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Bruderliebe

von

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Seit wir aufgebrochen waren, fiel zwischen uns kein einziges Wort mehr. Keine Entschuldigung oder Reue von seiner Seite aus, wegen seiner gemeinen Worte oder der insgesamt zwei Ohrfeigen – von der Vergewaltigung ganz zu schweigen. Nichts dergleichen geschah. Ich lief kraftlos hinter ihm her.

Meine Sachen trockneten allmählich, aufgrund der Sonnenstrahlen und meiner Körperwärme. Und doch wurde es mir nicht warm. Ich war innerlich kalt, wie abgestorben. Ab und zu meldete sich der Hals und mir lief ständig die Nase. Dauernd musste ich sie putzen, was selbst mich nervte, denn langsam gingen mir die Taschentücher aus. Zudem kam zu den Halsschmerzen noch ein leichter Husten dazu. Auch wenn ich zwischendurch kleine Schlucke aus meiner Wasserflasche trank, um den Hustenreiz abzumildern, half es nur für einen kurzen Moment. Aber irgendwann war die Flasche leer und ich packte sie in den Rucksack.

Unglücklich über die ganze Situation lief ich missmutig hinter Darian her, der nicht einmal stehen geblieben war, um nach mir zu sehen, ob es mir einigermaßen gut ging. Nach einer frischen Flasche Wasser wollte ich ihn nicht fragen und so blieb es für den Rest des Weges zwischen uns weiterhin schweigsam, nur ab und an durchschnitt mein Husten die Stille.

Der Abstieg zog sich auf eine bizarre Art und Weise hin. Kaugummimäßig, ja das traf es eher, wenn man einen Vergleich ziehen wollte. Die Zeit schien still zu stehen, der Weg unendlich. Kam er mir gestern schon lang vor, war der Rückweg dagegen noch schlimmer, wie ich fand. Jeden Stein, Wurzel, Pflanze oder Baum, an dem wir vorübergingen, schaute ich mir genau an und listete in Gedanken die Namen und Arten auf. Ich tat alles, um mich abzulenken und nicht zu meinem Bruder schauen zu müssen, während wir talabwärts gingen. Zudem musste ich höllisch aufpassen, unter keinen Umständen auf dem Weg auszurutschen, da er noch matschig vom geschmolzenen Schnee und ich nicht ganz sicher auf den Beinen war. Inständig hoffte ich, dass mir mein Körper nicht versagte und ich nicht vor Darian zusammenbrechen würde. Daher zwang ich mich, tapfer zu bleiben, versuchte weiterhin die Contenance zu wahren, den Schmerz zu unterdrücken, wie auch die Wut auf ihn. Richtig Rast, außer einer Pinkelpause, machten wir in der Zeit nicht, auch wenn einer von uns vielleicht was essen wollte oder eine kleine Verschnaufpause benötigte, führten wir unseren Weg unweigerlich fort. Darian machte auch keinerlei Anstalten, zu fragen, ob ich überhaupt Hunger hätte oder ich eine kleine Pause bräuchte.

Er lief einfach weiter. Zwar in einem gemächlichen Tempo, doch die Art, die er mir gegenüber hatte, störte mich. Die Kälte, die zwischen uns war, wurde mit jedem Schritt stärker.

Neben den vielen anderen Gedanken, die ständig präsent waren, fiel mir erneut das Handygespräch ein, das er mit seiner Freundin geführt hatte. Sofort ging es mir nahe und die Traurigkeit nahm zu.

Wie konnte man nur so verlogen sein und seine Freundin hinters Licht führen? War Darian vielleicht schon immer so gewesen und ich hatte es vor lauter Schwärmerei nicht wahr haben wollen?

Ich war völlig durcheinander, was das Verhalten von Darian anging.

Die Wut kehrte verstärkt zurück, als ich an seine beiden Ohrfeigen zurückdachte. Unbewusst griff ich daher an meine Wange, bildete mir ein, den Abdruck darauf noch fühlen zu können.

Darian merkte von all meinen Gefühlen nichts, lief stetig voraus. Er hatte sich bis jetzt kein einziges Mal zu mir umgedreht, wenn ich mir laut die Nase schnäuzte oder husten musste, so sah er nicht, wie schlecht es mir ging. Er fragte auch nicht nach.

Warum redete er nicht mit mir? Warum gab er mir das Gefühl, ich hätte an allem Schuld?

Ich wollte dem Ganzen ein Ende setzen, dass unsinnige Schweigen, was zwischen uns herrschte, unterbrechen.

„Darian!“ Ich hielt an, in der Hoffnung, er würde es merken und ebenfalls stehen bleiben. Doch Darian lief konstant weiter. Da rief ich ihm erneut hinterher: „Darian! Bleib doch stehen! Wir müssen reden! Weißt du eigentlich, wie es mir geht?“ Mir geht’s beschissen!, fügte ich gedanklich als Antwort hinzu. Meine Aufforderung fand Gehör, denn endlich hielt Darian an und drehte sich um. Seine Augen sahen mich kalt und abschätzend an. Seine Körperhaltung war ablehnend und steif. Aber hinter seiner Stirn arbeitete es gewaltig. Er hatte sie in Falten gelegt.

„Wir sollten weitergehen … Es ist alles gesagt.“ Sein Gesicht hatte sich dabei verdunkelt.

Alles gesagt?

Nichts war gesagt! Gar nichts!

Darian setzte tatsächlich seinen Weg fort, hielt nicht an, während ich ihm mit weit aufgerissenen Augen hinterher starrte und kein weiteres Wort mehr über die Lippen brachte. Jedoch verlangsamte mein Bruder seine Schritte, als er merkte, dass ich nicht gleich nachkam. Um den Abstand zwischen uns nicht zu groß werden zu lassen, setzte ich mich endlich in Bewegung und starrte verbittert auf seinen Rucksack.

Sollte ich nun dankbar sein, dass er indirekt auf mich wartete? Warum wollte er nicht mit mir reden?

Schließlich gab ich es auf, es weiter probieren zu wollen und trottete, mit einem Chaos an Emotionen in mir, hinter ihm her.

Nach gefühlten Stunden kamen wir endlich auf unseren ursprünglichen Weg zurück. Wie ich vermutet hatte, war Darian an der falschen Abzweigung abgebogen und hatte uns so in die Irre geführt. Ich wünschte für mich, man könnte die Zeit zurückdrehen und wir hätten gestern den richtigen Pfad gefunden, dann wäre all dies zwischen uns bestimmt nicht passiert. Zwar wäre meine Sehnsucht weiterhin beständig gewesen, aber es wäre bei einer geblieben und ich würde mich nicht schmutzig und ausgenutzt fühlen.

Wir setzen unseren Weg unbehelligt fort, der langsam abtrocknete und begehbarer wurde. Einzelne Zweige knackten unter unseren Sohlen. Irgendwann hatten wir unser Ziel vor Augen. Ein Parkplatz unten an der Berg- und Talbahn, der gestern auch unsere Startposition der Wanderung gewesen war.

Die Bahn war nicht in Betrieb und stand still. Sie fuhr wegen Revision nicht und wurde für den Winterbetrieb vorbereitet. November war nun mal keine Urlaubszeit.

Noch sah man das Ganze als kleines Bildchen. Ein Auto parkte einsam mitten auf dem Platz, daneben zwei Frauen, die sich unterhielten. Ich erkannte Darians Freundin und Susan, auch wenn sie noch sehr winzig aussahen. Da wusste ich, wir wurden erwartet und dass das Darians Werk war, uns abholen zu lassen. Die Frage hatte ich mir eh vor wenigen Minuten gestellt, wie wir nach Hause hätten kommen sollen, wurden wir gestern schon von Stefanie gefahren.

Der rote Peugeot 207 SW, der neben ihnen stand, stach mir zudem ins Auge. Doch was wollte Susan hier?

Noch sahen die beiden eher wie zwei Ameisen aus, die alleine neben dem Auto standen. Aber umso mehr wir an Höhe und Distanz hinter uns ließen, umso größer wurden sie.

Stefanie und Susan winkten uns, als sie uns entdeckten. Ich grübelte immer noch, warum Susan mitgekommen war. Dann schüttelte ich den Kopf. Sie waren Freundinnen, daher hatte Stefanie sie bestimmt angerufen.

Kaum waren wir unten, empfing Stefanie sofort meinen Bruder mit einem Strahlen im Gesicht. Auf mich wartete Susan mit einem misstrauischen Blick in ihren Augen. Als sie mich umarmte, versteifte ich mich ungewollt. Sie ließ mich erstaunt darüber los, ging auf Abstand und wollte etwas sagen, da wurde sie von Stefanie abgelöst.

„Ich weiß gar nicht, was ihr habt, das Wetter ist doch super.“

Das Wetter heute war wirklich klasse, ganz im Gegensatz zu gestern, wenn auch immer noch kühl. Doch passte es nicht zu meiner Weltuntergangsstimmung. Ich hätte mir lieber wieder einen Schneesturm herbeigewünscht, der mich in eine andere Zeit, eine andere Welt oder in den Tod davonwehte. Meine Gedanken blieben düster.

„Ich hatte einfach Sehnsucht nach dir, Stefanie“, säuselte Darian in üblicher Manier. Er strich sich über seine blonden Haare und machte einen äußerst verliebten Eindruck, was mir sofort übel aufstieß. Seine Stimme, die ich seit über vier Stunden das erste Mal wieder zu hören bekommen hatte, verursachte zudem noch eine Unruhe und eine unbefriedigende Sehnsucht, wie auch Hass. Ich wandte mich angewidert ab, wollte hier nur noch weg.

„Ich will nach Hause“, sagte ich, drehte meinen Kopf in deren Richtung. Dabei versuchte ich so ruhig und sachlich zu wirken, wie es nur ging, doch war ich alles andere als das.

Das Wetter war für meine Laune einfach nur noch widerlich. Denn die Sonne schien mir voller Enthusiasmus ins Gesicht, als würde sie sagen wollen: „Schwamm drüber, er ist dein Bruder, er musste so reagieren, er hat dies alles nicht so gemeint. Jetzt genieße meine Sonnenstrahlen.“

Ich hätte kotzen können. Das war noch lange kein Grund, mich zu vergewaltigen – mir so weh zu tun.

Vergewaltigt?

Ja, das hatte er getan.

Die ganze Zeit über hatte ich noch nicht einmal über das Wort nachdenken, geschweige denn es aussprechen können. Eine Tatsache, die ich seit dem Abstieg einfach verdrängt hatte.

Ich wurde ungewollt blass um die Nase herum. Mein Kreislauf sackte beinahe in den Keller.

„Jaden, du siehst etwas blass aus, hat dich dein Bruder doch herumschikaniert?“ Stefanie erschreckte mich mit ihrer Frage und knuffte dann Darian in den Bauch, der theatralisch versuchte, mit seinem schweren Rucksack diesen erfolglos abzuwehren. „Du hast mir versprochen ...“, wandte sie sich an ihn, der sich daraufhin mit einem schmollenden Gesicht seine Seite rieb, „... dass euer Verhältnis besser werden würde.“

„Ich hab nichts versprochen und es ist alles in Ordnung“, verteidigte sich Darian sofort, als er merkte, dass ich immer noch nicht darauf geantwortet hatte.

„Ach ja?“ Seine Freundin beäugte mich mit Misstrauen und Darian gefiel es ganz und gar nicht.

Ich sah ihn mit glasigen Augen an. Ich wollte was sagen, doch blieben meine Lippen versiegelt. Denn lügen konnte ich nicht und darum überließ ich das Ganze meinem Bruder. Denn der konnte es immer besser.

„Wessen Idee war es denn? Doch deine und die von Susan“, sagte er nochmals mit Nachdruck.

„Na und“, warf Stefanie ein. „Euer Verhältnis …“

„Ach was“, ging mein Bruder dazwischen. „Zwischen Jaden und mir … stimmt alles.“ Er räusperte sich, brach den Blickkontakt zwischen uns ab. Ich hingegen hatte ihn nicht aus den Augen gelassen. Denn etwas überraschte mich an seinen Lügengeschichten, dass seine Stimme dabei nicht mehr ganz so gefestigt klang. Konnte dies bedeuten, er zeigte Reue und es würde ihm leidtun?

Ach was! Ich klammerte mich wirklich an jeden Strohhalm und das ärgerte mich.

„Stimmt das, Jaden?“ Stefanie lächelte gekünstelt, überspielte das Ganze, als ich nicht sofort antwortete.

„Eine Erkältung, mehr nicht“, sagte ich schließlich und sofort stellte sich wie auf Kommando der Husten ein und meine Nase lief, sodass ich von Susan sofort ein Taschentuch bekam. Dankbar darum nahm ich es entgegen, konnte ihr aber nicht in die Augen sehen. Das musste ich nicht vorspielen, das andere hingegen …

„Stef, siehst du, sag ich doch, er hat sich was eingefangen in den Bergen. Es war gestern wirklich ein schreckliches Wetter“, meinte Darian einen Tick zu freundlich und setzte ein Lächeln auf, das charmanter nicht sein konnte.

Ich sah zu ihm und verstand nicht, wie man so sein konnte.

Wenn ich noch gedacht hatte, er hätte doch Gefühle für mich, so wurden sie mit dieser Mimik und der Verliebtheit gegenüber Stefanie mit einem Schlag vernichtet. Meine Sinne hatten mir einen schlimmen Streich gespielt.

Susan, die noch kein Wort gesprochen hatte, sah mir gleich an, dass mit mir etwas nicht stimmte und es nicht die Erkältung war. Ich sah es in ihren Augen. Doch wollte ich ihr dieses Mal nichts erzählen. Ich ließ mir eine Lüge einfallen und erzählte ihr nur, als wir kurz alleine waren und die beiden schon im Auto saßen, dass ich mich in den Gefühlen für Darian geirrt hätte. Sie fragte leise nach und ich antwortete ihr. „Wir haben alles geklärt, ich bin froh, mich geirrt zu haben“, sagte ich zum Abschluss und legte meinen Rucksack in den Kofferraum und schlug ihn unsanft zu. Ich war total überfordert von meiner Lüge.

Ich habe mich nicht geirrt, ich liebe ihn immer noch. Und dennoch kann ich ihm nicht verzeihen.

Ich hasste Lügen, aber in diesem Fall musste es sein. Nein, es war genau richtig, Susan anzulügen. Doch forderte es seinen Tribut. Ob sie mir die Geschichte allerdings abgekauft hatte, stand auf einem anderen Blatt. Dieses Mal konnte ich keine Rücksicht nehmen.

„Ich glaub dir nicht. Du warst so in ihn verliebt“, zischte sie leise, damit die anderen nichts mitbekamen. Sie spürte, dass sie bei mir nicht weiterkam, denn ich presste fest meine Lippen aufeinander, versuchte mir nichts anmerken zu lassen, um nicht doch die wahren Worte zu sagen. „Können wir nun endlich losfahren“, murrte Darian und hatte die Scheibe heruntergekurbelt.

„Ja“, antwortete ich.

Wir stiegen hinten ein und fuhren nach Hause. Susan wohnte in der gleichen Straße. Die ganze Autofahrt über redete Stefanie am laufenden Band. Ja, reden, das konnte sie gut.

 

„Kopf hoch, er ist es nicht wert, es gibt noch andere Männer. Ich wäre da auch noch und nicht nur als Alibi“, sagte Susan, als wir alleine am Auto standen. Sie hatte ihren Blick gesenkt, die Wangen waren gerötet, die Haare nach vorne gefallen.

Arme Susan, wenn ich doch nur könnte!

Sie tat mir leid, aber ich konnte keine Bindung mit ihr eingehen, auch wenn ich wusste, dass sie mehr für mich empfand. Ich stand nicht auf Frauen.

Das war das Einzige, was ich noch immer wusste, doch konnte ich mich auf Männer noch einlassen? Konnte ich das wirklich, nachdem mir das passiert war?

Susan sah mich merkwürdig an. Ihre graugrünen Augen erforschten mich. Ich seufzte und strich ihr mit meiner Hand über die Wange und ein paar Strähnen aus dem Gesicht.

Sollte ich ihr vielleicht doch sagen, was vorgefallen war? Wäre es nicht besser, darüber zu sprechen? Kurz haderte ich mit mir, dann entschied ich mich dagegen. Ich wollte sie nicht noch mehr damit reinziehen. Susan war auch mit Stefanie befreundet und sie hatte ihr gegenüber schon genügend Geheimnisse wegen mir. Zwar mochte ich den Brummer nicht, doch unfair war Darians Freundin nie zu mir gewesen. Ich war nun mal eifersüchtig auf sie. Und die Konkurrenz durfte man nicht mögen, nicht in meinem Fall.

„Es wird schon, ich werde über ihn hinwegkommen, versprochen.“ Ich umarmte sie, drückte sie an mich. Susan wollte noch mit zu mir, ich konnte aber nicht, wollte alleine sein und verneinte, schob Müdigkeit, aber auch berechtigterweise die Erkältung, die ich mir wirklich eingefangen hatte, vor.

„Melde dich, ja?“ Die Sorge war weiterhin in ihrer Stimme zu hören.

„Ja, mache ich.“ Schließlich ließ sie mich schweren Herzens alleine. Gedankenversunken sah ich ihr nach. Der Gang zur Wohnung fiel mir schwer. Die Tür stand offen. Darian war sich anscheinend umziehen gegangen, nur Stefanie sah mich nachdenklich an, als ich sie noch im Flur antraf.

„Wollte Susan nicht mit?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Es war keine gute Idee, stimmt’s?“, fragte sie leise.

Wieder nur ein Kopfzeichen, dieses Mal ein Nicken, dann hustete ich wie auf Kommando, um nicht sprechen zu müssen. Ich wollte ihr einfach nicht antworten.

„Dusch erst einmal heiß, ich mach einen Tee für dich.“ Sie war freundlich, zu freundlich, um sie ganz zu hassen.

„Den kann ich mir schon selbst machen, danke!“ War alles, was ich darauf erwiderte. Ich wusste, ich war unfair, klang schroff und ablehnend.

„Bemuttere ihn doch nicht, er kann das alleine“, mischte sich Darian ein, als er sich frisch umgezogen zu uns gesellte. Sein Blick war mir gegenüber verschlossen, als ob ich nicht da wäre. Die Hände waren in der Hosentasche vergraben, eine Eigenschaft, die er oft machte, wenn er weg wollte. „Lass uns ausgehen“, wandte er sich Stefanie zu und ich hatte recht behalten. War er denn nicht müde? Ich spürte jeden einzelnen Knochen und der Muskelkater, den ich gut verdrängt hatte, kam mit voller Wucht zurück, als ich den Gedanken daran zuließ.

Galant nahm mein Bruder Stefanie in die Arme, die mit ihrer lila Chiffonbluse und ihren engen dunklen Jeans alle Sinne auf sich zog. Ich aber hatte nur Augen für meinen Bruder, der mich immer noch keines Blickes würdigte. Stefanie bemerkte meine brennenden Blicke zum Glück nicht.

„Lass uns hier endlich abhauen“, sagte er mit aller Deutlichkeit und küsste sie vor meinen Augen. Ich stand nur da und sah zu.

Mein Herz zerbrach nun endgültig. Musste ich mir das wirklich antun? Ich ließ die beiden Turteltäubchen einfach stehen, schlurfte mit meinem Rucksack in mein Zimmer und schmiss ihn wütend in die Ecke, nachdem ich die Tür hinter mir geschlossen hatte. Ich konnte das rote Teil nicht mehr sehen.

Als ich in die Küche gehen wollte, sah ich, dass sie immer noch im Flur standen und herumknutschen.

Stefanie sah mich kommen und hielt Darian auf. Sie musterte mich von oben bis unten. Dass ich mich noch immer nicht umgezogen hatte, missfiel ihr. Noch nicht mal die Stiefel hatte ich ausgezogen und die waren nicht gerade sauber, hinterließen weitere braune Abdrücke auf dem Laminat. Stefanie verzog das Gesicht, doch dann wurde ihr Blick weicher.

„Du solltest aus den Sachen raus“, bemutterte sie mich.

Nun verzog ich das Gesicht. Ich wollte einfach meine Ruhe haben. Was war da so schwer zu verstehen? Sie konnte im Prinzip nichts dafür, doch gab ich ihr die Mitschuld an meinem Leid.

Warum waren die beiden überhaupt noch hier? Um mich zu ärgern?

Bald würde ich die Fassung nicht mehr wahren können. Es fiel mir immer schwerer.

„Ja, Mum“, sagte ich gehässig, sodass Darian endlich zu mir schaute. Meine Hände verkrampften sich unter seinen Blicken. Seine Freundin verlor keinen Ton mehr, doch wunderte sie sich immer mehr über mich. Ich fuhr mir angestrengt über das Gesicht. Das war nicht mein Problem. Warum hatte Stefanie hier einziehen müssen? Warum gab es überhaupt Darian?

Sie sah zu ihrem Freund, schüttelte verwundert den Kopf. Mein Bruder hingegen hatte nichts Besseres zu tun, als abzuwinken und mit den Schultern zu zucken.

„Lass uns gehen. Jaden braucht jetzt Ruhe.“ Dann wandte er sich zu mir. „Du solltest wirklich aus den Sachen raus.“

Warum konnte er mich nicht einfach ganz in Ruhe lassen, als einen auf ‚normal‘ zu spielen?

Ich wollte, dass er sich entschuldigte, dass es ihm leidtat, dass ich ihm dennoch was bedeutete.

„Geht einfach, ich bin kein Kind.“ Dann ging ich in die Küche, um mir, bevor ich duschte, doch erst einen Tee zuzubereiten. Dabei sah ich aus der Küche heraus, wie sie gerade aufbrechen wollten.

Stefanie zog sich ihre Jacke über, öffnete die Tür und ging voraus. Ehe Darian ihr folgte, drehte er sich zu mir in Richtung Küche, in der ich nun angewurzelt stehen geblieben war. Meine Augen waren groß auf ihn gerichtet. Voller Hoffnung.

Was kam jetzt? Kam er zu mir, für eine Aussprache, eine Entschuldigung?

Darian kam tatsächlich in die Küche, blieb vor mir stehen.

„Ich werde Stefanie heiraten. Das, was zwischen uns passiert ist, hatte nichts zu bedeuten. Gar nichts!“ Kalt und entschlossen hatte er mir die Worte ins Gesicht geschleudert, kein Zucken, kein Bedauern war zu erkennen. Die Wucht dieser wenigen Sätze konnte ich kaum in mir abbremsen. Ein Schlag in den Magen traf es wohl eher.

Was hatte ich denn eigentlich verbrochen. Was hatte ich ihm denn überhaupt getan, dass ich so schlecht behandelt wurde?

Darian kam mir wie ein Fremder vor. Ich erkannte ihn nicht wieder. So nicht.

Ich antwortete ihm nicht, weil die Stimme mir versagen würde, wenn ich meinen Mund öffnete. So blieb ich stumm, schluckte den Kummer runter, fühlte mich leer und nickte nur. Meine Augen brannten. Doch vor ihm in Tränen ausbrechen, das wollte ich nicht. Nein, ich zwang mich dazu, es nicht zu tun, obwohl ich sie kaum zurückhalten konnte. Die Wut in mir war zu schwach, um an die Oberfläche zu gelangen, der Seelenschmerz überlagerte alles.

Ich sah ihm nur fest in die Augen, das war das Einzige, zu was ich noch in der Lage war.

Ein letztes Mal in deine grünen Augen schauen.

Unsere Blicke trafen sich kurz. Er blinzelte, sah dann entschlossen weg, drehte sich um und ging.

Dann schloss Darian die Tür mit einem kräftigen Laut. So laut, dass ich zusammenzuckte.

 

 

 

 

 

 

 

©Randy D. Avies 2012



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Veri
2015-08-16T13:53:40+00:00 16.08.2015 15:53
Man Darian denk doch mal nach, heiraten ist blöd ! :D
Antwort von:  randydavies
17.08.2015 10:10
Finde ich auch! :D Wobei mir Steffi leidtut! :(


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