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Rayne 1.2 - Tagebuch einer Fee

Auch im Regen
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Tja, was soll ich dazu sagen ^^"

außer dass es sich hierbei um die (Endlich!) verbesserte und überarbeitete Geschichte von Rayne handelt. Komplett anzeigen

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Rayne

Prolog: Rayne
 

Ich habe noch nie an Feen geglaubt. Auch dann nicht, als ich herausgefunden hatte, dass ich selbst eine Fee war. Nie hätte ich daran gedacht, dass so etwas tatsächlich je passierte. Schließlich erfuhr man solche Dinge nicht alle Tage.
 

Ich möchte euch hiermit meine seltsame Geschichte erzählen.

Man nennt mich Rayne.

Zusammen mit meinen Eltern lebe ich auf der Erde in einer Kleinstadt namens Gwyn. Sie haben mich vor achtzehn Jahren adoptiert und mich großgezogen, haben für mich gesorgt, als wäre ich ihr eigenes Kind.

Eigentlich hatte ich immer ein unbeschwertes Leben, dennoch fühlte ich mich trotz der liebevollen Fürsorge meiner Eltern und der tatkräftigen Unterstützung meiner Freunde, doch sehr oft alleine.

Wir waren nicht viele, trotzdem waren wir ein eingespieltes Team. Gemeinsam hatten wir schon so einige Regeln gebrochen. Ich will nicht behaupten, ich sei eine Kriminelle, ich spielte nur gerne meine eigenen Spiele.

Das tut jedoch jetzt nichts zur Sache, schließlich wollte ich euch ja meine Geschichte erzählen.

Der Grund, weshalb sich mein Leben so drastisch änderte, waren sechs junge Mädchen, ein weiteres Mädchen namens Sunshine und ein Vampir, der sich Jareth nannte.

Aller Anfang ist Rayne

Kapitel 1: Aller Anfang ist Rayne
 

Die Welt schien sich um sich selbst zu drehen, als sich die Jungs gedeckt umsahen, ob uns jemand gefolgt oder uns entdeckt hatte. Ich presste mich zusammen mit Melinda an die Wand, immer in Alarmbereitschaft, dass uns kein Wachmann erwischte. Hinter ihr klammerte sich Bethany an Melindas Schulter. Ihr langes, dunkles Haar berührte ihren Oberarm, als sie sich zittrig nach hinten umsah und sich dann wieder zu uns wendete.

„Leute, wirklich! Wir sollten zurückgehen. Wir dürften gar nicht hier sein.“ ängstlich versuchte sie Melinda am Arm zurück zuziehen, die jedoch stur und steif an meiner Seite blieb.

„Beth, fahr deine Krallen wieder ein!“ zischte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Das ist mein Ernst, du tust mir weh!“

Reflexartig ließ sie ihren Arm los, sah sich wieder hektisch um und wendete dann das Wort an mich. „Rayne, bitte! Sei wenigstens du vernünftig. Wir sollten hier verschwinden.“

„Krieg dich wieder ein, Beth.“ kicherte ich. „Trau dich mal was! Willst du den ganzen Tag Zuhause sitzen und büffeln? Was wir hier machen ist kein Weltuntergang.“

„Aber verboten!“ fiel sie ein.

In diesem Moment kamen unsere drei Jungs wieder um die Ecke. Gavin, mit seinem straßenköterblonden Haar und den breiten Schultern wirkte nicht gerade wie ein normaler Teenager. Er war mehr jemand, bei dem man nachts lieber die Straßenseite wechselte, als dass man auf ihn zugehen würde.

Dann war da noch Jack. Er war ebenfalls von der Sorte, nachts die Seiten zu wechseln. Nur dass die Unterlippenpiercings und die Totenkopftattoos auf seinen Schultern dies noch viel mehr betonten und diesem einen gefährlichen Ausdruck verleiten. Auf seinen Lippen lag ein breites Grinsen und eine Strähne seines eigentlichen zurückgegelten, schwarzen Haars fiel ihm in die Stirn.

Und dann war da noch Jeremy. Sein schwarzes Sweatshirt, was sich eng an seinen muskulösen Körper schmiegte, schien die hellen Strahlen des Mondes einzufangen, was seinen starken Körper noch mehr betonte. Sein hellbraunes Haar war kurz geschnitten und ging ihm gerade mal bis zu den Ohren. Auch er hatte ein Grinsen auf den Lippen. Ein süßliches Lächeln, welches ausdrückte, was er dachte und Jack schließlich aussprach.

„Die Luft ist rein. Keiner, der uns im Weg steht.“ er grinste breiter, packte schließlich Beth an der Hand, welche sie von Melinda gelöst hatte und riss sie unsanft an sich. Er legte ihr den Arm um die Taille und strich ihr mit der freien Hand ihr Haar hinters Ohr. „Kann gar nichts passieren.“

Wir bewegten uns von der Wand um die Ecke, wo wir wenige Schritte später an der Abgrenzung zum Schwimmbad ankamen. Es war bereits nach Mitternacht, was bedeutete, dass wir tatsächlich nicht hier sein durften. Was meiner kleinen Gruppe und mir, (mit Ausnahme von Beth) völlig egal war.

Gavin machte den Anfang, in dem er den Zaun mühelos hinaufkletterte, sich darüber schwang und mit einem Sprung auf der anderen Seite landete. Der Zaun, der das Schwimmbad abgrenzte, war vielleicht grade mal zwei Meter hoch, völlig belanglos, was für uns definitiv kein Hindernis darstellte.

Den nächsten Schritt machte Melinda, die es Gavin mühelos nachtat, sich über die Gitter schwang und mit einem sicheren Sprung auf der anderen Seite aufkam.

„Keine zehn Pferde kriegen mich da rüber!“ zappelnd versuchte Beth sich aus Jacks Griff zu befreien, aussichtslos, da Jack sie viel zu fest hielt und mit Sicherheit auch nicht locker lassen würde.

„Bethany,“ setzte ich an, ging auf sie zu und nahm ihre Hände in meine. „hör zu: Es kann nichts passieren. Wir haben die Gegend überprüft. Wir sind als einzige hier.“

„Sicher, aber wir dürften gar nicht hier sein, Rayne.“ sagte sie kraftlos. „Ich will keinen Ärger bekommen. Meine Eltern werden ausrasten, wenn sie davon erfahren.“

Bethany kam aus ziemlich wohlhabenden Verhältnissen. Dass sie nachts irgendwo einbrach, war für ihre Eltern, als wenn sie einen Mord begehen würde. Sie verbrachte die Wochenenden normalerweise damit, wie eine Irre zu lernen. Wenn sie nicht grade ihre Nase in Schulbücher steckte, lernte sie fleißig, wie man Geige und Klavier spielte. Und wenn sie das nicht tat, musste sie Kurse besuchen, wie man sich am besten benahm. Ein trauriges Leben, wenn einem die Eltern vorschrieben, was man zu tun und zu lassen hatte. Da lobte ich mir meine Eltern, die mich mein Leben leben ließen.

„Wenn ich dir hoch und heilig verspreche, auf dich aufzupassen, machst du dann mit?“ Jack grinste amüsiert, als wolle er noch etwas ganz anderes ausdrücken. Etwas das sagte: "Hey Baby, ich bin dein Beschützer. Und jetzt wirf dich mir an den Hals und spiele die verletzte Jungfrau in Nöten".

Ich verpasste ihm einen Boxer auf die Schulter. „Lass den Scheiß, Mann.“

„Hey, ich meine das vollkommen ernst.“ er lachte auf, ließ sie schließlich los und bewegte sich auf den Zaun zu. „Aber gut, wenn du meine Hilfe nicht willst, bitte.“ Im nächsten Moment, war er nach oben geklettert und landete wenige Sekunden später auf der anderen Seite.

Fürsorglich wendete ich mich wieder Beth zu. „Ich passe auf dich auf, okay?“

Ihr Blick suchte den Boden ab, die Spitze ihres Turnschuhs kratzte auf dem Boden, als wolle sie etwas ausgraben, als sie schließlich wieder zu mir aufsah. „Versprichst du mir das?“

Ich schnaubte kampflos. Normalerweise versprach ich nichts, dass ich nicht auch hundertprozentig einhalten konnte, stimmte dieses Mal jedoch zu, damit sie nicht wieder die Kurve kratzte.

Schließlich nahm ich sie bei der Hand und führte sie an die Absperrung, wo sie von ganz alleine hochkletterte.

„Wurde aber auch langsam Zeit, Prinzessin.“ kommentierte Melinda gehässig, als Beth sich auf den Zaun setzte.

„Soll ich dich auffangen?“ wieder hatte Jack dieses lüsterne Grinsen im Gesicht. Allmählich ging mir seine Machoart auf den Geist.

„Jack, lass das.“ zischte Gavin. „Ist kein Wunder, dass du kein Glück bei den Frauen hast, so wie du dich aufführst.“

„Hey, ich bin nur hilfsbereit.“ erwiderte er, machte dabei provozierend einige Schritte auf Gavin zu und sah ihn mit seinen dunklen, braunen Augen durchdringend an.

„Jungs, es reicht jetzt!“ schützend ging Melinda zwischen die beiden. Rechtzeitig, würde ich behaupten. Jack fackelte nicht lange mit Worten. Er war mehr der Typ für draufhauen und dann Fragen stellen, aber auch nur, wenn man ihn nicht rechtzeitig zurück hielt. Jacks Nervenkostüm war sehr dünn, jedes Wort konnte das Seil zwischen Ruhe und Wut zerreisen, wobei ich selbst sagte, er war etwas zu überempfindlich.

Jeremy schüttelte einfach nur den Kopf, tippte mich am Oberarm an, um mir zu zeigen, dass wir weiter sollten und kletterte schließlich an den Gittern nach oben, kurz gefolgt von mir. Während er sich auf die andere Seite schwang, blieb ich bei Bethany sitzen. Man merkte ihr ihre Höhenangst deutlich an, da sie sich so fest am Metal festkrallte, dass ihre Knöchel weiß hervortraten.

„Beth,“ herzlich legte ich eine Hand auf ihre. „du brauchst keine Angst haben, wirklich. Ich bin an deiner Seite. Wir springen zusammen, okay?“

Beth biss sich auf die Unterlippe. „Hältst du meine Hand?“

Ich wollte ihr gerade antworten, als Melinda einen übertrieben lauten Seufzer ausstieß. Ich verdrehte die Augen, hielt Beth die Hand hin und sah zu ihr. „Bei drei, okay?“

Sie nickte schüchtern, ich begann von drei herunter zuzählen und wir sprangen gemeinsam auf die andere Seite. Ich wollte nicht behaupten, der Anführer unserer kleinen Gruppe zu sein, aber ich würde deutlich behaupten, die Vernünftigste von uns zu sein.

Zögernd ließ Beth meine Hand los und sah sich auf der anderen Seite des Zaunes um. Ein Lächeln machte sich auf ihren Lippen breit, das zeigte, wie stolz sie auf sich war, dass sie den Sprung auf die andere Seite tatsächlich gewagt hatte.

Jack gab Gavin einen Faustschlag auf die Schulter und rief: „Wer zu erst im Wasser ist!“ Noch bevor Gavin etwas darauf erwiderte, rannten die beiden los und jagten sich bis an den Beckenrand, wo sie sich beim laufen ihre T-Shirts auszogen und einfach irgendwo ins Gras warfen. Melinda folgte den beiden und sammelte dabei die Kleidungsstücke der Jungs auf, kurz gefolgt von Beth, die ihr wie ein Hündchen hinterher tappte.

Ich wartete einen Moment, bis sich die beiden ein wenig von uns entfernt hatten, bevor ich mich zu Jeremy um wandte. Er lächelte sein sanftes, schiefes Lächeln, dass ich so an ihm liebte, nahm meine Hand und führte mich vorsichtig zu sich, legte mir dann die Arme um die Hüften, wobei ich meine um ihn legte und küsste mich lieblich.

Ja, Jeremy und ich waren ein Paar, seit fast einem Jahr. Die anderen wussten natürlich davon, jedoch gefiel es ihnen nicht so, wenn wir in der Öffentlichkeit miteinander herummachten. Besonders Melinda gefiel die Sache mit uns nicht, da sie selbst total auf Jeremy stand, er aber mehr von mir wollte.

Im Grunde genommen war mein Interesse an Jeremy zu nächst so groß wie an Mathematik, nämlich gar nicht. Als er mir jedoch auf dem Frühlingsfest auf dem Schießstand ein Teddy mit einem Herzen in der Hand, auf dem „I love you“ stand, geschossen hatte, war es, als hätte sich in meinem Kopf ein Schalter umgelegt. Eine knappe Woche später kamen wir schließlich zusammen. Dennoch war es Melinda nie Recht gewesen, dass wir ein Paar wurden.

Jeremy löste sich von mir, nahm mich bei der Hand und wir liefen zusammen über die Wiese ans Schwimmerbecken, wo Jack es sich bereits im Wasser gemütlich gemacht hatte und Gavin Anlauf für eine Wasserbombe nahm. Melinda und Beth hatten sich ins Gras, ein Stück vom Becken entfernt gesetzt und beobachteten die Jungs, die sich im Wasser ein Wortgefecht lieferten, wer sich eher traute, vom Zehnmeter-Turm zu springen.

Wieder schüttelte Jeremy nur den Kopf, als er ihre Wortfetzen auffasste. „Wie die Kinder.“ sagte er.

„Hast du etwa Angst davor zu springen?“ stichelte ich ihn. „Würdest du dich trauen?“

Ein breites Grinsen machte sich auf seinen Lippen breit. „War das eine Herausforderung, Miss Parker?“

Ich löste mich aus seinem Griff und stellte mich vor ihn, um ihm in die Augen sehen zu können. „Aber sicher doch.“ erwiderte ich siegessicher.

„Ich rieche einen Wettstreit!“ rief Jack, als er sich grade aus dem Becken stützte und tropfnass auf die Mädchen zuging. Melinda, die auf der Wiese lag, die Arme unter dem Kopf verschränkt, wurde zu seinem ersten Opfer. Er hob sie mühelos in die Luft, trug sie, unter Protest, ans Schwimmbecken und ließ sie in voller Montur ins Wasser fallen. Sie fluchte laut, als sie Sekunden später wieder auftauchte. „Jack, du verdammter Arsch! Was sollte das?“

Er lachte auf, als sie an den Beckenrand schwamm. „Glaubst du, du bist zum herumliegen hier, Prinzessin?“

Auch ich musste jetzt lachen über ihr Wortgefecht. Beth, die auf der Wiese saß, stimmte mit einem Kichern ein und auch Jeremy hatte es ein Lachen entlockt.

„Ja, ja, lacht ihr nur!“ verärgert hievte Melinda sich aus dem Wasser und wrang dann ihre Kleidung aus, die sich klatschnass an ihren Körper presste. Wieder sah ich Jeremy an. „Also? Was ist? Willst du kneifen?“

Er lachte auf und kam mir ein Stück näher, dass nur ein dünner Lufthauch uns auseinander hielt. „Ladys First.“ er hob die Hand in Richtung des Sprungturms.

Ich ergriff den Saum meines Tops, zog es direkt vor seinen Augen aus und warf es zu Beth auf die Wiese. Er unterdrückte einen Blick auf meine, in einen schwarzen BH verpackte, Brüste zu werfen, wobei ich Pfiffe und Rufe von Gavin und Jack erntete. Beth sagte nichts dazu und Melinda… der war ihr Zorn deutlich anzumerken, da sie sich stur zu Beth bewegte und sich zu ihr setzte, ohne auch nur ein Wort von sich zu geben. In diesem Fall gab es nichts, dass er nicht schon gesehen hatte.

Sein Blick löste sich keine Sekunde von mir, er sagte jedoch nichts, was mein Grinsen noch breiter werden ließ.

Schließlich machte ich ein paar Schritte zurück, knöpfte meine Hotpan auf, zog auch diese mühelos aus und warf sie Beth zu. „Weichei.“ gab ich gelassen zurück, ließ schließlich von ihm ab und bewegte mich auf den Turm zu.

Ich machte mir keine Mühe mich von dem Betreten-Verboten-Schild abhalten zu lassen, kletterte einfach drüber hinweg und stieg eine Sprosse nach der anderen nach oben, bis ich schließlich ganz oben auf dem Turm ankam. Die Luft wurde immer dünner und zudem immer kälter. Ich fröstelte in meiner Unterwäsche, dachte aber nicht daran zurück zugehen. Langsam ließ ich den Blick über die Stadt wandern. Die Aussicht von hier oben war bei Nacht noch viel schöner, als bei Tag, auch wenn in vielen Häusern bereits alle Lichter aus waren. Dennoch hatte es etwas magisches, Gwyn in diesem Licht zu sehen.

Zaghaft bewegte ich mich ein paar Schritte auf das Sprungbrett zu, ließ jedoch den Blick weiterhin über die Stadt wandern und genoss einen Moment lang die Stille, die sich hier oben breit machte.

„Es war nicht gerade nett von dir, mich ein Weichei zu nennen, Miss Parker.“ starke Arme umklammerten mich von hinten, heißer Atem drang an mein Ohr und ließ mich noch mehr erschauern, als ich feststellte, dass Jeremy mir unbemerkt gefolgt war. Mein Herz hatte einen großen Sprung gemacht und ließ mich stoßweise Aufatmen.

„Mann, du hast mich erschreckt!“ erwiderte ich weniger tapfer.

Sein Kinn legte sich auf meine Schulter, als ich versuchte, mich zu ihm umzudrehen, es jedoch nicht schaffte, weil er mich zu fest im Griff hatte. Er trug mittlerweile nur noch Boxershorts, seine starke Brust schmiegte sich fest an meinen Rücken, wobei er seine Nasenspitze über meinen Hals gleiten ließ. Eine Geste, von der er genau wusste, wie sehr sie mich erbeben ließ. Ich genoss seine Berührung auf meiner Haut, betete innerlich, dass sie nicht wieder enden würde und schnaubte zufrieden über sein tun.

„Ich nehme meine Worte zurück.“ stöhnte ich. Seine Lippen, die gerade meine Schultern berührten, bogen sich zufrieden nach oben. Sein selbstsicheres Lächeln war deutlich zu spüren. Ich wollte noch mehr davon!

„Hey, seid ihr da oben eingeschlafen?“ Jacks Stimme drang von unten an meine Ohren, gerade als ich den Kopf zur Seite legte, bereit dafür, dass Jeremy meinen Hals mit Küssen überziehen konnte. Stattdessen schnaubte er genervt, legte seine Stirn an meine Schulter und schwieg. Ich konnte nicht anders und musste über Jacks Worte kichern, löste mich schließlich aus seiner Umarmung und wandte mich zu ihm um.

„Die wollen was sehen, Mr. Wilson.“ sein Blick war auf mich gerichtet, der auffordernd auf mir ruhte. „Soll ich dir den Vortritt lassen?“

„Bitte, nach dir“ er hob die Hand in Richtung Sprungbrett, seine Lippen verzogen sich zu einem selbstgefälligen Grinsen. „Ladys First, Miss Parker.“

„Und die Kinder danach, ist doch so.“ lachte ich. Schließlich wandte ich mich von ihm ab, nahm Anlauf und sprang ohne groß zu zögern ins nichts. Kalter Wind pfiff mir um die Ohren, wehte mir das lange, schwarze Haar aus dem Gesicht und ließ mich erzittern. Die Beine fest angezogen, landete ich schließlich in der Tiefe des Schwimmbeckens. Meine Füße berührten nur knapp den Boden, Wasser erstreckte sich um mich herum, kalt und drückend und ließ dabei kleine Bläschen an mir hinauf steigen, die mich nach unten zu ziehen schienen.

Ich begann zu strampeln, versuchte mich nach oben zu kämpfen, bis ich schließlich die Oberfläche erreicht hatte.

„Reife Leistung, Wölkchen.“ Jack klatschte langsam in die Hände, während ich mich zu Gavin an den Beckenrand vorkämpfte. Ich dachte nicht einmal daran, aus dem Wasser zu steigen, gerade jetzt, wo sich mein Körper an die Kälte gewöhnt hatte. „Wilson, du bist dran!“ rief er nach oben, verschränkte dabei die Arme vor seiner nackten Brust und wartete schließlich auf eine Reaktion. Sekunden später hörten wir, wie sich das Sprungbrett bewegte. Jeremy kam wie eine Kanonenkugel herunter geschossen, kam schließlich mit einem Klatscher im Wasser auf und spritzte dabei eine ordentliche Ladung Wasser auf uns. Wir bekamen alle etwas davon ab, Melinda und Beth kreischten sogar deshalb, worüber wir anderen nur lachen mussten.

Als Jeremy kurz darauf wieder auftauchte, kam er auf direktem Weg zu Gavin und mir geschwommen, wo er sich aus dem Becken hievte und sich zu uns setzte.

„Starke Sache, Mann“ grinste Gavin. „Aber sie hatte definitiv mehr drauf.“

„Da sieht man mal, wer in eurer Beziehung die Hosen an hat.“ stichelte Jack, gefolgt von einem amüsierten Lachen.

„Leck mich!“ erwiderte Jeremy und stimmte dann in sein Lachen mit ein. „Was ist mit dir, Großmaul? Traust du dich zu springen?“

„Für wen hältst du mich?“ wieder grinste er. „Ich springe dir sogar zehn Mal hintereinander vom Zehnerbrett.“

„Ein Mal reicht völlig. Aber gut, wenn du unbedingt willst, tu dir keinen Zwang an.“ erwiderte Gavin, der sich auf den Rücken legte und sich einfach treiben ließ.

„Mel, Beth, was ist mit euch?“ rief ich an Jeremy vorbei. „Rumliegen könnt ihr hier auch, wenn geöffnet ist. Wann habt ihr schon mal ein Schwimmbad ganz für euch alleine?“

„Mach mal langsam, Wölkchen.“ antwortete Melinda gemütlich. „Wir haben doch Zeit.“

„Zeit ist genau das, was wir nicht haben. Wir dürften gar nicht hier sein.“ die Stimme der Vernunft. Beth kam in voller Montur zu uns herüber und legte dabei wärmend ihre Arme um sich selber. „Wir waren da. Wir hatten unseren Spaß. Jetzt lasst uns bitte wieder gehen, bevor man uns noch erwischt.“

„Du solltest unbedingt lernen, wie man sich amüsiert, Prinzessin.“ schnaubte Melinda genervt, die in Unterwäsche neben sie trat. „Es ist nichts Schlimmes dabei, wenn man etwas tut, das man nicht tun dürfte. Krieg nicht gleich einen Herzinfarkt.“ mit diesen Worten, ließ sie Beth stehen und sprang ohne zögern zu uns.

Gerade wollte sie etwas darauf erwidern, als Jack neben sie trat und ihr einen nassen Arm um die Schultern legte. „Irgendwie hat sie ja Recht damit. Ich kann dir ja gerne zeigen, wie man sich richtig amüsiert.“

Ich drückte mich mühelos aus dem Becken und stellte mich kampfbereit ihm gegenüber, schob sie ein Stück von ihm weg und warf ihm einen ernsten Blick zu. „Und ich zeige dir gerne, wie es sich anfühlt eine Faust ins Gesicht zu bekommen. Du lässt gefälligst die Finger von ihr, Jack.“

Ergebend hob er die Hände in die Luft. „Beruhig dich mal, Wölkchen. Du reagierst immer gleich über.“

„Leute, lasst den Scheiß. Sind wir hier um Spaß zu haben, oder was?“ Gavin, der es jetzt auch aus dem Wasser geschafft hatte, trat zwischen uns, stellte sich zugleich schützend vor Beth und drückte uns dabei sogar etwas auseinander. „Um der Friede Willen, werde ich auf Bethany aufpassen. Bevor ihr zwei euch tatsächlich noch die Köpfe deshalb einschlägt.“

Mir gefiel die Idee gar nicht, meine Aufsichtspflicht einfach so weiter zu geben, aber um ehrlich zu sein, war das ganz gut so. Jack war zwar niemand, der je eine Frau schlagen, geschweige den anfassen würde, dennoch würde ich in einem Streit nicht mal ansatzweise eine Chance gegen ihn haben. Und auf Gavin war definitiv genug verlass. Mal abgesehen von der Tatsache, dass ihr bei uns überhaupt nichts passieren konnte.

Gavins Worte entspannten mich tatsächlich sogar etwas, ließen mich aufatmen und wieder klar denken. „Alles cool“ sagte ich ruhig.

„Sag ich ja.“ grinsend sah Jack mich an. „Wenn ihr mich dann entschuldigt, ich habe ein Date mit dem Brett.“

Schon immer fragte ich mich, wie Jack seine Emotionen so schnell ändern konnte. Er war kein schlechter Mensch, keine Frage. Manchmal benahm er sich so unmöglich wie es nur ging und plötzlich war er der freundlichste Mensch auf Erden. Wie er das so schnell machte, beschäftigte mich heute noch. Zu meinem Bedauern stellte ich fest, dass ich diese Frage so einfach nicht beantwortet bekam, nahm es mir jedoch für die Zukunft unbedingt vor.

Es dauerte keine fünf Minuten, da war Jack schon wieder im Wasser. Er war tatsächlich gesprungen, wagte sogar noch zwei weiter Sprünge, beließ es jedoch bei diesen dreien.

Ich hatte mich in der Zwischenzeit auf die Wiese gesetzt und beobachtete den ganzen Spaß von dort aus. Die Knie angezogen und die Arme fest darum gelegt, sah ich meinen Freunden zu, wie sie sich amüsierten. Gavin hatte es irgendwie geschafft, Beth aus ihrer Kleidung zu holen. Sie zitterte heftig, blieb jedoch tapfer im Pool, bei Melinda. Gavin selbst, ließ die Füße neben Jeremy im Wasser baumeln, während sich Jack vom Beckenrand mit einem Handstand ins Wasser fallen ließ.

Eine Tatsache war: ich liebte diesen verrückten Haufen, auch wenn wir uns gegenseitig drohten und uns öfters stritten, so wussten wir immer, dass es nie wirklich ernst gemeint war.

Eine weitere Tatsache war auch: dass ich egal, wie sehr ich diese Leute liebte, mich keinem wirklich anvertraute. Sicher, sie waren meine Freunde, mit denen ich durch Feuer gehen und Pferde stehlen konnte. Dennoch wusste keiner, nicht einmal Jeremy, wie ich mich tief im Inneren fühlte. Schon immer, hatte ich das Gefühl nicht wirklich in diese Welt zu gehören, wusste schon sehr früh, dass mein Platz nicht hier war. Meine Freunde machten diesen Gedanken nur erträglich. Wenn es in meiner Macht läge, wäre ich schon lange in einen Zug gestiegen und weit, weit weg gefahren. Irgendwo anders hin, Hauptsache raus aus dieser Stadt, bis ich meinen Platz gefunden hätte. Meiner Freunde Willen, war ich noch nicht abgehauen. Außerdem konnte ich das meinen Eltern nicht antun. So liebevoll, wie sie sich um mich gekümmert hatten, konnte ich ihnen nicht einfach so in den Rücken fallen. Außerdem würden sie meine Entscheidung nie verstehen.

„Worüber denkst du nach?“ riss Jeremy mich aus meinen Gedanken, der sich neben mich setzte und mich ansah.

Ich schüttelte den Kopf. „Ist nicht so wichtig. Mädchendinge, das würdest du nicht verstehen.“

„Vielleicht ja doch?“ er legte mir eine Hand unters Kinn und sah mich durchdringend an.

„Passt schon, wirklich.“ lächelte ich verlegen. „Kannst mich ja auf andere Gedanken bringen. Wäre mir persönlich lieber, als darüber zu reden.“

Er sagte nichts, lächelte nur und beugte sich schließlich über mich. Automatisch legte ich mich zurück, ließ die kalte Berührung seiner Hand an meiner Hüfte zu und genoss das Gefühl seiner weichen Lippen auf meinem Mund, als er im nächsten Moment an den Armen von Gavin und Jack von mir herunter gehoben wurde. Ich setzte mich auf, um dabei zuzusehen, wie sie ihn unter Protest zum Becken schleppten und ins Wasser warfen.

Lautes Lachen hallte durch die Nacht, als wir zusahen, wie er die anderen beiden mit sich in die Tiefe zog.
 

Es war kurz nach fünf Uhr, als ich die Tür zu meinem Haus aufschloss und sie versuchte, so leise wie nur möglich wieder hinter mir zu schließen. Die Lichter waren alle aus, was bedeutete, dass meine Eltern noch seelenruhig zu schlafen schienen. Für gewöhnlich warf ich meinen Schlüssel in eine kleine Schale auf einer Kommode im Flur, was ich mir dieses Mal jedoch verkniff, da jedes Geräusch meine Eltern hätten wecken können, was ich um jeden Preis vermeiden musste.

Mein Vater war Polizist, was zwar schön und gut war, mir aber jeglichen Kontakt mir einem Jungen versauen konnte. Er checkte liebend gerne die Leute ab, mit denen ich mich traf. Nicht, dass mir Jungs scharenweise hinterher rannten, nein. Es war nur immer wieder peinlich, welche Fragen er den Jungs stellte, die es tatsächlich mit mir versuchen wollten. Wenn Jeremy nicht darauf bestanden hätte, meine Eltern kennen zu lernen, wäre ihm die Frage, ob er weiß, wie einfach es wäre, ihm eine Kugel zu verpassen, wenn er nicht pfleglich mit mir umgehen würde, erspart geblieben. Und die bildliche Demonstration dazu erst recht. Sicher, ich war sein Mädchen und er wollte mich nur beschützen, aber das hieß noch lange nicht, dass er es mit seiner Fürsorge übertreiben musste. Mein Dad eben.

Meine Mutter stattdessen, war ein ruhiger Mensch gewesen, liebevoll und sie ließ mir jede Menge Freiraum. Sie war wie eine große Schwester, weniger wie eine Mutter, mit der ich tatsächlich über Dinge wie Jungs und Hobbys quatschen konnte, dennoch erzählte ich ihr nicht alles aus meinem Leben. Zum Beispiel wusste sie nicht, dass Jeremy und ich miteinander geschlafen hatten. Ich könnte das gar nicht. Für mich war der Gedanke, intime Unterhaltungen mit meiner Mutter zu führen, wie wenn ich ihr beichten müsste, jemanden umgebracht zu haben. Seltsam und unangenehm. Extrem unangenehm sogar! Sie selbst arbeitete als Sekretärin in einer Anwaltskanzlei. Eine ziemlich stressige Sache, um ehrlich zu sein. Mir selbst wäre es zu lästig, ständig am Telefon zu hängen und fremden Leuten fünffach zu erklären, was sie überhaupt nicht verstanden. So eine Geduld wie sie, hätte ich nie aufbringen können. Aber das war eben meine Mom.

Still steckte ich meinen Schlüssel in meine Hosentasche und schlich mich so vorsichtig wie möglich auf Zehenspitzen die Treppen hinauf in mein Zimmer, wo ich die Tür hinter mir schloss. Erleichtert atmete ich auf, als ich mein Ziel erreicht hatte, schlüpfte anschließend aus meiner noch teilweise, feuchten Kleidung und warf diese in meinen Wäschekorb, der neben meinem Schreibtisch schon völlig überquirlte. Vollkommen nackt öffnete ich meinen Kleiderschrank, zog frische Unterwäsche und einen Schlafanzug heraus und zog mir diese zitternd an. Wenn es nach mir ginge, wäre ich noch unter die Dusche gestanden, bevor ich mich in mein Bett hauen würde, aber da das jede menge Krach machte, hob ich mir dies für den nächsten Morgen auf und schlüpfte schließlich völlig übermüdet in mein warmes und kuscheliges Bett, wo ich keine drei Minuten später in einen traumlosen Schlaf fiel.
 

Warme Sonnenstrahlen kitzelten meine Nase, tanzten mir ungeniert über das Gesicht und rüttelten mich aus meinem viel zu kurzen Schlaf. Ich gähnte laut hörbar, setzte mich auf und streckte mich genüsslich, wobei ich mit mir kämpfte, nicht wieder zurück auf mein Kissen zu fallen.

Kraftlos stand ich schließlich auf, schleppte mich ins Badezimmer, wo ich mich erstmal unter die Dusche stellte um richtig wach zu werden. Als ich mich abgetrocknet und angezogen hatte, putzte ich mir die Zähne, kämpfte dabei gegen die Müdigkeit der letzten Nacht an und schleppte mich anschließend in die Küche runter, wo meine Mom sich gerade einen Kaffee aufgekocht hatte.

„Guten Morgen, mein Schatz.“ lächelte sie mir aufmunternd zu, als sie mich hereinkommen sah. „Soll ich dir Frühstück machen?“

Ich lächelte müde über ihre liebliche Art, winkte mit einer Hand ab und gähnte ungewollt. Ich frühstückte selten morgens. Um ehrlich zu sein, konnte ich das nicht. Dummerweise wurde mir in neun von zehn Fällen schlecht davon. Irgendwann hatte ich es mir abgewöhnt zu frühstücken. Es sei den, mein Magen hing im Keller, dann hatte ich keine Probleme damit, was gerade nicht der Fall war.

„Ich schätze mal, dass war ein »Nein danke«“ antwortete sie auf meine stille Antwort. Mom lächelte mir aufmunternd zu, dann gönnte sie sich einen Schluck dampfenden Kaffee, wobei sie einen ruhigen Blick auf die Uhr über der Küchentür warf. Hektisch stellte sie ihre Tasse ab, griff eilig nach ihrer Handtasche und huschte schließlich um den Küchentresen herum. „Oh je, ich habe ganz die Zeit vergessen.“ sie schnappte sich ihre Autoschlüssel und hauchte mir dann einen flüchtigen Kuss auf die Wange. „Dein Vater kommt heute etwas später nach Hause. Er hat angerufen. Ich melde mich nachher bei dir, wenn ich etwas mehr Luft habe. Iss bitte noch was, bevor du aus dem Haus gehst. Und jage es bitte nicht in die Luft.“

„Jawohl, Ma’am.“ kicherte ich. Die Hand salutierend an die Stirn gelegt, sah ich Mom dabei zu, wie sie aus der Küche verschwand. Ich hörte noch, wie die Tür ins Schloss fiel, erhob mich dann von meinem Platz und räumte anschließend ihre Kaffeetasse in die Spüle.

„Jag-das-Haus-nicht-in-die-Luft“ war Moms Art zu sagen, „hab-dich-lieb“. Sie war ein gutmütiger Mensch, einfach zum lieb haben. Dennoch waren viele meiner Geheimnisse nie bei ihr angekommen.

Zugegeben, ich hatte ein eindeutiges Problem damit jemandem zu vertrauen. Und wenn es nur meine Eltern waren, so konnte ich es nicht. Es viel mir schwer, Dinge, die mich beschäftigten, in Worte zu fassen. Wie eine innere Blockade blieben mir die Worte im Halse stecken.

Mein Blick fiel auf die Küchenuhr, die mir zeigte, dass es erst kurz nach neun war. Viel zu früh für meine Verhältnisse. Ich war von Natur aus eine Langschläferin, mein praktisches Problem war, wenn ich einmal wach war, blieb es auch dabei. Meine Freunde waren da genau wie ich. Lange schlafen bei Tag und lange auf Touren bei Nacht. Ob am nächsten Tag Schule war, interessierte uns nicht. Wir machten die Nacht zum Tag, ließen uns dabei von nichts abhalten und gingen unseren eigenen Weg. Es gab nichts, das uns aufhalten konnte.

Ich schnaubte und ließ den Rest der Küche unberührt, als ich mich durch den Flur in mein Zimmer hinauf bewegte. Wir hatten Sommerferien, was bedeutete, dass Urlaub entweder sehr spät oder erst gar nicht für meine Eltern in Frage kam. Sie waren immer sehr beschäftigt, da bleib kaum Zeit für Pausen, was mir persönlich nicht viel ausmachte, da ich sowieso lieber mit meinen Freunden unterwegs war, mich jedoch für meine Eltern störte. Sie rackerten das ganze Jahr, wie die Bekloppten. Da hatten sie sich wohl auch mal einen Urlaub verdient.

Verträumt setzte ich mich auf mein Fensterbrett, welches mit einem violetten Kissen ausgepolstert war, und beobachtete halb abwesend, die beiden Kinder unserer Nachbarin, wie sie auf dem Rasen vor ihrem Haus mit einem Ball spielten.

Sarah war eine allein erziehende Frau mittleren alters, sie war freundlich und hilfsbereit und schon seit ich denken konnte unsere Nachbarin. Mit ihren zwei Kindern Tommy und Hannah wirkte sie fast schon perfekt. Den einzigen Makel in diesem Bild, war der fehlende männliche Part. Ihr Mann war vor knapp drei Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Er war ein guter Mann gewesen, das wusste ich. Wenn die beiden ausgehen oder auch nur einkaufen gehen wollten, hatte er mich oft gefragt, ob ich denn nicht auf ihre Kinder aufpassen könnte. Sicher hatte ich so gut wie immer zugestimmt. Ich mochte Tommy und Hannah sehr. Sie waren wie jüngere Geschwister für mich gewesen, die ich nie hatte. Da war es fast schon selbstverständlich gewesen, dass ich ja sagte. Sie waren das, was man eine perfekte Familie nannte, bis zu dem Tag, als Ben starb. Sie war zwar seit her noch derselbe, liebevolle Mensch geblieben, dennoch merkte man ihr die Schmerzen deutlich an, die sie mit sich trug. Doch für ihre Kinder blieb sie stark, wofür ich sie bis heute noch sehr bewunderte.

Den Kopf schief gelegt, sah ich zu wie sie sich gegenseitig den Ball zuwarfen, als auf meinem Schreibtisch mein Handy zu klingeln begann. Seufzend hüpfte ich von meinem Platz, bewegte mich auf den Schreibtisch zu und warf dabei einen Blick auf das Display. Die Nummer, die es anzeigte kannte ich nicht, trotzdem nahm ich den Hörer ab. „Hallo?“ sagte ich und hob mir das Teil ans Ohr.

„Rate mal, wer dich vermisst.“ ertönte es auf der anderen Seite. Die Stimme erkannte ich sofort, wovon es mir ein Lächeln auf die Lippen zauberte.

Verspielt biss ich mir auf die Unterlippe, wobei ich mich wieder in Bewegung setzte und mich auf mein Fenster zu bewegte. „Ich rate mal wild ins Blaue hinein und sage, du.“ mein Blich fiel aus dem Fenster zum Himmel hinauf. Graue Wolken schoben sich an mir vorbei, schienen sich gegenseitig auffangen zu wollen und erstreckten sich in kurzer Zeit über den ganzen Horizont.

„Hm... ganz knapp vorbei, Wölkchen.“ erwiderte er. „Wie sieht’s aus, bist du allein Zuhause?“

„Standartgemäß, würde ich sagen. Meine Eltern sind arbeiten.“ antwortete ich, den Kopf schief gelegt. „Wieso fragst du?“

Im Hintergrund hörte ich, wie er einen Stuhl zurückzog. „Nur so. Wollte in aller Ruhe mit dir reden. Pläne für heute Abend schmieden.“

„Heute Abend, ja? Du könntest ja jetzt vorbeikommen, dann können wir uns persönlich unterhalten.“ ich konnte durch das Telefon deutlich spüren, wie er grinste über meine Andeutung, konnte mir aber schon fast denken, dass er sie ablehnen würde.

„Tausend Mal lieber als hier zu sitzen, glaub mir.“ war schließlich seine Antwort. „Ich kann aber nicht. Muss Samantha bei ihrem Ferienaufsatz helfen. Hab’s ihr versprochen.“

„Und dann hängst du am Handy?“ spottete ich. „Du scheinst ihr wirklich eine große Hilfe zu sein.“ Samantha war Jeremys jüngere Schwester. Sie war nett, konnte aber von jetzt auf nachher eine richtige Zicke sein. Mit ihren vierzehn Jahren steckte sie mitten in der Pubertät, was sie ihrem Bruder deutlich zu spüren gab. Aber alles in allem war die kleine echt okay.

„Du lenkst vom Thema ab, Rayne.“ lachte er. „Also, wie sieht’s aus? Schon ne Idee, wo es heute hingeht?“

„Um ehrlich zu sein, nein, habe ich nicht.“ mein Arm wurde schwer, so dass ich schließlich den Hörer von der einen in die andere Hand verlagerte. „Wie wär’s, wenn wir Beth heute auf den Hauptfriedhof mitnehmen? Sie soll auch sehen, was sie erwartet, wenn sie sich uns anschließt. Sie muss da schon mitmachen.“

Bethany war erst sein kurzen in unserer kleinen Gruppe dabei. Ihr war zu Ohren gekommen, dass wir uns nachts herumtrieben und lieber Dinge taten, die ihr ihre Eltern verboten hatten. Ich selbst glaubte ja, dass sie sich nur beweisen wollte, dass sie gut ohne die Befehle ihrer Eltern auskam. Was ich ihr nicht unbedingt verübeln konnte. Schließlich war sie alt genug, um auf sich selbst aufzupassen. Wir waren keine schlimmen Menschen. Wir wollten nur unser Leben auf unsere Art leben. Da gehörten Einbrüche und nächtliche Spaziergänge über verbotene Gelände eben mit dazu.

„Keine schlechte Idee eigentlich. Es hat mich schon ziemlich überrascht, dass sie sich gestern getraut hatte mitzumachen. Mal sehen, ob sie da mitmacht.“ sagte er ruhig, gefolgt von der quengeligen Stimme seiner Schwester, die ihn versuchte auszufragen, worum es gerade in unserem Gespräch ging. „Nerv mich jetzt nicht.“ konnte ich ihn noch sagen hören, bevor es schließlich bei mir an der Tür klingelte.

„Ich muss Schluss machen. Hat geklingelt.“ sagte ich knapp. „Wir reden später, ja?“ wir verabschiedeten uns noch und legten dann auf. Ich beeilte mich, die Treppen herunter zusteigen und bewegte mich fast schon im Flug auf die Tür zu. Eigentlich hatte ich Tommy und Hannah vor der Tür erwartet, die mich fragen wollten, ob ich mit ihnen spielen wollte, verwarf jedoch diesen Gedanken, als ich die Tür öffnete und eine kleine Gruppe Mädchen vor mir sah, die ich nicht kannte.

„Hi.“ sagte ich matt. „Kann ich helfen?“

„Hi, bist du Rayne?“ fragte das erste Mädchen. Sie trug eine weiße Jeans, darüber ein schwarzes Tangtop und einem ebenso schwarzen Bolerojäckchen. Ihr Haar war dunkelbraun und etwa brustlang und ihre Augen strahlten eisigblau.

Misstrauisch verschränkte ich die Arme vor der Brust. Mal ernsthaft: wer waren diese Mädchen?

„Wer genau will das wissen?“ fragte ich tonlos. Da wechselten schon die ersten kritische Blicke aus.

Ein Mädchen mit langen, wasserstoffblonden Haaren und haselnussbraunen Augen drückte sich an dem ersten Mädchen vorbei und sah mich mit einem viel zu zufriedenen Grinsen an.

„Hi, ich bin Looma.“ ihre Hand streckte sich nach vorne aus und hing lange berührungslos in der Luft. Mein Blick hing an ihrer Hand und wanderte schließlich wieder nach oben, wo ich ihr einen ebenso kritischen Blick zuwarf. Mal ernsthaft: was dachte sie, was ich tat? Ihr die Hand reichen und sie begrüßend schütteln, als wären wir seit einer Ewigkeit Freunde? Da dachte sie eindeutig falsch.

Als sie schließlich merkte, dass ich mich nicht von der Stelle bewegte, ließ sie kampflos den Arm sinken. Gutes Mädchen, dachte ich.

„Also, was wollt ihr?“ versuchte ich es von neuem. „Wenn ihr mir irgendwelche Sachen andrehen wollt, könnt ihr euch gleich umdrehen und wieder gehen. Ich kaufe nichts.“

„Nein, nein, wir wollen dir nichts verkaufen.“ sagte das erste Mädchen schnell. „Wir wollten mit dir reden. Es geht um etwas sehr wichtiges, dass sozusagen, von deinem Leben abhängt.“

„Soll das ein schlechter Scherz sein?“ fragte ich sie matt. „Wer hat euch geschickt, um mir diesen Mist aufzuschwätzen?“

„Das ist kein Mist, sondern bitterer Ernst.“ mischte sich nun die nächste ein. Ein Mädchen mit schulterlangen, rotbraunen Haaren, die mit bunten Strähnen verziert waren, trat nun neben das erste. Sie wirkte tatsächlich so, als ob ihre Worte ernst gemeint waren. „Wir wollen dir nichts böses, Rayne. Wir wollen dir nur helfen. Du bist in Gefahr!“

„Okay, wenn das ein Scherz sein soll, ist er echt nicht witzig.“ warnte ich die Mädchen. „Du hattest deinen Spaß, Jack! Du kannst rauskommen. Ich habe schon durchschaut, dass du dahinter steckst.“ rief ich an den Mädchen vorbei in die leere Straße vor meinem Haus. Die ganze Geschichte wurde mir allmählich zu blöd.

Als sich jedoch keiner zeigte und die Gruppe vor meiner Tür kritische Blicke austauschten, breitete sich die Befürchtung in mir immer weiter aus, dass hinter ihren Worten tatsächlich ein funken Wahrheit steckte.

„Warum soll ich den bitte in Gefahr sein?“ fragte ich schließlich. Eigentlich wollte ich nicht weiter auf ihre Warnung eingehen. Es war schon schlimm genug, dass ich langsam daran glaubte. Dennoch hörte ich ihnen zu. Ich hatte das unbeschwerteste Leben auf Erden. Wer also wollte mir da an den Kragen?

„Egal, was wir dir jetzt sagen, Rayne, es ist die Wahrheit.“ sagte die erste. „Du wirst gleich Dinge hören, die total unglaubwürdig klingen, aber wir schwören, es ist…“

„Rück endlich mit der Sprache raus!“ unterbrach ich sie. Erst nervten sie mich mit irgendwelchen Späßen und redeten dann noch um den heißen Brei herum. Etwas, das ich überhaupt nicht ausstehen konnte.

Sie seufzte ergebend. „Rayne, wir sind hier, um dir zu sagen, dass du eine Fee bist.“

Ich konnte nicht anders als loszulachen. Sie hatte tatsächlich Recht. Es klang unglaubwürdig. Für diese Mädchen schien das jedoch bitterer Ernst zu sein, denn keine stimmte in mein Lachen mit ein. Stattdessen tauschten sie untereinander verzweifelte Blicke aus. Mein Lachen erstarb.

„Was soll der Quatsch? Ihr wollt mir allen ernstes weismachen, ich sei eine Figur der Fantasie?“ ich lehnte am Türrahmen, als sich die Mädchen mit ihren Augen wieder mir zuwandten. „Falls es euch entgangen sein sollte, ich bin ein Mensch. Ich bin real, ebenso wie mein Zorn. Wenn ihr den nicht auf euch ziehen wollt, verschwindet ihr jetzt besser.“

„Das ist kein Quatsch!“ ein weiteres der sechs Mädchen trat nach vorne. Ihr Haar war hüftlang und pechschwarz wie meines und ihre Augen strahlten in einem hellen Braun, das doch sehr beruhigend auf mich wirkte. „Es ist die Wahrheit, du bist eine Fee mit mächtigen Fähigkeiten, die sich andere gerne zu nutze machen wollen. Deshalb sind wir hier. Es wurde uns die Aufgabe zugetragen, dich davor zu schützen.“

„Und abgesehen davon?“ mein Interesse hielt sich deutlich in Grenzen. Diese Mädchen schienen ziemlich von sich selbst überzeugt zu sein. „Ihr solltet jetzt besser gehen, bevor mir der Geduldsfaden reißt.“

Noch bevor ich die Tür geschlossen hatte, rief das blonde Mädchen: “Wir können es beweisen!“

Normalerweise hätte ich die Tür trotzdem geschlossen, aber der kleine Teil in mir, der sich Neugier nannte, war mit einem schlag wachgerüttelt und übernahm ohne weiteres meinen Kopf. Da war ich wirklich mal gespannt, wie sie diesen ganzen Stuss beweisen wollten. Also öffnete ich ihnen die Tür wieder und sah sie auffordernd an. „Ihr habt drei Minuten um mich zu überzeugen.“

Blondie grinste breit, schnappte sich ihre schwarzhaarige Freundin und zog sie mit sich auf die Veranda. Ganz automatisch machten die anderen Mädchen platz und deckten mir so die Sicht auf die beiden auf.

Sie schloss die Augen, schien sich fest zu konzentrieren, bevor sie die Hand hob und nach vorne ausstreckte. Es dauerte keine zwei Sekunden, da trug ihre Freundin etwas komplett anderes am Körper. Anstelle ihres weißen Sommerrocks und dem niedlichen, apfelgrünen Tangtops und dem Schmetterling aus Pailletten darauf, trug sie nun ein schwarzes Cocktailkleid, mit einer weißen, perfekt sitzenden Schleife um den Bauch. Eines musste man Blondie lassen: Geschmack hatte sie!

„Das beweißt noch gar nichts.“ warf ich ein. Das konnte auch genauso gut einer dieser Taschenspielertricks sein, wie man sie bei diesen Magiern im Fernseher sah.

„Und wie es etwas beweist!“ warf eines der anderen Mädchen ein. Sie hatte kurzes, türkisblaues Haar, welches ihr vielleicht gerade bis ans Kinn reichte. Zudem wirkte sie auf mich, mehr wie eine Figur aus einem Zeichentrickfilm. „Sie hat gerade vor deinen Augen ihre Kleidung gewechselt, ohne sie anzufassen.“

„Alles eine Frage der Irreführung. Mir beweist das noch lange nichts.“ erwiderte ich stur. „Wenn ihr mich jetzt bitte entschuldigen würdet, eure drei Minuten sind um und ich habe noch was zu tun. Also, wenn ihr jetzt bitte gehen würdet, wäre ich euch sehr dankbar.“

Das erste Mädchen wirkte deutlich gekränkter, als die anderen fünf. Sie tat mir fast schon leid, als sie sich von der Veranda auf die Straße bewegte. Sie sprachen auch nicht miteinander, bis sie schließlich aus meinem Blickfeld verschwunden waren. Die Tür fiel hinter mir ins Schloss, als ich mich in die Küche bewegte und dabei meine Hosentaschen abtastete. Mist, ich hatte mein Handy in meinem Zimmer liegen gelassen anstatt es mit zu nehmen.

Ich hatte ja schon einiges erlebt, aber das war bisher der größte Knaller gewesen. Als ob das möglich war. Wobei ihr kleiner Trick täuschend echt wirkte. Aber das tat er auch im Fernseher, also konnte mich das nicht umhauen.

Ich schüttelte die Gedanken an die Mädchen ab, öffnete den Kühlschrank und nahm mir einen Beutel mit Orangensaft heraus. Ein Glas brauchte ich nicht. Wäre nur unnötiges Geschirr zum spülen gewesen. Nachdem ich mir einen kräftigen Schluck gegönnt hatte, stellte ich die Packung wieder zurück auf seinen Platz, wobei mir diese seltsamen Mädchen nicht aus dem Kopf gingen wollten. Es verwirrte mich doch sehr, dass sie wussten, wo ich wohnte und wie mein Name war. Mist, mir war völlig entgangen, sie danach zu fragen. Wobei, wenn man so ein paar Seiten im Internet durchforstete und sich dabei sogar ein bisschen Mühe gab, würde man bestimmt einen Volltreffer landen.

Zudem wäre es echt praktisch, diesen Trick zu beherrschen. So müsste ich abends nicht in Unterwäsche in abgesperrte Schwimmbecken springen. Tatsächlich interessierte es mich ein kleines bisschen, ob es etwas wie Magie gab. Es wäre doch genial, wenn…

Verneinend schüttelte ich den Kopf, so heftig, dass ich fast Kopfschmerzen davon bekam. Red’ dir nicht so `nen Stuss ein, Rayne!

Mein Blick auf den Küchentisch, auf eine alte Blumenvase, die Mom einmal zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte und die… einfach nur zum kotzen aussah. Sie war knallbunt und gefleckt und noch dazu einfach nur kitschig. Die Farben passten überhaupt nicht zusammen. Vielleicht konnte ich ja doch…

Ruckartig nahm ich die Hand sofort wieder herunter, als ich mich selbst dabei ertappte, wie ich sie auf das hässliche Ding gerichtet hatte. Was sprach denn dagegen, es einfach mal zu probieren? Es passierte ja so oder so nichts, wovor hatte ich also angst?

Schließlich gab ich mich meiner Neugier hin und hob die Hand in Richtung der Vase. Ich machte es wie Blondie und schloss dabei die Augen, konzentrierte mich auf ein zartes Blau und dachte nur daran, die Farbe dieses… Dings zu ändern.

Neugier packte mich, ich öffnete erst ein Auge um zu sehen, ob sich etwas tat und…tatsächlich! Ich riss die Augen auf und konnte nur staunen, traute dem nicht, was ich gerade mit eigenen Augen sah.

Die Vase färbte sich von unten nach oben langsam ein, ließ die alten Farben unter ihrer Fassade verschwinden und zeigte nichts von seiner alten Maske. Das war der pure Wahnsinn! Dieser Haufen verrückter Mädchen hatte offensichtlich die Wahrheit gesagt. Aber wie konnte das möglich sein?

Fragen über Fragen schossen mir durch den Kopf, ließen mich über nichts anderes nachdenken, als darüber, was da gerade passierte und lenkten meine Konzentration nur noch darauf, was die Mädchen gesagt hatten. Was zum Teufel ging hier gerade vor sich?

Wie von der Spinne gebissen, riss ich die ausgestreckte von der Vase los und verschränkte dabei die Finger zu einer Faust, als mir das Ding plötzlich in Scherben um die Ohren flog. Schützend ging ich vor den fliegenden Stücken in Deckung. Na toll, jetzt hatte ich es auch noch, mit meinen neu gewonnenen Fähigkeiten, kaputt gemacht.

Das macht mich ja so was von traurig, dachte ich sarkastisch. Verdammt, aber wie war das möglich?

Schnell beseitigte ich die Scherben, bevor sich daran noch jemand verletzte. Falls Mom fragen würde, und das tat sie auf jeden Fall, würde ich einfach behaupten, gegen den Tisch gestoßen zu sein und dass ich so versehentlich die Vase kaputt gemacht hatte. Von meinen seltsamen Kräften würde ich ihr vorerst noch nichts erzählen.

Eilig rannte ich die Stufen zu meinem Zimmer hinauf. Ich war sonst nicht die Art von Mensch, der sich zu schnell zu arg in etwas hineinsteigerte, aber in diesem Fall war meine Neugier viel zu groß um sie zu missachten. In dem Fall musste ich mehr darüber herausfinden. Verdammt, Feen gab es nicht! Und ich konnte auch ganz bestimmt keine sein!

Ich startete meinen Computer und öffnete ohne groß Pause zumachen ein neues Internetfenster. Und das war’s auch schon. Meine Tastatur blieb unberührt, weil ich keine Ahnung hatte, wo ich anfangen sollte. Es verging eine ganze Weil in der ich regungslos vor meinem Computer saß und einfach nur auf den Bildschirm starrte. Was tat ich da eigentlich? Wollte ich gerade allen ernstes nachschlagen, ob es in dieser Welt wirklich Feen gab? Was war plötzlich in mich gefahren?

Ich ließ von meinem Computer ab, verdrängte all die Gedanken darüber in die hinterste und dunkelste Ecke meines Hirns und verschwendete nicht einen weiteren Atemzug daran.

Das war ein eindeutiger Streich von Jack! Er hatte es tatsächlich geschafft, dass ich mir über diesen Mist den Kopf zerbrach. Da war das letzte Wort noch nicht gesprochen.

Genervt griff ich nach meinem Handy, welches ich offensichtlich auf mein Bett geworfen hatte, und legte mich mit dem Rücken auf die selbe Stelle, auf der das kleine Bündel bestehend aus Technik gelegen hatte, um eine Rundnachricht an meine Freunde zu schreiben.

„20 Uhr am hinteren Eingang des Friedhofs.“ tippte ich. An Jack schickte ich noch eine ganz spezielle Nachricht hinterher mit den Worten: „Die Sache von heute Mittag bekommst du zurück.“

Seine Antwort folgte wenige Sekunden später: „Weiß nicht, wovon du redest, Wölkchen. Siehst du schon Gespenster?“

Nein, verdammt! So verrückt war ich nicht, fluchte ich innerlich. Ich wusste doch, was ich gesehen hatte. Und genau so wusste ich, dass da ein Trick hinter stecken musste. Anders konnte ich mir das nicht erklären.

Ich schrieb ihm zurück, dass ich später mit ihm darüber sprechen würde, worauf jedoch keine Antwort zurückkam.

Den Rest des Tages brachte ich irgendwie damit rum, mit dem Handy hin und her zuschreiben, nebenbei ein Stück in meinem Buch zu lesen (mehr schmächtig als mächtig), und mich über Jacks unlustigen Streich zu ärgern. Warum ich glaubte, dass er dahinter steckte? Weil er der Einzige war, der für dieses ganze Chaos in Frage kam.

Als endlich der Abend anbrach und ich nur noch eine gute Stunde hatte, bis ich mich mit meinen Freunden traf, machte ich mich so früh wie möglich auf den Weg, um ja nicht zu spät zu kommen. Unpünktlichkeit war eine Sache, die ich auf den Tod nicht ausstehen konnte.

Ich stopfte meine Wertsachen in meine Hosentasche, schloss meine Zimmertür hinter mir, bevor ich den Flur betreten hatte und sprang förmlich die Stufen hinunter. Ich nahm immer zwei Stufen auf einmal, etwas dass ich wiederum gerne machte. Meinen Schlüssel nahm ich aus dem kleinen Schälchen auf der Kommode, bevor ich in Richtung Tür lief.

„Schatz, willst du denn nichts zu Abend essen?“ Mom streckte den Kopf zur Küchentür heraus und sah mich dabei mit einem leicht bedrückten Blick an.

Ich sah zu ihr hinüber und lächelte: „Hebst du mir etwas auf? Ich esse, wenn ich wieder zu Hause bin.“ Sie lächelte ebenfalls, nickte kurz und ließ mich schließlich meiner Wege gehen.
 

Ich musste mich irgendwie in der Zeit vertan haben, denn als ich am Friedhof ankam, war ich eine gute halbe Stunde zu früh dran. Das machte jedoch nichts, ich war lieber zu früh als zu spät.

Was auch keiner meiner Freunde wusste, war dass ich mich von verlassenen und dunklen Orten magisch angezogen fühlte. Orte, an denen ich alleine sein konnte und die ruhig waren, waren mir am liebsten. Ich konnte über vieles ungestört nachdenken, ohne dass mir irgendwer auf die Nerven fiel. Ich war für mich, war alleine, wie ich mich täglich fühlte. Natürlich liebte ich die Menschen, die mir zur Seite standen und die mich unterstützten. Dennoch gab es Momente, in denen ich gut ohne sie konnte. Ruhe war für mich ein Lichtblick, was jedoch nicht jeder verstehen konnte.

Ich wartete nicht lange, also schrieb ich Jeremy eine Nachricht, in der stand, dass ich drinnen am „Treffpunkt“ (ein großer, alter Kastanienbaum) wartete, kletterte dann über den abgesperrten Zaun und schlenderte schließlich zum vereinbarten Treffpunkt. Es brauchte nicht lange, als ich da war, mich davor saß und einfach wartete.

Ich wollte meinen Füßen einen Moment der Ruhe gönnen, eine Pause machen und einfach entspannen, doch mein Körper sagte, dass ich mich bewegen sollte. Still sitzen war nicht das, was ich eigentlich sollte, das begriff ich gleich. Also erhob ich mich wieder, schob die Hände in die Tasche und spazierte an den dunklen Grabsteinen vorbei, die im Schatten lagen, tonlos und bedrohlich.

Was mich immer wieder hier her zog, war der seltsame Gedanke, dass ich schon bald hier bei den anderen liegen würde. Tot, völlig leblos in einer hölzernen Schale tief unter der Erde. Sicher, jeder wird einmal sein Ende finden und auf einem Grundstück wie diesem seinen Frieden finden. Mich ließ nur dieses seltsame Gefühl nicht los, dass mein Ende früher kommen würde, als ich eigentlich leben sollte.

Als ein knacken meine Aufmerksamkeit weckte, beschleunigte ich meine Schritte. Ich traute mich nicht, mich umzusehen, oder loszurennen. Wenn mir jemand folgte, würde ich mich sicher nicht kampflos geschlagen geben, soviel war sicher. Wovor hatte ich dann Angst? Als ich wieder langsamer ging, ertönte ein weiteres, knackendes Geräusch, als wenn jemand auf einen Ast treten würde.

>Beruhige dich, Rayne<, sagte ich im Stillen zu mir selbst, >Muss ja nicht heißen, dass du nicht alleine hier bist. Das kannst auch du selbst gewesen sein.< Ich senkte den Blick und entdeckte nichts, dass irgendwelche Geräusche hätte machen können, als mir ein Gedanke kam, der mir eigentlich gleich hätte kommen sollen.

Sofort blieb ich stehen und drehte mich in die Nacht um. „Okay Leute, das ist wirklich nicht witzig.“ mein Echo hallte zu mir wieder, eine Antwort bekam ich keine. „Zeigt euch, ich weiß, dass ihr da seid.“ wieder keine Antwort, worauf sich ein nervöses Lächeln auf meinen Lippen zeigte. Langsam wurde mir das echt zu Blöd. Erst diese seltsamen Mädchen, die vor meiner Tür standen, dann die Sache mit der Blumenvase, die ich, wohl bemerkt, nur verschönert hatte und jetzt auch noch das! Was auch immer DAS war.

Ich verweilte noch einige Sekunden, sah mich ein letztes Mal auf dem Friedhof um, wobei ich jedoch nichts entdeckte und schnaubte frustriert. Vielleicht war es ja doch keine so gute Idee mir die Beine zu vertreten. Warum war ich nicht einfach still sitzen geblieben?

Dann passierte es! Gerade als ich mich umdrehen wollte, packten mich ein starker Arm, einer der mich fest umklammerte und mich dabei an eine harte Brust presste, und eine ebenso kräftige Hand, die mir ein dickes Tuch unter den Mund drückte. Ich riss die Arme hoch, klammerte mich an das Handgelenk, das mir fast die Luft raubte und zappelte wie wild. Ich versuchte zu schreien, bekam jedoch nur ein kaum hörbares >Hm hm!< zustande.

Der Fremde, der mich nicht gehen lassen wollte, versuchte mich nach hinten zu zerren. Ich machte mich schwer, wollte nicht zulassen, dass er mich mitnahm, wo auch immer er mit mir hin wollte und versuchte mich von ihm loszureißen. Ich krallte meine Nägel in seine Hand, wovon er nicht mal zuckte, versuchte ihn zu kratzen, als ich merkte, wie meine Füße unter mir nachgaben.

„Hör zu“ zischte der Fremde mit dunkler, rauer Stimme in mein Ohr, wovon mir ein kalter Schauer über den Rücken lief. „Tu einfach, was ich sage, dann passiert dir auch nichts, verstanden?“

Ich wollte mich weiter währen, wollte gegen den Kerl ankämpfen, schaffte es aber nicht. Mein Kopf war wie vernebelt, als hätte man mir die Sehkraft geraubt, mein Körper erschlaffte in seinem viel zu starken Griff, mir wurde ganz mulmig. Was war plötzlich los mit mir? Ich konnte mich nicht mehr bewegen, konnte nicht mehr klar sehen, konnte nicht mehr…

Meine Lider wurden schwer, um mich herum wurde es schwarz. Völlige Finsternis umgab mich, als ich merkte, wie mein Körper in die Höhe gehoben wurde. Hatte er mich vergiftet?

Weit, weit in der Ferne hörte ich eine Stimme, verstand aber nicht was sie sagte. War das vielleicht das Ende, worüber ich erst kürzlich nachgedacht hatte? Hatten die seltsamen Mädchen am Ende doch recht gehabt? Aber warum wollten sie mich deshalb?

Fragen rasten mir durch den Kopf. Viel zu viele um auf alle eine Antwort zu bekommen. Schließlich setzte mein Verstand komplett aus, als ich in eisiger Kälte wegdriftete…

Eine neue Welt

Kapitel 2: Eine neue Welt
 

„Rayne, Kind. Wach auf.“ die Stimme eines Fremden drang aus der Ferne an meine Ohren. Ich verstand ihn klar und deutlich, konnte aber nicht sagen, dass ich diese Person kannte, die zu mir sprach. Ein Nebelschleier lag auf meinen Augen, als ich endlich wieder zu Bewusstsein kam, scharfer Schmerz durchzuckte meinen Körper, als ich mich aufzurichten versuchte. „Rayne, kannst du mich hören?“ eine dumpfe, raue Stimme erklang aus der Ferne, erreichte mein Gehör kaum hörbar. Zuerst glaubte ich, es sei die Stimme meines Vaters gewesen.

Doch im Nachhinein merkte ich, dass es gar nicht möglich sein konnte. Da sprach jemand anderes. Mein Vater hatte eine klare, etwas helle Stimme. Wer also war das?

Ich versuchte die Augen zu öffnen, doch scharfer Schmerz zuckte durch meinen Kopf, als würde etwas darin explodieren. Ein leises Stöhnen entfuhr mir und ich wollte mir die Hände an die Stirn legen, scheiterte jedoch an dem Versuch. Mein rechtes Handgelenk war nach oben gelegt und hing schlapp an einer Kette. Das kalte Metall klebte an meiner Haut, behielt mich fest im Griff und ließ dabei kein bisschen locker. Meide Lider waren schwer wie Blei, als ich die Augen endlich öffnen konnte. Ich blinzelte ein paar Mal, bis meine Sicht endlich klarer wurde.

Ich befand mich in einem dunklen Keller, vor mir erstreckten sich lange Metallstangen in die Höhe. Ein modriger Gestank hing in der Luft, als wäre erst kürzlich etwas gestorben.

Als ich den Kopf schließlich anhob und in die Gesichter meiner Entführer sah, wurde mir ganz anders.

Nahe den Gitterstäben stand ein älterer Mann, mit langem, grauschwarzem Haar, das ihm bis unter die Kniekehle reichte. Deutlich länger als meins, stellte ich sofort fest. Sein Blick war finster und unheimlich und erinnerte sehr stark an Captain Hook, aus Peter Pan, nur ohne den Piratenlook. Er hatte ein Grinsen auf den Lippen, das mir überhaupt nicht gefiel, genau wie Hook.

Hinter ihm stand ein noch recht junger Mann, der mit verschränkten Armen an der feuchten Kellerwand lehnte und gelangweilt zu mir herüber sah. Seine blauen Augen schienen im fahlen Licht des Kellergewölbes zu funkeln und sein Blick schien mich zu fesseln, als würde er sich überlegen mich zu fressen oder nicht.

Ich hatte diese beiden noch nie zuvor gesehen, je mehr erschreckte es mich, dass der Captain-Hook-Typ meinen Namen kannte.

„Gut, du bist wach.“ grinsend lief Hook (Mir egal wie der Typ heißt, ich nenne ihn jetzt einfach so!), vor meiner Zelle auf und ab. Tatsächlich klang er sogar ein bisschen wie er. Fehlten eigentlich nur noch die Hackenhand und das Outfit. „Ich will ja nicht, dass du etwas von dem verpasst, das ich für dich geplant habe.“

„Tut mir leid, ich steh’ nicht so auf Überraschungspartys.“ erwiderte ich und versuchte mich aus der Kette zu befreien, die mir das Blut im Arm abschnürte. Mir wurde das langsam alles zu blöd, zumal ich keine Ahnung hatte, was dieser Typ in seinem kranken Kopf für Pläne geschmiedet hatte. „Ihr habt euren Spaß gehabt, könnt ihr mich jetzt endlich gehen lassen?“

„Schade, sie währt sich gar nicht.“ er ignorierte meinen Kommentar, richtete schließlich das Wort an den Kerl hinter ihm und schenkte meiner Wenigkeit keine weitere Beachtung mehr. „Kümmern wir uns um die Dinge, die wirklich wichtig sind.“ Hook winkte den Jungen zu, ihm zu folgen, bevor er den Keller verlassen hatte. Wortlos ließ er Hook vorausgehen, wartete noch einen Moment, bis er schließlich außer hörweite war und blieb vor meiner Zelle stehen. Es herrschte langes Schweigen, in dem mich mein Entführer gut fünf Minuten lang nur anstarrte und ich seinem Blick standhielt.

Schließlich sagte er tonlos: „Halt die Augen offen.“ Und mit diesen Worten verschwand er und ließ mich alleine zurück.
 

Der schwache Schein des Mondlichts fiel durch das schmale Fenster meiner Zelle, kalter Wind umfing meinen Körper, der mich erzittern ließ und der den muffigen Gestank von Schimmel und Fäulnis in die Luft wirbelte. Ich musste mich zusammen nehmen, nicht zu würgen oder gar mich zu übergeben.

Wie lange ich mich hier aufhielt, wusste ich nicht. Es fühlte sich an, wie eine Ewigkeit, mein Körper aber sagte mir, dass es gut schon zwei oder drei Stunden waren. Wie lange genau ich hier festsaß, wusste ich allerdings nicht.

Ich fühlte mich schwach, wollte einfach nur hier heraus und zurück nach Hause, wo meine Familie und meine Freunde waren. Jedoch war ich mir schon ziemlich sicher, in diesem Loch mein Ende zu finden. Ich war niemand, der sofort aufgab, auf einen Kampf hatte ich allerdings genauso wenig Lust.

Für einen kurzen Moment, schloss ich die Augen und versuchte mir vorzustellen, was meine Freunde wohl in diesem Augenblick taten:

Womöglich führten sie Beth gerade über den dunkelsten Teil des Friedhofes, wo Jack schon irgendwo in einer Ecke darauf wartete, sie zu erschrecken. Wie sie panisch zu kreischen anfing und alle darüber lachten. Wie Jack wieder einmal versuchte, sie zu “trösten“ und sich auf dümmste Art und Weise versuchte, an sie heran zuwerfen. Und wie wir dann gemeinsam unseren Weg ins “Exodus“ aufsuchten, um zu feiern und zu tanzen, bis die Sonne aufging. Wir würden den Rest der Welt um uns herum vergessen und die Nacht hinter uns lassen. Über Schlaf würden wir nicht nachdenken. Die Welt würde unser Spielplatz ohne Regeln sein.

Tatsächlich zauberte mir dieser Gedanke ein Lächeln in mein Gesicht. Ein Gedanke, der mich ein wenig erheiterte und mich meine aktuelle Situation für einen kurzen Augenblick vergessen ließ. So gerne wäre ich wieder zu Hause…

„Und doch lächelst du…“ eine tiefe, dunkle Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Erst jetzt öffnete ich die Augen wieder, wo ich vor dem Gitter meiner Zelle meinen Entführer erblickte. Er stand da, völlig lässig, als hätte er die Fäden in den Händen, die meinen Körper lenkten. „Dir ist doch hoffentlich bewusst, in welcher Lage du dich befindest? Bemerkenswert, dass du nach allem noch Lachen kannst“

„Danke, wäre mir fast entfallen.“ erwiderte ich sarkastisch. Ich rührte mich nicht von meinem Platz weg, sah ihn einfach nur an und wartete auf eine Reaktion seinerseits. Als jedoch nach kurzer Zeit nichts zurückkam, setze ich erneut an: „Ich halte nicht viel von alldem hier. Zudem kann ich sehr gut für mich selbst sorgen. So Ernst kann “Die Lage“, wie du es so schön nennst, gar nicht sein. Ich habe vor gar nichts Angst.“

Tatsache war, dass tief in mir eine Stimme laut los schreien wollte. In Wirklichkeit hatte ich Panik vor dem, was mich erwartete. Etwas, dass ich niemals eingestehen, geschweige denn laut aussprechen würde. Ich würde mich nicht von meiner Angst besiegen lassen.

„Von Angst kann man da wohl eher nicht reden.“ er bewegte sich ein Stück zur Seite und schob dabei seine Hand in die Hosentasche, wo er einen kleinen Schlüsselbund heraus zog. „Nennen wir es eher, das Ende deiner Existenz.“

Das machte es auch deutlich besser, dachte ich mir, verkiff mir jedoch, meinen Sarkasmus laut auszusprechen. Er schob einen Schlüssel ins Schloss, entriegelte die Tür und schob diese mit einem lauten knarren auf. Dann trat er einen Schritt nach vorne und bewegte sich ein Stück in meine Zelle, was mich hochschrecken ließ. Mit einem Mal stand ich kerzengrade an der Wand und verdrehte mir dabei fast den Arm, der noch immer angekettet war. Ein kalter Stich zog mir durch die Schulter.

„Was hast du vor?“ mit leichtem Nachdruck in der Stimme versuchte ich die aufsteigende Panik zu vertuschen, als er mir mit einem Mal gegenüber stand.

Er packte wortlos meinen angebundenen Arm und löste ihn aus der Kette. Ich hatte nicht mal die Zeit, mein schmerzendes Gelenk zu begutachten, da packte er mich erneut, zog mich hinter sich aus der Zelle heraus und schleppe mich die Treppe hinauf aus dem Keller heraus. Wortlos lief ich schließlich mit ihm. Mir blieb ja auch keine andere Wahl. Protestieren hätte ja eh nichts gebracht. Wozu auch?

Wir waren eine ganze Weile in dunklen Gängen unterwegs, bis wir schließlich durch ein großes, metallenes Tor nach draußen traten. Still führte er mich über den kalten Hof, Regen prasselte auf uns nieder und ließ uns Teil der Gegend werden. Auf der anderen Seite des Hofes schließlich angekommen, zerrte er mich durch dickes Geäst und einige Dornenbüsche. Vom Regen durchgeweicht und von der Natur zerkratzt, ließ er mich schließlich los.

Wir befanden uns am Rande eines Waldes, mitten im Nirgendwo. Am liebsten hätte ich ihn gefragt, was dieser ganze Mist zu bedeuten hatte, ließ das jedoch schnell sein und sah noch mal zurück, wovon wir gekommen sind.

Überrascht stellte ich fest, dass wir auf der anderen Seite einer meterhohen Steinmauer standen, die mit Efeuranken bestückt war. Mitten in der Wand, war ein Loch, grade so groß, dass ein durchschnittlich großer Mensch hindurchpasste, die von dem Busch versteckt wurde, durch den wir gegangen waren.

Als ich mich zu meinem Entführer umdrehte, um ihn zu fragen, was das ganze zu bedeuten hatte, stand er plötzlich vor mir, nahe genug, um seinen Atem spüren zu können.

Er hatte meine Hand nicht losgelassen, seit wir stehen geblieben waren. Stattdessen führte er sie an seine weichen Lippen, küsste diese mit großer Vorsicht und ließ sie schließlich wieder sinken.

Sekunden später machte sich in meinem Kopf Verwirrung breit. Da war doch irgendwas faul? War ich Opfer von einem Team mit versteckter Kamera geworden?

„Was zum…“ mehr brachte ich nicht heraus, denn der Fremde war mir plötzlich so nahe, dass ich sein Atem auf meiner Haut spüren konnte. Mein Herz machte einen Sprung, Gänsehaut kribbelte über meinen Körper, als sein heißer Atem meine Wange streifte.

„Lauf so weit du kannst,“ hauchte er mir ins Ohr. „Bleib nicht stehen und gehe immer gerade aus. Du wirst wissen, wenn du Richtig bist.“

Falscher Film!, schrie eine Stimme in meinem Kopf, so laut, dass ich es fast selbst aussprach. Als ich jedoch seinen Blick suchte und auf tiefe, blaue Augen traf, die mich hypnotisierend festnagelten, verwarf ich den Gedanken schnell wieder.

Es dauerte eine ganze Weile, bis ich meine Sprache wieder fand. Als ich dann den Mund öffnete, brachte ich kein Wort heraus. Das war nicht Ich. So war Ich nicht. Wann fiel es mir mal schwer, zu sagen, was ich dachte? Ich verstand mich selbst nicht mehr.

„Wieso hilfst du mir?“ brachte ich heraus, nachdem ich mir selbst einen Ruck gab.

Mit seiner Reaktion hatte ich allerdings nicht gerechnet. Er hob mein Kinn mit zwei Fingern an und sah mir mit einem schiefen Lächeln tief in die Augen. „Ich habe eine Schwäche für Feen. Vor allem, wenn ihre Augen so himmlisch schimmern, wie es deine tun.“ erwiderte er. Zuerst glaubte ich, mich deutlich verhört zu haben. Wieder jemand, der behauptete, dass ich ein Wesen seiner Fantasie sei. Hörte das denn nie auf?

Mir wurden diese ganzen Märchengeschichten eindeutig zu blöd. Da glaubte einer, er könnte sich einen Spaß erlauben und plötzlich fangen alle damit an, als wäre es so lustig jemandem ein und denselben Streich zu spielen.

Er bewegte sich ein paar Schritte zurück, bevor er weiter sprach. Dass er Abstand von mir hielt, ließ mich erleichtert aufatmen, wenn auch nur innerlich.

„Geh jetzt! Renn so lange du kannst, bevor er herausfindet, dass du weg bist.“ mit diesen Worten bewegte er sich den Weg zurück, den wir gekommen waren. Ich wartete noch, bis ich alleine war. Vielleicht hoffte ich noch immer, dass er zurückkommen würde, um mir zusagen, dass die ganze Sache, die sich eben noch abgespielt hatte, ein einziger Scherz gewesen sei. Als der Regen schließlich nach einer halben Ewigkeit des Wartens nachließ, bewegte ich mich mit gemischten Gefühlen in den Wald hinein.

Gedankenverloren lief ich still voran. Was auch immer dieser Kerl vorhatte, er hatte es geschafft, mich komplett aus der Fassung zu bringen. Zumal ich immer noch nicht, begriff, warum er mich erst hier her gebracht und dann wieder frei gelassen hatte. Was machte das überhaupt für einen Sinn?

Drohende Gewitterwolken zogen am Himmel auf und krachten über mir aneinander. In der Ferne konnte ich einen Blitz sehen, der auf etwas Festes einschlug.

Meiner Meinung nach, war das ein deutliches Zeichen, die Beine in die Hand zu nehmen und so schnell wie möglich aus diesem Wald heraus zukommen.
 

Hatte ich je erwähnt, dass ich einen verdammt schlechten Orientierungssinn besaß? Trotz der deutlichen Wegbeschreibung die ich bekommen hatte, die im Grunde genommen nur darin bestand, geradeaus zu gehen, hatte ich es trotzdem geschafft, mich mit Ach und Krach zu verlaufen.

Der Wald vor mir schien immer länger und die Kiefern und Tannen um mich herum wurden immer dichter. Ich blieb einen kleinen Moment stehen, stützte mich mit den Händen an den Knien ab und versuchte keuchend wieder zu Atem zu kommen. Wie weit war ich nur gerannt? Zum Teufel, wo war ich hier überhaupt?

Mit schwerem Atem sah ich auf. Die Natur hatte mich umringt. So wie mein Blick zurückfiel, erstreckte sich nichts als Wald und auch zu meiner linken und rechten wurde es keinen deut besser. Zu allem Übel konnte ich nicht einmal mehr sagen, aus welcher Richtung ich überhaupt gekommen war.

Ich drehte mich ein paar Mal um mich selbst, in der Hoffnung, etwas zu erkennen, das mir zeigte, wo es langgehen konnte. Als die Erkenntnis eintrat, dass alles gleich aussah, rappelte ich mich auf und eilte in eine, mir unbekannte Richtung. Mir war bewusst, dass es gut möglich war, dass ich den ganzen Weg wieder zurück rennen würde, den ich eben noch hinter mich gelegt hatte. Ich wollte einfach nur aus diesem verfluchten Wald heraus! Ob das nun der Richtige Weg war oder nicht, war mir völlig gleichgültig.

Dürre Äste schienen nach mir zu greifen, als ich mit einem Affenzahn an ihnen vorbei raste. Peitschend schlugen Geäst und Sträucher an mir vorbei, während ich mir schützend die Hände vor das Gesicht hielt und fast blind voran schritt.

Als mich plötzlich etwas von hinten packte und mich somit zurück riss, wurde mir mit einem Mal entsetzlich schlecht, in meinem Hals hatte sich ein kürbisgroßer Kloß gebildet und war mir wie Galle die Lunge hinauf gekrochen. Wer auch immer mich erwischt hatte, war mein eindeutiges Ende!

Ich fiel nach hinten, landete keuchend auf dem Boden zwischen Laub und Erde und rührte mich kein Stück. Wurzeln bohrten sich in mein schmerzendes Rückgrad, kratzten an meiner Haut, wie Katzen an einem Kratzbaum. Den Blick starr gen Himmel gerichtet, ließ ich mich von der Natur verschlingen.

Ich wartete lange darauf, dass sich mein Angreifer zeigen würde. Als mich meine Kraft schließlich ganz verließ, ließ auch ich meine schweren Augenlider zufallen, in der Hoffnung, dass ich wieder Zuhause in meinem Bett erwachte.
 

Kalte Tropfen streiften meine Haut. Mein Rücken schmerzte noch immer und fühlte sich feucht und glitschig an, als ich blinzelnd versuchte, die Augen zu öffnen. Ich lag noch immer an Ort und Stelle, mitten im Dreck, der Himmel wurde bereits von der Nacht eingeholt und kalter Regen prasselte auf mich nieder.

Ich wollte mich nicht bewegen, konnte mich kaum rühren, wollte nicht gegen den Schmerz und die aufsteigende, durchdringende Kälte ankämpfen, die mich umgab.

So würde es also mit mir zu Ende gehen: Ich würde auf dem Boden liegen bleiben und darauf warten, bis die Würmer und Insekten meinen Körper bei lebendigem Laib zerfraßen und der Regen meine Überreste weggespült hatte. Keiner würde mich je finden, ich war in einer fremden Welt gefangen, wo mich keine Menschenseele kannte. Also würde auch keiner je nach mir suchen.

Ich seufzte tief, die Augen fest geschlossen, um den Regen wenigstens auf die Art abzuwähren, als mich plötzlich etwas packte.

Als ich die Augen aufriss, waren sie von Tropfen vernebelt. Ich erkannte nicht, wer mich auf die Arme genommen hatte und mich davon trug. Deutlich an der Brustmuskulatur war zu spüren, dass es sich hier auf jeden Fall um einen Mann handelte, der auch noch verdammt kalt war. Oder war ich das?

„Du bist, wohl bemerkt, der schlechteste Zuhörer, den ich je hatte.“ ich erkannte die tiefe Stimme, schaffte es jedoch nicht, dem Kerl ins Gesicht zu schauen. Stetig fiel mir der Regen in kalten, dicken Tropfen ins Gesicht und nahm mir weiterhin die Sicht auf meinen Entführer. „Wenn es heißt „Nur gerade aus“, dann geht es nur in eine Richtung. Hast du eine Ahnung, wie lange es gedauert hat, dich in dem Chaos zu finden?“

„Keine Ahnung!“ erwiderte ich stur. Es nervte mich tierisch ab, so blind und wehrlos zu sein. Vor allem, weil ich den Kerl nicht kannte, der mich eben “gerettet“ hatte. „Ist mir auch egal. Hättest du mich nicht einfach liegen lassen können? Dann wäre ich wenigstens in Ruhe gestorben, problemlos und schmerzfrei.“ Na ja, schmerzfrei traf es da nicht ganz. Die Wurzeln, die sich in mein Kreuz gebohrt hatten, ließen mich noch immer spüren, dass sie da waren und auch die Kratzer, die sie hinterlassen hatten, glühten regelrecht auf meiner Haut.

Ich konnte nur hören, wie er leise auflachte, sein Gesicht konnte ich noch immer nicht erkennen. „So schnell stirbt es sich nicht, Rayne.“ entgegnete er belustigt. „Es wundert mich jedoch: Nach allem, was ich über dich weiß, hätte ich nicht geglaubt, dass du jemand bist, der so schnell aufgibt.“

Mit viel Mühe, schmerzenden Gliedern und kaum durchlaufendem Blut im Körper, schaffte ich es die Arme zu heben, die schwer wie Blei waren und rieb mir vorsichtig das Wasser aus den Augen. Endlich wurde meine Sicht klarer und ich schaffte es ihn anzusehen, bis sich meine Augen schließlich an die Dunkelheit der Nacht gewohnt hatten. Seine Umrisse wurden schärfer, schließlich erkannte ich ihn klar und deutlich. Seine blauen Augen schimmerten im Licht der Sterne.

„Warte mal: Was weißt du den von mir?“ skeptisch sah ich meinen Entführer an, der den Blick starr auf den Weg gerichtet hatte, den er mich entlang trug.

„Genug, auf jeden Fall.“ sagte er matt, ohne auch nur eine Sekunde über meine Frage oder eine sinnvolle Antwort nach zudenken.

„Okay.“ erwiderte ich gedehnt. „Und wieso hilfst du mir?“

„Hab meine Gründe.“ antwortete er knapp.

„Die da wären?“ dieses Spiel konnte ich genauso gut spielen!

„Finde es selbst raus.“

„Soll das ein Scherz sein?“

„Aber keines Wegs.“

Genervt seufzte ich, als er mich plötzlich absetzte. Meine Beine fühlten sich an wie Wackelpudding. Als ich vor ihm zusammen sackte, reagierte er so blitzschnell, dass ich es nicht mal kommen sah, als er mich an den Armen packte und mich auf die Beine zog.

Ich hatte kaum die Kraft mich aufrecht zu halten. Wenn er nicht wäre, würde ich jetzt für die nächste Zeit weiterhin im Dreck liegen. (Nein, ich würde nicht daran denken, von selbst aufzustehen!)

„Bemühe dich doch wenigstens ein bisschen, Rayne.“ seufzte er. „Ich kann nicht ewig auf dich aufpassen.“ Er löste zaghaft seinen Griff um meinen Arm, versicherte sich dann, dass ich mich auch wirklich auf den Beinen halten konnte und machte schließlich einen kleinen Schritt zurück.

„Wer sagt, dass ich deine Hilfe will?“ auch ich entfernte mich jetzt ein Stück von ihm. Er war mir für meinen Geschmack ein Stück zu nah gekommen. „Ich weiß nicht mal, wer du bist! Was auch immer du von mir willst, oder wer auch immer dich beauftragt hat, zu tun, was du eben tust, soll sich endlich erkenntlich zeigen.“ ich hatte die Spielchen deutlich satt, die man mit mir spielte, was man meinem Ton deutlich anhören konnte. „Ich habe es jetzt verstanden. Ihr habt mich lange genug an der Nase herumgeführt.“

Mit hochgezogenen Augenbrauen sah er mich schließlich an, als wäre ich von einem anderen Stern. Meine Worte schienen ihn gar nicht zu erreichen. “Habe ich dich richtig verstanden? Du glaubst, dass das alles hier ein Spielchen ist?“ fragte er ungläubig, dann lachte er. „Wenn ich fragen darf, was glaubst du denn, wird hier gespielt?“

Zuerst war ich mir sicher, was ich zu ihm sagen sollte. Er schien mir von der ersten Sekunde nicht zu glauben. Würde er dann auch meiner Theorie glauben schenken?

Schließlich versuchte ich es doch mit der kalten Wahrheit. „Irgendwer in diesem kranken Universum findet es urkomisch, mich an der Nase herumzuführen. Irgendwer mit Kameras und einem stumpfsinnigen Humor und… wieso lachst du?“

Mein Gegenüber war in meiner Erzählung in schallendes Gelächter ausgebrochen. Eine Reaktion, mit der ich eigentlich hätte rechnen müssen, sie aber dich nicht kommen sah und die mich deutlicher traf als angenommen. Er wischte sich mit den Fingern eine Träne aus den Augen, die aufgestiegen war, als er sich auf meine Kosten amüsiert hatte.

„Du glaubst also, dass du von einem Team mit versteckten Kameras verfolgt wirst, richtig?“ er richtete sich auf und bewegte sich schließlich wieder auf mich zu. Im vorbeigehen ergriff er meine Hand und führte mich hinter sich her, weiter hinein in den Wald, in den ich gerannt war. „Ich will dir mal was sagen, Rayne: da wo du herkommst, könntest du vielleicht tatsächlich recht haben mit deiner Vermutung.“ fuhr er fort ohne mich auch nur einmal anzusehen. „Aber hier bist du in meiner Welt und da wo ich herkomme, nennt man das schlicht und einfach „Eine blühende Fantasie“. Und die hast du offensichtlich.“

Er zog mich vorbei an hohen Tannen und Fichten. Das Gefühl, sie würden nach mir greifen, ließ deutlich nach. Stattdessen hätte man denken können, die verschiedenen Äste hätten größten Respekt vor dem Fremden, der mich führte. Sie wirkten, als würden sie ihm mit großer Angst aus dem Weg gehen, wie ein Streber, der einer Gruppe von Schlägertypen aus dem Weg gehen würde.

Nach einer Weile, kamen wir auf einer kleinen Lichtung an, die in der Mitte von einem Brunnen aus weißem Marmor geschmückt war. In dem Brunnen selbst, stand einen Fee aus Stein, die die Arme breit ausgestreckt hatte und der das Wasser über die Hände floss. Sie wirkte so echt, dass der Stein wie eine bemalte Hülle erschien und die Strahlen der Sonne wie ein Scheinwerfer, der sie erhellte, wie eine Schauspielerin, auf einer großen Bühne. Alle Augen waren auf sie gerichtet und alles wartet gespannt, auf die ersten Worte, die das Stück eröffneten.

Er löste seine Hand von meiner und ich bewegte mich langsam von Staunen ergriffen auf die Fee, vor mir, zu. Der Fremde ließ mich an sich vorbeigehen, machte nicht mal Anstalten, mich zurück zuhalten und folgte mir kurz darauf, als ich schon die Hälfte der Lichtung hinter mir gelassen hatte.

„Willkommen in Magia. Dem Zentrum allem magischen Ursprungs.“ seine Worte gleichten einem Flüstern, als er neben mir stehen blieb und sein Blick gen Statue richtete. „Der Grund, warum du bist, wie du bist. Warum wir in dieser Welt existieren.“ seine Hand legte sich in meine und wir sahen gemeinsam zu dem Symbol der Kraft auf, die uns verband. „Warum wir sind, wie wir sind.“

Seine Worte drangen wie ein flüsternder Windhauch an meine Ohren und ließen mich von Kopf bis Fuß erschaudern.

War es so schwer für mich, daran zu glauben, was ich so sehr abzuwehren versuchte? Wenn ich akzeptierte, was man mir zu verstehen zu geben versuchte, würde dann vielleicht alles einfacher werden? Könnte ich dann endlich wieder normal weiter leben? Aber mal ganz unter uns: Wer würde schon gern ein Leben leben, dass gar nicht existiert?

Es wäre zu schwer, sich um 180° zu drehen und komplett von vorne zu beginnen. Das war nicht ich. Es war nicht das Leben, das ich leben wollte. Ich hatte mir in meinem jungen Leben immer vorgenommen, mein Leben in Freiheit weiter zu führen. Mich von jeglichen Verpflichtungen zu distanzieren und zu tun, wonach mir der Sinn stand. Regeln war ein Fremdwort für mich. Es existierte nicht in meinem Wortschatz.

Wenn ich jetzt akzeptieren würde, was ich angeblich war, würde ich automatisch einen kleinen Teil der Verantwortung übernehmen, die mein neues Leben mit sich brachte.

Ich entzog dem Fremden meine Hand sanft und wandte mich dann ihm zu. „Hör zu…“

„Maverick.“ ergänzte er.

„… Maverick: Ich bin nicht das, wofür ihr mich hier alle haltet. Und das werde ich auch nie sein.“ meine Füße trugen mich ein kleines Stück zurück, bis ich schließlich mit der Wade gegen den Rand des Brunnens stieß. „Ihr müsst die Falsche erwischt haben. Vielleicht gibt es irgendwo auf dieser Welt ein Mädchen, das mir sehr ähnlich sieht. Sucht sie und lasst mich endlich gehen. Ich kann nicht sein, woran ich nicht glaube. Denn woran keiner glaubt, das existiert auch nicht. Du siehst mich. Ich bin echt. Aber Feen nicht und das ist der kleine aber feine Unterschied.“

Kraftlos, nachdem die Worte, die mir auf der Seele lagen, endlich über meine Lippen gekommen waren, ließ ich mich auf den Steinrand sinken.

„Der kleine aber feine Unterschied, liebe Rayne, ist der, dass alles, worüber man spricht, auf irgendeine Art und Weiße doch existieren kann.“ mein Gegenüber kniete sich vor mich und sah mir mit seinen strahlenden blauen Augen direkt in meine. Das Blau in das ich sah, gleichte einem perfekten, wolkenlosen Himmel in dem ich förmlich zu ertrinken drohte. Hatten alle blauen Augen dieselbe Wirkung?

„Du sagst, Feen seien eine Erscheinung der Fantasie. Aber was glaubst du, wie diese Fantasien entstanden sind? Vielleicht hat sie sich jemand einfallen lassen, aber wer sagt dann auch, dass es sich bei der kleinen Fantasie um eine Fee handelt? Hast du je eine Hexe gesehen? Wenn Nein, wieso verkleiden sich dann die meisten kleinen Mädchen an Halloween als Hexe, wenn du so fest davon überzeugt bist, dass es so etwas wie Hexen nicht gibt?“

Seine Worte brachten Schweigen über meine Lippen. Ich konnte nicht darauf antworten, denn auch wenn ich versuchte mich mit Händen und Füßen dagegen zu währen, hatte er doch irgendwo mit allem Recht. Was jedoch nicht bedeutete, dass ich aus dem gleichen Holz geschnitzt war, wie all diese Wesen, an die man hier aus tiefstem Herzen glaubte.

Als ich schließlich den Mund öffnete um etwas, irgendetwas zu erwidern, blieb mir die Sprache weg. So gerne ich etwas dazu sagen wollte, es tat sich nichts. Meinem Hirn flog keine passende Antwort zu, die ich hätte geben können.

Maverick, der sich vor mir in voller Größe erstreckte, legte zwei Finger unter mein Kinn, welches er sanft anhob, was mich dazu brachte, ebenfalls aufzustehen. Ich verstand nicht, warum er mich so gerne davon überzeugen wollte, an das ganze zu glauben. Was war sein eigentliches Ziel? Und wieso kam er mir plötzlich so nahe, wo er doch dafür gesorgt hatte, dass ich in Gefangenschaft von Captain Hook geriet? Schließlich war er der Jenige, der mich gefangen genommen und mich schließlich doch wieder gehen ließ. Das große „Warum“ stand hier wieder im Raume und ließ sich keinen Zentimeter verschieben.

„Wer bist du?“ konnte ich schließlich mit brechender Stimme zustande bringen. Seine Augen führen die Konturen meiner Wangen nach, über die Spitze meiner Nase bis hin zu meinen Lippen, an denen er haften blieb, wie eine Fliege in einem Spinnennetz.

„Wer weiß das schon?“ seine Fingerspitzen streiften meine Wange mit großer Vorsicht, als er weiter sprach. „Vielleicht bin ich ein Freund. Womöglich bin ich aber auch dein Feind. Wer kann so genau sagen, was man ist? Wer man ist? Wer man einmal war und wer man jemals sein wird?“

Als er seinen Arm um meine Taille legte, konnte ich nicht anders als ihn ein Stück von mir weg zuschieben. Er war mir für meinen Geschmack ein bisschen zu nahe getreten. Doch er schien meine Gedanken zu lesen und meine Bedenken zu spüren.

„Du brauchst vor mir keine Angst zu haben.“ versicherte er mir und strich mir dabei eine Haarsträhne, mit seiner freien Hand, aus dem Gesicht. „Du kannst mir vertrauen.“

„Wer sagt mir nicht, dass du dich nicht als großer, böser Wolf entpuppst, wie der, der sich im Haus der Großmutter versteckt hält, um das kleine Rotkäppchen zu fressen?“

Er lachte herzlich. „Du hast zu viele Märchen gelesen, Rayne.“

Und noch bevor ich etwas darauf erwidern konnte, trafen seine Lippen auf meine. Sie waren weich, wie ein Federkissen und schmeckten wie ein frisch gepflückter Apfel in seiner vollen Reife. Ehe ich mich versah, verlor ich mich in seinem Kuss, ließ mich in seinen Armen dahin schmelzen, wie Schokolade in der Sonne und genoss das durchdringende Gefühl, dass seine Lippen auf meinen hinterließen.

Ich ließ seinen Mund auf meinem zu, streckte mich ihm sogar ein wenig entgegen, als mir dieser eine, kleine Gedanke durch den Kopf schoss: Ich bin kein Betrüger, ich bin treu!

Zuhause, wo meine Freunde sind und meine Familie auf mich wartet, da ist ein Junge, der zu mir gehört. Zu dem auch ich gehöre und der mir wichtig ist. Eine neue Welt bedeutete nicht, auch das fallen zu lassen, was ich einmal hatte, was mir einmal wichtig war.

So schön es sich auch anfühlte, in den Armen des Fremden, der mich hielt, der mich schweben ließ, mein schlechtes Gewissen, wurde dadurch nur größer und ließ mich in dem Meer von Übelkeit ertrinken in dem ich trieb.

Also löste ich mich wieder von ihm und schob ihn von mir fort. Er war nicht Jeremy und er sollte auch kein Ersatz sein, für das, was ich vielleicht komplett verloren hatte. Es wäre ihnen beiden gegenüber nicht gerecht. Jeremy einfach fallen zu lassen, wäre falsch. Maverick, den ich doch eigentlich gar nicht kannte, als Alternative zu missbrauchen, um das Leck in meinem Herzen zu stopfen, wäre falsch gewesen. Betrügen ist falsch, etwas das man nur tut, um jemanden weh zu tun. So war ich nicht.

Das Gesicht zu Boden gerichtet, die Scharm versteckend, die mir durch den Körper kroch, schob ich ihn noch ein Stück von mir. Diese ganze Sache nahm eine Wendung an, die mir nicht ganz gefiel.

Die mir im Grunde genommen überhaupt nicht Recht war. Die mir tatsächlich sogar noch mehr Angst machte, als ich so schon hatte. Ich hatte etwas Falsches getan, als ich den Kuss zuließ. Hatte die Person hintergangen, die ich so sehr zurück wollte. Und dennoch hatte ich es getan. Bin ich ein schlechter Mensch?

Mein Mund öffnete sich. Ich wollte etwas sagen, ihm klar machen, dass ich einen Fehler begangen hatte. Wollte meine Seele wieder rein waschen, aber ich bekam nicht einen vernünftigen Satz zustande.

„Wovor hast du Angst?“ die Tiefe seiner Stimme, zwang mich aufzusehen. Das waren definitiv nicht die Worte, die ich nach so einem Fehltritt als erstes hören wollte. Wenn es überhaupt Worte gab, die man am liebsten hören wollte. „Du willst ihn nicht verletzen, Richtig? Der, dem du bereits versprochen bist.“

Ahnte er, was mich plagte? War mir meine Furcht so deutlich ins Gesicht geschrieben? „Ich will ihm nicht wehtun.“ sagte ich schließlich. Es waren die ersten Worte, die mir in diesem Moment einfielen. Dabei gab es noch so viel, was zu sagen war. „Ich bin kein schlechter Mensch. Und ich will auch nicht zu einem werden. Jeder macht mal einen Fehler, aber wenn ich genau weiß, dass es einer ist, dann werde ich alles dafür tun, um ihn zu umgehen.“

Ein liebliches Lächeln zierte seine Lippen. „Das ist dein gutes Recht so zu denken.“ seine Augen suchten in meinen nach etwas, dass ich nicht definierten konnte. Vielleicht einen Ausweg aus dieser seltsamen Situation. Oder einer weiteren Antwort, die ich ihm nicht wirklich geben konnte.

Die kühle seiner Hand in meiner, holte mich in die Normalität zurück. Seine Lippen berührten einzeln meine Fingerspitzen, bevor er sie nach unten gleiten ließ, dann legte er mir erneut eine Hand unter das Kinn und hob es ein wenig an, um mir besser in die Augen sehen zu können. „Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder, Rayne.“ in seiner Stimme schwang ein Hauch von Zärtlichkeit mit, die sein Hoffen auf ein Wiedersehen unterstrichen.

Ich sagte nichts und nickte stattdessen nur. Mir viel es schwer überhaupt irgendetwas in Worte zu fassen. Maverick war plötzlich da. Er war in meinem Leben aufgetaucht und hatte eine Spur der Dankbarkeit hinterlassen. Ein Hauch von Hoffnung, dass doch bald alles wieder besser werden würde. War es das vielleicht schon? War ich zu sehr von meinem Wunsch nach Hause zurückkehren zu können, geblendet, dass ich die Tatsachen nicht sehen konnte, die vor mir lagen?

Er wandte sich ab und bewegte sich auf den Waldrand zu. Zurück zu dem Weg, den wir gekommen waren, als ihm zu rufen wollte, er solle warten. Es war seltsam, aber irgendetwas in mir, wollte nicht, dass er jetzt geht. Ein Gefühl, dass ich beim besten Willen nicht verstand.

Er sprach, als ich den Mund öffnete, ohne sich umzudrehen: „In Richtung Zivilisation immer gerade aus. Folge einfach nur dem kleinen Trampelpfad. Du wirst es sehen, wenn du Richtig bist.“ Und mit diesen Worten, war er im Wald verschwunden und hatte mich mit meinen Gefühlen und einer Fee aus Stein alleine gelassen.

Ich drehte mich zu der Fee um und sah zu ihr auf, als könnte sie mir die Antworten geben, die ich suchte. Als könnte sie meine Probleme lösen, als wäre sie mein einziger und letzter Ausweg aus all dem hier, in das ich hineingeraten war.

Ich setzte mich wieder, unfähig irgendetwas zu tun oder zu denken. Von der Kraft verlassen, die mich antrieb und mich fort bewegte. Die Finger in das kühle Nass vor mir gestreckt. Die Gedanken kreisten, passend zur Bewegung meiner Fingerspitzen über dem Wasser.

Schließlich schüttelte ich den Kopf, zog die Hand aus dem Brunnen und erhob mich. Das hier war nicht das Ende der Welt! Seit wann ließ ich mich selbst so hängen? Vielleicht war ich alleine hier und musste mich zu Recht finden, was nicht bedeutete, dass ich dazu nicht selbst fähig war.

Ich rappelte mich auf und bewegte mich auf den Waldrand zu, in die Richtung, aus der wir nicht kamen und lief in den dichten Wald hinein, der, wie Maverick es zuvor gesagt hatte, mit einem Trampelpfad bestückt war. Aufatmend folgte ich dem schmalen Weg ohne meine Gedanken damit zu verschwenden, ob ich mich wohl verlaufen könnte oder nicht. Ich folgte meinem Weg voller Zuversicht eine ganze Weile, von einem Gefühl der Kraft gepackt, schnurstracks gerade aus, in Richtung Zivilisation. Ich dachte nicht über aufgeben nach, denn das war ich nicht.
 

Maverick hatte Recht behalten. Er sagte, ich würde wissen, wenn ich am richtigen Ort ankommen würde, wenn ich es sehe und es stimmte. Ich trat aus einer Lücke aus dichten Thuja-Bäumen hindurch und kam auf der anderen Seite in einem kleinen Vorpark heraus. Vor mir erstreckte sich eine lange Straße, der Reihe nach erstreckte sich eine Einkaufspromenade, der Duft von dampfendem, warmem Kaffee und frisch gebackenem Brot lag in der Luft und zog durch die Straßen der Hauptstadt. Eine Gruppe Mädchen schritt sich unterhaltend und kichernd mit prallgefüllten Einkaufstaschen in den Händen an mit vorbei. In einem Cafe mir gegenüber saß ein Pärchen Hände haltend an einem Tisch. Hinten ihnen trägt ein Kellner in einem schwarzen Hemd, ein Tablett mit Kuchen und frischer Sahne heran und verteilt es vor den zwei jungen Mädchen, die sich lächelnd unterhielten.

Ein paar Tische weiter sitzt ein junger Mann mit seinem Laptop, der schwer in seine Arbeit vertieft war und nichts von seiner Umgebung mitbekam.

Die Stadt war wunderschön, die Geschäfte und Häuser entlang der Straßen waren in hellen Farben gestrichen und zeigten keine Spur von Beschädigungen oder Graffiti und ein blauer, wolkenloser Himmel lud förmlich zum Eisessen und schwimmen gehen ein. Die Sonne strahlte kräftig auf die Geschäfte und Cafes herab. Die Straßen waren überlaufen von den unterschiedlichsten Leuten. Jung, alt, männlich, weiblich, alleine oder zu fünft, es war alles dabei. Und ob ich es nun wollte oder nicht, aber ich hatte mich sofort in die Straßen dieser Stadt verliebt.

Erst das klingelt meines Handys brachte mich aus dem Staunen wieder heraus. Dass ich so ein Gerät noch besitze, war mir völlig entfallen. Man denkt so über einiges nicht nach, wenn man in einer Situation gefangen ist, aus der man nur schwer wieder herauskommt.

Ich kämpfte mit dem Gerät, das in meiner Hosentasche fest saß und nicht heraus wollte, schaffte es jedoch nach einer kleinen Auseinandersetzung und betätigte ein paar Tasten, die eine SMS anzeigte, die eingetroffen war. Da war ich so weit entfernt (so wie die Leute alle gesprochen hatten, sitze ich angeblich auf einem anderen Planeten) und bekam dennoch irgendwie den notwendigen Empfang herein, um eine Nachricht zu erhalten. Ich blieb in Bewegung, meine ganze Aufmerksamkeit auf mein Handy gerichtet als ich das kleine Fenster mit dem Text öffnete, das mir fast die Sprache verschlug.

Jeremy hatte mir geschrieben. Zunächst glaubte ich, dass ihnen vielleicht endlich aufgefallen war, dass ich von der Bildfläche verschwunden war. Aber als ich die drei kleinen Worte las, die auf dem Bildschirm aufleuchteten, verschlug es mir den Magen. Meine Umgebung um mich herum verschwamm, als hätte ich Wasser in den Augen, oder waren es die Tränen die ungewollt aufstiegen? Mein Körper begann zu zittern und jeder Atemzug tat mir in der Lunge weh, als ich die schwarzen Buchstaben und die drei Ausrufezeichen sah.

Das Hupen eines Autos brachte mich schließlich wieder in die Realität zurück. Ich sah den Wagen nur noch auf mich zukommen, erstarrt vor Schock, als er immer näher kam und nicht anhielt.

Die Worte der Nachricht schossen mir durch den Kopf, als mir klar wurde, dass er nicht halten würde.

Es ist aus!!! Die drei Worte, die meine Liebe und mein Leben zu beenden drohten.



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