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Prelude of Shadows

Die Team Shadow Chroniken
von

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Amy – Akt 1, Szene 3

7 Jahre vor Team Shadows Gründung

 

 

Die spätherbstliche Sonne wärmte Amys Arme, während sie den Pinsel schwang. Die blaue Ölfarbe war nicht ganz der Ton des Himmels, aber sie war so erleichtert, wieder an der Leinwand zu stehen, dass es ihr egal war. Ihr Vater stand an seiner eigenen Staffelei direkt neben ihr.

Da das Wetter so gut anhielt, hatten sie sich mit dicken Strickpullies etwas abseits vom Haus auf einer kleinen Hügelkuppe mit Blick auf den Rest von Septerna City eingerichtet.

Ihr Papa strich ihr über den Kopf. Die Berührung wärmte Amy mehr als der Tee, den sie in Thermoskannen mitgenommen hatten. „Du hattest wohl eine anstrengende Woche.“

Die Wärme schwand sofort. Amys Magen schlug Saltos. Sie ließ den Pinsel sinken. „Ja, ein bisschen.“

„Ich weiß, dass Catherines Werdegang euch beide sehr beeindruckt hat, aber ihr müsst euer Training nicht so ernst nehmen wie sie damals. Habt Spaß mit euren Pokémon, das ist das Wichtigste. Euer Ehrgeiz wird euch weit bringen, aber nicht, wenn ihr euch schon vor Beginn eurer Reise verausgabt.“

Amy schluckte. „Ja, das stimmt. Danke, Papa.“ Innerlich ohrfeigte sie sich. War ihre Maske so verrutscht, seit sie von Sinnoh zurückgekommen waren, dass ihr Papa ihre echten Gefühle problemlos ablesen konnte? Sie musste ihn irgendwie beruhigen.

„Aber es ist nicht wegen dem Training“, begann sie nach einer kurzen Pause. „Meine Freundin aus Jubelstadt meldet sich nicht zurück. Ich mache mir Sorgen, dass etwas passiert sein könnte.“

„Ah, das erklärt die Ringe unter deinen Augen. Nun, da kannst du nicht viel tun. Du hast ja nur ihre E-Mail, oder?“ Amy nickte. „Dann wirst du dich in Geduld üben müssen. Aber sicher geht es ihr gut.“

So gut wie mir … Amy hatte Ronyas Worte nicht vergessen. Stress in der Familie konnte vieles bedeuten, und aus Amys Erfahrung meist nichts Gutes. Aber sie schaffte es, das Gedankenkarussell abzubrechen, bevor sie zu tief hineinrutschte.

Ihr Papa war da und sie hatte nur noch wenige Stunden mit ihm, bevor er wieder ins Atelier abreisen musste. Amy wünschte, sie könnte einfach mit ihm gehen.

Aber natürlich war das unmöglich. Schließlich war es Tims und ihr größter Traum, in die Fußstapfen ihrer Mutter zu treten und erfolgreiche Protrainer zu werden, die es bis ganz an die Spitze schafften.

Amy starrte auf ihr Ölgemälde. Sie hatte begonnen, einen schillernden Schmetterling zu malen, der in den tiefblauen Himmel schwebte. Ganz plötzlich brannten ihre Augen. Sie drehte sich schnell weg und rieb die verräterischen Tränen weg.

Die Arme ihres Papas schlossen sich um sie. „Es geht ihr gut, Amy, mach dir keine Sorgen. Sie wird sich schon melden, ganz bestimmt.“

Es war nicht der wahre Grund für Amys Tränen, aber das war egal. Sie klammerte sich an ihren Papa und schluchzte haltlos, während er beruhigend über ihr Haar strich.

 

 

Amy stand mit Tim zusammen im Bad, Zahnbürsten im Mund, und machte sie bettbereit. Papa hatten sie bereits Tschüss gesagt. Er würde zwar die Nacht hier verbringen, dann aber am nächsten Morgen in aller Frühe zurück in die Stadt reisen. Mental wappnete Amy sich bereits für den nächsten Tag. Ihre Zeit mit ihrem Vater war so kurz, und wenn sie endete, wollte sie sich am liebsten in ihrem Bett verkriechen und nie mehr aufstehen.

Tim war vor ihr fertig, rubbelte sich noch etwas Wasser durchs Haar und verschwand dann mit einem müden Gute Nacht aus dem Bad. Amy wollte noch duschen. Als sie sich gerade ausgezogen hatte, hörte sie plötzlich erhobene Stimmen durch den Luftschacht.

Amys Herz blieb stehen. Das war noch nie passiert. Sie wusste zwar, dass sie manchmal Dinge aus dem Arbeitszimmer ihrer Mutter über den Schacht hören konnte, aber niemals so, dass sie auch die Worte verstehen konnte.

Sie waren gedämpft, aber das war eindeutig ihre Mutter und ihr Vater. Kurzerhand schloss sie das Bad von innen ab, damit Lady Morb sie nicht überraschte, und kletterte auf den Waschbeckenschrank, wo sie sich halb aufrichtete, um ihr Ohr direkt an den Schacht drücken zu können.

„—sagte, dass das nicht geht.“ Ihre Mutter. Sie schrie nicht, aber es war eine knappe Sache.

„Es geht um ein paar Tage, Catherine! Welchen Unterschied macht es für ihr Training, wenn die beiden Mal etwas länger Pause machen können?“

„Und wovon? Wir waren erst vor zwei Wochen im Urlaub, Harold, die Kinder sind topfit.“

Wovon? Hast du mal mit Amy gesprochen? Sie ist heute völlig zusammengebrochen. Irgendetwas mit ihrer Brieffreundin—“

Amys Herz setzte einen Schlag aus. Sag ihr das noch nicht, Papa!

„—und ich bin mir sicher, dass das intensive Training ihr gerade nicht guttut.“

„Harold. Ich weiß nicht, was sie dir erzählt hat, aber es geht ihr gut genug, um ihr Training durchzuführen. Muss ich dich daran erinnern, dass ich diese Rolle nur eingenommen habe, weil die Kinder mich angefleht haben, sie zu unterrichten und zu Champions zu machen?“

Amy ballte ihre Hände zu Fäusten. Niemand hat dich angefleht!

„Und wie ich bereits mehrmals gesagt habe, respektiere ich ihre Entscheidung, auch wenn ich der Ansicht bin, dass es keine gute Idee ist. Aber als Eltern ist es auch unsere Aufgabe, einzuschreiten, wenn unsere Kinder sich zu viel zumuten oder eine Pause brauchen.“ Amys Blut rauschte in ihren Ohren. „Es beunruhigt mich außerdem sehr, dass ich nur einen Nachmittag mit Amy verbringen musste, um zu merken, wie schlecht es ihr geht, und du, die hier jeden Tag von morgens bis abends mit ihr zu tun hat, davon nichts mitgekriegt hat.“

„Was willst du damit sagen, Harold?“ Catherines Stimme war so eisig, dass Amy ein Schauer über den ganzen Körper raste, aber ihr Papa sprach unbekümmert weiter.

„Ich frage dich, ob du deinen Frust, niemals Champion geworden zu sein, unter Kontrolle hast und nicht den Kindern aufbürdest.“ Amy wünschte, sie hätte halb so viel Mut wie ihr Papa. Wie schaffte er es, bei Catherine so unbewegt und herausfordernd zu sein? Kein Wunder, dass Mama ihn geheiratet hatte. Es gab wahrscheinlich nicht viele Männer, die sich ihr gegenüber behaupten konnten. Auch wenn Amy glaubte, dass ihre Mutter sich in diesem Moment lieber einen solchen Ehemann gewünscht hätte.

„Oh Harold, das ist doch so lange her. Denkst du wirklich, dass mich das noch kümmert? … Also schön. Da du mir offensichtlich nicht mit unseren Kindern vertraust—“

„Das habe ich nicht gesagt—“

„—darfst du selbstverständlich ein paar Tage länger bleiben, um dich von ihrem Wohlergehen zu vergewissern. Solange es dich nicht stört, dass wir unser Training fortführen?“

„Ich bitte sogar darum.“

Amy konnte ihr falsches Lächeln in der Pause, die auf diese Worte folgte, förmlich hören.

„Also gut. Du kannst dich schonmal für deine Arbeit morgen einrichten, ich werde die Kinder informieren, dass du länger bleibst.“

Die Tür schlug zu. Amy kletterte panisch vom Schrank und schaffte es gerade noch, sich in ein Handtuch zu wickeln und die Tür zu entriegeln, bevor ihre Mutter ins Bad platzte. Amy schrumpfte unter dem Blick ihrer Mutter in sich zusammen. Catherines Augen glühten vor unterdrückter Wut.

„Über deinen kleinen Zusammenbruch heute reden wir noch“, sagte sie schneidend. Amy nickte energisch. Sie hatte Angst, irgendetwas anderes zu tun. Catherine seufzte und rieb sich die Schläfen. „Ich bekomme wieder eine Migräne. Amy, dein Vater wird noch ein paar Tage bleiben. Sieh zu, dass du ihn wegen deines Zustandes beruhigst. Sag ihm, dass die Situation mit deiner Freundin sich geklärt hat, oder was auch immer er hören möchte.“

„Ja, Mama.“

„Wir werden bis zu seiner Abreise mit Feiertagstraining weitermachen.“

Feiertagstraining.

Training, das für die Tage konzipiert war, an denen ihr Vater mit ihnen im Haus lebte. Das bedeutete, die ersten zwei und letzten vier Lektionen fielen aus. Aufstehen um 7:30 Uhr zum Frühstück statt um 5:30 Uhr zum Training. Feierabend um 15:00 Uhr statt um 20:00 Uhr nach dem Abendessen.

„So viel Zeit verloren, nur weil du dich nicht zusammenreißen kannst.“ Ihre Mutter schloss kurz die Augen und atmete tief durch. „Ich gehe jetzt zu Tim und informiere ihn darüber, wie viel Training diese Woche wegen dir ausfallen wird. Zum Glück kann ich mich bei ihm darauf verlassen, dass er seine Freizeit für Selbststudium nutzen wird. Er weiß, was seine Bestimmung ist, und macht mir das Leben nicht unnötig schwer.“

„Ja, Mama.“

Catherine nickte und verließ das Bad. Amy rutschte an der Duschwand entlang zu Boden und schlang zitternd beide Arme um sich.

 



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Lady_Ocean
2022-11-21T04:55:36+00:00 21.11.2022 05:55
"Feierabendtraining". Pah, diese Frau ist so heuchlerisch! Aber sie hat wirklich sehr viel Energie darin investiert, Amys und Tims Vater vorzuspielen, dass es der Wunsch der Kinder sei, in die Fußstapfen der Mutter zu treten. Und es war so was von klar, dass sie früher selbst so eine hoch ambitionierte und erfolgreiche Trainerin war. Ihr ganzes Verhalten sprach ja Bände. Die Aussprache zwischen ihr und dem Vater hat das nun nur noch bestätigt.
Aber Amys Vater ist wirklich mutig, dass er sich so gar nicht von seiner Frau einschüchtern lässt. Eher umgekehrt, so ein Stück weit hat sie ja nachgegeben in diesem Gespräch jetzt. Sie konnte den Vater nicht abwimmeln und musste den Kompromiss eingehen, das Trainingsprogramm für einige Tage runterzufahren und ihn zum längeren Hierbleiben einladen. Dass er in nur einem Nachmittag den erschütterten Zustand seiner Tochter mitbekommen hat und seine Frau nicht, obwohl sie die ganze Woche mit Amy zu tun hat, hat ihn wirklich ganz schön erzürnt. Und offenbar hätte es für sie Konsequenzen geben können, wenn sie mit offenen Karten gespielt und Dinge gesagt hätte wie: "Dieses lächerliche pubertäre Gehabe ist nichts weiter! Sie soll sich nicht so anstellen und sich auf ihr Training konzentrieren!"
Aber dass Amy ihrer Mutter nicht derart die Stirn bieten kann wie der Vater, ist auch logisch. Amy ist noch ein Kind und in so vielen Aspekten auf einen Vormund angewiesen. Ihr Vater könnte im Zweifelsfall auch auf eigenen Beinen stehen. Da kann man natürlich gar nicht erwarten, dass Amy ähnlichen Mut zeigt wie er. Außerdem liegen die Eltern vom Alter her auch viel näher aneinander, was es leichter macht, sich auf Augenhöhe zu begegnen. Und natürlich hat der Vater auch einfach schon viel mehr Lebenserfahrung und viel gefestigtere Vorstellungen davon, was Recht und Unrecht ist. Wäre Amy mittlerweile 17 oder 18, hätte die Mutter wahrscheinlich schon keine Macht mehr über ihre Tochter.

Ich bin gespannt, ob Amy in nächster Zeit nicht vielleicht doch wieder was von Ronya hört. Auch wenn das nur eines der Probleme ist, das sie grad so fertig macht - es gehört definitiv dazu. Und Amy hat ja bereits eine böse Vorahnung, dass etwas nicht stimmen könnte. Wenn sie diese nun auch noch bestätigt sieht, wird sie wahrscheinlich alles stehen- und liegenlassen und einfach nur zu Ronya zurückrennen wollen.
Von:  Kerstin-san
2022-11-19T12:18:10+00:00 19.11.2022 13:18
Hallo,
 
ich muss gestehen, dass mich diese ganze Scharade Amys Vater gegenüber immer noch vor Rätsel stellt. Es scheint ja nicht so zu sein, dass er Pokémon/das Pro-Trainer-Dasein rigoros ablehnt, sondern eher dass er Catherines verbissenen Ehrgeiz bzw. ihre Trainingsmehtoden oder den Trainingsumfang nicht akzeptieren würde, wenn er davon wüsste. Hat Catherine also mit dem Training ihrer Kinder erst "normal" angefangen und das ganze dann unbemerkt auf dieses Level geschraubt und beim ersten Aufmucken von Amy damit gedroht, Harold zu schaden? Ich frag mich auch, wie er und seine Frau überhaupt zueinander gefunden haben. Es klingt jedenfalls so, als hätte Harold sie schon als Teenager gekannt und wüsste, wie gut sie damals war und wie hart sie trainiert hat, um ihr Niveau zu erreichen.
In dem Zusammenhang würde mich auch brennend interessieren, was dazu geführt hat, dass Catherine ihre Trainierkarriere beendet hat und was sie dazu bringt, ihre Wünsche so auf ihre Kinder zu projizieren. Irgendwie spukt mir der Gedanke durch den Kopf, dass sie aus irgendwelchen Gründen gezwungenen war ihr Trainerdasein aufzugeben ohne dass sie alles erreicht hatte, was sie wollte und deshalb versucht, Amy und Tim dazu zu bringen, es besser als sie zu machen.
 
Das Amy auch eine etwas künstlerische Ader hat und mit ihrem Vater zusammen malt, finde ich sehr schön und ich mag, dass er sofort bemerkt, dass es ihr nicht gut geht. Und auch wenn Amy ihm nicht sagt, was genau los ist, tut es ihr definitiv gut, sich in seinen Armen mal auszuweinen.
 
Ich hätte es Amy sofort gleichgetan und auch gelauscht, was ihre Eltern diskutieren. Immer besser zu wissen, welches Unheil auf einen zukommt.
Ah, okay, da haben wirs ja schon: Catherine wollte Champ werden und ist daran gescheitert und will jetzt, dass ihre Kinder das mal erreichen.
Huu, Catherine lügt aber auch ohne mit der Wimper zu zucken. Ich kann total verstehen, warum Amy so einen Heidenrespekt oder eher Angst vor ihr hat. So manipulativ wie die Frau auftritt...
 
Liebe Grüße
Kerstin


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