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Der Gesang eines Vogels

von

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Prolog

Vorgaben der Göttin:

- Du findest einen leuchtend-roten Vogel und versuchst ein Foto von ihm zu machen

- Du kletterst auf dem Baum und stürzt ab

- Als du aufwachst, befindest du dich in einem Wald, deine Kamera ist unversehrt geblieben
 


 

Heute war wieder einer dieser Tage, an denen man nicht einfach in der eigenen Bude hocken konnte und die Sonne beobachtete, wie sie außerhalb der Fensterscheibe an einem vorbeizog und das Licht die Wolken in sattes Orange hüllen würde. Es war Sommer und die trockene Luft vermischte sich mit dem kondensierten Wasser des Sees an dem ich gerade entlanglief. Die dunkle Umhängetasche bewegte sich leicht und strich immer wieder gegen meine dunkelgrüne Capri-Hose und klapperte leise, wenn die Schatulle mit meinen Stiften gegen meinen Oberschenkel prallte. Lange Zeit hatte ich nicht mehr richtig gezeichnet. Nur ab und zu ein paar Skizzen, aber keine wirklichen Bilder von der Natur und der Landschaft um mich herum. Vielleicht lag es an dem guten Wetter, dass ich spontan spazieren gegangen bin, mir Zeichenblock, Stifte und Kamera geschnappt hatte und los gelaufen war. Selbst mein Portemonnaie und mein Handy ließ ich heute Zuhause. Eine Seltenheit bei mir, aber dafür fühlte ich mich in diesem Moment umso freier. Es tat gut, mal wieder abzuschalten und nicht immer nur vor dem Laptop zu sitzen. Die schwarze Kamera baumelte um meinen Nacken und warf einen starken Schatten auf mein blaues T-Shirt, sodass ich sie mit einer Hand festhalte, damit sie mir nicht andauernd gegen den Bauch klopfte. Ich hatte nicht wirklich die weiblichsten Klamotten an, doch genauso fühlte ich mich wohl. Die knabenhafte Figur und meine kurzen blonden Haare unterstrichen diese Einstellung umso mehr. Einige Menschen hatten mich schon mal mit einem Jungen verwechselt und es hatte mich nicht im Geringsten gestört. Eher im Gegenteil. Es machte mir Spaß, die Grenze zwischen Mann und Frau ein bisschen zu lockern und der Gesellschaft zu zeigen, dass es manchmal keine Rolle spielte, welches Geschlecht man hatte, sondern dass man einfach ein Mensch war. Wie alle.
 

Der Weg gabelte sich vor mir in zwei Richtungen. Kurz überlegte ich und entschied mich für den rechten Pfad, der sich vom See entfernte und dem angrenzenden Fluss folgte. Es dauerte nicht lange, da entdeckte ich auch schon die erste Entenfamilie auf der glitzernden Wasseroberfläche und einen Schatten spendenden Baum direkt am Wegesrand. Froh, den Sonnenstrahlen für einige Zeit zu entkommen, setzte ich mich an den breiten Stamm und atmete durch. Es war eine alte Buche, die wahrscheinlich schon mehrere Jahrzehnte hinter sich hatte und sich ein breites Blätterkleid angelegt hatte, das mir nun Schatten schenkte. Meine Tasche legte ich neben mich und die Kamera vorsichtig darauf. Ich hörte neben dem leisen Plätschern des Flusses noch das Zirpen von mehreren Grillen und das Rascheln der Blätter, wenn eine leichte Brise ankam und mir kühlend durchs Gesicht strich. Ich schnappte mir den Block, drehte das Deckblatt um und begann grob die Landschaft vor mir zu skizzieren. Ich war kein Naturtalent, aber auch kein hoffnungsloser Fall, wenn es um Kunst ging. Manche Dinge konnte ich besser, andere schlechter. Also eigentlich ziemlich normal.
 

Das Bild nahm langsam Form und Gestalt an, als mich ein lautes, sehr nah klingendes Gezwitscher aus der Trance riss. Meine Sinne konzentrierten sich wieder auf die Umgebung, als ob sie die letzten Minuten geschlafen hätten und nun wach wurden. Mein Kopf hob sich, blickte zum Fluss, dann den Weg entlang und schließlich nach oben. Zwischen den ganzen Ästen und Blättern sah ich einen bunten Vogel. Zuerst dachte ich, es wäre ein Papagei, bei so einem starken Rotton, doch ich irrte mich. Das war kein Papagei, schließlich gab es dir wohl kaum in freier Wildbahn hier in Deutschland. Auch der Gesang des Vogels war anders. Sehr melodisch und hell. Als ob er mich begrüßen wollte.

Meine Hand griff zur Kamera und meine Beine hoben meinen Körper wieder auf die Füße. Ich musste ein Foto von diesem seltsamen Tier machen! Aber er war so hoch im Baum, dass ich ihn unmöglich durch das ganze Geäst richtig vor die Linse bekommen würde. Also überlegte ich nicht lange und blickte zum Stamm. Es würde eine ganz schöne Kletterei werden, aber die Neugier überwog diesen Gedanken und brachte meinen Körper in Bewegung. So leise, wie ich nur konnte bestieg ich die alte Buche unbemerkt von Mensch und Tier. Niemand anders war zu hören, oder zu sehen, als ich und dieser rotleuchtende Vogel.

Der Aufstieg war wesentlich anstrengender, als ich gedacht hatte, doch es lohnte sich! Auf perfekte Höhe legte ich meinen Oberkörper der Länge nach auf einen der Äste in der Hoffnung, dass er mich tragen würde. Er knatschte und ächzte bedrohlich. Der Vogel war nun direkt vor mir. Nicht einmal mehr zwei Meter, dann säße ich mit ihm Aug in Aug.

Leise und mit erschöpften, aber unterdrückten Atmen platzierte ich die Kamera vor mein Gesicht und sah auf das Display. Der Gesang erklang erneut in meinen Ohren und schnell drückte ich den Auslöser. Eine Welle der Erleichterung überflutete mich, als ich mein Ziel erreicht hatte. Ein lautes Knacken schoss in meine Ohren, wie ein Pistolenschuss und ließ mich zusammenzucken. Ich spürte, wie der Ast unter mir nachgab und mich in die Tiefe stürzen ließ. Ein erstickter Schrei kam aus meiner Kehle und meine Augen kniffen sich reflexartig zu. Doch ein Aufprall kam nicht. Alles wurde still, als ob jemand den Stecker gezogen hätte. Keine Geräusche mehr, kein Licht mehr, dass durch meine Augenlider drückte und auch kein Fallen mehr. Alles wurde schwarz und ich versank in der Tiefe eines unendlichen Loches.

War es das? Keine Erinnerungen an meine Vergangenheit? Kein Flashback bevor es zu Ende ging?

Die Angst war das Letzte, was ich spüren konnte, bevor ich die Augen wieder öffnete…
 

Laub knisterte unter meinem Kopf, als ich mir vorsichtig bewegte. Mein Körper fühlte sich merkwürdig taub an, als ob ich schon stundenlang hier liegen würde. Tat ich es vielleicht auch? Aber…wo war ‚hier‘? Der Geruch von feuchter Erde und Moos stieg in meine Nase und die vielen Baumstämme in meinem Sichtfeld verrieten mir, dass ich inmitten eines Waldes lag. Langsam bewegte ich meinen Kopf, sodass ich nach oben blickte. Baumkronen verdeckten mir die Sicht in den blauen Himmel.

„Wo…?“ Meine Stimme klang heiser und kratzig. Ich räusperte mich und setzte mich auf. Kein einziger Schmerz durchfuhr meine Nerven und brachte mich zum Aufschreien. Mir ging es gut. Doch etwas zog in meinem Nacken. Ich fasste hin und spürte etwas Raues. Das Band meiner Kamera! Sofort bemerkte ich, wie sie noch immer an meinem Hals herab baumelte. Ohne einen einzigen Kratzer und völlig intakt.

Irgendwie musste ich diesen Sturz heil überstanden haben. Doch wie bin ich hier her gekommen?

Mein Blick schweifte umher, erfasste Bäume, Sträucher und…einen See. Ich saß direkt am Ufer eines schönen Sees, dessen Oberfläche mit einigen Blättern verziert war.

„Okay…wo bin ich…?“, fragte ich mit der vollen Gewissheit, dass niemand antworten würde. Ich stand auf, klopfte mir den Dreck von der Kleidung und ging einige Schritte. Mein Körper war zittrig und die Beine glichen einem einzigen Wackelpudding, aber nach und nach gewöhnte ich mich dran und schaffte es, durch das Unterholz zu gehen. Fragen wirbelten durch meinen Kopf, wie das Laub im Wind. Wo war ich? Wie war ich hier her gekommen? Was machte ich hier? Wie hatte ich überlebt?

…Und was war das für ein Vogel gewesen…?

Ich besah mir das Bild des Tieres genauer an. Rotes Gefieder, ein schwarzer, glatter Schnabel und einen gelben Punkt auf dem Kopf.

„Bist du dafür verantwortlich…?“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  CelestialMage
2016-01-05T12:22:38+00:00 05.01.2016 13:22
Ich finde deinen Schreibstil sehr schön :)
Lässt sich super flüssig lesen.
Antwort von:  Finnyan
05.01.2016 13:44
Dankeschön~ :3


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