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Heißkalt

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Eigentlich wäre ich nie auf die Idee gekommen, in dieser Kategorie, in meinem Lieblingsfandom, eine Fanfiktion zu schreiben…zu groß war meine Angst, ihm nicht gerecht zu werden. Dank einem RPG, welches mich schrecklich inspiriert hat, konnte ich nun doch nicht die Finger davon lassen, mich hier doch schreiberisch ein wenig auszulassen.
Ich hoffe, dass der eine oder andere Leser seinen Gefallen an dieser Story finden wird, und wünsche viel Freude beim Lesen.







Disclaimer: Die Welt von Black Butler, sowie alle in ihr auftretenden Charaktere gehören Yana Toboso. Ich leihe sie mir lediglich aus und spiele ein wenig mit ihnen…danach bekommt sie sie mehr oder weniger unbeschädigt zurück. Für meinen OC Anastasia und die Handlung dieser Geschichte besitze ich das Copyright.

Altersbeschränkung: momentan FSK16, wird aber im Laufe der Geschichte definitiv noch erhöht.

Neue Kapitel: Leider werde ich keine regelmäßigen Updatetermine festlegen können, da ich keine falschen Versprechungen machen möchte. Ich bemühe mich aber, sollte Interesse an der Geschichte bestehen, möglichst oft neue Kapitel hochzuladen. Mindestens einmal wöchentlich. Hoffentlich.

Soundtrack: Ab und an werde ich zu einem Kapitel ein Lied verlinken, das mich von der Stimmung oder vom Text her zu diesem Part inspiriert hat.

Reviews: Ich freue mich immer über sie, sie sind meine Motivation, dienen mir zur Verbesserung und lassen mich vor Freude im Kreis durch mein Zimmer springen. Jedoch bin ich auch nicht böse, wenn ihr mal keine da lasst.
Eigentlich bin ich kein Fan von dem Gebettel um Rückmeldungen…aber mir ist da eine kleine Idee gekommen, wie ich doch mit dem „Trend“ gehe, auf eine leicht ironische Art und Weise. Also, die Reviewanfragen hier sind nur zum Teil ernst gemeint, und dienen teilweise eher eurer Belustigung. Fühlt euch trotzdem motiviert!

Humor: Habe ich (so wurde es mir gesagt), werde ich hier auch einfließen lassen - jedoch in schwarz, bissig und bitter. ^^

Anmerkungen: Der Prolog ist ein wenig…dramatisch geworden. Ich denke, dass sich der Tragödiengehalt in den zukünftigen Kapiteln deutlich senken wird.
Die teilweise kursive Schrift im Prolog ist absichtlich gewählt, da es sich um einen Flashback handelt. In zukünftigen Kapiteln wird sie nur für Gedanken verwendet.





Das Soundtracklied für den Prolog ist Written in Stone von Sinergy.
„This isn’t living, I’m only existing.
I refuse to stay here and continue to live out this lie.“


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Prolog


 

Prolog.
 


 

Gespenstisch strahlte der wolkenverhangene Vollmond sein kaltes, helles Licht auf die schlafende Stadt, welche sich still und düster aus der Landschaft erhob, gleich einem unförmigen Gebilde, das vor Schmutz, Unrat und Verzweiflung nur so strotzte, und eine beißende Aura der Hoffnungslosigkeit ausstrahlte, die allgegenwärtig schien. Schimmernd durch den reflektierten Schein des Mondes, zog die Themse träge ihren Weg durch die Stadt, trügerisch schön in einer trügerisch schönen, ruhigen Nacht, welche durch die ungewöhnliche Stille zu der späten Stunde den Anschein machte, als würde sie nichts Schlechtes hervorbringen können, als hätten sich Leid und Übel ebenfalls zur nächtlichen Ruhe gebettet. Doch dies war selbstverständlich nur eine Illusion…der Geist des Elends ruht nie, und Verzweiflung tränkt selbst die makellosesten Momente. Nie würde sie weichen. Nie…

Ein dunkler Schatten löste sich leichtfüßig aus der diffusen Schwärze einer Gasse und trat auf eine der vielen in scheinbar gleißendes Licht getränkten Brücken, die ausladend und still über dem Fluss ruhten. Nun, da der Mond sie erhellte, konnte man in der Gestalt die Silhouette einer jungen Frau ausmachen, die ihren Weg in innerer Zerrissenheit zum Zentrum der Brücke beschritt, um sich dann schwer atmend an das kalte Geländer zu lehnen. Den ermüdeten Blick ließ sie in die Ferne schweifend, Splitter zerbrochener Hoffnung in den einst warmen, braunen Augen, die nun leer ins Nichts zu blicken schienen. Als wäre sie auf der Suche nach etwas, an das sie sich klammern könnte, glitt ihr Blick über das bewegte Wasser, brach sich wie der Schein des Mondes in den wiegenden Wellen. Eine einzelne Träne löste sich aus ihrem Auge und fiel glitzernd in die schier endlose Tiefe, bis sie sich schließlich mit einem leisen Geräusch der Endgültigkeit mit der Wassermasse des Flusses vereinigte.

Tiefe Verzweiflung erfüllte das Herz der schwarzhaarigen Frau auf der Brücke. In dieser Nacht, in dieser doch scheinbar so unschuldigen, so wunderschönen Nacht, hatte sie auf einen Schlag alles verloren, was ihr eine Bedeutung, ihrem Leben einen Sinn gegeben hatte. Der Verlust hatte eine schlagartige Lücke in ihre ganze Existenz gerissen, und Schmerz war neben sich ausbreitender Leere beinahe das einzige, was sie in diesem Augenblick noch empfand, vermischt mit Trauer und Wut. Sie hatte versagt. Innerlich war ihr bewusst, dass sie nichts mehr hätte tun können, dass sie es nicht hätte verhindern können, doch ihr Herz weigerte sich krampfhaft, dies zu akzeptieren. Schwer und schmerzend schlug es in ihrer Brust, sendete eine unendliche Pein durch ihr ganzes Bewusstsein, die jegliche Gedanken betäubte, jeden Funken Hoffnung im Keim erstickte. Ihr Leben war eine einzige Qual, ihre Existenz ein unsteter Kreis, der sich um einen leeren Mittelpunkt drehte. Wenn sie das einzige von Bedeutung verloren hatte, wofür lohnte es sich noch, zu bestehen? Wozu noch länger ertragen, wozu noch leiden, wenn es nichts gab, worauf sie noch bauen konnte? Das Licht am Ende des Tunnels war erloschen, und zurück blieb nur eine alles verzehrende Dunkelheit, die ihre gierigen Arme nach der jungen Frau ausstreckte. Sie würde sich ihr hingeben.

Trotzige Entschlossenheit strahlte aus den erkalteten Augen. Sie hatte ihren Weg gewählt, einen Ausweg gefunden aus dem inhaltslosen Nichts, das ihre Existenz von diesem Tag an bedeutete. Nur ein Schritt, und all das Leid würde ein Ende haben. Noch ein Schritt, und sie wäre entweder wieder mit dem vereint, was ihr so grausam entrissen wurde - oder sie würde ihre ewige Ruhe finden, frei von den Qualen, die ihr weltliches Bestehen bot, frei von Trauer, Sorgen, Hoffnungslosigkeit und innerer Leere. Wenn die Seele, das Herz schon gestorben waren, warum sollte der Körper nicht folgen dürfen? Was hielt sie noch?

Sehnsüchtig blickte sie in das Dunkel der Nacht, folgte gedanklich dem Verlauf des Flusses in eine ungewisse Ferne. Sie würde ihm folgen…weit, weit weg, an einen Ort, an dem all ihre Gefühle nur noch verblasste Erinnerungen einer beinahe vergessenen Zeit sein würden. Zum ersten Mal seit Tagen stahl sich ein kleines, beinahe zynisches Lächeln auf ihre aufgeplatzten Lippen. Schon bald wäre es vorbei.

Es war ihr nicht schwer gefallen, sich für diesen endgültigen Weg zu entscheiden. In der Blindheit, die die untragbaren Schmerzen ihrer Seele verursacht hatten, war der Gedanke daran wie ein strahlender Faden in ihrem in Dunkelheit gehüllten Bewusstsein aufgetaucht, ein tragischer Lichtblick, an den sie sich sogleich mit aller Kraft geklammert hatte. Die neue Hoffnung in der Hoffnungslosigkeit, der Ausweg in - nein, aus - einem Leben, das ausweglos erschien. Ihr auf einen Schlag krampfhaft verkümmertes, zerfetztes Herz würde die erflehte Ruhe finden. Endgültig.

Ein nahezu emotionsloser Ausdruck glitt auf das im Mondlicht beinahe schon schneeweiß wirkende Gesicht der Frau, als sie sich losriss von dem Anblick, dessen Schönheit sie kaum mehr wahrnehmen konnte. Die große Uhr in dem nicht weit entfernten Turm schlug dumpf und zerriss für einen kurzen Augenblick die selige Ruhe der Nacht. Es war so weit…die Totenglocke besang das dramatische Ende einer Person, die schon morgen vergessen sein würde.

Mit zitternden Händen ergriff sie das Geländer, auf das sie sich bis eben gelehnt hatte, und umklammerte es so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Langsam und vorsichtig drückte sie sich mit aller Kraft nach oben und stieß sich vom Boden ab, zog sich mühsam auf die schmale metallerne Grenze, die sie noch von der Tiefe trennte. Jede Bewegung schien unendlich viel von ihrer Kraft zu zehren, jede Regung entfachte die inneren Schmerzen erneut. Sie wollte sich nie wieder rühren müssen…nie wieder spüren, was es in diesem Moment bedeutete, zu leben. Stöhnend richtete sie sich auf, konzentriert und vorsichtig, bedacht, nicht abzurutschen und zu fallen. Sie würde entscheiden, wann das Ende kam, nicht ihr Geschick. Sobald die Frau sicher war, ihr Gleichgewicht gefunden zu haben, löste sie ihre Hände von dem Geländer, erhob sich schwankend, zögerlich, bis sie völlig aufrecht und ausbalanciert auf der kalten Metallstrebe stand, das Gesicht erneut der Weite der Nacht zugewandt. In diesem Moment, in dem der schwache Wind ihr langes, schwarzes Haar erfasste und in Strähnen tanzen ließ, in dem er unter ihre Kleider fuhr und dafür sorgte, dass sie wehend ihren schmalen Körper umfassten, in dem Augenblick, in dem die Brise ihr ins Gesicht schlug und die heißen Tränenspuren auf ihren Wangen trocknete, fühlte sie sich völlig frei. Frei, wie sie es noch nie zuvor gewesen war. Frei, das zu tun, was ihr beliebte. Frei zu gehen.

Ein letztes Mal richtete die junge Frau ihre Aufmerksamkeit auf das, was hinter ihr lag, auf die schmutzige, verkommene Welt, der sie entstammte, auf die Trostlosigkeit, die Verlorenheit, die sich sowohl in ihren Gedanken als auch in der Stadt um sie herum widerspiegelte. Ein Blick, ein letzter Abschied - dann riss sie sich los von der Vergangenheit und hob den Blick, sah voraus. Voraus in den Abgrund. Auf einen Schlag unglaublich ruhig fuhr ihre Hand unter ihren Mantel, zog eine blitzende Klinge hervor. Nun, da sie endgültig gewählt hatte, geschah alles beinahe wie mechanisch, in völliger Ausgeglichenheit, ohne, dass sie noch einen einzigen Gedanken verschwendete. Der Entschluss war gefällt, es gab kein Zurück mehr. Tief holte sie Luft, füllte ihre schmerzende Brust, legte den Kopf in den Nacken. Kalt beschienen einige Sterne am schwarzen Sommerhimmel ihr Ende; sie sah sie nicht. Ihre Augen waren geschlossen, der Funken Zweifel, der in ihnen erschien, als sie den Arm mit dem Messer von sich streckte, blieb verborgen.

Ein letzter, wehmütiger Atemzug, ein schlagartiger Blick mit aufgerissenen Augen in den Himmel, als sie sich ruckartig den scharfen Dolch in die Brust rammte. Explodierender Schmerz, so grausam real, der alle Seelenqualen, jegliche Leere augenblicklich verdrängte. Dann ein reißendes Gefühl, ein freier Fall. Tiefer, immer tiefer… Ein verzehrender Sog, der sie nach unten riss, ihr Bewusstsein strudelartig in eine endgültige Schwärze zog, in eine abyssale Leere, die jeglichen Schmerz, ihr ganzes Sein in sich aufnahm und ein Gefühl der Vernebelung entstehen ließ, welches sich immer mehr ausbreitete, sie Sekundenbruchteil um Sekundenbruchteil mehr in die Bewusstlosigkeit trieb. Unendliche Schwärze, die sie schlagartig gänzlich einhüllte. Ein nur noch schwach wahrgenommener, gedämpfter Aufprall.

Dann nichts mehr.


 


 

Doch, wie naiv war sie, sich ein erlösendes, befreiendes Ende zu erhoffen? Wie hatte sie glauben können, dass ihr Entschluss, ihr Ausweg, ihr die ersehnte Ruhe bringen würde, sie erretten würde aus all ihrem Leid?

Der fatale Schritt, den sie gewagt hatte, besiegelte nicht etwa ihr Ende, nein, er eröffnete nur ein neues Schicksal, grausamer noch als der Tod. Ein unsterbliches Schicksal, ein ewiges Leben, eine dauerhafte Bindung an all jene Dinge, denen sie versucht hatte, durch ihren radikalen Schritt zu entfliehen. Den Schritt, der nun dafür verantwortlich war, dass sie verdammt war, bis in die Unendlichkeit zu bestehen, der Schmerz, die Leere und die Verzweiflung ihres Lebens für immer eingebrannt in die nun rastlose Seele. Nur die Erinnerungen würde die Zeit schon bald mit sich nehmen, und nur einen schalen Beigeschmack ihrer einstigen Existenz zurücklassen.

Hätte sie sich nochmals überlegt, wie wertvoll das war, was sie in jener Nacht so achtlos weggeworfen hatte, dann wäre ihr die Verdammnis erspart geblieben. Die Zeit hätte die Wunden ihres zerfetzten Herzen zu Narben verheilen lassen, und nach einer Weile hätte auch das Licht den Weg in ihr Leben zurückgefunden.

Doch sie wollte eine endgültige Änderung, ohne Reue, ohne Möglichkeit, umzukehren.

Nun, die Endgültigkeit hatte sie nun bekommen…doch keineswegs auf die Art und Weise, die sie in ihrer Verzweiflung gewollt hatte. Ruhe würde sie von nun an erfolglos suchen - gerade die nächsten Jahre würden Strapazen mit sich bringen, die sie und ihre Geduld, ihre Nerven und ihre Kontrolle aufs Härteste testen und dauerhaft prägen würden.

Aber vielleicht brachte der Neubeginn mit all seinen negativen Aspekten, mit all den neuen Plagen auch eine Chance. Eine Chance darauf, Vergebung zu finden. Eine Chance darauf, zu erkennen, was es bedeutete, zu sein. Eine Chance, einen neuen Sinn zu finden, für den es sich zu leben lohnt…
 


 

„Ist sie endlich wach?“, drang eine quengelnde männliche Stimme mit ungeduldigem Unterton schlagartig an ihr Ohr. „Nein…und sie wird auch nicht schneller zu sich kommen, wenn du jede fünfte Sekunde nachfragst, Ronald“, kam es leicht genervt von der anderen Seite.

Moment! Eigentlich sollte sie nichts mehr hören…sie war tot! Alarmiert riss die junge Frau ihre Augen auf, nur um sie gleich wieder zu schließen, da gleißend helles Licht ihr die Sicht raubte. Ein ungutes Gefühl erfüllte sie, Panik durchströmte jede Faser ihres Körpers, der sich in einer liegenden Position auf einem weichen Untergrund befand. Da war kein Wasser, keine Kälte. Was war geschehen?

„Ohh Eric, warum so unfreundlich? Du hast sie immerhin gefunden - willst du nicht auch ihre Reaktion sehen, wenn - “, ertönte überzogen die erste Stimme erneut, und brach dann mitten im Satz ab, „ - schau, sie hat sich bewegt! Na endlich.“

Sprachen die Personen, wer auch immer sie waren, etwa von ihr? Die panische Unruhe, die in ihr aufflammte, wurde größer. Wo war sie? Und was zur Hölle meinten sie? Irgendetwas war gehörig schief gelaufen, das war der jungen Frau sofort bewusst. Am liebsten hätte sie frustriert aufgestöhnt, all ihren schlagartig zurückkehrenden Emotionen freien Lauf gelassen, doch dafür reichte ihre Kraft nicht aus, sie spürte alles nur verschwommen, war noch ganz benebelt von der Leere, aus der sich ihr Geist nun langsam zu lösen begann. Dennoch, sie brauchte Klarheit. Vielleicht gab es ja doch eine kleine Hoffnung… anders konnte sie es sich nicht erklären.

Belehrt durch die vorhergegangene Situation öffnete die Frau nun langsamer die Augen, zögerlich, bedacht, dass sie sich an die neue Lichtsituation gewöhnen konnten und nicht erneut vom Schein überwältigt zu werden. Nach und nach klärte sich ihre zuerst verschwommene Sicht und gab alles um sie herum preis.

„Danke, das sehe ich selbst“, wurde plötzlich trocken erwidert. Nun sah sie auch, zu wem die Stimmen gehörten, und vor allem, wo sie sich eigentlich befand. Sie lag in einem hell beleuchteten, weißen Raum, der sofort die alarmierende Assoziation eines Krankenhauses in ihr hervorrief - aber es war unmöglich, dass sie sich in einem solchen aufhielt. Nein. Zwei junge Männer saßen am Fußende ihres Bettes und blickten sie freundlich an - der eine, offenkundig ein wenig jüngere mit einer merkwürdig blond-schwarzen Sturmfrisur zudem noch neugierig und erwartungsvoll, der ältere, ebenfalls blonde, eher erleichtert. Beide erschienen so, als hätten sie schon länger hier gewartet.

Das Herz der Frau begann zu rasen, Verwirrung mischte sich zu ihren anderen Gefühlen, drängte sie dazu, die Frage zu äußern, die ihr die ganze Zeit hoffnungsvoll auf der Zunge brannte, die Frage, die ihr Klarheit bringen würde. „Bin… bin ich im Himmel?“, brachte sie schließlich mit erschöpfter, leiser Stumme hervor. Erwartungsvoll blickte sie die beiden Männer an. Es musste einfach so sein.

„Ha! Ich hab’ gewonnen! Tja Eric, die Überstunden sind dein!“, rief der jüngere der beiden, Ronald, plötzlich enthusiastisch aus. ‚Wie bitte? Wovon sprach er denn nun?’, fragte sie sich verzweifelt. „Oh, verdammt! Ich hätte sie wirklich anders eingeschätzt. Wirklich, ich war fest überzeugt, dass da ‚Bin ich noch am Leben?‘ kommen würde!“, stöhnte der Angesprochene hörbar enttäuscht zurück, was die junge Frau nicht ansatzweise erleichterte oder aufklärte. Oder… bestätigte er sie? Vielleicht hieß seine Aussage ja, dass sie nicht mehr lebte…

„Das beweist mal wieder, dass du dich kein bisschen mit Frauen auskennst. Du wirst bei jeder Wette verlieren, was das angeht, sieh es einfach ein.“ Frech grinste der junge Mann seinen Kollegen, Freund oder Partner an. Moment - hieß das, dass sie das Objekt einer Wette war? Warum? Und überhaupt, was, wo, wie…? Ihr Kopf schien nur so überzuquellen von den Fragen, die auf sie einströmten.

Die junge Frau hielt ihre quälende Ungewissheit nicht länger aus und räusperte sich schließlich deutlich hörbar, um auf die Aufmerksamkeit erneut auf sich zu lenken. „Entschuldigen Sie…“, begann sie vorsichtig erneut, wurde jedoch mitten im Satz von einem nun wieder völlig auf sie fokussierten Ronald unterbrochen, der ihr ein breites Grinsen schenkte.

„Oh, tut mir Leid, dass wir dich vergessen haben! Um deine Frage zu beantworten…sorry Süße, aber leider nein.“ Er bedachte sie mit einem mitfühlendem Blick. „Den Himmel hast du knapp verfehlt. Aber hey, nicht traurig sein, du bist jetzt schließlich hier!“, fügte er überschwänglich an. Es war offensichtlich, dass er sich wenig in ihren derzeitigen Zustand versetzen konnte und vielmehr nicht wusste, wohin mit seiner überschüssigen Energie und seinem Enthusiasmus. „Ronald, ich glaube nicht, dass dein Optimismus jetzt angebracht ist“, beendete Eric mit einem trockenen Seitenblick und einer hochgezogenen Augenbraue seinen aufgeregten Redefluss und wendete sich dann an die ängstlich dreinblickende Frau, die völlig überfordert mit der gesamten Situation schien. Ihr Gehirn brauchte einen kurzen Moment, um das zu verarbeiten, was sie soeben vernommen hatte, die Worte drangen zuerst leer und bedeutungslos an ihre Ohren. Noch formten sie keine Sätze, nur zusammenhangloses Durcheinander. Noch kombinierte sie nicht, was das Gesprochene für sie hieß - geschweige denn, dass es überhaupt auf sie bezogen war.

„Wie mein Kollege schon zu sagen versuchte, hast du es nicht ins ewige Paradies geschafft - der Weg ist dir durch den Entschluss, dein Leben eigenhändig zu beenden, verschlossen.“ Sachlich, aber mit einem versucht warmen Unterton begann er nun zu erläutern. Er überschlug seine Beine, stütze seine Ellenbogen auf die Oberschenkel und verschränkte seine Hände, um einen gelassenen, aber konzentrierten Eindruck auf sie zu erwecken und damit ein wenig potentielle Bedrohung aus der Situation zu nehmen. Es reichte schon, was der Frau offenbart wurde, da musste sie nicht noch zusätzlich durch sein Auftreten verunsichert werden. „Durch deinen Selbstmord hast du dein neues Schicksal unbewusst gewählt, so wie jeder, der seinem Leben eigenhändig ein Ende setzt. Dir wird eine neue Chance gewährt, gewissermaßen. Eine Existenz als Shinigami, als Todesgott - als Wächter über die Seelen der Menschen“ , fuhr er dann ruhig fort. Er kniff leicht die Augen zusammen, als er zum weniger schönen Teil seiner Ausführungen kam. Die junge Frau war jetzt schon sichtlich blass geworden, und er befürchtete bereits, dass sie ähnlich impulsiv reagieren würden wie die meisten anderen, die sich in ihrer Situation befanden. Langsam schien sie zu realisieren, was er ihr versuchte zu erklären, und ein schrecklich klares Bild begann sich in ihren Gedanken zu formen. „Eine Chance, aber gleichzeitig auch ein Fluch. Du wirst auf ewig an das gebunden sein, was du so nachlässig weggeworfen hast, und gleichzeitig dauerhaft mit den letzten Momenten, den Todeskämpfen der Menschen konfrontiert werden - so, dass du nie vergessen kannst, wie kostbar das war, von dem du dich leichtsinnig und impulsiv getrennt hast.“

Schweigend blickte sie ihn an, die nun leuchtend grünen Augen weit aufgerissen vor Schockiertheit, ein glitzernder Tränenschimmer in ihnen. Mit einem Schlag hatte sich der scheinbar zusammenhanglose Worthaufen in ihrem Kopf zusammengereiht, und offenbarte in völliger Klarheit seinen Inhalt, seine Bedeutung. In ihrem Herzen entfachte der brennende Schmerz erneut, durchströmte sie noch stärker, noch intensiver und unbarmherziger, als er es zuvor getan hatte. Sie konnte nicht glauben, was sie da hörte, was das für sie bedeutete. Wie fatal ihr Fehler gewesen war! Was hatte sie nur getan?! Und, wie musste sie nun dafür leiden?

„Nein…“, hauchte sie tonlos. „Nein…das kann, das darf nicht sein…“ ‚Das ist nicht wahr!‘, schrie es verzweifelt in ihrem Inneren. Sie hatte aufgegeben, da sie nicht mehr länger ertragen wollte, da sie meinte, am Ultimatum, der äußersten Grenze der zu erduldenden Schmerzen, der schlimmsten Qualen angekommen zu sein. Doch sie hatte falsch gelegen. Durch ihre scheinbare Kapitulation, die Hingabe zur Leere, zur Endgültigkeit, hatte sie alles nur noch schlimmer gemacht. Nichts brauchte die junge Frau mehr als einen Ausweg - doch hatte sie sich falsch entschieden, war in die falsche Richtung abgebogen und in eine Spirale gerutscht, die sie immer weiter abwärts zog, und aus der es kein Entkommen gab. Von einem endlichen Leben voller Schmerz, der vielleicht mit der Zeit verblasst wäre, zu einer unendlichen Existenz, die ihr die Gefühle, denen sie versucht hatte, zu entgehen, kontinuierlich vor Augen führen würde.

„Doch, Süße…willkommen in der Unsterblichkeit.“ Ein erneutes, schmerzhaft deplatziertes Grinsen. Freude, die ihr in diesem Moment ferner als jede andere denkbare Emotion erschien.

In einem schlagartigen Anfall von Kraftlosigkeit kauerte sie sich schluchzend zusammen, resigniert und verzweifelt über ihr verdammtes Schicksal. Wie sollte sie auf ewig so leben können?

Wie von fern spürte sie, wie sich eine Hand tröstend auf ihre Schulter legte. „Kopf hoch, es geht vorbei, bald sieht die Welt schon ein wenig heller aus, glaub mir. Es gibt immer einen Lichtblick, das wirst du sehen! Jeder findet hier irgendwie auf seine Weise einen Weg - und ich bin mir sicher, dass du das auch tun wirst. Mit der Zeit heilt es…und sogar die Narben werden verblassen. Bald wirst du kaum noch an das denken, was dich jetzt belastet. Sieh es einfach als Chance an, ja? Ich meine, überleg’, was die Ewigkeit alles bieten kann!“
 

„Um eine schnelle Rehabilitation eines neuen Shinigami zu gewährleisten, erfolgt ein rasches Verblassen hinderlicher und belastender Erinnerungen, welche jedoch weiterhin in den Akten verzeichnet sind. […] Eine nicht genehmigte Einsicht in diese Dokumente steht unter Prohibition und wird nach §6, Kapitel 4 geahndet.“

Regelwerk der Shinigami, §13, Kapitel 1
 



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