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Christmas Crush

[Secret Love]
von

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Als sich sein erster Arbeitstag endlich dem Ende neigte, war Takeda völlig erschöpft. Wer hätte gedacht, dass es so anstrengend sein würde, in einem Café auszuhelfen?

Die letzten Gäste waren gerade zur Tür hinaus und in der Küche konnte Takeda Herrn Kanao mit dem Koch witzeln hören. Er hatte sich bereits vor einer guten halben Stunde das erste Feierabendbier genehmigt und war seitdem noch weniger zu gebrauchen gewesen als ohnehin schon.

„Er ist so ein Nichtsnutz“, sagte Mizuki, die gerade mit den restlichen Speisekarten aus dem Gastraum zurückgekehrt war, plötzlich, als hätte sie Takedas Gedanken gelesen. „Seit meine Mutter tot ist, benimmt er sich so. Schrecklich.“

Takeda wusste nicht, was er dazu sagen sollte, doch Mizuki schien auch keine Antwort zu erwarten. Sie hatte sich bereits der Kasse zugewandt und begann nun, die Abrechnung zu machen.

„Tut mir Leid für dich, dass du Weihnachten arbeiten musst“, sagte sie beiläufig.

„Musst du doch auch“, gab Takeda zurück, doch Mizuki zuckte nur mit den Schultern.

„Ich bin das gewohnt. Das Café hat seit ich denken kann am 24. geöffnet. Also haben wir auch nie Weihnachten gefeiert.“

„Auch nicht, abends, wenn das Café geschlossen hat?“

„Nicht, dass ich mich erinnern würde. Ich habe auch noch nie Christmas Cake gegessen.“

„Aber ich dachte, ihr verkauft den?“

„Ja, eben.“

Sie legte ein Bündel Scheine zur Seite, wandte sich dann Takeda zu und grinste: „Du musst da übrigens nicht rumstehen. Du hast Feierabend!“

Das stimmte. Und Takeda hätte nichts lieber getan, als sich nach diesem anstrengenden Tag in sein weiches Bett fallenzulassen. Auf der anderen Seite wollte er Mizuki aber auch nicht mit ihrer Arbeit alleine lassen – er wollte SIE nicht alleine lassen. Was war das nur für ein Gefühl?

Mizuki musste sein Zögern bemerkt haben, denn ihr Grinsen wich einem ernsten Blick: „Du kannst wirklich gehen. Ich muss nachher noch mit Papa zur Bank, das kann noch ein bisschen dauern.“

Sie machte eine kurze Pause und lachte dann leicht: „Jetzt geh schon!“

Takeda zögerte noch einen Augenblick länger, nickte dann aber. Es hatte keinen Sinn zu protestieren, er würde Mizuki ohnehin nicht umstimmen können. Also legte er noch schnell seine Schürze ab und nahm seine Jacke von der Garderobe, bevor er sich in Richtung der Tür aufmachte.

„Also dann… Bis morgen!“, rief er Mizuki noch etwas unsicher über die Schulter zu und trat dann auf die hell erleuchtete Straße hinaus.

Kaum hatte er die Freundlichkeit und Wärme des Cafés hinter sich gelassen, fühlte sich Takeda plötzlich unbeschreiblich einsam. Die Menschen um ihn her hatten keine Gesichter, die anonyme Stadt schien ihn aufzufressen. Das hier war nicht sein Zuhause. In den letzten zwei Jahren war Tokyo ihm fremd geworden.

Mit vor Kälte klammen Fingern zog Takeda sein Handy aus der Hosentasche. Hirakawa hatte sich nicht bei ihm gemeldet. Aber sie hatten sich ja auch gestern erst gesehen. Er musste aufhören, so ungeduldig zu sein. Hirakawa würde ihm schreiben – er hatte es versprochen. Und bis dahin würde sich Takeda auf das Hier und Jetzt seiner Existenz konzentrieren.
 

***
 

Am 24. Dezember mussten Takeda und Mizuki besonders hart arbeiten. Das Café war den ganzen Tag über ausgebucht und Takeda musste sogar einige Gäste wieder nach Hause schicken, weil es keine freien Tische mehr gab.

Langsam dämmerte ihm auch, wieso Mizuki noch nie dazu gekommen war, ein Stück Christmas Cake zu probieren: Wenn die Geschäfte weiter so gut liefen, würde noch vor Ladenschluss kein einziger Krümel davon mehr übrig sein. Aber ein bisschen traurig war es schon...

Da hatte Takeda plötzlich eine Idee. Als er die nächste Bestellung aufnahm, schrieb er ein zusätzliches Stück Christmas Cake auf den Bon. Doch anstatt es zum Tisch zu bringen, schob er es unauffällig ganz hinten in den kleinen Kühlschrank, der unter der Theke stand. Er würde es später aus eigener Tasche bezahlen.

„Ich brauche hier jemanden zum Spülen!“, tönte es in diesem Augenblick aus der Küche und Takeda beeilte sich, die Bestellung an den Tisch zu bringen.

„Jemand muss meine Tische übernehmen“, rief er dann Mizuki und ihrem Vater zu, der gerade wieder einmal in ein Gespräch vertieft gewesen war und mit einem brummenden Laut antwortete.

„Mach dich nützlich“, zischte Mizuki ihm leise zu und drückte ihm Takedas Tablett in die Hand, ehe sie Takeda selbst ein strahlendes Lächeln schenkte und zu ihren Tischen zurück eilte. Es wirkte überhaupt nicht so, als sei sie gestresst – im Gegenteil: das volle Haus schien ihr die größte Freude zu bereiten. Takeda konnte nicht umhin, sie dafür zu bewundern.
 

***
 

Es war bereits nach Ladenschluss, als Takeda endlich mit dem Abwasch fertig war. Er seufzte erleichtert und trocknete sich gerade mit dem Geschirrhandtuch die Hände ab, als Mizuki in die Küche gestürmt kam.

„Wir haben heute einen neuen Umsatzrekord gemacht!“, rief sie und drehte sich vor Freude einmal um die eigene Achse. Dann wurde sie ernst. „Aber irgendwie stimmt die Kasse nicht. Es sieht so aus, als wenn 570 Yen fehlen. Ich habe zwei Mal nachgezählt.“

Takedas Herz setzte einen Schlag lang aus. Das Geld für den Kuchen. Das hatte er in dem ganzen Stress völlig vergessen.

„Warte kurz“, sagte er schnell, rannte hinüber zu seiner Jacke und zog sein Portemonnaie hervor. Dann zählte er 570 Yen daraus in Mizukis Hand.

Irritiert starrte sie darauf, doch Takeda hatte nicht vor, sie aufzuklären. Mit klopfendem Herzen winkte er sie aus der Küche zurück hinter die Theke. Er konnte es kaum erwarten, ihr überraschtes Gesicht zu sehen. Einen Augenblick lang kramte er in dem kleinen Kühlschrank unter der Theke herum, ehe er schließlich das Stück Christmas Cake hervorzog, das er vorhin zurückgestellt hatte.

„Für dich.“

Einen Augenblick lang war alles still. Takeda hielt den Atem an. Er konnte nichts von Mizukis Gesicht ablesen. Die Sekunden zogen sich in die Unendlichkeit; das Schweigen drückte auf Takedas Ohren.

Sie war doch nicht sauer auf ihn – oder?

Dann endlich, ganz langsam schüttelte Mizuki den Kopf: „Wow.“

Noch einen kurzen Moment länger stand sie einfach nur da und starrte den Kuchen an. Dann plötzlich, als hätte sie sich von einem eigentümlichen Zauber befreit, war sie wieder ganz die Alte.

„Komm, lass uns essen!“, sagte sie mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht, packte Takeda am Arm und zog ihn zu einem der nun verlassenen Tische hinüber.

„Der Kuchen ist für dich“, protestierte er, obwohl er wusste, dass es keinen Zweck hatte. Und er sollte Recht damit behalten.

Mizuki legte die Hände auf Takedas Schultern und drückte ihn auf einen der Stühle. Dann nahm sie ihm gegenüber Platz und schob ihm eine Kuchengabel in die Hand.

„Guten Appetit!“ Damit schlug sie ihre eigene Gabel in den Erdbeerkuchen. „Wow, der schmeckt köstlich. Los, probier!“

Takedas Herz schlug einen nervösen Rhythmus gegen seine Rippen, als er zögerlich die eigene Gabel nach dem Kuchen ausstreckte. Wenn sie beide jetzt jemand sehen könnte, würde er denken, sie seien ein Paar.

Doch noch im selben Augenblick kam Takeda der Gedanke absurd vor. Für Mizuki war offensichtlich nichts dabei, den Kuchen mit ihm zu teilen. Wie kam er bloß auf diesen Unsinn?

„Was denkst du?“

Mizukis Stimme rief Takeda in die Realität zurück. Erst jetzt bemerkte er, dass er sie die ganze Zeit über angestarrt hatte.

„Schmeckt super“, sagte er schnell und wandte sich wieder dem Kuchen zu. Dass Mizuki seine Gedanken erriet, war das letzte, was er jetzt gebrauchen konnte. Er wollte sie nicht anlügen – aber ehrlich antworten konnte er auch nicht. Wie sollte er auch, wenn er sich seine Gedanken nicht einmal selbst erklären konnte?

„Neujahr hat der Laden geschlossen. Was würdest du davon halten, wenn wir zusammen zum Tempel gehen?“

Die Frage traf Takeda unvorbereitet. An und für sich hatte er nichts dagegen, den Neujahrstag mit Mizuki zu verbringen. Hirakawa war 500 Kilometer entfernt in Osaka und es war besser als alleine zum Tempel zu gehen. Es war ja schließlich kein Date oder so.

„Okay“, sagte er also und Mizuki strahlte.

„Toll! Ich freu mich schon!“
 

***
 

Hirakawa legte den Gedichtband, in dem er bis eben gelesen hatte, zur Seite. Erst warf er einen Blick auf den Kalender, dann auf die Uhr. Es war der 26. Dezember, 15 Uhr 42 und Hirakawa entschied, dass er Takeda nun lange genug hatte warten lassen. Wahrscheinlich hatte er die halbe Nacht damit verbracht, auf das dunkle Display seines Handys zu starren. Er war so leicht zu durchschauen. Das mochte Hirakawa so an ihm – seine Geradlinigkeit. Wenn er in Takedas Nähe war, konnte er die Ketten des Alltags abstreifen und sich einfach fallenlassen. Das war das Besondere an ihrer Beziehung.

Völlig unterbewusst kräuselten sich Hirakawas Lippen zu einem leisen Lächeln. Es sah Takeda so ähnlich, sich nicht zu melden und auf seine Initiative zu warten - wie lange es auch dauern würde. Manchmal wollte er mit aller Macht mit dem Kopf durch die Wand und war auch sehr beharrlich dabei. Und dann wieder zog er sich zurück und überließ sich ganz Hirakawas Willen.

Es war das Spiel von Katz und Maus, das sie beide miteinander spielten. Und für Hirakawa war das der größte Reiz.

Atsume ga suki

Hikari ga kowai

Kuro no neko

Sie liebt die Wärme

Doch fürchtet das Licht

Die schwarze Katze.

Es war kein gutes Haiku – es hatte keinen Bezug zur Jahreszeit. Doch Hirakawa speicherte es trotzdem.

Dann wechselte er ins Nachrichtenfenster und schrieb eine SMS.
 

***
 

Takeda war gerade dabei, einige Tassen in die Spülmaschine hinter der Theke zu räumen. Tisch 12 war beinahe mit dem Essen fertig und an Tisch 10 hatte er gerade die Speisekarten gebracht – das Pärchen machte aber nicht den Eindruck, als hätte es sich schon entschieden.

In diesem Augenblick legte der Mann an Tisch 12 das Besteck ab und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, um anschließend einen Schluck aus seiner Kaffeetasse zu nehmen. Sofort machte sich Takeda auf den Weg zu ihm, um seinen Teller abzuräumen.

„Du bist ja richtig nützlich“, raunte Mizuki ihm neckisch zu, als er sich gerade an ihr vorbei schieben wollte. „Ganz im Gegensatz zu gewissen anderen Leuten“, fügte sie etwas lauter und an ihren Vater gewandt hinzu, der gerade an der Theke saß und sich eine Zigarette drehte und als Antwort nur ein leises Brummen von sich gab.

Tatsächlich hatte Takeda sich gut eingelebt. Er wusste inzwischen, was er zu tun hatte, auch ohne, dass Mizuki es ihm jedes Mal sagen musste und im Vergleich zum Ansturm vom Vortag, kam ihm der Betrieb heute regelrecht entspannend vor. Mittlerweile fühlte sich Takeda in dem kleinen Café richtig wohl – was sicher auch nicht zuletzt Mizukis Verdienst war. Sie war immer so fröhlich und aufgeweckt – in ihrer Nähe hatte Takeda gar keine Zeit, sich über irgendetwas Sorgen zu machen.

Auf einmal fragte er sich, wie es wohl sein würde, mit einem Mädchen wie ihr zusammen zu sein. Einfacher jedenfalls, da war er sich sicher.

'Was denke ich da eigentlich?'

Takeda schüttelte energisch den Kopf, um den Gedanken zu vertreiben, doch er konnte sein Herz noch immer heftig gegen seine Rippen schlagen spüren. Vorsichtig warf er Mizuki einen Seitenblick zu. Sie stand gerade an einem ihrer Tische und nahm eine Bestellung auf. Sie lächelte. Was war nur so besonders an diesem Lächeln?

Plötzlich spürte Takeda sein Handy in der Hosentasche seiner Jeans vibrieren und sein Herzschlag beschleunigte sich erneut. Das war doch nicht etwa...

Rasch blickte er sich um. Nur etwa die Hälfte der Tische waren besetzt – es gab also nicht viel zu tun. Sicher würde es nicht schaden, einen kurzen Blick auf sein Handy zu werfen. Mit vor Nervosität zittrigen Händen zog er es aus der Tasche und aktivierte das Display.

Ich komme dich Neujahr besuchen. Ryo

Takeda starrte auf die Zeilen. Hirakawa wollte ihn besuchen. Er wollte extra nach Tokyo kommen, um ihn zu sehen. Und er hatte mit seinem Vornamen unterschrieben. Ryo... Alleine diesen Namen zu denken, löste ein merkwürdiges Gefühl in Takedas Brust aus. Früher hatten sie sich immer beim Vornamen genannt. Aber seit Hirakawa nach Osaka gezogen war, hatte immer irgendetwas zwischen ihnen gestanden – etwas Unsichtbares, nicht Greifbares. Eine Grenze, die keiner von ihnen überschreiten konnte.

Wie in Trance stricht Takeda mit dem Zeigefinger über den Namen auf dem Display. Er wollte Hirakawa sehen. Er wollte nichts mehr als das.

Ganz in der Nähe hörte er Mizuki lachen. Wahrscheinlich scherzte sie gerade mit einem der Stammgäste. Da durchfuhr es Takeda wie ein Blitz. Er hatte ihr versprochen, Neujahr mit ihr zum Tempel zu gehen.

Langsam hob er den Kopf und starrte in ihre Richtung. Er würde ihr absagen müssen. Doch er brachte es nicht übers Herz, dieses strahlende Lachen von ihrem Gesicht zu wischen. Irgendwann würde er es ihr sagen müssen – aber nicht jetzt.



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