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My Dear Brother 2

The Humans
von

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Angst

Nach nur wenigen Minuten hörte ich Mom rufen, dass das Essen fertig war.

So schnell war ich noch nie aus dem Bett gekommen, wie zu dem Zeitpunkt, in dem ich mich an das nähernde Gespräch erinnerte.

»Puh, okay... Wir schaffen das, richtig?«, vergewisserte ich mich bei Kiyoshi, der sein Hemd richtete.

»Natürlich. Was will sie denn schon machen?«

»Dich wieder nach Hause schicken?«

Als Kiyoshi nicht antwortete, zog ich scharf die Luft ein. Doch ehe ich weiter hysterisch vor mir her reden konnte, stand er auf, küsste meine Lippen und schüttelte den Kopf.

»Das wird sie nicht tun.«

 

Woher Kiyoshi die Ruhe nahm, war mir unbegreiflich, doch er schlenderte gelassen ins Wohnzimmer und lächelte Mom an.

»Hier, Kiyoshi. Ich habe dir ein Glas Wasser hingestellt«, bemerkte sie recht kurz angebunden und deutete auf einen spärlich gedeckten Platz mit einem Glas Wasser in der Mitte. Kiyoshi nickte nur und bedankte sich leise.

»Mhm, Mom, das riecht wirklich gut!«, lobte ich sie, um eine unangenehme Stimmung zu vermeiden, und schob den Stuhl von Kiyoshis Platz beiseite, sodass er sich setzen konnte; was mir natürlich nur einen verwunderten Blick von Mom bescherte.

Ja, für Kiyoshi war ich ein Gentleman.

Für ihn schiebe ich auch Stühle zur Seite, sodass er sich setzen konnte.

Auch bei mir bedankte er sich leise und höflich, lächelte mich an und verfolgte meine Handlungen neugierig.

»Gut … «, murmelte meine Mutter, drehte sich zur Küche um, sah weiterhin nervös durch den Raum, als würde sie überlegen, was sie vergessen haben könnte.

»Mom … setz dich doch«, schlug ich ihr vor und schob auch ihren Stuhl beiseite, sodass sie sich auf ihn setzen konnte. Mit einem Lächeln deutete ich ihr an, dass man auf sie wartete.

Nervös erwiderte sie mein Lächeln, setzte sich auf den Stuhl und ließ sich heranschieben. »Danke, Hiro... Wow, hätte ich gewusst, dass du mit solchen Manieren wiederkommen würdest, hätte ich dich schon eher zu deinem Vater geschickt...«

Ich wägte nur mit dem Kopf ab. Vielleicht stimmte das sogar. Durch Vater habe ich meine Mutter lieben gelernt. Dass sie mal ihre Phasen hatte, war in Ordnung. Im Großen und Ganzen war sie eine gute Frau.

Und wieso ihr das nicht ganz zufällig passend zum Essen zeigen, wenn ein unangenehmes Gespräch anstand?

»Nimm dir, Hiro.« Damit reichte sie mir den Kochlöffel.

Einen Moment überlegte ich, ob ich ihn überhaupt annehmen sollte. Doch je länger ich wartete, desto unsicherer wurde Mom. »Alles klar, mein Schatz?«

»Jap«, antwortete ich schnell und nahm ungeschickt den Kochlöffel, um das Chili umzurühren. »War nur in Gedanken.«

Ich spürte Kiyoshi auf mich starren. Er war nervös und wechselte den Blick zwischen mir und dem Chili.

Ja, was sollte ich jetzt tun? Ihr die Wahrheit sagen? Einfach mal was essen?

Todesmutig häufte ich etwas Chili auf meinen Teller. Als er zur Hälfte gefüllt war, reichte ich den Kochlöffel an meine Mutter weiter.

»Mehr nicht?«, fragte sie nach. »Du isst mir doch sonst die Haare vom Kopf.«

Ein leises Glucksen durchfuhr meinen Rachen. »Ich... hab schon in der Mall eine Kleinigkeit gegessen, sorry... Ich nehme mir aber gerne nach, wenn ich noch Hunger habe.«

Mit kaltem Schweiß auf der Stirn sah ich zu ihr. Alles, was sie tat, war misstrauisch im Chili rühren.

»Du hast schon was gegessen? Hmh«, sagte sie mit diesem gewissen spitzen Unterton. »Hiro... du brütest mir doch keine Essstörung aus, oder?«

 

Ha.

 

»Mom, bitte. Denk jetzt nicht wieder an deine Arbeit«, ermahnte ich sie gespielt genervt und stocherte in meinem Chili rum. »Ich weiß, dass viele Drogenjunkies Essstörungen haben, aber … davon bin ich nicht betroffen.«

»Ich weiß nicht so recht. Du und Drogen seid euch ja auch schon näher gekommen«, bemerkte sie gereizt und lud schließlich ihren eigenen Teller mit Chili voll.

»Mom... das ist doch schon ewig her...«

»Schlimm genug, dass es überhaupt stattgefunden hat! Jiro ist ein wirklich schlechter Einfluss! Ohne ihn wärst du doch nie an so etwas ran gekommen«, meckerte sie in fünf Oktaven höher und pfefferte den Kochlöffel in die Schüssel zurück.

»Müssen wir das jetzt besprechen...?«, fragte ich kleinlaut und sah verstohlen zu Kiyoshi. Der grinste nur in sich rein und schwankte sein Glas Wasser.

»Wie sieht es mit dir aus, Kiyoshi? Hast du auch solche tollen Drogenexzesse wie Hiro?«, fragte Mom spitz als hätte sie meine Bitte nicht vernommen und hob beide Augenbrauen, während sie Kiyoshi durchbohrend anstarrte. Als würde sie ihn auf dem Verhör in der Mangel haben.

Doch der lachte nur leise und schüttelte den Kopf. »Ich glaube, ich habe einmal ein Bier getrunken... Und ein Glas Wein. Mehr nicht.«

Gerade noch wollte ich mir einen Löffel Chili in den Mund stecken, da fiel mir das Chili vom Löffel, weil ich ihn vor Entsetzen nicht in meinem Mund geschoben hatte. »Was?!«

»Sehr löblich«, kam es nur von meiner Mutter, die überrascht nickte und anfing zu essen.

»Du hast noch nie so richtig Alkohol getrunken?«, platzte es regelrecht aus mir heraus. Ich dachte mir schon, dass er nicht auf meinem Niveau war, was das feiern anging, aber so gar nicht? »Nicht mal mit Kat und Ichiru?«

»Nein … so etwas machen die nicht.« Kiyoshi trank einen Schluck von seinem Wasser, sah dann wieder in meine Augen. »Wenn wir... Alkohol trinken... Dauert das sehr lange, bis der wieder draußen ist. Weil wir ja keine Blutzirkulation haben.«

Ich nickte interessiert und ließ den Löffel wieder in den Teller sinken. »Das macht natürlich Sinn ...«

Doch ehe ich Kiyoshi erneut über Alkohol ausfragen wollte, räusperte sich meine Mutter. Ein Blick in ihre Richtung verriet mir, dass sie das Thema Blut, Alkohol und Vampire nicht am Esstisch haben wollte.

Gut, dachte ich, dann unterhalten wir uns eben nicht. Früher oder später würde ich schon noch was aus Kiyoshi herausbekommen. Über ihn und seine brave Vergangenheit.

 

Es dauerte nicht lange, da spürte ich Moms Augen auf meiner Hand.

»Hiro, bitte iss, sonst mache ich mir Sorgen.«

Ja, natürlich, machte sie sich Sorgen. Aber nicht, weil ich eventuell von meinem Bruder gebissen wurde, sondern weil ich Magersüchtig werden könnte.

»Keine Angst, Mom. Ich trainiere noch. So dünn wie Kiyoshi will ich nicht werden.« Dabei deutete ich mit einer Kopfbewegung auf Kiyoshi, der mir sofort einen vernichtenden Blick schenkte.

Sicher, er konnte nichts für seine Körperstatue. Wer weiß, wie ich später aussehen werde, dachte ich, konnte mir aber trotzdem keinen giftigen Kommentar verkneifen. »Obwohl ich ein bisschen über seine dünnen Beine neidisch bin.«

»Nein, Zwerg«, war alles, was ich als Antwort zu hören bekam. Und ich wusste sofort, worauf das Nein bezogen war: Keine Strümpfe.

Trotzdem ich also das Thema wieder gekonnt von mir weg lenken konnte, bleib meine Mutter penetrant.

Es half nichts, ich musste essen.

Also schaufelte ich meinen Löffel mit Chili voll und steckte ihn mir nervös in den Mund.

Während ich vor mir hin kaute, spürte ich einen leichten Geschmack auf meiner Zunge. Er war nicht ansatzweise so intensiv, wie ich ihn in Erinnerung hatte, doch schmeckte es noch nicht nach Erde, so wie Kiyoshi immer berichtet hatte. Es schmeckte... nach Kantinenessen. Lasch, einfach Stückchen im Mund, die Essen darstellen sollten.

»Lecker, Mom«, murmelte ich noch mit vollem Mund und schluckte es schlussendlich runter. Ehe ich mich versah, spürte ich einen dicken Klumpen meine Kehle hinunterlaufen. Das fühlte sich in der Tat wie ein Erdklumpen an.

Okay, dachte ich, es ist doch eklig.

»Freut mich«, hörte ich noch von meiner Mom, die zufrieden lächelte und weiter ihre Portion aß.

Sobald sie wegsah, schüttete ich mir ein halbes Glas Wasser in den Mund. Kiyoshi grinste und presste wissend die Lippen aufeinander – wahrscheinlich froh darum, dass er nicht in meiner Haut steckte.

 

Es dauerte fast 20 Minuten, bis ich meine absolut mickrige Portion in den Mund geführt hatte und laut verkündete, satt zu sein.

Meine Mutter hob nur eine Augenbraue und schüttelte den Kopf. »Du isst wie ein Spatz, Hiro. Ich hoffe, das ist nur heute so.«

Enttäuscht darüber, dass noch so viel vom Chili übrigen geblieben ist, legte sie ein Cellophanpapier über die Schüssel und stellte sie in den Kühlschrank. Mit einem aufmunternden Kommentar brachte ich das dreckige Geschirr in die Küche.

»Ich esse vielleicht nachher noch einen Teller. Du kennst doch meinen Mitternachtssnack.«

Als keine Antwort kam, sondern nur ein passiv-aggressives Einräumen der Spülmaschine, entschloss ich die Küche auf schnellem Fuß zu verlassen.

Kiyoshi war bereits dabei den Koffer auszupacken und platzierte seine Sachen so gut er konnte neben meinen.

Die Zimmertür rastete ein, ich seufzte laut los.

»Und? War sehr schlimm?«, fragte Kiyoshi neugierig und hielt für einen Moment in seiner Bewegung inne. Als ich auf ihn zukam und mein Kinn auf seine Schulter legte, zuckte ich mit den Schultern.

»Es schmeckte nach Erde …«

»Hab ich dir doch gesagt.«

»Ja, aber … bisher hat noch alles relativ nach Essen geschmeckt. Es war das erste Mal, dass ...« Ich konnte den Satz nicht vollenden. Stattdessen blickte ich mit traurigem Blick aus dem Fenster. Die Sonne war bereits untergegangen. Nur noch die Lichter der Straße erhellten die Stadt.

»Mach dir nichts draus. Wir gehen uns nachher was holen und probieren das mit der Pille aus. Vielleicht klappt's ja!«

»Selbst wenn«, seufzte ich und ließ Kiyoshi los, sodass er weiter seine Sachen einräumen konnte. »Wie soll ich Mom davon überzeugen, dass ich mir vorher eine extra Würzung ins Essen machen muss, damit es essbar wird? Schon vergessen: Die Pille wird blutrot, sobald sie mit Wasser in Berührung kommt? Ich kann mir ihr Aufschreien schon vorstellen, wenn sie das blutrote Essen zu Gesicht bekommt.«

Kiyoshi packte still seine Pullover und Hemden weg, schloss den Koffer und stellte ihn unter meinen Schreibtisch. Erst, als er sich auf mein Bett setzte, begann er zu antworten.

»Wenn es funktioniert, kann ich wenigstens mit euch essen und sie wird ruhiger. Und je nach Essensform... wird es bestimmt nicht auffallen, ob bei dir auch eine Tablette drin ist oder nicht.«

»Na, also in jeglichen Suppen wird es schon auffallen. Ganz zu schweigen von hellen Speisen wie Pudding, Kartoffelpüree, Sushi... Das kann ich vergessen.«

Seufzend ließ ich mich neben Kiyoshi aufs Bett sinken und umklammerte sofort seine Taille.

»Aber zum Beispiel in allen Fleischgerichten kannst du es gut verbergen.«

Ich wusste, dass Kiyoshi mich nur aufmuntern wollte. Dass er mich lediglich dazu überzeugen wollte, dass Vampirsein nicht nur Scheiße war.

Doch während ich so in seine Augen blickte, die Iris und die Pupille genauestens betrachtete, spürte ich, dass er sich diese Dinge genauso oft einreden musste, um sie zu glauben. Als Kiyoshi und ich uns im Wald schlussendlich unsere Liebe gestanden hatten, erfuhr ich ebenso um seine Depression. Ein Leben lang nur gelitten zu haben, unter sich selbst, den Gedanken und den Tatsachen, dass er kein normaler Junge war. Selbst unter Vampiren war er sonderbar – denn Reinblütler gab es nicht oft. Sogar selten. Eigentlich fast nie.

Als stetiger Außenseiter zu gelten muss in der Tat wehtun. Zudem war Kiyoshi nicht der einfachste Mann. Nicht nur bedingt durch seinen psychischen Zustand, sondern auch durch seine niemals vorhersehbaren Launen, machte er es Dritten schwer, sich ihm zu nähern.

Bis heute verstand ich nicht, was der Auslöser für seine Gefühle für mich waren. Immerhin schmähte er jeden. Und zu Beginn unserer gemeinsamen Zeit ließ er mich genau diese generelle Ablehnung zu jedem ganz genau spüren.

Nur irgendwann … da drehte sich das Blatt. Er biss mich, fühlte sich verantwortlich für mich und kümmerte sich um meine Probleme. Er wurde mein Mentor und achtete auf mich; seinen Schützling. Dass es im Endeffekt genau umgekehrt werden würde, hätte auch niemand gedacht.

Kiyoshi blieb nun unter meinen Fittichen – bis sich die Situation beruhigt hätte.

 

Vincent.

Dieser Mann hinterließ in meinem Kopf eine Welle von negativen Gedanken. Wie er Kiyoshi aufspießen wollte. Wie er ihn verspottete. Ihn umbringen wollte.

Und ehe ich mich versah, spürte ich nach der Welle der Angst eine Welle der Wut. Wenn ich nur die Kraft hätte, würde ich ihn bekämpfen. Ihn vielleicht sogar quälen für das, was er meinem Bruder angetan hatte.

Ihn töten.

 

»Hiro? Alles in Ordnung? Du bist so … abwesend...«, murmelte Kiyoshis schließlich in die Stille und ließ mich aus meinen Gedanken herausschrecken.

»Sorry … ich war nur … in Gedanken.«

»Das bist du in letzter Zeit häufig«, bemerkte mein Bruder und rollte sich zu mir, sodass ich mich auf den Rücken legen musste. Ich spürte sein komplettes Gewicht auf meinem Körper, als er sich auf mir räkelte. »So still kenne ich dich ja gar nicht.«

Seine Aussage hinterließ in meinem Gesicht ein müdes Grinsen.

»Du hast Recht. Ich bin nachdenklicher geworden... Aber es gibt auch wesentlich mehr in meinem Leben, worüber ich so nachdenken kann … und muss. Vorher waren das eher einfachere Dinge.«

»Nämlich?«, hakte Kiyoshi nach und lächelte mich interessiert an. Ach, da war es wieder. Dieses glückliche Lächeln, welches er nur mir schenkte. Welches nur mir gehörte.

»Ach«, begann ich und sah bei kurz zu den Fotos an meiner Wand, wo meine Freunde und ich uns teilweise auf Partys befanden. »Ob ich heute Saufen gehe, oder morgen... Ob ich wieder drehen sollte oder lieber doch Schachtel... Ob ich Jiro anrufe und mich mit ihm treffe, oder... nein, Hausaufgaben habe ich nie gemacht, also gab's da eigentlich nie ein Oder, haha«, spaßte ich und kratzte mich am Kopf.

Doch Kiyoshis Blick trübte sich. »Du denkst auch wirklich nur ans Trinken. Und ans Rauchen? Seit wann rauchst du?«

Ein leises Seufzen entfuhr mir. »Hin und wieder... habe ich eben mal Geraucht und Getrunken. Mehr Getrunken als Geraucht, aber meistens beides.«

Während Kiyoshis Blick sich immer wieder verfinsterte, versuchte ich die Stimmung mit einem nervösen Lachen zu kaschieren. »Hey, komm schon! Ich war eben viel unterwegs … da lässt man sich schon mal zu Dingen verleiten.«

»Es waren also die anderen Schuld?«

Ich dachte, er wollte einfach nur ein bisschen über mich erfahren? Und jetzt stellte er mich wieder vor den Pranger.

»Nein, nein ...«

Kiyoshis Blick blieb mahnend. Da fiel mir nur Konter ein.

»Dafür warst du noch nie betrunken, wenn ich das richtig verstanden habe«, bemerkte ich spitz und hob beide Augenbrauen.

»Ich glaube auch nicht, dass das etwas ist, was man im Leben erreicht haben sollte.« Die Aussage war klar und deutlich. Vorurteile gegen etwas, was man noch nie ausprobiert hatte.

Ich verdrehte die Augen. »Oh bitte, Kiyoshi. Einmal muss man die Dinge ausprobiert haben, um zu wissen, wie es ist! Alkohol kann witzig sein, glaube mir!«

»Na ja …«, murmelte er vor sich hin und kuschelte sich auf meine Brust. »Ich bin eben nicht so … wie du. Ständig gut gelaunt und... beliebt.«

»Das hat nichts mit gut gelaunt und Beliebtheit zu tun. Viele Alkoholiker sind unbeliebt und unglücklich. Das ist alles Einstellung und Willen.«

»Der Vergleich hinkt ein wenig, Hiro.«

»Whatever. Alles, was ich damit meine, ist, dass du nicht super gut gelaunt sein musst, um dich zu besaufen. Mann kann auch ohne Spaß Alkohol haben.«

»Heißt der Spruch nicht eigentlich -«

»Ja ja.«

 

Da lachte er leise und ließ seine Fingerspitzen über meine Brust gleiten.

Wir lagen einfach da und starrten die Wand an. Hin und wieder küssten wir uns auf die Lippen, sagten aber nichts.

Erst nach einigen Minuten hörte ich es kurz in meiner Tasche vibrieren.

»Oh mein Handy... Total vergessen.«

Vorsichtig stieg ich aus dem Bett und kramte mein Handy raus, welches noch von der Nachricht am Bildschirm leuchtete. »Jiro?«, stutzte ich überrascht und tippte auf die Nachricht.

»Dein Kumpel?«, fragte Kiyoshi weniger erfreut über eine Störung unserer Kuschelrunde.

Ich nickte. »Ja eine SMS. Hast du eigentlich Dad Bescheid gegeben, dass wir angekommen sind?«

»Nein.«

»Mach das mal bitte.«

»Kannst du gerne übernehmen.«

Mit diesen Worten drehte er sich schnippig um und rollte sich auf die Seite, sodass ich nur noch seinen Rücken sehen konnte.

Ein leises Seufzen entfuhr meinen Lippe, als ich mich wieder der Nachricht zuwandte.

 

»Hey Alter, alles fit? Bist du wieder im Lande? Meine Mom hat sich das Bein gebrochen, deswegen sind wir wieder zu Hause! Doch keine drei Wochen Nagasaki … Was soll's! Wollen wir dann mal die Woche an den See? Dann kannst du mir alles erzählen! Bin schon neugierig... ;-)«

 

Meine Augenbrauen zogen sich wie von selber hoch; ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen.

Ich freute mich wahnsinnig. Jiro war wieder zu Hause! Natürlich tat mir seine Mom leid, was ich ihm auch sofort schrieb, aber an sich kam es sowohl mir als auch ihm wohl recht gelegen, dass er Urlaub frühzeitig sein Ende nahm.

»Jiro ist wieder zu Hause! Wollen wir uns morgen mit ihm treffen?«, fragte ich Kiyoshi, der mir immer noch den Rücken zugewendet hatte.

»Mh«, war alles, was von ihm kam.

»Komm schon, Jiro ist nett. Du wirst ihn mögen.«

»Mal gucken …«, murmelte er niedergeschlagen, als würde er meinen Standpunkt nicht teilen.

Trotz Kiyoshis Unwohlsein, sagte ich Jiro direkt zu einem Treffen zu.

 

»Hey Jiro! Das tut mir aber sehr Leid für deine Mom, gute Besserung an dieser Stelle. Und gerne können wir uns treffen, wie sieht's mit morgen aus? Ich würde dann auch einen Überraschungsgast mitbringen ;-)«

 

Welcher das sein würde, überließ ich mal seiner Fantasie. Aber mit ein bisschen Grips würde er schon dahinter kommen.

Als ich das Handy weglegte und mich wieder zu Kiyoshi lehnte, drehte der sich gerade wieder auf den Rücken und sah direkt in meine Augen.

»Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist, sich mit deinem Freund zu treffen.«

»Wieso nicht?«, fragte ich neugierig und streichelte seine zarte Wange.

Ob er überhaupt einen Bartwuchs hatte?

»Na ja … du weißt doch wie das mit meiner Anwesenheit ist … sie macht Leute nervös.«

»Jiro mit Sicherheit nicht. Jiro ist... sagen wir … eher einfacher gestrickt. Der wird das zwar merken, aber dem keine große Beachtung schenken.«

Kiyoshis Augen zogen sich zu Schlitzen.

»Redest du immer so über deine Freunde? Du ziehst nur über sie her.«

»...« Ich presste meine Lippen aufeinander und formte sie zu einer strengen Linie. Nein, dachte ich, schlecht reden tue ich nicht. Nur die Wahrheit sagen. Und versuchen Kiyoshi zu beruhigen.

»Jiro ist ein toller Freund und er wird für alles Verständnis haben«, fügte ich hinzu und hob beide Augenbrauen. »Lern ihn kennen und entscheide dann. Wenn ihr beiden euch nicht riechen könnt... Könnt ihr euch ja immer noch aus dem Weg gehen.«

Kiyoshi nickte nur stumm und mied meine Augen. Es war ihm sichtlich unangenehm neue Leute kennen zu lernen. Natürlich war das in seiner Situation noch einmal etwas anderes... Aber bitte, Jiro und ablehnend? Niemals.

 

Auf einmal klopfte es zaghaft an der Tür.

 

»Ja?«, fragte ich in Richtung der Tür; Kiyoshis Arm dabei von mir lösend.

»Hiro? … Kommst du mal bitte raus?«, hörte ich die Stimme meiner Mutter.

»Ja, sicher...«

Ohne weiter drüber nachzudenken, öffnete ich die Tür und sah in die besorgten Augen meiner Mutter, die sofort in mein Zimmer spähten und Kiyoshi auf meinem Bett liegen sahen.

»Ich ziehe mich gleich zurück und lese noch etwas. Ich werde das Sofa herrichten, damit Kiyoshi darin schlafen kann. Dazu möchte ich, dass du mir kurz mit dem Laken hilfst«, sagte sie bestimmend, den Blick nicht von Kiyoshi abgewendet.

»Ach, Mom... Du willst unseren Gast auf dem Sofa schlafen lassen?« Seufzend drehte ich mich zu meinem Bruder um. Der sprang sofort vom Bett und nickte aufrichtig.

»Das ist okay, ich … ich schlafe auf dem Sofa.«

»Das tust du nicht, du schläfst in meinem Bett -«

»Auf keinen Fall!«, platzte es aus dem Mund meiner Mutter. Mit einem Ruck zog sie mich von Kiyoshi weg, aus meinem Zimmer ins Wohnzimmer und drückte mir ein Laken in die Hand. »Hilf mir jetzt.«

 

Ohne weiter widersprechen zu wollen, nahm ich das Laken und breitete es über dem ausgezogenen Sofa aus; stopfte die Enden in die Ritzen und strich es glatt.

»Wirklich... Ich schlafe dann lieber auf dem Sofa. Lass Kiyoshi doch nicht hier schlafen«, sagte ich erneut, doch sowohl meine Mutter als auch Kiyoshi verneinten.

Na gut, dachte ich, dann eben nicht. Manchmal kann man das Glück nicht erzwingen.

 

Als meine Mom zügig die Bettdecke und das Kissen auf dem Sofa herrichtete, warf sie mir hin und wieder einen bösen Blick zu.

Erst, als sie an mir vorbeiging und Kiyoshi ins Bad gehen sah, packte sie mich am Arm und zog mich beiseite.

»Hiro, bitte sag mir, dass das ein schlechter Scherz von euch ist.«

Oh, das Gespräch. Es fing an.

»Ein schlechter Scherz? Was soll ein schlechter Scherz sein?«, stellte ich eine dumme Gegenfrage und mied den Augenkontakt.

»Dein Vater hat mir unschöne Dinge über euch erzählt und... und wenn ich deinen Bruder in deinem Bett liegen sehe... will ich nicht wissen, was ihr beiden da treibt!«

»Na dann. Wenn du es nicht wissen willst ...«, gab ich sarkastisch zurück und schmunzelte leicht. Das handelte mir nur einen festeren Druck an meinem Arm ein.

»Hiro! Antworte mir.«

»Was willst du hören? Dass ich mit Kiyoshi eine Affäre schiebe? Dass ich mit ihm schlafe?«

»Oh Gott, Hiro!«, schrie sie auf einmal los und stieß mich fast schon angeekelt von sich. »Genau das will ich nicht hören!«

»Okay, dann sag ich es nicht.«

Schulternzuckend wollte ich mich in mein Zimmer begeben, da hörte ich sie noch schnattern.

»Hiro, das ist verboten! Das ist Inzucht! Hör sofort auf solche Späße mit mir zu treiben und sag mir, was Sache ist! Wenn das eine ernst zu nehmende Sache ist, muss ich das wissen!«

Ehrlich gesagt, wusste ich nicht, was ich darauf antworten sollte. Wie genau wollte sie es denn noch wissen?

»Mom, alles ist gut … Wir benehmen uns doch … «

So eine coole Regelung, wie Vater sie aufgestellt hatte, würde es wohl bei Mom nicht geben. »Alles, was außerhalb dieser vier Wände und in meiner Abwesenheit passiert, kann ich nicht kontrollieren und liegt außerhalb meiner Macht«. Wo er Recht hatte, hatte er Recht.

Aber Mom wäre nicht Mom gewesen, wenn sie das Thema nicht noch zusätzlich aufgebauscht hätte. Sie tat wie immer so, als hätte ich Kiyoshi bereits geschwängert.

»Ich will nicht, dass meine Söhne... das... so was... Außerdem sollst du dich von ihm fernhalten, er ist gefährlich! Wir wissen nicht, was passieren würde, wenn-«

»Mom!«, unterbrach ich sie mit erhobener Stimme. »Er ist direkt neben dir im Bad! Rede nicht so über ihn! Er kann dich hören!«

Sofort verstummte sie und schluckte kräftig.

»Es wird schon nichts passieren, Mom. Keine Angst. Er beißt nicht. Und wenn er doch ein bisschen knabbert, kannst du mir glauben, werd ich schon ein Gummi benutzen, deine Laken sind sicher.«

»Ach du meine Güte!«, schrie sie schrill und wedelte mit den Händen.

Stur ging ich in mein Zimmer und schloss die Tür. Während ich mir meine Sachen auszog, um mich in mein Schlafdress zu begeben, pfefferte ich jedes einzelne Kleidungsstück auf den Boden.

Es war nicht die besonders nette Art, so über ein heikles Thema zu sprechen. Aber wenn ich eins nicht konnte, dann einfühlsam sein, wenn die Schuld bei mir lag. Dann konnte ich nur trotzig werden. Außerdem wusste ich nur zu genau, dass meine Mutter jedes Thema sofort abbrach, wenn es um Sex oder andere schmutzige Sachen ging. Gefühle und Mädchenkram waren ihre top Favoriten. Aber alles danach... auch noch zwischen zwei Männern. On top auch noch der eigene Sohn!

Nein, da endete jedes Gespräch.

Schon damals. Mit den Frauen. Solange ich ihr versprach ein Gummi zu benutzen... War alles in Ordnung.

Ich dachte, es würde auch diesmal funktionieren. Die Sache mit dem Gummi.

 

Es dauerte auch nicht lange, da betrat Kiyoshi recht zögerlich mein Zimmer. Als er meinen leicht genervten Blick sah, schloss er die Tür und räusperte sich nervös.

»Das... war ein sehr lautes Gespräch.«

»Ach«, winkte ich ab, »Das war noch leise. Es sind keine Gegenstände geflogen.«

Kiyoshi seufzte und setzte sich neben mich. »Wenn ich sage, dass es zwischen mir und Vater besser wäre... würde ich lügen.«

»Wir beide sind halt schwierig«, lachte ich leise, »Jeder auf seine Art.«

Mit einer schwungvollen Handbewegung legte ich meinen Arm um Kiyoshis Schultern. Als er sachte seinen Kopf in meine Halskuhle legte, hörte ich ihn abermals seufzen. »Dann … wird das heute Abend... wohl eher nichts, hm?«

Es dauerte einen Moment, bis ich verstand, was er andeuten wollte.

»... Wieso? Ich habe doch nur versprochen, ein Gummi zu benutzen«, scherzte ich und drückte Kiyoshi an mich. Als er jedoch keine richtige Antwort gab, löste ich mich von ihm und sah in seine Augen. »Was lässt dich das Gegenteil annehmen?«

»Na... ich schlafe doch auf dem Sofa und ...«

Da verdrehte ich die Augen und ließ ihn seinen Satz nicht beenden. »Ja, aber doch nur für eine Stunde oder so... Danach kommst du zu mir... Als würde meine Mom das checken. Die wird nicht prüfen, ob du auch wirklich auf dem Sofa schläfst. Wahrscheinlich wird sie sich überhaupt nicht ins Wohnzimmer trauen.«

»Wirklich?« Sofort strahlten seine Augen und blickten voller Hoffnung zu mir.

»Na, klar. Ich... «

Als ich Luft holte, um den lusterfüllten Satz zu beenden, spürte ich es in meiner Kehle zuschnüren.

Auf einmal bekam ich keine Luft, suchte nach Worten, bekam natürlich keins raus.

Kiyoshis Augen weiteten sich. Mit einem Mal sprang er vom Bett, zog mir das Shirt aus und untersuchte meine Brust. Ich wedelte mit den Armen, rang nach Luft.

 

Was es also schon wieder so weit?

Nein, es...

Es war anders. Mir wurde nicht schwarz vor Augen, ich sah alles klar und deutlich, kein Schmerz.

Ich bekam einfach keine Luft.

 

Erst als Kiyoshi sich mit voller Wucht auf mich fallen ließ, musste ich husten und spürte, wie wieder Luft in meine Lunge floss.

 

»Ah!«, keuchte ich auf und rieb meine Brust. »Wow! Kiyoshi... seit wann... hast du so einen Schlag drauf, haha...«

Doch Kiyoshi blieb fassungslos; sah mich an, als würde ich jeden Moment zerfallen.

»Ist alles in Ordnung mit dir, Hiro?«

»Ja... alles gut... ich bekam auf einmal keine Luft mehr.« Dabei rieb ich mir nachdenkend die Brust.

Der Blick meines Bruders blieb unergründlich und wurde mit jeder Sekunde ernster.

»Wahrscheinlich fängt dein Körper an, einzelne Signale der afferenten Nerven auszuschalten, sodass deine Medulla Oblongata nicht mehr ihren Tätigkeiten nachgehen kann.«

»Was«, war alles, was ich rausbekam, während ich noch über meine Brust rieb. Kiyoshi und sein Fachgetue.

Er verdrehte die Augen; wahrscheinlich wie immer überrascht, wie dumm ich eigentlich war. »Deine Verwandlung rückt immer näher... Wir sollten Vorbereitungen treffen.«

»Was denn für Vorbereitungen? Beiß mich doch einfach, wenn's so weit ist...«

»Und wenn ich nicht da bin? Oder Mutter bei uns ist und mich abhält? Weil sie denkt, ich will dir was tun? Es zählen Sekunden...«

Nun, er hatte wie immer nicht ganz Unrecht. Hier und da gab es sicherlich brenzlige Situationen, in denen es schwierig werden könnte mich zu beißen. Andererseits vertraute ich Kiyoshi, dass er alles in seiner Macht stehende tun wird, mich zu retten.

»Was schlägst du vor zu tun?«, fragte ich und zog langsam wieder mein T-Shirt an. Doch ehe Kiyoshi antworten konnte, hämmerte es gegen meine Tür.

»Hiro! Zum aller letzten Mal: Kiyoshi soll nicht bei dir schlafen! Also hört mit dem Krach auf und legt euch hin! Ich muss morgen arbeiten!«, plärrte Mom aus dem Wohnzimmer. Ich brüllte nur ein »Ja!« zurück.

Wütend hörte man die Schritte von der Tür wegführen.

 

»Na gut...«, fing Kiyoshi an, als er sich erhob. »Dann...bis gleich?«

»Bis gleich, Yoshi Schatz.«

»...«

 

Nur ein kurzes Lächeln streifte Kiyoshis Lippen, als er aus meiner Tür verschwand und sie leise schloss.

Er ist nicht an die Decke gefahren, dachte ich. Ein gutes Zeichen.

 

Als ich das Licht löschte und mich ins Bett legte, dabei das Windspiel der Bäume aus meinem Fenster betrachtete, dachte ich daran, was passieren würde, wäre ich erst mal ein Vampir.

Solche kurzen Aussetzer kamen häufiger, als gedacht. Mein Körper schien mit aller Kraft dagegen anzukämpfen. Ich war schon immer eine Kämpfernatur, aber so einen Kampf habe ich noch nie ausgetragen...

 

Ob ich am Ende überhaupt noch Ich selbst sein kann? Oder wird auch das Tier die Kontrolle übernehmen – so wie bei Kiyoshi?


Nachwort zu diesem Kapitel:
Heute mal recht früh, da ich heute Abend weg bin! Und ich kenn mich ... ich würde das Hochladen verpennen :D

Vielen Dank an dieser Stelle schon einmal für die rege Teilnahme an der Umfrage! Ich werde sie noch bis Sonntag offen lassen und dann ein Fazit ziehen!
Auf Facebook werde ich dann alles weitere veröffentlichen - wenn's in die heiße Phase geht, dann auch hier!
Es wird also auf jeden Fall zu einem Druck kommen! ;-))
Vielen herzlichen Dank nochmal! ♥ Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Tomanto
2015-10-08T22:49:20+00:00 09.10.2015 00:49
Ellenchain, du bist echt doof. xD Ich sollte längst schlafen! :D
Ich denke, das nächste Kapitel hebe ich mir auf, bevor ich noch die ganze Nacht durchlese.
LG, das Tomanto
Antwort von:  ellenchain
09.10.2015 10:44
hihih... ich hoffe, du bist heute trotzdem gut aus dem Bett gekommen :D
Antwort von:  Tomanto
09.10.2015 12:20
Schon 12:20 Uhr, gerade erst aufgestanden. XD
Von:  Veri
2015-09-25T05:08:10+00:00 25.09.2015 07:08
Soooooo spannend ! :3
Ich freue mich schon aufs nächste Kapitel & auf die Druckversion <3
Von:  hayamei
2015-09-24T19:01:34+00:00 24.09.2015 21:01
das ist so MEGA spannend, da kann man echt nicht aufhören zu lesen. Bin auch schon voll gespannt auf Hiros Verwandlung ^^
Von:  ellenorberlin
2015-09-24T13:29:00+00:00 24.09.2015 15:29
wuhu *~* ich freu mich schon jedes Mal aufs neue Kapitel und bin meeega gespannt wie es mit seiner Verwandlung wird *~*


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