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Geliebter Blutsbruder

von

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Ein schlimmes Wiedersehen

Mittlerweile waren einige Wochen ins Land gezogen, und ich hatte mich meinem Ziel, dem Pueblo der Mescaleros, bei denen ich Winnetou zu finden hoffte, schon deutlich genähert. Meine Vorfreude nahm stetig zu, und ich malte mir abends am Lagerfeuer das Zusammentreffen mit meinem Blutsbruder in den schönsten Farben aus. Wie freute ich mich auf die Überraschung, die ich ihm mit meiner für ihn doch unverhofften Ankunft bieten würde! Ich wusste ja, dass ihm die Trennungen genauso schwer fielen wie mir, und bei jedem Wiedersehen kamen wir aus dem Umarmen und Küssen und Drücken gar nicht mehr hinaus. Eigentlich Blödsinn, dachte ich seit einiger Zeit schon manchesmal bei mir, ihn ständig zu verlassen, wo es mir in diesem Land und in seiner Gegenwart doch außerordentlich gut ging und gut gefiel. Aber ich glaubte, dass das Heimweh mich sonst irgendwann überrennen würde, wenn ich nicht regelmäßig nach Deutschland zurückkehrte, und außerdem hatte ich ja noch Familie, vor allem Eltern und Geschwister dort, die ich mit meinem Autorenlohn auch oft unterstützte.
 

Erwähnen muss ich noch, dass ich diese Reise nicht mehr alleine unternahm. Auf dem Schiff nach New Orleans traf ich auf meinen guten alten Bekannten Emery Bothwell, ein schwerreicher Engländer, den ich früher einmal im Orient getroffen und mit dem ich mich sofort bestens verstanden hatte. Er war von wahrhaft hünenhafter Gestalt, kräftig, listig und mit allen Fertigkeiten versehen, die man im Wilden Westen mitbringen musste, wenn man dort bestehen wollte. Er hatte, wie er sich ausdrückte, „im Moment nichts Wichtiges zu tun gehabt“ und sich deshalb mit größter Freude mir und meinem Ziel angeschlossen. Winnetou hatte er vor Jahren durch mich kennengelernt, und der Apatsche hatte einen unauslöschlichen Eindruck bei ihm hinterlassen.
 

Wir näherten uns dem Llano Estacado, der für unerfahrene Menschen so gefährlichen Wüste, die wir durchqueren mussten, um zu den Mescaleros zu gelangen. Am frühen Abend wollten wir auf Helmers Home, einer Farm kurz vor Beginn des Llano, einkehren und dort übernachten. Den Besitzer, ein Deutscher namens Tobias Helmer, kannte ich von vorherigen Aufenthalten sehr gut und freute mich auf ein paar schöne Stunden mit deutscher Unterhaltung.
 

Als wir die Ansiedlung erreichten, gab es ein großes Hallo und das Besitzer-Ehepaar vergoss sogar die eine oder andere Willkommensträne, so groß war ihre Freude, mich wiederzusehen! Außer uns war nur noch ein einziger Gast da, ebenfalls ein Deutscher, ein Arzt von ungefähr fünfzig Jahren, der genug hatte von den chemischen Pillen und Tropfen, mit denen die Ärzte in Deutschland „ihre Patienten zu quälen versuchen“, wie er sich ausdrückte, und der die Überzeugung hegte, dass Medizin auf natürlicher Basis, wie sie vor allem bei Naturvölkern angewandt wird, für die Kranken meistens das weitaus bessere Heilmittel darstellt. Zumindest glaubte er fest daran, dass beide Seiten sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern im Gegenteil eng zusammen arbeiten sollten, und somit einen viel größeren Heilungserfolg erzielen würden. Deshalb hatte er sich in den Westen aufgemacht, um einen Indianerstamm zu finden, der bereit war, ihn aufzunehmen und sein Naturstudium zu unterstützen gewillt war.
 

Er war heilfroh, in mir einen erfahrenen Westmann zu finden, unter dessen Führung er den gefährlichen Llano durchqueren und von dem er vielleicht sogar anschließend Fürsprache bei den mir bekannten Indianervölkern erhoffte. Da es bis zu den Apatschen nur noch einige Tagesreisen zu absolvieren galt und der Arzt namens Walter Hendrick sowie seine Absichten mir auf Anhieb sympathisch waren, entschloss ich mich, mit dem Einverständnis von Emery, ihm seine Mitreise zu erlauben.
 

Es war später Nachmittag, als wir alle gemütlich auf der Bank unter einem großen Baum vor dem Hause saßen, unsere letzten Erlebnisse einander erzählten und den Tag unter viel Gelächter und guten Unterhaltungen ausklingen ließen. Plötzlich zeigte Dr. Hendrick auf einen dunklen Punkt, der sich in größerer Entfernung von uns befand und langsam näherkam: „Da scheint aber jemand nicht so gut aus der Wüste entlassen worden zu sein“ sagte er. Und wirklich, bei näherem Hinsehen erkannten wir einen Reiter, der zusammengesunken auf seinem Pferd saß, welches sich nur noch mühsam und stolpernd fortbewegen konnte. Wir standen alle auf und schirmten unsere Augen mit den Händen von der Sonne ab, um den Reiter besser sehen zu können. „Ich glaube, der braucht tatsächlich Hilfe!“ erklärte der Arzt und begann, dem Unbekannten entgegenzugehen. Auch wir anderen setzten uns in Bewegung.
 

Nach einigen Sekunden, in denen ich den Reiter immer besser erkennen konnte, hielt ich erschrocken inne und sah noch einmal genauer hin. Schwarzes Pferd – heller Leib – rot um die Mitte – schwarzes, langes Haar.....das konnte doch nicht sein!? Oder? Ich begann zu rennen, überholte den Doktor und mit jedem Schritt stieg die schreckliche Gewissheit. „Iltschi!“ rief ich dem Pferd entgegen. Es hob seinen schönen Kopf und beschleunigte seine Schritte – es hatte meine Stimme erkannt. Nun sprang ich den beiden förmlich entgegen. Als ich ankam und der edle Rappe schnaubend vor Erschöpfung mich trotzdem freudig begrüßte, hob ich zitternd den Kopf der zusammengesunkenen Gestalt, der auf dem Hals des Pferdes lag, leicht an, um ihr Gesicht zu erkennen – und stand starr vor Schreck. Es war mein Blutsbruder Winnetou! Doch wie sah er aus! Sein Gesicht war eingefallen, die Augen lagen in tiefen Höhlen, seine Lippen waren aufgesprungen, sein Haar vollgesogen von Blut aus einer tiefen Wunde an der Schläfe, welches auch sein halbes Gesicht bedeckte. „Winnetou!!“ schrie ich panisch auf, griff im gleichen Moment zu und begann, ihn aus dem Sattel zu ziehen. Hinter mir erscholl die ebenso schreckensstarre Stimme Emerys: „Warte! Ich helfe dir!“ Er griff gleichfalls zu und gemeinsam ließen wir den Apatschen vorsichtig auf den Boden gleiten.
 

Ich nahm seinen Kopf in meinen Schoß, strich ihm die Haare aus der Stirn, rieb seine Schläfen, versuchte, seinen Puls zu ertasten, was mir mit meiner vor Angst zitternden Hand aber nicht gelang, rief seinen Namen, kurz, tat alles, was mir einfiel, um ihn zu einer Reaktion zu bewegen, die aber nicht kam, da er in tiefer Bewusstlosigkeit lag.

Inzwischen war der Arzt hinzugekommen und jetzt zeigte sich, dass ich da wirklich keinen Kurpfuscher, wie sie in jenen Tagen im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ ihr Unwesen trieben, vor mir hatte, sondern einen gut ausgebildeten Mediziner, der sofort wusste, was zu tun war. Er legte seine Finger erst auf die Halsschlagader, dann auf Winnetous Handgelenk, griff danach unter sein Jagdhemd und legte die Hand auf seine Brust, um ein Lebenszeichen zu ertasten. „Sein Herz schlägt, ... zwar langsam, unregelmäßig, kaum spürbar, aber ... es schlägt. Auch die Atmung....“hier unterbrach Dr. Hendrick sich erschrocken, denn er hatte seine Hand wieder hervorgezogen und sah nun, dass diese rot von Blut war. Jetzt erst bemerkten wir, dass Winnetous Hemd im linken Brustbereich von getrocknetem Blut rotgefärbt war. „Um Gottes Willen!“ hörte ich neben mir Emerys Stimme. Ich selbst saß stumm vor Schreck, bekam kein Wort mehr heraus. Umso schneller aber hatte ich mein Jagdmesser gezogen und schnitt Winnetou das Hemd kurzerhand von der Brust herunter.

Ja, wirklich, er hatte ganz nahe am Herzen offenbar einen Messerstich erhalten, die Wundränder waren mit verkrustetem Blut bedeckt, die Wunde selber hatte jetzt wieder angefangen, leicht zu bluten, wahrscheinlich hervorgerufen durch die Bewegung, als wir ihn vom Pferd genommen hatten. „Herr im Himmel!" rief der Doc erschrocken aus. "Er muss Unmengen Blut verloren haben! Wir müssen ihn sofort ins Haus bringen! Mrs. Helmer, können Sie schnellstens ein Lager für ihn vorbereiten? Wir brauchen auch viel Wasser, kaltes, warmes und heißes zum Desinfizieren. Und suchen Sie so viel Verbandszeug oder auch reine Laken, wie Sie haben, zusammen, ja?“
 

Mrs. Helmer, die uns gefolgt war und ihrem Schrecken kaum Ausdruck verleihen konnte, rannte sofort zurück zum Haus, um alles Nötige vorzubereiten. Der Doktor untersuchte Winnetou noch einmal kurz und gab dann das Zeichen, ihn so vorsichtig wie nur irgend möglich zum Haus zu tragen. „Wir müssen aufpassen, dass die Wunde nicht weiter aufbricht, er hat schon viel zu viel Blut verloren, und wenn das so weitergeht, hat er gar keine Chance!“ ermahnte er uns. Ich machte Anstalten, meinen Freund aufzuheben, da schob Emery mich zur Seite: „Das übernehme ich! Achte du nur auf seinen Kopf!“ Er war ja, wie schon erwähnt, ein wahrer Hüne von Gestalt, während Winnetou normal groß und schlank, ja fast zierlich zu nennen war. Emery nahm ihn wie ein Kind auf die Arme und trug ihn, so schnell und gleichzeitig so vorsichtig er konnte, ins Haus.

Helmer folgte uns, Iltschi am Zügel nehmend, schnell nach.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: haki-pata
2015-07-27T19:55:54+00:00 27.07.2015 21:55
Mich erfasst eine wahnsinnige Lesefreude.
Wiederholen will ich mich nicht, aber es soll gesagt sein: Dein Schreibstil ist mitreißend!


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