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FF-Adventskalender Tag 23
von

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Er saß am Fenster ihres Wohnzimmers und schaute aus dem Fenster. Auch wenn sein Gesicht von ihr abgewandt war, wusste Bel, dass Freddie den Schneeflocken beim Fallen zusah.

Sie bewegte sich leise, vorsichtig, um ihn nicht aufzuschrecken. Momentan kam es viel zu selten vor, dass er so ruhig und entspannt wirkte.

Ihre Einkaufstüten raschelten leise, als sie langsam in die Küche ging. Freddies Anwesenheit in ihrer Wohnung war beinahe schon zur Gewohnheit geworden, seit er damals vor ihrer Tür gestanden hatte, kurz nachdem er aus dem Krankenhaus entlassen worden war. Und dann war er einfach geblieben.

Bel störte es nicht, wenn sie ehrlich mit sich war, dann wollte sie Freddie nicht alleine lassen. Schließlich hatte sie mitbekommen, wie sehr seine Albträume ihm zusetzten und wie sehr er mit dem, was geschehen war, zu kämpfen hatte.

Sie kam nicht darum herum festzustellen, dass sich etwas an ihm grundlegend geändert hatte. Natürlich waren da die Narben, die Cilentis Schläge auf seinem Gesicht hinterlassen hatten. Manchmal erwischte Bel Freddie dabei, wie er sein Gesicht im Spiegel betrachtete. Freddie würde mit diesen Narben niemals mehr für die Arbeit vor der Kamera in Betracht gezogen werden, das wussten sie beide.

Aber für sie war das nicht das Schlimmste. Es war vielmehr die Wunden, die nicht zu sehen waren, die Bel mehr Sorgen bereiteten.

Freddie hatte Angst, das war deutlich. Noch immer zuckte er bei lauten Geräuschen und schnellen Bewegungen zusammen, große Menschenmengen machten ihn nervös. Als sie ihn in der letzten Woche zum Einkaufen hatte mitnehmen wollen, hatten sie es nur bis zur Eingangstür des Geschäftes geschafft.

Die Ärzte sagten, dass er Zeit brauchte, um das Erlebte zu verarbeiten. Bel war sich allerdings nicht mehr sicher, ob es wirklich eine Frage der Zeit war. Und sie war sich sehr sicher, dass sich einiges grundlegend ändern würde.

Besonders deutlich war dies vor einigen Tagen geworden. Sie hatten beim Abendessen gesessen und Freddie hatte ihr beinahe nüchtern klingend gesagt, dass er nicht vorhatte, zu den Lime Grove Studios zurückzukehren.

„Warum nicht?“, hatte sie nach einigen Momenten des Schweigens gefragt. Die Aussage hatte sie vollkommen auf dem falschen Fuß erwischt. Für einen Moment hatte sie sogar gedacht, sich verhört zu haben. Das Fernsehen war Freddies Leben, sein großer Traum. Den konnte er doch nicht einfach aufgeben.

Freddie hatte sie nur schweigend angesehen. Erst im Nachhinein war ihr bewusst geworden, wie viel Überwindung es ihn gekostet haben musste, sie überhaupt auszusprechen.

„Ich kann nicht“, hatte er ihr schließlich geantwortet. Bel erinnerte sich noch viel zu deutlich daran, wie seine Hände gezittert hatten, wie hilflos und verletzt er gewirkt hatte. Cilenti hatte so viel mehr Schaden angerichtet, als sie alle zuerst gedacht hatten. Er hatte Freddie zwar nicht seinen Traum genommen, so viel war für Bel klar, aber er hatte ihm den Mut genommen, diesen Traum weiter so zu verfolgen, wie er es bisher getan hatte. Bel hatte ihn immer für seinen Enthusiasmus, für seine Unerschrockenheit bewundert. Alles für die Story. Und beinahe hatte Freddie nun zu viel bezahlt.

Dieser Gedanke nagte an Freddie. Er war unzufrieden mit sich selbst, weil er nicht genug Kraft aufbringen konnte, um dagegen anzukämpfen und weiterzumachen.

Bel seufzte leise, als sie die letzten Einkäufe verstaute. Bis jetzt hatten auch seine Besuche bei dem von den Ärzten empfohlenen Psychologen noch keinen durchschlagenden Erfolg gehabt. Zwar hatte sie das Gefühl, dass Freddie von weniger Albträumen heimgesucht wurde, aber trotzdem waren es immer noch viel zu viele.

Sie verließ die Küche und klopfte an den Rahmen der Wohnzimmertür, um auf sich aufmerksam zu machen. Er drehte sich vom friedlichen Schneetreiben ab und sah sie an, ein kaum wahrnehmbares Lächeln spielte um seine Mundwinkel.

„Hallo“, sagte er. „Ich habe dich gar nicht kommen hören.“

Bel zuckte mit den Schultern, als sie zu ihm herüberging.

„Ich bin auch gerade erst angekommen“, antwortete sie, als sie sich neben ihm niederließ. Einen Moment schaute sie aus dem Fenster, dann begann sie erneut zu sprechen: „Hector und die anderen lassen dich grüßen.“

Etwas an Freddies Gesichtsausdruck veränderte sich. Noch war er einem Treffen mit dem Team aus dem Weg gegangen, aber Bel wusste, er vermisste sie so, wie die anderen ihn vermissten.

„Grüß sie bitte zurück.“

Bel beobachtete ihn, als sein Blick wieder zurück zu den Schneeflocken wanderte. Sie würde warten, wie er weiter reagierte. Im Allgemeinen hatte sie das Gefühl, dass ihr Leben momentan fast nur noch aus Warten bestand. Dieses Jahr war die besinnliche Zeit ihr mehr wie ein Kampf vorgekommen, dessen Ausgang noch ungewiss war.

Doch heute schien Freddie fest entschlossen, seine düsteren Gedanken nicht gewinnen zu lassen.

„Ich habe deinen Weihnachtsbaumschmuck rausgesucht“, sagte er und wendete sich ihr wieder zu. „Wollen wir den Baum schmücken?“

Bels Blick wanderte zu dem Baum, der momentan noch kahl und trostlos auf der anderen Seite des Raumes stand. Normalerweise vergaß sie, ihn herzurichten, immerhin hatte sie normalerweise niemanden, mit dem sie feierte.

„Wir sind eigentlich schon viel zu spät dran“, antwortete sie lächelnd und stand auf. Sie hielt Freddie ihre Hand hin. „Dann wollen wir mal.“

Nach einem Moment des Zögerns ergriff er ihre Hand und sie gingen gemeinsam zu dem, was eigentlich Bels Couchtisch war, nun aber unter einer Ansammlung von Kästchen und Kartons verschwand.

Bel konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, so viel Weihnachtsbaumschmuck besessen zu haben. Etwas verloren schaute sie sich das Sammelsurium aus Kugeln und Figuren an.

„Wollen wir…mit den Kerzenhaltern anfangen?“

Freddie nickte und fischte zielstrebig eine der Kisten aus dem Chaos. Hatte er etwa eine gewisse Ordnung in die Art und Weise gebracht, wie sie auf dem Tisch angeordnet waren?

Das schien tatsächlich der Fall zu sein, denn als sie immer mehr und mehr Schmuck an den Baum brachten, konnte er ihr zumindest ungefähr sagen, wo sie welche Kugeln und welche Figuren finden konnte.

Und auch wenn sie relativ gut organisiert waren, so dauerte es doch eine gute Stunde, bis sie mit dem Schmücken fertig waren.

„Er ist wirklich schön geworden“, stellte Bel fest, als sie nach getaner Arbeit und nachdem sie die Kisten und Kartons wieder verstaut hatten auf der Couch saßen. Freddie nickte, aber er sah nachdenklich aus. Bel konnte nicht ausmachen, was genau ihn beschäftigte, beschloss aber erst einmal nicht zu fragen. Wenn er es wollte, würde er ihr schon sagen, was in seinem Kopf vorging.

„Hast du Hunger?“, fragte sie stattdessen. Er schwieg erneut und schüttelte nur den Kopf, offensichtlich zu sehr in seinen Gedanken versunken.

Bel kam es wie eine Ewigkeit vor, bis er sprach.

„Ich würde die anderen gerne treffen. Aber nicht … in den Studios.“

Sie nickte, auch wenn sie nicht erwartet hatte, dass er so schnell über ein Treffen nachdenken würde.

„Im neuen Jahr vielleicht?“, schlug sie vor. „Ich könnte mit ihnen über einen Termin reden.“

„Das klingt gut“, antwortete er. Sein Blick wanderte zum Weihnachtsbaum und ein Lächeln – ein richtiges, das erste, welches Bel seit er wieder aufgewacht war von ihm gesehen hatte – ließ sein Gesicht erstrahlen. Bel wurde warm ums Herz. Ein Lächeln. Das war ein Fortschritt, zumindest sah sie es so. Vielleicht war es doch nur eine Frage der Zeit.

 

Weißer Schnee bedeckte die Wiese vor den Lime Grove Studios, als Bel am nächsten Tag dort ankam. Das Weiß verdeckte das Grün, verdeckte das Rot, welches sich in Bels Gedanken immer damit vermischte. Freddie und sie waren beide noch weit davon entfernt, was passiert war überwunden zu haben. Aber es ging vorwärts, und das war die Hauptsache.

Es gab immer noch einige Dinge, die sie nicht angesprochen hatten. Aber sie wusste auch, dass diese Dinge noch Zeit hatten. Sie würde warten, so wie Freddie auf sie gewartet hatte, darauf, dass sie endlich über ihren eigenen Schatten sprang. Dieses Mal würde sie springen. Der Gedanke, dass sie ihn beinahe verloren hätte, bereitete ihr schlaflose Nächte.

Und vielleicht, vielleicht würde Freddie eines Tages doch so weit kommen, dass er wieder hierher zurückkehren wollte. Sie würde seinen Platz für ihn freihalten.



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