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Resident Evil

Afterlife
von

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Prolog

Doktor Isaacs sei dem Wahnsinn verfallen, so hieß es in dem offiziellen Bericht der Umbrella Corporation, aber Albert Wesker wusste es besser. Isaacs hatte sich damals mit seiner selbst hergestellten und vor allem verstärkten Version des T-Virus infiziert und war zu einem Tyranten mutiert. Eigentlich hätte man ihn gut als Forschungssubjekt verwenden können, doch ehe Wesker Truppen hinschicken konnte, war er schon in tausende kleine Teile geschnitten worden. Die White Queen, das damalige Überwachungssystem, hatte die Aufzeichnungen von dem Geschehenen. Das Projekt Alice, welches sie ein paar Monate zuvor als verloren geglaubt hatten, war wieder aufgetaucht, doch es war hinsichtlich defekt. Anstatt für die Firma zu arbeiten, wandte es sich gegen sie und zerstörte eine Einrichtung nach der anderen.

Ein Jahr lag die Nachricht nun zurück, die das Projekt ihm persönlich übermittelt hatte. „Ich komme euch besuchen und ich bringe ein paar Freunde mit.“ Dies waren ihre Worte gewesen.

Wesker hatte daraufhin alle Sicherheitsmaßnahmen erhöht. Zu der Zeit befand sich sein Hauptsitz noch in Paris, doch dort schien es ihm zu unsicher. Es dauerte nicht lange bis dort der Virus ausgebrochen war und da sie dort zu überfordert waren, entschied Wesker die Anlage dicht zu machen und zerstörte den Komplex.

Seine Reise bis nach Japan war lang und beschwerlich, denn der Flugverkehr war mittlerweile ausgefallen und keiner hielt es für nötig ihm einen Umbrella Fluggerät zur Verfügung zu stellen. Es herrschten eisige Temperaturen in Russland und trotzdem hatte auch hier der Virus schon Fuß gefasst.

Es war eine Nacht wie jede andere gewesen und dennoch sollte sie Wesker‘s Leben verändern. Er hatte sich in eine Berghütte zurückgezogen und gerade ein Feuer gezündet, als etwas gegen die Tür krachte. Zuerst dachte er, es wäre ein gottverdammter Zombie, aber diese Wesen waren zu dumm um Türen zu öffnen. Das machte der Virus aus lebenden Menschen. Es verwandelte sie in lebende Leichen, die nur den Drang hatten zu fressen und zwar Frischfleisch. Also zog er seine Magnum, die er hatte mitgehen lassen und näherte sich vorsichtig der Tür. Nur einen Augenschlag später flog ihm diese in Millionen kleiner Splitter entgegen und dann kam eine unbeschreiblich große Axt auf ihn zu oder war es ein Fleischerhammer gewesen? Er rollte beiseite und stieß unsanft gegen den Kamin. Als nächstes sah er nur noch wie hunderte, vielleicht tausende in die Hütte zu stürmen versuchten. Aggressive, schnelle und starke Zombies. Der Virus musste sich angepasst und weiterentwickelt haben. Nachdem er sein gesamtes Magazin und noch ein weiteres verschossen hatte, stürzte er aus dem Fenster. Alles was er dann noch sah waren rote Augen, die ihn gierig anstarrten und dann der höllische Schmerz in seiner Schulter. Dann war nur noch ein gleißendes Licht zu sehen.

Später stellte sich heraus, dass es ein Helikopter der Firma gewesen war, der ihn auf einer Wärmebildkamera entdeckt hatte und schließlich vor dem Aufgefressen werden bewahrte. Man stellte Wesker wieder her, aber sein Körper verarbeitete den Virus anders als gewöhnlich. Er stieß den Antivirus ab und wandelte die T-Zellen um. Es machte ihn stärker, schneller und fast schon übermenschlich. Schon bald hatte er die Kontrolle darüber.

In Japan angekommen, machte er sich sein neues Geschenk zu nutzen und tötete die obersten Angestellte, die etwas zu sagen hatten. Seitdem hatte er das Kommando übernommen und es fühlte sich gut an. Das Einzige, was ihm jetzt noch in die Quere kommen konnte, war das Projekt Alice. Doch wenn sich ihr Versprechen bewahrheiten würde, dann würde sie bald schon vor seiner Tür stehen.

Er stellte sein Weinglas ab, als das Telefon ging. Normalerweise wagte es niemand ihn zu stören, doch auf dem Display stand Sicherheitszentrale, also würde es vielleicht etwas wichtiges sein. Nachdem er es noch einige Male hatte klingeln lassen, nahm er endlich ab.

„Was?“

„Sir, Sie sollten sich das anschauen. Wir haben einige Kontakte nach Außen verloren.“

„Komme.“

Damit unterbrach er die Verbindung und schob seine Sonnenbrille zurecht. Also war sie schon hier? Wesker zog einen Mundwinkel hoch. Dann verließ er zügig sein Büro und machte sich auf den Weg.

Nach wenigen Minuten war er bei den Sicherheitsleuten angekommen, die in einem geräumigen ovalen Raum mit unzähligen Bildschirmen und Tastaturen saßen. Es war eher eine Plattform mit Aussicht zu fast allen Bereichen, doch wen kümmerten diese Kleinigkeiten? Wesker betrat die Plattform und sofort wandte sich ein Mitarbeiter ihm zu. Er hob die Hand zu einem militärischen Gruß.

„Chairman Wesker.“

„Ich höre.“

„Sir, seit dreißig Minuten haben wir keinen Kontakt mehr zu einigen Außenposten.“

„Von wie vielen reden wir?“

„Von allen.“

„Und Sie informieren mich erst nach einer halben Stunde?“

Wesker hatte noch nie viel für diese Armleuchter übrig. Nie machten sie das, wofür sie eingestellt wurden und Entscheidungen konnte sie noch weniger treffen. Er hatte ihnen ausdrücklich zu verstehen gegeben, dass es in nächster Zeit ungemütlich werden könnte, aber offenbar hatten einige besseres zu tun, als ihm zuzuhören.

„Wir dachten, es ist eine Funkstörung und wollten Sie damit nicht belästigen.“

Sein Blick ging über die Monitore. Am liebsten hätte er dem Typen hier und jetzt eine Kugel in den Kopf gejagt, aber dann hätte er schon ziemlich bald keine Mitarbeiter mehr.

„Geben Sie mir die Oberfläche.“

Es war an der Zeit sich selbst ein Bild von der Lage zu machen. Vielleicht waren es auch Funkstörungen, doch er blieb misstrauisch. Umbrella hatte jegliche zur Verfügung stehenden Mittel und die neuste Technologie. Also warum sollten Funkstörungen auftreten?

Es öffneten sich einige Fenster auf dem Monitor. Auf einem erschien der Soldat, den Wesker sprechen wollte.

„Was gibt’s?“, ertönte eine Stimme mit japanischem Akzent aus den Lautsprechern.

„Hier ist Chairman Wesker“, sagte er eindringlich.

„Sir?“

Sofort konnte man den aufkommenden Respekt und vielleicht auch eine Spur Angst in seiner neuen Tonlage hören.

„Erstatten Sie Meldung!“

„Hier oben ist alles ruhig.“

„Das heißt keinerlei Bedrohung?“, fragte Wesker scharf.

Eine Stille trat ein. Eine viel zu lange Pause für Wesker‘s Geschmack. Der Soldat auf dem Bildschirm zuckte kurz. Jetzt stand es fest: Nichts war ruhig und in der Tat gab es eine Bedrohung. Sie war schnell, leise und absolut tödlich.

„Hotaka!“, sagte Wesker, doch er wusste schon, dass es zu spät war.

„Da stimmt was nicht!“, rief der Computertechniker.

Dann wurde die Verbindung zur Kamera getrennt und die Übertragung endete. Wesker spürte wie eine gewisse Freude ihn durchfuhr. Wenn sie es war, dann würde er ihr Blut schon bald für sich nutzen können.

„Diverse Zielobjekte!“, meldete ein anderer Mitarbeiter.

„Zielobjekte identifizieren“, befahl Wesker.

Natürlich schickte sie erst ihre neu gewonnenen Freunde zu ihm. Dutzende, vielleicht Hunderte von Alice Klonen, aber das sollte kein Problem sein. Er hatte alles vorbereitet und er hoffte inständig, dass das Original persönlich vorbeikommen würde. Schnell wurde er ungeduldig. Er wollte einen Beweis, dass sie es waren und diese Idioten arbeiteten einfach zu langsam.

„Ich wiederhole: Zielobjekte identifizieren!“

„Sir, Aufzug zwei ist in Bewegung.“

Wesker glaubte nicht daran, dass sie wirklich so naiv sein würde, trotzdem war er dazu bereit einige Soldaten zu opfern, nur um sie aus ihrem Versteck zu locken.

„Alle Sicherheitskräfte zum Aufzug, sofort!“

Dann wurde es still. Es dauerte eine Weile, doch die Headsets der einzelnen Soldaten lieferten eine Tonübertragung. Schüsse waren zu hören, Schreie, dann eine heftige Explosion. Wesker spürte es. Sie hatte es verwendet. Wie auch immer sie es anstellte, sie konnte Druckwellen aussenden, die alles zerquetschten, was ihr in den Weg kam. So hatte es jedenfalls die damalige Aufzeichnung gezeigt. Aber diesmal spürte er es regelrecht. Diese Kraft. Das Ausmaß an Zerstörung. War es das Virus, das ihn dazu brachte, so etwas zu empfinden? Dann wieder drei Schüsse. Stille.

„Hey, Jungs“, ertönte eine Frauenstimme ganz schwach aus den Lautsprechern. „Behandelt man so eine Lady?“

Dann wieder ein Kugelhagel. Es waren also doch ein paar mehr. Schließlich erhaschte er auf der Kamera, die in Sektor zweiunddreißig installiert war, einen Blick auf die Eindringlinge. Es waren wahrhaftig die Klone von dem Projekt Alice, doch schienen auch sie sich weiterentwickelt zu haben. Ihre blonden schulterlangen Haare waren lang und pechschwarz geworden und ihre Kraft war offenbar exponentiell angestiegen, da kein Soldat auch nur die kleinste Chance zu haben schien. Jetzt blickte ein Klon in die Kamera.

Wesker hatte das Gefühl, dass sich ihre Blicke trafen und er war davon überzeugt, dass sie wusste wer sich am anderen Ende der Kamera befand. War also tatsächlich er das Ziel? Dann feuerte sie einen Schuss ab und die Bildverbindung zu Sektor zweiunddreißig brach ab. Wieder keimte ein Gefühl in ihm auf. War er nervös oder war es die Vorfreude auf das bevorstehende Treffen? Auf jeden Fall musste er einige der Klone loswerden.

„Befehl an die Security: Hauptzugang mit Nervengas fluten.“

Erschrocken drehte sich der Mitarbeiter, der schon eben versagt hatte, zu ihm um. „Sir, da oben sind noch Männer von uns!“

Jetzt hatte Wesker endlich einen Grund diesen Mistkerl zu erschießen. Also zog er seine Magnum und jagte dem Typen eine Kugel durch den Schädel. Leblos fiel er zu Boden.

„Noch irgendwelche Fragen?“

Jetzt wachten auch endlich die anderen Mitarbeiter auf und fingen an zu arbeiten.

„Eindringlinge in den Sektoren eins bis fünf, sieben und acht“, meldete Jemand.

„Aus Sektor zehn und elf werden Schüsse gemeldet“, fügte ein anderer hinzu.

Dann erschütterte eine Explosion von weiter oben die Plattform. Das unterirrdische Hauptquartier galt damals als uneinnehmbar, doch sie wurden gerade eines besseren belehrt. Wesker nahm die Angst der Leute wahr und versuchte dagegen zu arbeiten.

„Niemand verlässt seine Position! Alle Abwehrmaßnahmen treten ab sofort in Kraft!“ Sein Blick ging zu den übriggebliebenen Überwachsungsaufnahmen. „Sämtliche Aufzüge werden stillgelegt und die internen Schutztüren verriegelt! Und ich erwarte eine detaillierte Schadensmeldung.“

Damit könnte er alles im Auge behalten und die Mitarbeiter waren beschäftigt. So konnten sie wenigstens nicht ans Fliehen denken und er wusste so die ungefähren Standpunkte der Eindringlinge.

Dann erschütterte abermals eine Explosion die Plattform. Diesmal konnte man die Feuerfontäne im obersten Stockwerk ausmachen. Wesker erspähte sofort einen Blick auf die zwei Klone, die zu ihnen hinabstürzten. Sofort zogen alle ihre persönlichen Waffen und richteten sie auf die Eindringlinge.

Ein Feuergefecht entfachte. Einer nach dem anderen fiel von Kugeln durchlöchert leblos neben Wesker auf den Boden. Glas zersplitterte. Er konnte die Kugeln hören, die ihn nur knapp verfehlten. Dann spürte er wie eine seiner Kugeln einem Klon sauber durch die Schädeldecke ging. Nummer eins.

Schließlich landete der zweite Klon elegant auf einem der Bürotische und schoss ununterbrochen mit ihren Maschinenpistolen. Wesker suchte Deckung hinter einen der Tische. Einige Soldaten eilten zur Verstärkung herbei, doch auch diese waren schnell tot. Da war sie. Eine kurze Pause der unzähligen Salven und Wesker stürmte hervor. Drei gezielte Schüsse aus seinen zwei geliebten Magnum brachten sie zu Fall. Nummer zwei.

Da lag sie, doch er traute ihr nicht. Sollte es wirklich so leicht sein eine von ihnen zu töten? Vorsichtig ging er mit erhobener Waffe zu ihr hin. Weiter unter ihm ertönten schon weitere Schüsse. Sie waren also alle auf dem Weg zu ihm? Sie lag auf dem Bauch. Mit dem Fuß drehte er sie auf den Rücken, wobei etwas neben sie fiel. Sie hatte gerade noch zwei Granaten scharf gemacht, die jetzt unmittelbar vor ihm lagen.

„Scheiße.“

Wesker drehte sich gerade um, als die Explosion ihn von den Füßen riss und Feuer ihn umgab. Er war schnell, aber nicht schnell genug. Dank des Virus hatte er an Schnelligkeit hinzugewonnen, doch der Klon hatte ihn überlistet.

Wütend ging er durch die Gänge. Seine Kleidung war zerrissen und angesengt. Sein Kopf pochte heftig, aber das Virus hielt ihn am Leben. Es versuchte die Oberhand zu gewinnen. Immer wieder wäre er beinahe dem Wahnsinn verfallen, aber er musste sich zusammenreißen. Wenn er schon solche Hinterlist von einem Klon erfahren hatte, wie sollte es bei dutzenden von ihnen aussehen. Wesker musste jetzt handeln und das schnell.

Endlich hatte er sein persönliches Flugzeug erreicht. Er würde sich vorerst zurückziehen, aber die Klone sollten von der Bildfläche verschwinden. Nachdem er auf einen kleinen Handcomputer alles nötige eingegeben hatte, betrat er das schwarz gepanzerte Luftfahrzeug und schloss die Tür hinter sich. Eilig startete er die Maschinen. Die Luke öffnete sich und da ertönten auch schon die ersten Schüsse. Immer mehr Klone betraten das Startfeld, doch ihre Kugeln prallten nur von der Oberfläche ab.

Wesker sah den freien Himmel über sich. Und nun würde das große Finale kommen. Er aktivierte den Code der Selbstzerstörung und setzte den Timer auf zehn Sekunden. Dann fuhr er nochmal mit den Fingern über seine Innentasche des Jacketts. Alles war in Ordnung. Er musste zwar das Hauptquartier aufgeben, aber das war nur ein kleiner Preis für den ersten Sieg.

Unter ihm bebte die Erde und alles löste sich in Rauch auf. Die halbe Stadt wurde zerstört und zurückblieb nur ein tiefer Krater mitten in Tokyo.

Genervt schaltete er die sich wiederholende Warnung vom Flugzeug aus. Jetzt fehlte also nur noch das Original. Wie aus dem Nichts spürte er den kalten Lauf einer Waffe an seiner rechten Schläfe. Sie war also doch da. Wesker konnte sein Glück kaum fassen. Würde er jetzt eine falsche Bewegung machen, dann wäre er tot, aber auch er hatte noch eine kleine Überraschung auf Lager. Schließlich war er all die Zeit nicht untätig gewesen, sondern hatte an einem Mittel gearbeitet.

„Noch einen letzten Wunsch?“, flüsterte sie in sein Ohr.

Sie war unvorsichtig, wahrscheinlich zu selbstsicher. Sie konnte nicht ahnen, dass er ebenfalls übernatürlich geworden war, aber viel wichtiger war, dass sie sich nun unmittelbar in seiner Nähe befand. Jetzt oder nie! Seine Hand ruhte bereits auf der Spritze in seiner Innentasche und mit einer schnellen Bewegung drehte er sich um, wobei er ihr die Spritze gezielt in den Hals setzte. Das Mittel war in ihrem Blutkreislauf.

Ihre Blicke trafen sich. Er sah Hass und Verachtung, aber auch Angst und Unwissenheit vermischten sich jetzt in ihren Blick. Sie schrie auf und ging zu Boden. Langsam stand er auf und beobachtete die Wirkung des Mittels. Er konnte seine Überheblichkeit kaum unterdrücken.

„Wie schön, mal deinem wahren Ich zu begegnen.“ Er zog einen Mundwinkel hoch, als sie verzweifelt versuchte die Spritze aus ihrem Hals zu entfernen. „Ja, das sind Schmerzen, was? Aber es kommt noch viel schlimmer für dich.“

Jetzt hatte er also das absolute Machtmonopol.

„Alles, was dich ausgezeichnet hat: Geschwindigkeit, Kraft, Regenerationsfähigkeit. Das kannst du ab sofort vergessen.“

Ungläubig starrte sie auf die Spritze, was Wesker noch zufriedener machte.

„Was war das?“

Sie verstand also immer noch nicht. Wie sollte auch ein einfacher Mensch Wesker‘s Genialität verstehen können?

„Ich habe dir nur ein Serum injiziert, das die T-Zellen in deinem Körper neutralisiert.“ Er war davon überzeugt, dass sie ihn vermutlich nicht verstehen würde, also wollte er es anders versuchen zu erklären. „Oder einfacher ausgedrückt: Die Umbrella Corporation holt sich ihr Eigentum zurück. Nennen wir es eine Rückrufaktion, weil du nicht wie gewünscht funktioniert hast.“

Seine Äußerung brachte den gewünschten Effekt. Wütend blickte sie ihn wieder an. Sollte sie doch versuchen ihm zu schaden. Ihre rechte Faust schnellte vor, doch sie war zu langsam. Mühelos fing er sie ab und verdrehte ihr das Handgelenk, dann verpasste er ihr einen gezielten Tritt in die Seite und brach ihr dabei hoffentlich ein paar Rippen. Sie holte kurz Luft. Genüsslich gab er ihr die Verschnaufpause. Dann holte sie wieder aus, doch auch diese halbherzigen Schläge fing er ab, bis er schließlich seine Faust in ihren Magen vergrub und ihr mit dem Ellenbogen gezielt auf die Wirbelsäule schlug. Er spürte wie ihr Atem aussetzte und entschied noch einen erneuten Tritt in den Magen nachzusetzen. Auf allen vieren rang sie nach Atem, aber sie hatte immer noch nicht das Bewusstsein verloren. So ein stures Ding. Diesmal trat er stärker in den Magen, woraufhin sie endlich kraftlos auf dem Boden liegen blieb.

Ihre blauen Augen schauten ihn an. Er wusste nicht, was dieser Blick diesmal zu bedeuten hatte, aber er wollte es nicht unnötig hinauszögern. Das Einzige, was ihm noch hätte gefährlich werden können, war endlich ausradiert. Der Lauf seiner Magnum war nun auf ihren Schädel gerichtet.

„Ich bin das, was du mal warst. Nur besser“, sagte er selbstzufrieden.

„Warte bitte“, keuchte sie.

Jetzt wurde Wesker neugierig. Was würde eine ehemalige Supermacht noch aus dem Hut zaubern um dem endgültigen Tod zu entgehen?

„Noch ein letzter Wunsch?“ Die Ironie war kaum zu überhören, mit der er ihre Frage wiederholte.

„Danke.“

Er hatte mit allem gerechnet, aber nicht mit diesem Wort. Warum zum Teufel sollte man sich in solch einer Situation bedanken? Wut und Verwirrung breiteten sich in ihm aus, doch er verzog keine Miene.

„Fürs Abknallen?“

Sie blickte kurz an ihm vorbei. Es schien schon fast so als würde sie Zeit schinden, aber ob sie jetzt oder zwei Sekunden später sterben würde, machte doch keinen großen Unterschied oder doch? Er überlegte kurz über die Schulter zu blicken um nachzuprüfen, was sie dort zu sehen erhoffte, doch dann erhob sie wieder das Wort.

„Dass ich wieder ein Mensch bin.“

Dann schaute sie wieder an ihm vorbei und jetzt ertönte eine weitere Stimme.

„Höhenverlust! Gegensteuern! Gegensteuern! Höhenverlust! Gegensteuern!“, forderte der Bordcomputer auf.

Sie hatte tatsächlich versucht Zeit zu schinden. Sie hatte es kommen sehen. Sie hatte ihn gottverdammt nochmal hinters Licht geführt. Jetzt musste er schleunigst handeln. Alice war nun zweitrangig. Eilig drehte er sich um und fing an zu rennen, übermenschlich schnell, doch auch das war zu langsam. Glas zersplitterte, Feuer entfachte, Metall knirschte. Sie hatte ihn tatsächlich getäuscht.

Sechs Monate später

„Dritter Mai, genau vier Uhr nachmittags. Hundertsiebenundsiebzig Tage ohne irgendein Lebenszeichen.“ Alice‘s Blick ging zu einer Anzeige, auf der Unmengen an Zahlen zu sehen waren, doch sie fand schnell die zwei, die sie gesucht hatte. Dann schaute sie wieder zu dem kleinen roten blinkenden Licht. „Ich befinde mich 50,37° nördlich, 134,58° westlich. Näher mich den Koordinaten von Arcadia. Die Stadt ist auf keiner Landkarte verzeichnet.“

Ihr kamen wieder die Zweifel in den Sinn. Während sie sich an Umbrella gerächt hatte, hatten sich die letzten Überlebenden mit einem Hubschrauber in Sicherheit gebracht. Sie waren einem Funkruf nach Alaska gefolgt. Über Radio Arcadia wurde auf der Notfallfrequenz Schutz und Sicherheit, Essen und Zuflucht angeboten. Frei von Kontamination. Nur warum zum Teufel hatte sie nichts über diese Stadt herausfinden können?

Das Dröhnen des Propellers brachte sie wieder zurück in die Realität. Das rote Licht blinkte immer noch, also war die Kamera weiterhin am aufnehmen.

„Ich hoffe, Claire und die anderen haben’s geschafft“, fügte sie noch hinzu, bevor sie die Kamera ausstellte.

Vorsichtig verstaute sie das kleine Gerät und konzentrierte sich wieder auf das Fliegen. An ihr nagten Gewissenbisse, da sie es war, die sie alle mit einem geklauten Umbrella Hubschrauber nach Alaska geschickt hatte und sie war es, die zurückgeblieben war.

Schließlich hatte sie geschafft das Hauptquartier von Umbrella zu infiltrieren, aber sie erhielt kein Lebenszeichen der anderen. Nur knapp hatte sie den Absturz der Flugmaschine überlebt, in der sie mit einem der hohen Tiere Umbrella’s konfrontiert wurde.

Unwillkürlich strich sie sich über die linke Seite ihres Halses und spürte die kleine Narbe unter ihren Fingern. Er hatte ihr ein Serum verabreicht und aus ihr wieder einen Menschen gemacht. Ein größeres Geschenk hätte man ihr nicht machen können.

Nachdem sie dann tagelang mit dem Tod gerungen und vor drei Tagen auf einem ausgestorbenen Flugplatz den kleinen Propellerflieger gefunden hatte, war sie aufgebrochen um die restlichen Überlebenden wiederzufinden.

Nun befand sich nur noch das endlose Meer unter ihr. Wasser wohin das Auge reichte, doch halt. Sie kniff die Augen leicht zusammen. Dort war Land zu sehen. Riesige Eisberge ragten aus dem Wasser hinaus und Eisschollen zierten die Wasseroberfläche. Sie hatte jetzt sechs Stunden lang nichts anderes als den Ozean gesehen.

Ihr entglitt ein Seufzer. Abermals verglich sie die Koordinaten und stellte fest, dass sie noch ein gutes Stück vom Zielort entfernt war. Sie richtete mit dem Steuerknüppel das Flugzeug auf den neuen Kurs aus und bereitete sich darauf vor, noch weitere kuschelige Stunden im engen Cockpit zu verbringen.

Nach weiteren dreieinhalb Stunden kam die Maschine endlich sicher zum Stehen und sie fand sich auf einer unendlich weiten Wiese wieder. Sie öffnete die Luke und kletterte auf die Tragfläche. Kälte schlug ihr ins Gesicht, doch etwas anderes ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Unzählige Flugzeuge, ob klein oder groß, standen ungeordnet umher, doch von einem noch lebenden Menschen keine Spur.

Vorsichtig und bedacht sprang sie hinunter und schritt zwischen den geisterhaften Flugzeugen umher. Hatten sie auch das Notrufsignal gehört? Sorgen machten sich in Alice breit. Alles roch nach einer Falle und doch musste sie herausfinden, wo die anderen geblieben waren.

Schließlich erreichte sie das Wasser, welches die exakten Koordinaten der Stadt darstellen sollte. Und dort stand er. Unangetastet und wahrscheinlich noch voll einsatzfähig; der Umbrella Hubschrauber, mit dem die anderen geflohen waren.

Bei genauerem Betrachten sah er dreckig aus, aber es gab keine Anzeichen eines Kampfes. Was war hier vorgefallen? Behutsam strich Alice über die Sitze und stieß dabei an etwas mit ihren Fingern. Das Tagebuch, was sie damals gefunden hatte, in dem das erste Mal die Stadt Arcadia erwähnt wurde, und welches sie an K-Mart, eine junges Mädchen, mitgegeben hatte.

Das würde sie niemals zurücklassen, es sei denn, sie wären von irgendetwas überrascht worden. Vielleicht lauerten doch irgendwelche Zombies oder Schlimmeres, wie die Licker, hier im Schatten und warteten auf den richtigen Moment um auch Alice zu überwältigen.

Kurz ging ihr Blick über die Schulter, doch nichts war zu sehen. Langsam blätterte sie in dem Buch herum. Die Seiten mit den Koordinaten, mit Bildern aus Zeitungen, Sprüche, die sie schmerzlich an Carlos erinnerten, den sie im Kampf gegen Umbrella verloren hatte. Heldenhaft steuerte er den Truck mit dem Rest Benzin in die Zombiemenge und jagte ihn in die Luft. Ohne seine Aufopferung hätte wahrscheinlich keiner überlebt. Sie schob den Gedanken beiseite, doch dann kam ihr K-Mart in den Sinn.

Fliegst du nicht mit? Das waren ihre letzten Worte an Alice gewesen. Die Sorge stand dem kleinen Mädchen ins Gesicht geschrieben, doch zu diesem Zeitpunkt war die Rache an Umbrella Alice wichtiger gewesen, als auf die wenigen Überlebenden aufzupassen. Sie hatte darauf gebaut, dass Claire auf alle achtgeben würde, denn sie war eine der charakterlich stärksten Personen, der Alice je begegnet war. Nur Rain hatte eine noch stärkere Persönlichkeit.

Sie schüttelte kurz den Kopf. Seit wann hielt sie so an der Vergangenheit fest? Sie hatte gelernt, dass dank Umbrella die Leute um sie herum wie Fliegen starben und zum größten Teil gab sie auch sich selbst die Schuld, denn hätte sie damals alles im Hive verhindert, dann wäre die Welt noch nicht zerstört. Kinder könnten fröhlich herumspielen, es würden noch wesentlich mehr Bäume wachsen und alles wäre einfach in Ordnung.

Alice strich sich durch die Haare. Trotz allem hatte sie K-Mart damals das Buch mitgegeben und mit Claire einen stillen Vertrag geschlossen, der mit einem Blick und einem kurzen Nicken versiegelt worden waren. Doch wo zum Teufel waren sie dann?

Wie in Trance ging sie näher zum Wasser und blätterte noch weiter im Buch, doch es brachte die anderen auch nicht wieder zurück. Also machte sie das, was sie immer tat, wenn sie drohte den Mut zu verlieren. Sie hinterließ eine Videoaufzeichnung.

Nachdem sie die kleine Kamera auf einen angeschwemmten Baumstamm abgelegt und die Aufnahmetaste betätigt hatte, setzte sie sich daneben und starrte auf das Wasser.

„Dritter Mai, neunzehn Uhr dreißig. Arcadia.“ Sie schluckte hart und versuchte ihre Enttäuschung in Zaum zu halten. „Diese Stadt gibt es gar nicht. Ich sitze hier in der Wildnis, an einem Strand.“

Ihr Blick ging kurz zur Seite um sich zu vergewissern, dass sich wirklich keine Mutationen in ihrer Nähe befanden. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass man sie beobachtete, doch seitdem Umbrella sie eine Zeitlang ununterbrochen beobachtet, gejagt und verfolgt hatte, litt sie wahrscheinlich in höchstem Maße an Verfolgungswahnsinn.

„Aber wir haben alle diesen Aufruf gehört. Irgendjemand muss ihn gesendet haben. Irgendjemand muss die ganzen Menschen hergelockt haben.“ Abermals beschlich sie ein ungutes Gefühl. Diesmal blickte sie über die Schulter. Doch auch dort war nichts auszumachen, weshalb sie sich wieder dem Meer zuwandte. „Aber wieso? Und wo sind sie alle?“

Eine lange Pause trat ein. Alice hoffte immer wieder, dass sie irgendjemanden finden würde, doch auch dies war wieder ein Misserfolg. Nur wo sollte sie jetzt hin? Nun gab es keine Zielkoordinaten mehr. Sie griff nach der Kamera und gab noch die üblichen Daten hinzu.

„Tag hundertsiebenundsiebzig. Das war’s für heute.“

Ihr Finger hielt kurz vor der Austaste inne. Sie seufzte. Dachte wieder an all die Menschen, die in ihrer Umgebung gestorben waren und die sie enttäuscht hatte. So sehr wünschte sie sich, dass sie endlich mit jemanden reden könnte. Die Worte entglitten ihr, ohne dass sie es wirklich wollte.

„Keine Ahnung, wie lange ich das noch durchhalte. Was ist, wenn es außer mir niemanden mehr gibt, der sich meine Aufzeichnungen ansieht?“ Der Gedanke, dass sie die einzige Überlebende war, erdrückte sie, denn es wäre nicht fair gewesen. „Ist das die Strafe dafür, dass ich das alles zugelassen habe?“

Das Meer rauschte und die Antwort blieb aus. Doch Moment mal. Hatte sich dort gerade etwas in ihrem Blickwinkel bewegt? Hatten gerade ein paar Äste geknackt? Ihr Blick huschte nach rechts und sie sah gerade noch wie jemand davon rannte.

„Hey! Warte!“, schrie sie instinktiv.

Für einen Zombie war die Person zu schnell gewesen, also musste es einfach ein Überlebender gewesen sein. Ihre Füße setzten sich wie von selbst in Bewegung und so nahm sie die Verfolgung auf.

„Warte! Bitte, bleib stehen!“, rief sie abermals.

Doch irgendwann verlor sie zwischen den ganzen Flugzeugen die Person aus den Augen. Sie blieb stehen und schaute sich verzweifelt um. Sie hatte sich das doch nicht eingebildet.

„Hallo?“ Keine Antwort. „Hallo?“

Dann erspähte sie eine Einstiegsklappe eines Flugzeuges, welche hin und her schwankte. Diese Bewegung war zu stark um vom Wind hervorgerufen worden zu sein.

„Antworte mir!“, forderte sie nun eindringlich auf.

Wieder nichts. So sehr sie sich auch wünschte, dass es ein Überlebender war, nun musste sie davon ausgehen, dass es sich um etwas feindlich gesinntes handelte, denn wer wegrannte und nicht antwortete, hatte etwas zu verbergen. Also zog sie ihre beiden Colts.

Zum ersten Mal seit der Behandlung von Umbrella spürte sie Adrenalin durch ihren Körper strömen. Es machte sie unsicher und unkonzentriert. Das alles wurde bis vor kurzem, als man ihr das Serum verabreichte, unterdrückt und machte sie selbst zu einer übermenschlichen Kreatur, aber jetzt war sie einfach nur ein Mensch, der Angst und Neugier zugleich empfand.

Schritt für Schritt näherte sie sich dem Flugzeug. Ihr Atem ging schneller. Sie versuchte nicht zu blinzeln, doch es gelang ihr nicht. Je näher sie kam, desto mehr fühlte sie die Bedrohung. Nur diesmal würde sie keinen Licker überwältigen können oder was auch immer dort lauerte. Die Hoffnung, dass sie vielleicht einen verängstigten Menschen finden könnte, gewann die Oberhand und so zielte sie langsam in den Rumpf der Maschine. Als sie sich gerade in Richtung des Cockpits wandte, kam ihr plötzlich eine Schar von schwarzen Raben entgegen. Ihr Finger hatte schon am Abzug gezuckt, doch es war keine Gefahr. Vorerst zumindest nicht, es sei denn sie waren auch infiziert.

Alice atmete verächtlich aus. Sie hatte wirklich nicht mehr die Nerven wie damals, aber es war gut so. Früher hätte sie schon aus zehn Meter Entfernung gewusst, dass dort nur dämliche Vögel hausten. Erleichtert ließ sie die Waffen sinken und machte kehrt.

Wie aus dem Nichts traf sie ein harter Schlag an der Schläfe und ließ sie auf den Rücken fallen. Wo kam das her und wer war das? Die Welt wackelte leicht, denn vermutlich wollte ihr Bewusstsein sich verabschieden, doch als das Messer auf sie zu sauste, half das Adrenalin Alice dabei zu reagieren und so konnte sie den Messerstich abfangen. Sie umgriff die Handgelenke der Person, doch ihre Kraft drohte zu versagen. Die Klinge kam immer näher. Sie musste sich verdammt nochmal etwas einfallen lassen. Also ließ sie der Person kurze Zeit die Oberhand gewinnen, drückte aber dann mit aller Kraft dagegen an und stemmte ihr Knie unter den Angreifer. Damit brachte sie genug Kraft auf um den Bekloppten von ihr wegzutreten und kam selbst schnell wieder auf die Beine.

Kaum hatte sie sich umgedreht, attackierte der Angreifer sie erneut mit der Klinge, doch es schien unbeholfen zu sein, schon fast wild und unkontrolliert. Das Messer verfehlte sie nur knapp am Bauch und Hals und als Alice ihre Chance sah, verpasste sie der Person einen gezielten kräftigen Tritt, der sie gegen ein Flugzeug schleuderte. Reglos blieb sie auf dem Boden liegen.

Alice’s Herz raste vor Adrenalin. Es gab nur zwei Sorten von Menschen, die ihr schon immer das Leben nehmen wollten. Entweder infizierte Mutationen, die letztendlich aber nichts gegen ihren Trieb tun konnten, und Angestellte der Umbrella Corporation. Alice tippte auf die zweite Sorte und entschied sich dem Typen eine Kugel durch den Kopf zu jagen.

Wütend drehte sie den Menschen mit ihrem Fuß auf den Rücken, doch anstatt eines typischen Forschergesichtes, erkannte sie das Gesicht der Frau, der sie all die wertvollen Leben anvertraut hatte.

Claire Redfield.

Raccoon City

Es war ein Tag wie jeder andere auch. Rain befand sich gerade in der Umkleide und zog nach einem langen Arbeitstag die Uniform aus. Verschwitzte Strähnen hingen ihr ins Gesicht. Heute hatten sie einen spontanen Großeinsatz, der den westlichen Bereich der Stadt betraf. Verrückte Einwohner hatten wild protestiert und Eigentum der Umbrella Corporation zerstört. Dazu gehörte auch das kleinere Firmengebäude am Rande von Raccoon City. Man hatte sofort das Spezialkommando der Firma her zitiert, das von One angeführt wurde und in dem Rain Mitglied war. Die Situation war dank der hervorragenden Ausbildung von Umbrella schnell unter Kontrolle, doch die Worte der blonden Frau spukten in ihrem Kopf herum.

Diese Stadt gibt es gar nicht! Sie lügen uns an! Wir sind alle nicht echt! Diese Worte hatte sie immer und immer wieder gesagt bis One ihr eine Kugel durch den Kopf jagte. Rain konnte sich einfach nicht an die Kaltblütigkeit der Umbrellasoldaten gewöhnen, doch woanders hatte man sie nicht gewollt. Weder bei der Stadtpolizei, noch beim CIA oder dem FBI. Frauen waren nur als Sanitäter zu gebrauchen und nicht an der Front. Trotz allem war sie hier die beste Schützin.

Langsam drehte sie den Wasserhahn auf und ließ erst kaltes, dann kochend heißes Wasser über ihren Körper laufen. Was ließ eine Frau so durchdrehen? Eigentlich scherte Rain sich einen Scheißdreck um irgendwelche Details der Einsätze, doch es verfolgte sie.

Sie zog das enge Haargummi aus den Haaren und massierte ihre Kopfhaut mit Shampoo ein. Der Duft nach Kiwi verbreitete sich.

Wahrscheinlich würde es sie auch nicht weiter kümmern, wenn da nicht diese ständig wiederkehrenden Alpträume wären. Fast jede Nacht träumte sie von irgendwelchen Untergrundlaboren und von irgendwelchen Mutationen, doch es ergab einfach keinen Sinn. Immer wenn sie angestrengt versuchte sich an irgendwelche Details aus dem Traum zu erinnern, schnitten höllische Kopfschmerzen ihren Gedankengang ab.

Einmal hatte sie J.D. darauf angesprochen, der ihr bestätigte, dass er ebenfalls solch seltsame Träume hatte. Spätestens da war Rain‘s Misstrauen geweckt. Und nun dieser Vorfall.

Das letzte bisschen Schaum verschwand im Abfluss.

Vielleicht tat sie weiter daran gut, sich aus den Angelegenheiten anderer rauszuhalten, doch andererseits könnte die Kacke auch ziemlich am Dampfen sein. Als Rain aus reiner Langeweile, weil sie mal wieder auf J.D. warten musste, einen Angestellten von Umbrella nach seinem Arbeitsbereich fragte, war dieser nervös geworden und hätte sie vermutlich am liebsten gleich zum Schweigen gebracht. So ziemlich alle verhielten sich merkwürdig, außer J.D. Salinas.

Er war ihr engster Kamerad und obwohl er ihr manchmal ziemlich gegen den Strich ging, war sie froh, ihn zu haben. Jeden Freitag gingen sie ein Bier zusammen trinken und Rain war sich nicht sicher, ob er sich manchmal mehr von den Abenden versprach, doch engere Beziehungen waren nicht so ihr Ding. Die engste Beziehung, die sie pflegte, war die zu ihrer 9mm Knarre. Trotz allem war sie dankbar für den einzigen vernünftigen Kerl in der Truppe.

„Hey, soll ich dir beim Duschen helfen?“, ertönte eine Stimme aus der benachbarten Umkleide.

„Wenn du auch nur einen Schritt hierein wagst, hast du ein schickes Loch zwischen deinen Augen, J.D!“

Zügig warf sie sich ein Handtuch um und drückte ihre Haare aus.

„Dann schwing mal deinen süßen Hintern aus der Dusche und zieh dir was an.“

Die Umkleidetür fiel ins Schloss. Der Kerl hatte wohl immer einen dummen Spruch parat, aber Rain war nicht anders. Selbst in den beschissensten Situationen hatten die beiden noch Zeit um sich unpassende Sachen auszudenken. Ihr Mundwinkel glitt nach oben. Sie waren einfach auf derselben Wellenlänge und dafür mochte sie ihn.

In völliger Eile trocknete sie sich ab und zog sich ihre Jeans, ein weißes Tank-Top und die Lederjacke über. Dann noch schnell in die Sneakers geschlüpft und die Haare so gut wie möglich trocken gerubbelt.

„Immer diese Eile“, raunte sie, während sie die Umkleide verließ.

„Frauen und ihr Beautywahn.“

Dafür kassierte er einen Schlag in die Seite, doch dann nahm er sie in den Schwitzkasten und zog sie bis aus dem Gebäude.

„Hey, jetzt reicht es aber mal! Ich bin doch kein Teddybär, mit dem du kuscheln kannst!“

Daraufhin ließ er sie los und beide lachten lauthals. Das war noch eine Eigenschaft von J.D, er konnte andere ihre Sorgen und Nöte vergessen lassen.

Während sie die Straße entlang schlenderten, kam dennoch der heutige Einsatz wieder in ihren Sinn.

„Sag mal, was hältst du von dem Vorfall heute?“ Die Sonne ging gerade unter, weshalb es leicht frisch wurde. Also machte Rain schnell die Jacke zu und steckte ihre Hände in die engen Hosentaschen. „Ich meine, es war schon ziemlich verrückt, oder?“

„Was ist schon normal? Denk doch mal nach.“ Er tippte leicht Rain mit einem Finger gegen die Seite vom Kopf. „Wenn eine Firma schon so eine Eilte Einheit wie uns braucht, dann ist doch klar, dass sie öfters mal Probleme hat, oder?“

Rain dachte über seine Worte nach. Sie klangen logisch, aber die Frage ist, was es mit diesen „Problemen“ auf sich hatte und vor allem welche Art von Problemen es war.

„Du hast wohl Recht, aber wie können Leute so durchdrehen? Es waren ja auch nicht nur zwei, sondern gleich zwei Dutzend.“

„Verrückte gibt es überall“, sagte er mit einem Schulterzucken.

„Vielleicht bin ich ja dann auch verrückt.“

Als Rain kurz zu ihm blickte, sah sie wie sein Blick ernst wurde. Wenn er so schaute, konnte man ihm einfach nicht in die Augen schauen ohne das Gefühl zu haben, dass er wie in einem offenen Buch in einem las.

„Wie meinst du das?“

„Na ja, ich habe immer wieder diese Träume und-“

„Träume haben wir alle, Rain.“

„Aber selbst wenn ich versuche meine Vergangenheit zu ordnen, habe ich Lücken im Gedächtnis.“

Sie spürte wie J.D. sie an der Schulter festhielt und zu sich drehte. Sie wandte ihren Blick weiterhin nicht vom Boden ab.

„Keiner kann sich daran erinnern wie er als Baby in die Windel geschissen hat. Wir vergessen einfach mit der Zeit. Ich meine, das ist doch ganz natürlich. Außer du bist so ein Genie, was mit Millionen Nachkommastellen im Kopf rechnen kann.“

Rain schmunzelte leicht. Wieder hatte es J.D. geschafft sie aus einem tiefen Gedankenloch zu holen.

„Vermutlich haben Sie Recht, Doktor Einstein.“

„Sag ich doch.“

Rain schenkte ihm ein kleines Lächeln und machte auf Absatz kehrt, als sie plötzlich mit jemandem zusammenstieß.

„Entschul-“ Rains Stimme versagte.

Hellblaue Augen schauten sie an. Augen, die sie kannte, aber sie konnte sich nicht erinnern oder doch?

„Ich habe Sie nicht gesehen, tut mir Leid“, sagte die Frau mit dem schulterlangen blondbraunen Haar.

Diese Stimme. Auch diese löste irgendetwas in Rain aus, doch sie wusste nicht was. Kopfschmerzen ließen Rain zusammensinken.

„Rain?“, fragte J.D. besorgt.

Rain. Ich mach mir Sorgen um deine Verletzungen. Diese Worte hatte jemand zu ihr gesagt, doch von wem stammten sie? Tausende Explosionen lösten sich in ihrem Gehirn aus. Was zum Teufel geschah hier?

„Krepier mir jetzt hier nicht, Rain! Verdammt nochmal, wir brauchen einen Notarzt!“

Hier stirbt keiner mehr. Aufbauende Worte, doch es waren nicht J.D‘s Worte oder doch? War es in einem Einsatz vorgekommen? Nein, Rain erinnerte sich nicht an solch eine Situation, jedenfalls nicht mit J.D, doch irgendwo im Unterbewusstsein wollte sich etwas hervor graben. Eine Erinnerung, die alles erklären würde. Rain schrie unter Schmerzen auf und kniff die Augen zu. Das letzte, was sie sah, war der Vollmond am Nachthimmel, bevor sich schließlich eine riesige Lichtexplosion vor ihrem inneren Auge abspielte.

Dann eine blaue Flüssigkeit. Schwamm sie in irgendetwas? Nein, es war eine grüne Substanz. Oder doch nicht? Verzehrte Stimmen drangen an ihr Ohr. Dann folgte wieder eine Schwärze.

Schweißgebadet wachte sie in ihrem Schlafzimmer auf. Ihr Blick ging starr zur Decke. So etwas hatte sie noch nie geträumt. Es war alles so real und doch schien sie nur geschlafen zu haben. Um sich zu beruhigen strich sie über ihr weißes Bettlaken und zurück blieb eine Spur von einer blauen Flüssigkeit, die sich noch zwischen ihren Fingern befunden hatte.

Nein, diesmal war es kein Traum gewesen.

Wiedersehen

Alice hatte die immer noch bewusstlose Claire an das Bugfahrwerk eines Flugzeuges gefesselt, da sie einen erneuten Angriff vermeiden wollte. Wieso hatte Claire so wütend, schon fast wild reagiert? Gab sie nun Alice ebenfalls die Schuld an all die Grausamkeiten?

Doch dann blitzte erneut das rote Gerät auf ihrer Brust auf und einer der sechs Stränge injizierte ihr wieder etwas. Oder dieses Teil war dafür verantwortlich.

„Was mache ich nur mit dir?“, flüsterte Alice vor sich hin.

Die Sonne ging mittlerweile am Horizont unter und es wurde eisigkalt, schließlich befanden sie sich ja in Alaska. Sie hatte sowieso Glück gehabt, dass zurzeit keine Schneedecke das Landen unmöglich gemacht hatte, doch die Temperaturen machten dem kalten Land alle Ehre.

Schnell sammelte sie einige vertrocknete Äste zusammen und zündete ein Feuer. Gut, dass der Besitzer des Flugzeuges ein Raucher gewesen war, denn sonst hätte sie wohl kaum so schnell ein Feuer zustande bekommen.

Sie ließ das Feuerzeug in ihre Jackentasche gleiten, während sie zu Claire hinüberging. Dieses Teufelsteil leuchtete wieder kurz auf.

„Jetzt reicht es!“ Sie ging in die Hocke und legte eine Hand auf das Gerät. Wie aus dem Nichts traf sie ein Tritt in die Magengrube, der sie auf den Rücken fallen ließ.

Nach Luft schnappend setzte sich Alice erschrocken auf. Claire trat wild um sich und knurrte schon fast animalisch.

„Claire...“

Immer und immer wieder zog sie kräftig an dem Seil und wenn Alice nicht bald etwas unternehmen würde, dann würde das Seil reißen und Claire wäre wieder eine potentielle Gefahr.

„Tut mir Leid, Claire.“

Sie holte einen ihrer Colts heraus, doch anstatt zu schießen, ging sie im großen Bogen um sie herum und schlug mit dem Griff der Waffe gegen ihren Kopf. Hoffentlich war es nicht zu fest gewesen, denn sie sollte nur bewusstlos werden.

Claire gab nur ein kurzes Stöhnen von sich und ließ dann den Kopf vorne über sinken. Jetzt kniete Alice sich neben sie und betrachtete das Gerät genauer. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass Umbrella etwas damit zu tun hatte, aber wenn das Teil erst mal ab sein würde, könnte Claire ihr hoffentlich alles erzählen.

Vorsichtig schob sie das Oberteil beiseite und fasste erneut das Ding an, doch diesmal rührte Claire sich keinen Millimeter. Sie prüfte vorsichtshalber den Atem von Claire, der schwach und ruhig ging, bevor sie dann mit großmöglichster Kraft ihr das Teil von der Brust riss. Funken sprühten und Claire schrie kurz auf, doch ihr Bewusstsein kehrte nicht zurück.

Vorsichtig trennte sie die Schläuche von ihrer Haut und tupfte die offenen Wunden sauber, so wie die Platzwunde an ihrem Kopf. Dann setzte sie sich einige Schritte entfernt ans Feuer.

Wer hatte ihr das angetan und was sollte damit bezweckt werden? Sie riss die restlichen Schläuche von dem Herzstück des Teils ab und begutachtete es im Glanz des Feuers. Es enthielt eine Flüssigkeit und wurde offenbar durch die Schläuche, die tief in den Körper hinein gereicht hatten, in den Blutkreislauf oder in das Nervensystem injiziert. Es war eindeutig die kranke Handschrift von Umbrella und als sie die Rückseite betrachtete, fand sie den Beweis. Das Logo der Firma verzierte das glatte Metall.

„Umbrella. Ich habe eigentlich gedacht, dass mit der Zerstörung des Hauptquartieres alles vorbei sei, doch da habe ich mich wohl geirrt.“ Sie seufzte. „Dann war doch alles umsonst.“

Sie überlegte kurz die Kamera rauszuholen, doch sie hatte keine Lust irgendetwas aufzuzeichnen, vor allem, wenn es keine gute Nachrichten waren.

Die Sterne wanderten über das Himmelszelt. Alice konnte kein Auge zu machen, weshalb sie entschied Wache zu halten. Immer wieder drehte sie das Teufelsding in ihren Händen und versuchte sich einen Reim darauf zu machen, doch nichts ergab einen Sinn. Umbrella hätte keinen Nutzen gehabt, willenlose Sklaven zu haben. Nicht jetzt, wo eh schon mehr als zwei Drittel der Welt dem Untergang geweiht war. Vielleicht waren es auch nur irgendwelche Idioten gewesen, die zufällig an die Technologie von der Firma herangekommen waren oder es war einfach mal wieder ein durch geknallter Forscher, der seine letzten Tage noch mit einem verrückten Experiment verbringen wollte. Alles schien absurd zu sein.

Plötzlich hörte sie einen leisen Laut, der sie hochschauen ließ. Claire zuckte zusammen und versuchte sich auch sogleich von den Fesseln zu befreien, doch diesmal schien es keine Wut zu sein, die sie lenkte, sondern Angst und Ungewissheit.

„Ist ja gut“, versuchte Alice sie zu beruhigen und ging auf sie zu.

Claire’s Blick suchte sofort nach dem Schuldigen und ruhte schließlich auf Alice.

„Ist ja gut“, wiederholte sie.

Sie zog noch ein paar Mal an dem Seil, bevor sie endlich Ruhe gab. Alice entschied lieber einen Schritt vor ihr in die Hocke zu gehen um einem eventuellen Angriff aus dem Weg zu gehen, denn sie machte den Eindruck als würde sie Alice kein bisschen vertrauen. Sicher, warum sollte sie auch? Alice hatte sie alleine mit den Überlebenden nach Alaska geschickt und was immer hier passiert war, sie hätte es verhindern können, wenn sie nur mitgeflogen wäre.

„Tut mir furchtbar leid. Aber ich musste dir das Ding hier abnehmen.“ Sie hielt das Metallteil mit dem roten Aufsatz und den Strängen hoch. „Was ist das? Wer hat dir das angetan?“

Alice bekam nur einen misstrauischen Blick von Claire als Antwort. Also schlug sie einen anderen Weg ein.

„Weißt du eigentlich noch, wer ich bin?“

Claire’s Blick veränderte sich nicht. Sie sah wie jemand aus, der auf der Straße von einem wild fremden angesprochen wurde und da sie nicht einfach abhauen konnte, schwieg sie nur. Alice entglitt ein Seufzer. Vielleicht musste sie ihr einfach nur auf die Sprünge helfen.

„Mein Name ist Alice. Wir haben uns vor achtzehn Monaten in der Wüste Nevadas getroffen. Kannst du dich überhaupt nicht erinnern?“ Erwartungsvoll schaute sie Claire an, doch keine Reaktion. „Mikey, Carlos, L.J, K-Mart?“

Ihr Blick veränderte sich, doch es kam immer noch kein einziges Wort über ihre Lippen, also versuchte Alice es weiter.

„Du bist mit einem Hubschrauber nach Alaska geflogen, zusammen mit ein paar Überlebenden. Arcadia. Schon mal gehört?“

Claire schüttelte fast unmerklich den Kopf. Alice‘s anfängliche Freude über das Wiedertreffen mit einer alten Freundin wandelte sich in Enttäuschung. Sie hatte so sehr gehofft zu erfahren, was mit all den anderen passiert war. Wollte hören, dass sie es sich alle in einem schönen abgelegenen Dorf bequem gemacht hatten, doch nichts. Rein gar nichts hatte sie erfahren können und ihr Gefühl sagte ihr auch, dass irgendetwas anderes vorgefallen sein musste, denn diese Stadt Arcadia gab es in Wirklichkeit gar nicht.

„Wie auch immer. Du solltest dich ausruhen. Wir werden bei Tagesanbruch weiterfliegen.“

Claire nickte nur schwach und legte ihr Kinn auf die Brust. Es dauerte nicht lange bis Alice ihren ruhigen und gleichmäßigen Atem hören konnte. Wenigstens eine konnte sich diese Nacht erholen.

Als der erste Sonnenstrahl Alice blendete, verstaute sie alles nötige in ihren Taschen und trat die letzte Glut aus. Vorsichtig band sie Claire los, die immer noch tief und fest zu schlafen schien. Sicherheitshalber fesselte sie erneut die Handgelenke zusammen und verfrachtete sie in den Sitz hinter dem Piloten.

Schnell noch der letzte Check, doch was dann? Sie starrte auf die Koordinatenanzeige. Welche Koordinaten sollte sie jetzt eingeben? Sie hatte ihr Ziel erreicht und nur Enttäuschung gefunden. Nicht nur Enttäuschung, schließlich hatte sie Claire gefunden, aber hilfreich war dies bisher auch nicht gewesen. Hoffentlich würde sie wenigstens bald ein paar Worte mit ihr sprechen, denn wie lange war es her, dass Alice mit jemandem gesprochen hatte? Aber wo sollte sie jetzt hin? Nachdem sie schließlich ein wenig in den Karten rumgestöbert hatte, wählte sie ein unwillkürliches Ziel und startete den Motor.

Davon wurde Claire offenbar wach, denn Alice nahm ihre Bewegung im Rücken wahr, doch sie schwieg weiterhin. Sie hatte erst überlegt, ihrem Gedächtnis weiterhin auf die Sprünge zu helfen, doch sie entschied sich dagegen.

Dafür müsste sie zu sehr in der Vergangenheit kramen und das wäre keine gute Idee gewesen. Es war ihr ja schon schwer gefallen Claire die Namen, der damaligen Begleiter aufzuzählen ohne daran denken zu müssen, wie Mikey, der immer für die Überwachung des Konvois zuständig gewesen war, von drei aggressiven Zombies gefressen wurde, wie Carlos, der ihr gezeigt hatte, dass man selbst in den schlimmsten Zeiten nicht alleine sein musste, in Flammen aufging oder wie L.J, der schwarze Kerl mit der großen Klappe, totenbleich seine Freunde anfiel. Das alles hatte sie tief in sich vergraben und nur ungern wollte sie daran erinnert werden. Also schwieg Alice diesmal.

Kaum hatten sie abgehoben, erinnerte sich Alice an die Kamera und stellte sie vor sich auf dem Bedienpult in Position.
 

Erst zwei Stunden später betätigte sie wie allzu oft den Aufnahmeknopf.

„Vierter Mai, acht Uhr morgens. Nehme Kurs auf Prince Rupert/British Columbia. Erst überfliege ich Vancouver, dann weiter südlich nach Seattle. Von da aus Richtung San Francisco, und dann weiter die Westküste entlang.“ Dies war der Kurs gewesen, den sie sich ungefähr ausgesucht hatte, doch was sie dort zu finden hoffte, wusste Alice selbst nicht. Überlebende? Wohl kaum. Einen sicheren Ort? Nicht auf dieser Welt.

„Mein Passagier ist nach wie vor sehr gesprächig. Was immer das auch für ein Ding war, damit wurde ihr irgendetwas injiziert, wodurch sie ihr Gedächtnis verloren hat.“ Tatsächlich hatte Alice sich auf ein bekanntes Gesicht gefreut, denn besonders Claire hatte sie damals als Kameradin gewonnen, da auch sie in ihrem Umkreis sehr viel Tod und Verderben hatte erleben müssen.

Die größte Gemeinsamkeit bestand wohl darin, dass sie beide sich selbst die Schuld für all das Geschehene gaben, denn Claire hatte damals die Verantwortung für den Konvoi übernommen und einer nach dem anderen verfiel dem Virus. Genau wie Alice, die in Raccoon City alles versucht hatte um dort die letzten Überlebenden sicher rauszubringen und schließlich selbst der kleinen Angie das Leben genommen hatte, weil Umbrella sie dazu gebracht hatte. Man konnte sie steuern, sie zu einer Tötungsmaschine machen, doch das alles war endlich vorbei. Sie atmete tief durch und merkte wie sie leicht zitterte, als sie an Angie’s Gesicht dachte, kurz bevor sie ihrem Leben ein Ende bereitete. Sie verdrängte die Erinnerung.

„Hoffentlich ist das nicht für ewig“, fügte sie dem Videoeintrag noch hinzu und schaltete die Kamera aus.

Stunden vergingen. Alice hatte ihre Mitfliegerin schon beinahe vergessen, als sie plötzlich eine Stimme von hinten wahrnahm.

„Dein Name ist Alice, richtig?“, fragte sie zögerlich.

„Sie spricht“, gab Alice erstaunt als Antwort.

„Das mit dem Angriff tut mir leid.“ Alice schüttelte nur kurz den Kopf. Ihr war bewusst, dass Claire nicht die Absicht gehabt hatte sie anzugreifen, auch wenn es doch ziemlich knapp gewesen war. Bei ihrem ersten Treffen hätte Alice ihr das zugetraut, da sie ihre von Umbrella hervorgerufenen Kräfte gezeigt und Claire Sorge um ihre Schützlinge gehabt hatte, doch heute war dies nicht mehr der Fall. Ehe Alice hätte etwas erwidern können, sprach Claire weiter.

„Ich weiß nicht, was passiert ist. Kann mich an nichts erinnern. Ich weiß nicht mal, wie ich heiße.“

Alice erkannte den enttäuschenden Unterton in ihrer Stimme und wenigstens in diesem Punkt konnte sie ihr helfen.

„Du heißt Claire. Claire Redfield.“

„Claire“, wiederholte sie.

„Kommt der dir bekannt vor?“

Claire schien zu zögern, vielleicht dachte sie auch einfach nur nach, doch schließlich antwortete sie abermals enttäuscht.

„Ehrlich gesagt, nein.“

Alice erinnerte sich an den Augenblick als sie aus der Glaskapsel gespült und von einem Doktor angehoben wurde. Man hatte sie wie ein Kleinkind behandelt, doch es war auch nötig gewesen. Sie hatte weder gewusst wie man schreibt, noch wie man spricht. Und als man sie nach ihrem Namen gefragt hatte, konnte sie keine Antwort geben. Noch nicht. Im Gegensatz zu Claire, kamen ihr all die Erinnerungen in Bruchteilen einer Sekunde zurück und dann war ihr klar gewesen, dass sie sich in einem Umbrella Labor befunden und man ihr wieder schreckliche Dinge angetan hatte.

„Du wirst dich dran gewöhnen.“ Damit wollte sie Claire eigentlich aufmuntern, doch sie konnte den sarkastischen Tonfall nicht vollkommen unterdrücken.

„Willst du mir nicht mal die Fesseln lösen?“

„Erst, wenn wir uns etwas besser kennengelernt haben“, entgegnete Alice trocken.

Los Angeles

Feinsäuberlich war er gerade dabei seine Waffe zu putzen. Das einzige Hobby, was er, gefangen in dem Gebäude mit den dicksten Wänden, ausüben konnte. Zuerst überlegte Luther bei dem Gefangenen vorbeizuschauen, doch diese Idee verwarf er schnell. Schließlich würde dieser eh nur wieder mit seiner verrückten Geschichte anfangen und darauf konnte er momentan verzichten. Schließlich waren sie hier im sichersten Gebäude, was es zurzeit gab. Ein robuster Gefängnisblock. Er hielt die Zombies draußen und sie alle, fünf andere Überlebende und der verrückte Gefangene, waren nicht den Witterungsbedingungen ausgesetzt. Mit wenigen Handgriffen setzte er seine Handfeuerwaffe wieder zusammen und schlenderte zum selbst gebastelten Kalender, der aus unzähligen in die Wand geritzten Strichen bestand. Auch heute fügte er einen weiteren mit seinem Kampfmesser hinzu und wenn er das richtig sah, war heute der sechste Mai.

„Wundervoll, mein Geburtstag.“ Er schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken. „Ich wünsche mir endlich Hilfe von Arcadia.“

Just in diesem Augenblick ertönte die Alarmsirene, die sie außerhalb bei der Wache positioniert hatten um eventuelle Neuigkeiten schnell zu verkünden. Ohne weiter darüber nachzudenken stürmte Luther los und hastete Treppen, Gänge und Leitern entlang. Schließlich kam er auf dem Dach an.

„Ein Flugzeug. Das ist ein Flugzeug!“, hörte er den asiatischen Praktikanten rufen.

Dann sah auch er es.

„Ich wusste es. Ich wusste, die kommen!“, schoss es aus Luther heraus.

„Hier sind wir! Hallo!“, brüllte der arrogante Kerl, der sich als Chef vom Praktikanten vorgestellt hatte, und fuchtelte wild mit den Armen herum.

Luther blieb auf dem riesigen Buchstaben E stehen, der zusammen mit den anderen die Worte „Helft uns“ auf dem Dach ergaben, welche mit weißer Sprühfarbe geschrieben worden waren. Er war davon überzeugt gewesen, dass wenn sie Hilfe schicken würden, sie mit Flugzeugen kommen würden und nun waren sie endlich da.

Plötzlich drehte das Flugzeug ab.

„Wo will der hin? Scheiße, Mann. Der fliegt weiter!“, raunte der Arrogante in seinem schicken Anzug.

„Nein, der fliegt nicht weiter.“ Angel, der das Alarmsignal gegeben hatte, war nun auch zu ihnen gestoßen und beobachtete das Geschehen. Er war vom Militär und trug deshalb eine dicke Weste und vollständige Tarnkleidung, doch anstatt der Hundemarken, trug er ein silbernes Kreuz um den Hals. Angel war der einzige mit dem Luther zurechtkam, denn er war loyal und ein verdammt guter Zuhörer. „Der dreht’ne Schleife.“

Luther verstand seine Worte erst gar nicht, doch dann stieg Angst in ihm auf.

„Der kommt auf uns zu“, sagte er schockiert.

Alle warfen sich auf den Boden und das Flugzeug sauste nur knapp über ihre Köpfe hinweg. Dann schaute Luther dem scheinbar vollkommen wahnsinnig geworden Piloten hinterher.

„Scheiße, Mann, was hat der vor?“, keuchte der Typ im Anzug.

Diesmal kapierte Luther es sofort. Der Typ hatte nur die Länge des Daches geprüft, damit er unmögliches möglich machen könnte.

„Er will landen. Er will landen!“, schoss es vor Begeisterung aus Luther heraus. „Alles aus dem Weg räumen, schnell!“

Sie mussten alles nur Mögliche tun, damit ihre Rettung sicher landen konnte und sie endlich diesen verfluchten Ort verlassen konnten. Also rannte er los, schnappte sich Kisten, Tonnen und Seile. Alles, was hätte gefährlich werden können, räumte er aus dem Weg. Er half dem kleinen Praktikanten und warf dem arroganten Kerl einen bösen Blick zu, da dieser nur herumstand und nichts tat. War sich offenbar zu fein um seinen schicken Anzug dreckig zu machen.

„Der muss vollkommen verrückt sein“, murmelte dieser nur und starrte weiter.

Angel zog währenddessen ein Drahtseil quer über das Dach. Wenigstens einer dachte mit, denn damit könnten sie die Geschwindigkeit des Flugzeuges noch etwas abbremsen.

Jetzt versperrte nur eine blöde Tonne die Landebahn. Luther machte sich sofort daran sie beiseite zu schaffen, doch sie war verdammt schwer. Sein Blick ging zu dem Flugzeug, das an Höhe verlor.

„Er kommt runter“, warnte er die anderen, doch diese verflixte Tonne bewegte sich nur mühsam.

Dann sackte das Luftfahrzeug einfach ab, verschwand aus seinem Blickfeld. War es etwa in das Gebäude gekracht? Nein, dann hätten sie zu mindestens eine Explosion hören müssen. Nichts. Es blieb still, doch dann schoss das Flugzeug auf einmal aus dem Nichts über ihn hinweg und er stolperte vor Schock zurück. Dann blickte er dem Teil hinterher. Die Tonne hatte es nur knapp verfehlt, jetzt gruben sich die Räder in den Kies auf dem Dach und verfehlten leider den arroganten Arsch, der sich in letzter Sekunde noch zu Boden warf. Doch es wollte einfach nicht stehen bleiben. Es riss Lüftungsrohre mit den Tragflächen mit und jetzt konnte nur noch Angel das Flugzeug retten. Das Bugfahrwerk verfing sich in dem Drahtseil, aber die Nase des Flugzeuges stieß schon gegen die Kante des Daches. Es schien angehalten zu haben. Ein Blick zu Angel verriet, dass er mit aller Kraft das Seil festhielt, und das verräterische metallische Knarren ließ Luther schließlich aufspringen.

Er rannte so schnell er konnte, doch dann lösten sich auch schon die Verankerungen des Drahtseiles. Angel wurde nur knapp von einer herumgeschleuderten Stange verfehlt. Luther rannte weiter. Das Flugzeug kippte nach vorne. Sie durften die letzte Hoffnung jetzt nicht einfach in die Tiefe stürzen lassen. Dann sprang er so hoch wie er noch nie zuvor gesprungen war und hielt sich am Höhenruder fest. Sein Gewicht brachte das Flugzeug wieder auf seine Räder und so zogen sie es mit aller Kraft vom Abgrund des Todes weg. Er war noch nie so glücklich über seine hundert Kilo gewesen, die Luther auf die Waage brachte.

„Zurück. Zieh!“, schrie Angel.

Chrystal war mittlerweile auch auf dem Dach angekommen und zog jetzt neben Luther ebenfalls am Höhenruder. Er hielt nicht viel von ihr. Angeblich war sie ein angehender Star gewesen, was ihre Art unterstrich, doch jetzt saßen sie alle in einem Boot und kämpften ums Überleben.

„Das reicht. Super“, sagte er schließlich.

Der Motor wurde abgeschaltet und so ging er zu der Tragfläche. Das Schiebefenster des Cockpits öffnete sich. Luther’s Herz schlug ihm bis zum Hals. Endlich würden sie verschwinden können.

Er hatte alles erwartet, aber nicht das.
 

*
 

Zwei Tage waren sie nun unterwegs gewesen und nirgendwo hatten sie Anzeichen auf Leben gefunden. Selbst die Untoten blieben aus. Hier und da hatten sie sich ein wenig über die Geschehnisse unterhalten und Alice hatte ihr die Sache mit Umbrella und dem dazugehörigen Virus näher gebracht. Überraschenderweise konnte sie sich in diesem Punkt an einiges erinnern.

Schließlich hatten sie Los Angeles erreicht und dort sahen sie es. Ein riesiges Gebäude, was ausnahmsweise nicht von Flammen befallen war und auf dem der große Schriftzug „Helft uns“ stand. Unzählige Untote tummelten sich um das Gebäude und versuchten die Umzäunung zu überwinden. Als sie genauer hingesehen hatte, sah sie einige Menschen auf dem Dach und sie schienen nicht infiziert zu sein, dafür waren sie einfach zu menschlich.

Zuerst wollte sie auf eine der Straßen landen, doch die unzähligen Untoten, die sich dort tummelten machten dieses Vorhaben unmöglich. Nachdem sie das Gebäude umrundet hatten, beschloss Alice das Dach auszuprobieren, doch vorher wollte sie sichergehen, dass es funktionieren könnte. Deswegen flog sie einmal knapp über das Dach hinweg. Eine verdammt kurze Strecke.

„Jetzt wird es ungemütlich“, hatte Alice Claire gewarnt, während sie sich anschnallte.

„Dann mach mich los!“, hatte sie wiederrum versucht zu fordern.

Sie zog ein Messer aus der Befestigung an ihrem Stiefel und starrte es an. Einerseits könnte Claire sie wieder angreifen, doch andersrum wollte Alice auch nicht schuld sein, falls es mehr als ungemütlich werden sollte und sie sich aufgrund ihrer Einschränkung in der Bewegung nicht retten können würde. Also reichte sie das Messer nach hinten.

„Danke“, sagte Claire.

„Bau keine Scheiße, ich warne dich.“

„Das Gleiche wollte ich dir auch gerade sagen.“

Da war es gewesen. Dieselbe Schiene, die sie beide fuhren. Das war die Claire, die Alice kannte. Unwillkürlich wanderte ein Mundwinkel nach oben. Vielleicht würde Claire sich doch bald wieder an alles erinnern.
 

Jetzt stand die Maschine auf dem Dach. Es war holprig und verdammt knapp gewesen, aber sie hatten es geschafft. Alice stellte den Motor ab, legte die letzten Sicherungsschalter um und öffnete die Luke. Frische Luft kam ihr entgegen.

Als sie auf dem Tragflügel stand, schauten ein paar Leute sie an. Darunter ein farbiger, der als erster den Mund aufkriegte.

„Geile Landung“, sagte er mit einem leichten Grinsen.

„Du wolltest wohl eher sagen: Geile Bruchlandung“, verbesserte ihn Alice.

Der Typ lachte nur und half ihr hinunter. Dabei strafften sich seine Muskeln, die dank seines schwarzen Tank-Tops gut zu sehen waren und auch der Rest schien ziemlich gut trainiert zu sein. Alice schätzte ihn für einen Sportler oder einen Soldaten ein.

„Luther West.“

Das war also sein Name. Irgendwie kam Alice der Name bekannt vor, aber woher? Sie nahm seine Geste an und schüttelte seine Hand.

„Alice.“ Der Rest ihres Namens hatte vorerst niemanden zu interessieren, denn Vertrauen musste man sich erst verdienen. „Das ist Claire.“

Claire war gerade ebenfalls auf den Tragflügel geklettert, weswegen Alice sie gleich mit vorstellte. Wahrscheinlich würde sie eh nicht sehr gesprächig sein.

„Luther West. Willkommen in L.A.“ Er hielt ihr ebenfalls seine helfende Hand entgegen, doch Claire ignorierte diese und sprang selbst vom Flügel hinunter.

Misstrauisch musterte sie die gesamte Truppe und das mit einem festen Griff um das Messer, was Alice ihr gegeben hatte. Verdammt, das Messer! Alice müsste es bei der nächsten Gelegenheit wieder an sich bringen. Damit verließ Claire das Dach.

Los Angeles. Hier waren sie also jetzt. Alice erinnerte sich daran, wie der Ort immer „Stadt der Engel“ genannt wurde, doch davon war nicht mehr viel übrig. Alles, was sie hatte von oben sehen können, waren unendliche Weiten von Zombies, die verzweifelt versuchten das letzte lebende Fleisch zu bekommen und Wolkenkratzer, die jede Sekunde drohten wie ein Kartenhaus zusammenzufallen, da sie durch das Feuer vollkommen zerfressen waren. Sie war vor einigen Jahren einmal hier gewesen, als der Besuch als Betriebsausflug von Umbrella gesponsert wurde. Sie hatte zwar vorgehabt abermals hierher zu kommen, aber unter diesen Umständen hätte sie es doch lieber vermieden.

„Hey, hallo, ich bin Chrystal“, stellte sich die Dame der Überlebenden vor, doch sie wurde sogleich von einem schmierigen Typen unterbrochen.

„Halt, halt, halt. Schluss mit den Formalitäten“, forderte er sie auf. „Ihr seid hier um uns zu helfen, oder?“

„Holt ihr uns hier weg?“, mischte sich jetzt ein kleiner Asiate ein.

„Ihr kommt aus Arcadia?“, fragte jetzt wieder die Dame.

Alice konnte kaum folgen, aber das letzte Wort verstand sie umso besser. Nur warum hatten die etwas mit Arcadia zu tun? Woher wussten sie davon und warum glaubten sie, dass Claire und sie daher stammten? Sie musste mehr wissen.

„Was sagst du da?“

„Kommt ihr aus Arcadia?“, wiederholte sie mit einem strahlenden Gesicht.

„Was wisst ihr über Arcadia?“

„Sie sagten, sie können uns helfen“, antwortete der Kleine.

„Da gibt es Überlebende. Sie bieten Sicherheit und Zuflucht.“

„Kontaminationsfrei.“

„Die haben euch geschickt, richtig?“, mischte sich wieder der schmierige Kerl ein.

Er sah aus wie einer von Umbrella‘s Leuten. Schmierige Frisur, schicker schwarzer Anzug und eine Ausstrahlung, der man am liebsten gleich den Rücken zugekehrt hätte. Trotzdem spiegelte sich in seinen Augen, so wie bei den anderen auch, Hoffnung wieder. Sie glaubten tatsächlich, dass Alice ihnen helfen konnte und dass sie von Arcadia kam.

„Nein“, sagte Alice schließlich.

„Aber es gibt von euch noch ein paar andere, oder etwa nicht?“, fragte der Asiate, dessen Begeisterung schon gesunken war.

„Eher nicht.“

„Das heißt, wir werden nicht gerettet?“ Hoffnungslos ließ die junge Frau ihre Arme sinken und schaute Alice mit einem vorwurfsvollen Blick an.

„Tut mir leid.“

Und das tat es wirklich. Alice hatte zwar immer gehofft Überlebende zu finden, doch sie hatte nicht weiter darüber nachgedacht, was sie ihnen sagen sollte. Was hatte sie schon anzubieten? Es gab nichts mehr da draußen. Sie konnte ihnen nicht sagen, dass sie alle ins verheißene Land führen konnte und doch hatte sie nicht aufgehört zu suchen. Sie fühlte sich hilflos und schaute den anderen hinterher, wie einer nach dem anderen enttäuscht das Dach verließ.

„Ich kann nichts machen“, flüsterte sie, was Luther offenbar gehört hatte.

„Jetzt mach dir keinen Stress. Sie haben sich nur Hoffnung gemacht und deswegen...“, tröstete er sie.

„Ja, sie dachten, ihr könnt sie ins Gelobte Land führen“, mischte sich ein stämmiger Mann ein, der nach seiner Uniform zu urteilen wohl ein Soldat zu sein schien. „Angel Ortiz.“

Auch er gab Alice freundlich die Hand und fügte noch mit einem Grinsen etwas hinzu.

„Das war’ne scheiß gute Flugshow.“

„Danke.“

Es war vermutlich ein Versuch sie aufzumuntern, doch auch das half nichts. Die Enttäuschung der anderen hatte sie tief getroffen und ließ sie an ihrem Ziel zweifeln. Welches Ziel überhaupt? Machte es überhaupt noch Sinn weiterzufliegen und wie sollte sie alle mit bekommen? Das Flugzeug kam wohl nicht in Frage, aber die Straßen noch weniger. Also saßen sie in der Falle. Alice könnte wieder zusammen mit Claire abhauen, aber das hatte wohl auch wenig Sinn. Vorerst würden sie hier campieren und schauen, was sich noch ergeben würde.

Sie schaute sich den Schaden am Flugzeug grob an. Bis auf ein paar Kratzer hatte die Maschine kaum etwas abbekommen, doch um auf Nummer sicherzugehen, kontrollierte sie auch den Propeller. Er ließ sich leicht mit der Hand drehen, ein gutes Zeichen.

„Wie lautet die Diagnose?“, fragte Luther.

„Sie wird überleben.“ Doch Alice beschäftigte noch ein weiterer Gedanke. „Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass ich dich kenne.“

Wieder lachte er.

„Ach ja, das höre ich ständig. Siehst viel Sport, hm?“

Alice wusste nicht genau worauf er hinaus wollte.

„Stehst auf Basketball, oder?“, konkretisierte er.

„Nicht wirklich.“

„Ach, nein? Na, dann stehst du aber wahrscheinlich auf edle Uhren, stimmt’s?“ Er deutete in eine Richtung.

Alice musste innerlich leicht schmunzeln. Sie erinnerte sich daran, wie sie damals von ihrem ersten Gehalt bei Umbrella eine viel zu überteuerte Uhr gekauft hatte, die aber absolut perfekt ausgesehen hatte. Ihre Meinung war gewesen, dass man an der Uhr den Charakter seines Trägers ausmachen konnte, aber das war einmal. Jetzt glaubte sie an keine Hirngespinste mehr, denn der wahre Charakter stellte sich immer erst in brenzligen Situationen heraus.

Sie sah das Plakat, auf das Luther gedeutet hatte und seufzte leicht. Dieses Bild hatte sie damals in Raccoon City ausfindig gemacht und ihre Meinung darüber war gewesen, dass die Uhr ziemlich gut zu seinem Träger passte. Sie dachte an die kleine Stadt, in der sie so viel verloren hatte. Ihre Stimmung sank in den Keller.

„Ja, Luther hier ist unser Superstar“, bestätigte Angel mit einem Grinsen.

Er konnte zwar nichts dafür, aber Alice wünschte sich in diesem Augenblick er würde einfach die Klappe halten, weswegen sie etwas viel wichtigeres, als die Herkunft jedes Einzelnen, ansprach.

„Jetzt erzählt mir von Arcadia. Was genau wisst ihr darüber?“

„Wir haben ihre Funksprüche gehört“, fing Luther an.

„Eine ganze Woche lang liefen diese Durchsagen. Keine Kontamination, Schutz und Sicherheit, Essen und Zuflucht“, erklärte Angel weiter.

„Wir dachten, die hätten euch geschickt. Wir haben tagelang mit Leuchtkugeln auf uns aufmerksam gemacht.“

„Leuchtkugeln?“, fragte Alice ungläubig nach.

„Ja“, bestätigte sie Luther.

„Habt ihr geglaubt, die sieht man bis Alaska?“

„Alaska?“, fragten beide gleichzeitig.

„Arcadia. Ich war dort. Liegt in Alaska. Das ist der Name einer Stadt.“

„Einer Stadt? Da liegst du falsch“, wiedersprach der Uhrenstar.

Angel ging zu einem offenbar selbstgebauten Unterstand, der als Wachposten diente, und winkte sie zu sich her. Misstrauisch folgte sie seinen Anweisungen. Luther gesellte sich auch zu ihnen.

„Überzeug dich selbst.“ Mit diesen Worten hielt Angel ihr ein Fernglas hin.

„Was?“, entglitt es Alice.

War sie etwa auf einer falschen Fährte gewesen? Hatte sie den Funkspruch falsch gedeutet? Aber sie hatte die angegeben Koordinaten exakt angeflogen gehabt und da sie dort auch Claire vorgefunden hatte, konnte sie doch gar nicht am falschen Ort gewesen sein.

Angel zeigte in eine Richtung und Alice wagte den Blick durch das Vergrößerungsglas. Es stellte sich automatisch scharf und zoomte heran, als sie in der Ferne etwas im Nebel erspähte.

„Siehst du?“, fragte einer.

Jetzt erkannte Alice den Namen des dort vor Anker liegenden Schiffs.

„Arcadia“, murmelte sie.

„Das ist keine Stadt“, sagte Angel neben ihr.

Alice konnte es nicht fassen. Deswegen hatte sie nichts als einen Strand vorgefunden, als sie den Koordinaten gefolgt war und deswegen war dort keine Stadt gewesen, sondern nur Wasser. Jetzt ergab alles einen Sinn. Sie fuhren also an der Küste entlang und sammelten Überlebende ein. Also war die Hoffnung doch noch nicht verloren, denn es gab wieder ein neues Ziel.

„Das ist ein Schiff“, bestätigte sie sich selbst.

Und es wäre möglich dieses Schiff zu erreichen und das gemeinsam mit allen Überlebenden.

Geheimnis

Der gestrige Tag steckte Rain noch schwer in den Knochen. Sie hatte in der Nacht keine Ruhe mehr gefunden und war gerade dabei in eines der Labore einzubrechen, die wichtige Daten geheim hielten. Normalerweise interessierte sie es einen Scheißdreck, wenn etwas unplanmäßig lief, aber diese Blondine tauchte immer wieder auf, gefolgt von einer Flüsterstimme.

Ich mach mir Sorgen um deine Verletzungen. Hier stirbt keiner mehr.

Ihr Kopf pochte wieder leicht. Genervt strich sie sich eine Strähne aus dem Gesicht. Mit erhobener Waffe schlich sie durch die dunklen Gänge. Zuerst hatte sie vorgehabt J.D. einzuweihen, aber er wäre ihr nur im Weg gewesen, da er eher einem Elefanten im Porzellanladen ähnelte, wenn es ums Schleichen ging.

„Ganz schön anstrengender Tag, was?“, ertönte eine Stimme.

Kurz darauf kamen zwei Männer in weißen Laborkitteln um die Ecke und die Beleuchtung flackerte auf. Rain musste kurz die Augen zusammenkneifen, doch war sie schnell genug hinter einer offenen Tür verschwunden gewesen, so dass sie jetzt ohne Probleme weiter lauschen konnte.

„Das kannst du laut sagen. In letzter Zeit treten immer öfters Erinnerungsfetzen bei den Projekten auf.“

„Ja, so viele mussten wir jetzt schon austauschen.“

„Vielleicht war das alles doch ein Reinfall.“

„Ich weiß ja noch nicht mal welches Ziel die damit verfolgen.“

Der andere schien empört zu sein. „Das weißt du nicht? Das machen die doch wegen dem Projekt Alice.“

„Im ernst?“

Ihre Unterhaltung ging weiter, doch mittlerweile waren sie zu weit entfernt, als das Rain noch etwas verstehen hätte können.

„Alice...“, flüsterte sie.

Auf diesen Namen reagierte ihr Kopf, doch die Erinnerung, die mit diesem Namen zu tun hatte, blieb aus.

Sie wartete kurz bis das Licht auf dem Gang wieder erlosch und huschte dann wieder hinaus. Vorsichtig umging sie die Bewegungsmelder, mit denen das Licht gesteuert wurde und fand sich dann schnell vor der gesuchten Labortür wieder. Sicherheitsbereich Alpha eins. Das war so ziemlich das höchste, was Rain gesehen hatte, aber wie sollte sie nun dort hineingelangen? Sie erinnerte sich an eine Meldung der Sicherheitsabteilung, dass so schnell wie möglich die Schwachstelle des Kartenlesegerätes behoben werden sollte. Sie hoffte, dass dies noch nicht geschehen war und holte ihr Kampfmesser hervor. Vorsichtig bohrte sie im Schlitz des Gerätes herum bis es schließlich mit einem leisen Klacken das Entriegeln der Tür verkündete.

„Solche faulen Säcke, aber mein Glück“, flüstere sie und betrat das Labor.

Unzählige Computerbildschirme verzierten den Innenraum. Das stetige Summen der Server verdrängte die Stille. Hier waren bestimmt ein paar Geheimnisse versteckt, aber Rain war gottverdammt nochmal kein Computergenie. Seufzend schaute sie sich einen Bildschirm nach dem anderen an, doch so schwer war das gar nicht. Ein Bildschirm zeigte sich ständig erneuernde Koordinaten, ein anderer zeigte eine Luftbildaufnahme und wieder ein anderer zeigte Sprachaufzeichnungen.

„Claire. Das Schiff dahinten, das ist Arcadia.“

„Ja, ich weiß.“

Es waren zwei von der Aufnahme verzerrte Stimmen, aber Rain konnte sie eindeutig zwei Frauen zuordnen. Die letztere schien also Claire zu heißen, doch warum sollte Umbrella jemanden überwachen? Rain vermutete, dass sie des Verrats verdächtigt wurden.

„Erinnerst du dich wieder?“

„Da war der Strand... Menschen kommen uns zu Hilfe.“

Eine Stille trat ein. Rain wollte sich gerade dem nächsten Bildschirm zuwenden, als plötzlich wieder die eine Stimme ertönte, die Rain, obwohl sie so verzerrt war, irgendjemandem zuordnen konnte, doch sie erinnerte sich auch diesmal nicht an wen.

„Was ist passiert? Warum bist du nicht bei den anderen?“

„Keine Ahnung. Ich kann mich nicht erinnern“, antwortet die vermeintliche Claire.

Offenbar war Rain nicht die einzige, die momentan mit Gedächtnislücken zu kämpfen hatte. Sie dachte kurz darüber nach, ob Umbrella sie deswegen auch beschatten würde und schauderte leicht. Nein, der Gedanke war einfach zu absurd, denn sie hatte schließlich nichts zu verbergen, oder?

„Wir müssen auf dieses Schiff.“

Dies waren die letzten Worte, die der Computer immer wieder ertönen ließ. Offenbar hatte man die Verbindung verloren. Dann öffnete sich ein kleines Login-Fenster. Rain vermutete, dass der Computer von einem anderen Ort gesteuert wurde.

„A. Wesker“, las sie leise mit und folgte dann dem Passwort, welches als acht Sternchen hintereinander erschien, dicht gefolgt von einem Ladebalken, der sich nur langsam füllte.

„Was zum Teufel machen die hier?“

Auf einem anderen Bildschirm erspähte Rain eine ziemlich interessante Datei. Projekt Raccoon City.

„Projekt?“, entglitt es Rain.

Zügig öffnete sie den Dateienordner und fand eine Stadtkarte. Jedes Haus war bezeichnet, aber nicht mit Straße und Hausnummer, sondern mit Namen von Leuten. Schnell fand sie ihr eigenes und folgte dem verbunden Link. Ein vollständiger Steckbrief von ihr flimmerte auf. Dies hätte sie nicht im Geringsten bei einer Firma, wie es Umbrella war, verwundert, wenn da nicht der neuste Eintrag gewesen wäre.

„Erhöhung der Dosis. Zeigt erste Anzeichen von Erinnerung des Originals. Steht unter Beobachtung“, las sie laut vor.

Ihr Herz fing zu rasen an. Dosis. Wie aus dem Nichts fiel ihr der T-Virus ein. Ein Virus, den sie eigentlich nicht kannte oder doch? Lebende Tote kamen ihr in den Sinn, aber warum? Erinnerungen des Originals? War sie nicht echt? Die Frau, die One abgeknallt hatte, sagte auch, sie alle seien nicht echt. Aber was sollte das heißen? Verwirrt blickte sie sich um. Der Boden schien ihr unter den Füßen zu entgleiten. Dann kamen ihr die letzte Zeile in den Sinn. Sie stand also auch unter ständiger Beobachtung, aber das würde ja bedeuten, dass sie über ihren abendlichen Ausflug Bescheid wüssten. Mit letzter Konzentration hielt sie sich an einem der Schreibtische fest.

„Fuck.“

Wie aufs Stichwort öffnete sich die Tür mit einem ohrenbetäubenden Knall. Rain wollte die Handwaffe heben, doch da wurde sie ihr schon aus der Hand geschlagen. Die Welt drehte sich immer noch. Verdammt, sie wollte nicht wieder mit irgendetwas zugepumpt werden. Umbrella stellte etwas mit ihr an, darüber war sich Rain nun im Klaren.

„Ich warne euch“, zischte sie.

Als Antwort bekam sie ein herzliches Lachen und wurde ohne Vorwarnung über jemandes Schulter geworfen. Sie wollte sich wehren, aber ihr Körper versagte. Das war einfach zu viel für sie gewesen und doch verstand sie nicht einmal die Hälfte von dem, was sie erfahren hatte. Erschöpft schloss sie die Augen und sie war der felsenfesten Überzeugung, dass sie wahrscheinlich auch nie wieder aufwachen würde, jetzt wo sie auf Umbrella’s Überwachungsliste stand.



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