möchte,

wenn Sie sich von ihr zurückziehen. Sie hat zu Ihnen zwar nicht gerade ein

perfektes Verhältnis, aber das habe ich auch nicht zu meinem Vater! Dennoch

würde ich nicht zögern, mit ihm zu sprechen, wenn ich glaube, dass er etwas

Falsches macht. Und er auch nicht, wenn es um mich geht!"
 

"Ah ja, Präsident Loire!" Carway lächelte jetzt breit, wenn es auch nicht

vollkommen echt war. "Mir graust vor dem Gedanken, möglicherweise einmal

mit ihm verwandt zu sein. Hören Sie mal... Squall!" Er sah ihn direkt an,

mit festem Blick. "Sie können Rinoa mitteilen, dass ich jederzeit gern mit

ihr sprechen würde, wenn sie es möchte. Und was Sie beide angeht: Wir waren

oft verschiedener Meinung, aber ich habe ihr immer vertraut, wenn es um die

Wahl ihrer Freunde ging, und das tue ich auch jetzt. Ich glaube nicht, dass

Sie wissen möchten, was ich von Ihnen halte, doch ich glaube, dass Rinoa

mit Ihnen glücklich ist. Aber sollte mir jemals zu Ohren kommen, dass Sie

sie unglücklich machen, dann werde ich persönlich kommen und sie wieder zu

mir holen, ist das klar?"
 

Squall hielt dem Blick stand. "Ich glaube auch nicht, dass Sie wissen

möchten, was ich von Ihnen denke", sagte er. "Aber ich hatte niemals vor,

Rinoa wehzutun. Ich möchte mit ihr zusammen sein, solange sie mich liebt.

Sollte sie aber irgendwann einmal unglücklich bei mir sein, dann wäre ich

der erste, der ihr raten würde, zu Ihnen zurückzukehren!"
 

"Das möchte ich Ihnen auch geraten haben!" bestätigte Carway. Dann verzog

er die Lippen, und diesmal wirkte er ehrlich amüsiert. "Aber ich gehe davon

aus, dass das nicht so bald der Fall sein wird. Gehen Sie jetzt, bevor ich

meine Zugeständnisse noch einmal überdenke!"
 

Squall nickte, salutierte und ging aus dem Raum. "Ich werde Sie nicht

enttäuschen, Oberst!" rief er noch, bevor er die Tür passierte. "Ja, das

hoffe ich! Das hoffe ich wirklich!" meinte dieser nachdenklich. Neben ihm

klingelte das Telefon. Er hob ab, lauschte der erregten Stimme am anderen

Ende und legte nach ein paar Schlussworten wieder auf. Der Galbadia-Garden

war gegen seine ausdrücklichen Befehle abgehoben und nahm Kurs über das

Meer. Er hatte es nicht anders erwartet.
 

Teil 4 is coming soon!



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück