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Neo Regnum

von

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Kapitel 1

Das Leben eines Ausgestoßenen
 

04. September 2087

Sektor 3, New Liverpool
 

Ein schrilles Piepen ertönte, welches sich zunächst noch wie ein Traum anfühlte. Einen jedoch Moment später riss es Aran Ciel aus seinem Schlaf. Wie der 18 jährige Junge das Gefühl hasste, so plötzlich aufzuwachen. Das auch noch zu so einer frühen Stunde. Der Wecker rechts neben seinem Bett piepte weiter. Während Aran sich noch keinen Millimeter bewegt hatte, starrte er verschlafen vor sich hin und überlegte, wie er sich an die Person, die seinen Wecker gebaut hatte, rächen konnte. Doch irgendwann wurde das nervende Geräusch noch lauter, was Aran veranlasste sich nun doch zu bewegen und es auszustellen. Die Uhr zeigte 6:32 Uhr an. Es war ein gewöhnlicher Donnerstag und er musste nun aufstehen und sich für die Schule fertigmachen. Ein weiterer Tag, den er hassen würde. Einige Minuten und Kämpfe gegen das erneute Einschlafen vergingen, ehe Aran es doch schaffte auszustehen. Er tippte auf einem Display, das sich neben seinem Bett über den verhassten Wecker stand und die Rollläden der Fenster öffneten sich. So drang nun das frühmorgendliche Sonnenlicht in sein Zimmer. Auch wenn nicht wirklich von Sonnenlicht geredet werden konnte. Aran erinnerte sich nicht daran, dass der Himmel jemals klar war und die Sonne schien. Jeden einzelnen Tag war der Himmel von grauen Wolken verhängt. Wohl eines der Überbleibsel des Krieges. Aran ging durch sein Zimmer, spürte unter seinen Füßen den Weichen, dunkelblauen Teppich und ging zum Kleiderschrank. Er zog für ihn typische Klamotten an. Eine dunkle, enge Jeans, ein schwarzes T-Shirt und darüber einen grauen Kapuzenpullover. Er schlüpfte in seine schwarzen Turnschuhe, ging zum Spiegel und blickte in seine eigenen, hellblauen Augen, die gerade allerdings nur Schlafmangel ausdrückten. Dann schaute er auf seine etwas längeren, verwuschelten, schneeweißen Haare. Die natürliche, weiße Haarfarbe, der Grund, warum man ihn wie einen Außenseiter behandelte. Er atmete tief durch und ging ans andere Ende seines Raumes, wo er sich an einen Schreibtisch setze. Dort drückte er auf einen schwarzen Kasten, woraufhin ein hologrammischer Bildschirm aus einen dünnen Metallständer heraus projiziert wurde. Er tippte auf ein Globussymbol, worauf sich das Internet öffnete. Sofort sprangen ihm zahlreiche Nachrichten aus ganz New Liverpool entgegen.

Was interessiert mich der Mist, der dort draußen abgeht?, fragte er sich selbst und ging in seinen E-Mail Posteingang. Wie erwartet, bis auf News von diversen Videospielseiten, keinerlei Nachrichten. In die sozialen Netzwerke wollte er so erst gar nicht schauen. Hätte ihm ja sowieso niemand geschrieben. Es schrieb ihm nie jemand, weshalb er sich immer öfter fragte, warum er überhaupt noch auf diesen Seiten angemeldet war. Als er auf die Uhrzeit, die der Bildschirm rechts unten anzeigte, schaute, bemerkte er, dass er ohnehin nun keine Zeit mehr hatte. So stand Aran nun auf und verließ sein Zimmer, um sich im Flur wiederzufinden. Er ging die Treppe, bestehend aus weiß lackierten Holzstufen nach unten und kam in einem großen Raum an, der Wohnzimmer, Küche und Esszimmer vereinte. Eine der vier Wände bestand komplett aus Glas und präsentierte die Aussicht des 150. Stockwerkes. Auch wenn nur Hochhäuser zu sehen waren, soweit das Auge reichte. Er ging am Fernsehbereich, in dem ein großes, weißes Ledersofa, das vor einem riesigen, an der Wand hängenden Fernsehers, stand, vorbei zum Esstisch. Dort saß sein Vater Cormack Ciel, der zu einer Tasse Kaffee die Nachrichten auf seinem Tablet las. Aran seufzte, als kein Frühstück auf dem Tisch stand und ging in die Küche. Dort tippte er auf einem identischen Display wie in seinem Zimmer an der Wand herum. Kurz darauf öffnete sich eine Luke aus Edelstahl und ein Teller mit frischen, warmen Rühreiern kam heraus. Diesen nahm sich Aran und er setzte sich zurück an den Tisch. Während er zu essen begann, fragte er sich, wie wohl echte Rühreier schmecken würden.

„Dad, hast du schon einmal echte Eier gegessen?“, fragte Aran.

„Nein. Ist doch wie mit allem. Entweder sind die entsprechenden Tiere oder Pflanzen ausgestorben oder man kann sie wegen der Gefahr auf radioaktiver Strahlung nicht essen“, antwortete ihm sein Vater, der weiter durch seine Brille auf das Tablet schaute und sich mit der anderen Hand am Bart kratzte. Aran aß sein Rührei weiter, welches eigentlich kaum einen Eigengeschmack hatte. Wie alles aus dem Food Maker. Von der Treppe waren Schritte zu hören, die näher kamen. Es war Rory, Arans älterer Bruder. Das war auch sofort an den fein zurechtgekämmten, langen schwarzen Haaren und den modischen, angesagten Klamotten. Ihm war es deutlich anzusehen, dass er der Sohn eines hochrangigen Wissenschaftlers war, der nicht schlecht Geld verdiente. So war es auch selbstverständlich, dass Rory im Gegensatz zu Aran ziemlich beliebt war. Einer der Gründe, warum Aran seinen Bruder hasste.

„Und, wie geht’s deinem Freund?“, fragte Aran, als er sein Frühstück fertig gegessen hatte.

„Welcher Freund?“, entgegnete Rory, der sich nun ebenfalls Essen machte.

„Na der Kerl, mit dem du zusammen bist. Bert.“

„Aran, hör endlich auf Bettina so zu nennen.“

„Warum sieht sie dann wie ein Kerl aus?“

„Tut sie doch kein bisschen. Sag nicht nur ich, dass sie echt hübsch ist.“

„Daher ist sie auch so groß, hat breite Schultern, solche markanten Gesichtszüge und so eine tiefe Stimme.“

„Dann ist sie halt etwas größer. Wegen der tiefen Stimme, wird davon kommen, dass sie raucht.“

„Das ist ja interessant. Sie wird doch erst nächstes Jahr 21, also darf sie das noch gar nicht und begeht somit eine Straftat.“

„Ach Aran, jetzt mach nicht einen auf Gesetzeshüter. Du rauchst doch selber manchmal und bist noch jünger.“

„Wechsel nicht das Thema. Gib doch zu, dass du auf Kerle stehst.“

„Sie ist eine Frau, das kann ich aus erster Hand bestätigen.“

„Oh, ich verstehe. Dad, was sagst du denn dazu, dass dein erstgeborener Sohn Sex hat?“

„Er ist 24, also alt genug. Und jetzt lass ihn in Ruhe und geh in die Schule“, sagte nun Cormack. Aran stand auf.

„Du hast gewonnen – fürs Erste“, sagte er gereizt und verließ das Zimmer. In der Eingangshalle nahm er seine Schultasche und ging nach draußen. Im Aufzug nach unten setzte er die Kapuze seines Pullovers auf. So erkannte man seine weißen Haare nicht sofort. Unten angekommen ging er durch die Eingangstür und stand nun auf einer Straße von Sektor 3 in New Liverpool. Der Abschnitt der Stadt, in dem die Leute mit Geld lebten. Es waren nicht gerade viele Menschen unterwegs. Trotzdem standen entlang der Straße viele Autos und auf dieser fuhren auch nicht gerade wenig. Über der Fahrbahn befand sich noch eine Straße. Noch eine Ebene darüber verliefen die Gleise der Straßenbahn. Mit dieser musste Aran fahren, um in die Schule zu kommen. Also machte er sich auf dem Weg zur nächsten Haltestelle. Wenn er sich beeilte, würde er an diesem Tag ausnahmsweise sogar rechtzeitig zum Unterricht erscheinen.
 

Die Straßenbahn war überfüllt wie immer. Es dauerte etwa eine Stunde, bis sie Sektor 2 erreichte. Dort, wo sich Arans Schule befand. Mit dem Auto hätte es je nach Verkehr mindestens doppelt so lange gedauert. Wohl gemerkt bei geringem Verkehr, was ein relativ seltenes Phänomen war. Hätte er in der Bahn zur Abwechslung mal einen Sitzplatz gehabt, wäre er sicher eingeschlafen. Aber so hatte er wenigstens seinen Ausstieg nicht verpasst und musste jetzt nur noch zügig zum Schulgebäude gehen. Dann hatte er es sogar pünktlich geschafft. Sektor 2 war wohl der einzige Bereich von New Liverpool, der sogar nach Etwas aussah. Immerhin hatte man sich hier die Mühe gegeben hier und da kleine Parks einzurichten. Auch sonst war nicht alles mit Hochhäusern und Straßen zu gebaut. Allerdings wusste Aran ja nicht, wie Sektor 1 aussah. Gut möglich, dass es dort noch schöner war. Aber man würde ihn in diesem Bereich vermutlich sogar noch mehr verstoßen als hier. Ein Junge mit weißen Haaren konnte ja nur einen Gendefekt wegen der Strahlung haben. Zumindest dachte das der Großteil der Leute. Sahen ihn als minderwertig an. Mittlerweile prallten all die dummen Sprüche und das Gerede an Aran ab. Das ging eh schon so lange so, wie er nur zurückdenken konnte. In der Schule machte man ihm das Leben ebenfalls so schlimm wie nur möglich. Nicht nur, dass niemand etwas mit ihm zu tun haben wollte, man mobbte ihn tagtäglich und auch Prügel war keine Seltenheit. Irgendwann begann er sich zumindest mit den Fäusten zu wehren. Nun war er nicht nur der Mutant mit den weißen Haaren, sondern auch noch ein Schläger. Die Mitschüler hatten nun zwei Gründe ihn zu meiden.

Aran kam nach einem etwa zehnminütigen Fußmarsch an der Schule an. Ein riesiges, weißes Gebäude, das nur danach aussah, dass sich der Großteil deren Besucher sich für etwas Besseres hielten. Er hasste diesen Anblick. Zumindest gab es eine gute Sache, die auf den Treppen am Eingang stand. Sherry Tamika, ein gleichaltriges Mädchen, welches ebenfalls in seine Klasse ging. Und wohl der einzige Mensch, der zu ihm hielt. Sie stand einfach da und tippte auf ihrem Tablet herum und schien gar nicht bemerkt zu haben, dass Aran nun hier war.

„Was macht du da?“, fragte er. Erst jetzt blickte sie auf und schenkte ihm Beachtung.

„Aran, du bist es. Naja, nur Zeug für den Schülerrat. Ist noch in Planung, also darf ich noch nicht darüber reden“, antwortete Sherry.

„Also…?“, sagte Aran.

„Erste Planungen für das Herbstfest. Kannst mir ja in der Pause helfen, wenn du willst.“

„Nicht dass das deinem Ruf schadet, wenn man dich mit mir sieht.“

„Ach, ist mir doch egal, was die anderen denken. Du weißt doch, ich hab dich gern und so kann ich zumindest auf dich aufpassen. Ist ja besser so, als wenn du irgendwo rumhängst und dich rum prügelst, rauchst oder gar wieder allein dumme Sprüche anhören lassen.“

„Ah ja, na dann.“

„Und jetzt komm, wenn du schon einmal pünktlich hier bist“, sagte Sherry und zerrte Aran regelrecht ins Schulgebäude. Auch wenn er selber lieber das Bedürfnis hatte weit weg zu rennen. Im Klassenzimmer setzte er sich in die Ecke der letzten Reihe, wo sein Platz stand. Keiner bis auf Sherry schien ihm auch nur die kleinste Beachtung zu schenken. Der Vorteil, dass er in der letzten Ecke saß, war zumindest, dass er den Großteil des Unterrichts schlafen konnte. Was er auch wie an diesem Tag machte.

Kapitel 2

Probleme des Alltags
 

04. September 2087

Sektor 2, New Liverpool
 

Pünktlich zum Klingeln in die Mittagspause wachte Aran auf. Er streckte sich, während all die anderen fast gleichzeitig aufsprangen und in den Pausenhof eilten. Erst als die meisten schon draußen waren, stand er auf und verließ gemütlich das Klassenzimmer. Normal nickte er immer nur für ein paar Minuten ein. Nur diesmal schien er fest geschlafen zu haben. Immerhin hatte er so gut wie gar nichts vom Unterricht mitbekommen. Aus dem Grund war es nicht verwunderlich, dass er gerade träge und verschlafen nach draußen ging. Auf dem Gang wartete Sherry schon auf ihn.

„Du solltest nicht immer den ganzen Unterricht schlafen“, sagte sie.

„Warum? Meine Noten sind doch trotzdem gut. Also wer braucht schon diesen langweiligen Unterricht“, entgegnete er.

„Ja, aber irgendwann wirst du noch gewaltig Ärger deswegen bekommen.“

„Mir doch egal.“

„Du bist unmöglich“, sagte Sherry, während sie zum Pausenhof ging. Mit den Händen in den Taschen in seinem Kapuzenpullover folgte Aran ihr, mit einer Haltung, die an einen verprügelten Hund erinnerte. Draußen angekommen setzten sie sich auf eine Bank etwas abseits der Anderen. Während Aran sich wieder die Kapuze über den Kopf zog, holte Sherry ihr Tablet heraus und begann über das anstehende Herbstfest zu reden. Aber er hörte nur halb zu und beobachtete sie aus dem Augenwinkel. Wie ihre langen, rötlich braunen Haare im Wind wehten und ihre grünen Augen sich auf das Dokument auf dem Tablet konzentrierten, welches auf ihrem Schoss, bekleidet in einer ausgefranzten Jeans, lag. Und sich ihre kurze Lederjacke hin und wieder zurechtrückte, damit der Wind nicht darunter wehte. Sie war wirklich der einzige Mensch, dem Aran vertraute. Auch weil sie ihm sehr oft regelrecht in den Kopf geprügelt hatte, dass sie immer für ihn da sei.

„Hörst du mir überhaupt zu?“, sagte Sherry ihm direkt ins Ohr und riss ihn damit aus seinen Gedanken.

„Tut mir leid, bin nicht ganz wach“, antwortete Aran leise.

„Du solltest nicht mehr die ganze Nacht am PC zocken. Am Wochenende gerne, da spiele ich gerne mal mit, aber unter der Woche schadet es nur.“

„Ich hab aber auf Konsole gezockt.“

„Manchmal würde ich dir echt gerne eine reinhauen. Aber egal, was ich sagen wollte ist, dass wir noch ein Motto für die Feier brauchen. Bisher war unser Gedanke eine Halloweenparty. Was wäre vielleicht deine Idee?“

„Sicher nichts mit Halloween. Gibt ja bestimmt wieder einige Idioten und sich den Scherz erlauben, dass sie sich als mich verkleiden. Dann lass ich mich wieder provozieren, schlag diese dann zusammen, verbring die halbe Nacht bei der USI, bis mich mein Dad abgeholt hatte. Nein danke.“

„Dann lass dich doch nicht ständig so schnell reizen.“

„Ich versuche es.“

„Wirklich? Nagut…also hast du eine Idee?“

„Eine Art Halloween Party mit dem Gedanken an das Leben im Ödland.“

„Aran…das ist genial.“ Sherry klang euphorisch und tippte die Idee begeistert in eine Tabelle auf ihrem Tablet. Aran blickte währenddessen auf den Boden und schob den Dreck mit seinen Füßen hin und her. Kam ihm wie eine Lieblingsbeschäftigung während der Pause vor. Er saß meistens irgendwo auf einer Bank und wartete, bis die halbe Stunde vorüber war.

„Hey, Matschbirne“, war eine laute, männliche Stimme zu hören. Aran wusste genau, dass er damit gemeint war und von wem diese kam. Von Ted Malkovich, einem Typen aus Arans Parallelklasse. Der war etwa einen Kopf größer war und kurze, braune, hochgeföhnte Haare hatte. Anders gesagt, eine Art Erzfeind. Ted war die Person, von der das meiste Mobbing gegen Aran kam.

„Bist du taub? Ich rede mit dir, Matschbirne“, sagte Ted noch einmal und stand nun direkt vor ihm. Aran schaute nun erst hoch und sagte:

„Hab ich gemerkt. Aber ich hab einen Namen, wäre schön, wenn du ihn dir mal merken könntest.“

„Matschbirnen wie du haben keinen Namen verdient“, brüllte ihn Ted direkt an.

„Dann haben Hohlbirnen wie du auch keinen verdient“, konterte Aran.

„Du willst wohl Prügel.“

„Nein danke, heute nicht, Teddy Bär.“

„Wenn du mich noch einmal so nennst, gibt’s erst recht aufs Maul.“

„Alles klar, Teddy…“, wollte Aran sagen, aber noch bevor er den Satz beenden konnte, packte Ted ihn am Kragen und zog ihn hoch.

„Jetzt reicht es. Ted, verzieh dich und lass Aran in Ruhe. Du weißt, dass er dir genauso deine Fresse polieren kann, wie du es ihm ständig androhst. Also verschwinde jetzt, du weißt dass ich großen Einfluss habe und dir damit noch wesentlich mehr schaden könnte. Und Aran, hör auf, ständig zu provozieren. Kein Wunder, dass du andauernd in Schlägereien gerätst“, mischte sich Sherry mit beherrschenden Ton ein. Ted ließ Aran daraufhin los, der auf den Boden fiel.

„Bald bist du fällig, Matschbirne“, drohte Ted und ging.

„Ich hasse diese Missgeburt“, sagte Aran, der sich aufrappelte und den Dreck von den Klamotten klopfte.

„Kann dich verstehen. Bin ja auch auf deiner Seite, wollte nur unparteiisch wirken, damit er dich eher in Ruhe lässt. Der kriegt schon noch, was er verdient. Ohne, dass du ihm die Nase brechen musst, wie letztens“, sagte Sherry, während sie dabei half, den Dreck von seinen Klamotten zu klopfen.

„Hat aber ehrlich gesagt Spaß gemacht“, wandte Aran ein.

„Glaub ich dir. Komm, ich spendier dir ein Sandwich in der Kantine und dann gehen wir zurück in den Unterricht“, schlug Sherry vor. Aran nickte nur und sie befolgten den Vorschlag.

Der Unterricht war langweilig wie immer. Für einige war die Geschichtsstunde vielleicht interessant, als ein alter, buckeliger Lehrer von der Zeit vor dem Krieg redete. Davon, wie es noch auf natürliche Art und Weise Sachen wie Pflanzen, Gras und Bäume gab. Dass Menschen in dieser sogenannten Natur sogar lebten. Aber Aran interessierte das nicht. Er hielt es für Unsinn in der Vergangenheit zu schwelgen, die passiert ist und niemals zurückkehrte. So dauerte es nicht lange, bis er wieder einschlief. Eine Sache, die sich tagtäglich wiederholte. Aus Langeweile des Unterrichts schlief er ein, bis ihn die Laute klingen aufweckte. Ein befreiendes Geräusch, das die Schüler in die Freiheit entließ. Lange zögerte Aran nicht, bis er aufstand, das Klassenzimmer, den Flur und schließlich das Schulgebäude verließ. Und wenn er sich beeilte, würde er auch die 16:15 Uhr Straßenbahn Nachhause erwischen. Meistens, wie auch an diesem Tag, schaffte er dies auch. Es begann die gleiche Prozedur wie am Morgen. Wieder ein langer Weg in der überfüllten Straßenbahn, nun nur umgekehrt und dass es langsam dunkel wurde. Aran seufze und blickte aus dem Fenster. Beobachtete, wie die endlos vielen Hochhäuser vorbeizogen und der generell graue Himmel immer schwärzer wurde. Er drückte seine Stirn gegen die Scheibe und ließ einfach die Zeit vergehen.
 

Als Aran die Wohnung betrag, merkte er gleich an der Dunkelheit, dass niemand sonst da war. Wer weiß, wo sich sein Bruder schonwieder herumtrieb und sein Vater kam generell erst relativ spät Nachhause. Der Nachteil, den man als Wissenschaftler bezahlen musste. Aber immerhin verdiente er viel Geld.

„Licht“, sagte Aran, woraufhin sich die Lampen im Wohnbereich einschalteten. Er warf seine Schultasche neben das Schuhregal. Hausaufgaben machte er generell nie. Hatte sowieso schon seit Ewigkeiten keiner mehr danach gefragt. Also sah er dies als Zeitverschwendung an. In der Küche tippte er auf das Display, damit ihm der Food Maker eine Pizza machte. Mit dieser ging er anschließend in sein Zimmer und machte es sich vor dem PC gemütlich und aß dabei seine Pizza.
 

Vielleicht hätte er Sherrys Vorschlag befolgen und unter der Woche wirklich mal früher ins Bett gehen sollen. Allerdings vertiefte er sich schnell wieder in Videospiele. Für ihn das gefühlt einzige bisschen Spaß, das er hatte. Also zockte er wie jeden Abend so lange, bis er müde wurde. Er speicherte seinen Spielstand und beendete es anschließend. In seinem Schreibtischstuhl lehnte er sich zurück und streckte sich, bis er aufstand und den leeren Teller, auf den vor ein paar Stunden noch die Pizza lag, nahm. Diesen räumte er in der Küche in die Spülmaschine und erst jetzt bemerkte er einen Zettel, der auf der Küchentheke lag. Dieser war von seinem Bruder, was man an der fast unleserlichen Schrift erkannte. Erst nach dem dritten Lesen, erkannte Aran, dass darin eigentlich nur stand, dass Bettina hier übernachtete und niemand sie in seinem Zimmer stören sollte. Das beherzigte Aran sich auch gerne. Diesen Anblick, wie Rory mit dieser Frau herummachte, wollte er wirklich nicht sehen. Aran ging auf den Balkon, der am Wohnbereich anschloss. Der gleiche Anblick wie am Morgen, nur dass nun die Nacht über New Liverpool hing. Überall leuchteten Lichter auf. Sowohl in den Fenstern der Hochhäuser, der Werbeplakaten oder den vorbeifahrenden und schwebenden Autos. Er lehnte sich ans Geländer und beobachtete den Anblick einen Moment. Bis er anschließend beschloss mal wieder eine zu rauchen, was er seit einigen Tagen schon nicht mehr getan hatte. Sherry hätte ihn etwas angetan, wenn sie ihm dabei erwischt hätte. Aber sie war immerhin nicht hier. Als er dann einige Minuten später fertig war, ging er wieder rein. Genau in dem Moment, als sein Vater Cormack nachhause kam. Dieser trat in den Wohnbereich, direkt vor Aran.

„Du hast schon wieder geraucht, stimmt’s?“, fragte dieser streng.

„Ja“, gab Aran leicht zögerlich als Antwort.

„Naja, solange du es nur hier tust hab ich nicht unbedingt etwas dagegen. Aber tu es bitte nicht draußen in der Öffentlichkeit, nicht nur weil du noch zu jung bist, sondern…“, wollte Cormack predigen und wurde von Aran unterbrochen:

„…sondern weil es in der Öffentlichkeit verboten ist und man es nur in speziellen Lokalen darf. Und dort darf man erst ab 21 rein.“

„Ganz genau. Und jetzt geh ins Bett, es ist bald schon drei Uhr morgens“, sagte Cormack, während er seinen Wissenschaftlerkittel auszog.

„Okay. Gute Nacht“, sagte Aran und ging nach oben. Er war schon ziemlich müde. Also ging er schnell duschen und warf sich hinterher gleich ins Bett. Er war eigentlich fast schon dankbar, dass sein Vater doch relativ locker war. Auch wenn Cormack nicht unbedingt ein Mustervater war. Besonders wegen seines Berufes war er relativ selten Zuhause. Aber auch das fand Aran gut. So war er nicht so oft von ihm genervt und es kam zu weniger Streit. Mit seinem Bruder war das schon eine andere Sache. Dieser war eigentlich fast immer da und sie stritten sich fast immer. Aran war fest davon überzeugt, dass Rory einfach ein nerviger Idiot war und das ließ er ihn auch spüren. Das führte nur zu noch mehr Streit, weil sich dann auch ihr Vater mit einmischte. Und meiste war der dann gegen Aran. Das machte ihn eigentlich nur aggressiver. Aber nicht jetzt. Lang dachte er über diese Dinge nicht nach. Denn es ging relativ schnell, bis er eingeschlafen war.

Kapitel 3

Wie ein Schlag ins Gesicht
 

05. September 2087

Sektor 3, New Liverpool
 

Aran schlug seine Augen auf, als er realisierte, dass er nicht mehr einschlafen würde. Sicher schon seit mindestens einer Stunde wälzte er sich schlaflos im Bett hin und her. Der Wecker zeigte 5:28 Uhr an. Also hatte Aran gerade einmal etwa zwei Stunden geschlafen. Warum war er dann schon wach? Dass er vergessen hatte die Rollläden zu schließen und es langsam heller wurde, daran konnte es schlecht liegen. Er vergaß es oft. Besser gesagt war er einfach zu faul sie herunter zu lassen. Doch erst jetzt bemerkte er, dass von unten laute Stimmen kamen. Anscheinend stritten sich sein Vater und sein Bruder. Dies veranlasste Aran dazu sofort aufzustehen und in seine Klamotten zu schlüpfen. Diesen Anblick wollte er nicht verpassen, wie Rory möglicherweise von ihrem Vater fertiggemacht wurde. Noch bevor er die Klinge seiner Zimmertür herunterdrückte, fiel ihm auf, dass die andere Stimme nicht seinem Bruder gehörte. Aber jetzt war er schon aufgestanden und angezogen, also wollte er auch hinuntergehen. Gerade als er die Tür öffnete, ertönte der Schrei einer Frau.

„Okay, Bert ist wirklich kein Kerl. So schreit nur eine Frau“, murmelte Aran leise vor sich hin und öffnete die Tür. Was auch immer los was, er fand es gleich heraus.

Er ging die Treppe ein Stück runter, bückte sich leicht und beobachtete so das Geschehen im Wohnbereich. Ein Mann mit dunkler Sonnenbrille und schwarzem Anzug stand seinem Vater gegenüber. Sie schienen über irgendwas zu diskutieren. Noch bevor Aran die Situation begreifen konnte, zog der Fremde eine Pistole und schoss seinem Vater in den Kopf, der direkt tot umfiel. Aran erschrak bei diesem Anblick, dass ihm der Atem weg blieb. Sein Instinkt riet sich oben zu verstecken, aber er war wie gelähmt. Er konnte seinen Blick nicht von der Leiche seines Vaters abwenden, die in einer sich ausbreitenden Blutlache lag. Er atmete tief ein und aus und ging leise wieder nach oben. Sein Herz raste so sehr, dass er befürchtete, dass der fremde Mann in Schwarz es schlagen hören würde. Als er oben ankam, hörte er wie jemand die Treppe hochging. Er drehte sich um und sah er, dass der Fremde nun mit gezielter Waffe auf ihn zukam. Gerade als dieser abdrücken wollte, wurde er von Rory angesprungen.

„Lass ihn in Ruhe, du Bastard“, schrieb Rory, während der Mann versuchte ihn runter zuwerfen. Dieser packte ihn am Arm und schaffte es auch ihn los zu werden, indem er ihn direkt auf Aran warf. Rory holte ein Messer aus seiner Hosentasche und stand auf. Noch ein Schuss fiel und Blut spritzte Aran ins Gesicht. Das Blut seines Bruders. Rory fiel zur Seite mit einer blutigen Schusswunde in der Stirn. Noch einen kurzen Augenblick und Aran realisierte erst jetzt, dass sein Bruder nun nicht mehr am Leben war. Er musste stark damit kämpfen sich die Tränen zu unterdrücken. Mittlerweile war der anzugtragende Unbekannte oben angekommen und richtete seine Waffe erneut auf Aran.

„Jetzt zu dir, du Missgestalt“, sagte der Mann. Fast schon aus Reflex griff Aran zum Messer in Rorys Hand und rammte dieses in das rechte Bein des Mannes. Aran realisierte den Moment nicht einmal, so schnell passierte es. Er bekam erst vollständig wieder mit, als er das Messer wieder herauszog.

„Du kleines Misstück“, fluchte der Mann, während er sich vor Schmerz ans verletzte Bein fasste. Aran nutzte den Moment und stieß ihn um, woraufhin der Angreifer rückwärts die Treppe hinunter fiel. Da es oben keinen Ausweg gab, rannte er ebenfalls die Stufen hinunter, wobei er bei der viert letzten absprang, um auf den Mann mit den Füßen voraus zu landen. Dieser stöhnte vor Schmerzen auf und Aran rannte weg. Vorbei an seinen toten Vater, den er noch ein letztes Mal genau anschaute. Erst jetzt sah er, dass weiter hinten Bettina in einer Blutlache lag. Vermutlich ebenfalls tot. Wenn nicht hatte er nun auch keine Zeit für sie. Denn er hörte, wie sich der Mann versuchte aufzurappeln. Aran hechtete regelrecht in die Eingangshalle, in dem Moment, als ein Schuss fiel und ihn nur knapp verfehlte. Nur noch wenige Meter und er erreichte die Eingangstür. Er stürmte hinaus und schloss die Tür hinter sich. Auf den Fahrtstuhl wollte er erst gar nicht warten, also rannte er die Treppen hinunter. Etwa 30 Stockwerke, bis er die Etage erreichte, auf der der Aufzug gerade steckte. Er sprang in diesen hinein und hämmerte wild auf die Taste für das Erdgeschoss. Zu seinem Glück fuhr dieser auch nach unten und nicht zurück in die 150. Etage. Aran sackte zu Boden und atmete schnell und panisch. Er wollte seine Gedanken ordnen und realisieren, was gerade passierte. Doch dafür war keine Zeit, da der Fahrstuhl im Erdgeschoss ankam. Vorsichtig öffnete Aran die Tür. Als er merkte, dass die Luft rein war, schlich er heraus, geradewegs durch die Eingangstür. Auf der Straße schien alles vollkommen normal zu sein. Niemand scheint bemerkt zu haben, was gerade weit oben in diesem Gebäude geschehen ist. Obwohl es möglicherweise auch keinem interessiert hätte. Er ging einige Meter dem Bürgersteig entlang. Die Leute, die ihm begegneten, schenkten nur entsetzte Blicke. Jetzt war er nicht nur Junge mit den weißen Haaren, nun auch noch beschmiert mit Blut. Wer weiß was in den Köpfen der Passanten vorging. Vielleicht bestätigte sich deren Glaube, dass Leute mit kaputten Genen minderwertige Personen waren, die primitiv und hirnlos vorgingen. Aber das interessierte Aran im Moment am wenigsten. Irgendwann kam er in einer heruntergekommenen Seitengasse an, in die er einbog. Völlig außer Atem setzte er sich versteckt zwischen Müllcontainern auf den Boden. Ist das alles gerade wirklich passiert? Hatte er eben seine gesamte Familie durch einen unbekannten, in schwarz gekleideten Mann verloren? Wenn dies nur ein mieser Traum war, dann hätte Aran es gut gefunden jetzt aufzuwachen. Er blickte auf seine verschwitzten, blutverschmierten Hände. Da wurde ihm bewusst, dass das die realste Realität war. Kein Traum oder sonstiges. Auch wenn sein Herz raste und so das Blut in seinen Ohren pochte, war für ihn alles klar. In diesem Moment brachen alle Dämme und er konnte seine Tränen nicht mehr zurückhalten. Schluchzend holte er sein Handy aus der Hosentasche. Mit zittrigen Händen versuchte er die Nummer von Sherry aus dem Telefonbuch zu wählen, was auch erst beim fünften Versuch gelang, nachdem er sich mehrfach verwählte. Es dauerte einige Momente, bis die Person an der anderen Leitung annahm.

„Hallo?“, hörte er Sherrys Stimme. Sie zu hören tat ihm gerade unbeschreiblich gut. Aber er selber brachte nur Schluchzen heraus.

„Hallo?“, sagte Sherry auf. Ihr tun klang schon gereizter als vorher.

„Sherry…“, sagte Aran schließlich unter Tränen.

„Aran? Bist du es? Weinst du etwa?“, wollte sie wissen. Er wollte irgendwas sagen, wusste jedoch nicht was. So kam nur unverständliches Gejammer heraus.

„Verdammt Aran, was ist los?“, Sherry klang besorgt. Denn sie wusste, dass er nicht einfach wegen irgendwas das Heulen anfing. Dafür hatte er seine Gefühle viel zu sehr unterdrückt. Das hatte sie nach all der Zeit, die sie ihn kannte, lernen müssen. Wenn auch manchmal auf die harte Weise.

„Aran, da anscheinend irgendwas passiert ist und du mir nicht sagen willst was, komm ich vorbei“, schlug sie vor.

„Was…nein. Du darfst nicht vorbeikommen. Das darfst du nicht. Komm in den Park“, schaffte er es doch zu sagen.

„Wieso? Ach, du wirst es mir schon sagen, bis gleich“, sagte Sherry und legte auf. Der Park war nicht weit entfernt. Zumindest für Aran. Sherry hatte schon einen etwas längeren Weg. Deshalb blieb er noch für einige Minuten hier sitzen. Noch einmal versuchte er darüber nachzudenken, was dort eben geschah. Doch sein Kopf schien nicht mehr zu funktionieren. Er konnte sich einfach auf keinen Gedanken konzentrieren. Noch einige Minuten blieb er sitzen und atmete tief durch. Eigentlich hätte er langsam los gemacht, damit er Sherry nicht hätte warten lassen. Aber so richtig aufzustehen traute er sich auch nicht. Was wenn der Fremde nur auf ihn wartete? Egal, er musste los. Also stand er auf, ohne zu schauen und rannte ans andere Ende der Gasse. Nun durfte er auf dem Weg zum Park so wenig Aufsehen wie möglich erregen. Wenn ein Ermittler der USI oder gar ein USF Soldat ihn gesehen hätten, hätten sie ihn gleich mitgenommen. Aber er hatte Glück und erreichte ohne Zwischenfälle den Park. Nur keine Spur von Sherry. Also setzte er sich auf eine Bank und wartete auf sie. Beobachtete, wie der Wind durch die Blätter der künstlich gezüchteten Bäume wehte. Dieser Anblick ließ ihn an ein sorgenfreies Leben denken. Eines, das nicht von Minute zu Minute schlimmer wurde.
 

Nach einer gefühlten endlosen Zeit sah Aran, wie endlich Sherry am Park ankam. Als er sie erblickte, stand er von der Bank auf. Sie blieb kurz stehen, in dem Moment, als sie ihn sah. Schien ihn von oben bis unten anzuschauen. Erst dann kam sie unbändig auf ihn zugerannt.

„Meine Güte, Aran, was um alles in der Welt ist passiert? Warum bist du voller Blut?“, fragte sie geschockt.

„Sie sind tot. Sie wurden alle erschossen“, sagte Aran.

„Wer? Von Wem? Jetzt sag schon.“

„So ein Mann. Keine Ahnung wer, hab den noch nie gesehen. Sonnenbrille, schwarzer Anzug. Sah aus wie ein Türsteher einer Bar. Meinen Vater. Meinen Bruder, er hat sie einfach erschossen. Und auch mich fast“, berichtete, während ihm erneut die Tränen kamen.

„Kann doch nicht wahr sein“, sagte Sherry und nahm Aran dann in den Arm. Er begann sich an ihrer Schulter auszuheulen. Lange Zeit blieben sie so stehen. Erst als Aran sich wieder beruhigt hatte, ließen sie voneinander los.

„Was ist das?“, fragte Sherry, während sie einen Fleischfetzen von seinem Pullover zupfte.

„Gehirn“, antwortete er.

„Ich hätte nicht fragen sollen. Naja, wie geht es nun weiter?“, fragte sie.

„Keine Ahnung.“

„In deine Wohnung kannst du wohl schlecht gehen. Also würde ich vorschlagen, dass du erst einmal mit zu mir Nachhause kommst.“

„Aber deine Eltern können mich doch nicht leiden. Wie fast alle.“

„Ich werde ihnen die Sache schon erklären. Sie verstehen es mit Sicherheit. Außerdem haben sie nichts gegen dich. Das denkst du nur immer, weil du selber jeden unfreundlich behandelst.“ Aran sagte daraufhin nichts, sondern blieb nur mit gesenktem Kopf da stehen.

„Jetzt komm“, sagte Sherry, packte ihn am Arm und zerrte ihn mit zu sich Nachhause.

Kapitel 4

Tränen im Regen
 

05. September 2087

Sektor 3, New Liverpool
 

Der Regen prasselte sanft auf die Scheibe des Dachfensters von Sherrys Zimmer. Aran lag einfach nur da in ihrem Bett und beobachtete die einzelnen Tropfen. Dachte darüber nach, wie seine Realität genauso dahinglitt, wie das Wasser auf dem Fenster. Ihm war bewusst, dass diese Dinge wirklich geschehen sind, aber er wollte es sich trotzdem nicht eingestehen. Die Gedanken, dass sein Zuhause nun weg war und er seine Familie niemals wieder würde, setzen ihm zu. Besonders die Tatsache, dass er sich all die Jahre mit seinem Bruder nur stritt und am Ende hatte er ihn sogar mit seinem Leben verteidigt. Er wusste nicht, wie er sich das jemals hätte verzeihen können.

Die Tür des Zimmers ging auf und jemand betrat den Raum. Aran schaute nicht einmal hin und starrte weiter auf die Regentropfen, die auf das Fenster prasselten.

„Ich hab deine Klamotten gewaschen. War nicht leicht die sauber zu bekommen“, sagte eine weibliche Stimme. Die Stimme von Sherry. Aran zeigte auf die Aussage jedoch keine Reaktion.

„Du solltest was essen. Es ist schon Nachmittag und du liegst schon seit heute Morgen hier und starrst in den Regen“, redete sie weiter. Jedoch zeigte Aran immernoch keine Reaktion. Sherry setze sich zu ihm ins Bett. Erst jetzt blickte er zu ihr. Sie seufzte und begann damit, ihm durch die Haare zu streicheln

„Ich hab mit meinen Eltern geredet. Sie haben kein Problem damit, dass du erst einmal hier bleibst“, sagte Sherry.

„Und was dann?“, sagte er schließlich nach mehreren Momenten der Stille.

„Jetzt bleibst du erst einmal hier. Vielleicht wenn sich meine Eltern an dich auch gewöhnen, lassen sie dich auch ganz hier wohnen. Zumindest solange, bis du auf eigenen Beinen stehst. Aber egal was ist, darauf hast du mein Wort, ich lasse dich nicht alleine. Niemals“, sagte Sherry. Sie sah, wie ihm erneut die Tränen in den Augen standen. Dabei wusste sie, wie unangenehm es ihm war, wenn man ihn weinen sah. Das war eindeutig ein Teil davon, weil er immer seine Gefühle unterdrückt hatte, das ist ihr bewusst gewesen.

„Also, wie sieht es aus. Willst du etwas essen?“, fragte Sherry.

„Wenn es sein muss. Sag, habt ihr echte Hühnereier?“

„Aran, natürlich nicht. Sowas kann sich doch kein Mensch leisten. Zudem ist es auch ethisch wirklich bedenklich. Komm, ich mach dir was zu essen“, sagte Sherry, bevor sie aufstand und ging. Aran schaute noch einen Moment aus dem Fenster. Wie der Regen noch immer auf die Scheibe niederfiel und die dunkelgrauen Wolken am Himmel langsam vorbeizogen. Das perfekte Wetter zu der bedrückten Stimmung. Auch wenn dieses Wetter Alltag in New Liverpool war. Er zog die Decke beiseite und stand auf. Sofort überkam ihm das Gefühl, als würde der Druck und Puls in seinem Kopf ansteigen, was zu höllischen Kopfschmerzen führte. Für einen kurzen Augenblick sah er nur Sterne, bis sich seine Sicht wieder klärte. So fasste er sich an die Stirn und massierte seine Schläfen, während er sich umsah. Das Zimmer war typisch für Sherry. Alles schön ordentlich aufgeräumt und so sauber, dass so gut wie jeder Gegenstand wie gerade erst neu gekauft aussah. Die Tamika Familie lebten in der gleichen Gegend, in der Aran einst wohnte. Nur befand sich deren Wohnung in einem nicht so hohen Gebäude. Deshalb war dieses Apartment auch im letzten Stock. Aran gefiel zumindest Sherrys Zimmer schon immer. Wegen der Tatsache, dass dies die am höchsten gelegene Wohnung des Hauses war, hatte ihr Raum die Fenster im Dach. Gerade wenn es regnete verbreitete dies eine Stimmung, die Aran als sehr angenehm empfand. Immerhin mochte er den Regen.

Gerade als er das Räumlichkeiten verlassen wollte, fiel ihm auf, dass er nur in seiner Boxershort gekleidet war. So wollte er nun auch nicht unbedingt Sherrys Eltern unter die Augen treten. Obwohl dies nun auch nicht so wichtig war. Immerhin kannten sie sich ja auch schon länger. Also ging er trotzdem einfach in die Küche. Der Weg führte am Wohnzimmer vorbei, wo Sherry Eltern Diana und Ivan vor dem Fernseher saßen. Obwohl sie ihn schienen bemerkt zu haben, schenkten sie ihm keine Beachtung. Scheinbar hatte Sherry vorher schon gesagt, dass sie ihn nicht bedrängen sollten. Irgendsowas in der Richtung konnte er sich wirklich gut vorstellen. Als Aran in der Küche ankam, war Sherry gerade dabei mit Mühe ein Sandwich zu machen. Auch wenn es ein großes Klischee war, dass Frauen kochen können und in die Küche gehören, war sie der lebende Beweis, dass dies nicht stimmte. Zwar konnte sie gut den Food Maker bedienen, allerdings wenn es um richtiges Kochen ging, scheiterte sie kläglich. Selbst Aran konnte es besser und das obwohl sich schusselig wie sonstwas anstellte. Er setzte sich an den Esstisch und beobachtete das Geschehen. Sie schien kurz davor zu sein auszurasten, das Sandwich zu nehmen und genervt irgendwohin zu werfen. Aber das hätte nicht zu ihr gepasst. Irgendwann war sie dann doch fertig und stellte ihm einen Teller hin, auf dem sich etwas befand, das entfernt an ein Sandwich erinnerte.

„Was ist das?“, fragte Aran, während er die Mahlzeit anstarrte.

„Echt jetzt, wenn es dir nicht passt, dann musst du es nicht essen“, entgegnete Sherry genervt. Aran schaute sie daraufhin nur ausdruckslos an.

„Tut mir leid. Ich kann halt einfach nicht kochen“, entschuldigte sie sich anschließend. Während Aran das missglückte Sandwich zu sich nahm, saß sie ihm nur gegenüber und beobachtete ihn dabei.

„Hat wenigstens geschmeckt“, sagte er, nachdem er fertig gegessen hatte.

„Wer soll das nun glauben. Naja egal, hör mal. Wird dir zwar nicht gefallen, aber du musst den Vorfall bei der USI melden. Schon allein wenn sie von dem Mord erfahren und herausfinden, dass du nichts dazu gesagt hast, wirst du doch sofort Tatverdächtiger. Außerdem willst du sicherlich, dass der Mörder erwischt wird“, erklärte Sherry.

„Ja…schon. Aber…“, wollte Aran einwenden.

„Nichts aber, du hast eigentlich schon einen Fehler gemacht, als du zuerst zu mir bist und nicht gleich USI Ermittler aufgesucht und den Vorfall gemeldet hast.“ Sherry ließ ihm nicht einmal eine Möglichkeit dagegen etwas zu sagen. Nachdem sie ihm seine frisch gewaschenen Klamotten zugeworfen und er sie angezogen hatte, machten sie sich auf den Weg. Aran war es klar anzusehen, dass er sich lieber weiterhin im Bett verkrochen und den Regen beobachten wollte. Aber Sherry hätte ihn solange damit genervt, bis er nachgegeben hätte. Also blieb ihm so oder so keine Wahl. Außerdem fand er sowieso, dass sie unrecht hatte. Irgendwann hätten die Ermittler schon herausgefunden, was passiert ist. Und da zumindest im Treppenhaus in dem Gebäude seiner Wohnung sich Überwachungskameras befanden, hätten sie ja gesehen, dass er nicht der Täter war. Hätte er es ihr jedoch gesagt, wäre ihre Antwort gewesen, dass dies doch sehr naive Gedanken waren. Obwohl sie ja hier wohl die naivere der beiden war. Aber auf lange Diskussionen hatte er genauso wenig Lust. Noch weniger hatte er die Energie dazu.
 

Nach einem langen Weg durch die verregneten Straßen zwischen den endlosen Wolkenkratzern kamen Aran und Sherry schließlich an der nächstgelegenen Außenstelle der USI an. Stolz wie eine Auszeichnung prangerte der Schriftzug Urban State Investigators, wofür USI stand, über der Eingangstür. In einem kleinen Vorraum standen zwei bewaffnete Sicherheitskräfte. Der Weg führte doch einen Detektor, um eventuelle Waffen oder andere illegale Gegenstände aufzuspüren. Nachdem Aran und Sherry erfolgreich diesen passierten, kamen sie in einer deutlich größeren Halle an. Der Boden aus auf Hochglanz polierten Marmor, überall hingen Auszeichnungen verschiedenster USI Ermittler und Plakate, die an Propaganda aus der Vorkriegszeit erinnerten. Wie es ihnen im Unterricht gezeigt wurde, als beispielsweise im ehemaligen Deutschland der sogenannte Nationalsozialismus herrschte. Aran hatte ihr ein sofort mulmiges Gefühl. Hier war deutlich zu sehen, wie ernst man es mir Sicherheit und Überwachung in New Liverpool meinte. Zumindest in den Bereichen ab Sektor 3. Sherry trat zu einem älteren Herren mit Schnauzbart und Uniform, der sich an einem aus dunklen Holz bestehenden Schreibtisch befand.

„Entschuldigen Sie, Sir. Wir haben einen ernsten Vorfall zu melden“, sagte sie mit fast schon schüchterner Stimme.

„Ja?“, sagte der Mann mit strenger, tiefer Stimme.

„Es hat ein mehrfacher Mord stattgefunden. Um genau zu sein der Vater und Bruder meines Freundes hier. Ein unbekannter Mann ist in die Wohnung eingedrungen und hat sie getötet, während mein Freund nur knapp entkommen konnte“, versuchte sie zu erklären. Der Ermittler musterte daraufhin Aran mit strengem Blick von oben bis unten.

„Geht in den Warteraum. Ein Kollege wird sich gleich darum kümmern“, sagte der Ermittler, während er schon damit anfing wieder irgendwelchen Papierkram zu unterzeichnen. Aran und Sherry gingen schließlich auch in den sogenannten Warteraum, der sich rechts neben der Eingangshalle befand. In diesem befanden sich weiter keine anderen Menschen und sie setzten sich auf einen der großen mit Leder überzogenen Bänke.

Lange Zeit saßen sie dort und es herrschte eine Stille, die förmlich zu spüren war. Man konnte selbst das kaum wahrzunehmende Surren der Deckenlampen hören, während draußen vor dem Fenster weiterhin der Regen prasselte. Irgendwann musste Aran dagegen ankämpfen einzuschlafen, bis dann doch ein Ermittler hereinkam. Allerdings nicht, um wie erhofft die Aussage anzunehmen.

„Bitte verlasst das Gebäude, wir schließen. Wenn ihr ein Problem habt, dann sucht entweder eine Straßenpatroullie auf, wendet euch an den Notservice oder kommt morgen wieder“, sagte dieser.

„Bitte was? Wir warten hier schon seit mehreren Stunden darauf, dass jemand sich endlich mal um unseren Fall kümmert. Es handelt sich hier um einen mehrfachen Mord. Wie können Sie das so einfach abtun?“, beschwerte sich Sherry.

„Lady, beruhigen Sie sich. Wie gesagt, Sie können morgen wiederkommen, wenn wir weniger zu tun haben“, rechtfertigte sich der Ermittler. Aran blickte sich erneut in dem Raum um, obwohl er das die letzten Stunden unzählige Male getan hatte. Jedoch waren sie immernoch die einzigen Menschen hier. Ja, stimmt. Ist die Hölle los hier, dachte sich Aran.

„Und jetzt geht, ansonsten sind wir befugt euch mit Gewalt aus dem Gebäude zu entfernen“, sagte der Mann mit energischer Stimme und zeigte dabei zum Ausgang. Ohne eine Wahl verließen sie schließlich das Gebäude auch.

„Ich habs gleich gewusst“, sagte Aran leise.

„Ist doch unfassbar. Wie können die uns einfach rausschmeißen, obwohl wir hier ein ernstes Verbrechen zu melden hatten?“, sagte Sherry wütend.

„Es liegt an mir. Egal wo, egal bei was, ich werde immer als Minderwertiger Mitbürger angesehen. Da macht man sich doch keinen Finger krumm“, beklagte sich Aran.

„Aber das bist du doch nicht.“

„Sag das denen. Da bekommen wir keine Hilfe. Aber ich lasse das nun erst recht nicht auf sich beruhen“, sagte Aran und ging einfach los. Sherry folgte ihm. Sie wunderte sich, wo er hinging, da er in eine völlig andere Richtung ging, als von der sie kamen. Aber sie hatte kein gutes Gefühl bei der Sache. Selten kam etwas Gutes dabei raus, wenn Aran so draufgängerisch handelte.

Kapitel 5

Das Treffen auf taube Ohren
 

05. September 2087

Sektor 3, New Liverpool
 

Langsam dämmerte es Sherry, wo Aran vor hatte hinzugehen. Es war eindeutig die Gegend, in der er wohnte. Und sie sollte Recht behalten. Das New Millennium Einkaufszentrum, an dem sie vorbeikamen, war nur wenige Straßen seiner Wohnung entfernt. Sie ist dort schon des Öfteren gewesen und hatte geshoppt. Meistens hatte sie hinterher Aran einen Besuch abgestattet oder ist gar davor zu ihm gegangen und hatte ihn einfach mitgenommen.

„Jetzt warte doch mal und sag mir zumindest, was du vor hast“, sagte sie laut. Doch Aran reagierte nicht darauf und stürmte weiterhin mit schnellem Schritt voraus. Er schien nicht einmal daran zu denken stehen zu bleiben. Und hatte Sherry Probleme damit, mit ihm mit zu halten. Bald hatten sie das Gebäude, in dem sich seine Wohnung befand auch erreicht. Schlagartig blieb Aran stehen und Sherry stieß fast mit ihm zusammen. Sie stellte sich auf ihre Zehenspitzen, um über seine Schulter zu blicken. Da erkannte sie, dass der Zugang des Hauses bereits abgesperrt war und einige Einsatzwägen der USI davor standen.

„Sie wissen also bereits davon“, sagte Aran mit gesenkter Stimme. Er wollte weitergehen, doch Sherry packte ihm am Arm und hinderte ihn daran.

„Lass mich verdammt nochmal los“, schnauzte Aran sie aggressiv an.

„Jetzt warte doch mal und komm wieder runter. Was gedenkst du hier zu erreichen?“, wollte sie ihm ins Gewissen reden. Doch er blickte sie nur wütend an, befreite sich aus ihrem Griff und ging weiter. Er ging geradewegs auf einstiges Zuhause zu.

„Bitte gehen Sie, dies hier ist ein Tatort“, sagte ein USI Ermittler mit kalter Stimme, der hinter der Absperrung stand.

„Ich bin Angehöriger“, sagte Aran.

„Dann weisen Sie sich bitte aus.“

„Würde ich sehr gerne machen, aber mein Ausweis befindet sich in der Wohnung oben. Außerdem habe ich sehr wichtige Informationen über den Vorfall.“

„Wenn Sie Informationen geben können, wenden Sie sich bitte morgen an der nächsten Außenstelle und geben dabei auch einen Identitätsnachweis ab.

„Wie soll ich denn bitte einen Identitätsnachweis abgeben, wenn sich dieser dort befindet, wo Sie mich nicht hinlassen?“, tobte Aran mittlerweile, doch der USI Ermittler verzog dabei keine Mine.

„Es tut mir leid, ich habe Anweisungen keine Personen durch zu lassen, die nicht ihre Identität nachweisen können. Sie können im Einwohnermeldeamt einen neuen Ausweis beantragen“, erzählte der Ermittler weiter, als würde er desinteressiert ablesen.

„Das dauert Wochen“, wurde Aran immer lauter.

„Tut mir leid. Bitte gehen Sie jetzt, ansonsten bin ich dazu befugt Sie aufgrund von Hinderung von Ermittlungsarbeiten zu verhaften.“

„Einen Scheiß sind Sie hier am ermitteln.“

„Dies war meine letzte Warnung“, sagte der Ermittler, dessen Ton langsam strenger wurde und dabei mit der Hand in Richtung seiner Waffe ging, die sich in dem Holster an seinem Gürtel befand.

„Gehen wir. Es bringt doch nichts weiter hier zu bleiben. Der wird dich eher noch erschießen, als dass er dich durch lässt“, mischte sich Sherry ein, die Aran wieder am Arm packte und versuchte ihn wieder weg zu zerren. Einen Moment schaute er den Ermittler noch grimmig in die Augen, bis er ihr folgte.

„Was sollte das Ganze nun?“, wollte sie von Aran wissen, als wieder weggingen.

„Im Treppenhaus sind Kameras installiert. Dieser Typ ist da sicher drauf zu sehen“, gab er als Antwort.

„Aber die USI kümmert sich doch nun darum. Wir gehen morgen einfach noch einmal in die Außenstelle und vielleicht werden sie dann anhören, was du zu sagen hast, wenn sie erstmal wissen, was passiert ist“

„Wirklich? Denen interessiert der Fall doch einen Scheiß! In deiner Außenstelle kümmert es doch niemanden. Warum sollte es morgen anders sein als heute? Jetzt nichtmal hier, wo sie doch direkt sehen, was passiert ist, war es denen doch egal, dass ich Infos hab. Sie denken doch das Gleiche wie alle anderen und das obwohl sie unsere tollen Ordnungshüter sind. Nämlich dass ich doch nur ein Mensch zweiter oder dritter Wahl bin, bei dem man doch darauf scheißen kann, was er zu sagen hat“, regte er sich weiter auf. Doch Sherry stellte sich ihn in den Weg.

„Aran, jetzt beruhig dich doch endlich mal. Klar, du bist total aufgewühlt wegen dem was da heute früh passiert ist. Aber bleib doch jetzt vernünftig. Was willst du denn schon tun?“, versuchte sie ihm ins Gewissen zu reden.

„Ich werde dieses Arschloch selber finden und ihn mit meinen eigenen Händen umbringen“, sagte Aran, während er mit finsterem Blick Sherry zur Seite schob. Erneut packte sie ihn am Arm. Sie wusste, dass es keinen Sinn mehr machte, ihm zu widersprechen. Wenn er etwas wollte, ließ er sich auch nicht davon abbringen. Und besonders jetzt schien er so ernst wie noch nie zuvor zu sein. Außerdem war ich dann doch klar, dass er recht hatte. Niemand würde sich darum kümmern, was er zu sagen hatte. Menschen, die aufgrund der Strahlung einen Gendefekt hatten, wurden in New Liverpool als minderwertig angesehen. Es war ja schon generell eine ungewöhnliche Sache, dass solche Leute in einem der Wohlhabeneren Sektoren der Stadt leben. Die meisten mussten irgendwo in den ärmeren Bereichen sehen, wie sie zurechtkommen. Aber wie unwichtiger Dreck behandelt zu werden, musste Aran schon sein ganzes Leben ertragen, auch wenn bei ihm dieser Gendefekt nur so minimal war, dass seine Haare keine Farbpigmente produzierten. Die Leute sahen ihn trotzdem als einen durch Strahlung verseuchten Mutanten an, der doch besser in irgendeiner Grotte verrotten sollte. Ein Grund mehr, warum sich Sherry so sehr um ihn kümmerte.

„Nagut, aber ich werde dir dabei helfen. Damit du nicht gleich in dein eigenes Verderben gerätst, wirst du meine Vorschläge auch annehmen, ist das klar?“, sagte Sherry. Aran nickte nur zustimmend. Er hatte nicht wirklich damit gerechnet, dass sie ihn dabei unterstützen würde. Vielmehr habe er erwartet, dass sie es ihm wieder ausreden wolle. So war er jedenfalls wirklich zufrieden, nicht auf sich allein gestellt zu sein.
 

„Was machen wir hier?“, wollte Aran wissen. Seine Stimmlage klang immernoch wütend. Sherry vermutete, dass sich seine Trauer nun in immer größeren Zorn verwandelte, je mehr der Schock nachließ. Sie wusste genau, dass solch eine Gefühlslage nach Rache dürstete. Immerhin musste sie sowas schon einmal miterleben.

„Da wir ja wohl leider nicht an deine Aufnahmen der Überwachungskameras kommen, brauchen wir ja wohl auf eine andere Art und Weise ein Bild von dem Angreifer“, versuchte sie zu erklären.

„Ja, und?“

„Hier wohnt Johanna. Weißt schon, die aus unserer Klasse. Sie…“, wollte Sherry sagen, doch Aran unterbrach sie dabei.

„Vergiss es. Sie ist doch eine derjenigen, die mich am wenigsten leiden können. Warum soll sie helfen? Was hat das generell damit zu tun, dass wir ein Bild von diesem Arsch brauchen?“

„Sie wird uns helfen. Glaub mir, ich hab gute, sagen wir mal…Argumente. Die Sache ist, dass sie ziemlich gut in digitaler Gestaltung ist. Soll heißen du sagst hier wie der Typ aussah, sie kann auf dem PC ihn rekonstruieren.“

„Ich mag dieses Weib nicht“, meckerte Aran, worauf Sherry nur mit den Augen rollte. Sie klingelte an der Tür beim Namen Brown. Nach einigen Momenten sprach eine männliche Stimme durch den Lautsprecher.

„Ja?“, sagte diese.

„Hallo Mr. Brown. Hier ist Sherry. Ich würde gerne zu Johanna.“ Ein kurzen piepen ertönte und die Tür öffnete sich.

„Hat Vorteile, wenn man öfter mit ihr an einem Schulprojekt arbeiten musste“, prahlte Sherry, während sie die Treppe nach oben in den zehnten Stock gingen. An der Wohnungstür wartete schon Johanna, ein großes, schlanken Mädchen, mit langen blonden Haaren und mehr Make-up als nötig.

„Ich hab ja nichts dagegen, dass du am Freitagabend so spät kommst. Aber was macht der hier?“, schnauzte Johanna mit leicht überhobener Art und zeigte auf Aran.

„Wir brauchen deine Hilfe, es ist ziemlich ernst“, wollte Sherry erklären.

„Warum sollte ich dem denn bitteschön helfen?“

„Nun, du weißt ich bin wichtiges Mitglied des Schülerrats. Und ich sage mal so: wäre doch echt schade, wenn dein Antrag auf einen zusätzlichen Schulausflug abgelehnt werden würde. Findest du nicht auch?“, versuchte Sherry unterschwellig zu drohen. Aran war fast schon erstaunt wie gemein sie sein konnte.

„Dein ernst? Du erpresst mich jetzt wirklich mit meinem Antrag, nur damit ich diesem Freak helfe? Kannst vergessen dass wir danach noch Freunde sind, wenn du das tust“, zickte Johanna weiter herum. Sherry trat näher an sie heran, zerrte sie in ihre Wohnung und schloss die Tür bis auf einen kleinen Spalt.

„Hör zu, das ist wirklich eine ernste Sache. Sein Vater und sein Bruder wurden heute vor seinen Augen von irgendjemand umgebracht. Es würde dich wirklich nicht umbringen, wenn du zumindest heute ein einziges Mal nett zu ihm bist“, murmelte Sherry leise. Sie wollte wohl, dass Aran dies nicht mitbekam. Jedoch hörte er dennoch jedes Wort deutlich.

„Oh…tut mir leid. Wusste ich nicht. Ich hab ja nichts direkt gegen ihn. Wenn er zumindest eine normale Haarfarbe hätte, fände ich ihn ja sogar ganz süß. Aber du weißt doch“, sagte Johanna, die nun ganz kleinlaut klang.

„Klar, Gruppenzwang, Ruf und so weiter. Lass diesen Scheiß einfach. Also, hilfst du uns jetzt oder nicht?“

„Ja, okay. Was braucht ihr?“

„Die USI lässt Aran nicht mehr in seine Wohnung. Er bräuchte aber die Aufnahmen der Überwachungskameras, auf denen man den Angreifer sehen sollte. Aber so kommt er klar nicht ran. Also war meine Idee, du hilfst ihm das Gesicht von dem Typen am PC zu rekonstruieren.“ Danach ging die Tür wieder auf und Johanna machte eine Geste, dass Aran eintreten durfte. Die Wohnung der Familie Brown war zwar kleiner als die von Aran, jedoch protzte nur jedes Detail davon, dass sie viel Geld hatten. Überall standen Statuen, Gemälde, Vasen und andere Gegenstände, die nach nichts weiter aussahen, als dass sie viel Geld gekostet haben müssen. Aran konnte sich alles genauestens anschauen, als er ihnen folgte. Nur zu gerne hätte er diese Sachen kaputtgemacht. Auch Johannas Zimmer sah nicht besser aus, nur mit noch weniger Stil. Sämtliche Möbel sahen danach aus, als hätte irgendein Typ seine Träume die er in einem Drogentrip hatte irgendwohin gekritzelt und dies dann als Blaupausen für Designermöbel verkauft. Selbst das Bett sollte wohl danach aussehen, als wäre es die Schlafstätte einer Prinzessin in irgendeinem Schloss. Der Höhepunkt war ein fast lebensgroßes Plüschpferd, verziert mit Edelsteinen, welches neben einem pinken Sofa stand. Auf einem, wie Aran fand, unnötig hässlichem Schreibtisch stand ein PC. Er erkannte sofort, dass dieses Gerät hoffnungslos veraltet war. Dieser hatte noch nicht einmal rahmenlose Hologrammbildschirme, die seit gut 20 Jahren Standard waren. Aran wunderte sich, wie man mit so einem alten Ding überhaupt noch arbeiten konnte. Jedoch aller Verwunderung nach funktionierte der PC aber noch, als Johanna ihn einschaltete und er hochfuhr. Ohne groß Worte zu verlieren öffnete sie einfach ein Programm, das für Aran erst einmal den Eindruck nach einem einfachen Bildbearbeitungsprogramm für Reiche machte.

„Dann beschreib mir deinen Angreifer“, sagte sie. Sie klang immernoch genervt, aber traute sich wohl nicht das nun auch wirklich zu zeigen.
 

Es dauerte weit über einer Stunde, bis sie schließlich fertig waren. Aran war erstaunt, wie gut Johanna das Bild hinbekommen hatte. Ihm lief ein kalter Schauer über den Rücken, wenn er auf den Bildschirm schaute und dort eins zu eins das Gesicht sah, welches ihn an diesem Morgen angriff. Die kahlrasierte Glatze, der breite, bullige Kiefer, die große Nase und die eiskalten Augen, die seine Familie ermordet hatte.

„Irgendwie genau das, wie man sich einen Türsteher einer zwielichtigen Bar vorstellt“, sagte Johanna und druckte das Bild aus, das sie Aran gab. Er starrte es noch einmal hasserfüllt an, ehe er es zusammenfaltete und in seine Hosentasche steckte.

„Danke“, sagte Sherry.

„Spar dir dein Danke und sag mir lieber was mit meinem Antrag wird“, zickte Johanna wieder wie zu beginn.

„Ich werde mich dann nächste Woche in der Schule darum kümmern“, antwortete Sherry.

„Gut, dann verschwindet jetzt. Es ist schon spät und ich will ins Bett“, schnatterte Johanna. Dies ließ sich Aran nicht zweimal sagen und er verließ das Zimmer, anschließend die Wohnung. Er begegnete dabei einem kleinen, dickeren Mann mit Brille, der unerträglich nach Parfum stank.

„Und du bist?“, fragte dieser unhöflich. Aran erkannte die Stimme als die wieder, die bei der Ankunft durch die Sprechanlage gesprochen hatte. Vermutlich also Johannas Vater. Ohne eine Antwort zu geben verließ Aran die Wohnung. Draußen konnte er hören, wie Sherry mit Mr. Brown sprach und dieser irgendwas über einen respektlosen Jungen redete, der gerade gegangen war. Sie schien sich zu entschuldigen und folgte Aran nach draußen.

„Und was hast du jetzt vor?“, fragte Sherry als sie wieder draußen auf der Straße waren.

„Diesen Mann finden und töten“, antwortete Aran trocken.

Kapitel 6

Zweifelhafte Gerechtigkeit
 

06. September 2087

Sektor 3, New Liverpool
 

Aran spürte einen leichten Stoß gegen seinen Oberarm. Dies sollte ihn wohl aufwecken. Was auch gelungen wäre, wenn er nicht schon die halbe Nacht wachgelegen hätte. Er schlug seine Augen auf und sah dass Sherry neben ihm stand.

„Wie spät ist es?“, fragte er leise.

„Halb acht“, gab sie fröhlich als Antwort.

„Du stehst am Wochenende ernsthaft so früh auf?“

„Hör zu meckern auf und schau dir an, was ich gemacht hab“, sagte Sherry, während sie auf ihren PC zeigte. Da Aran aus der Entfernung nichts stehen konnte, stand er auf. Man hatte ihm eine Matratze neben Sherrys Bett gelegt und als Schlafplatz eingerichtet. Er fand es sogar ziemlich gemütlich. Als er verschlafen zum PC ging, sah er schon, was Sherry gemacht hatte. Sie stellte einen gefälschten Fahndungsbrief ins Internet, auf dem der Angreifer gesucht wurde.

„Das klappt sicher“, sagte Aran mit sarkastischem Ton.

„Wieso denn nicht?“

„Der Typ sah aus wie von einer Mafia. Denkst du seine Freunde werden sich da nun melden?“

„Hast du eine bessere Idee? Wollte doch nur helfen.“

„Ich weiß. Lass uns gemeinsam was Besseres überlegen“, sagte Aran, während er sich wieder ins Bett legen wollte. Doch in diesem Moment kam Sherrys Vater, Ivan Tamika, ins Zimmer.

„Frühstück ist fertig, ihr kleinen Turteltäubchen“, sagte dieser scherzend.

„Dad“, schrie Sherry entsetzt auf und bewarf ihren Vater mit einem Kissen, das auf ihrem Schreibtischstuhl lag. Ivan verschwand daraufhin wieder und verschloss die Tür.

„Wie hat er uns gerade genannt?“, fragte Aran mit finsterer Miene.

„Du kennst meinen Vater doch. Er versucht immer witzig zu sein, aber ist eigentlich nur peinlich“, winselte Sherry beschämt. Aran versuchte noch irgendetwas dazu zu sagen, wurde aber von dem Knurren seines Magens davon abgehalten.

„Nun, würde aber sagen, dass Frühstück nicht so schlecht klingt“, sagte Sherry und ging anschließend. Aran, der noch mit der Decke in der Hand auf seinem Bett stand folgte ihr daraufhin. Im Esszimmer saßen sie schon alle und befanden sich beim Essen. Aran saß sich dazu und bediente sich. Er hatte dabei keine Hemmungen, da er schon häufiger zu Besuch war. Doch was ihn an der Situation nun überraschte, war, dass Sherrys Eltern plötzlich gar nicht mehr den Eindruck machten, als hätten sie etwas gegen ihn.

„Aran, wie geht’s dir denn?“, fragte Sherrys Mutter Diana.

„Naja, besser, aber nicht gut“, antwortete er. Diana redete darauf dass das ja verständlich wäre, aber sie sich um ihn kümmern würden. Auf diese Aussage wollte er es nun wissen.

„Sagt mal, ich dachte immer ihr könnten mich nicht leiden“, fragte Aran kleinlaut. Normal war es überhaupt nicht seine Art solche Dinge gerade heraus zu fragen.

„Was für ein Unsinn, was sollten wir denn gegen dich haben?“, entgegnete Diana.

„Die meisten denken doch alle, dass ich nur durch die Strahlung so ein mutierter Mensch zweiter Wahl bin.“

„Solche Leute sind doch vor Arroganz kaum zu überbieten“, wendete Ivan ein.

„Aran, wir mögen dich. Wir finden dass du Sherry ein guter Freund bist. Womit wir ein Problem haben, ist dass du manchmal etwas rüpelhaft bist“, erklärte Diana. Aran gab jedoch keine Antwort und aß verlegen sein künstlich hergestelltes Rührei weiter. Ihm kam der Gedanken, dass sich dies langsam zu seiner Leibspeise für das Frühstück entwickelte. Er schaute auf den Fernseher, der sich im Wohnzimmer befand, obwohl dies genaugenommen auch nur ein großer Raum war. Auf diesem war Logan Neale, der Monarch von New Liverpool, zu sehen, wie er gerade irgendeine Rede hielt. Aran konnte diesen Typen nicht ausstehen. Mit seinen zurückgekämmten, langen braunen Haaren, den dürren Augenbrauen und dem kalten Blick merkte Aran gleich, dass dies keine sonderlich freundliche Person war. Aber es mochten ihn scheinbar sowieso die Leute, die sich auch ein angenehmes Leben leisten konnte. Immer wieder kam es zu Rebellionen gegen die Regierung von New Liverpool. Hatte Aran jedoch bisher kaum interessiert. Sein Vater verdiente gut als Wissenschaftler. Auch jetzt war er in guten Händen. Immerhin arbeitete Sherrys Vater Ivan in der nahegelegenen Klinik als Biomechaniker. Wie viel Aran von diesem Reichtum jedoch jetzt zu sehen bekam, wusste er nicht. Er hoffte jedenfalls das Beste für sich. Eine Arbeit hätte er zumindest in diesem Sektor sicherlich nicht bekommen. Und wer weiß wie viel oder besser gesagt wie wenig er in einen der ärmeren Bereichen verdienen würde. Sicherlich nicht einmal ansatzweise genug, um sich so ein Leben wir das seines Vater oder von Familie Tamika leisten zu können. Aber über seine Zukunft kümmerte er sich kaum. Sie kam wenn sie kam, das sagte er sich immer. Und wenn es dann soweit war, dann kümmerte er sich darum. Meistens aber auch nur, wenn es unbedingt sein musste.
 

Nach dem Frühstück machte Aran erneut einen Versuch zurück in sein Bett zu kriechen. Er schaffte es sogar sich hinzulegen und in die Decke zu wickeln, bis allerdings Sherry hereinkam und ihn beim Einschlafen störte.

„Komm, zieh dich an, ich hab eine Idee wie wir Glatzi finden können“, sprach sie.

„Glatzi?“, fragte Aran, der so im Bett eingekuschelt war, dass es wohl gewirkt haben muss, als würde eine zusammengeknüllte Bettdecke reden.

„Weißt schon, der Angreifer. Der mysteriöse Fremde. Dachte halt, weil er eine Glatze hat, nennen wir ihn Glatzi“, redete Sherry in einem unangenehm fröhlichen Ton. Sie zog die Bettdecke weg und lies Aran so keine Wahl sich wieder schlafen zu legen.

„Und was wäre deine Idee?“, fragte er, während er aufstand und sich doch anzog.

„Ich hab mir das von meiner Mutter ausgeliehen“, sagte sie und hielt ihm ein Notizbuch vor die Nase.

„Was ist das?“, wollte er wissen.

„Wie du weißt war meine Mutter selber bei der USI, bis sie angeschossen und pensioniert wurde. Jedenfalls sind das einige alte Notizen von ihrer Dienstzeit und wenn man diesen glauben darf, dann stehen darin Adressen, wo sich solche zwielichtige Gestalten herumtreiben. Mafiosos, Banden und so weiter. Vielleicht, wenn wir dort nachschauen, hat jemand ja Glatzi gesehen“, erklärte sie aufgeregt. Wieder einmal ein Einfall, der auf ihrer Naivität zurückzuführen war. Warum sollte einer von Glatzis Komplizen helfen? Aber vielleicht hatte dieser Typ aber auf Feinde, der mehr über ihn ausplaudern würde. Im Grunde hatte Aran auch keine andere Idee. Nur seltsam, dass dieses Mal Sherry die gefährlichen Einfälle hatte und Aran seine Bedenken. Aber ihm sollte es recht sein. Er bezweifelte es, dass sie mit der freundlichen Art weiterkamen.
 

Sie machten sich auf den Weg. Ihren Eltern erzählte Sherry, dass sie sich den Nachmittag etwas im Einkaufszentrum verbringen würden. Diese war schließlich groß genug, um sich darin für mehrere Stunden zu verlieren.

„Falls etwas schief läuft, ich hab den alten Taser meiner Mutter dabei“, flüsterte Sherry im Treppenhaus Aran ins Ohr. Wieder einmal überraschte sie ihn. Sie schien sich wirklich für seine Probleme zu engagieren. Unten angekommen öffneten sie die Eingangstür. Dort stand ein Mann, der gerade klingeln wollte. Faltiges Gesicht, unrasierter Bart, schwarze zurechtgekämmte Haare und eine Uniform. Das war eindeutig ein Ermittler der USI. Und Sherry schien ihn zu kennen.

„Guten Morgen, Officer Mount“, sagte sie höfflich.

„Morgen Sherry“, antwortete dieser grummelig und warf direkt einen ernsten Blick auf Aran.

„Aran Ciel, ich verhafte Sie hiermit wegen des Mordes an Cormack Ciel, Rory Ciel und Bettina Montenegro.“

Kapitel 7

Schuldig ohne Gegenwehr
 

06. September 2087

Sektor 3, New Liverpool
 

„Aran Ciel, ich verhafte Sie hiermit wegen des Mordes an Cormack Ciel, Rory Ciel und Bettina Montenegro.“

„Moment. Bitte was? Aran, sag mir bitte auf der Stelle was das zu bedeuten hat“, fauchte Sherry. Fassungslos versuchte er irgendwelche Worte herauszubringen.

„Verdammt, sag was.“

„Sherry…ich schwöre es, bei meinem Leben, ich bin unschuldig. Ich war genauso ein Opfer von diesem Typ“, stammelte Aran vor sich hin.

„Mr. Ciel, wir haben keinerlei Beweise gefunden, die auf eine fremde Gewalt hindeuten. Wir haben das Videomaterial der Überwachungskameras des Treppenhauses analysiert und darauf lediglich gesehen, wie Sie panisch aus der Wohnung verschwunden sind“, versuchte Officer Mount trocken zu schildern.

„Natürlich bin ich abgehauen, weil der Typ dort mich umbringen wollte. Und was beweist das? Dann ist er halt auf anderem Wege entkommen“, erklärte Aran.

„Wenn das alles ist, dann reicht das bei Weitem nicht für eine Anklage“, erzählte Sherry.

„Wir haben die Tatwaffe gefunden und darauf Ihre Fingerabdrücke gefunden.“

„Das kann nicht sein. Ich hatte diese Waffe nie in der Hand, ich hatte generell noch nie eine Pistole in den Händen.“

„Mr. Ciel, das sind unwiderlegbare Beweise die gegen Sie sprechen. Mein Vorgesetzter hat persönlich verordnet, dass dies für eine Verhaftung ausreiche und Sie sich ihrem Urteil stellen müssen. Also wenn Sie bitte mitkommen würden?“

„Officer Mount…ich bitte Sie. Ich kenne Aran sehr gut und weiß dass er sowas niemals tun würde. Niemals. Genauso hab ich genau an seiner Reaktion gemerkt, dass das stimmte, was er erzählt hatte“, wollte Sherry den USI Ermittler milde stimmen. Gerade als Aran ein kleinlautes Danke sagen wollte, fiel ihm der Ermittler ins Wort.

„Tut mir leid Sherry. Auch wenn ich viel von dir und besonders deiner Mutter halte, aber die Beweise stehen gegen deinen Freund und mein Vorgesetzter hat diese Anordnung befohlen. Selbst wenn ich mir sicher sein würde, dass er unschuldig ist, könnte ich nichts tun“, erklärte Mount, klang aber genauso trocken und grummelig wie zuvor.

„Danke dass zumindest du zu mir hältst“, sagte Aran und warf Sherry ein verzweifeltes Lächeln zu. Anschließend folgte er Officer Mount. Doch dann schlug er blitzschnell mit dem Ellenbogen dem Ermittler in die Magengrube und rannte weg. Er hörte noch wie Sherry seinen Namen hinterherrief, doch er rannte den Fußgängerweg neben der Straße entlang. Fest entschlossen sich an diesem Tag nicht geschlagen zu geben. Leute die ihm im Weg standen schubste er einfach beim vorbeirennen weg. Selber bemerkte er nicht, wie weit er rannte. Jedoch verließ ihn so langsam aber sicher seine Ausdauer. Er musste sicherlich schon mehrere hundert Meter gerannt sein. Doch auch wenn er nicht mehr konnte, mit jedem Schritt mehr nach Luft rang, so wollte er nicht aufgeben. Er hatte Rache geschworen und besonders sich nicht eine derartige Ungerechtigkeit zuteilbekommen lassen. Während er blindlings einfach weiterrannte bemerkte er nicht, wie sich ihm ein großer Mann in den Weg stellte und er gegen diesen knallte. Aran fiel rückwärts auf den Boden. Er bekam nicht einmal die Möglichkeit einen Blick auf den Mann zu werfen, der ihn aufgehalten hatte, da stürzte sich Officer Mount schon auf ihn und legte ihm Handschellen an. Der Ermittler versuchte Aran mit sich zu zerren, jedoch wehrte er sich mit all seinen Kräften dagegen. Völlig außer Atem kam nun auch Sherry an.

„Aran, jetzt wehr dich doch nicht. Du machst alles nur noch schlimmer. Ich verspreche dir, ich sorge dafür, dass du so schnell wie möglich wieder herausgelassen wirst. Bitte hab Vertrauen darauf“, sagte Sherry. Erschöpft blickte er nun auf den Boden und gab auf.

„Jetzt komm mit, du miese Ratte“, sagte Mound und führte Aran ab. Zuletzt warf er einen Blick auf den Mann, der ihn aufgehalten hatte. Eine anderer USI Ermittler, der wohl gerade auf Straßenpatroullie gewesen sein musste. Sie gingen den ganzen Weg zurück und Aran stieg in das Fahrzeug von Mount ein. Diese schloss die Wagentür mit einem lauten Knall.
 

Ein ebenso lauter Knall, durch den Aran aufwachte. Wieder einmal hatte er diesen Traum. Dabei war es kein Traum, sonderlich lediglich die Erinnerung an seine Verhaftung. Nun schon 2 Wochen war er hier unschuldig in der Chicago Strafkolonie eingesperrt. Seit ein paar Tagen hatte man ihn in eine Einzelzelle gesteckt, nachdem er von seinem Zellenkameraden fast täglich zusammengeschlagen wurde. Langsam versuchte er sich aufzurichten, obwohl er am ganzen Körper Schmerzen hatte. Niemand schien sich ernsthaft darum zu kümmern, dass er eine anständige medizinische Versorgung bekam. So wurde er mit seinen Verletzungen allein zurückgelassen. Für die Wärter wäre es sogar das Beste gewesen, wenn er daran gestorben wäre. Immerhin dann ein Gefangener weniger, um den sie sich kümmern mussten. Seine Blicke wanderten gemächlich durch seine finstere Zelle. In ihr befanden sich eigentlich nur ein Bett, eine Toilette und Waschbecken. Verkleidet mit rostigen Metallwänden. Sein orangener Gefangenenoverall, der gefühlt zwei Nummern zu groß war und mittlerweile von Blut und Schmutz überdeckt war, tat sein Übriges zum heruntergekommenen Gesamtbild. Mit schwachen, zittrigen Beinen versuchte er aufzustehen und zum Waschbecken zu gehen. Nur einmal am Tag gab es etwas zu Essen mit etwas zu trinken. Also blieb ihm nichts Anderes übrig, als sich einen Schluck vom dreckigen Wasser aus dem Waschbecken zu nehmen. Während er mit seiner Zunge versuchte etwas flüssiges Nass vom fließenden Wasserstrahl in seinen Mund zu befördern, blickte er in sein verschwommenes Spiegelbild im Metall des Beckens. Sollte er froh darüber sein, dass sie ihm seine Haare nicht abgeschnitten hatten oder war das sein Verhängnis? Immerhin sah so jeder seine unnormale Haarfarbe. Jedenfalls war sein Gesicht von Schrammen und kleineren Narben übersät. Zumindest nichts, was bleiben würde, wenn er hier herauskommen würde. Aber die Hoffnung darauf schwand jeden Tag. Selbst wenn Sherry nun Erfolg hatte, den Mörder seiner Familie zu finden, glaubte er kaum, dass man ihn hier raus gelassen hätte. Man hatte ihm ja nicht einmal eine Gerichtsverhandlung gegeben. Die hohen Tiere bei der USI sagten quasi nur, er sei schuldig und er wurde sofort hier eingesperrt. Aran machte das Wasser aus, als er ein leises Geräusch an seiner Zellentür hörte. Er blickte hin und sah, dass ein Zettel unter der Tür hindurch geschoben wurde. Vorsichtig nahm er diesen auf und las die Nachricht.

Du bist hier alleine. Auf der Toilette des Freigängerhofs wird ein Freund warten.

„Ein Freund?“, murmelte Aran leise. Er glaube eher an einen Scherz. Vermutlich wieder einer dieser Versuche, ihn während der Freigangsstunde aus seiner Zelle zu locken und ihm ein paar Schläge zu verpassen. Zwar durfte man am Tag eine Stunde aus seiner Zelle raus und sich im Hof frei bewegen, allerdings hatte Aran sich bisher in seiner Zelle immer versteckt. Einfach um Schlägen der anderen, körperlich weit überlegenen, Gefangenen zu entgehen. Aber vielleicht würde man ihn dann auch endgültig zu Tode prügeln. Mittlerweile würde ihm dies sogar eher als Erlösung vorkommen. Egal ob er nun dieser Einladung befolgte oder nicht. Bald ertönte wieder das laute Klingeln und die Zellentüren öffneten sich, was den Beginn der Freigangsstunde einläutete.

Kapitel 8

Ein Freund unter Feinden
 

20. September 2087

Zellenblock F, Chicago Strafkolonie
 

Es machte ein lautes, knackendes Geräusch und die Zellentür öffnete sich. Nach einem kurzen Zögern ging Aran schließlich doch nach draußen. So langsam hatte er auch genug von diesem eintönigen Raum, in dem man ihn gefangen hielt. Das Warten hatte immerhin auch den Vorteil gehabt, dass die meisten anderen Sträflinge schon draußen waren und Aran sich so gut wie alleine auf dem endlos erscheinenden Gang befand. Ein Gang, der nicht nur von Endlosigkeit geprägt war, sondern auch allgemein den Eindruck verlieh, dass man sich hier am Ende der Welt befand. Keinerlei Fenster, durch die Sonnenlicht drang, alles dreckig und heruntergekommen. Allgemein wurde die Chicago Strafkolonie von diesem Bild geprägt. Kurz nach dem Krieg wurde dieses riesige Gefängnis auf den Ruinen des einstigen Chicagos errichtet. Das Ziel war es, einen zentralen Ort zu schaffen, in den sämtliche Verbrecher der ehemaligen USA untergebracht wurden. Für eine Anlage dieser Größe war es so auch kein Wunder, dass kaum Bereiche saniert wurden. Das einzige, was verbessert wurde, waren die Sicherheitsstandards. Das Ausbrechen war möglich, aber ziemlich schwer. Allein schon, dass das Gefängnis als zusätzlichen Ausbruchschutz auf einem hochgradig verstrahlten Gebiet gebaut wurde. Daher wurde die gesamte Außenmauer aus meterdicken Bleiwänden gebaut. Auch die einzigen Fahrzeuge, die hier rein und raus fuhren, waren speziell gepanzert. Jeder, der ohne entsprechenden Schutz es schaffte auszubrechen, starb sowieso innerhalb von Minuten bis wenigen Stunden an der Überdosis an Strahlung.
 

Nach einem unnötig langen Fußmarsch erreichte Aran den Freigängerhof. Auch wenn es kein Hof in dem Sinne war, da sich alles in geschlossenen Räumen befand. Dennoch hatte man versucht eine Art Park einzurichten, nur alles künstlich gezüchtet. Man konnte fast den Eindruck bekommen, man befand sich irgendwo in einem sauber angelegten Garten in Sektor 2 von New Liverpool. Doch dieser wurde zerstört, wenn man in weiter Ferne nur die dunklen Metallwände sah, statt eines Himmels nur eine Decke aus demselben Metall mit einigen Lichtern und die Luft einfach nur verbraucht und abgestanden muffelte. So unbemerkt wie nur möglich versuchte sich Aran an der Wand entlang zur Toilette dieses Hofes zu gehen. Auch wenn er stark gezögert und erst gar nicht vor hatte hinzugehen, tat er dies doch. Schon allein, weil er seine Zelle bisher nur einmal verlassen hatte und an diesem Ort nur Schläge kassiert hatte. Dabei war das Problem nicht einmal die Tatsache, dass man ihn wegen seiner weißen Haare als verstrahlten Mutant ansah. Sondern vielmehr er der kleine, schwache Junge war, an den man seinen Frust herauslassen konnte. Die Härte, die er sich Zuhause angeeignet hatte, reichte hier einfach nicht aus. Gegen eine Gruppe von Leuten, die zwei Meter hoch und breit waren konnte er nicht viel ausrichten. Aber er schien Glück zu haben, da in etwas weiterer Entfernung etwas wahrzunehmen war, das wie eine Schlägerei wirkte. Allerdings ist dies an diesem Ort auch keine Seltenheit gewesen und die Wächter standen wie die anderen Häftlinge nur amüsiert daneben und warteten gespannt darauf, wer diesen Kampf wohl überlebte. Das war Arans Chance unbemerkt in den Toilettenraum zu verschwinden. Dieser war ziemlich finster und man konnte nur noch gerade so die eigene Hand vor den Augen sehen. Es gab zwar mit Sicherheit irgendwo einen Lichtschalter, aber bei dem herrschenden Geruch von alten Fäkalien wollte er lieber nichts anfassen. Er stellte sich in die hintere Ecke und wartete. Etliche Momente vergingen und Aran fing langsam schon an, an einen Scherz zu glauben. Gerade in diesem Moment packte ihn jemand von hinten und hielt ihm den Mund zu.

„Nicht schreien, ich tu dir nichts. Aber wenn du schreist, sind wir beide erledigt, verstanden?“, sagte die Person, die ihn festhielt. Aran nickte daraufhin. Der Mann, was an der Stimme zu hören war, ließ ihn los und er drehte sich um. Es war ein Mann, ganz eindeutig ein Asiate, geschätzt auf Mitte 20 oder Anfang 30, kürzere, schwarze, ungepflegte Haare und einen Kinnbart. Gekleidet war er in der gleichen orangenen Gefangenenhose wie Aran, aber mit einem schwarzen Unterhemd. So dreckig und heruntergekommen wie dieser Mann aussah, schien er schon locker seit ein paar Monaten hier zu sein.

„Hab die letzten zwei Wochen damit verbracht, dich aufzuspüren. Weißt du wie schwer es ist, vom Zellenblock K hier in Block F zu kommen? Wie gut, dass hier so gut wie jeder bestechlich ist“, redete der Mann vor sich hin, aber Aran starrte ihn nur verwundert an.

„Fragst dich sicher wer ich bin. Wird dir wohl nicht jeden Tag passieren, dass du hier jemandem über den Weg läufst, der dir nicht weh tun will. Also mein Name ist Sen Takanui. Jedenfalls hab ich einen Plan, wie wir hier raus kommen. Aber dafür brauch ich deine Hilfe. Im Gegenzug bekommst du nicht nur deine Freiheit zurück, sondern biete ich dir eine Möglichkeit an, wie du an deine Gerechtigkeit kommst“, redete der Mann weiter. Aran schaute ihn weiterhin einfach nur an. Für ihn war die Sache immernoch leicht unglaubwürdig.

„Hör zu, ich weiß was dir passiert ist. Deine Familie wurde ermordet und du sitzt deswegen unschuldig hier. Um es kurz und knapp zu sagen, ich bin ein Teil von RES, einer Widerstandsgruppe. Glaube nicht, dass du von uns schon einmal gehört hast, da die Regierung von New Liverpool alles daran setzt unser Vorgehen geheim zu halten. Um den Leuten diese perfekte, heile Welt vorzugaukeln, zumindest denen, die es sich leisten können. Was ich jedenfalls sagen will, ist, dass wir eben gegen die Leute vorgehen, wegen denen du hier hinter Gittern sitzt. Und ich sage mal so: du hast nichts zu verlieren, wenn du mir vertraust. Niemand sonst wird dir mehr helfen. Von draußen wird keine Hilfe durchkommen, weil auf offiziellem Wege, wird dich keiner hier raus lassen. Und um dir die Sache noch schmackhafter zu machen, biete ich dir die Identität von dem Mann, der deine Familie ermordet hat. Also, was sagst du?“, erzählte Sen. Aran starrte mit erbostem Blick zu Boden und ballte seine Faust.

„Wer ist er?“, wollte er mit zorniger Stimme wissen.

„Ich werde es dir verraten. Wenn wir hier draußen sind. Aber glaube mir, du kannst mir vertrauen. Ich bin vielleicht der einzige weit und breit, dem du noch vertrauen kannst. Aber die Frage ist, greifst du nach der Hand, die ich dir ausstrecke?“

„Ich werde alles tun, um aus diesem Drecksloch heraus zu kommen und mich an denen zu rächen, wegen denen ich hier bin.“

„Alles klar“, sagte Sen und streckte seine Hand aus. Aran griff nach dieser und schlug wie bei einer beschlossenen Vereinbarung ein.

„Aran, sag, kannst du mit Waffen umgehen?“, wollte Sen wissen.

„Naja, ich hab zahlreichen Online Shootern jeweils immer den höchsten Rang erreicht, also…“, wollte Aran erzählen, aber Sen schlug ihn auf den Hinterkopf.

„Idiot, das hier ist ernst, kein Spiel. Du wirst um hier raus zu kommen sicher einige Leute töten müssen. Nimm das“, sagte Sen und steckte Aran eine Art Metallstab in die Hand.

„Du gehst jetzt zurück in deine Zelle und das klemmst du sofort in den Verriegelungsmechanismus deiner Tür. Damit wird sie nicht abgesperrt und du kannst sie jederzeit öffnen. Das nennen sie, Sicherheitsverriegelung der neuesten Generation. Ich nenne es Schrott, den sie aus dem Müll der Vorkriegszeit zusammengebastelt haben. Wir treffen uns dann heute Nacht hier und besprechen den Plan genau, wie wir hier raus kommen. Wenn alles klappt, sind wir morgen um dieser Zeit schon auf den Weg Nachhause. Hast du das kapiert, Kleiner?“ Aran nickte daraufhin nur.

„Gut, jetzt verschwinde und mach was ich dir gesagt hab“, befehlte Sen und Aran machte sich sofort auf den Weg zurück. Er verschwendete keine Zeit um sich die Sache groß durch den Kopf gehen zu lassen. Denn es stimmte, eine andere Wahl hatte er nicht, als diesen Typen zu vertrauen. Von außen war keine Hilfe zu erwarten. Vielleicht bemühte sich Sherry wirklich so gut sie konnte darum, die Wahrheit aufzudecken. Aber ihm war gleich klar, dass ihr die Hände gebunden waren. Oder vielleicht kümmerte sie sich auch kein bisschen weiter darum. Aber das wollte er noch nicht einmal denken.

Jetzt beachtete er nicht einmal mehr die anderen Häftlinge, sondern sah zu, dass er auf schnellstem Wege zurück in seine Zelle kam. Er musste seine Tür so schnell wie möglich präparieren. Immerhin wusste er, was passierte, wenn man beim Ablauf der Freigängerzeit nicht in seiner Zelle saß. Wenn die Stunde vorbei war, wurde die Zelle gescannt und wenn der Gefangene sich nicht darin befand, ging sofort ein Alarm los. Dies passierte täglich. In den meisten Fällen wurden die Sträflinge, die sich außerhalb ihrer Zelle befanden, ohne Vorwarnung erschossen. Nach den Wärtern eh nur ein Problem weniger, um das sie sich kümmern mussten. Gerade als Aran den Gang zu seiner Zelle betrat, hörte er, wie hinter sich ein elektrisches Zischen ertönte. Und kaum einen Moment schlug ihn etwas auf den Kopf. So schwer, dass ihm alles schwarz vor Augen wurde und er bewusstlos umkippte.

Kapitel 9

Unerwartete Hilfe
 

20. September 2087

Todestrakt, Chicago Strafkolonie
 

„Wach auf, du kleine, dreckige Missgeburt“, brüllte einer Stimme aus scheinbar großer Entfernung. Wie durch einen Schock wachte Aran auf. Nein, die Stimme war nicht weit weg. In Wahrheit gehörte sie zu einem Mann, der direkt neben ihm stand. Aran saß auf einem unbequemen Stuhl, mit Stahlfesseln daran gefesselt. Es war ein kleinerer, dunkler Raum. An der Tür stand eine Wache, die eine Schrotflinte in den Händen hielt. Vor Aran stand eine weitere Wache, der Mann, der ihn auch mit dem Gebrüll unsanft geweckt hatte. Dieser begann auch irgendwas zu reden, nur verstand Aran davon nichts. Noch leicht benebelt hatte er höllische Kopfschmerzen. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass man ihn mit großer Kraft etwas über den Schädel gezogen haben musste.

„Wie, du hörst mir also nicht zu“, sagte der Mann wütend und schlug Aran direkt ins Gesicht. Dies holte ihn immerhin aus seinen Gedanken.

„Also, du verstehst sicher deine Lage nicht. Ich kann mit dir hier alles machen, was ich will und keinen würde es interessieren. Im Gegenteil, es gäbe viele, hochrangige Leute, denen ich einen Gefallen tun würde, indem ich dich einfach umbringe. Wir hatten eh nicht damit gerechnet, dass du hier drin so lange überleben würdest. Aber liegt wohl dran, dass du dich feige in der Zelle versteckt hast, nur weil dich ein paar böse Jungs den Hintern versohlt haben“, redete der Mann weiter. Erst jetzt bemerkte Aran, dass dies keine gewöhnliche Wache war, sondern der Leiter dieses Gefängnisses sein musste. Dies erkannte er an der Stimme und an der Uniform, die so sauber und glattgebügelt aussah, als wäre sie von seiner Mama frisch gewaschen worden. Kein Zweifel, dies war der Administrator der Chicago Strafkolonie, Henry Prescott.

„Und hier sitzen eine Menge Gefangene, die es gerne sehen würden, wenn Sie umbringen würde“, sagte Aran leise und schwach. Aber versuchte dabei ein fieses Grinsen aufzulegen. Allerdings schlug ihn Prescott daraufhin nur in den Magen.

„Als ob du kleine Ratte dazu in der Lage wärst. Selbst wenn du es schaffst, dich hier zu befreien, wird mein Freund hier deinen kleinen Hintern mit Blei vollpumpen.“

„Den Hintern mit Blei vollpumpen? Genial, das werde ich mir merken“, sagte Aran und starrte Prescott dabei mit einem überlegenen Blick an. Prescott, ein älterer Mann mit kurzen, zurechtgekämmten, grauen Haaren, abstehenden Ohren und einem eher quadratischen Kopf, der von falten überseht war, schien ihn allerdings nicht sonderlich ernst zu nehmen.

„Ich werde dich sowieso umbringen, also kannst du so hart tun wie du willst. Vorher werde ich allerdings noch etwas Spaß mit dir haben, da du Informationen hast, die ich will. Fangen wir an. Was haben das Schlitzauge Takanui und du geplant? Worüber habt ihr geredet?“, brüllte Prescott Aran direkt ins Gesicht.

„Hat Ihnen je jemals gesagt, dass Sie fürchterlichen Mundgeruch haben?“, entgegnete Aran. Dies brachte ihm aber nur weitere Schläge in den Magen und ins Gesicht ein.

„Du kapierst nicht, du Drecksstück. Ich stelle die Fragen, du gibst mir darauf eine Antwort. Je mehr du dich weigerst, umso schmerzvoller wird dein Tod, verstanden?“, sagte Prescott, mit einer Stimme, als ob er versuchte sich selbst etwas zu beruhigen.

„Also, worüber habt ihr geredet?“, fragte der Administrator erneut.

„Er hat gesagt, was für ein toller Ort das hier ist, wie gerne er seine Freizeit er hier verbringt und hat mir dann seine Liebe gestanden“, antwortete Aran.

„Ich hab dich wohl noch nicht hart genug rangenommen“, entgegnete Prescott und zog ein Messer aus seinem Gürtel heraus. Ohne Vorwarnung rammte er es Aran in den rechten Oberschenkel, nur um es gleich wieder herauszuziehen. Aran schrie schmerzerfüllt auf.

„Antworte mir, was haben du und dieser andere Abschaum beredet?“, brüllte Prescott wieder.

„Du mieses Arschloch…gut, wir haben über nichts weiter geredet. Er meinte nur, dass er mich gesucht hatte und wir uns erneut treffen. Das war alles“, antwortete Aran, in dessen Stimme man immer deutlicher hörte, dass er Schmerzen hatte.

„Zwar nicht die Antwort, die ich erhofft hatte, aber gut. Reden wir später noch einmal darüber. Jetzt zum Wichtigen. Wo sind die Pläne für Projekt Reboot versteckt?“

„Projekt Was?“, stellte Aran verwundert als Gegenfrage. Davon hatte er noch nie etwas gehört und verstand nicht, warum sie ihn das fragten.

„Verarsch mich nicht“, sagte Prescott und wurde deutlich immer wütender. Dieser ballte daraufhin seine Faust und begann damit, Aran in die Magengegend zu schlagen. Immer und immer wieder.

„Wo sind diese Unterlagen versteckt?“, fragte er dazwischen immer wieder. Irgendwann fing Aran an, den Schmerz nicht mehr zu spüren und seine Sicht immer verschwommener wurde. Gekrönt wurde dies damit, als aus seinem Mund Blut anfing zu tropfen. Erst dann hörte Prescott auf.

„Du bist zäh, das muss man dir lassen. Projekt Reboot, woran dein Vater gearbeitet hat. Wo hat er seine Unterlagen dazu versteckt?“, wollte Prescott erneut wissen.

„Ich weiß…wirklich nichts darüber…mein Vater sprach nie von seiner Arbeit und mir war es auch…egal“, nuschelte Aran, der langsam aber sicher am Ende seiner Kräfte war.

„Du kleines Stück Scheiße, diese Information ist der einzige Grund, warum du noch nicht tot bist. Wenn du sie wirklich nicht kennst“, sagte Prescott und holte erneut das Messer raus und hielt es Aran an die Kehle.

„Wenn du darüber nichts weißt, werde ich dich eben sofort kalt machen“, drohte der Gefängnisleiter damit und schien es tatsächlich vor zu haben. Doch in dem Moment ertönte eine Durchsage.

„Administrator Prescott, bitte sofort ins Büro. Ein dringender Notfall. Ich wiederhole, Administrator Prescott ins Büro, dringender Notfall“, sagte die Stimme aus den Lautsprechern.

„Man, immer dann wenn es am schönsten wird. Keine Sorge, ich bin sofort wieder da und dann schlitze ich dich langsam auf“, sagte Prescott, steckte sein Messer weg und verließ den Raum zusammen mit der Wache. Anhand des lauten, knackenden Geräusches, welches Aran von seiner Zelle kannte, war zu hören, dass die Tür in diesen Raum verschlossen wurde. Nur einige Momente vergingen, doch für Aran kamen sie wie eine Ewigkeit vor, während ihm quasi jede Stelle seines Körpers schmerzte und Blut langsam aus seinem Mund tropfte. Ihm war bewusst, wenn er nichts tat, dass dieser Typ wieder zurückkommen würde und ihn eiskalt umbringen würde. Aber Aran fehlte einfach die Kraft etwas zu unternehmen. Er bereitete sicher eher auf sein sicheres Ende vor, als erneut eine Durchsage ertönte. Diesmal war diese leiser, so als ob sie nur in diesem Raum zu hören war.

„Wir haben nur ein paar Minuten, also trödel nicht herum. Ich kann diese Tür und deine Fesseln öffnen, aber du musst sofort verschwinden und dich verstecken. Draußen im Gang steht der Leibwächter von Prescott. Wenn du leise bist, kannst du ihn erledigen. Also mach dich bereit“, sagte die Stimme aus den Lautsprechern. Genau in diesem Moment öffneten sich wie gesagt die Fesseln und die Tür wieder mit dem gleichen Geräusch. Aran schnaufte ein paar Mal tief durch und versuchte dann aufzustehen, aber konnte sich nicht auf den Beinen halten und viel um. Dennoch schaffte er es, zur Tür zu kriechen und so hindurch zu gehen. Der Gang führte nur in einer Richtung, nach rechts. Am Ende stand ebenfalls wie vorhergesagt am Ende, mit dem Rücken zum Gang. Aran brauchte noch ein paar Momente um Kraft zu sammeln, dann schaffte er es aber doch aufzustehen und sich an die Wache heranzuschleichen, auch wenn sein Gang eher ein Humpeln war. Er packte den Kopf des Wärters und schlug diesen mehrmals mit der ganzen Kraft, die er noch hatte gegen die Wand. Als anfing Blut an dieser kleben zu bleiben, hörte er auf und die Wache fiel zu Boden. Ob er tot oder nur bewusstlos war, war Aran gerade egal. Er nahm die Schrotflinte und wollte weitergehen, als die Stimme aus der Durchsage erneut ertönte, diesmal jedoch noch leiser.

„Nimm das Funkgerät in seinem Ohr, so können wir weiter in Kontakt bleiben“, sagte diese. Aran drehte den Körper der Wache um und im Ohr befand sich tatsächlich etwas, das eher an einen Kopfhörer erinnerte. Er nahm es und steckte es in sein eigenes Ohr.

„Gut, Sen Takanuis Zelle befindet sich auf der entgegengesetzten Seite von deinem Zellenblock. Du erreichst…“, wollte die Stimme im Funkgerät sagen, wurde jedoch von Aran unterbrochen.

„Sag mir wo ich Prescott finde, damit ich ihn umbringen kann“, sagte Aran leise und finster.

„Alles klar“, sagte die Stimme, die wie von einem Computer klang und erklärte Aran den Weg, den er befolgte.

Geduckt an der Wand, erreichte Aran schließlich das Büro von Prescott, das offen stand. Der Administrator starrte auf seine Wand von Monitoren und versuchte immer wieder diese auszuschalten, jedoch erfolglos. Jeder von ihnen zeigte etwas anderes, seltsames. Einer beispielsweise wie zwei Hunde miteinander Geschlechtsverkehr hatten oder ein anderer zeigte einen dicken, nackten Mann, der einen Hamburger aß. So leise er konnte schlich er in den Raum, stand hinter Prescott auf. Er hielt die Schrotflinte am Lauf, holte so weit und stark aus wie er konnte und schlug auf dessen Kopf. Prescott, der noch bei Bewusstsein war, viel auf alle Vieren. Aber noch bevor er aufstehen konnte, riss Aran ihm die Hose runter und rammte den Lauf der Schrotflinte in dessen Hintern.

„Eine Antwort die mir nicht gefällt oder ein falsches Geräusch von dir und ich werde mit meinem Freund hier deinen kleinen Hintern mit Blei vollpumpen“, sagte Aran.

„Verdammt…das schmerzt höllisch. Okay, okay, ich sag dir was du wissen willst“, winselte Prescott.

„Wie kommen Takanui und ich hier wieder raus?“, wollte Aran wissen, seine Stimme klang finster wie nie zuvor.

„Wenn ihr es an den Wachen vorbei schafft, geht in die Fahrzeugbucht und nehmt einen Gefangenentransporter. Der Zugangscode ist 8574. Tut mir leid, dass ich dich gefoltert hab, bitte lass mich gehen“, jammerte Prescott weiter. Aran hörte allerdings nicht darauf und versuchte sich den Code zu merken.

„Danke für die Info, war der einzige Grund, warum du noch nicht tot bist“, sagte Aran und drückte den Abzug der Schrotflinte ab. Der Schuss war leiser als erwartet, gedämpft vom Prescotts Körper, richtete allerdings eine große Sauerei an. Aran zog die Waffe wieder aus dem nun leblosen Körper heraus.

„Gut, dann holen wir Sen und hauen ab“, sagte er und verließ das Büro.



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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Von:  Tasha88
2015-07-24T06:23:36+00:00 24.07.2015 08:23
Wow, das ist mal ein Ende des Kapitels o.O

Bin gespannt, wie es weiter geht.

Liebe grüße und schonmal ein schönes Wochenende ^^
Antwort von: abgemeldet
24.07.2015 15:57
Hehe, ist mir die Überraschung gelungen :D

Danke, dir auch...hoffe ich schaffe es das Wochenende das nächste Kapitel zu schreiben XD
Von:  Tasha88
2015-07-22T07:34:37+00:00 22.07.2015 09:34
Noch kein Kommentar?

Dann bekommst du mal eins :)

Ich bin gestern über die Geschichte gestolpert und das Bild hat mich angezogen ^^

Ich mag die Story bisher und auch deinen Schreibstil.

Shery an sich finde ich ein wenig eisig... Die nimmt den Tod von Arans Familie so wenig berührt mit o.O

Bin auf jeden Fall gespannt, wie es weiter geht ^^

Liebe grüße
Tasha
Antwort von: abgemeldet
22.07.2015 18:04
Danke, freut mich echt dass sie dir gefällt ^.^
Kannst auch gleich weiterlesen, weil ich eben noch 6 Kapitel gepostet hab XD


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