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Nicht in Zuckerwattenhausen

von

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Der, der mich Cowboy nennt

Nach der Arbeit kam ich voller Vorfreude, aber auch etwas Bammel, im Kopfstand an. Hier war es so voll wie noch nie, ich musste mich regelrecht durch die Menschenmenge kämpfen.

Jemand zerrte mich am Arm. David, der mich freudestrahlend begrüßte, denn sonst wäre ich wohl an ihm vorbei gelaufen.

„Das ist ein Kumpel von Mik“, rief er gegen die Musik an.

„Olaf“, stellte sich der komplett in schwarz gekleidete Typ neben ihm vor. Er redete von Natur aus so laut, dass er gar nicht brüllen brauchte. „Ich studiere mit Mik!“

Typisch Mik! Kaum dass er von einer Party Wind bekam, musste er gleich noch jemanden mitbringen.

Olaf neigte seinen Kopf zu David, schien ihn etwas zu fragen. David zuckte die Schultern, sagte etwas und Olaf lachte. Doch es war zu laut, um etwas zu verstehen, und daher richtete ich meine Aufmerksamkeit auf die Band. Sie waren nicht schlecht. Winfried Schwarzers Sohn schien mit seiner blutroten E-Gitarre wie verwachsen zu sein. Und er sah überhaupt nicht mehr dick aus, im Gegenteil. Die schlabbernden Klamotten hatten nur diesen Eindruck erweckt. Was ich nun sah, war ein gestählter, trainierter Körper, und seine Augen wanderten über das Publikum, als würde er nach jemandem suchen.

„Hey!“ Ich zuckte zusammen, als mir eine Hand kräftig auf den Rücken haute. „Dome! Hast dir ja echt Zeit gelassen! Jedenfalls, an der Bar kannst du warten, bis du in deine Bits zerfällst, Mann war da viel los!“ Mik, einer seiner üblichen schwarzen Spruch-Shirts an, quetschte sich an den Tisch, mit drei Flaschen Bier und einem Long Island Ice Tea. Letzteren stellte er vor David ab.

„Die Rothaarige mit dem Zopf hat dir einen ausgegeben, hätte ich nein sagen sollen? Sie heißt Bianca. Und sie hat ein Zungenpiercing.“ Mik wackelte verschwörerisch mit den Brauen, woraufhin ich mich sofort zu besagtem Mädchen umdrehte.

Wieso hatte sie sich ausgerechnet David ausgesucht, meinen David, wo hier so viele junge, gut aussehende Kerle anwesend waren?! Das war doch verrückt. Und überhaupt – sah David so aus, als würde er unter der Woche Hochprozentiges trinken?

„Ja, hättest du! Das nennt sich nämlich ausnutzen, Mik! Bring das sofort zurück und hol mir einen gescheiten Eistee.“

„Ach komm! Wo ist denn das ausnutzen… Allein optisch schon eine Steigerung zu Marie, wenn du mich fragst“, gab er ungefragt seinen Senf ab. „Wie gut, dass du die los bist.“

Davids Mund wurde zu einem dünnen Strich. Er schaute mich an, als ob er mich am liebsten grillen würde, und da kapierte ich: Er hatte Mik noch nichts von der Trennung erzählt. Mik wusste das von niemand geringerem als mir. Und das gefiel David überhaupt nicht. Ich zuckte die Schultern, na und? War ihre Trennung etwa ein Staatsgeheimnis?

Mik formte seine Hände zum Trichter und hielt sie zum Mund. „Erde an David! Interessieren dich Titten überhaupt noch? Oder nur noch Psalme?“

Olaf prustete los. Ich kam mir vor wie in der Zwölften, als Mik, kaum dass er achtzehn geworden war, unbedingt eine Strip-Bar aufsuchen wollte und mich zum Mitkommen zu überreden versuchte – vergeblich. Dafür hatte er dann einen anderen Deppen gefunden und mir später in allen Einzelheiten davon erzählt. Ich hatte das für eine Phase gehalten, die vorübergehen würde. Aber wie ich wusste, war er jeden Monat einmal in besagter Bar zu Besuch.

„Wieso tust du dir das an? Ich werde es nie verstehen“, stichelte Mik weiter und spielte damit auf Davids Studienwahl an.

„Stimmt, das wirst du nie verstehen. So wie noch einige andere Dinge.“ Während er das aussprach, verharrte David mit seinem bösen Blick auf mir. Ich fand es ja auch scheiße… Aber diese Schiene fuhr ich nun mal und konnte nicht so einfach aussteigen. Ich fraß Zucchini, bis ich daran verreckte, und irgendwie geschah es mir recht.

„Ich würde mir dann einfach eine Haushälterin nehmen, das passt schon“, riet ihm Olaf.

Mik leckte sich über die Lippen. „Staubsaugerspielchen…“

„Kann man dich auch mit etwas beglücken, was keinen Stecker hat?“, fragte ich und David zeigte den leichten Anflug eines Lächelns.

„Dome, was kann ich dafür, wenn dich deine Kleine hängen lässt?“

Ich brauchte zwei Sekunden, um zu verstehen. Mik meinte, mich belächeln und David obendrein noch verkuppeln zu dürfen?!

Hätte ich doch die Gelegenheit gestern gleich beim Schopf gepackt. Einfach gesagt: Ja, Mik, ja, du hast es erfasst: Wir wollten hier ein richtig romantisches Date haben, ohne Scheiß. Nur wir beide, also verpiss dich. Oder so ähnlich. Ich wollte nur noch weg. Davonlaufen. Doch ich blieb wie angewurzelt stehen und vertiefte mich in die Performance der Band. Das ärmellose Shirt des Gitarristen brachte gestählte Muskeln zum Vorschein. Kaum zu glauben, dass ich ihn erst für dick gehalten hatte! War das nicht ein bisschen unfair? Bei so einem musikalischen Talent auch noch so verboten gut auszusehen? Ich konnte weder mit dem einen noch mit dem anderen punkten. Ganz klar, im Chat würde ich ihn für einen Fake halten.

Was meine Aufmerksamkeit für kurze Zeit unterbrach, war Davids Blick, der nichts sagte und doch alles. Ich konnte nicht sagen, wie lange er mir schon beim Angaffen zuschaute. Einen Moment später aber wandte er sich wieder der Band zu.
 

Schließlich war der letzte Ton verklungen. Beifall legte los; und ich klatschte begeistert mit.

„Also ich fand sie toll!“, meinte ich zu den anderen.

„Ganz okay, aber warte mal ab, bis die Headliner kommen, da geht die Post ab“, rief Olaf.

Davids gespendeter Drink war nicht mal angerührt. Ich lächelte ihn an und dachte an gestern. Er lächelte tapfer zurück. Irgendwie würden wir das hinkriegen. Irgendwie.

„Hier“, sagte er und schob mir seinen Longdrink rüber, den ich gleich kosten musste.

Dann schmiss sich Mik vor Lachen weg, und ich schaute ihn, immer noch über den Drink gebeugt, fragend an.

„Was hat ein Schwuler mit einem Papagei gemeinsam?“, fragte er.

„Die haben beide eine beschissene Stange“, antwortete Olaf, und sie kicherten wie kleine Mädchen und fühlten sich wie echte Kerle dabei!

Ich bemerkte, wie ich bleich wurde und schaute mich um. Sie meinten wohl den Typ im knallengen schweinchenrosa T-Shirt, der gerade an unserem Tisch vorbei gelaufen war. Nicht mich. Gut.

„Mik, kennst du den schon?“, stimmte ich mit ein. „Kommt ein Schwuler in eine Boutique und sagt zum Verkäufer…“

„Haltet den Rand!“, brüllte David plötzlich. Wir schauten ihn alle drei groß an. „Das kann euch doch scheißegal sein, wer schwul ist und wer nicht!“

„Was hast du denn für Probleme?“, fragte Mik.

„Ich…ich hol David jetzt seinen Eistee“, sagte ich und ging einfach, weil ich es hier nicht mehr aushielt.
 

Die Schlange vor der Theke betrachtend, und mich fragend, wie lange ich für den Drink würde anstehen müssen, fragte ich mich, wann sich endlich alles von selbst in Wohlgefallen auflöste, wie im Märchen. Aber der perfekte Zeitpunkt für ein Comingout kam niemals von selbst...

Jemand schien es ziemlich eilig zu haben, aufs Klo zu kommen. Der Gitarrist!

Das war vielleicht nicht die feine Art, doch ich konnte nicht anders, als ihm zu folgen, stieß ebenfalls die Tür zur Herrentoilette auf. Da stand er am Pissoir gegenüber der Waschbecken und erleichterte sich, den Kopf in den Nacken gelegt.

„Ahhh…drückt mir immer so auf die Blase, diese Auftritte“, sagte er, als er meine Anwesenheit bemerkte.

Alibihalber wusch ich mir die Hände, sah dabei im Spiegel, dass ihm ein Schweißfleck auf seinem Shirt saß, genau zwischen den Schulterblättern.

„Bist ja doch vorbei gekommen“, meinte er, als er sich am Waschbecken neben meinem die Hände wusch.

„Ich? Äh, ja“, sagte ich lahm, trocknete meine Hände mit Papier. War ich dumm? Wieso bekam ich keinen einzigen richtigen Satz in seiner Anwesenheit heraus?

Jetzt war er dabei, Tabakkrümel in Filterpapier zu stopfen, dabei fiel mir die Feinheit seiner Fingerglieder besonders auf.

„Aber die Hälfte von eurem Auftritt habe ich leider verpasst, weil ich Spätschicht hatte.“

„Spätschicht ist doch prima. Kannst du ausschlafen.“ Jetzt strich er auf eine sehr obszöne Weise mit der Zunge die Selbstgedrehte entlang, dass ich wegschauen musste.

„Äh, aber was ich mitgekriegt habe, hat mir ziemlich gut gefallen. Ehrlich!“

„Ach ja?“ Er verringerte den Abstand zwischen uns, sodass ich eine Nase voll von seinem minzig-bitteren Duft aufschnappte und tappte rückwärts, bis ich mit dem Rücken an die Tür stieß. Weshalb wich ich überhaupt vor ihm zurück?

Er stützte die Zigarettenhand an der Tür ab und versperrte mir so den Fluchtweg. Auf seinen Armen fielen mir die Venen auf, die hervortraten… Und eine Tätowierung an der Innenseite seines Unterarms. Scheinbar absichtlich streckte er den Arm aus, damit ich es betrachten konnte. Weit riss die Schlange ihr Maul auf und könnte jeden Moment zubeißen mit ihren spitzen, gefährlichen Zähnen. Ihr Körper, detailreich Schuppe für Schuppe gezeichnet, war um eine E-Gitarre geschlungen, die sie zu bewachen schien.

In diesem Moment spürte ich, wie von außen jemand versuchte, die Tür zu öffnen, an seiner Kraft jedoch scheiterte.

„Hast du mal Feuer für mich?“ Um das Klopfen draußen scherte er sich nicht. Was, wenn es David war, der an die Tür klopfte, und jedes Wort mithörte?

„Hier drin ist Rauchverbot…“, sagte ich wie mechanisch.

Er lächelte schief. „Ja und? Und du gehst auch brav erst dann über die Ampel, wenn das grüne Männchen aufleuchtet, stimmt`s?“, machte er sich über mich lustig. „Wirklich kein Feuer?“

„Nein, und mein Freund ist auch Nichtraucher.“

Das Signalwort. Seine Auen verengten sich. „Dein Freund? Dein Alter oder dein Neuer, oder beides? Wo war der denn, als du dich im IGLU ausgeheult hast?“

Ich musste trocken schlucken. IGLU…? Jetzt wusste ich, wieso er mir so bekannt vorkam! Und mich angesprochen hatte im Altenheim, und mir seine erdig tiefe Stimme und sein Geruch so bekannt vorkamen. Natürlich. DAS war der Typ von Samstag! Oh. Mein. Gott. Da fiel mir auch nichts mehr ein. Wie klein war doch die Welt!

Seine hellblauen Augen erinnerten an einen zugefrorenen See und ließen mich dementsprechend frösteln. Besser ich brach den Blickkontakt ab.

„Geht dich nichts an“, sagte ich und musterte den Schweißfleck auf seinem Ausschnitt, der fast bis zum Nabel reichte. Mann, er sah aus wie ein Kerl, der gerade so richtig bei seinem Hobby, dem er mit Leidenschaft nachgegangen war, ins Schwitzen gekommen war. Sah nicht nur so aus, sondern war es auch. Noch mal wurde an der Tür gerüttelt, diesmal fester.

„Man wird ja wohl noch fragen dürfen, Sweetie.“

„Mein Name ist Dominique! Mit Q.“

„Und wo hast du die Kuh gelassen, Dominique mit Kuh? Cowboy Dominique?“ Er lachte über seinen Wortwitz. „Ich heiße Sandro Schwarzer.“

„Sandro“, wiederholte ich den Namen wie den einer neu entdeckten Insel. „Reißt wohl in den Clubs gern mal den ein oder anderen Fanboy auf, was, Sandro Schwarzer?“

Er grinste noch breiter. „Na klar, was denkst du denn, aber Cowboys sind mir am liebsten!“

Noch ein Klopfen. „HEY!“, brüllte eine Stimme, die viel zu rau für David klang, ein Grund aufzuatmen. „Ich muss aufs Klo, verdammt!“ Sandro allerdings schien es herzlich egal zu sein, ob es da draußen gleich eine Pfütze geben würde – spekulierte vielleicht sogar noch darauf? Mit seiner Kraft wäre er ein hervorragender Türsteher. Oder Möbelpacker. Oh Mann. Die Bakterien hier in den Toiletten waren intelligentes Leben verglichen mit ihm! Er öffnete den Mund, aber ich wollte gar nichts mehr hören von diesem notgeilen Proll.

„Ich gehe jetzt wieder zu meinem Freund.“ Unter seinem Arm schlüpfte ich hindurch, und schließlich gab er die Tür frei.

„Wir sehen uns, Cowboy. Denk dran, nie ohne Sattel reiten.“ Aus seinem Mund klang das wie eine Drohung.

Ich ging raus und der andere Kerl rein, der uns einen verärgerten Blick zuwarf und dann in eine Kabine stürmte.
 

Als ich an unseren Tisch zurückkehrte, war da kein Mik oder Olaf mehr, doch David war nicht allein. Das mädchenhafte Gackern der Zopfträgerin, die neben ihm mit beiden Ellbogen auf dem Tisch lehnte, brachte mich zur Weißglut. Das war kein Zopf, sondern ein Skorpionschwanz, und wie jedes Kind wusste, waren Skorpione hochgiftig und ich sah es als meine Pflicht an, meinen Süßen davor zu schützen! Wie hieß sie noch gleich?

„Ähh, da kann ich dir nicht wirklich einen Rat geben, Bianca…“, hörte ich David murmeln, der sich fast schon ängstlich an der Tischkante festhielt, und man brauchte kein David-Kenner zu sein, um zu merken, dass er einfach nur zu höflich war, um ihr klipp und klar zu sagen, dass sie sich verziehen soll. Ich lauschte noch ein bisschen, mit welchen Worten er sie zurückweisen würde, denn ich hatte eben auch ein Angebot abgelehnt, dass ich sobald nicht wieder bekommen würde! Wann sagte David es ihr? Dass er nicht zu haben war?

Die Skorpionin bemerkte mich als Erstes. Ihr Blick schweifte fragend zu mir, und David blickte über seine Schulter.

„Hey, da bist du ja wieder.“

„Was heißt wieder? Aus deinem Herzen war ich doch nie weg!“

Ich beugte mich zu seinem Gesicht und markierte mein Eigentum mit einem Kuss auf seine verblüfften Lippen. Wie gut er roch! Ich schnupperte nicht, ich inhalierte den betörenden Geruch nach Kräuter-Haarshampoo und David, und war wieder ganz friedlich gestimmt.

Das Mädchen schaute erst mich verwundert an, dann David. Und dann kippte sie ihm den Inhalt ihres Glases in sein Gesicht!

Verdattert stand David da, während es ihm von Kinn und Nase tropfte.

„Was für eine blöde Kuh!“, meckerte ich und reichte David eine Serviette, der dreinblickte, als hätte er nun für alle Zeit den Glauben an das Gute im Menschen verloren. „Hier sind Leute von der Uni!“, zischte er mir zu. Ich setzte einen schuldbewussten Blick auf. So weit hatte ich in diesem Moment gar nicht gedacht.

„Tss!“, schnaubte er, während er sein Gesicht abwischte, „da überlebt man zwei Jahre Marie, und dann so etwas! Lass uns von hier abhauen. Ich hab keine Lust mehr!“

„Wo ist Mik eigentlich?“

„Mit Olaf vor die Tür, zum Rauchen.“

„Seit wann raucht Mik denn?“

„Er ist nur mit ihm mit, damit das Mädel sich ungestört mit mir unterhalten kann. Er ist ja so leicht zu durchschauen...“

„Wie aufmerksam von ihm. Und am Ende hat Mik noch was mit Olaf, das wärs doch“, lachte ich. Alleine die Vorstellung. David lachte mit, vergessen war der Zwischenfall von eben.

„Ich würde es ihm gönnen, ehrlich. Das würde auch erklären, wieso er so viele Witze über Schwule reißt – vielleicht, damit man ihm nicht auf die Schliche kommt?!“ Dabei bedachte er mich mit einem vielsagenden Seitenblick und ich lächelte ertappt. „Naja. Jetzt lass uns mal von hier verschwinden, bevor er wieder kommt“, schlug er jetzt vor.

„Und wohin?“

„Zu mir nach Hause!“
 

Der Kopfstand lag nur ein paar Straßen vom Wohnheim entfernt. Nebeneinander gehend, die Hände in der Jackentasche vergraben, weil es so kalt war, bogen wir in die Gasse ein.

„Dominique, darf ich dir mal was anvertrauen? Mik kotzt mich langsam dermaßen an!“

„Ach ja?“

David seufzte. „Die ganze Stadt kotzt mich an, aber Mik ist derjenige, der das Fass zum Überlaufen bringt. Man kann ihn einfach nicht abschütteln! Er ist noch nervtötender als ein Comedian, der nicht witzig ist, und manchmal glaube ich sogar, dass er hyperaktiv ist, weil er nie still sein kann. Das hat mich ja schon damals genervt.“ David trat durch das Tor zum Wohnheim. Das Licht dort ging automatisch an. Und entlarvte damit meinen entgeisterten Gesichtsausdruck. Das waren alles andere als nette Worte. Und das aus Davids Mund. „Und er benimmt sich wie vierzehn!“, sprach er weiter.

Ich folgte ihm in den etwas heruntergekommen und bekritzelten Fahrstuhl. Er drückte auf die 3. Recht hatte er irgendwo schon, doch…

„Wieso hast du dann den Kontakt weiter gehalten?“

Nochmal seufzte David, und schien sich die Worte gut zurecht zu legen. „Naja. Weißt du... Normalerweise, wenn ich Leute kennenlerne und man versteht sich ganz gut, dann will ich mich mit ihnen verabreden – und dann kriege ich immer wieder zu hören, dass sie keine Zeit haben, was auf gut Deutsch aber so viel bedeutet wie: kein Bock auf neue Freundschaften, man bleibt lieber bei seinem Freundeskreis und gibt anderen gar nicht erst die Chance“, begann er. „Deswegen war ich bei Mik damals auch so positiv überrascht. Weil ich das Gefühl habe, dass er wirklich jemanden kennenlernen will, und sofort zugesagt hast, ohne irgendwelche Ausflüchte zu erfinden! Und meistens ist er ja ganz okay…wenn er sich benimmt.“

„Ohne ihn hätten wir uns sicher nicht kennengelernt.“

„Wahrscheinlich. In der Hinsicht war Mik wirklich mal für etwas gut.“ Der Aufzug hielt an und wir traten hinaus, in den dunklen Flur. Eine Lampe von zweien war ausgefallen.

„Aber…wie konntest du nur, Dominique? Das mit Marie hab ich dir anvertraut, weil ich dachte, dass es bei dir gut aufgehoben ist. Und du hast es ihm erzählt!“ Er war maßlos enttäuscht von mir, und das saß tiefer, als wenn er bloß sauer wäre.

„Was ist denn schon dabei?“, verteidigte ich mich. „Es ist doch kein Staatsgeheimnis, und Mik ist unser Freund.“

„Was willst du ihm als nächstes erzählen?“

„Na, das mit uns nicht. Keine Sorge.“ Ich tastete wie automatisch nach seiner Hand. In Wellen schwappte ein angenehmes Gefühl durch meinen ganzen Körper.

Er ließ es tatsächlich geschehen, mit mir händchenhaltend durch den Flur zu laufen! Mein Herz raste mir bis zum Hals. Das war so ähnlich wie Sex im Fahrstuhl; es könnte uns jederzeit jemand entgegen kommen. Also… Nicht, dass ich jemals dort welchen gehabt hätte.

Gedämpfte Musik dröhnte aus einem Appartement, von irgendwoher roch es nach Pizza.

Vor seiner Tür ließ er mich los. Er schloss auf und stemmte sich gegen die klemmende Tür, damit sie aufging, und verschloss sie sorgfältig von drinnen.

„Ähem, was trinken oder essen?“, fragte David, der die Jacke an den Haken seines Kleiderschranks aufhängte. Klüger geworden aus Erfahrung, warf ich meine Jacke nicht mehr über den Stuhl, sondern tat es ihm gleich. Jedoch hoffte ich, dass auch David klüger geworden war. „Oder soll ich Wasser für eine Wärmflasche kochen?“

„Ach Quatsch!“ Ich brauchte im Moment nichts anderes außer ihn! Meine Finger streiften seinen Rücken entlang, und ich wandte mich seinem Gesicht zu. Küsste ihn endlich. Der Kontakt seiner Lippen, dieses kürzlich liebgewonnene Gefühl, brachte alles in mir zum Kochen. David löste sich wieder von mir. Warum?

„Ich… muss mir meine Sachen für morgen raussuchen…“

„Aber doch nicht jetzt!“, protestierte ich. Wofür hatte er mich denn hergebracht?

„Ich bin leider nicht so spontan.“ Merkte ich gerade auch. Er zog die verspiegelte Schiebetür auf. Seelenruhig wühlte er in seinem Kleiderschrank herum und ich stellte fest, dass dort viel mehr Ordnung herrschte als in meinem.
 

Als ich von der Toilette zurückkam und er immer noch unschlüssig rumstand, sank ich auf sein Bett, hungrig wie ein Löwe nach Zärtlichkeit und perforierte mit Blicken seinen Rücken. Und den ansprechenden Teil darunter.

„David? Kann es sein, dass du Angst vor mir hast?“

Er drehte sich zu mir um. „Angst? Wie kommst du denn darauf?“

„Nur so. Du kannst doch mit mir reden, das weißt du…“

„Ich habe keine Angst vor dir.“ Wie um das zu unterstreichen, kam er zum Bett und legte sich neben mich. Mit dem Gesicht so nah. Jetzt konnte ich ihn nicht nur ansehen, sondern ganz und gar wahrnehmen, ihn fühlen, riechen, schmecken. Ihn lieben. Den Tag mit ihm ausklingen lassen und den morgigen mit ihm beginnen! Wir schauten uns unverwandt an, und mir fielen einige Details in seinem Gesicht auf, die mir vorher entgangen waren, wie der winzige Leberfleck seitlich an seiner Nase.

„Dominique?“

„Ja?“

„Darf ich dich was fragen?“

„Klar.“

„Hast du schon mal ein Mädchen geküsst?“

„Ja, sicher“, gab ich ebenso leise wie irritiert zur Antwort. Was tat das jetzt zur Sache?

„Bist du dir sicher, dass du nur auf Kerle stehst?“

„Ganz sicher.“

„Woher?“

„Hmm. Es ist einfach wie mit der richtigen Hand zu schreiben. Findest du nicht?“

Heißer denn je kam mir sein Atem vor und mein Puls beschleunigte sich. Während wir uns küssten, erforschten unsere Hände voller Ehrfurcht gegenseitig die Haut des anderen Körpers. Durch die Art und Weise, wie ich von ihm berührt wurde, kam ich mir vor wie ein teures Schmuckstück.

Er erhob keinen Protest, als ich ihn auf den Rücken drehte, ihn in die Position des Genießenden beförderte, seine Beine mit dem Knie entzweite und mich dazwischen niederließ. Ich wandte mich seinem Hals zu, vergrub dort seitlich die Nase, um ein Gemisch aus Aftershave, Schweiß und Lust zu atmen. Was ihn zum Zappeln brachte – ein Stöhnen von ihm? Das vernommen, ließ es die Lust in mir wachsen. Und den Wunsch, ihm die Liebe zu zeigen, wie er sie nicht kannte! Da spitzte ein Stück seiner Kette hervor. Mit den Zähnen zog ich sie aus seinem Pulli, samt des schlichten Anhängers. Einen Moment hielt ich inne. Ein Kreuz. Natürlich. Hätte mich auch gewundert, wenn nicht.

Ich krempelte seinen Pullover hoch und entblößte seinen Bauch, um Küsse darauf zu hauchen. David zappelte und protestierte heftig.

„Bist du kitzelig am Bauch?“

„Dominique!“ Er zog seinen Pullover wieder runter und schnaubte. „Musst du gleich so rangehen?!“

Ging ich es zu schnell an? Mir gingen wohl die Pferde durch, weil ich es nie für möglich gehalten hätte, David mal so nahe zu sein…

„Ist okay“, lenkte ich ein und ließ von ihm ab. „Sorry.“

„Lass uns jetzt einfach schlafen.“

„Jetzt schon?“

„Ich bin wirklich müde, ich habe gestern noch lange gelesen.“

„Okay. Wie schläfst du am liebsten ein?“

„So. Auf dem Rücken.“

Seine Kette versteckte ich wieder unter seinem Pullover. Davids Atem streifte meine Wange.

„Du bist so süß…“ Ich schmiegte mich an ihn, wieder in seinen Duft, der ihn umgab und mich zärtlich umhüllte wie eine Decke und mich morgen den ganzen Tag begleiten würde.

„Machst du mal die Lampe aus?“

Ich streckte den Arm nach dem Nachtlicht aus. Stockdunkel war es jetzt, dunkler als in meinem eigenen Zimmer, und auch ruhiger. So mucksmäuschenstill, dass ich mich schon fragte, ob ich denn taub geworden war. Ich legte mich ganz eng an ihn und zeichnete mit der Fingerspitze ein Herz auf seine Brust. Und dabei war mir, als lägen wir nicht mehr auf seiner Matratze, sondern auf einer Wolke ganz weit weg.



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