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Echo

von

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1

Er war zu weit gegangen.

Die vertraute Wärme seiner Magie hüllte Fai ein und legte sich um seine Schultern wie ein weiches Tuch, als er aus der Kraft, die der helle Pfiff freisetzte, ein Netz aus Runen wob, um die fremde Magie, die eigentlich seine eigenen Zauberkräfte hätte unterdrücken sollen, zurückzudrängen. Die ihm innewohnende Macht war stärker als die Magie dieser Welt, kraftvoller und schlauer. Er hatte sie vermisst, die Sicherheit und Gewissheit in der Lage zu sein beinahe alles zu tun. Magie zu wirken um zu helfen, zu beschützen und das Leben zu vereinfachen. Es war ein befreiendes Gefühl. Mit der Leichtigkeit eines Blicks zwang er den gigantischen geflügelten Löwen in das ätzende Meer zu seinen Füßen, wo sich die windende Kreatur in dampfenden weißen Wolken auflöste.
 

Er hatte einen Fehler begangen.

Er fiel nur allzu leicht in die alte Gewohnheit zurück, es fiel ihm schwer sich zurückzuhalten. Doch er musste vorsichtig sein, dufte nicht zu weitgehen, nicht zu viel preisgeben. Als er einen Schild errichtet, der sie schützend umschloss, spürte Fai die Augen seiner Reisegefährten auf sich, erleichterte, aber vor allem überraschte und verständnislose Blicke. Ein Paar roter Augen, rot wie das Glühen der aufgehenden Sonne, musterte ihn prüfend, als versuchten sie ihn zu durchdringen auf der Suche nach Antworten auf ungestellte Fragen. Fai ignorierte sie alle und wandte den Kopf zu Mokona, die auf seiner Schulter saß.

„Mokona,“ begann er mit einem matten Lächeln auf den Lippen, „würdest du uns bitte in eine andere Welt bringen.“ Die kleine Kreatur erwiderte seine Bitte mit zweifelndem Blick. „Aber der Bannkreis funktioniert hier nicht-...“ setzte sie zur Antwort an, doch Fai unterbrach sie sogleich.

„Ich glaube, du wirst gleich merken, dass er hier funktioniert,“ ermunterte er sie mit einer Zuversicht, die keinen Widerspruch zuließ. Noch immer zweifelnd breitete Mokona ihre Flügel aus und schrie nur wenige Sekunden später entzückt auf.

„Es hat funktioniert!“ rief sie lachend, „der Bannkreis ist erschienen!“ Die Blicke seiner Reisegefährten waren noch immer auf Fai fixiert, doch er war nicht bereit mehr von sich preis zu geben, stattdessen konzentrierte er sich darauf den Schild aufrecht zu halten, während der Bannkreis unter ihren Füßen Form annahm und Mokona sie alle einsog.
 

Der Schaden war bereits angerichtet.

Fai war klar, dass er sich schnellstens eine Ausrede überlegen musste, noch ehe sie die neue Welt erreichten. Eine weitere plumpe Erklärung, eine weitere Lüge. Er hatte einer dieser vielen Grenzen überschritten, die er sich selbst gesetzt hatte. Er hatte jenes Versprechen gebrochen, das er sich selbst gegeben hatte. Er war so dumm gewesen. Wem hatte er etwas vormachen wollen? Er war noch niemals sonderlich willensstark gewesen und sein Vorsatz, keine Magie mehr zu verwenden, bereits von Beginn der Reise an dem Untergang geweiht. Er hatte es immer gewusst und dennoch… ehe er den Gedanken zu Ende denken konnte, wurde ihm plötzlich schwarz vor Augen und er bemerkte mit wachsendem Schrecken, wie er langsam aber allmählich das Bewusstsein verlor.
 

~~~
 

Fai atmete tief ein, während das Bewusstsein langsam zu ihm zurückkehrte und kalte, feuchte Luft seine Lungen füllte. Einige endlose Sekunden kämpfte er dagegen an und wollte zurück in den wohligen Dämmerschlaf fallen, doch vergebens. Er spürte den Schmerz in seinem Rücken und den harten, kalten Grund auf dem er lag noch ehe er die Augen geöffnet hatte. Vorsichtig begann er seine Hände zu bewegen, dann die Beine. Scheinbar hatte er sich bei der unsanften Landung nicht weiter verletzt. Stöhnend setzte er sich auf und öffnete langsam die Augen, doch seine Welt blieb dunkel. Einen Moment lang überkam ihn die Panik und er fuhr sich mit den langen, schlanken Fingern über die Augen um sich zu vergewissern, dass sie auch wirklich offen waren. Er zwang sich ruhig zu bleiben und nahm einen weiteren tiefen Atemzug. Die Luft schmeckte feucht und kalt, modrig und alt. Dunkel, sagte er zu sich selbst und zwang sich langsam zu atmen, es ist nur dunkel. Er hatte noch niemals Angst vor der Dunkelheit gehabt. Um ihn herum war es so dunkel, dass Fai kaum die eigene Hand sehen konnte, die er sich direkt vor die Augen hielt. Er streckte die Arme aus und begann um sich herum zu tasten. Mit der rechten Hand stieß er auf Widerstand. Eine harte, kalte Felswand, wie er nach kurzem Abtasten feststellte. Das bestätigte seine Vermutung, dass er sich in einer Höhle oder etwas derartigem befand. Langsam stand er auf, während er sich weiterhin mit einer Hand an der Felswand abstützte, und machte einen vorsichtigen, schwankenden Schritt nach vorne. Die Dunkelheit hatte ihm seinen Gleichgewichtssinn geraubt.
 

„Hallo?“ rief er in die Finsternis hinein. „Hallo,“ antwortete eine andere Stimme, aber nein, es war nur sein eigenes Echo. „Hallo....Hallo...“. Er lauschte in die Dunkelheit, doch außer dem hohlen, schwindenden Hall seines Echos konnte er keine weiteren Geräusche ausmachen. „Hallo?“ versuchte er es dennoch erneut, „ist irgendjemand hier?“ Er wartete. „Hallo,...Hallo,“ hallte das Echo. Es war das erste Mal, dass Fai alleine in einer neuen Dimension angekommen war. Die Gruppe war zwar schon zuvor einmal getrennt worden, doch damals hatte es ihn gemeinsam mit Kurogane in einen anderen Winkel jener Welt verschlagen. Eine überraschende Wendung, die Fai gerade recht kam und ihm genügend Zeit verschaffen würde um an einer Erklärung für den plötzlichen Gebrauch seiner Magie, den er zuvor gleich jeder Situation so vehement abgelehnt hatte, zu feilen. Doch zunächst musste er einen Ausgang aus dieser Höhle finden. Langsam tastet er sich an der Felswand entlang vorwärts. Ein leichter Luftzug verriet ihm die richtige Richtung, oder zumindest hoffte er das. Er atmete erleichtert auf, als es allmählich heller wurde und er schwaches Tageslicht in der Ferne ausmachen konnte.
 

Als er endlich den Ausgang der Höhle erreichte musste er die Augen schließen, die sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, so hell war das Licht. Er atmete tief die frische, klare Luft ein. Es roch nach Regen.

„Hat lange genug gedauert,“ bemerkte eine vertraute Stimme nicht weit von ihm entfernt. Fai zuckte überrascht zusammen und hob eine Hand um sein Gesicht vor dem Licht der Sonne abzuschirmen, ehe ihm klar wurde, wer gesprochen hatte und seine Mundwinkel sich zu jenem zwanglosen Lächeln hoben, das ihm so sehr zur Gewohnheit geworden war.

„Herrje, Kuro-tan, hast du mich erschreckt,“ bemerkte Fai heiter, während er langsam ein Auge öffnete um sich allmählich an die Helligkeit zu gewöhnen. Er entdeckte seinen Reisegefährten nur wenige Meter entfernt, wo dieser mit gekreuzten Beinen und dem Schwert an die Schulter gelehnt auf dem Boden saß, während er Fai mit vernichtendem Blick anfunkelte. Die typische Reaktion des Ninjas auf Fais schier endlose Repertoire an albernen Spitznamen amüsierten den Magier noch immer wie am ersten Tag.
 

„Nenn mich nie wieder bei diesem Namen,“ fauchte der Krieger, doch Fai tat so, als würde er es gar nicht bemerken und fragte stattdessen vergnügt: „Hast du etwa gewusst, dass ich da drin bin und hast hier draußen gewartet, statt mir zu helfen, Kuro-rin?“ Mit einer vagen Geste deutete er hinter sich auf die Höhle, die er eben verlassen hatte.

„Dein Gekreische war ja kaum zu überhören...“ antwortete Kurogane gereizt aber ungerührt von dem verletzten Gesichtsausdruck, den Fai gespielt aufsetzte. Das war dann wohl seine Rache, dachte Fai amüsiert, der Ninja blieb ihm selten etwas schuldig, auch wenn er seiner Schlagfertigkeit gewöhnlich eher mit dem Schwert in der Hand Ausdruck verlieh.

„Autsch,“ erwiderte er, als hätten ihn Kuroganes Worte schwer getroffen. „Warum hast du mir nicht geantwortet?“
 

Kurogane musterte ihn prüfend, lauernd und antwortete mit einer feinen Spur Spott in der ernsten Stimme: „Wie? Du kannst mit deiner Magie riesige Löwen vernichten und Magie freie Zonen durchbrechen, aber kein Licht anzünden?“ Ah, die Schonzeit war wohl schon vorüber. Dass Kurogane aber auch immer so schnell zum Punkt kommen musste. Fai lachte und setzte erneut ein albernes Grinsen auf seine Lippen.
 

„Ich glaube du überschätzt mich ein wenig,“ erwiderte er abwinkend und schirmte mit einer Hand die Augen ab, während er in den Himmel hinauf sah. Er hatte sich geirrt, es war gar nicht so hell, stattdessen bedeckten dunkle Wolken den Himmel und es roch nach Regen. „Ich habe nur die Verteidigungszauber etwas zurückgeschoben, damit Mokona die Transportmagie wirken konnte. Es war eine andere Art von Magie, als jene, dich ich bisher genutzt habe. Sie funktioniert mit Tönen~..“

„Erzähl keinen Scheiß,“ schnitt ihm Kurogane das Wort ab, während er schließlich aufstand, das Schwert in der Hand. Die plötzliche Schärfe in seiner Stimme war eine Warnung für Fai. Er erkannte diesen Ton und wusste, dass er auf Messers Schneide tanzte. „Ich hab Augen im Kopf. Hälst du mich etwa für blöd?“ Im Gegenteil, dachte Fai, und das ist das Problem.
 

Das heitere Lächeln hielt sich hartnäckig auf Fais Lippen. Er war keineswegs dazu bereit ihre Gespräch in diese Richtung fortzuführen. Er sah sich um und ignorierte Kurogane schlichtweg. Sie befanden sich in rauen Gelände am Fuße eines recht beachtlichen Gebirges im Norden, dessen Gipfel durch die dichten hindurch kaum auszumachen waren. Zur anderen Seite gen Süden konnte er sanfte, grüne Hügel entdecken und etwas weiter entfernt einen Laubwald, der sich bis zum Horizont hin erstreckte. „Sag, Kuro-tan,“ Fai wandte sich wieder zu Kurogane um, nur um zu sehen, wie sich dessen Gesicht beim Klang des Spitznamens missmutig verzog, „Wo sind denn Mokona und die Kinder?“ Kurogane starrte Fai für einen Moment lang an, in dem seine roten Augen sich wie in einem stummen Zweikampf in die kobaltblauen des Magiers bohrten. Würde der Ninja Fais plumpen Versuch das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken, ignorieren oder würde er ihn ziehen lassen? Fai war sich erst nicht sicher und wartete ab, doch schließlich warf ihm Kurogane einen letzten verärgerten Blick zu, der Fai klar machte, dass das Thema noch nicht erledigt war. Doch fürs erste war er aus dem Schneider. Er würde heute nicht den Halt verlieren.
 

„Keine Ahnung,“ antwortete Kurogane schließlich auf Fais Frage während er sich mit der Hand durch das kurze, schwarze Haar fuhr und ebenfalls den Blick über die Landschaft schweifen ließ. „Ich glaube nicht, dass sie in der Nähe sind.“
 

„Herrje,“ machte Fai erneut und trug noch immer das ewige Lächeln auf seinen Lippen, „dann wurden wir wohl schon wieder getrennt. Allerdings verstehen wir noch immer was der andere sagt, also können wir nicht so weit von Mokona entfernt sein.“ Das letzte Mal, als sie getrennt worden und Kurgane und Fai im Lande Yama gelandet waren, hatten sie ein halbes Jahr lang dort festgesessen, ehe Syaoran, Sakura und Mokona endlich aufgetaucht waren. Damals jedoch hatte Fai kein Wort verstanden, während Kurogane sich zumindest mit den Einheimischen hatte verständigen können. Es war anfangs hart gewesen sich nicht unterhalten zu können, er hatte es mit Gesten und Zeichen versucht und war recht gut damit klar gekommen. Dann wiederum war es amüsant gewesen mit ernster Miene so zu tun, als hätte er Kurogane etwas wichtiges mitzuteilen, während dieser mit zunehmender Irritation, die sich deutlich in seinem Gesicht widerspiegelte, versucht hatte den Worten des Magiers irgendwelchen Sinn abzugewinnen, obwohl Fai das noch nicht einmal selbst gelungen war. Und natürlich hatte ihm niemand Fragen gestellt, oder wenn doch, so hatte er sie nicht verstanden, das war vermutlich das Beste an seiner Zeit dort gewesen. Keine Fragen bedeuteten keinen Grund für ihn zu lügen.
 

Sie entschieden sich dazu auf die Suche nach ihren Reisegefährten zu gehen und brachen gen Süden auf in Richtung der Hügel und dem Wald. Kurogane ging schweigend, immer wachsam, während Fai mit fröhlichem Lächeln vergebens versuchte den Ninja in ein belangloses Gespräch zu verwickeln. Auf seine Fragen erhielt der Magier nur ein Brummen, auf den Versuch seinen Gefährten mit albernen Spitznamen zu reizen, nur eine zuckende Augenbraue. Kurogane war also noch immer sauer auf ihn, vermutete Fai mit einem müden Lächeln auf den Lippen, das Kurogane nicht bemerken würde, weil er Fai noch nicht einmal eines Blickes würdigte.
 

Er war zu weit gegangen, hatte einen Fehler begangen. Doch der Schaden war bereits angerichtet und es gab kein zurück mehr. Das Lächeln schwand von Fais Lippen, nur für einen Moment, doch er bemerkte nicht, dass sein Gefährte ausgerechnet in diesem Augenblick doch zu ihm hinüber sah.



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