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Bruderliebe

von

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Ein Jahr später …

Trist und grau war dieser November, der mich noch trauriger werden ließ.

Ein Jahr war seit der Wanderung vergangen. Eines, das mich veränderte – und nicht im positiven Sinne. Es hatte mich nach Hamburg verschlagen. Seitdem las ich keine Bücher, aß keinen meiner heiß geliebten Donuts, hörte keine Musik – Nichts. Ich vegetierte eher vor mich hin, als das ich richtig leben würde.

Seit Monatsbeginn dachte ich mehrmals täglich an Darian, an unsere Wanderung, an die Schmerzen, daran wie ich mich hinterher gefühlt hatte. Stück für Stück fiel ich tiefer in ein Loch. Ich sah meinen eigenen Aufprall und konnte mich nicht wehren. Alles kam unaufhaltsam zurück und riss mich in die Tiefe.

Es war Freitag und seit Langem stand mir ein freies Wochenende bevor. Die Euphorie über die viele Freizeit, die ich somit haben würde, verspürte ich nicht. Mir waren die vielen Überstunden und eng gestrickten Dienstpläne, besonders an den Wochenenden, eindeutig lieber. Sie lenkten mich gekonnt von meinen Sorgen ab.

Doch heute sollte es kein ruhiger, von Arbeit angereicherter Tag werden. Nein, im Gegenteil!

Es lief alles schief, was schief laufen konnte und es wurde für mich regelrecht zu einem Fiasko.

Alles fing damit an, dass mein Wecker aufgrund leerer Batterien stehen geblieben war, und ich wachte eine Stunde zu spät auf. Wie in einem Zeitraffer war ich aus meinem Bett aufgesprungen, ins Bad gehechtet und anschließend übereilt und mit schlecht rasiertem Gesicht auf dem Weg zur Arbeit. Dabei hatte ich eine rote Ampel deutlich missachtet. Gerade in diesem Moment, wie hätte es anders, in meinem vom Pech verfolgten Morgen, sein können, stand ein Streifenwagen in unmittelbarer Nähe, und hatte die Kreuzung überwacht. Einen Monat Führerscheinentzug und 200 Euro Bußgeld waren das Endresultat. Was mich schmerzlich traf, denn das war exakt die Miete für die WG gewesen. Bis meine Daten von der Polizei erfasst wurden, dauerte es nochmals über eine Stunde. Ich musste das Auto, welches ich vor drei Wochen für 500 € durch eine Kreditaufnahme gekauft hatte, auf einem Parkplatz stehen lassen und mit öffentlichen Verkehrsmitteln weiterfahren.

So fuhr ich mit der Bahn zur Arbeit. Dort kam ich mit insgesamt drei Stunden Verspätung an, worauf man mich gleich zum Chef beorderte. Ausgerechnet heute wäre meine Arbeitsvertragsverlängerung gewesen. Auch hier verließ mich das Glück und die Pechsträhne hielt weiter an. Man verlängerte nicht. Der Grund war nicht mein ‚zu spät Kommen‘, wie ich anfänglich befürchtete, sondern man müsse Personal einsparen. Zu hoher Kostenfaktor, hieß es. Ich vermutete, dass das der übliche Weg war, Personal somit nicht weiter beschäftigen zu müssen. Dabei hatte ich mich in diesen Job reingekniet. Er war für mich eine Ablenkung von meinen eigentlichen Problemen gewesen. Es war frustrierend.

Abermals würde ich nach einer Arbeitsstelle Ausschau halten. Es war die dritte innerhalb eines Jahres.

Ein Gefühl von Minderwertigkeit, wie ich es damals auf der Hütte verspürte, überfiel mich. Dieselben Gedanken, die gleichen Empfindungen, verloren zu haben – und das in allen Lagen. Ich fiel in ein mentales Loch.

Ohne eine richtige Zukunft, ausgebrannt und sich wesentlich älter fühlend, hatte ich die Arbeitsstelle verlassen, den Chef stehen gelassen, als dieser sich freundschaftlich von mir verabschieden wollte. Ohne Führerschein, ohne Auto und ohne Arbeit, sah die Zukunft düster aus.

Ich hatte die Hände tief in meine Hosentaschen vergraben, und lief in niedergeschlagener Haltung ziellos durch die Gassen von Hamburg. Mein Blick war stur auf den Boden gerichtet. Ich nahm keinerlei Notiz am bunten Treiben der Leute, ging an dekorativen Schaufenstern, Einkaufsmärkten oder den wie nach Fritten stinkenden Imbissbuden emotionslos vorbei. Als ich einen Mann aus Versehen anrempelte, bekam ich das nur mit, weil er mich auf übelste Weise beschimpfte. Ich ignorierte die aufgebrachte Person daraufhin, lief teilnahmslos weiter, schlug aber den Nachhauseweg ein.

Kaum hatte ich die Wohnungstür aufgeschlossen, wurde ich sofort von meinen zwei Mitbewohnerinnen Ina und Sabine begrüßt, die in der Küche standen und mich im Flur sehen konnten, da die Tür fehlte. Eigentlich hatte ich keine Lust, mich zu ihnen zu gesellen, mich an einem 08/15 Gespräch zu beteiligen und wollte ihnen den Rücken kehren, um auf mein Zimmer zu gehen, als Ina lauthals rief: „Jaden!“

Frauen!

Mit hängenden Schultern schlurfte ich in die Küche. Ina, eine quirlige, junge Rothaarige, knetete gerade einen Brotteig. Der Teig klebte halb an ihren Fingern, halb auf der bemehlten Tischplatte, zwischen geraspeltem Käse und getrockneten Tomaten. Ich vermutete, dass sie eines ihrer italienischen Brote backen wollten – im Pizzastil. Sabine, der blonde Gegenpart, war am Gemüse schnippeln. Es sah chaotisch aus. Wie gut, dass ich keinen Aufräumdienst hatte. Ich seufzte.

„Hi“, grüßte ich mit leiser Stimme, hob die Hand dann zum Abschied und war im Begriff, den Rückzug anzutreten. Mir war weder nach Essen oder nach Gesellschaft zumute – auch nicht nach Beethovens kleiner Nachtmusik, die ständig, wenn die beiden zusammen kochten, leise im Hintergrund spielte.

Die Frauen merkten sofort, dass mit mir was nicht stimmte. Meine trübe Stimmung verriet mich. Die ausstrahlende Traurigkeit, die ich zwar stets an den Tag legte, war heute noch ausgeprägter als sonst.

„Jaden, was ist los?“, fragte mich Ina vorsichtig.

„Mmh“, war alles, was ich darauf erwiderte. Ich wollte meine Ruhe haben, daher schüttelte ich den Kopf, mir war nicht nach Reden zumute.

„Mensch, was hast du? Sag!“ Es war Sabine, die den zweiten Angriff startete. Erneut schüttelte ich den Kopf. Sie blieb beharrlich. „Hat es mit deiner Arbeit zu tun?“

„Hatte zu tun“, mehr sagte ich nicht. Die Frauen verstanden sofort, waren beide nicht auf den Kopf gefallen.

„Komm, erzähl.“ Ina versuchte, mich mit sanfter Stimme zu trösten, geschickt Informationen aus mir herauszulocken. Aber ich wollte meine Ruhe. Ich haderte kurz mit mir, gab dann aber nach, als ich zwei brennende Augenpaare auf mir spürte.

In groben Zügen erzählte ich die Geschehnisse und dass ich die Miete erst später zahlen könnte. Dass ich meinen Führerschein verloren hatte, verschwieg ich, beließ meine Geschichte bei einer Geldstrafe, was nicht gelogen war.

„Jaden, das wird wieder, okay. Es ist nicht die letzte Arbeit. Du findest eine neue Tätigkeit. In der heutigen Zeit ist das fast normal. Die Firmen verlängern die Arbeitsverträge nicht, selbst wenn du gut im Job bist.“ Ina hatte ihren Brotteig in eine Kastenform gedrückt, deckte ihn mit einem sauberen Küchentuch ab und ließ ihn aufgehen. Sie wusch sich ihre Hände und kam kauend, mit einer Apfelsine, die im Obstkorb auf dem Kühlschrank gestanden hatte, in der Hand, auf mich zu.

Stumm sah ich ihr kurz zu, wie sie ihren zweiten Bissen zu sich nahm.

Ich mochte Ina, mochte sie beide, doch konnte ich es nicht richtig zeigen. Darian hatte jeden sozialen Kontakt in mir zerstört. War ich damals schon eigenbrötlerisch – konnte man dieses Leben, was ich führte, nicht mehr toppen. Es saß nun tief in mir verankert. Ich konnte nicht aus meiner Haut, wirkte distanziert.

Was sollte ich auf Inas Aussage antworten?

Sabine, der eine lange blonde Strähne ins Gesicht gefallen war, blies sie aus dem Gesicht, wirkte ernst dabei. Sie hatte mich stumm betrachtet, widmete sich aber ihrer Aufgabe, als sie merkte, dass ich nicht auf sie einging. Ich schaute den beiden kurz zu. Sie waren nun mitten in der Vorbereitung für ihren Tomatensalat. Die dünnen silbernen Armreife an Sabines Handgelenken spielten leise ihre eigene Musik, als sie bei jedem Schnitt in eine Tomate, die sie viertelte, aneinander rieben, und mir im Ohr klingelten.

„Ich brauch meine Ruhe“, meinte ich ehrlich.

„Wir sagen Bescheid, wenn das Essen fertig ist.“ Sabine hatte kurz zu mir gesehen.

Als ob ich, seit ich hier wohne, richtig mitgegessen hätte? Richtig gegessen hatte ich schon lange nicht mehr. Mir fehlte der Appetit. Keiner wusste wirklich, wie es in mir drinnen aussah.

Ich nickte den beiden stumm zu, ließ meine Hände tief in den Hosentaschen verschwinden, atmete tief durch, als ich die Tür zu meinem Zimmer hinter mir geschlossen hatte.

Endlich Ruhe.

Um mich zu sammeln, schloss ich die Augen und öffnete sie dann erst, als ich ihr Stimmengemurmel leise durch die Tür registrierte. Was hatten sie zu tuscheln? Aus reiner Neugierde heraus öffnete ich lautlos einen Spaltbreit meine Zimmertür.

Ihre Stimmen waren zwar immer noch leise und gedämpft und ich musste mich anstrengen, um etwas zu verstehen. Ein Wort fiel zwischen den beiden und ließ mich erstarren, denn das hatte ich klar und deutlich herausgehört: „Schwuchtel!“

 

 

 

 

 

©Randy D. Avies 2012 



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Veri
2015-08-18T19:46:49+00:00 18.08.2015 21:46
Arschbewohnerinnen ! :(
Antwort von:  randydavies
18.08.2015 22:10
Das nenne ich mal eine Aussagen! :D Ich werde es den "Arschbewohnerinnen" weitergeben und zwar morgen in meinem nächsten Kapitel... :D *lach*

Antwort von:  Veri
18.08.2015 23:11
Hihi >///<
Ich finde es übrigens sehr schön, wenn du immer auf alle Kommentare antwortest <3


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