Erlebnis am See
Kapitel 14 - Erlebnis am See
Derweil ahnte Inuyasha nichts von den Gedanken seiner Freundin. Dieser stampfte durch den Wald und verscheuchte potenzielle Beute. Trotz seines Ausbruches am Morgen verrauchte seine Wut noch nicht. Ständig dachte er an seine Kagome und wie er ihr helfen könnte. Dabei gelangte er auf einen schwer begehbaren Pfad und entdeckte die Abdrücke eines Tieres. Dem Geruch nach, noch sehr frisch. Seinen ersten Impuls umzukehren, schob er beiseite und folgte der schwachen Spur des Wildes bis in ein Tal hinein. Tatsächlich labte sich der Vierbeiner an einem Gewässer, das, umgeben von einer Wiese mit unzählig blühenden Pflanzen, im Sonnenlicht glitzerte. Hohe Felsen schützten den Ort vor Wind und unerwünschten Besuchern.
Der Hanyou sah sich kurz an dem idyllischen Platz um und preschte dann vorwärts, um das Tier zu erlegen. Viel Zeit benötigte er nicht dafür. Gerade im Begriff das erlegte Wild auf seine Schulter zu packen, wurde seine Aufmerksamkeit von etwas anderem gefesselt. Bei seiner Tätigkeit benetzte er seine rechte Klauenhand mit etwas Wasser und löste etwas aus.
Die gleißende Oberfläche kräuselte sich und den nassen Fluten entstieg eine weißhaarige feenhafte Gestalt. Sofort ließ Inuyasha die Beute fallen, zückte Tessaiga und brachte sich in Stellung.
"Du musst dich nicht fürchten", sprach die weiße Frau den Hanyou an.
Dieser musterte die Fremde skeptisch. Er konnte keinerlei dämonische Energie an ihr entdecken, weder fand er eine Waffe. Was nichts heißen musste.
"Was willst du?", herrschte es sie unfreundlich an.
Wie vom Wind getragen schwebte die Gestalt vorwärts zum Ufer hin, lächelte geheimnisvoll und ließ ihre glockenhelle Stimme erklingen: "Stell mir eine Frage!"
Doch Kagomes Gefährte winkte ab und steckte sein Schwert in die Scheide mit dem Vorsatz, das Wesen von nun an zu ignorieren.
Nach einem Moment des Nachdenkens fragte Inuyasha dann doch: "Was ist das für ein Ort?" "In diesem See ist die Macht eines Dämons versiegelt. Nur wer würdig ist, erhält sie", lautete die Antwort. Dann erhob sich die Fremde völlig aus den Fluten, steuerte auf den Silberweißhaarigen zu und umschmeichelte mit ihren durchsichtigen Händen sein Gesicht. Obwohl er einige Schritte rückwärts setzte, folgte sie ihm und fuhr in ihrem Tun fort.
"Du bist ein Hanyou. Willst du nicht mächtiger werden? Ich verhelfe dir gern dazu", lockte die weiße Frau.
Inuyasha schluckte, drehte sich seitwärts und murmelte: "Keh, ich bin, wer ich bin. Also lass mich in Ruhe!" Danach hob er sein erlegtes Wild auf und wandte sich zum Gehen, nur um noch einmal von der Stimme aufgehalten zu werden: "Du hast die Prüfung bestanden. Hole deine Gefährtin und genieße den Schutz der Falken, bis dein Widersacher hier auftaucht. Himitsu wird bald hier erscheinen."
Daraufhin drehte er sich wieder auf dem Absatz um, doch die Fremde tauchte schon in das Wasser ein und verschwand. Mit einem Stirnrunzeln ging er selbst davon.
Kagome lauschte den abklingenden Geräuschen der Waldbewohner, welche sich zur Ruhe begaben und wartete auf den Freund. Da erklang ein Knacken in der Nähe, Inuyasha brach durch das Gebüsch und legte das Tier bei der Feuerstelle nieder. Sofort berichtete er von dem besseren Lagerplatz, den er entdeckte. Bald darauf wechselten sie den Ort, denn das schwer zugängliche Tal bot mehr Schutz. Außerdem hoffte der Hanyou, mehr von der weißen Frau über den mysteriösen Lord zu erfahren.
Naraku hatte seinen Rundgang beendet, harrte an der Außenwand des Gebäudes aus und genoss die Wärme der abendlichen Sonnenstrahlen. Als die Miko vorsichtig nach ihm tastete, überwand er seine Überraschung schnell und nutzte den Moment. Gern hätte er die Verführung fortgesetzt aber der Diener des Falkenfürsten landete hinter dem Gebäude und eilte zu seinem Herrn. Sobald der Leibwächter ihm etwas zuflüsterte, erhob sich Daisuke und befahl: "Zeig es mir!"
Die Spinne hatte inzwischen das Ende des Dachrandes erreicht und ließ sich fallen. Mithilfe des günstigen Windes landete er, wie gewollt, auf der Schulter des Herrn der Falken und klammerte sich mit Spinnenseide an dem Band um dessen Hals fest. So hatte er Halt, während sich Daisuke verwandelte und seinem Untergebenen durch die Lüfte folgte.
Das Ziel der beiden Dämonen war nicht der überhängende Felsen, sondern ein Tal nur wenige Shaku entfernt. Kaum landeten sie und verwandelten sich zurück, langte auch Inuyasha über einen gefährlichen, oftmals recht brüchigen Pfad an dem Ort an.
Naraku erkannte die Stelle sofort wieder und dann fiel sein Blick auf Kagome. Die junge Frau kletterte vom Rücken des Hanyou und nahm eilig einen Pfeil aus dem Köcher, legte ihn auf die Sehne und spannte den Bogen, während Inuyasha erneut sein Schwert Tessaiga zog. Bei seiner Rückkehr zwei Dämonen gegenüberzustehen hatte er nicht erwartet. Außerdem merkte er an der Energie des Einen, dass dieser kurz davor stand, die Schwelle zum Daiyoukai zu überqueren.
Daisuke reagierte sofort, hielt seinen Leibwächter zurück und verbeugte leicht seinen Kopf: "Ich grüße euch Prinz Inuyasha, Inu no Taishos Sohn und zweiter Erbe der westlichen Gebiete. Mein Name ist Lord Daisuke, Herr der Falken und Fürst dieser Ländereien. Dies ist mein Leibwächter und engster Vertrauter", wobei er auf den zweiten Falken deutete. Dann forderte der Besitzer der Gegend: "Steckt euer Schwert weg und seid mein Gast. Leider kann ich euch nicht die Annehmlichkeit eines Anwesen bieten, denn dieses bewohnt ein anderer. Hier in der Nähe besitze ich eine bescheidene Hütte, wohin ich, euch gern geleiten werde. Vorher muss ich hier noch etwas erledigen." Erneut beugte er wie zum Gruß seinen Kopf und bat zum Schluss: "Wenn ihr mich daher entschuldigt!"
Sprachlos blickte Inuyasha dem Dämon nach. Nicht nur Prinz, sondern auch als Erbe des westlichen Reiches betitelt zu werden, zusätzlich der große Respekt und die Freundlichkeit in dessen Worten, verwirrte ihn gerade. Zögerlich steckte er Tessaiga ein, behielt den Griff aber sicherheitshalber in der Hand und betrachtete die Szene am See misstrauisch.
Daisuke erreichte das Ufer, aktivierte seine Sinne und bestätigte seinem Nestbruder: "Du hattest recht. Dieser Ort ist wirklich die Quelle meiner Macht. Nun liegt es an mir, das Erbe anzunehmen oder es für meine Nachkommen zu bewahren."
Mit einer leichten Drehung seines Kopfes schaute er auf die mit ihm gereiste Spinne, deren dunkle Augen funkelten.
Kapitel 15 - Himitsu Ende?