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이상한 경우 (Isanghan Kyeong'u)

Seltsame Situationen
von

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Eine seltsame Beziehung

Der alte Mann war kein glücklicher Mensch. Und wenn, dann war er ein Großmeister darin, es zu verbergen. Wenn tatsächlich mal ein Lächeln in sein steifes, von markanten Wangenknochen geprägten Gesicht huschte, war es ausnahmslos ironischer Natur und stets von einem Zucken begleitet, welches mir seit jeher ein unheilvolles Gefühl vermittelte.

Von Beruf war er Anwalt und er übte sein Fach mit einer Gewissenhaftigkeit aus, die seinesgleichen suchte. Er hatte sich schon in seinen Dreißigern einen Namen gemacht, indem er einen Fall zum Abschluss brachte, an dem sich mehrere andere zuvor die Zähne ausgebissen hatten. Wie er das angestellt hatte, hat er nie verraten, aber ich schätzte es war am Rande der Legalität. In Folge hievte er als Verteidiger mehrere äußerst zweifelhafte Gestalten aus ihrem sicheren Gefängnisaufenthalt und sorgte als Anwalt des Klägers bei wieder anderen für ein solch grausames Strafmaß, dass selbst die verurteilten Verbrecher von einigen Anwesenden und Zeugen bemitleidet wurden.

Und was er im Gerichtshof für seine Opposition war, das war er in seinem Privatleben (zumindest von Zeit zu Zeit) für mich.

Während ich einen großen Schluck von meinem heißen Getränk nahm – das hätte fast dafür gesorgt, dass ich diesen wieder ausgespuckt und es sofort versaut hätte –, dachte ich kurz an eine spezielle Situation in der Vergangenheit, in der ich bei einer Übergabe zischen Drogenhändlern mitwirken musste, um diese zu entlarven. Mir war damals nicht mal genau bewusst, wie ich aus diesem Szenario wieder rauskommen sollte und dementsprechend angsterfüllt agierte ich; aber zumindest – das musste man ihm zu Gute halten – kam die Polizei rechtzeitig und nahm mich im Gegensatz zu all den Dealern und Verbrechern nicht direkt fest. Nun ja, sie zwangen auch mich auf die Erde und ein besonders stämmiger Bursche kniete sich auf meinen Rücken; aber es war aushaltbar und ich bekam später ein ausdrückliches Lob vom leitenden Kommissar in dem Fall. Freilich wurde aber er zum gefeierten Helden – diesen Effekt hatte er natürlich schon im Voraus eingefädelt.

Ein anderes Mal begleitete ich ihn als Kofferträger bei einem total belanglosen Besuch einer Psychiatrie, in welcher angeblich ein Klient von ihm saß. Auf dem Weg dorthin beschwerte er sich über jede Kleinigkeit, die ihm zu mir einfiel. Dass meine Mutter mich schlecht erzogen und ich mich für das falsche Studium entschieden hätte. Dass ich Deutschland die Last eines Besuches ersparen sollte, da man dort auf Pünktlichkeit und Akkuratesse Wert läge. Dass ich seine Zeit verplempern würde (mir fällt bis heute keine Begründung dafür ein, aber freiwillig hielt ich mich in seiner Nähe sicher nicht auf). Dass meine Stimme in seinem Magen ein flaues Gefühl verursachen würde (na da sollte er mich mal fragen...). Dass der Schweiß den Stoff meines Anzugs unter den Armen dunkel färbte und einen schlechten Eindruck machen würde... und so weiter.

Als wir am Ende herausfanden, dass dort aus irgendeinem Grund doch kein Klient von ihm saß, musste ich mich zusammenreißen, nicht auf den Vorwurf mit der verschwendeten Zeit zurückzukommen.
 

Im nächsten Moment ärgerte ich mich maßlos darüber, dass ich im Haus von Earl Gray die Möglichkeit ausgenutzt hatte, mein Handy aufzuladen, respektive es nicht auf lautlos gestellt zu haben. Denn plötzlich erklung das funkige Intro von Barry Whites Never, Never Gonna Give You Up, in Kombination mit dem Aufleuchten eines schräg grinsenden Bild meines Freundes Seung auf dem Handydisplay. Der Song war in dieser Situation nicht gerade die beste Wahl und ich geriet instatan ins Schwitzen. In Sekundenbruchteile handelte ich die folgenden Möglichkeiten ab:
 

Option 1: „Schnurstracks raus rennen und alles stehen lassen.“

Nein... das Prellen der Zeche war noch das kleinste Problem, aber die Option schied sofort aus.

Option 2: „Geduckt zur Toilette rennen und dort eine ganze Weile verharren, in der Hoffnung, dass der alte Mann wieder zu seinem Business musste.“

Die Option war nicht so übel, aber dann könnte auch die Frau verschwunden sein, ohne merkliche Chance auf ein Wiedersehen. Ich dachte kurz an ein Drama, in dem ein Mann jahrelang immer wieder erfolglos vor einem Club wartete, um seine erste Liebe dort wiederzusehen. Nein... die Option schied ebenfalls aus.

Option 3: „Ich könnte den Anruf annehmen und irgendeinen Vorfall vortäuschen, der mich vor dem Alten retten würde und mir gleichzeitig eine Chance gab, mich gewissermaßen vor der Frau zu profilieren. Nur dass ich das Seung später erklären musste, aber die Option erschien mir bemerkenswert nützlich.
 

Mir wurde leider bewusst, dass das Überlegen mehr als ein paar Sekundenbruchteile gedauert hatte, Barry White schon eine ganze Zeit lang am Singen war und mich mittlerweile alle anderen Personen im Raum anstarrten, mit ihren ganz eigenen Emotionen. 'Wenn Blick töten könnten...', dachte ich mir, als ich den Kellner und potentiellen Café-Inhaber anschaute. Rechts von ihm musterte mich die adrette Frau mit einem etwas unschlüssigen Blick, während links..... ich musste nicht mal hinschauen, um das schon angesprochene ironische Grinsen und seinen zuckenden Mundwinkel zu erkennen – es spielte sich auch in meiner Erinnerung gut vor den Augen ab.
 

„Sieh mal an, wen es in die hinteren Ecken von Seoul verschlagen hat.“, hörte ich ihn zwischen den Takten von Never, Never Gonna Give You Up brummen, was mir zeigte, dass sein Gedächtnis leider noch gut genug funktionierte. Um die Situation halbwegs zu retten, nahm ich in dem Moment den Anruf an, aber ich war die berühmte Sekunde zu spät und Seung hatte bereits aufgelegt.

Anstatt ein künstliches Telefongespräch vorzutäuschen, legte ich das Handy auf den Tisch und richtete meinen Blick mit einer ebenfalls gespielten Verwunderung in Richtung des alten Mannes. Gleichzeitig mit der rechten Hand eine entschuldigende Geste in Richtung der anderen beiden Personen ausführend. „Mister Kim. Es ist lange her...“

„Scheren wir uns nicht um Floskeln. Ich bin tatsächlich erfreut Sie zu sehen, auch wenn Sie es vielleicht nicht sind. Es gibt derzeit etwas dringendes, was ich nicht selbst erledigen kann...“

„Ich bin ganz Ohr.“, kam ich seiner Aufforderung nach und sparte mir die Floskeln, innerlich mein Frühstück erbrechend.

„Das ist schön... ich war vorgestern -“

Bevor der alte Mann seine Ausführungen auf den Punkt bringen konnte, klingelte diesmal sein eigenes Handy und es schien dringend genug zu sein, dass er das Telefongespräch unverzüglich annahm. Ich starrte ihn ein paar Sekunden an, dann einige weitere in die Luft und wendete mich schließlich meinem Kuchen zu, aus den Augenwinkeln erleichtert feststellend, dass die Frau erst ihren halben Donut gegessen hatte.

Ich nahm einen stattlichen Bissen der Kuchenrinde, während ich mit dem linken Ohr der anwesenden Hälfte des Telefonats nebenan lauschte. Ich schnappte aus diesem Satzbruchstücke wie 'es eilt', 'dringlich', 'sofort handeln' und 'schicken Sie Akutagawa vor' auf und freute mich insgeheim auf eine eventuelle Rettung vor dem Grauen. Tatsächlich hatte der alte Mann nie nach meiner Handynummer gefragt und war so theoretisch nur über meine Eltern im Stande, mich direkt zu erreichen – auch wenn diese Möglichkeit für ihn kein Hindernis wäre. Meine These war, dass er mich nicht für würdig empfand, auf seiner Liste von sicherlich nur außerordentlich wichtigen Telefonnummern zu stehen. Aber das war mir Recht, grundsätzlich war mir seine Meinung von mir total egal.
 

„Tja..... sieht aus als hätten Sie heute Glück gehabt. Es gibt Dinge, die noch mehr eilen. Aber ich komme auf Sie zurück.“, wandte sich der Alte kurz und knapp mit unzufriedenem Blick in meine Richtung, nachdem er sein Telefonat beendet hatte. Im folgenden Moment nahm er seinen Mantel, sowie den silbernen Halliburton in die Hände und verließ das Café. An seinem Platz blieb nur die Rechnung, garniert mit einem 10000 Won-Schein, zurück. Moment... in Korea war es ohnehin nicht üblich, Trinkgeld zu geben – aber er? Nun war ich wirklich etwas sprachlos und machte mir Gedanken, was den alten Miesepeter so sehr aus seiner üblichen Ruhe bringen konnte. Aber schon im nächsten Moment wendeten sich meine Gedanken wieder der hübschen Frau zu, welche augenscheinlich den letzten Bissen ihres Donuts verspeiste – während ich meinen Gateau nur ein paar Mal angestochen hatte.

Ohne lange zu überlegen stieß ich in Folge meine Gabel durch die Rinde und führte ein übergroßes Stück in meinen Mund, ohne es in geringster Weise zu genießen. Die flüssige Schokolade tropfte die Gabel hinunter und ich war froh, dass die Lady mir keine Beachtung schenkte.
 

Im nächsten Moment wollte erneut Barry White auf die Bühne treten, aber ich handelte diesmal gedankenschnell und nahm den Anruf an, noch bevor der erste Takt seines Songs einsetzte.

„Hyeong!“, begrüßte ich ihn mit dem üblichen Suffix für ältere Männer und überraschte ihn mit der schnellen Reaktion merklich, denn er schlürfte dem Vernehmen nach irgendein Getränk und verschluckte sich fast, so wie ich zuvor mit dem Sweet Potato Latte.

„Jin! Lange nichts gehört. Was geht bei dir? Hattest angerufen?“, spulte mein Freund schließlich ein paar übliche Floskeln runter, ehe er mir sogleich die Zeit zum Antworten stahl: „Egal du musst dir das geben! Pass auf: Ich hab nicht nur den Job! Ich kann mir außerdem aussuchen, ob das erste MT in Busan, auf Cheju oder in Japan stattfinden wird! ...Ist das geil? Ist das super? Halloooo!“

„Wow....“

Manchmal hatte der Gute einfach das Glück, die falschen Sachen in den falschen Momenten mitzuteilen. Gerade war so ein Moment. Als die hübsche Frau sich im kommenden Augenblick von ihrem Stuhl erhob, legte ich ohne weiter nachzudenken auf.



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