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The Jelsa Story

von

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Kapitel 1 {Hans}

Über ihm erkämpfte sich das schwache Licht einiger Sterne seinen Weg durch die dichte Wolkendecke, doch es reichte nicht, um die rabenschwarze Nacht zu erhellen. Er befreite seinen hellblauen Mantel aus dem dichten Dornengestrüpp, das die ach so unüberwindbaren Mauern des Gefängnisses umgab - sein Ausbruch war der Beweis dafür, das man sie sehr wohl überwinden konnte, wenn auch nicht ohne fremde Hilfe - als er auch schon die patrouillierenden Wachen um die Ecke kommen sah. Im Schein der schwachen Laternen in ihren Händen konnte er sehen, wie ihre Stiefel den rötlichen Staub auf dem Schotterweg aufwirbelten und er spürte, wie Übelkeit in ihm aufwallte, als er daran dachte, dass niemand mehr genau sagen konnte, wieviel davon natürlicher Schotter war und für wieviel das Blut der Gefangenen, die auf diesen Wegen hingerichtet worden waren, verantwortlich war. Er schauderte bei dem Gedanken daran, wie vielen dieser Hinrichtungen er selbst beigewohnt hatte, allerdings als Zuschauer, hoch oben auf einer Tribüne.

Er stolperte auf den umliegenden Wald zu, ohne wirklich sehen zu können, wohin er trat, weshalb er auch prompt an einem tief hängenden Ast hängen blieb. Er zog an seinem Mantel und hörte den Stoff reißen. Fluchend stolperte er weiter, blieb jedoch stehen, als er merkte, wie nah ihm die Wachen schon waren. Er wollte nicht riskieren die Männer womöglich durch das Geräusch seiner Schritte auf seine Flucht aufmerksam zu machen und duckte sich ins Gebüsch.

Unglücklicherweise blieben die Männer nur wenige Schritte von ihm entfernt stehen und machten nicht den Eindruck als hätten sie vor, sich in nächster Zeit von dort fort zu bewegen. Ihm war durchaus bewusst, dass dieser Umstand den Erfolg seiner Flucht erheblich gefährdete, doch er konnte sich ein erleichtertes Seufzen nicht verkneifen, als er merkte, dass die Wachen kein Wort über ihn verloren und sein Verschwinden somit noch nicht bemerkt worden war.

Das war der Moment, in dem die Sirene zu jaulen begann.

Er begann um sein Leben zu rennen, in der Hoffnung, dass die Sirene das Geräusch seiner Schritte übertönen und die Wachmänner ihn nicht so schnell bemerken würden.

Nach etwa zehn Minuten wurden Stimmen hinter ihm laut und er begann einen wilden Zickzack um die Bäume zu laufen und hoffte, dass er sie so abhängen konnte. So rannte er weiter, bis er jegliches Zeitgefühl verloren hatte und wurde erst langsamer, als er sich sicher war, seine Verfolger abgehängt zu haben. Schwer atmend lehnte er sich an einen Baum. Durch das Blätterdach drangen die ersten Sonnenstrahlen, er musste also die ganze Nacht gerannt sein. Nahe dem Baum, an dem er lehnte, fand er einen riesigen Strauch roter matschiger Beeren. Er kämpfte sich hinein und schob im inneren die kleinen Äste so auseinander, dass sie eine Art winzigen Raum um ihn bildeten. Er musste den Tag durch schlafen, da man ihn tagsüber leichter erkennen würde als Nachts. Die bizarren Albträume, die ihn heimsuchten, waren die selben wie im Jahr zuvor im Gefängnis; er selbst in einem Käfig aus Dunkelheit, eine Armee aus dunklen Feen und schwarzem Sand, ein vertrautes Gesicht - er versuchte, seit das Gesicht zum ersten mal in seinem Traum erschienen war es zuzuordnen, aber er konnte es nicht - von glänzenden goldenen Locken umrahmt, die wunderschönen dunklen Augen ängstlich aufgerissenen.

Er wachte mehrmals schweißgebadet auf, zwang sich aber immer wieder ein zu schlafen; er brauchte die Energie für seinen nächtlichen Marsch.
 

Zuerst dachte er, die Stimmen und Schritte, die er hörte, waren bloß Teil einer seiner unverständlichen Träume, doch je lauter und realistischer die Schritte wurden, desto klarer wurde ihm, dass er sie wirklich hörte, und nicht bloß von ihnen träumte. Erschrocken fuhr er aus seinem Halbschlaf hoch und hielt angespannt den Atem an. Seine Anspannung wuchs mit jedem Schritt, den die Personen auf ihn zu machten und erreichte ihren Höhepunkt, als er die Stimmen der zwei Wachmänner erkannte, die vor seiner Zelle postiert gewesen waren. Er wagte es nicht, auch nur einen einzigen Muskel zu bewegen, bis er hörte, wie sie an seinem Versteck vorbei gingen und sich ihre Schritte allmählich entfernten. Erleichtert sog er die Luft ein, die er seiner Lunge seit gefühlten Zehn Minuten verweigerte.

Als er sich sicher sein konnte, dass die Wachen sich weit genug entfernt hatten, kroch er vorsichtig aus seinem Versteck. Die letzten Sonnenstrahlen waren bereits hinter dem dichten Blätterdach verschwunden und einige wenige Sterne erleuchteten bereits den bewölkten Abendhimmel.

Er setzte seinen Marsch fort, ohne wirklich zu wissen, wohin er lief. Nach weniger Zeit war bereits die Nacht hereingebrochen und Mondlicht tauchte die Gipfel der Eichen in ein silbriges Licht.

Die wenigen Beeren und Nüsse, die er unterwegs fand, waren nicht annähernd sättigend und er bezweifelte, dass er mit einer so sporadischen Ernährung einen weiteren Marsch dieser Länge durchalten würde.

Der Morgen verlief ähnlich wie Tags zuvor; er suchte sich beim erscheinen der ersten Sonnenstrahlen ein mehr oder weniger effizientes Versteck und kämpfte sich wie jedes Mal durch seine Albträume.
 

Als er erwachte, hatte die Dämmerung bereits eingesetzt, und er entschied, dass es sicher genug war, um weiter zu laufen. Nach einpaar hundert Metern konnte er Lichter hinter den Baumstämmen hindurchscheinen sehen und er hatte plötzlich eine Ahnung, wo er sich befinden könnte. Als er schließlich nur noch wenige Meter vom Waldrand entfernt war, erkannte er die dunkelgrauen Hausfassaden als die einer Stadt wieder, die in seinem Königreich lag. Als er auf die Wiese trat und die letzten Bäume hinter sich ließ, erkannte er auch, um welche Stadt es sich handelte. In diesem Moment drängte sich ihm die Erinnerung an das blonde Mädchen wieder auf, ohne das er wusste, wieso. Nachdem er die Wiese überquert hatte, fand er sich am Rand einer stark befahrenen Straße wieder. Die Hauptstraße. Würde er ihr Stadt auswärts folgen, käme er an den größten Hafen der südlichen Inseln und es bräuchte keine fünf Minuten, bis ihn dort jemand erkannte und die örtliche Polizei rief.

Auf dem Weg in die Innenstadt erkannte er immer wieder einzelne Personen, die er im Laufe seines Lebens hier kennengelernt hatte und er hoffte inständig das er sich in diesem einen Jahr im Gefängnis genug verändert hatte, um von ihnen nicht erkannt zu werden. Da er als jüngster Sohn der königlichen Familie die geringste Chance auf eine Regentschaft hatte, wurde er weder von seiner Familie noch von sonst irgendjemandem hohen Ranges beachtet und ernstgenommen, was ihm viele gute Gelegenheiten einbrachte, in denen er sich aus dem Schloss, das seine Familie seit Anfang des achzehnten Jahrhunderts bewohnte, schleichen und hinunter ins Dorf gehen konnte. Er hatte sich schwer getan, dort Freunde zu finden, da die Leute entweder Angst hatten und nichts mit ihm zu tun haben wollten oder unehrlich waren und bloß nach seinem Geld lechszten.

Aber irgendwann hatte auch er es geschafft, Leute zu finden, die ihn mochten wie er war. Doch im Laufe der Zeit hatten sie sich getrennt. Einige waren weg gezogen, alle anderen hatten sich aus den Augen verloren.

Mit einem Mal ergriff ihn ein brennender Schmerz. Es war als stünde sein Herz in Flammen. Er musste anhalten und sich an einer Hauswand abstützen.

Und dann sah er sie.

Das wunderschönste Mädchen, dass er je zu Gesicht bekommen hatte. Haar wie fließendes Gold und Augen so dunkel als sähe man durch sie hindurch in die finstere Nacht.

Das Mädchen aus seinem Traum. Sie verließ gerade ein Geschäft und verriegelte die Tür hinter sich. Als sie sich umdrehte, wehte der Wind ihren blumigen Geruch zu ihm herüber und er wusste, das er ihn schonmal gerochen hatte. Er war ihm so vertraut wie das trostlose Bild seiner Gefängniszelle und doch vermochte er nicht zu sagen, woher er ihn kannte.

Er musste wissen, wer sie war und warum sie Nacht für Nacht seine Träume heimsuchte, also folgte er ihr.

Sie schien sehr freundlich und aufgeschlossen, grüßte jeden, den sie auf ihrem Weg traf. Einige Male musste er anhalten, wenn sie stehen blieb und mit anderen Leuten ins Gespräch kam.

Als sie schließlich vor einem Haus, ähnlich allen anderen um sie herum, stehen blieb hatte er das Gefühl die gesamte Stadt einmal durchquert zu haben. Er gönnte seinen übermüdeten Beinen eine Pause indem er sich hinter die Hausecke kauerte und darauf wartete, dass sie die Tür aufschloss. Er hörte das Geräusch einer zufallenden Haustür, eines Briefkastenfaches dass auf- und wieder zugeschlossen wurde und schließlich federleichte Schritte auf einer alten, baufälligen Holztreppe. Er wagte sich aus seinem Versteck und schlich in Richtung Haustür. Über sich hörte er gedämpft einen Hund bellen und auch diesmal zog es an seinem Herzen, ohne das er verstand wieso. Das war mit Sicherheit nicht der erste und auch nicht der letzte Hund den er bellen hörte! Als er hörte, wie über ihm ein Fenster geöffnet wurde, flüchtete er sich unter das winzige Dach über der Tür und hoffte, dass er schnell genug reagiert hatte.

Da hörte er ihre Stimme.

Es war etwas, was alle anderen Menschen als eine Stimme bezeichnen würden, wenn auch eine schöne, doch für ihn war es mehr als das. Es war eine Melodie, die schönste und lieblichste die er jemals gehört hatte.

Und damit kam alles zurück.

Jede Erinnerung, jeder Gedanke, alles, was er jemals gefühlt hatte.

Er hörte wie das Fenster sich wieder schloss und verlor keine Sekunde.

Er klingelte und wartete angespannt auf eine Reaktion.

Leichte Schritte im Haus, auf der Treppe, eine knarrende Tür, das Klimpern eines Schlüssels, der im Schloss gedreht wurde und dann stand sie vor ihm.

Sein Herz setzte für einen Schlag aus bevor es anfing wie wild zu rasen. Und dann sah er die Szene aus seinem Traum und der ängstliche Ausdruck in ihrem Gesicht zerriss ihm das Herz. Nicht weil er ihm galt, sondern weil dieses liebliche Wesen es nicht verdient hatte jemals Angst zu haben.

Ihre Angst schlug im Bruchteil einer Sekunde in Fassungslosigkeit und schließlich in Wut um. Verständlich, nach allem, was sie hatte durchmachen müssen. Und doch fühlte sich für ihn jedes ihrer Worte wie ein Peitschhieb an: "Was tust du hier? Ich will dich hier nicht sehen! Verschwinde! Verschwinde aus dieser Stadt und aus meinem Leben!" Mit jedem Wort schwoll ihre melodische Stimme immer mehr zu einem schrillen Kreischen an und wurde schließlich von ihrem herzzerreißenden Schluchzen erstickt. Der Anblick ihrer Tränen machte es ihm nahezu unmöglich ein Wort herauszubringen und er musste sich zurückhalten um sie ihr nicht von der Wange zu streichen. "Lass es mich bitte-", begann er verzweifelt, doch er wurde von ihrer hysterischen Stimme unterbrochen: "Ich will keine Erklärungen hören! Das ist nichts, was du jemals wieder gut machen kannst! Du warst bereit über die Leichen zweier unschuldiger Frauen zu gehen und das alles bloß, weil dir ein einfaches Leben mit mir nicht gut genug war! Ich hätte alles für dich aufgegeben, wäre mit dir weggelaufen, damit du nicht im Königreich deines Bruders hättest leben müssen, aber du hast alles zerstört! Für Macht!", ihre Stimme brach und er wusste nicht was er sagen sollte. Sie hatte mit jedem Wort recht. Als er erneut zum Wort ansetzen wollte, kam sie ihm zuvor: "Du brauchst dich nicht zu entschuldigen! Egal was du sagst, ich kann dir das nicht verzeihen." Und mit diesen Worten schloss sie die Tür hinter sich.

Ein trauriges Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er daran dachte, dass sie noch immer schon vorher wusste, was er sagen wollte, doch es erlosch, als er sie im Haus weinen hörte. Er ertrug dieses Geräusch nicht.

Er wandte sich von der Tür ab und stellte erschrocken fest, dass ihr Streit ihnen die Aufmerksamkeit zahlreicher Passanten erbracht hatte und so schob er sich seine Kapuze tiefer ins Gesicht und machte sich auf seinen Weg in Richtung Schattenwald.

Als er nach etlichen Kilometer in eine Seitenstraße, von der er dachte sie wäre leer, einbog, um sich von seinem Marsch zu erholen, musste er schockiert feststellen, das sie nicht ganz so unbelebt war, wie er angenommen hatte. Er rannte nämlich genau in die Arme zweier Polizisten. Da inzwischen vermutlich schon im ganzen Land nach ihm gefahndet wurde, war es natürlich nicht verwunderlich, dass die zwei Männer ihn sofort erkannten. Er machte sofort auf dem Absatz kehrt und rannte seinem ursprünglichen Ziel entgegen. Die Polizisten - wie hätte es auch anders sein können? - folgten ihm und forderten nebenbei Verstärkung an. Bei der Dringlichkeit seines Falles würde es in wenigen Minuten hier einen Auflauf an Polizisten geben, womit er wohl dem einen oder anderen Kleinkriminellen einen Gefallen tat.

Er seufzte vor Erleichterung, als er die ersten Baumwipfel hinter den gräulichen Häusern auftauchen sah. Er konnte förmlich spüren, wie das Adrenalin durch seinen Körper gepumpt wurde und trieb sich auf den letzten Metern seiner Flucht zu Höchstleistungen an.

Er erreichte die Straße vor dem Wald und hörte deutlich, wie dutzende Polizisten ihm folgten und plötzlich inne hielten. Er könnte schwören einen der Männer etwas wie "Bleibt stehen, dass lohnt sich nicht! Der Wald ist sein Tod!" rufen zu hören, als er auch schon im Geäst verschwand.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  kiramanachi
2015-10-18T09:13:41+00:00 18.10.2015 11:13
Eine spannende Story, aber wann geht es weiter?
Antwort von:  sweet-and-happy
04.11.2015 13:03
Tut mir ehrlich leid! Ich weiß sogar schon ganz genau, was ich schreiben will, aber ich komme leider nicht dazu! Ich versuche mich zu beeilen, versprochen! ;)


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