Zum Inhalt der Seite

Seduce Me!

Drei sind (k)einer zu viel
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Ein Anruf

Die Woche neigte sich ihrem Ende zu und Hinata hatte sich so langsam daran gewöhnt, bei den Zwillingen zu leben. Jeden Morgen machte er das Frühstück für die beiden, während Takashi dann das Mittagessen übernahm. Und jeden Morgen gab es natürlich auch etwas mit Ei, die Leibspeise der beiden. An diesem Freitagmorgen hatte sich Hinata etwas Besonderes ausgedacht. Er machte nämlich ein Frühstück nach europäischer Art, da er auch mal ein wenig Experimentierfreudigkeit zeigen wollte. Heute würde es Spiegelei mit gebratenem Speck geben. Dazu noch belegte Brote. Glücklicherweise gab es in der Nähe einen Supermarkt, wo man solche Sachen kaufen konnte. Hinata hatte noch nie in seinem Leben ein Frühstück auf europäische Art gegessen, was mal wieder allzu deutlich zeigte, wie weltfremd er in manchen Dingen noch war. Aber es hatte ihn schon sehr interessiert. Doch obwohl er sich auf dieses außergewöhnliche Frühstück freute, war seine Stimmung mehr als getrübt, denn etwas schlug ihm gewaltig auf dem Magen und nahm ihm auch den Appetit: am Sonntag war der Geburtstag seines Vaters und er würde morgen schon abreisen, da es nach Fukuoka eine ziemlich lange Fahrt werden. Genauer gesagt sechs Stunden Zugfahrt. Sein Ticket war schon gebucht und gleich würde er noch telefonieren müssen. Jetzt im Moment hatte er noch freie Bahn, denn Katsuya war vorhin zum Joggen rausgegangen und Takashi lag im Bett und schlief. Und der schlief so tief und fest, als befände er sich im Koma.

Hinata hatte das alles noch mal sehr genau durchdacht und immer wieder mit dem Gedanken gespielt, ob er Katsuya und Takashi nicht vielleicht doch einweihen sollte. Und einmal stand er auch kurz davor, es ihnen zu sagen, doch er wollte sie nicht in diese Sache mit reinziehen. Sein Vater war sein eigenes Problem und das musste er selber lösen. Sie hatten schon so viel für ihn getan, jetzt musste er auch mal etwas alleine schaffen, ohne sich ständig hinter ihnen verstecken zu müssen. Ja, das war die richtige Entscheidung, auch wenn sie vielleicht nicht die vernünftigste sein mochte. Aber ganz unvorbereitet wollte Hinata nicht einfach so morgen losfahren. Vorher wollte er noch jemanden sprechen, dem er genauso vertraute wie den Itamu-Brüdern.

Hinata schaute kurz auf die Uhr. Jetzt müsste eigentlich die perfekte Zeit sein, solange da nichts dazwischengekommen war. Die Nummer hatte er schon seit zwei Jahren in sein Handy eingespeichert und für den absoluten Notfall aufgehoben, falls seine Eltern ihn hier in Tokyo aufspüren sollten. Als er die Nummer auf seinem Handy wählte, dauerte es eine Weile, bis der Anruf angenommen wurde und sich eine vertraute, freundlich klingende Stimme meldete. Hinata räusperte sich und sagte zögernd „Guten Morgen, Sensei. Hier ist Hinata Amano. Erinnern Sie sich noch an mich?“

„Amano?“

Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang überrascht, was Hinata auch nicht verdenken konnte. Sein ehemaliger Lehrer Herr Sugiyama hatte sicherlich nicht damit gerechnet, so schnell wieder von ihm zu hören. Aber er klang auch erfreut, ihn zu hören.

„Hey, ich hab ja lange nichts von dir gehört, Amano. Wie geht es dir denn? Kommst du mit deinem Studium gut voran?“

„Es geht mir sehr gut“, versicherte Hinata und ohne es zu merken, hatte sich ein glückliches Lächeln auf sein Gesicht gezeichnet und man hätte meinen können, er würde mit einem sehr guten Freund reden. „Ich arbeite neben der Uni als Freelancer für einen Manga-Verlag und ich wohne zurzeit in einer WG mit zwei Brüdern, die sich wirklich gut um mich kümmern.“

„Na das hört sich doch wunderbar an. Man merkt auch schon am Telefon, dass es dir wirklich gut zu gehen scheint. Man hört, wie du strahlst und viel selbstbewusster sprichst. Das freut mich wirklich für dich, Amano. Aber sag mal, ist irgendetwas im Argen bei dir oder wolltest du nur mal anrufen, um hallo zu sagen?“

Und schon hatte sein alter Klassenlehrer ihn durchschaut. Sonderlich schwer war das ja auch nicht. Immerhin wusste dieser, dass bei ihm einiges nicht ganz in Ordnung war und dass er damals vor seinen Eltern geflüchtet war. Herr Sugiyama hatte nie genaue Fragen gestellt und kannte keine Details. Hinata hatte ihm auch nie etwas darüber erzählt, was sein Vater ihm angetan hatte, trotzdem hatte sein Lehrer ihm sofort Hilfe angeboten und ihn sogar unterstützt, heimlich wegzuziehen. Und er hatte ihm auch versichert gehabt, jederzeit für ihn da zu sein, sollte es zu dem Fall kommen, dass seine Eltern ihn finden würden. Dass er anrief, konnte ja nur bedeuten, dass es Probleme gab.

„Es gibt da tatsächlich ein Problem, bei dem Sie mir vielleicht helfen könnten, wenn es Ihnen keine Umstände macht, Sensei. Ich muss morgen zurück nach Fukuoka, weil mein Vater am Sonntag Geburtstag hat. Da sein Geburtstag immer in den Semesterferien liegt, kann ich mich leider nicht rausreden und wenn ich nicht komme, wird er nach mir suchen. Und ich habe Angst, dass er hier aufkreuzen wird und Katsuya und Takashi etwas antun wird. Die beiden wissen über alles Bescheid und wahrscheinlich würden sie mitkommen wollen, aber ich will sie da nicht mit reinziehen. Und außer Ihnen habe ich sonst niemanden, den ich fragen könnte.“

„Wobei brauchst du meine Hilfe?“

„Wenn ich morgen nach Fukuoka fahre, will ich meinem Vater endlich mal die Meinung sagen und ihm sagen, was Sache ist. Auch wenn er mich dafür wahrscheinlich wieder grün und blau schlagen wird, will ich ihm zumindest ein Mal in meinem Leben die Stirn bieten. Allerdings weiß ich nicht, wie heftig er reagieren wird. Es kann gut möglich sein, dass es noch viel schlimmer wird, als nur eine Tracht Prügel. Deshalb möchte ich Sie einfach bitten: wenn ich mich zu einem verabredeten Zeitpunkt nicht bei Ihnen melde, dass Sie die Polizei zu meinen Eltern schicken.“

Eine Weile lang herrschte Schweigen und Hinata sah kurz zur Tür um sicherzugehen, dass auch wirklich niemand zuhörte. Doch da er keine Schritte auf dem Flur hörte, konnte er eigentlich davon ausgehen, dass Takashi noch schlief. Nach einer Weile fragte sein ehemaliger Klassenlehrer mit ernster Stimme „Ist denn wirklich so Schlimmes zu befürchten?“

„Mein Vater hat mich schon mal über eine längere Zeit eingesperrt, wahrscheinlich wird er mich festhalten wollen um zu verhindern, dass ich nach Tokyo zurückkehre. Er kann sehr unberechenbar werden, wenn er wütend wird und deshalb möchte ich für den Fall vorgesorgt haben.“

„Wenn es doch so gefährlich ist, wieso willst du es dann überhaupt tun? Amano, du hast so viel auf dich genommen, um aus diesem Umfeld herauszukommen und in Ruhe dein Leben zu leben. Wieso willst du dann so etwas tun, wenn du doch genau weißt, wie gefährlich dein Vater ist?“

„Weil ich die Sache ein für alle Male abhaken will“, erklärte Hinata mit fester Stimme. „Ich bin es leid, immerzu in Angst leben zu müssen und mich für den Rest meines Lebens zu verstecken. Selbst jetzt, wo ich endlich glücklich bin, verfolgt mich die Angst vor meinem Vater immer noch. Solange ich ihn nicht gesprochen habe, kann ich einfach keinen Neuanfang machen.“

„Und ein Telefonat würde deiner Meinung nach nicht ausreichen?“

„Nein, das wäre nicht richtig. Ich will es ihm von Angesicht zu Angesicht sagen.“

Ein leises Seufzen war am anderen Ende der Leitung zu hören und eine Pause trat ein, wo keiner der beiden etwas sagte. Dann aber sagte Herr Sugiyama „Also gut. Ruf mich bitte morgen an, wenn du in Fukuoka bist.“

„Danke, Sensei. Damit würden Sie mir wirklich helfen.“

„Ich habe dir doch versprochen, für dich da zu sein, wenn etwas passieren sollte.“

Nachdem sich Hinata von seinem alten Klassenlehrer verabschiedet hatte, steckte er sein Handy wieder ein und wandte sich seinen Spiegeleiern zu. Dabei hörte er Schritte auf dem Flur und kurz darauf wurde auch schon die Tür geöffnet, als Takashi hereinkam. Müde rieb er sich die Augen und gab Hinata einen Kuss auf die Wange, woraufhin er sich an den Tisch setzte und einen Kaffee serviert bekam.

„Guten Morgen, Takashi“, grüßte Hinata ihn. „Hast du gut geschlafen?“

„Zu gut“, murmelte der ältere Zwilling müde. „Aber sag mal, mit wem hast du denn eigentlich gerade geredet? Hast du mit jemandem telefoniert?“

Er hat mich gehört, durchfuhr es Hinata wie ein eisiger Schlag und für einen Moment stand er einer Panik nahe, denn wenn Takashi alles gehört hatte, dann drohte sein Vorhaben zu scheitern. Doch Hinata zwang sich zur Ruhe und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Er hatte sich schon alles zurechtgelegt.

„Ich hab mit Sugiyama-sensei telefoniert. Vielleicht erinnerst du dich noch. Das war mein Klassenlehrer, der mir geholfen hat, von meinen Eltern wegzukommen. Er wollte sich erkundigen, ob alles in Ordnung ist und wie es mir geht, weil ich mich ja nie gemeldet habe. Und…“

Hinata sprach nicht weiter. Er fühlte sich hundeelend, dass er im Begriff war, Takashi anzulügen, obwohl dieser so viel für ihn getan hatte. Allein wenn er an diesen wunderschönen Ausflug zum Onsen dachte und an diese wunderschöne Nacht mit dem Zikadengesang und den Glühwürmchen… bloß der Gedanke daran ließ ihn ganz flau im Magen werden, weil er umso deutlicher realisierte, dass er das alles mit Füßen treten würde. Aber es gab kein Zurück mehr. Er hatte schon den Grundstein gelegt und er würde es durchziehen. Und wenn es eben bedeutete, dass er das Vertrauen der Zwillinge für immer verspielte. Lieber belog er sie, als dass er das Risiko einging, dass sein Vater ihnen etwas antun könnte. Selbst wenn Takashi diese Gangmitglieder verprügelt hatte und genauso wie Katsuya Kampfsport beherrschte, sein Vater war unberechenbar und er würde ihm sogar zutrauen, dass er in seiner Wut jemanden umbringen könnte.

„Hinata, ist irgendetwas nicht in Ordnung? Du guckst so bedrückt.“

„Sugiyama-sensei geht es nicht sehr gut“, erklärte Hinata und ihm war, als würde ein Kloß in seinem Hals stecken. „Er ist sehr krank und ich will ihn deshalb das Wochenende über besuchen gehen. Immerhin hat er mir geholfen, von meinen Eltern wegzukommen.“

„Ist es was Ernstes?“

Hinata nickte und hörte eine Stimme in seinem Kopf, die aus voller Kehle schrie, er solle endlich damit aufhören und es nicht tun. Das war nicht richtig. Es war falsch, Takashi so ins Gesicht zu lügen, aber es war schon zu spät. Er hatte es nun gesagt und konnte seine Lüge nicht mehr zurücknehmen. Nun musste er es durchziehen.

„Anscheinend ist es Krebs. Was für eine Art von Krebs es ist, hat er mir nicht gesagt und er ist wohl auch schon in Behandlung. Aber solange ich nicht weiß, ob er wieder gesund wird oder nicht, will ich ihn wenigstens noch mal besuchen und mich für all das bedanken, was er für mich getan hat.“

Verständnisvoll nickte Takashi, stand auf und ging zu ihm hin, um ihn daraufhin in den Arm zu nehmen. Doch das machte es nicht besser für Hinata, sondern nur noch schlimmer. Er hasste es zu lügen, insbesondere wenn er jemanden belügen musste, dem er so viel zu verdanken hatte. Schon damals war er nie ein sonderlich guter Lügner gewesen, weil er schon immer ein Mensch mit moralischen Prinzipien gewesen war.

„Das tut mir wirklich leid, Hinata. Sollen wir dich morgen begleiten?“

„Nein, ich schaffe das schon alleine.“

„Sicher?“ fragte Takashi nach und sah ihn besorgt an. „Wenn du es dir lieber wäre, komme ich gerne mit. Und Katsuya hätte sicherlich auch nichts dagegen.“

Oh Mann, das war nicht einfach… Normalerweise hätte Hinata sofort zugesagt, aber in dem Fall musste er auch mal ganz klar nein sagen, auch wenn es nicht leicht war. Zu Anfang hätte er vielleicht nicht den Mut dazu aufgebracht, aber inzwischen war er mutiger geworden und er war bereit, diesen Entschluss durchzuziehen.

„Nein, das ist schon okay. Ich werde morgen früh um 4 Uhr schon losfahren und am späten Nachmittag wieder zurückfahren, dann bin ich nachts wieder hier.“

„Okay“, sagte Takashi schließlich und ließ ihn wieder los. „Wenn du lieber alleine fahren willst, verstehe ich das. Dann ruf uns morgen an, wenn du wieder auf dem Rückweg bist und wir holen dich dann vom Bahnhof ab.“

„Ja, machen wir es so.“
 

Als Katsuya wenig später vom Joggen zurückkam, huschte er schnell unter die Dusche und kam dann in die Küche, um sich bei einem ausgiebigen Frühstück zu stärken. Und dabei freute er sich natürlich wahnsinnig auf sein heiß geliebtes Ei zum Frühstück, wobei er natürlich wie immer den Spruch loslassen musste, dass Eier gut für die Potenz seien. Er war so ziemlich der einzige, der darüber lachte und als er die etwas merkwürdige Stimmung am Tisch bemerkte, wollte er natürlich sofort wissen, was los war. Und da erfuhr er die Geschichte von dem kranken Lehrer, den Hinata besuchen wollte.

„Oh Mann, das ist echt übel“, meinte er und aß ein Stück Spiegelei mit Speck. „Ich kann schon verstehen, dass du ihn noch mal besuchen willst. Immerhin hat der Typ dir echt geholfen, als du Hilfe brauchtest. Ich glaube, da würde ich auch nicht sonderlich anders handeln. Willst du das Wochenende dort bleiben?“

„Nein, nur den Samstag. Ich fahr morgen früh los und komme spät abends dann wieder. Ich will ihn wenigstens mal besuchen kommen und mich noch mal für alles bedanken, was er für mich getan hat.“

„Dann mach das mal. Du weißt aber, du kannst es dir gerne noch anders überlegen. Wir begleiten dich gerne.“

„Danke, ihr beiden.“

So saßen sie gemeinsam am Tisch und sprachen ansonsten nicht sehr viel. Hinata war auch nicht sonderlich zum Reden zumute.
 

Schließlich ging es um die Verteilung der Aufgaben für die nächste Woche. Da Hinata ja jetzt auch im Haus der Zwillinge wohnte, war es ganz klar gewesen, dass er auch seinen Beitrag leistete. Da die meiste Arbeit immer zuvor an Takashi hängen blieb, hatte Hinata vorgeschlagen, einen Wochenplan mit den Aufgaben zu erstellen, damit es keine Probleme gab und jeder seine Aufgabe abarbeitete. Der Vorschlag war mit Begeisterung angenommen worden und so hatte sich Hinata die Tafel und den dazugehörigen Stift geschnappt, die alten Einträge mit einem feuchten Taschentuch weggewischt und nachdem die Fläche trocken war, wandte er sich an die Zwillinge. Mit Takashi war es ziemlich leicht, denn dieser bot sich für fast alles an und konnte auch so ziemlich alles im Haushalt. Nur Katsuya war ziemlich faul, was den Haushalt betraf und er ruhte sich da auch gerne auf Takashis Schultern aus. Da musste Hinata auch mal etwas hartnäckiger sein und ihn dazu animieren, wenigstens einen Dienst am Tag zu übernehmen.

Die Besprechung der Haushaltsarbeiten dauerte knapp zwanzig Minuten, da es immer wieder ein gewisses hin und her gab. Schließlich sagte Hinata „Also ich übernehme gerne das Kochen für nächstes Wochenende und wenn Katsuya mit dem Abwasch und dem Müll helfen würde, wäre das schon eine große Hilfe.“

„Am Wochenende muss noch die Wäsche gemacht werden“, ergänzte Takashi. „Das kann ich gerne übernehmen.“

„Okay, dann gehe ich auch noch morgens einkaufen“, fügte Hinata bei sich noch hinzu. „Könntest du dann die Räume durchsaugen, Katsuya?“

Nachdem die Aufgaben alle besprochen waren, gingen sie ihren Aufgaben für diesen Tag nach. Hinata übernahm das Putzen zusammen mit Takashi, während Katsuya die Einkäufe für das Wochenende erledigte. Die meiste Zeit war Hinata eher still und nachdenklich und er fühlte sich auch nicht sonderlich gut. Er hatte seit gestern auch Magenbeschwerden und leichte Übelkeit, was aber auch daran lag, dass er morgen seinen Vater besuchen würde. Nervosität, Angst, Widerwillen… in seinem Kopf drehte sich alles und er fühlte sich elend. Etwas in ihm wollte einfach nicht nach Fukuoka zurück. Er hatte Angst davor. Außerdem plagte ihn immer noch das schlechte Gewissen und er fragte sich, ob es nicht vielleicht besser gewesen wäre, wenn er einfach heimlich verschwunden wäre. Nein, das hätte nur dafür gesorgt, dass sich Katsuya und Takashi nur noch mehr Sorgen gemacht hätten. Und er hatte doch gute Vorbereitungen getroffen. Er hatte ein Alibi, sodass die Zwillinge keinen Verdacht schöpfen würden und er hatte seinen alten Klassenlehrer angerufen und ihn gebeten, die Polizei zu rufen, falls etwas schief gehen sollte. Und wenn er abends wieder zurückkam, würde er Takashi und Katsuya die Wahrheit beichten. Auch auf das Risiko hin, dass sie danach ziemlich wütend auf ihn sein würden, weil er nicht ehrlich zu ihnen gewesen war.

Immer, wenn er kurz davor stand, einzuknicken und endlich mit der Sprache rauszurücken, hielt ihn diese Stimme in seinem Kopf davon ab, die ihm sagte, dass es zu spät sei, weil er bereits gelogen hatte und es nicht mehr zurücknehmen konnte. Doch irgendwie munterte es ihn nicht sonderlich auf. Nein, im Moment war ihm eher zum Heulen zumute.

Während er gerade damit beschäftigt war, das Bad zu putzen, dachte er noch mal darüber nach, was er morgen seinem Vater alles sagen und vor allem wie er es ihm sagen würde. Fakt war, dass er es ihm direkt ins Gesicht sagen musste, ansonsten würde die Botschaft nie bei ihm ankommen. Und dann hätte Hinata sich seine Fahrt nach Fukuoka auch sparen können. Auf jeden Fall würde er ihm sagen, dass er es leid war, immer nur von ihm herumgeschubst, geschlagen, gedemütigt und herumkommandiert zu werden und er sich das nicht mehr länger gefallen lassen würde. Ebenso wenig würde er noch weiter vor ihm davonlaufen und sich verstecken wie ein Feigling. Dann würde er ihm die Wahrheit sagen, dass er in Tokyo Kunst studierte und als Freelancer für einen Verlag arbeitete und bereits eine erste Serie veröffentlicht hatte und bald die nächste folgen würde. Und zu guter Letzt würde er ihm sagen, dass er in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung mit Zwillingsbrüdern war. Nun, er konnte sich jetzt schon darauf einstellen, dass die Fetzen fliegen würden. Er konnte sich sogar vorstellen, dass sein alter Herr noch die Küche zerlegen würde, wenn er wieder einen seiner berüchtigten Tobsuchtsanfälle hatte. Aber trotzdem gab es einen winzigen Teil in Hinatas Kopf, der sich auf diese Konfrontation freute. Denn endlich würde er ein einziges Mal in seinem Leben den Mut aufbringen, seinem Vater die Stirn zu bieten und ihm alles ins Gesicht zu sagen. Damit würde er nicht nur sich selbst eine große Last von den Schultern nehmen, sondern er konnte auch mit Stolz sagen, dass er sich zum ersten Mal gewehrt hatte.

Vielleicht verstanden Katsuya, Takashi und Herr Sugiyama nicht, warum es ihm so wichtig war, die Konfrontation zu suchen, auch wenn er wusste, dass es nicht gut für ihn enden würde. Aber solange er das nicht getan hatte, würde er keinen Seelenfrieden haben. Dann würde immer diese Angst und Unsicherheit in seinem Hinterkopf bleiben. Er musste sich selbst beweisen, dass er stark genug war, ansonsten würde er sich für den Rest seines Lebens nur noch hinter anderen verstecken, die ihn dann beschützen mussten.
 

Am Nachmittag gab es „Takashi’s Spezialgericht“, was sich als ein ziemlich scharfes aber dennoch verdammt leckeres Curry entpuppte. Dennoch trieb die Schärfe Hinata die Tränen in die Augen und er schaffte nicht sonderlich viel davon. Katsuya hingegen schien quasi immun gegen die Schärfe zu sein. Er aß eine Portion nach der anderen und auch Takashi schien das nichts auszumachen. Doch die beiden bemerkten schnell, dass Hinata das nicht so leicht wegsteckte.

„Ist dir das zu scharf?“ erkundigte sich Takashi und als Hinata den Kopf hob, sah er auch, dass seine Wangen glutrot waren.

„Ein wenig“, gestand der 20-jährige und goss sich etwas Milch ein, um die Schärfe zu neutralisieren. „Normalerweise esse ich nie scharf.“

„Dann mach ich dir beim nächsten Mal ein etwas milderes Curry. Ist dir irgendwie schwindelig?“

„Nein, nur heiß…“

Hinata schaffte noch den Rest seiner Portion und musste danach zwei Gläser Milch trinken, um das Höllenfeuer in seinem Mund irgendwie loszuwerden. Und Katsuya, der es wohl scharf liebte und sogar noch ein paar Chiliflocken über sein Essen streute, kam natürlich mit einer Geschichte an, die zu ihm passte.

„Kennt ihr Yurako Hasegawa, die bei uns Literatur studiert?“

„Die nebenbei im Schwimmclub ist?“ hakte Takashi nach und bekam ein bestätigendes Nicken zur Antwort. Katsuya aß noch den letzten Bissen und erzählte, dass Yurako, von der selbst Hinata wusste, dass sie trotz Studium nicht die Hellste war, im Krankenhaus gewesen sei. Sie hatte im sozialen Netzwerk geschrieben, dass sie schlimme Beschwerden gehabt hätte, insbesondere auf der Toilette und dass sie ihre Symptome gegoogelt hätte. Dabei hat sie sich eingeredet, dass sie eine akute Blasenentzündung hätte und hatte sich daraufhin einliefern lassen. So viel hatte sie geschrieben. Nachdem sie sich einen Tag lang gar nicht gemeldet hatte, kam dann die Antwort, was die brennenden Schmerzen in ihrem Land des senkrechten Lächelns verursacht hatte: ihr Freund Keigo hatte zuvor gekocht gehabt… mit Chilischoten. Sie hatten beide in der Küche rumgemacht und dann ist er mit seiner Hand, mit der er die Chilischoten angefasst hatte, weiter südlich bei ihr gewandert. Und den Rest konnte man sich ja denken.

Takashi und Hinata schüttelten schmunzelnd den Kopf bei dieser Geschichte, während Katsuya vor Lachen sogar in Tränen ausbrach und sich kaum auf seinem Platz halten konnte. Vor allem weil es seiner Meinung nach schon peinlich genug war, solche Sachen überhaupt öffentlich zu posten. Doch da wandte sich der Sportbegeisterte an Hinata, denn er war noch nicht fertig.

„Und Takashi ist mal fast das Gleiche passiert“, ergänzte Katsuya, der sichtlich Mühe hatte, weiterzureden, weil er nicht aufhören konnte zu lachen. „Als er sein Spezialgericht gekocht hat, ist er nach dem Essen…“

„Katsuya!“ rief Takashi protestierend. „Hör bloß auf damit!“

Doch der jüngere Zwilling dachte nicht daran und fuhr einfach fort. „Als er sich in seinem Zimmer einen von der Palme wedeln wollte, hatte er da auch noch Rückstände von dem Chilizeug dran. Mit dem Ergebnis, dass er schreiend durch die Bude gelaufen ist und sein bestes Stück ganz rot angelaufen war.“

Da musste Hinata nun wirklich lachen, denn allein die Vorstellung war einfach zu lustig. Takashi war der Einzige, der nicht sonderlich darüber lachen konnte.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (6)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Seranona
2016-01-03T19:27:57+00:00 03.01.2016 20:27
Ich frage mich jetzt schon ob das bei hinatas Vater gut ausgehen wird
Der arme kleine
Von:  Yuutas
2016-01-03T09:52:44+00:00 03.01.2016 10:52
Wow also wie schaffst du es bloß immer wieder so viele Gefühle in ein Kapitel zu packen?!
Also ich finde es einerseits gut das hinata sich seiner Angst gegeüber seinem Vater endlich stellen will,
andererseits bin ich nicht ganz unbesorgt um ihn.denn wer weiß was alles passieren könnte wenn der vater agressiv wird.

Übrigens wissen viele gar nicht das Mich bei Scharfen sachen wirklich hilft, die meisten trinken da eher Wasser
Oh und die Geschichte mit Takashi war ja jetzt genau das richtige um die Stimmung zu heben.Von einem Moment auf den anderen war ich traurig und dann super gut drauf bzw. ich hab mich zu tode gelacht . Respekt.
Von:  Onlyknow3
2016-01-02T19:11:16+00:00 02.01.2016 20:11
Es ist wie es ist, auch wenn Hinata wegen seines Lehrers gelogen hat ist es für ihn ein Schritt in die Freiheit.
Denn es ist ein Stück in richtung Verarbeitung der Misshandlungen die Hinata in seiner Vergangenheit erlebt und erfahren hat durch seinen Vater, Köperlich wie Seelisch. Deshalb kann ich Hinatas Schritt nachvollziehen.
Mach weiter so, auch wenn ich bedenken habe wegen Hinata und seiner Reise, bin ich gespannt wie es weiter geht.
Freue mich auf das nächste Kapitel.

LG
Onlyknow3
Von:  mor
2016-01-02T16:25:28+00:00 02.01.2016 17:25
Lügen und etwas verschweigen sind zwei verschiedene Dinge. Das Hinata sagt das sein Lehrer Krebs hätte ist extrem übertrieben -_- als Notlüge hätte es auch getan wenn Er gesagt hätte das Er Seinen Lehrer der alten zeiten willen besuchen möchte.
Antwort von:  Sky-
02.01.2016 17:39
Hätte er das gesagt, dann hätten sich die Zwillinge schon gewundert, warum er extra 6 Stunden fährt, nur um mal seinen alten Lehrer zu besuchen, vor allem weil dieser in derselben Stadt wohnt wie seine Eltern. Die Lüge mag zwar ziemlich übertrieben sein, aber niemand würde so etwas hinterfragen, ob das auch wirklich stimmt. Ich kenne das selber sehr gut und auch wenn solche Lügen echt heftig sind, so sind sie sehr wirkungsvoll.
Von:  San-Jul
2016-01-02T15:46:54+00:00 02.01.2016 16:46
Hey,
Und woooow, ich bin echt geflasht.
Hinata, oh man, ich weiß.echt nicht was ich dazu sagen soll. Einerseits kann ich ihn verstehen, aber anderseits will ich ihn am liebsten packen und so lange schütteln, bis er zu Vernunft gekommen ist. Hoffentlich geht das nicht schief was er vor hat.
Das Ende dieses Kapiels hat das Bedrückende raus genommen, auch wenn man es immer noch om Hinterkopf hatte. Und es war ziemlich lustig ... Chillis, auf so was würd ich nicht kommen xD
Ganz liebe Grüße
San-Jul <3
Antwort von:  Sky-
02.01.2016 16:54
Und das Witzigste ist: das basiert tatsächlich auf einen realen Facebook-Eintrag xD
Antwort von:  San-Jul
03.01.2016 10:12
Oh man xD
Bestimmt ein versehen oder die Dummheit von Menschen xD


Zurück