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Mörderische Goldgier

"Geliebter Blutsbruder"- Teil II
von

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Aufgeflogen - Ausgeflogen

An diesem Abend nahm ich tatsächlich all meinen Mut zusammen. Nach dem Essen, welches wir gemeinsam mit Winnetous Unterhäuptlingen und den Westmännern in einer großen Runde an einem der Lagerfeuer vor dem Pueblo einnahmen, nutzte ich einen günstigen Augenblick, um dem Engländer unauffällig ein Zeichen dafür zu geben, dass er mir folgen sollte. Er tat das auch, offenbar kein bisschen überrascht und mit einem recht seltsam wirkenden, fast schon belustigten Lächeln im Gesicht.

Ich führte ihn ein weiteres Mal bis ganz hinunter an den Pecos, weil mir die vielen abgeschiedenen Buchten dort als der einzig sichere Platz erschienen, wo wir vor unwillkommenen Zuhörern geschützt sein würden – und aufgrund dieses brisanten Themas war mir das natürlich immens wichtig.

Nach einem kurzen Schweigen, welches auch nötig war, damit ich mich noch einmal sammeln konnte, fasste ich mir endlich ein Herz und begann:

„Mein lieber Freund! Mir geht unser Gespräch von heute Nachmittag nicht mehr aus dem Kopf – und ich würde zu gerne wissen, ob meine Vermutung in die richtige Richtung geht!“

„Welche Vermutung denn?“, fragte Emery, dessen Lächeln immer verschmitzter zu werden schien.

Ich seufzte. Hatte ich geglaubt, es würde einfach werden? Wohl kaum.

„Nun ja... du hattest die offenbar noch enger gewordene Bindung zwischen Winnetou und mir angesprochen – und auch seinen positiven Stimmungswandel erwähnt... Ich hatte dabei den Eindruck gewonnen, als würdest du glauben, dass...“

Ich kam wieder ins Stocken, denn ich wollte es einfach nicht aussprechen – nicht, bevor ich nicht sicher sein konnte, dass Emery tatsächlich Bescheid wusste. Wäre dem nicht so und ich würde mich trotzdem vor ihm offenbaren, käme ich damit ja buchstäblich in Teufels Küche!
 

Wenn man sich jetzt aber das Mienenspiel des Engländers ansah, lag die Vermutung nahe, dass er sich beinahe einen Spaß daraus machte, mich so in der Luft hängen zu lassen; als wüsste er genau, worauf ich hinaus wollte, er es aber erst aus meinem Munde hören wollte – eine Situation, die für mich eine einzige Quälerei war. Fast schon verzweifelt sah ich meinen alten Freund an, der mich jetzt schelmisch angrinste und dann auch noch einen drauf setzte:

„Welchen Eindruck hattest du denn gewonnen?“

Himmel! War er wirklich so ahnungslos – oder wollte er mich etwa mit Absicht entnerven? Seine Augen schienen mittlerweile vor Vergnügen zu blitzen, und dieser Anblick war es, der mir ein unabsichtliches Stöhnen entlockte.

„Ach, Emery! Weißt du denn wirklich nicht, worauf ich...“

„Worauf du hinaus willst?“, unterbrach der Engländer mich sofort wieder, wobei er tatsächlich Mühe zu haben schien, vor Lachen nicht einfach loszuplatzen.

„Natürlich weiß ich das, alter Junge! Und um dich jetzt nicht völlig in die Verzweiflung zu treiben – dir steht ja mittlerweile buchstäblich der Schweiß auf der Stirn! - will ich dich nun auch endlich einmal erlösen.“

Begütigend legte er mir die Hand auf die Schulter und begann dann erneut:
 

„In der Hoffnung, dass ich mich jetzt nicht völlig irre und du mir deswegen im nächsten Moment den Kopf abreißt: Ich bin mir mittlerweile sehr sicher, dass deine Liebe zu Winnetou nicht nur freundschaftlicher und platonischer Natur ist. Ich glaube vielmehr, dass ihr seit einiger Zeit auch... na ja... ihr habt auch körperlich zueinander gefunden, ist es nicht so?“

Mir wurde in diesem Augenblick siedend heiß, gleichzeitig aber fiel mir auch ein Stein – ach was, ein wahrer Felsbrocken vom Herzen. Emery wusste tatsächlich Bescheid! Und er hatte sich nicht gleich beim ersten Verdacht angewidert von uns abgewendet, sondern brachte offenbar sogar noch Verständnis für uns auf – auch wenn es auch ihm gerade eben noch sichtlich schwergefallen war, die Dinge beim Namen zu nennen.

Sein Gesicht wies nun auch einen leicht verlegenen Ausdruck auf, so dass es jetzt an mir war, ihn von seiner Ungewissheit zu erlösen und das für die meisten Menschen eigentlich Unfassbare erstmals vor einem Außenstehenden auszusprechen.
 

„Ja – du hast das Richtige vermutet, mein Freund. Und ich kann dir gar nicht sagen, wie überaus erleichtert und vor allem dankbar ich bin, dass du trotzdem deine Freundschaft zu uns aufrecht erhalten willst – oder bist du jetzt vielleicht doch anderer Meinung?“

„Sag einmal – bist du von Sinnen?“, ereiferte sich der Engländer sofort.

„Das traust du mir doch nicht etwa ernsthaft zu – oder doch? Nur weil ihr beide euch so sehr liebt, seid ihr doch keine anderen oder schlechteren Menschen geworden?? Was um alles in der Welt denkst du eigentlich von mir??“

„Schon gut – ist ja schon gut, alter Knabe!“, versuchte ich ihn lachend zu besänftigen, während im gleichen Moment eine tonnenschwere Last von meiner Seele zu weichen schien. Mit dieser Reaktion hätte ich nun wirklich niemals gerechnet – bei keinem unserer weißen Gefährten!

Um mein Misstrauen ihm gegenüber zu rechtfertigen, versuchte ich ihm nun meine Gedanken nahezubringen:

„Emery – du kannst dir vielleicht gar nicht vorstellen, wie sehr Winnetou und ich uns vor solch einem Moment der unabsichtlichen Offenbarung gefürchtet haben! Vielleicht nicht gerade vor seinen Stammesgenossen – da scheinen einige zumindest etwas zu ahnen, aber ein Großteil der Apatschen ist doch der Ansicht, dass alle Liebe, egal welcher Art, von Manitou kommt und niemals zu verurteilen ist. Aber unsere weißen Freunde! Himmel, Emery – ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, wie ich selbst noch vor einem Jahr reagiert hätte, wenn mir eine solche Beziehung zwischen zwei Männern unter unseren Freunden untergekommen wäre! Wer weiß, vielleicht hätte ich mich dann selbst sogar zum größten Moralapostel stilisiert!“
 

„Ich kann deine Sorgen sehr gut verstehen, mein Lieber“, pflichtete Emery mir lächelnd bei.

„Und ich bin ganz ehrlich: Nicht jedem unserer hier anwesenden Freunde würde ich über euren Beziehungsstand reinen Wein einschenken , denn einigen würde in diesem Fall tatsächlich jegliches Verständnis fehlen!“

„Weiß denn sonst noch jemand davon?“, fragte ich in einem erneuten Anflug von Besorgnis.

„Ich habe mit niemanden darüber gesprochen“, antwortete Emery bestimmt.

„Allerdings könnte ich mir vorstellen, dass dennoch der ein oder andere die richtigen Schlüsse aus seinen Beobachtungen der letzten Wochen und Monate gezogen hat, so wie es bei mir geschehen ist.“

„Ja, war unser Verhalten denn so auffällig?“ forschte ich mit leicht betretener Miene nach.

„Für ungeübte Beobachter und Leuten mit weniger Menschenkenntnis sicherlich nicht. Außerdem würden die meisten allein schon einen solchen Verdacht euch gegenüber als etwas so Abstruses empfinden, dass sie dem gar nicht nachgehen würden. Gerade euch beiden traut man so etwas wohl am wenigsten zu. Nein, auffällig wart und seid ihr keineswegs – aber erinnerst du dich an meine Beobachtung von heute Nachmittag? Als ich Winnetous derzeitige Stimmungslage einer neuen Liebe zuordnete? Wie recht ich damit doch hatte!“

Lachend schlug er mir ein weiteres Mal auf die Schulter; seine Augen blitzten nur so vor Vergnügen. Deutlich war zu sehen, dass er sich wirklich und wahrhaftig mit uns freute – und das tat so unendlich gut!

Doch war das der einzige Grund, weshalb er diese besondere Art der Liebe jetzt so schnell akzeptierte? Oder steckte noch etwas anderes dahinter? Neugierig geworden, stellte ich Emery eine in diese Richtung zielende Frage, woraufhin er antwortete:

„Charley – ich war früher Soldat, wie du vielleicht noch weißt. Und du glaubst gar nicht, wie oft mir solcherlei Beziehungen während eines Feldzugs aufgefallen sind! Allerdings mit einem deutlichen Unterschied: dort war fast nie Liebe im Spiel, es ging eher nur um den reinen Stressabbau. Euch beiden hingegen braucht man ja nur in die Augen zu schauen, um zu sehen, wie sehr ihr den anderen liebt – und das ist ja nun einmal das absolut Wichtigste im Leben, nicht wahr?“
 

Lächelnd sah ich ihn an und legte meinem englischen Freund dann beide Hände auf die Schulter.

„Du glaubst gar nicht, wie froh und glücklich ich bin, dass du so denkst, Emery!“

„Kann ich mir gut vorstellen, mein Lieber“, grinste er.

„Aber eine Frage brennt mir jetzt doch noch auf der Zunge: Seit wann weißt du eigentlich, dass du überhaupt so empfindest? Und wie hat Winnetou das aufgenommen? Oder hat er etwa die Initiative ergriffen?“

Nun konnte ich mir ein Lachen nicht mehr verkneifen, während ich antwortete:

„Das waren jetzt aber schon drei Fragen, mein Freund! Um es kurz zu machen: Das Ganze hat uns beide gewissermaßen einfach überfallen – keiner von uns hatte zuvor jemals darüber nachgedacht oder auch nur geahnt, dass wir für den anderen auf diese Art empfinden; auch hatten wir niemals damit gerechnet, dass wir überhaupt zu solchen Gefühlen einem anderen Mann gegenüber fähig sind. Erst als wir während Winnetous Genesungsphase vor fast einem Jahr über einen längeren Zeitraum so einen engen körperlichen Kontakt hatten, wie es so vorher noch nie geschehen war, sind wir uns darüber bewusst geworden. Natürlich waren auch wir zuerst richtig erschrocken, aber dann hatte das uns beide überkommende untrügliche Gefühl, endlich nach Hause gekommen zu sein, deutlich über den Schrecken gesiegt!“
 

„Ja... ich glaube, ihr seid wirklich angekommen, alter Junge! Es ist ganz klar zu erkennen, dass eure Entscheidung euch beiden einfach nur gut tut – vor allem an Winnetou kann man das deutlich ausmachen. Ich bin sogar der Meinung, dass es für ihn gar nicht besser hätte kommen können! Eine Frau an seiner Seite würde ihn doch zu sehr einschränken – sie würde seine notwendigen Reisen behindern, er wäre in ständiger Sorge um ihre Sicherheit, während sie ihn niemals so beschützen könnte wie du es vermagst. Nein... gerade unser Häuptling dürfte hier das große Los gezogen haben – du aber natürlich nicht weniger!“

Emery sagte das in einem Brustton der Überzeugung, und sein Blick ruhte mit einem innigen Strahlen auf mir.

„Das habe ich ganz bestimmt“, entgegnete ich, nicht minder strahlend.

„Ich bin so glücklich wie noch niemals zuvor in meinem Leben – und ich kann mir ehrlich gesagt auch überhaupt nicht mehr vorstellen, jemals wieder so etwas für einen anderen Menschen empfinden zu können, weder für einen Mann – noch für eine Frau!“

„So ist es recht, mein Junge!“

Der Engländer hieb sich jetzt selber auf die Schenkel, stand dann auf und streckte mir die Hand hin, um mir beim Aufstehen behilflich zu sein.

Einträchtig schweigend traten wir jetzt den Rückweg an, und ich freute mich beinahe schon diebisch auf den Moment, wo ich Winnetou von dieser erfolgreichen Unterredung berichten konnte. Gleichzeitig ahnte ich schon, dass es bei dieser Unterredung wahrscheinlich nicht bleiben würde, und allein der Gedanke daran steigerte meinen Frohsinn beinahe ins Unermessliche.
 

Die folgenden Tage vergingen wie im Fluge, denn der Zeitpunkt unserer Abreise rückte immer näher, und nun wurde es langsam ernst. Den größten Teil der Zeit nahmen dabei unsere Reisevorbereitungen ein, denn es musste noch vieles geregelt werden, um die Reise für Winnetou so angenehm wie nur möglich gestalten zu können.

Es war natürlich selbstverständlich, dass mein Freund spätesten auf dem Schiff in New Orleans seine traditionelle Lederkleidung ablegen müssen würde, und das hieß, für ihn möglichst bequeme Ersatzkleidung zu beschaffen. Und hier war dem Erfindungsreichtum unserer Freunde jetzt wirklich keine Grenzen gesetzt!

Der Bärenjäger war mit seinem Sohn sowie den „Verkehrten Toasts“ nebst Old Surehand schon vor vielen Tagen nach Santa Fé gereist, um dort soviel Auswahl an in Frage kommender Kleidung zu besorgen, wie es nur ging, denn niemand wollte Winnetou zumuten, sich in einem Kleiderladen zu begeben und sich dort von ignoranten Weißen anstarren lassen zu müssen.
 

Unter den Sachen war auch vieles dabei, was bei meinem Freund und mir zu wahren Heiterkeitsausbrüchen führte, denn so gut ihm die Kleidung meiner Meinung nach auch stand – sie passte einfach nicht zu diesem freiheitsliebenden, willensstarken, naturverbundenen und mutigen Mann und ließ ihn darin aussehen wie der sprichwörtliche Wolf im Schafspelz. Spätestens bei der Anprobe von Frack und Zylinder war es dann mit unserer Beherrschung endgültig vorbei – mit Lachtränen in den Augen saßen wir kurz darauf auf den Boden, völlig außer Puste, nachdem wir pausenlos versucht hatten, uns diesen unmöglich opulenten Zylinder gegenseitig über den Kopf zu stülpen, mit dem Ergebnis, dass der unschuldige Hut nun völlig zerfetzt vor uns lag.

Glücklicherweise waren wir zu diesem Zeitpunkt alleine in Winnetous Wohnräumen, da wir uns jegliche Störung verboten hatten. Es fiel meinem Freund schon schwer genug, die für ihn so ungewohnte und teils sehr einengende Kleidung anzuziehen, da sollte ihm wenigstens niemand dabei zusehen können.

Erst eine ganze Weile später hatten wir dann aber doch einige bequeme Hosen und Hemden ausgesucht, die meinen Blutsbruder nicht zu sehr in seinen Bewegungen einschränkten und trotzdem den Standards der deutschen Mittelschicht genügen würde.
 

Und hier kamen nun die Frauen des Stammes ins Spiel. Dabei muss ich erwähnen, dass die meisten der jungen, ledigen Squaws (und teils auch einige der verheirateten) die baldige Abreise meines Freundes zutiefst bedauerten. Viele von ihnen hatten immer noch nicht die Hoffnung aufgegeben, irgendwann vielleicht doch einmal das Herz ihres Häuptlings erobern zu können, und nahmen daher jede sich bietende Gelegenheit wahr, ihm günstig aufzufallen. Die meisten liebten ihn wirklich aufrichtig, ein Umstand, der zum Beispiel während seiner Bettlägerigkeit dazu geführt hatte, dass seine Wohnräume mit guten Speisen beinahe völlig überfüllt gewesen waren und er unweigerlich gemästet worden wäre, wenn sein Appetit es zugelassen hätte.

Und so ergriffen die Damen nun dankbar die nächste Möglichkeit, ihm ein weiteres Mal Gutes zu tun, indem sie ihm das Tragen der fremden Kleidung erleichtern wollten. Lustigerweise hatten sie sich dabei ausgerechnet mit den Siedlerfrauen aus der einen Tagesritt von uns entfernt liegenden Auswanderersiedlung zusammengetan – und diese Frauen hatten schon mehrmals bewiesen, dass ihnen der Häuptling der Apatschen ebenfalls alles andere als gleichgültig war!
 

Vor einigen Tagen nämlich war eine große Abordnung der Auswanderer im Pueblo eingetroffen, die sich nach dem Befinden des Mannes erkundigen wollten, der ihnen damals so großzügig einen Teil des Stammlandes der Apatschen überlassen hatte, nachdem er ihnen zuvor in der Wüste sogar erst noch das Leben gerettet hatte. Eigentlich hatten wir ja geplant, bei unserer Rückkehr von der Goldsuche mit den Butterfields noch einmal bei den liebenswerten Menschen vorbeizuschauen, aber Winnetous Gesundheitszustand hatte dies natürlich nicht zugelassen. Da die Siedler von seiner Krankheit mittlerweile auch erfahren hatten, wenn auch nicht die volle Wahrheit, waren sie voller Sorge und hatten es sich deshalb nicht nehmen lassen, ihm persönlich ihre Aufwartung zu machen.
 

Als den Siedlerfrauen von dem Kleiderproblem erfuhren, legten sie sich jetzt mit den Squaws des Stammes so richtig ins Zeug – da gab es nun ein Schneidern und ein Nähen, dass es eine Freude war!

Aus ganz feinem und weich gegerbtem Hirschleder fertigten die Frauen im Laufe weniger Tage etliche Hemden und Hosen an und färbten diese unterschiedlich ein, so dass es kaum jemanden auffallen konnte, dass es sich nicht um europäische Tuchware handelte, wenn man die Sachen nicht direkt berührte. Das war natürlich die beste Lösung, denn Winnetou fühlte sich in dieser Kleidung so wohl, dass er sie teilweise schon im Pueblo anbehielt, auch um sich daran zu gewöhnen.

Einzig die Schuhe waren ein Problem. Auch hier hatten die Damen versucht, Abhilfe zu schaffen, aber mehr als einige unauffällige Mokassins für den Hausgebrauch konnten sie einfach nicht herstellen, und so würde sich mein Freund in der Öffentlichkeit dann doch leider in die für ihn fürchterlich einengenden und unbequemen Schuhe zwängen müssen.
 

Währenddessen versuchte ich, Winnetou so viel wie möglich von der europäischen Mentalität nahezubringen. Ich erzählte ihm von den deutschen Sitten und Gebräuchen sowie den manchmal seltsamen Eigentümlichkeiten meiner Landsleute – ich wollte einfach verhindern, dass der unweigerlich auftretende Kulturschock ihn völlig überfordern würde.

Ein übers andere Mal huschte ihm während meiner Erzählungen ein belustigtes Lächeln über das schöne Gesicht, und ich wusste, dass er innerlich den Kopf schüttelte vor Unverständnis über so manche unserer europäischen Eigenarten. So viele Dinge, auf die der Deutsche Wert legte, erschien dem stolzen Apatschen einfach nur kleinlich, oftmals auch völlig unnötig, und er wunderte sich ein übers andere Mal über die Tatsache, dass wir unsere wertvolle Lebenszeit mit so vielen unwichtigen Dingen füllten!

Ich beließ es aber nicht nur bei den Erzählungen, sondern zeigte meinem Freund auch viele Dinge anhand von Bildern und Büchern, die mir der Bärenjäger und seine Begleiter ebenfalls aus Santa Fé mitgebracht hatten. Müßig übrigens zu erwähnen, dass die Kosten sämtlicher Einkäufe auf unauffällige Art und Weise von Emery beglichen worden waren!

Und noch etwas hatten die Freunde auf meinem Wunsch dort vorsorglich schon erworben, worüber ich an einem der letzten Abende im Pueblo auch sehr froh war, dass ich so vorausschauend gedacht hatte.
 

An diesem Abend betrat Winnetou unsere Räume, wo ich schon auf ihn gewartet hatte. Er setzte sich sofort zu mir und behandelte mich ab diesem Moment so liebevoll, lies mir so viel Zärtlichkeit zuteil werden, dass ich schnell ahnte, dass er etwas auf dem Herzen hatte, sich aber noch scheute, es offen auszusprechen. Kurzerhand nahm ich ihn in den Arm und bat ihn inständig, sich mir doch einfach anzuvertrauen.

Etwas zögerlich griff mein Blutsbruder daraufhin in seinen Gürtel, holte den mir nur zu gut bekannten, reich bestickten Lederbeutel heraus, in dem sich immer eine ganz ansehnliche Menge Nuggets befanden, ließ den kompletten Inhalt in seine Linke fallen und schickte sich an, mir diesen ganzen Reichtum in die Hände zu schütten.

Mir war sofort klar, welchen Zweck er damit verfolgte, und daher zog ich jetzt auch schnell meine Hände weg. Verwundert sah er mich an, während ich nur den Kopf schüttelte und mit einem wissenden Lächeln nun meinerseits in meine Brusttasche griff. Aber noch ehe ich die Bewegung vollendet hatte, begann Winnetou mit einem bittenden Ausdruck im Gesicht zu sprechen:
 

„Es ist Winnetous großer Wunsch, dass sein Bruder zulassen möge, wenn der Häuptling der Apatschen die mit Sicherheit hohen Kosten für unsere Reise übernimmt! Winnetou weiß, dass sein geliebter Freund nicht über allzu große Reichtümer verfügt – der Apatsche hingegen kann davon geradezu im Überfluss vorweisen, wann immer er nur will. Mein Bruder weiß aber auch, dass Winnetou all das Gold völlig gleichgültig ist, und da Old Shatterhand nun viel Geld ausgeben muss, obwohl er gar nichts dafür kann, bitte ich ihn jetzt darum, das Gold für diesen Zweck zu verwenden!“
 

Gott, was war ich jetzt froh, dass ich für diesen Fall rechtzeitig vorgesorgt hatte! Es wäre mir hier sonst wirklich sehr schwergefallen, auch nur ein vernünftiges Gegenargument zu finden. So aber behielt ich mein Lächeln bei, schüttelte wieder nur den Kopf und hielt Winnetou mit frohlockender Miene schließlich einen Sekundenbruchteil später zwei Schiffbilletts unter die Nase.

Erstaunt musterte er die Tickets erster Klasse, die ich mir von den Freunden in Santa Fé in weiser Voraussicht hatte besorgen lassen – und zum ersten Mal war ich wirklich richtig glücklich über meine Entscheidung, Emerys großzügiges Angebot anzunehmen.

„Mein Bruder sieht, dass er sich um nichts mehr zu sorgen braucht. Sämtliche Reisekosten sind schon vollständig getilgt worden, ohne dass es meine Kasse großartig belastet hätte. Außerdem ist Winnetou mein Gast – und als ein solcher wird er auf keinen Fall auch nur einen Penny für diese Reise oder seinen Aufenthalt in meiner Heimat bezahlen, genauso wenig wie ich hier bei dir jemals etwas bezahlen musste, besser gesagt auch nur durfte. Die Gastfreundschaft wird bei den Apatschen in hohen Ehren gehalten – genauso sehe ich das allerdings auch, und das ist jetzt auch mein letztes Wort!“

Winnetous schönes Antlitz wies jetzt auf meine energische Rede hin doch ein gewisses Maß an Verwunderung auf, auch weil er natürlich die Tickets als Erste-Klasse-Billetts erkannt hatte, aber da ich ihm auf keinen Fall von Emerys großzügigem Geschenk, auch auf dessen eigenen Wunsch, erzählen wollte, legte ich jetzt das überzeugendste Flehen in meinen bittenden Blick hinein, zu dem ich überhaupt fähig war.
 

Und natürlich verstand mein Blutsbruder mich hier wieder ohne Worte. Sein durchdringender Blick wandelte sich nun von einem leisen Erstaunen bis hin zum vollstem Verständnis für meinen Wunsch, nicht mehr über dieses Thema reden zu müssen, und so legte er mir nur mit einem zustimmenden Nicken die Hand auf die Schulter und beließ es einfach dabei.
 

Die finanziellen Dinge waren natürlich nicht das Einzige, und das wir uns kümmern mussten. Ganz klar im Vordergrund standen vor allem die medizinischen Aspekte – wir wollten unbedingt für alle Fälle und für jeden erdenklichen Notfall gerüstet sein, und so saßen Walter und ich oftmals mit dem Dijin sowie Entschah-koh oder Til Lata zusammen, um alles zu planen und zu besprechen. Winnetou wurde hier übrigens selten mit einbezogen, denn ihm war dieses ganze Thema einfach nur noch unangenehm, was mittlerweile deutlich zu sehen war.

Am Ende hatten wir schließlich eine Art Medizinköfferchen gepackt, in dem sich nicht nur Walters Medikamente, sondern auch viele indianische Heilkräuter und -pflanzen befanden, und wir waren uns sicher, dass wir damit bestens vorgesorgt hatten. Allerdings hofften wir alle auch von ganzem Herzen, dass ein Notfall niemals eintreten würde und wir somit gar keinen Gebrauch von diesem Koffer machten mussten!
 

Emery war unter einem Vorwand übrigens auch noch einmal nach Santa-Fé gereist, um von dort aus ebenfalls einiges im Voraus zu organisieren. Er war in meine geplante Reiseroute vollständig eingeweiht und hatte jetzt dafür gesorgt, dass an fast allen Orten, an denen ich mit Winnetou ein Schiff oder einen Zug besteigen musste, die dafür notwendigen Tickets – natürlich wieder nur Erster Klasse – an den zuständigen Schaltern hinterlegt worden waren. Vor allem aber hatte er in mehreren auf dieser Route liegenden Banken einen dicken Batzen Geld für mich deponieren lassen. Der Engländer war nämlich bei den betreffenden Banken bestens bekannt und hatte mir angedroht, des Öfteren nachzuhaken, ob ich von dem Reichtum auch Gebrauch machen würde, so dass ich gar nicht erst in Versuchung kommen sollte, mein eigenes bescheidenes Vermögen anzurühren. Der große Vorteil für mich bestand aber vor allem darin, dass ich somit nicht gezwungen war, eine Unmenge Geld mit mir herumzuschleppen, was ja mitunter auch nicht ganz ungefährlich war.
 

Einige Tage später allerdings drohte ein unerwartetes Ereignis das ganze Unternehmen dann aber doch noch einmal zu gefährden.

Als die Gefährten aus Santa-Fé zurückkehrten, warteten sie auf eine Gelegenheit, mit mir und den anderen Westmännern sowie den stellvertretenden Häuptlingen alleine sprechen zu können, ohne dass Winnetou davon etwas mitbekam – sie hatten nämlich Nachrichten im Gepäck, die zu einer gewissen Unruhe Veranlassung gaben.

Dick Hammerdull und Old Surehand war es gelungen, zwei Kundschafter der Comanchen zu belauschen, die sich nicht weit entfernt von dem Grenzgebiet ihrer Jagdgründe versteckt gehalten hatten. Genaues hatten unsere Gefährten allerdings nicht erfahren können, nur so viel, als dass sich der feindliche Stamm offenbar aus irgendeinem Grund in Aufruhr befand und viele Späher in alle Richtungen ausgesandt hatte. Außerdem war von weißen Gefangenen die Rede und auch von Anschuldigungen gegenüber mehreren Soldatenforts, aber alles nur sehr ungenau und bruchstückhaft.

Die Westmänner hatten es sich ja zur Aufgabe gemacht, soweit wie nur möglich für Frieden in der gesamten Umgebung zu sorgen, und somit stand für sie fest, dass sie die Comanchen ab jetzt ganz genau beobachten und zudem auch noch Kontakt zu Kommandant Collister aufnehmen würden, um auch ihn von den Vorkommnissen zu unterrichten und ihn zu bitten, ebenfalls die Augen offenzuhalten. Entschah-koh war natürlich ab jetzt ebenfalls auf der Hut und wollte mit Til Lata und Yato-Ka sein übriges für die Sicherheit des Stammes tun. Auf keinen Fall wollte man von irgendwelchen kriegerischen Aktivitäten urplötzlich überrascht werden!

Die Schwierigkeit bestand jetzt allerdings darin, all diese Maßnahmen so zu planen und durchzuführen, dass Winnetou davon bis zu unserer Abreise nichts mitbekam. Das fehlte noch, dass der Häuptling jetzt noch beunruhigt wurde und sich daraufhin vielleicht sogar weigerte, die Reise überhaupt anzutreten!

Es gelang uns tatsächlich, unter Einhaltung strengsten Stillschweigens unter den Eingeweihten und auch nur mit äußerster Vorsicht, Späher in das Grenzgebiet zu den Comanchen auszusenden, ohne dass es Winnetou auffiel – zumindest konnten wir nichts Gegenteiliges feststellen, vielleicht auch deshalb, weil der ganze Stamm, wenn auch eher unwissentlich, den Häuptling mittlerweile ordentlich ablenkte.
 

Mein Blutsbruder war nämlich derweil vollauf damit beschäftigt, von all den ihm nahestehenden Familien Abschied zu nehmen. Er hatte so viele Einladungen für ein Abendessen in den einzelnen Zelten und Wohnungen erhalten, dass er kaum noch wusste, wie er das alles in der wenigen verbleibenden Zeit bewältigen sollte. Oftmals war auch ich mit ihm zusammen eingeladen worden, doch nicht wenige Krieger wollten ihren geliebten Häuptling noch einmal ganz alleine für sich und ihre Familien haben, zumindest für wenige Stunden, und dafür hatte ich natürlich vollstes Verständnis.

Die Abende, die ich somit ohne meinen Freund verbringen musste, füllte ich entweder mit vielen Zusammentreffen mit den Westmännern aus, auch um die ungewisse Situation mit den Comanchen zu besprechen, oder ich nutzte die ungewohnt ruhigen Mußestunden dazu, an meinen Reiseerzählungen zu schreiben, über die ich dann meistens einschlief, bis ich von Winnetou liebevoll geweckt wurde.
 

Und so näherte sich unsere Abreise mit rasanten Schritten, und somit auch der Abschied von unseren geliebten Pferden. Winnetou und ich hatten schon kurz nach seiner Ankunft Tsain-tonkee mit der Pflege der Rappen beauftragt, so dass diese sich an ihn gewöhnen und ihm vertrauen lernen konnten. Mittlerweile ritt er die beiden auch schon abwechselnd aus, und es war deutlich zu erkennen, wie sehr dem jungen Indianer das Wohl der Tiere am Herzen lag, während diese auch ganz allmählich eine feste Bindung zu ihm aufbauten.

Eine seiner Hauptaufgaben während unserer Abwesenheit würde dann auch aus der Pflege der kostbaren Hengste bestehen, eine Aufgabe, die den jungen Unterhäuptling mit großem Stolz erfüllte. Bei ihm konnten wir wirklich sicher sein, dass Iltschi und Hatatitla gut aufgehoben und versorgt sein würden, was uns die Trennung von unseren treuen Gefährten doch sehr erleichterte.
 

Am Tag vor unserer Abreise brachen Winnetou und ich noch ein letztes Mal zu einem langen Ausritt auf, um die Rappen gebührend zu verabschieden. Es fiel uns doch wider Erwarten sehr schwer, die Hengste verlassen zu müssen, aber wir trösteten uns mit einem Wiedersehen in nicht allzu weiter Ferne und natürlich auch mit der Tatsache, dass wir, vor allem aber natürlich ich, schon des Öfteren über eine sehr lange Zeit von ihnen getrennt gewesen waren – und wie schön war dann immer das Wiedersehen gewesen!

Schweigend ritten wir jetzt über die blühende Prärie, durchquerten kühle und dämmrige Wälder oder hangelten uns im Schritttempo schmale Bergpässe hinauf, wo wir irgendwann hart am Abgrund hoch über dem Pecos lagerten, die unendliche Weite und Schönheit des Apatschenlandes in uns aufnehmend und mit allen Sinnen genießend. Wie schon während des ganzen Ritts überschütteten wir auch hier unsere tierischen Gefährten mit allerlei Zärtlichkeiten und Aufmerksamkeit; gleichzeitig bekamen aber auch wir so viele liebevolle Stupser ab, so oft schmiegten sich die Hengste an uns heran, dass wir deutlich spürten: auch Iltschi und Hatatitla ahnten, dass ein Abschied nahte!

Am späten Nachmittag führte uns der Weg dann auch unweigerlich an unserer kleinen versteckten Höhle vorbei – wir wurde beinahe wie magisch davon angezogen. In den nächsten Wochen würden wir uns ja entweder in ständiger Gesellschaft oder in einer engen Schiffskabine mit dünnen Wänden befinden, und so war es die vorerst letzte Gelegenheit, unsere Leidenschaft und unsere Begierde aufeinander noch einmal hemmungslos auszuleben – und das taten wir dann auch.
 

Erst spät am Abend kehrten wir ziemlich erschöpft ins Pueblo zurück, wo man schon beinahe besorgt um uns werden wollte. Die Vorbereitungen zu dem großen Abschiedsfest, welches uns zu Ehren stattfinden sollte, waren schon längst abgeschlossen, so dass wir jetzt sehnsüchtigst erwartet wurden. Vor allem Dick Hammerdull und der dicke Jemmy starrten hungrig auf die Unmengen von Wildbret, das neben dem Feuer aufgestapelt lag – und kaum setzten Winnetou und ich uns in den großen Kreis, sprangen die beiden auf und begannen eiligst, das Fleisch aufzuspießen. Dieser Anblick belustigte unseren guten Sam Hawkens dermaßen, dass er aus dem Kichern kaum mehr herauskam.

„Da scheinen unsere beiden Schwergewichtler in letzter Zeit aber ganz schön Hunger gelitten zu haben, wenn ich mich nicht irre! Mir scheint, als ob der liebe gute Sam Hawkens in den nächsten Wochen vermehrt auf Jagd gehen muss, damit unter unseren geliebten Apatschenfreunden nicht noch wegen diesen beiden eine Hungersnot ausbricht – hihihi!“

Unter uns Weißen machte sich nun großes Gelächter breit, während Jemmy und Dick den kauzigen Westmann mit teils belustigten, teils wütenden Blicken bedachten, sich daraufhin aber sichtlich bemühten, ihre übertriebene Eile bei der Zubereitung des Essens deutlich zu reduzieren.
 

Und nun begann ein Abend, den ich wahrscheinlich niemals vergessen werde. Die so ernsten und stolzen Apachen vergaßen in diesen Stunden völlig ihre übliche Zurückhaltung und überschütteten ihren geliebten Häuptling geradezu mit Liebesbeweisen. Auch mit ihrer Trauer über dessen morgige Abreise hielten sie nicht mehr hinter dem Berg, was man vielen Gesichtern deutlich ansehen konnte.

Wieder versuchten die meisten Frauen, meinem Freund die besten und zartesten Stücke der vielfältigen Speisen zukommen zu lassen, es wurde viele Tänze nur ihm zu Ehren aufgeführt, und immer wieder setzte sich einer der Stammesältesten an seine Seite, zumeist um ihm eine schnelle und vor allem vollständige Genesung zu wünschen oder ihm gute Ratschläge zu diesem Zweck mit auf den Weg zu geben. Auch ich wurde von allen Seiten bedrängt und mit so viel Aufmerksamkeit bedacht, dass es mir beinahe zu viel werden wollte; auch ich bekam so viele Speisen vorgesetzt, wie ich sie im Leben nicht würde verdrücken können, und auch ich wurde von den Stammesältesten mit Ratschlägen nur so überschüttet – diese betrafen aber natürlich und vor allem meinen Blutsbruder. Die guten Menschen sorgten sich doch weiterhin sehr um ihn und wollten auf alle Fälle sichergehen, dass es mir jederzeit gelingen würde, ihren Häuptling zur Schonung anzuhalten, wann immer es nur möglich und vor allem nötig war.
 

Viele lange Reden wurden uns zu Ehren von den Häuptlingen und den hervorragendsten Kriegern der Apatschen gehalten, und dahinter wollten unsere weißen Gefährten auf keinen Fall zurückstehen. Stellvertretend für alle bedachte uns Old Firehand mit den besten Segenswünschen und machte deutlich, wie sehr wir unseren Freunden wie auch dem gesamten Stamm fehlen würden. Gleichzeitig bekräftigte er noch einmal den festen Willen der Westmänner, mit allen Mitteln für den Erhalt des Friedens im und rund um das Stammland der Apatschen zu sorgen, und er versicherte dem Häuptling der Apatschen, dass er dafür notfalls auch mit seinem eigenen Leben einstehen würde.

Und dann, ganz zum Schluss, ergriff Winnetou das Wort. Mit seiner klaren, sonoren Stimme, die er gar nicht erst erheben musste, um von allen gehört zu werden, bedankte er sich zuerst bei seinem ganzen Stamm für die Liebe und große Fürsorge, die ihm von all den Menschen gerade in den letzten Wochen entgegen gebracht worden waren. Anschließend ermahnte er jeden einzelnen von ihnen, Krieger wie Frauen, in der Zeit seiner Abwesenheit unbedingt für den Erhalt des Friedens zu sorgen und nicht durch unbedachte Aktionen oder verletztem Stolz den ganzen Stamm in Gefahr zu bringen.
 

Zu guter Letzt überbrachte er den Westmännern seinen ausführlichsten Dank für deren selbstlosen Einsatz für das Volk der Apatschen sowie für die Freundschaft, die Liebe und die Fürsorge, die vor allem er selbst, aber auch seine Stammesgenossen bis jetzt von den weißen Freunden erfahren hatten. Ausführlich lobte der Häuptling unsere Gefährten für deren Hilfe und Beistand, den diese völlig uneigennützig in den kommenden Monaten noch den Mescaleros gewähren wollten, und er tat das auf eine solch herzliche und tief ergreifende Art und Weise, dass den Männern beinahe die Tränen kamen und sie ihm am liebsten Einhalt geboten hätten, wenn das nicht gegen alle Regeln der Höflichkeit gewesen wäre.

Seine Worte hatten die Westmänner jetzt aber noch einmal mehr in ihren Absichten bestärkt, und deshalb versicherten sie ihm im Anschluss an seine Rede ein weiteres Mal im Brustton der Überzeugung, notfalls ihr Leben für die Sicherheit und Freiheit des Volkes der Apatschen zu geben, was ihnen den donnernden Beifall des ganzen Stammes einbrachte und Winnetou sogar dazu bewegte, jedem einzelnen noch einmal gegenüberzutreten, fest in die Augen zu schauen und stumm, aber mit dafür um so mehr sprechender Miene beide Hände zu drücken.
 

Am Ende dieses einzigartigen Abends standen mit einem Mal sämtliche Krieger und Frauen auf, wie auf einen unsichtbaren Winke hin, entzündeten jeder rasch eine kleine Fackel und hielten diese schließlich hoch in den sternenklaren Abendhimmel, während sie einen uralten mythischen Singsang anstimmten, der schon seit Hunderten von Jahren in nur ganz besonderen Momenten von den Apatschen gesungen wurde, und das auch nur immer zu Ehren eines großartigen Häuptlings.

Es war ein unglaublich bewegender Moment, die vielen Hundert Männer und Frauen überall auf und vor dem Pueblo, teils sogar auch auf den umliegenden Anhöhen mit den Fackeln stehen zu sehen und auf diese ergreifende Art singen zu hören, während der riesige Bau vom Feuerschein hell erleuchtet wurde.

Winnetou selbst stand währenddessen stumm und regungslos an meiner Seite, und es war ein solch stolzer und erhabener Anblick, wie er dort, hoch aufgerichtet und mit unbewegten Gesichtszügen, vom flackernden Licht der Flammen beleuchtet wurde! Einzig seine Augen, die nun einen erhöhten Glanz aufwiesen und immer mehr zu funkeln begannen, verrieten seine innere Bewegung – und zum Schluss konnte auch mein geliebter Freund trotz aller Selbstbeherrschung nicht mehr verhindern, dass ihm eine einzelne Träne die Wange herablief.
 

Dieses so anrührende Bild von ihm bewirkte nun allerdings, dass auch ich jetzt mit meiner Beherrschung an meine Grenzen kam. Noch Minuten nach dem Ende des so unglaublich ergreifenden Gesanges rang ich um Fassung und konnte nur mit Müh und Not verhindern, dass ich meinen Tränen freien Lauf ließ, die mir die ganze Zeit über schon hinter den Augenlidern brannten.

Winnetou erkannte meine Not, fühlte er doch genau das Gleiche, und so trat er ganz nah an meine Seite, um unauffällig meine Hand zu ergreifen und sie tröstend zu drücken. Sofort erwiderte ich den Händedruck und fühlte mich ihm gleichzeitig so nah, so tief mit ihm verbunden, Herz und Seele waren eins, dass mein Herz wie wild schlug und ich eine Gänsehaut nach der anderen bekam.
 

Spät in der Nacht legten wir uns endlich zur Ruhe, und als wir schließlich eng umschlungen in den Armen des anderen lagen, Winnetou aber lange Zeit über kein Wort sagte, da konnte ich doch nicht umhin, meinen Freund zu fragen:

„Geht es dir gut? Oder bedrückt dich der Gedanke an die lange Trennung nun vielleicht doch ein wenig?“

Sofort ergriff mein Blutsbruder meine Hand und zog sie an seine Brust.

„Nein, Scharlih. Winnetou fühlt eine große Freude, und das gleich dreifach: Endlich einmal wird er die Heimat seines Bruders kennenlernen; zugleich kann er dir deinen großen Wunsch erfüllen, in friedlicher Umgebung ungehindert gesund zu werden – und das Wissen, dass mein lieber Bruder die ganze Zeit über an meiner Seite sein wird, ist für mich dabei das größte Glück!“

Gerührt schloss ich meinen geliebten Freund noch ein wenig fester in meine Arme, und dieses einzigartige Gefühl der unzertrennlichen Liebe, welches mich schon seit dem Lied der Apatschen erfasst hatte, hielt auch jetzt noch die ganze Zeit über, bis wir eingeschlafen waren, in unverminderter Stärke an und machte mich einfach nur unendlich glücklich.
 

Der endgültige Abschied von den Mescaleros am nächsten Morgen war nicht weniger gefühlvoll als am Abend zuvor, und darum machten wir ihn auch so kurz wie möglich, um die Emotionen nicht zu sehr hochkochen zu lassen.

Bis Austin wurden wir von nahezu siebzig Apatschen, angeführt von Til Lata, begleitet, sowie einigen Westmännern, zu denen Old Surehand, Bärenjäger Baumann und Sohn, Sam Hawkens, der dicke Jemmy und der lange Davy und natürlich unser guter alter Freund Emery gehörten. Die große Anzahl an Kriegern waren von allen Westmännern und stellvertretenden Häuptlingen für absolut nötig befunden worden, um im jeden Fall vor einem Angriff von feindlich gesonnenen Stämmen oder, noch schlimmer, von umherziehenden Desperados und Banditen geschützt zu sein. Winnetou hatte zwar mehrmals versucht, sein Veto gegen diese von ihm für ziemlich übertrieben bewertete Maßnahme einzulegen, wurde aber gnadenlos überstimmt.

In Austin verließen uns seine Krieger dann aber wieder, da hier ein weithin durch Soldaten gesichertes Gebiet begann und solch eine große Anzahl Indianer unweigerlich für viel Aufsehen sorgen würde, was vielleicht sogar in gefährliche Komplikationen durch eventuelle Zusammenstöße mit Indianerhassern ausarten könnte.

Glücklicherweise aber blieb bis zu diesem Zeitpunkt alles friedlich, so dass die Apatschen unbehelligt den Rückweg antreten konnten, nachdem sie sich, wenn auch etwas betrübt, von ihrem Häuptling verabschiedet hatten.

Vor allem Til Lata ging die Trennung von seinem Jugendfreund sichtlich nahe, und während der innigen Verabschiedung zwischen konnte ich hören, dass er Winnetou mit bewegter Miene mitteilte, wie sehr er dessen Rückkehr jetzt schon entgegen sehnte und wie sehr er hoffte, dass sein Häuptling auch wirklich vollständig genesen würde.
 

Wir legten den Rest der Reise bis New Orleans somit also nur noch mit unseren weißen Gefährten zurück, die bis zur Ankunft am Hafen auch an unserer Seite bleiben wollten. Winnetou als Roter Mann war ja in den Städten der Weißen immer ein wenig gefährdet, und wir wollten auf keinen Fall riskieren, dass er sich eventueller Angriffe von irgendwelchen ignoranten Menschen erwehren musste, da ihm ja immer noch keine großen körperlichen Anstrengungen zugemutet werden durften.

Doch auch dieser Teil der Reise blieb friedlich, so dass wir an einem windigen Morgen im Spätherbst am Kai in New Orleans standen und Winnetou andächtig, beinahe staunend, das riesige Schiff betrachtete, welches uns nach Europa bringen sollte.

Ich muss gestehen, dass ich bis dahin mit einem solchen Prachtexemplar auch noch nie gereist war, da diese Art nur in einer Preisklasse buchbar war, die selbst in der dritten Klasse für mich kaum bezahlbar gewesen wäre. Was musste da jetzt wohl eine Kabine der ersten Klasse kosten?

Beinahe betreten sah ich Emery an, der dieses Schiff natürlich mit voller Absicht ausgesucht hatte. Meinen Blick bemerkend, trat er an meine Seite und raunte mir zu:

„Ein kleines Abschiedsgeschenk, alter Junge! Euch soll es an Bord schließlich an nichts fehlen – und ich habe mir sagen lassen, dass die Zwischenwände im Erste-Klasse-Bereich auch besonders gut Geräusche eindämmen sollen!“

Grinsend schlug er mir auf die Schulter, und ich musste nun alle Anstrengungen aufbringen, nicht laut loszuplatzen. Das war mir ja ein feiner Freund!

Zu allem Übel hatte Walter Hendrick den letzten Satz des Engländers gehört. Auch er konnte nur mit Mühe ein Kichern unterdrücken, als er mir zuflüsterte:

„Ich werde hier wohl ein Auge auf euch haben müssen, mein Freund! Schließlich soll Winnetou sich erholen, nicht wahr?“

Nun war es mit meiner Beherrschung vorbei. Lachend knuffte ich den Doktor in die Seite, konnte aber nicht verhindern, dass mir die Verlegenheit eine leichte Röte in die Wangen trieb, was mir einen höchst verwunderten Blick von Winnetou einbrachte, der von all dem ja nichts mitbekommen hatte.
 

Schließlich, nach vielen herzlichen Umarmungen, guten Wünschen und mühsam unterdrücktem Abschiedsschmerz, standen Winnetou, Walter Hendrick und ich endlich an Deck des riesigen Dampfers und winkten etwas wehmütig den Freunden zu, die ihrerseits unermüdlich ihre weißen Taschentücher schwenkten, bis wir einander nicht mehr erkennen konnten.
 

E N D E D E S II. T E I L S



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Onlyknow3
2016-05-22T19:47:48+00:00 22.05.2016 21:47
Das ist also der Anfang einer Reise die Winnetous genesung im Vordergrund steht.
Mach weiter so, freue mich auf die Fortsetzung.

LG
Onlyknow3


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