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Prelude of Shadows

Die Team Shadow Chroniken
von

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Ronya − Akt 2, Szene 1

7 Jahre vor Team Shadows Gründung

 

Thea folgte ihr nicht.

Ronya war nicht sicher, ob ihre Schwester aufgegeben hatte oder ob Joy die beiden endlich erreicht und aus dem Pokécenter entfernt hatte. Aufgewühlt und mit brennenden Augen stapfte sie durch Fleetburgs Südviertel und wünschte mit neu entfachter Intensität, sie wäre nie als Zwilling geboren worden.

Der letzte Abschnitt ihrer Reise, auf den sie sich seit gestern wie eine Wahnsinnige gefreut hatte, ging nun wie ein halbvergessener Traum an ihr vorbei. Als sie Route 218 endlich erreichte, war Ronya enttäuscht zu sehen, dass der Fischer in der Tat darauf bestand, 3000 PD mit ihren Eltern als Bezahlung ausgemacht zu haben. Erst als Ronya ihm den handgeschriebenen Zettel mit den Anweisungen samt den Unterschriften unter die Nase hielt, gab er seine Lüge verlegen, aber unbekümmert zu.

Die Bootsfahrt zog Ronya allmählich aus ihrer Melancholie. Der frische Wind fegte über den See und ihre Kopfhaut, Wingull und andere Vogelpokémon kreisten durch die Lüfte und wenn Ronya sich über den Bootsrand lehnte, konnte sie die dunklen Schemen der Karpador, Finneon und Tentacha erkennen, die unter ihr durch das graugrüne Nass glitten. Jeder Meter, den sie hinter sich brachten, ließ Ronyas früheres Leben verblassen.

 

 

„Danke für die Überfahrt“, sagte Ronya, als sie am frühen Nachmittag das andere Ufer erreichten und dem Fischer seine Bezahlung übergab.

„Nimm’s einem alten Mann nich’ übel, was?“, sagte er und zwinkerte ihr aus wässrigen Augen zu, die inmitten seiner braungebrannten Haut kleinen Teichen ähnelten. Ronya zögerte, dann drückte sie ihm entgegen ihren Anweisungen die 300 PD Trinkgeld in die Hand und verabschiedete sich.

Kaum stand sie alleine auf dem Pfad, der das letzte Stück Weg zur nächsten Stadt bedeckte, atmete sie erleichtert aus. Sie hatte es geschafft. Endlich trennten Thea und sie mehr als nur eine Wand. Sie hatte den See und eine Route voller wilder Pokémon und starker Trainer zwischen sich und ihren Zwilling gebracht.

Für den restlichen Streckenabschnitt rief sie Maxwell, der beim Anblick der grünen Wiesen und dem scharfen Geruch der umliegenden Tannenwälder einen Freudensprung machte und wie vom Ariados gestochen durch das Gras tollte. Ronya beobachte ihr Pokémon belustigt und spürte, wie warme Zuneigung in ihr aufkeimte. Während Maxwell auf und ab stromerte, an Blumen schnupperte, sich an den Nadelhölzern in die Schnauze pikste und quietschend einen halben Meter in die Höhe sprang, folgte Ronya mit einem zufriedenen Grinsen auf dem Gesicht.

 

 

Jubelstadts Straßenlaternen erwachten gerade flackernd zum Leben, als Ronya und Maxwell die Metropole erreichten. Gigantische Stahlbauten und verglaste Hochhäuser verdeckten den Horizont und wo keine Asphaltstraße verlief, bildeten aschgraue Fliesenquader den Bordstein. Maxwell, der zuvor noch freudig durchs Gras gesprungen war, hielt sich im Angesicht der schieren Menschenmasse eng an Ronya und schlich zwischen ihren Beinen hindurch, bis er neuen Mut fasste und sich zurück ins Getümmel stürzte.

Ronya behielt ihn im Auge, kam aber nicht umhin, sich staunend umzusehen. Sinnohs Hauptstadt galt allgemeinhin als modernste und geschäftigste in der ganzen Region und bei dem Geräuschpegel, der von allen Seiten auf Ronya eindrang, glaubte sie die Gerüchte sofort. Sie selbst, die im abgelegenen Fleetburg groß geworden war, fühlte sich im Angesicht all der Häuser und Gesichter, der ineinanderfließenden Gespräche und fettigen Gerüche von Imbissläden völlig überfordert.

Da bemerkte sie, dass ihr Pokémon nirgends zu sehen war.

„Max?“, rief sie und zwängte sich an Pärchen und kleinen Grüppchen vorbei. „Maxwell!“ Panik überkam sie. Sie konnte unmöglich den Weg auf sich genommen haben, nur um im letzten Moment ihr Pokémon zu verlieren!

Plötzlich entdeckte sie einen beigen Fleck, einige Meter vor sich. Ohne sich um die empörten Rufe der anderen Passanten zu scheren, quetschte sie sich an allen vorbei und fand sich schließlich vor einer Straßenlaterne wieder, an der Maxwell mit verbissenem Gesichtsausdruck hochzuklettern versuchte.

„Runter“, befahl sie in scharfem Ton. Max sah zu ihr herab, die Ohren ihn freudiger Erregung zuckend. Als er ihren Blick sah, duckte er den Kopf und kletterte gehorsam zurück auf den Boden. Ronya ging vor ihm in die Hocke. Sie spürte die Blicke der anderen Fußgänger in ihrem Rücken, aber davon ließ sie sich nicht beirren.

Maxwell Starling sprach immer von sofortiger Zurechtweisung, wenn ein Pokémon seine Grenzen überschritt. Sie wollte Max nicht an der kurzen Leine halten, aber wenn er seine Freiheit unter ihrem Kommando genießen wollte, musste sie zuerst sicher gehen, dass es klare Regeln gab. „Du musst in Sichtweite bleiben“, erklärte sie in ruhigem, aber strengem Tonfall. „Wenn du dich austoben oder klettern willst, gib mir vorher ein Signal, damit ich dir folgen kann. Hier sind zu viele Menschen. Wenn du nochmal so abhaust, könnte ich dich verlieren, verstehst du?“

Maxwell presste sich flach gegen den Boden, ein Zeichen eindeutiger Unterwürfigkeit.

Ronya nickte zufrieden und tätschelte seinen Kopf. „Hoch mit dir“, sagte sie und erhob sich. „Wir suchen uns einen ruhigen Platz, wo du so viel klettern kannst, wie du willst.“

Maxwells griesgrämiges Gesicht hellte sich augenblicklich auf. Ronya beobachte mit Genugtuung, dass er dieses Mal an ihrer Seite blieb. Mit Hilfe seiner schärferen Sinne fanden sie eine halbe Stunde später eine kleine Parkanlage, die zwar nicht mit dem Naturbestand in Fleetburg zu vergleichen war, Ronya inmitten dieser grauen Einöde aber wie ein echtes Paradies vorkam. Sie ließ sich auf dem Rand einer Fontäne nieder, zog ihre Schuhe aus und massierte ihre Füße, während Maxwell getreu ihrem Versprechen den nächstbesten Baum in Angriff nahm, an der glatten Rinde jedoch kläglich scheiterte.

Ronya atmete die kühle Nachtluft ein. Sie lächelte flüchtig und schielte zu Maxwell, der das Klettern aufgegeben hatte und nun nach den niedrig hängenden Ästen sprang. Er nahm Anlauf, katapultierte sich mit seinen kräftigen Hinterbeinen in die Höhe und bohrte seine Krallen in das dunkle Holz des Astes. Er strampelte, zog sich hoch und schaute sie mit leuchtenden Augen an. Schmunzelnd erinnerte sie sich an die letzte Anweisung ihrer Mutter und dass sie jetzt auf sich allein gestellt war.

Ganz alleine war sie nicht.

Ronya verbrachte einige Stunden mit Maxwell im Park. Ihr Evoli tobte sich so lange aus, bis es in ihren Armen einschlief. Sie hätte ihren neuen Lebensgefährten in den Pokéball zurückrufen können, um ihre müden Arme zu entlasten, stattdessen schlenderte sie stolz durch Jubelstadt, dessen Beleuchtung erfolgreich gegen die Nacht ankämpfte. Sie kaufte sich eine Box mit gebratenen Nudeln von einem Imbissstand und genoss die Atmosphäre der Großstadt.

Max schnarchte leise in ihren Armen. Ihr Herz schwoll bei dem Anblick an. Max und sie kannten sich nur wenige Tage, und trotzdem konnte sie sich ein Leben ohne ihren hyperaktiven Racker nicht mehr vorstellen. Ob es normal war, dass Trainer so schnell eine Bindung zu ihren Pokémon aufbauten? Sie würde nach einem Buch darüber Ausschau halten, sobald sie eine Bibliothek in dieser riesigen Stadt ausfindig gemacht hatte.

Trotz der späten Stunde wurde Jubelstadt nicht ruhiger. Ronya fragte einige Passanten nach dem Weg zum hiesigen Pokécenter, wo sie sich mit ihrer ID für wenig Geld ein Zimmer mietete. Sie legte Max behutsam ans Fußende und strich ihrem Pokémon sanft über das flauschige, braune Fell. Max grummelte wohlig. Ronya legte liebevoll lächelnd den Kopf schief. In diesem Moment keimte etwas in ihr auf. Ein Beschützerinstinkt. Komme was wolle, Max und sie würden sich niemals trennen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Kerstin-san
2022-05-21T09:18:37+00:00 21.05.2022 11:18
Hallo,
 
ich traue dem Frieden nicht - so ganz und gar nicht und das liegt natürlich auch daran, dass ich weiß, dass Max in naher Zukunft seine schwere Verletzung erleiden wird. Irgendwie werde ich wohl erst beruhigt sein, wenn der Moment da war, weil so immer die Sorge mitschwingt, dass es gleich zum großen Knall kommt.
 
Mir gefiel, wie Ronyas Reaktion auf die Jubelstadt ist. Zum ersten Mal in so einer Großstadt zu sein, wenn man bisher was ganz anderes gewohnt war, stelle ich mir sehr einschüchternd vor, gerade weil Ronya noch ein Kind und auch ganz alleine (also ohne andere Menschen und nur mit Pokémon^^) unterwegs ist.
 
Max' Unbeschwertheit hat mir wirklich das Herz aufgehen lassen. Ich finde die Vorstellung, wie er versucht eine Laterne zu erklimmen, wirklich herzallerliebst. Ronya gibt sich hier wirklich große Mühe, ihm direkt Grenzen aufzuzeigen, aber auch zu erklären, warum sie sein Verhalten nicht duldet und ich denke, dass das ganz wichtig ist. Und als sie dann später den Park finden, Max seine überschüssige Energie loswerden kann und Ronya erkennt, dass sie alles für ihr Pokémon tun könnte, war das wirklich ein schönes Ende.
 
Liebe Grüße
Kerstin
Von:  Lady_Ocean
2022-05-21T05:43:03+00:00 21.05.2022 07:43
Ich habe das Gefühl, das hier könnte die Ruhe vor dem Sturm gewesen sein. Mit jedem neuen Kapitel warte ich bangend darauf, wann die schlimme Tragödie mit Maxwell ihren Lauf nimmt. Zwar denke ich auch, dass es nicht ganz zu Beginn der Reise passiert, sondern erst, als Mawells Training schon ein bisschen begonnen hat und die Bindung zwischen Ronya und Maxwell sich gefestigt hat, aber dennoch schwingt beim Lesen immer diese Sorge mit.

Ronyas Eltern hatten bei dem Fuhrmann einen ziemlich guten Riecher, dass er versuchen würde, Ronya über den Tisch zu ziehen. Gut, dass sie diese Abmachung schwarz auf weiß hatte. Und ich finde es extrem bewundernswert, dass sie ihm trotz allem ein Trinkgeld gegeben hat. Leute, die die erstbeste Gelgenheit beim Schopfe packen, um andere über den Tisch zu ziehen, sind wahrscheinlich selbst in so einer Fressen-oder-gefressen-werden-Gesellschaft aufgewachsen und oft genug ausgenutzt und übers Ohr gehauen worden. Dass Ronya ihm trotz allem ein Trinkgeld gibt, war mit Sicherheit eine ziemlich seltene Begebenheit für ihn. Also dass es Menschen gibt, die Dinge nicht nur manipulativ und berechnend tun. Wobei er solches Verhalten auch einfach als "naiv" und "dumm" abtun könnte. Vor allem, weil sie auch noch ein Kind ist. Erwachsene sind in ihrem Weltbild oft nicht so leicht zu beeinflussen.

Ronyas feste Linie gegenüber Maxwell trägt bereits erste Früchte, was? Als er in Jubelstadt plötzlich weg war, hat er richtig gut gespurt, als Ronya ihm ihre Regeln vorgegeben hat. Und gleichzeitig hat sie die Regel mit dem Herumlaufen so offen gestaltet, dass sie Maxwell nicht total einengt. Herumstromern ja, aber nur, wenn du vorher Bescheid gibst. Und dann ist sie sogar direkt im Anschluss an diese kleine Auseinandersetzung in den Park gegangen, was Maxwell eindrucksvoll gezeigt hat, dass er seine Wünsche vor Ronya auch nicht zu verstecken braucht. Dass sie ihr "du darfst" ernst meint, wenn er sich dabei an ihre Regeln hält. An dieser Stelle war ich wieder einmal erstaunt, wie reif Ronya bereits mit ihren gerade mal 14 Jahren ist.


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