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Love Story

Midorima X Akashi
von

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Fehlschuss

„Die Ôsaka-Filiale stand kurz vor dem Aus. Die gestandenen Filialleiter wagten das Risiko nicht, unsere Kollegen in Ôsaka durch die Krise zu führen. Akashi Seijûrô, unser junger Manager, der erst ein Jahr für den Konzern tätig war, bewältigte diese spezielle Herausforderung in nur einem Jahr, obwohl ich ihm zwei Jahre Zeit ließ. Mit seinem überwältigenden Einsatz rettete er die Filiale und hunderte Arbeitsplätze. Die Bank von Ôsaka gelangte dank Akashi zu ihrem sicheren Stand und alten Glanz zurück. Diesen Sieg wollen wir heute feiern.“ Der Konzernchef blickte ihn wohlwollend an. Mit einer würdevollen Geste bedeutete er Akashi, zu ihm auf die Bühne zu treten.

Applaus brandete durch den Festsaal wie eine große Welle. Der Rotschopf erhob sich und richtete sein weißes Jackett. Mit bedächtigen Schritten überwand er den kurzen Weg zur Bühne. Er erklomm die wenigen Stufen. Sein Chef bat ihn zu sich. Der Mann war kleiner als er. Fältchen zeichneten sein Gesicht. Silberne Strähnen durchzogen das kurze Haar. Hinter der runden Brille schauten ihm wache Augen entgegen.

Der Konzernchef ergriff seine Hand. „Sie sind ein Segen für unseren Konzern. Ich danke Ihnen für Ihre harte Arbeit, Filialleiter.“

Er entließ Akashis Hand. „Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen in mich.“ Respektvoll neigte Akashi den Kopf vor seinem Chef.

Ein Kellner überreichte ihnen je ein Champagnerglas und zog sich unauffällig zurück.

Andächtig erhob sein Chef das Glas. „Weiterhin auf eine ausgezeichnete Zusammenarbeit.“ Er nahm den ersten Schluck Champagner. Akashi tat es ihm nach, setzte sein Glas an die Lippen und trank. Sein Blick schweifte durch den Saal. Überall wurden Gläser in die Luft erhoben. Viele riefen ihm Glückwünsche zu.

Diese Feier hatte der Konzernchef veranlasst. Alle Mitarbeiter in bedeutenden Positionen waren zusätzlich zu der Belegschaft der Ôsaka-Filiale eingeladen. Er beabsichtigte, mit der öffentlichen Würdigung von Akashis Arbeit zu zeigen, dass Engagement entsprechend anerkannt wurde. Vermutlich erhoffte er sich mehr Motivation von den anderen Filialleitern und Managern.

Der Rotschopf verließ die Bühne. Zurück an seinem Tisch lächelte sein Liebster ihm zu. „Meinen Glückwunsch.“

Midorima war als sein persönlicher Gast hier. Mit den Strategien zur Work-Life-Balance hatte sein Freund ihm geholfen. Sein kleiner Bruder sah das ungern ein. Anfangs war die Umstellung für Akashi anstrengend gewesen. Die Arbeit machte ihm Spaß. Bewusst Pausen einzuhalten, obwohl unerledigte Aufgaben auf ihn warteten, war eine größere Herausforderung, als sie fertigzustellen. Aber er spürte, dass ihm durch diese Unterbrechungen mehr Energie für eben jene Aufgaben zur Verfügung standen. Sein Ziel, die Probleme der Filiale in nur einem Jahr zu bewältigen, hatte er trotz der Umstellung erreicht.

„Das ist nicht allein mein Verdienst. Du hast mir sehr geholfen“ Akashi sprach leise. Seine Worte waren nur für Midorima vorgesehen.

Der Konzernchef trat zu ihnen. „Ich störe nur ungern. Die anderen Filialleite möchten gern mit Ihnen über Ihren Erfolg sprechen.“

Verstehend nickte Akashi. „Bis später.“

Bestätigend neigte sein Liebster den Kopf. Akashi wandte sich ab und folgte seinem Chef zu den interessierten Kollegen. Die nächste Stunde verbrachte der Rotschopf mit einer Gratwanderung zwischen der Offenbarung seiner Strategie und der Wahrung von Erfolgsgeheimnissen. Ihm lag nichts daran, all seine Konzepte preiszugeben. Mit dem Wissen könnten sich andere auf seine Kosten einen Vorteil erwirtschaften. Die besten Strategien behielt er für sich. Sie waren sein Preis für die Strapazen.

Nach und nach verschwammen die nutzbringenden Diskussionen zu einer ausgelassenen Unterhaltung. Akashi entschuldigte sich und verließ die Runde. Konzentriert sah er sich um, suchte nach dem grünen Haarschopf seines Freundes. Vom Tablett einer Kellnerin nahm er sich eines der geschmackvoll angerichteten Häppchen. Langsam schritt er zwischen den locker beieinanderstehenden oder zur Musik tanzenden Gästen hindurch. Bei einer der Säulen am Rand der großen Freifläche schwebte ein grüner Farbklecks. Zielstrebig näherte er sich Midorima. Dieser war in ein Gespräch mit seiner Sekretärin vertieft.

Ein roter Punkt blitzte auf. Wie ein Glühwürmchen im Wald tanzte er auf dem tannengrünen Jackett seines Freundes. Die zuckenden Bewegungen des Punktes fanden ein Ende, auf Brusthöhe.

Die Erkenntnis durchfuhr Akashi einem Stromstoß gleich. „Shintarô!“ Während er Midorima rief, stieß er sich kraftvoll vom Boden ab und sprang ihm entgegen. Sein Freund sah in seine Richtung. Verwirrt weiteten sich die grünen Augen. Akashi stieß ihn hart zurück. Das Champagnerglas fiel Midorima aus der Hand. Sie stürzten dem Boden entgegen.

Ein Ruck ging durch Akashis Körper. Heißer Schmerz fraß sich in seine linke Schulter, als triebe jemand einen glühenden Nagel mit einem einzigen, schweren Schlag hinein. Akashi japste. Sein Fall endete abrupt. Der steinerne Boden presste ihm die Luft aus den Lungen. Erschrockene Schreie und aufgeregte Stimmen sirrten wie aufgescheuchte Fliegen um seine Ohren. Gesichter verwischten zu einer wirren Masse Beige, Braun und Schwarz, die ein expressionistischer Maler auf seine Leinwand klatschte.

Zwischen dem Einheitsbrei schoben sich grüne Spritzer in Akashis Sichtfeld. Der Anblick löste einen Blizzard der Erleichterung in ihm aus. Er betäubte den glühenden Schmerz in seiner Schulter. Midorima lebte.
 

Midorima stützte sich auf die Hände. Warum nur hatte Akashi ihn umgestoßen? Sein Freund lag neben ihm und rührte sich nicht. Der junge Arzt beugte sich über ihn. „Seijûrô?“ Automatisch filterte er Veränderungen. Akashi atmete abgehackt und flach. Die roten Augen flirrten ruhelos. Nur langsam fokussierte Akashis Blick ihn. „Shin...“ Sein Name war nicht mehr als ein atemloser Hauch. Ein Loch im Jackett lenkte seine Aufmerksamkeit auf die linke Schulter. Der aufgerissene Stoff sog sich zusehends mit Blut voll.

Die umstehenden Gäste störten seine Konzentration und verhinderten einen besseren Lichteinfall. „Treten Sie zurück. Ich bin Arzt!“, rief er durchdringend.

Eilig zog Midorima sein Messer aus der Hosentasche und klappte es auf. Der Stoff gab unter der scharfen Klinge nach. Mit dosierter Kraft riss er Jackett samt Hemd auseinander, um die Verletzung zu sehen. Aus einem kleinen Loch trat beständig Blut. Es suchte sich einen Weg über die helle Haut und versickerte im weißen Stoff. Eine Schusswunde.

Midorima durchfuhr ein eisiger Schauer. Tief atmete er durch. Er war Arzt. Es war sein Beruf, sich um Kranke und Verletzte zu kümmern. Aber es war ein Unterschied, ob ein Fremder angeschossen worden war oder sein Freund. Diese Kugel hatte ihm gegolten. Deshalb hatte Akashi ihn zur Seite gestoßen.

Der junge Arzt presste seine Hände auf die Wunde, damit sein Liebster nicht unnötig Blut verlor. Dann sah er sich um. Allgemeine Angst und Verwirrung schlugen ihm entgegen. Sie waren hier nicht sicher. Der Schütze versuchte möglicherweise, das eigentliche Ziel anzuvisieren.

Akashi musste raus aus dieser Menschenmasse. Notgedrungen nahm Midorima seine Hände von der Wunde. Er schob die Arme unter Akashis Körper und stemmte sich mit ihm hoch. Eilig schaute er sich nach einer Tür um, die ihn vom Festsaal wegführte. Hier waren sie ein zu leichtes Ziel. Security-Männer drängten sich zwischen den verängstigten Gästen hindurch. Midorima ließ ihnen keine Zeit, Fragen zu stellen. „Er wurde angeschossen. Der Schütze muss von der Galerie gezielt haben. Finden Sie ihn!“

Midorima wartete nicht auf Reaktionen, sondern wandte sich ab und strebte auf eine Tür nahe der aufgebauten Bühne zu. Der Konzernchef gesellte sich zu ihm. „Was ist passiert?“

„Schussverletzung. Machen Sie die Tür auf.“

Der ältere Mann eilte ihm voraus und öffnete die Tür. Das eingeschaltete Licht offenbarte einen kleinen Konferenzraum. Der runde Tisch in der Mitte wurde von einer Reihe sorgfältig rangeschobener Stühle eingerahmt.

„Tür zu!“, befahl Midorima. Der Grünhaarige legte seinen Freund auf dem teppichbedeckten Boden ab und presste die Hände sogleich auf die Verletzung.

„Rufen Sie einen Krankenwagen. Beschaffen Sie mir einen Erste-Hilfe-Koffer und schließen Sie die Jalousien.“ Falls der Schütze einen Komplizen außerhalb des Gebäudes hatte, versperrte er ihm die Sicht in den kleinen Raum.

Midorima musste schnellstmöglich einen Druckverband anlegen, damit er seine Hände frei hatte.

Der Chef des Bankkonzern stellte vorerst keine weiteren Fragen. Er schob sich durch die Tür und zog sie hinter sich zu. Für ein paar Augenblicke waren sie allein.

„Seijûrô. Rede mit mir“, beschwor Midorima seinen Freund. Akashi musste bei Bewusstsein bleiben. Und er konnte sich einen Überblick über dessen Zustand verschaffen. „Was ist passiert?“

Akashis Augen ruckten nervös umher, als suche er etwas oder jemanden. Sein Blick verharrte nur kurz auf Midorimas Gesicht. „Da war ...ein roter... Punkt. Genau... über deinem... Herz“, brachte der Rotschopf mühsam über die Lippen. „Er wollte... dich umbringen.“ Akashi wollte sich hochstemmen, aber ihm fehlte die Kraft. In seinen Augen erkannte Midorima Angst. „Bleib liegen. Du bist an der Schulter verwundet.“ Es kostete ihn alle Willensstärke, den beruhigenden Tonfall beizubehalten. „Wo hast du Schmerzen?“

Sein Freund reagierte nur langsam. „Es... tut nicht... mehr weh“, murmelte er konfus. Akashis Haut verlor mehr und mehr an Farbe. „Seijûrô. Welcher Tag ist heute?“ Verwirrung durchdrang die Angst in den roten Augen. „Welcher... Tag? Ich... weiß nicht. Montag? ...oder Dienstag? ...Samstag?“

Sein Freund hatte einen Schock erlitten. Bei einer Schussverletzung war das nicht überraschend.

Akashis Chef kehrte mit zwei Security-Männern und seinem Assistenten in den Konferenzraum zurück. „Schließen Sie die Jalousien und achten Sie darauf, dass niemand den Raum betritt.“ Die Männer folgten den Anweisungen des Konzernchefs umgehend. Der Assistent stellte den Erste-Hilfe-Koffer neben ihm ab.

„Ich kümmere mich um alles andere draußen“, erklärte der kleine Mann und verließ den Raum.

Dessen Assistent kniete sich neben ihn. „Kann ich helfen?“

Midorima nickte. „Heben Sie seinen Oberkörper an und drücken sie fest auf die Wunde.“ Der junge Arzt beobachtete, wie viel Blut während des Wechsels austrat. Die große Arterie schien nicht verletzt zu sein, die durch die Schulter lief. Sonst würde die Wunde deutlich stärker bluten. Behutsam richtete der Assistent Akashis Oberkörper auf. Midorima wischte sich das Blut grob am Jackett von den Händen. Fachkundig tastete er Akashis Schulterblatt und die darum liegenden Bereiche ab. Midorima fand kein Austrittsloch. Die Kugel steckte folglich in der Wunde, vermutlich im Knochen.

Der junge Arzt öffnete den Koffer und entnahm diesem zielstrebig eine Kompresse, Verbandsmaterial, Tape und die beiliegende Schere. Dazu legte er das silberne Brillenetui, sein heutiges Lucky Item. Hoffentlich brachte es genug Glück. Akashi durfte nicht sterben.

„Machen Sie genau, was ich sage“, forderte er von seinem Helfer. Midorima öffnete die Verpackungen des benötigten Materials. Zuerst deckte er die Wunde mit der Kompresse ab und wickelte zügig den Verband zwei mal darüber. Der Assistent sorgte auf seine Anweisung dafür, dass die Kompresse nicht wegrutschte und drückte zwischendurch weiter die Wunde zu.

Die Schulter war zum Verbinden eine ungünstige Stelle. Er musste unter der gegenüberliegenden Achsel durch. Nach zwei Lagen drückte Midorima das Brillenetui über die Wunde und zog den Verband mit Druck darüber. Kreuzförmig wickelte er mehrere Lagen fest um die Schulter, während der Assistent das Etui an Ort und Stelle hielt. Das Ende des Verbandes klebte er mit dem Tape fest.

Der Druckverband saß, jetzt konnte er sich um den Schock kümmern.

„So bleiben.“ Akashis Oberkörper musste in erhöhter Position bleiben, damit weniger Blut Richtung Wunde floss. Außerdem sollte er so wenig wie möglich bewegt werden. Eine unbedachte Bewegung könnte innere Verletzungen verschlimmern.

Zielgerichtet durchsuchte Midorima den Erste-Hilfe-Koffer. „Wo ist die Rettungsdecke?“ Das konnte doch nicht wahr sein.

„Besorgen Sie mir eine Decke.“ Midorima zog sein Jackett aus und breitete es am Boden neben der Wand aus. Umsichtig legte er seinen Arm um Akashis Rücken. Der Mann erhob sich. Ohne Zeit zu verlieren, verließ er den Raum.

Midorima beugte sich zu Akashis Ohr. Die Worte waren nur für seinen Liebsten bestimmt. „Seijûrô. Mach dir keine Sorgen. Du schaffst das. Ich bin bei dir“, flüsterte er. Äußerst vorsichtig hob er Akashi vom Boden und setzte ihn auf dem Jackett ab, lehnte ihn gegen die Wand.

Die roten Iriden zuckten wieder hektisch umher, als erwarte Akashi einen erneuten Angriff. „Du... musst ...aufpassen.“

Sanft strich Midorima durch das Haar seines Liebsten. Es war ihm aktuell völlig egal, was andere von ihnen dachten. Er stand seinem Freund zur Seite und wollte ihn beruhigen. „Die Security passt auf. Wir sind sicher.“

Solange Akashi die Augen offen hielt und mit ihm sprach, war der Schock nicht fortgeschritten. Es war einerlei, worüber sie redeten. Wichtig war nur, Akashi zu beruhigen. „Erzähl mir von deinem letzten Ausritt“, bat Midorima.

„Aus...ritt?“

Midorima tastete am Hals nach der großen Ader. Dem flüchtigen Flügelschlag eines kleinen Vogels gleich pochte der Puls unter seinen Fingern. „Ja, mit Yukimaru“, fügte der junge Arzt bestätigend hinzu. Akashi hatte sein Pferd nach Ôsaka mitgenommen und in einem Reitstall nahe der Stadt untergebracht.

„Wir... sind am ...Bach entlang... geritten. Die... Sträucher... sind voll mit ...Beeren...“

Zufrieden bemerkte Midorima, dass sein Freund nicht mehr krampfhaft seine Umgebung im Auge behielt, sondern ihn anschaute.

Die Tür schwang auf. Der Assistent des Chefs hielt eine Decke im Arm. Er trat zu Ihnen und überreichte sie dem jungen Arzt. Dankbar nickend nahm Midorima die Decke und faltete sie auseinander. „Erzähl weiter“, forderte er Akashi sanft auf. Er kannte die Erzählung. Es ging ihm darum, dass Akashi sich an etwas Schönes erinnerte. Die Erinnerungen waren friedlich und halfen ihm, zur Ruhe zurückzufinden. Während der Rotschopf mühsam weitersprach, breitete er die Decke über ihm aus und schob die Enden dicht an seinen Körper. Midorima fiel auf, dass Akashi den Ausritt mit früheren vermischte. Aber der Grünhaarige verbesserte ihn nicht. Bei einem Schockpatienten war die Orientierungslosigkeit normal.

Midorima nahm seine Aufmerksamkeit kurz von seinem Freund und richtete sie auf den Assistenten. „Sorgen Sie bitte dafür, dass der Notarzt sofort hierher geführt werden kann, wenn er ankommt.“

Der Assistent ließ sie mit den Security-Männern und seinen Gedanken allein. Es frustrierte Midorima, nicht mehr für seinen Liebsten tun zu können. Im Krankenhaus hätte er das benötigte Equipment und die professionelle Unterstützung. Bis der Notarzt und der Krankenwagen eintrafen, blieb ihm nichts anderes übrig als zu warten und Akashis Zustand möglichst stabil zu halten.

Die Hilfe müsste bald eintreffen. Das Gebäude lag gegenüber vom Stadtpark und war aus jeder Richtung der Stadt relativ schnell zu erreichen. Midorima würde Akashi die höllischen Schmerzen gern ersparen, die bald einsetzten. Das unterdrückte Schmerzempfinden hielt nie lange vor.

Der junge Arzt griff nach Akashis Hand. Versonnen strich sein Daumen über dessen Handrücken. „Wenn du das überstanden hast, fliegen wir nach Hokkaidô. An Neujahr soll es dort wunderschön sein. Überall liegt weißer Schnee. Erinnerst du dich an die Fotos im Internet? Die kleine Holzhütte, die wir gemietet haben? Wir haben dort einen Kamin und können Feuer machen. Das wird gemütlich. Und weit und breit ist kein anderer Mensch. Niemand stört uns dort.“ Midorima sprach leise vor sich hin. Das Warten höhlte seine aufgesetzte Ruhe aus. Er brauchte irgendeine Beschäftigung, um die Tatsache zu verdrängen, dass er Akashi hier nicht besser versorgen konnte.

Die Tür öffnete sich. Der Assistent des Konzernchefs trat ein, gab den Weg frei und deutete auf sie. Eine Frau mittleren Alters folgte ihm. Sie trug die typische Kleidung eines Notarztes. Erleichtert atmete Midorima durch.

Die Frau stellte sich knapp als Dr. Sanada vor und fragte, was passiert war. Midorima gab ihr einen Überblick über die Geschehnisse. Er fasste Akashis Zustand und seine bisherigen Maßnahmen zusammen.

„Sie sind Arzt“, stellte Dr. Sanada fest, während sie sich routiniert selbst ein Bild vom Patienten verschaffte. Midorima nickte. „Sie können mich unterstützen.“
 

Vornübergebeugt saß Midorima auf einem der Stühle des Wartebereichs. Mit den Ellenbogen stützte er sich auf den Oberschenkeln ab. Seine Hände vergruben sich in den Haaren. Jedes Mal, wenn ein Geräusch an seine Ohren drang, sah er auf, in der Hoffnung, einen Arzt zu sehen, der ihm etwas über Akashis Zustand berichtete. Sie operierten seit zwei Stunden. Je weiter der kleine Zeiger der Uhr vorrückte, desto mehr schien eine unsichtbare Hand sein Herz zu umklammern und seine Lunge einzuschnüren.

Eine Krankenschwester hatte ihm vorhin geraten, nach Hause zu fahren und sich auszuruhen. Das war undenkbar. Wie könnte er sich ausruhen, solange er nicht wusste, wie es seinem Liebsten ging. Er wollte bei ihm sein, wenn er aufwachte. Akashi schwebte nur wegen ihm in Gefahr. Die Kugel hätte ihn treffen und töten sollen. In den letzten Stunden hatte er die Situation wieder und wieder im Kopf umgewälzt. Hätte Akashi sich nicht dazwischen geworfen und ihn weggestoßen, die Kugel hätte sein Herz durchdrungen. Sein Liebster hatte ihm das Leben gerettet. Aber um welchen Preis?

Zumindest hatte die Polizei den Schützen in Gewahrsam genommen. Wäre es damit nur vorbei. Der Attentäter war ein Werkzeug. Hinter diesem versuchten Mord konnte nur Akashis Vater stecken. Durch die vorigen Aktionen war ihm dessen Skrupellosigkeit bekannt. Aber dass er bereit war, über Leichen zu gehen, um sein Ziel zu erreichen, erschreckte ihn zutiefst. Wachte Masaomi endlich auf, wenn er erfuhr, dass sein eigener Sohn aufgrund seines Plans angeschossen worden war?

Midorima musste um jeden Preis verhindern, dass er seinem Freund zu nahe kam. Glücklicherweise hatte Akashi für alle Eventualitäten Vorkehrungen getroffen. Mit Antritt der neuen Stelle in Ôsaka hatten sie sich gegenseitig Vollmachten erteilt. Der junge Arzt war unendlich dankbar für Akashis Voraussicht. Ohne die Vollmacht würde ihn weder ein Arzt, noch eine Schwester über Akashis Zustand informieren, geschweige denn seine Entscheidungen umsetzen. Er wäre ein Niemand. Die Vollmacht gewährte ihm komplette Einsicht und die Entscheidungsgewalt, sobald Akashi seine Wünsche nicht mehr selbst vertreten konnte.

Midorimas Hände ballten sich zu Fäusten. Er tat alles, um zu verhindern, dass Masaomi seinem Liebsten zu nahe kam. Was ging im Kopf eines Menschen vor, um einen Mörder zu beauftragen?

Federnde Schritte hallten durch den breiten Flur. „Shin-chan!“ Midorima sah auf. Seine kleine Schwester hastete zu ihm. Der Grünhaarige erhob sich. Fest schloss er Momoko in die Arme. Er war ihr unendlich dankbar, dass sie für ihn mitten in der Nacht von Tôkyô nach Ôsaka reiste. Seine Familie wusste von der Beziehung zu Akashi. Sie kannten seine Neigung und hatten gelernt, sie zu akzeptieren. Midorima brauchte jetzt familiären Rückhalt. Innerlich balancierte er am Abgrund entlang und befürchtete, bei einem falschen Schritt abzurutschen.

„Ist ja gut“, flüsterte Momoko. Sie nahm seine Hände und zog ihn zu den Stühlen. „Erzähl, was ist passiert und wie geht es Akashi?“

Tief atmete Midorima durch. „Ein Attentäter hat Akashi angeschossen. Die Kugel sollte eigentlich mich treffen. Ich denke, sein Vater steckt dahinter.“

Entsetzt japste Momoko. Prüfend blickte sie den Flur entlang. „Wurde er gefasst? Wieso hast du keinen Polizeischutz?“

„Der Attentäter wurde gefasst. Die Polizei geht meinem Hinweis bereits nach. Alles Weitere wollen sie morgen besprechen.“ Bisher hatte er der Polizei gegenüber nur erklärt, dass sie enge Freunde waren und in einer Wohngemeinschaft lebten. Aber Masaomi hatte andere Pläne für seinen Sohn. Midorima hielt es noch für vermeidbar, der Polizei von ihrer wahren Beziehung zueinander zu berichten.

„Wie geht es Akashi?“, wiederholte Momoko behutsam.

Der junge Arzt biss sich auf die Unterlippe. Fahrig glitt eine Hand durch sein Haar. „Sie operieren seit zwei Stunden. Ich hoffe, es gibt keine Komplikationen...“

Sanft strich Momoko über seinen Rücken. „Kommt er durch?“

Midorima wünschte, er könnte die Frage bestätigen. Aber als Arzt wusste er besser als jeder andere, wie leicht ein Leben verlosch, wie viele unerwartete Komplikationen auftreten konnten und wie vorsichtig man mit eindeutigen Aussagen sein musste.

„Er war die ganze Zeit bei Bewusstsein. Ich vermute, dass die große Schulterarterie nicht verletzt wurde. Die Chancen stehen gut, dass er überlebt.“ Midorimas Stimme brach. Da er nicht in diesem Krankenhaus tätig war, durfte er nicht zusehen. Ihm blieb nur, abzuwarten und dem Team im OP-Saal zu vertrauen. Das war schrecklich. Ohne Fokus baute sein Vorstellungsvermögen ein Horrorszenario nach dem anderen auf, als spiele es wie ein Kind mit Bauklötzen. Der Turm an Alternativen wuchs mit jeder Minute und drohte ihn unter sich zu begraben.

„Shin-chan, Akashi ist stark. Er schafft das schon.“ Die aufmunternden Worte seiner Schwester entfernten ihn ein Stück von dem grauenhaften Turm. Midorima umfasste ihre Hände. „Danke, Momo.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Da ich keinen offiziellen Namen für Midorimas Schwester finden konnte, habe ich ihr einen gegeben :) Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Feuchen
2018-02-16T16:45:57+00:00 16.02.2018 17:45
;___; So viel Herzschmerz... ><
Man kann so gut mit den beiden fühlen und alles ;;
Irgendwie kann man sich schon vorstellen, dass Akashis Vater soweit gehen würde, auch wenn's grausam ist (mh,wie reagiert er wohl auf die Nachricht?)
und ja, hoffentlich haben die demnächst endlich mal ein wenig Zeit für sich ohne sich Sorgen machen zu müssen, sie haben es verdient ^^
Von:  Hyperkreativitaet
2018-02-08T19:17:34+00:00 08.02.2018 20:17
Du hast mich ja schon ein bisschen gespoilert was so passieren wird, aber das zu lesen war trotzdem herzzerreißend xD
Erst schien alles bergauf zu gehen und dann das... aber ....ich mag es ja auch, wenn Charaktere erstmal schön leiden müssen :'D
Also dementsprechend hat mir das Kapitel wieder sehr gefallen. Besonders das mit Midos Lucky Item, das er zum verarzten von Akashi benutzt hatte und wie rührend er sich um ihn gekümmert hat wegen dem Schock <3 Freu mich auf das letzte Kapitel <3
Antwort von:  Bambusbesen
08.02.2018 20:22
Es klingt sicher doof, wenn ich sage, dass mich das freut XD" Aber das heißt ja, dass ich es hinbekommen habe, überzeugend zu schreiben ^^
dann hab ich den Kontrast gut hinbekommen ...und ja, Charaktere leiden zu lassen... es ist einfach zu verlockend, um es nicht zu tun XD
das mit dem Lucky Item kam mir spontan und hat mir gut gefallen, schön, dass es passt ^^ Ist halt ganz Mido, immer gewissenhaft <3
Ich mich auch, auch wenn ich noch mal nach sinnesbeeinflussenden Stoffen googlen muss XD


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