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Selbstmord ist keine Lösung......oder?

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo Ihr Lieben :)

Ja, es gibt mich tatsächlich noch ^^' Und ich schule euch definitiv eine Erklärung, warum es dieses Mal mehr als doppelt so lange gedauert hat -_-
Heute vor genau 8 Wochen hab ich mir bei einem Sturz den rechten Mittelfuß gebrochen, genauer gesagt einen von fünf Mittelfußknochen >.< Die ersten 2 Wochen war vor lauter Schmerzen an Weiterschreiben überhaupt nicht zu denken und als es dann eigentlich wieder ging und ich ja auch mehr als genug Zeit hatte, da ich nicht mehr arbeiten gehen konnte... bin ich wirklich in ein sehr, sehr tiefes Loch gefallen. Ich hätte niemals für möglich gehalten, dass ein Bruch einen so aus der Bahn werfen kann :/ Es hat ewig gedauert, bis ich einigermaßen gut die Krücken im Griff hatte, um mich überhaupt fortbewegen zu können, aber man kann einfach trotzdem nichts mehr ohne Hilfe machen. Selbst eine Flasche Wasser zu holen ist ein enormer Kraftakt, vom Duschen oder Treppen gehen will ich erst gar nicht anfangen :(

Mittlerweile kann ich wieder ohne Krücken auftreten. Ich humpele zwar immer noch und hab auch noch anhaltende Schmerzen, aber ich kann zumindest wieder ein halbwegs normales Leben führen. Ich werde noch ziemlich lange davon haben, aber es wird von Woche zu Woche ein wenig leichter, deswegen konnte ich mich jetzt auch endlich dazu aufraffen das Kapitel fertig zu schreiben. Tut mir wirklich leid, dass ihr so lange warten musstet >.<

Ich wünsche euch allen ein schönes Osterfest und hoffe, ihr seid alle gesund. Gerade in diesen schweren Zeiten!
Und jetzt viel Spaß mit dem neuen Kapitel :) Komplett anzeigen

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Aussprache

Carina war im ersten Moment wie erstarrt, hatte ihr bester Freund und Mentor doch noch nie so mit ihr gesprochen, geschweige denn sie so voller Zorn angebrüllt. Nicht einmal damals, als sie ihm gebeichtet hatte, dass sie schwanger war und freiwillig mit Cedric geschlafen hatte. Sie öffnete den Mund, doch kein Wort kam ihr über die Lippen. Stattdessen stieg Angst in ihr hoch. Angst davor, dass Grell möglicherweise nie wieder ein Wort mit ihr reden würde, wenn dieses Gespräch vorbei war. Und das würde sie nicht ertragen. Nicht nach allem, was sie zusammen durchgestanden hatten. Nicht nachdem, was mit Alice passiert war.
 

Überraschenderweise war es der Undertaker, der als erstes das Wort ergriff und seine Stimme klang merkwürdig kühl, während er den rothaarigen Shinigami mit seinem Blick fixierte. „Ich kann bis zu einem gewissen Grad verstehen, dass du aufgebracht bist, aber so wirst du nicht mit ihr sprechen. Nie wieder, verstanden?“ „Halt dich da raus“, brachte Grell zwischen zusammengepressten Lippen hervor, drosselte aber dennoch seine Lautstärke. Im nächsten Augenblick schob sich Carina blitzschnell zwischen die beiden Todesgötter, denn Cedrics Blick ließ sie Schlimmes erahnen. „Schon gut“, erwiderte sie leise und schaute den Silberhaarigen aus den Augenwinkeln an. „Ich kläre das.“
 

Der Bestatter sah nicht begeistert aus, zog sich dann aber doch zurück. „Wie du meinst“, antwortete er und warf Grell einen warnenden Blick zu, bevor er in den Keller verschwand, um seiner Arbeit nachzugehen.
 

Carina schloss kurz die Augen, atmete einmal tief durch und öffnete sie dann wieder, um sich direkt im Anschluss Grell gänzlich zuzuwenden. „Bevor du mich weiter anschreist – vollkommen gerechtfertigt übrigens – darf ich dir eine Frage stellen?“ Der Rothaarige hob eine Augenbraue und verschränkte die Arme vor der Brust, während zu keiner Zeit der wütende Ausdruck aus seinem Gesicht wich. „Die da wäre?“, fragte er missmutig, aber erneut in Zimmerlautstärke, was Carina bereits ein wenig beruhigte. „Was ist passiert? Ich meine… was hat William zu dir gesagt?“
 

Grell schnaubte laut, setzte sich mit reichlich Schwung auf einen der Särge und starrte seine Schülerin nieder, während er ihre Frage wahrheitsgemäß beantwortete und ihm dabei die Bilder der letzten Stunde wie ein Cinematic Record durch den Kopf schossen.
 

„William, ich möchte dich nur ganz kurz stören. Hier sind die Berichte, die du wolltest“, sagte Grell, als er die Bürotür des Abteilungsleiters hinter sich schloss und vorsichtig einen Schritt vortrat, allerdings auch keinen Millimeter weiter. Angesprochener schaute weder von seinen Unterlagen auf, noch zeigte er auf irgendeine andere Art und Weise, dass er Grells Anwesenheit zur Kenntnis nahm. Allerdings verwunderte den Reaper dieses Verhalten nicht großartig. William war mit Sicherheit noch sauer auf ihn wegen des letzten Gespräches, was sie an eben diesem Ort miteinander geführt hatten. Es hätte ihn viel mehr verwundert, wenn sein heimlicher Schwarm gut auf ihn zu sprechen gewesen wäre.
 

„Legen Sie sie auf den Tisch“, sagte William schließlich doch noch, sah ihn dabei aber immer noch nicht an. Grell schluckte einmal und trat dann zaghaft bis zu besagtem Schreibtisch vor. Seine Augen huschten über Berge von Papier, Aktenordner, wild verstreute Klebezettel und einen Taschenrechner, der auch schon mal bessere Zeiten gesehen hatte, wenn man den leichten Sprung im Display berücksichtigte. Wo zur Hölle sollte er die Berichte ablegen? Er hatte keine Ahnung, ob William in diesem ganzen Chaos eine gewisse Ordnung hatte oder nicht und eine freie Stelle gab es auf diesem Tisch einfach nicht mehr. Was, wenn er die Unterlagen irgendwo ablegte, wo sie störten? Was, wenn er William noch wütender machte, als es ohnehin schon der Fall war?
 

Ein genervtes Seufzen des Aufsichtsbeamten riss ihn aus seinen Gedanken. „Sutcliff, was haben Sie an meinen Worten nicht verstanden?“ „Entschuldige, ich… ähm, ich wollte einfach keine Unordnung machen“, seufzte nun auch Grell und ärgerte sich im gleichen Moment über seine eigene Aussage. Warum war er eigentlich immer noch so nett zu William? Eigentlich sollte er kein Wort mehr wechseln mit diesem… diesem… ach, er wusste es doch auch nicht! „Das wäre ja nicht das erste Mal“, erwiderte William kühl, doch irgendetwas an seinem Gesichtsausdruck verwirrte Grell. Der Blick seiner gelbgrünen Augen passte irgendwie so überhaupt nicht zu seinem gefühlskalten Ton. Erst jetzt viel dem Todesgott auf, was der Andere gerade zu ihm gesagt hatte. Er schnaubte. „Na, schönen Dank auch“, fauchte er und ließ die Berichte an Williams ausgestreckter Hand vorbei fallen, sodass sie quer auf dem Schreibtisch landeten und sich vollkommen ungeordnet darauf verteilten. „Dann will ich dich mal nicht länger mit meiner Anwesenheit belästigen“, meinte er beleidigt und drehte sich um, um schnurstracks wieder zur Tür zurück zu marschieren.
 

„Grell!“
 

Der Rothaarige hielt mitten im Gehen inne. Er stöhnte irritiert auf und drehte sich wieder zu William herum, der ihn ernst ansah. „Kannst du dich vielleicht endlich mal entscheiden, ob du mich jetzt mit meinem Vor- oder Nachnamen ansprichst? Dieser Wechsel geht mir nämlich gehörig auf die Nerven!“ Jetzt schnaubte auch der Schwarzhaarige auf. „Dir geht das auf die Nerven? Was soll ich denn bitteschön sagen? Seit ich weiß, dass du in mich verliebt bist, hatte ich keine ruhige Minute mehr.“
 

Totenstille erfüllt den Raum.
 

Grell konnte für einen Augenblick nicht glauben, was er da gerade gehört hatte. Er blinzelte einmal. Und dann ein zweites Mal, aber das Bild vor seinen Augen veränderte sich nicht. Da saß immer noch William, der ihn mit einer ernsten Miene anstarrte und scheinbar tatsächlich gerade zu ihm gesagt hatte, dass er von seinen Gefühlen Bescheid wusste. Aber… aber das konnte unmöglich stimmen!
 

„Was… hast du da gerade gesagt?“, flüsterte er mit tauben Lippen und spürte, wie ihm langsam das ganze Blut aus dem Gesicht wich. Lediglich seine Wangen fühlten sich glühend heiß an. William schnaubte. „Da du nicht taub bist, dürftest du mich schon verstanden haben“, sagte er und verdrehte – zu Grells vollkommenem Unglauben – doch tatsächlich die Augen.
 

„Du weißt genau, wie ich das meine“, fauchte Grell zum zweiten Mal am heutigen Tage, stellte sich genau vor Williams Schreibtisch und ließ seine Handflächen hart auf die Oberfläche krachen. „Was zum Teufel soll das heißen? Seit du weißt, dass ich angeblich in dich verliebt bin?“ Das hörte sich ja beinahe schon danach an, als hätte ihn jemand darauf gebracht oder es ihm gar erzählt. Aber so lebensmüde konnte doch niemand sein. Jeder im verdammten Dispatch wusste, wer Grell Sutcliff war und was er mit Leuten machte, die ihm in die Quere kamen. Und auch, wenn seine Verliebtheit in William für jeden anderen außer eben genannten mehr als offensichtlich war, hatte es doch bisher niemand gewagt diese Worte laut auszusprechen. Bis jetzt.
 

William rückte seine Brille zurecht und schaute Grell beinahe genervt an. „Spiel jetzt nicht den Unschuldigen. Deine Schülerin wird mich ja wohl kaum angelogen haben. Wenn es jemanden gibt, der über dein komplexes Gefühlsleben Bescheid weiß, dann ja wohl sie!“
 

Wie vom Donner gerührt stand Grell dar und konnte weiterhin nichts anderes tun, außer William anzustarren. Carina? Carina hatte… nein, das konnte sie nicht getan haben. Wobei, sie war erst vor kurzem hier gewesen. War ihr etwas rausgerutscht? Aber in welchem Zusammenhang? Und warum hatte sie ihn nicht vorgewarnt? Hatte sie gedacht, dass William seinen Mund halten würde? Wo er doch von Einfühlungsvermögen überhaupt keine Ahnung hatte? Wie hatte sie ihm das antun können?
 

Scham und Enttäuschung befielen seinen Körper und zum ersten Mal seit endlos langen Jahrzehnten fühlte er sich wieder wie der junge Mann, der sich damals das Skalpell seines Vaters genommen und anschließend seine Pulsadern damit aufgeschnitten hatte. William hatte ihn in den letzten Tagen traurig und wütend zugleich gemacht, aber das war nichts im Vergleich dazu, wie er sich jetzt dank Carina fühlte: Verraten.
 

„Und wenn?“, hörte er sich plötzlich selbst mit monotoner Stimme sagen, ohne überhaupt über seine Worte nachgedacht zu haben. „Was ist, wenn sie die Wahrheit gesagt hat? Was ändert das?“ Williams Augen wurden ein Stückchen größer, als er Grell so reden hörte. In diesem Tonfall, den er selbst eigentlich immer benutzte, wenn er sprach. Kalt. Abweisend. Keine Nähe zulassend. Der Rothaarige stieß ein Geräusch hervor, das entfernt an ein Lachen erinnerte. „Ist dir eigentlich bewusst, dass sich dieser Tatsache jeder verdammte Shinigami bewusst war? Bis auf dich natürlich. Wie solltest du es auch von selbst erkannt haben? So etwas wie Gefühle sind ja unter deiner Würde, nicht wahr?
 

Der Aufsichtsbeamte wusste nichts darauf zu erwidern. Es hatte ihm glatt die Sprache verschlagen. Die Ansprache der jungen Todesgöttin kam ihm wieder in den Sinn.
 

„Um Gottes Willen, das kann einfach nicht Ihr Ernst sein. Das können Sie mich gerade nicht ernsthaft gefragt haben. Ich kann nicht fassen, dass ich diejenige bin, die Ihnen das sagen muss.“
 

Jetzt verstand er zumindest, was sie damit gemeint hatte. War es wirklich für jeden anderen so offensichtlich gewesen? War er der Einzige, der es einfach nicht hatte sehen können? Und… Wie sprach Sutcliff da eigentlich wieder mit ihm? In den letzten Tagen schon hatte er seine Grenzen deutlich überschritten und jetzt tat er es wieder. Warum, zum Teufel, konnte William es trotzdem nicht fertig bringen ihn dafür zur Rechenschaft zu ziehen? Warum konnte er Grell für seinen Verrat am Dispatch bestrafen, aber nicht für seine harten Worte ihm gegenüber?
 

„…Ich habe dir nie irgendwelche Hoffnungen gemacht, Grell“, brachte er schließlich hervor, dieses eine Mal ganz klar in der Defensive. „Ich habe momentan absolut keine Lust, dieses Gespräch mit dir zu führen, William“, erwiderte der Rothaarige kühl und Angesprochener zuckte instinktiv zurück, als er zum ersten Mal seit ihrer Ausbildung seinen vollen Namen aus Grells Mund vernahm. „Wenn es nach mir geht, muss sich zwischen uns nichts ändern. Du kannst mit dieser Information gerne machen, was du willst.“ „Also stimmt es?“, hakte der Schwarzhaarige nach, worauf sein Gegenüber ihm allerdings keine Antwort mehr gab. „Du entschuldigst mich, ich habe noch eine Angelegenheit zu klären.“
 

„Und dann bin ich direkt hierhergekommen und ich stelle dir gerne noch einmal die gleiche Frage wie vorhin. Was zur Hölle hast du William erzählt?“, zischte Grell zornig und direkt in Carinas Gesicht hinein, das mit jedem seiner Worte aschfahler geworden war. Sie stolperte einen Schritt zurück und lehnte sich gegen den hölzernen Tresen, während sich ihre Lippen bebend öffneten. „Grell, das tut mir alles so leid. Ich schwöre dir, das war nicht geplant. Ich habe-“ „Na, das wäre ja auch noch schöner“, fauchte er wie eine Furie dazwischen und Carina beeilte sich weiter zu sprechen, bevor ihr Mentor vielleicht doch noch Reißaus nehmen würde. Oder noch schlimmer, seine Fäuste ins Spiel brachte. „William meinte doch zu dir, dass er noch etwas mit mir zu besprechen hätte, bezüglich unserer Vereinbarung. Das war gelogen. Er wollte einfach nur nicht vor dir zugeben, dass er dich nur länger in seinem Büro behalten wollte, um dich noch weiter zu demütigen.“
 

Grell schnaubte. Natürlich, das passte zu William.
 

„Daraufhin wollte ich eigentlich sofort wieder gehen, aber dann hat sich sein ganzes Verhalten plötzlich verändert und er meinte zu mir, dass er dich einfach nicht versteht. Dein Verhalten und die Worte, die du zu ihm gesagt hast. Es war mehr als offensichtlich, dass er damit überfordert war. Dann sagte er, dass er keine Ahnung hat, was er von alldem halten soll und da ich ja deine Schülerin bin, müsste ich dich ja von allen am besten kennen. Und dann hat er mich plötzlich gefragt, ob ich ihm das erklären könnte“, sprudelte es wie ein Wasserfall aus ihr heraus, ehe Grell sie noch ein weiteres Mal unterbrechen konnte.
 

„Ich war total genervt, habe ihn gefragt, ob er das wirklich ernst meint und als er dann tatsächlich zugegeben hat, dass er nicht die leistete Ahnung hat, da… da ist es mir einfach rausgerutscht.“ Sie schluckte und spürte gleichzeitig, wie sich das unangenehme Brennen in ihrer Kehle bemerkbar machte, das sie immer kurz vor einer Heulattacke hatte. „Ich hab’s noch in dem Augenblick bereut, in dem ich sein Büro wieder verlassen hatte, ich schwör’s. Es tut mir so leid, glaub mir das bitte.“
 

„Und warum hast du mich dann nicht vorgewarnt? Hast du gedacht, dass William schon seinen Mund halten wird und du so ganz einfach aus der Sache wieder rauskommst?“ Ertappt wie ein kleines Kind wurde Carina rot und schaute beschämt zu Boden. „Wenn ich ehrlich bin… ja“, flüsterte sie und schluckte. „Ich hab mich geschämt. Und ich hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen. Ich… ich wollte dich einfach nicht enttäuschen.“ Das Brennen breitete sich nun auch auf ihre Augenwinkel aus. Immer noch starrte sie stur zu Boden, unfähig ihrem besten Freund in die Augen zu sehen.
 

Bleierne Stille senkte sich mehrere unendlich lange Sekunden über den Raum, dann drang ein schweres Seufzen an ihre Ohren. Vorsichtig hob sie ihren Blick und sah Grell an, der sich eine Hand an die Stirn gelegt hatte und ungläubig den Kopf schüttelte. „Weißt du, was mich an der ganzen Sache am meisten nervt? Dass ich mich damals wie der letzte Idiot an deine Regeln gehalten und Undy nicht viel früher von deinen Gefühlen oder gar der Schwangerschaft erzählt habe. Dann wären wir jetzt wenigstens quitt.“
 

Carina hatte keine Ahnung, was sie darauf erwidern sollte, also hielt sie den Mund. Auch fiel es ihr schwer einzuschätzen, ob Grell immer noch wirklich sauer auf sie war oder nicht. Erneut seufzte der Rothaarige. „Hast du ihm noch irgendetwas gesagt, dass ich vielleicht wissen sollte? Wenn ja, dann wäre jetzt der passende Moment, um es zu sagen.“ Die Deutsche presste die Lippen zusammen und dachte einen Augenblick lang angestrengt nach, ehe sie zögerlich erwiderte: „Ich hab ihm den Rat gegeben, dass er mit dir reden soll. Und…“, sie schluckte und fuhr kleinlaut fort: „Ich habe ihm geschworen, dass ich ihm wehtun würde, wenn er dir wehtut. Und dass das keine leere Drohung ist.“ Jetzt, wo sie diese Worte noch einmal für Grell wiederholen musste, kam sie sich plötzlich furchtbar dämlich vor.
 

Sie biss sich auf die Lippe, als sie in Grells fassungsloses Gesicht sah. „Das… das hast du ernsthaft zu ihm gesagt?“, fragte der Todesgott und Carina nickte, immer noch unfähig ihm direkt in die Augen zu sehen. „Ach, ich weiß doch auch nicht“, platzte es mit einem Mal aus ihr heraus. „Ich meine, wirklich? Der Typ hatte absolut keine Ahnung, von gar nichts, und ich… ich musste es ihm einfach reindrücken. Allein sein Gesichtsausdruck war es wert, glaub mir. Und die Drohung… ich wollte ihm einfach klar machen, dass er so nicht mehr mit dir umgehen kann. Jedenfalls nicht mehr ohne Konsequenzen. Was weiß er denn schon über dich? Dass du ein aufgedrehter Kerl bist, der gerne mal über die Strenge schlägt und etwas seltsame Vorlieben hat?“ Grell zog eine empörte Schnute, doch Carina kümmerte sich nicht darum. „Das ist lediglich so ein winziger Teil von alldem, was dich ausmacht und ich wollte verdammt nochmal, dass er endlich lernt auch den Rest von dir zu würdigen. Es ist unfair, dass er dich und deine Gefühle nicht zu würdigen weiß, ist dir das eigentlich klar-“
 

Carina stoppte mitten im Satz und ihre Augen weiteten sich erschrocken, als sie sich plötzlich in einer Umarmung wiederfand. Irritiert sah sie ihren Mentor an, als dieser sich wieder von ihr löste und sie mit rollenden Augen ansah. „Also ehrlich. Dein Beschützerinstinkt geht zu den unmöglichsten Zeitpunkten mit dir durch, weißt du das eigentlich?“ „Hab es gelegentlich mal gehört…“, nuschelte sie und dachte dabei an Cedric, der es ihr bereits mehr als einmal gesagt hatte. „Hast du das ernsthaft genau so zu William gesagt?“ „Ich… fürchte schon“, antwortete sie ehrlich und wartete auf den großen Knall, der zwangsläufig kommen musste. Allerdings irrte sie sich dieses Mal gewaltig. Denn statt eines erneuten Wutausbruches, warf Grell lediglich den Kopf in den Nacken und begann schallend zu lachen. Carina starrte ihn an. Unwillkürlich musste sie sich fragen, ob sie mittendrin irgendwas verpasst hatte, denn jetzt kam sie eindeutig nicht mehr mit.
 

„Warum lachst du denn jetzt?“, fragte sie verwirrt und traute sich jetzt wieder mehr den Mund aufzumachen. „Von deinen Stimmungsschwankungen bekommt man ja ein Schleudertrauma.“ „Und schon ist dein großes Mundwerk wieder da“, meinte Grell, packte sie an einem Ohr und zog sie dicht vor sein Gesicht. Der Todesgöttin entfuhr ein missbilligender Laut. „Glaub ja nicht, dass ich damit einverstanden bin, wie du die Situation gehandelt hast. Ich bin immer noch verdammt sauer. Obwohl die Vorstellung, wie William geguckt haben muss, als du ihm das alles um die Ohren gehauen hast…“, er lachte erneut, „schon ziemlich amüsant ist.“ Ein scharfer Schmerz schoss durch ihr Ohr, als Grell erneut an dem hochempfindlichen Organ zog. „Ich nehme deine Entschuldigung an. Aber solltest du noch einmal irgendwelche Dinge vor William ausplaudern, die ich dir im Vertrauen gesagt habe, dann wirst du mich kennenlernen.“ Es war ein dunkles Versprechen, das Carina automatisch schlucken ließ. Sie hatte absolut keine Lust Grells wahre Stärke in einem Kampf erleben zu müssen. Der Abstand von ihrer Kraft zu seiner war vielleicht nicht so gewaltig wie der zu Cedrics, aber sie wusste trotzdem, dass sie auch gegen ihn verlieren würde. Und zwar chancenlos.
 

„Verstanden“, murmelte sie mit Ehrfurcht, aber dennoch erleichtert darüber, dass er ihr auf lange Sicht nicht böse sein würde. Sie konnte Grell einfach nicht verlieren. Nicht, nachdem sie schon Alice…
 

Der Gedanke an ihre beste Freundin, deren Grab erst vor wenigen Stunden geschändet worden war und mit deren Leiche Samael wer weiß was getan hatte, trieb ihr wieder die Tränen in die Augen. Sie spürte, wie sich die Trauer und die Erleichterung miteinander vermischten und ihre Gefühlswelt für einen ganz kleinen Moment auf den Kopf stellten. „Was zum… Carina“, stammelte Grell entsetzt, als seiner besten Freundin plötzlich zwei dicke Tränen die Wangen hinunter kullerten. Sofort ließ er ihr Ohr los. „D-das ist doch kein Grund zu weinen. Ich verzeihe dir, wirklich. Und mein Auftritt gerade eben war vielleicht ein wenig übertrieben, aber ich war einfach so zornig, da-“ „Das ist es nicht“, unterbrach sie ihn mit zittriger Stimme. „Du hast jedes Recht darauf wütend auf mich zu sein und deine Reaktion war mehr als nur angebracht. Ich… ich bin heute einfach nicht so gut drauf.“ Weitere Tränen tropften zu Boden, doch ausnahmsweise kümmerte sie sich nicht darum. „Kurz, bevor du herkamst, waren Ciel und Sebastian hier. Sie haben mir erzählt, dass… dass…“, sie schnappte kurz nach Luft, doch immer noch war ihre sonst so kontrollierte Fassung unauffindbar. Man konnte viel über Grell sagen, aber dumm war er nicht. Er schaltete sofort. „Was hat er getan? Es geht doch um Samael, oder nicht?“ Sie alle hatten gewusst, dass nach der Aktion mit den Sterlings sicherlich noch weitere Provokationen folgen würden, doch wenn es so weit ging, dass sogar jemand wie Carina die Nerven verlor, dann musste es etwas Persönliches sein. Und er wurde nicht enttäuscht.
 

„Er hat ihr Grab geschändet“, wisperte sie mit bebender Stimme und schaute Grell mit geröteten Augen an. „Alice…ihr Grab ist…“, sie sprach nicht weiter, als sie in dem Gesicht ihres Gegenübers die Erkenntnis aufflackern sah. Ebenso wie sie ca. eine Stunde zuvor erbleichte er, doch zeitgleich kam die Wut. „Das hat er nicht“, zischte Grell, obwohl er natürlich wusste, dass es stimmte. „Dieser abscheuliche Mistkerl!“ Ein Fauchen entfuhr seinen Lippen und rastlos tigerte er mit einem Mal im Raum umher, als ob es das Einzige wäre, das ihn momentan davon abhielt auf etwas einzuprügeln. „Ich wusste, dass es nicht leicht werden würde sich mit ihm anzulegen“, erwiderte Carina und wischte sich die Tränen von den Wangen, „aber mir war nicht bewusst, wie gut er darin sein würde einen genau da zu treffen, wo es so richtig wehtut.“ Sie lachte einmal trocken auf. „Jetzt wissen wir zumindest, von wem Sebastian all seine netten Eigenschaften hat…“
 

„Carina… das…“, mit einem Mal wurde ihm klar, dass er einfach ohne Rücksicht auf Verluste in den Laden gestürmt und sie angeschrien hatte. Und das, nachdem sie diese Hiobsbotschaft erhalten hatte. „Entschuldige dich jetzt bloß nicht bei mir“, kam sie ihm trocken zuvor und zuckte einmal mit den Schultern. „Ich sagte doch bereits, dass ich es nicht anders verdient hatte.“ Sie seufzte und versuchte das Thema zu wechseln. „Jedenfalls haben wir jetzt einen Plan gegen Samael ausgearbeitet, der vielleicht sogar funktionieren könnte.“ „Und wie sieht der aus?“, fragte Grell neugierig, setzte sich erneut auf einen Sarg und schlug die Beine übereinander. Sie lachte kurz auf, aber kein Amüsement lag in ihrer Stimme. „Dir wird er gefallen, da bin ich mir ganz sicher.“ „Heißt mit anderen Worten, dass er dir nicht gefällt?“ „Nicht sonderlich“, gab sie zu und verschränkte die Arme vor der Brust. „Wir müssen zu einem Ball gehen.“
 

Grell quietschte – wie sollte es auch anders sein – erfreut auf. „Ehrlich? EHRLICH?“ Carina verdrehte die Augen. „Das war ja so klar“, murmelte sie, nickte aber notgedrungen. „Ja, Ciel wird einen veranstalten, um Samael aus der Reserve zu locken. Ronald und William werden ebenfalls eine Einladung bekommen und ich hoffe, dass sie beide zusagen. Wir sollten so viele Kämpfer wie möglich vor Ort haben.“ Die Augen des Rothaarigen begannen vor Freude zu funkeln. „Ich war seit meinem Selbstmord auf keinem Ball mehr. Oh mein Gott, das wird großartig.“ Carina versuchte gar nicht erst ihren besten Freund darauf hinzuweisen, dass sie das ganze Spektakel nicht zum Spaß machten, sondern ein Plan dahinter steckte, denn der Reaper würde ihr nicht zuhören, da kannte sie ihn gut genug. Und… er verdiente es nach dem heutigen Tag sich zu freuen. Sie würde alles dafür tun, um ihn bei dieser guten Laune zu halten. Egal, um was er sie in den nächsten Wochen bitten würde, sie würde zu allem Ja und Amen sagen. Das war sie ihm schuldig!
 

„Und Lily? Wo soll sie währenddessen hin?“ „Darüber hab ich noch nicht nachgedacht“, gab Carina zu und überlegte. „Wenn wir sie fernab vom Geschehen lassen, wäre das wohl ziemlich vorhersehbar. Vermutlich wäre es auch hier die beste Lösung, wenn sie währenddessen im Anwesen der Phantomhives unterbringen könnten. Ich könnte Lizzy fragen, ob ihre Zofe noch einmal auf sie aufpassen könnte. Mir ist zwar nicht wohl bei dem Gedanken, dass dieser Mistkerl in ihre Nähe kommt, aber zumindest sind wir dann auch direkt vor Ort. Wenn wir sie irgendwo anders lassen und er sie in die Finger bekommt…“ Sie sprach nicht weiter, weil ihr allein bei dem Gedanken daran schlichtweg übel wurde.
 

„Mir gefällt der Gedanke auch nicht, aber in unserer Situation ist das wohl noch die beste Lösung“, seufzte Grell. „Ich werde das noch mit Cedric absprechen. Wenn er keine andere Idee hat, dann werden wir es so machen“, erwiderte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. „Aber jetzt sollten wir wohl besser das machen, was wir ursprünglich im Sinn hatten. Unseren Schichtplan besprechen. Eigentlich wollten wir das ja erst morgen machen, aber wenn wir gerade schon mal Zeit haben…“ Grell hob eine Augenbraue. „Du willst jetzt noch über die Arbeit sprechen? Nach alldem, was heute passiert ist?“ „Das lenkt mich wenigstens ein bisschen ab“, seufzte sie und zuckte einmal mit den Schultern. „Was soll ich sonst machen? In Selbstmitleid versinken? Das bringt auch niemandem etwas, am allerwenigsten mir selbst. Und bis wir genaueres bezüglich des Balls planen können, muss Ciel das alles erst einmal organisieren. Also…wie steht’s mit der Todesliste?“
 

Die nächste Stunden verbrachten die beiden Todesgöttern mit der Organisation ihrer gemeinsamen Arbeitszeiten, sodass sie entweder Nachtschichten schoben oder die Zeiten tagsüber so legten, dass Cedric währenddessen nicht arbeiten musste und somit zu Hause bei Lily bleiben konnte. Außerdem bekam die 19-Jährige eine brandneue und aktualisierte Todesliste in die Hand gedrückt, die allerdings keine offizielle Registraturnummer beinhaltete.
 

„Wie zum Teufel ist William da ran gekommen?“, fragte sie Grell verwundert, denn es verstieß gegen jegliche Regeln solch eine Liste zu benutzen. „Keine Ahnung, aber mit Sicherheit nicht auf legalem Wege. Wir können dich ja schlecht mit einer registrierten Liste herumlaufen lassen. Das würde viel zu viele Fragen aufwerfen. Stattdessen sind unsere Listen jetzt miteinander verbunden. Heißt, wenn ich einen Auftrag erledigt habe, verschwindet er von deiner Liste und umgekehrt genauso. So sind wir immer auf dem aktuellen Stand, ohne vorher in Kommunikation treten zu müssen.“
 

„Klingt gut“, warf die Deutsche ein und schob sich das kleine Buch in die Jackentasche ihres Mantels, der am Garderobenständer hing. „Also fangen wir morgen an?“ „Ich hole dich ab“, gab der Rothaarige nur zurück und erhob sich. „Alles klar. Könntest… könntest du vielleicht William und Ronald schon mal Bescheid sagen? Nur, wenn du willst natürlich, ansonsten könnte auch ich-“ „Ich mach das schon. Du müsstest dafür doch extra getarnt in den Dispatch kommen und setzt dich einem unnötigen Risiko aus, ich gehe sowieso wieder zurück. Und jetzt entschuldige dich nicht schon wieder, ich schaffe das“, fügte er noch hinzu, als er erneut in Carinas schuldbewusstes Gesicht sah. „Okay, wie du meinst“, antwortete sie zögerlich. „Wie gesagt, die Einzelheiten weiß ich noch nicht. Aber falls William irgendeinen Aufstand macht, kann er ja gerne hierher kommen und es mit mir ausdiskutieren.“ „Ich werde es ihm genau so ausrichten“, grinste Grell und zwinkerte ihr einmal spielerisch zu. „Mach das ruhig. Ich hab keine Angst vor William, Grell. Ganz im Gegenteil. Irgendwie sind diese Diskussionen mit ihm doch immer äußerst amüsant.“
 

Angesprochener seufzte. „Ich wünschte, ich hätte dein Selbstbewusstsein.“ „Soll das ein Witz sein? Du bist der selbstbewussteste Mensch, den ich kenne. Oder Todesgott, such dir was aus.“ „Aber nicht, was ihn angeht.“ „Weißt du, was ich glaube?“, begann sie, vorsichtig in ihrer Wortwahl, weil sie nicht wusste, ob Grell jetzt noch etwas in der Richtung von ihr hören wollte. Als ihr Mentor nickte, fuhr sie fort. „Ich glaube, dass William dich viel eher als denjenigen wahrnehmen würde, der du bist, wenn du ihm mehr Kontra geben würdest. Es behagt mir zwar nicht das zuzugeben“, sagte sie und grinste schief, „aber in manchen Bereichen sich Cedric und er sich ziemlich ähnlich. Und ich wäre Cedric wohl nie sonderlich aufgefallen, wenn ich immer mit allem einverstanden gewesen wäre, was er so sagt und macht.“
 

Grell runzelte die Stirn. „Du meinst, ich soll ihm öfter widersprechen?“ „Nein, nicht direkt. Ich meine damit, dass du ehrlich sein sollst. Und wenn das nun einmal beinhaltet, dass du ihm widersprichst, dann solltest du genau das tun.“ Sie warf ihm einen eindeutigen Blick zu. „Und ich weiß, dass du ihm häufig deine eigene Meinung mitteilen möchtest, dich aber zurückhältst, um ihn nicht unnötig zu verärgern.“ „Schon möglich“, murmelte der Reaper und strich sich einige wirre Haarsträhnen aus der Stirn.
 

„Ich könnte es mir natürlich auch nur einbilden, aber ihr beide kennt euch schon so lange. Und niemals zuvor ist es vorgekommen, dass er zugegeben hat, dass er dein Verhalten nicht nachvollziehen kann, oder? Das kam erst, nachdem du zu ihm gesagt hast, dass er und der Dispatch für dich zwei völlig unterschiedliche Sachen sind. Da hast du ihm zum allerersten Mal vollkommen ungefiltert deine Gedanken mitgeteilt, oder etwa nicht?“
 

Grell hörte ihr aufmerksam zu. Irgendwie… wenn er so darüber nachdachte… dann machten ihre Worte auf seltsame Art und Weise Sinn. Dennoch konnte er sich einen kleinen Seitenhieb nicht ganz verkneifen.
 

„Vielleicht sollte ich ihm auch sagen, dass ich ihm keine Rechenschaft schuldig bin, was meinst du?“
 

Carina errötete schwach, als sie die Andeutung sofort verstand. „Das werde ich mir wohl noch in 100 Jahren anhören dürfen, hmm?“, erwiderte sie und versuchte nicht daran zu denken, was für Konsequenzen ihr dieser eine Satz im Nachhinein eingebracht hatte. „Worauf du dich verlassen kannst“, antwortete Grell mit bester Laune und klopfte seiner besten Freundin einmal auf die Schulter. „Wir sehen uns morgen. Ich hol dich ab.“ Carina nickte und sah dem Rotschopf dabei zu, wie er sich langsam auflöste und somit in den Dispatch zurückkehrte.
 

Sobald sie sich darüber bewusst wurde, dass sie endlich alleine war, spürte die Schnitterin plötzlich die geistige Erschöpfung der letzten paar Stunden. Es war nicht mit einer normalen Müdigkeit zu vergleichen, die einem die Augen zufallen ließ. Vielmehr fühlte es sich an, als hätte sich ein kleiner Abgrund in ihrem Inneren aufgetan. Hätte sie die Sache mit Grell vermasselt… sie wollte sich gar nicht erst vorstellen, wie viel schlechter es ihr dann jetzt erst gehen würde.
 

Leise ging sie nach oben und schaute kurz nach Lily, die aber nach wie vor fest schlief. Seufzend machte sie sich endlich daran den Haushalt auf Vordermann zu bringen. Es stellte eine willkommene Ablenkung dar und als sie sich nach einer Stunde in die Küche begab, um mit den Vorbereitungen für das Abendessen anzufangen, fühlte sie sich wesentlich ausgeglichener als noch vor wenigen Stunden. Dennoch, ein kleiner Wutfunken in ihrem Bauch blieb. „Er hält sich wirklich für einen Gott“, dachte sie, während sie die Zwiebeln in feine Würfel schnitt. „Denkt, er kann sich alles erlauben und kommt damit durch. Aber nicht mit mir, du Bastard.“ Ein überraschtes Zischen entkam ihren Lippen, als sie vor lauter Wut ein wenig zu viel Druck auf das Messer ausübte und die Klinge nicht nur in die Zwiebel, sondern auch gleich noch in die Haut ihres Daumens schnitt. Ein derber Fluch verließ ihren Mund und sie nahm den Finger automatisch zwischen die Lippen, um das heraustropfende Blut abzufangen. Kurz brannte der Schnitt höllisch unangenehm, doch als sie ihren Finger wieder hervorzog, begann die Wunde bereits wieder zu verheilen.
 

„Shinigami hin oder her“, dachte sie und erinnerte sich an die Zeit zurück, als sie Cedric gerade erst kennengelernt hatte, „ich bin immer noch genauso ein Tollpatsch wie damals.“ Ja… damals nach der ersten Begegnung mit Ciel und Sebastian hatte sie sich ebenfalls in den Finger geschnitten. Der einzige Unterschied zu jener Zeit war, dass ihre Wunde nun beinahe sofort heilte und sie kein Pflaster mehr brauchte, das der Undertaker ihr um den Finger legte. „Na ja… vielleicht nicht der einzige Unterschied“, schmunzelte sie. Ein wenig erwachsener war sie seitdem mit Sicherheit auch geworden, zumindest hoffte sie das für ihr eigenes Wohl.
 

Wenn sie die Anfangszeit in diesem Jahrhundert rückblickend betrachtete, dann war sie doch reichlich naiv gewesen. Wobei genau diese Naivität auch dafür gesorgt hatte, dass sie jetzt genau da war, wo sie hingehörte. Es hatte reichlich Spielraum für sie gegeben sich weiterzuentwickeln und sie war sich sicher, dass das noch nicht das Ende war. „Wer weiß? Vielleicht denke ich in 100 Jahren, dass ich gerade in diesem Augenblick auch ziemlich naiv war.“ Nur mit Mühe konnte sie ein trockenes Lachen unterdrücken. „Vorausgesetzt, dass ich in einem Jahrhundert überhaupt noch am Leben bin.“
 

„Und, hat er sich wieder beruhigt?“, fragte Cedric sie eine Dreiviertelstunde später, als er zum Essen nach oben kam. „Ja, Gott sei Dank“, antwortete sie ihm und stellte die Teller auf den Tisch, während der Bestatter sich gründlich die Hände wusch. „Aber ich wiederhole es gerne noch einmal. Er hatte jedes Recht dazu sauer auf mich zu sein.“ „Trotzdem“, erwiderte der Silberhaarige und trocknete sich die Hände mit einem Geschirrtuch ab, ehe er sich zu ihr umdrehte, „ich dulde nicht, dass jemand so mit dir spricht. Weder er, noch sonst irgendjemand.“ „Aww“, meinte sie, grinste leicht und stellte sich so dicht vor ihn, dass sich ihre Oberkörper berührten. „Mein Ritter in schimmernder Rüstung“, neckte sie ihn und drückte ihm einen kurzen, liebevollen Kuss auf die Lippen. „Jederzeit“, grinste er zurück und drückte ihr ebenfalls einen Kuss auf den Mund, der aber deutlich länger ausfiel als der erste.
 

Während sie beide aßen, herrschte die ersten paar Minuten eine angenehme Stille. Schließlich jedoch ergriff Carina erneut das Wort. „Grell holt mich morgen Mittag zu unserer ersten gemeinsamen Schicht ab.“ Bevor der Bestatter antworten konnte, fügte sie noch schnell hinzu: „Und er wird mich zu keiner Sekunde aus den Augen lassen. Keine Alleingänge, versprochen.“ „Gut“, gab er zurück und bedachte sie mit einem Blick, den die Schnitterin im ersten Moment nicht so richtig zu deuten wusste. Als sie seine nächsten Worte vernahm, wurde ihr jedoch klar, dass er sich nicht um ihre Sicherheit, sondern um sie selbst sorgte. „Bist du dir immer noch sicher, dass es das ist, was du willst? Ich habe dich auf der Campania gesehen. Wie du die Seele eines Kindes eingesammelt hast. Es hat dir nicht sonderlich gefallen.“
 

„Es wird mir auch jetzt nicht sonderlich gefallen. Die Seelen von Kindern einzusammeln ist immer schwer“, gab sie zu und seufzte. „Aber ich werde damit klar kommen. Die Situation damals war eine andere.“ „Inwiefern?“ Sie lächelte. „Damals war ich allein und in der Annahme, dass das auch mein ganzes weiteres Leben lang so bleiben würde. Dass das Einsammeln der Seelen der einzige Grund ist, warum ich überhaupt noch auf Erden wandele und ich diesen Umstand nun einmal hinnehmen muss. Jetzt ist das anders.“ Ihr Lächeln wurde breiter. „Jetzt habe ich dich und Lily. Eine Familie, die ich liebe. Eine Familie, zu der ich immer zurückkehren kann, egal wie scheiße meine Schicht auch war und was für schreckliche Todesfälle ich mir währenddessen ansehen musste. Für euch würde ich jedes Opfer dieser Welt bringen und hey, es gibt definitiv Schlimmeres, als wieder eine Todesliste abzuarbeiten. Ich freue mich darauf wieder eine Aufgabe zu haben, die nichts mit Hausarbeit zu tun hat.“
 

Cedrics Hand glitt über den Tisch und legte sich über ihre eigene. Sofort reagierte sie auf seine Geste und verschränkte ihre Finger mit seinen, genoss die von ihm ausgehende Wärme. „Ein Jammer, dass der Dispatch keine Ahnung hat, welche großartige Schnitterin ab morgen wieder im Dienst sein wird“, flüsterte er und Carina spürte, wie sich ihre Wangen aufgrund seines Kompliments leicht röteten. Aber der Undertaker war noch nicht fertig. „Dafür weiß aber ich immerhin ziemlich genau, welche großartige Frau ich abbekommen habe.“ „Cedric“, schluckte sie leise und versuchte das Brennen in ihren Wangen zu ignorieren. Ob Mensch oder auch Shinigami, sie konnte nach wie vor nicht sonderlich gut mit Komplimenten umgehen.
 

Der Silberhaarige lachte leise. „Wir sollten besser schlafen gehen. Wenn ich noch länger in dein gerötetes Gesicht schaue, wirst du vor deiner allerersten Schicht viel zu wenig Schlaf bekommen.“
 

Hätte er diese Worte doch nicht in den Mund genommen!
 

Carina bekam in dieser Nacht tatsächlich wenig bis gar keinen Schlaf, allerdings lag das nicht etwa daran, dass sie Sex hatten. Vielmehr schreckte die Deutsche mitten in der Nacht laut keuchend aus dem Schlaf, schweißgebadet und mit rasendem Puls. Ihre Augen huschten im ersten Augenblick unruhig hin und her, darauf bedacht sich zu orientieren und als ihr dann endlich aufging, dass alles nur ein Albtraum gewesen war, ließ sie sich erschöpft in die Kissen zurückfallen, sich dem feucht klebenden Nachthemd auf ihrem Körper unangenehm bewusst.
 

Cedric war durch ihr Keuchen ebenfalls aus seinem Schlaf gerissen worden und schaute sie nun aus besorgten Augen an. „Alles okay?“, fragte er leise in die Stille des Raumes hinein, die lediglich durch ihre heftigen Atemzüge unterbrochen wurde. „Nein“, wisperte die 19-Jährige mit zittrigen Lippen zurück und legte sich eine Hand über die Augen, als ob sie sich so von den Bildern in ihrem Kopf abschirmen könnte. Ihr ganzer Körper fühlte sich trotz der Bettdecke plötzlich klamm an. „Möchtest du darüber reden?“ Ein paar Sekunden ließ Carina sich Zeit mit ihrer Antwort, dann sagte sie: „Es geht wieder um Alice. Die gleichen Albträume, nur, dass jetzt auch noch ihr geschändetes Grab eine Rolle darin spielt.“ Sie seufzte schwer und wischte sich einmal über die Stirn. „Ich hätte wissen müssen, dass mich die Sache so schnell nicht loslässt.“ „Und das erwartet auch niemand von dir“, antwortete er sanft und ergriff wie bereits beim Abendessen ihre Hand, um sie leicht zu drücken und ihr damit zu signalisieren, dass er bei ihr war. Sie lächelte leicht, doch im Gegensatz zum Abendessen war dieses hier wesentlich deprimierter.
 

„Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe“, flüsterte sie. „Alles gut“, murmelte er und zog sie näher an sich heran, sodass sich ihre beiden Oberkörper aneinanderschmiegten und er die Arme um sie legen konnte. Carina wollte ihn eigentlich darauf hinweisen, dass er das nicht machen musste; erst recht nicht jetzt, wo sie ihre Kleidung voll geschwitzt hatte. Doch sie hatte bereits wieder müde die Augen geschlossen und genoss seine Nähe, seinen Geruch und die Sicherheit, die er ihr damit vermittelte.
 

Dennoch wachte sie noch ganze drei Mal in dieser Nacht auf.
 

Und jedes Mal stellte sie sich die Frage, ob sich Samael eigentlich darüber im Klaren war, dass er ihr Albträume bescherte, die nicht einmal mehr Cedric mit seiner Nähe fernhalten konnte.



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