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Love me like you Do

Nie mehr ohne DICH
von

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Gedankenschwer taumelt mein Blick durch den trüben Raum, hoch zur gegenüberliegenden Wand an welcher eine Uhr unnachgiebig tickt. Ihr Sekundenzeiger erklingt drohend in meinen Ohren, zieht meine Aufmerksamkeit einen Moment lang auf sich. War sie schon immer so laut gewesen? Seit wann war das so? Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern. Noch nie hatte eine Uhr solch einen elementaren Stellenwert in meinem Leben gehabt, wie jetzt.

Ich reibe mir die Augen mit Daumen und Zeigefinger meiner linken Hand und seufze leise. Mein Körper sinkt kraftloser ins ergraute Sofa. Es fühlt sich so an, als würde ich erdrückt werden. Von draußen schimmert leicht das vergilbte Laternenlicht der Straßen durch die zerschlissenen Vorhänge meiner Wohnung ins Wohnzimmer. Staub lastet auf den übrigen Möbelstücken im Raum und ich frage mich stumm, wann wohl auch ich daran ersticken würde.

Ich greife wie gewohnt, rechts von mir, auf dem freien Sofaplatz nach der Fernbedienung und schalte den Fernseher ein. Flimmernd erscheint das Bild. Der Ton verzerrt das Ticken der Wanduhr, kann es aber nicht übertönen. Ich habe das Gefühl, dass ihr Ticken immer lauter wird. Selbst nachdem ich die Lautstärke des Fernsehers aufdrehe, verstummt sie nicht.

Aber dann erreicht mich die Stimme einer mir fremden Dame aus dem Fernseher, die passend zur Mitternachtsstunde Uhrzeit und Datum verließt.

Der Minutenzeiger schlägt für mich hörbar, wie ein Gong auf den Stundenzeiger und für diesen Moment scheint alles still um mich rum zu werden.

Schlagartig erinnere Ich mich wieder daran, welcher Tag heute ist.

Mein Atem stockt, meine Augen weiten sich leicht.

„Jean!“

Diese Stimme.

„Jean!“

Er ruft mich.

Mit stockenden Bewegungen drehe ich mein Gesicht in die Richtung aus der ich den Ruf vernommen habe. Ich bin mir unsicher, ob es nicht Einbildung gewesen ist und versteife in meiner Sitzhaltung.

„Jean?“

Klarer, deutlicher.

Ich weiß nun genau wer mich da ruft und springe mit einem Satz auf.

Die verloren geglaubte Kraft ist mit einem Mal wieder in meinen Beinen und ich laufe ungehindert in die Richtung aus welcher die Stimme kommt. Sie tragen mich durch das dunkle Wohnzimmer, raus in den schmalen, kahlen Flur, hin vor eine verschlossene Zimmertür.

Das Schlucken fällt mir schwer, so wie das heben meiner rechten Hand zur Türklinke. Es fühlt sich an, wie eine Ewigkeit, bis ich sie zu fassen bekomme und mit der Linken den Schlüssel im Schloss herumdrehe.

Die Tür drücke ich mit wenig Kraft auf. Mein Blick sucht im Zimmer nach der Person, die mich eben noch gerufen hat, aber ich finde nichts. Mir kommt kühle Luft aus dem Zimmer entgegen und versetzt mir eine Gänsehaut am ganzen Leib. Nur schwach erkennt man noch einige Umrisse von Möbeln, die mit Laken abgedeckt wurden. Kisten und Gerümpel stapeln sich an den Wänden auf zu Türmen.

Es sah hier nicht immer so aus wie jetzt.

Ich erinnere mich noch sehr gut an die Zeit wie, nicht nur in diesem Zimmer, sondern in der gesamten Wohnung Leben und Wärme hauste.

Geändert hatte sich das alles vor fünf Jahren auf den Tag genau, nachdem “er“ nicht mehr Heim kam. Meine Lippen formen bei dem Gedanken an ihm ein bebendes Lächeln.

Er, mein bester Freund und Geliebter.

„Marco“


 

Alles fing damit an, dass ich verschlafen habe.

Ausgerechnet am ersten Tag meines Semesters. Ich sprang auf und schlüpfte in die erstbesten, sauberen Klamotten, die ich finden konnte. Rauschte, wie ein Wirbelwind, durchs Bad, an der Küche vorbei. Ohne mir was Essbares einzustecken, sprang auf meinen rostigen Drahtesel und radelte zur Uni.

Dort angekommen, rannte ich weiter wie ein Besessener um den richtigen Hörsaal für die Kurseinschreibung zu finden.

Als ich jenen fand, rannte ich zielstrebig auf die offen stehende Tür zu, streifte dabei einige Kommilitonen und rannte in “Ihn“ hinein.

Dies war mein erstes Zusammentreffen mit Marco, und wie ich ihn getroffen habe.

Nicht nur das Geräusch der fallenden Bücher schallte im Saal, nein, auch wie ich mit Marco zu Boden krachte, war nicht zu überhören.

„Zut“, zischte ich und kramte wieder meine Schulbücher zusammen. Noch während ich dies tat entschuldigte ich mich bei meinem fremden Gegenüber mit einem gegrummelten „Entschuldige“.

Wir beide standen gleichzeitig auf und dabei traf ich zum ersten Mal auf Marcos Lächeln.

„Schon in Ordnung, es ist nichts passiert“, erwiderte mir Marco in einem sehr gelassenen Tonfall und lächelte mich unbekümmert an.

Mein Mund öffnete sich leicht, aber kein Laut kam mehr heraus. Ich sah Marco hinterher, wie er den Saal verließ und erst als ich eine mir bekannte Stimme hörte, wurde ich aus der Trance gerissen.

„Hey Pferdefresse! Bist ja früh dran!“, ertönte es neckisch hinter mir.

„Ich verpasse dir gleich ne Pferdefresse!“, konterte ich darauf hin und meine Laune ging auf 180. Ich drehte mich zu der Person herum und sah in das Gesicht meines alten Schulkameraden und guten Freundes Reiner.

Sogleich zogen sich meine Mundwinkel zu einem erfreuten Grinsen wieder nach oben.

„Mensch Rentier, was hast du denn hier verloren?“, wir gingen aufeinander zu, schlugen mit unseren Händen ein und zogen uns in eine brüderliche Umarmung.

„Das gleiche könnte ich dich fragen“, erwiderte er die Frage freundlich und fügte hastig noch hinzu: „Und hör auf mich so zu nennen, sonst werde ich gleich noch zum Tier“.

Ich winkte bei seinem letzten Kommentar ab und grinste amüsiert vor mich hin.

„Ich konnte meine Mutter endlich davon überzeugen mich gehen zu lassen, ohne mich zu verfolgen. Ich dachte schon sie würde für immer mein verlängerter Darm bleiben. Apropos „verlängerter Darm“, wo ist denn deiner?“, ich grinste Reiner frech an bei dieser Frage und er legte ein leichtes Lächeln auf seine Lippen.

,,Der Lange!? Er wartet schon draußen. Er hat sich schon vor mir eingeschrieben. Das solltest du nun auch tun, sonst sind alle Plätze belegt“, er deutete mit eine Handbewegung runter zum Pult an dem ein Dozent neben den Formularen stand.

Dann klopfte Reiner mir bestärkend auf die Schulter und verließ im Anschluss auch den Saal.

Lächelnd lief ich runter zum Dozenten, vor dem die Formulare lagen. Ich stellte mich ihm freundlich vor und nahm dankend den gereichten Füller entgegen, mit welchem ich mich in die Kurse einschrieb.

Als ich durch die Listen sah, bemerkte ich, dass Reiner und Berthold sich im Debattierklub eingeschrieben hatten, so wie ich es auch wollte. //sehr schön, dann sehe ich die Beiden wenigstens in einem Kurs//, dachte ich mir freudig und schrieb hastig meinen Namen in die Liste. Damals wusste ich noch nicht, dass auch Marco in diesem Club war.

Meine zweite Wahl fiel auf das Basketballteam und als drittes musste ich den Kunstkurs nehmen, da die anderen Kurse, die mich wahrscheinlich eher angesprochen hätten bereits voll waren.

Damals dachte ich noch, dass dieser Kurs riesiger Mist sei, doch heute denke ich anders darüber.

Ich setzte zu guter Letzt noch meine Unterschrift unter die Bögen und gab dann den Füller dem Dozenten zurück.

Zufrieden ging ich dann aus dem Saal und suchte gleich nach meinem Freund Reiner.

Ich entdeckte ihn zwischen den Schülern und Schülerinnen, wie er neben dem “Langen“ stand und sich mit ihm unterhielt.

Im Übrigen hörte der “Lange“ im gemeinen Volksmund auf den Namen Berthold oder Bertl.

Bertholt war der beste Freund von Reiner. Und das schon seit…, seit immer um genau zu sein.

„Hey Bertl!“, rief ich und lief auf den “Langen“ zu. Er lächelte mir warm entgegen und hielt mir seine Hand hin, welche ich ergriff und mit festen Druck kurz schüttelte zur Begrüßung.

„Hallo Jean, Reiner hat mir eben erzählt, dass er dich vom Hörsaalboden aufgelesen hat“, neckisch grinste Bertholt zu mir runter.

„Ja, in gewisser Weise kann man das so sagen. War aber nicht so schlimm“, redete ich mich schnell aus der Affäre um nicht weiter auf dem Zwischenfall eingehen zu müssen.

Glücklicherweise fragte Bertholt auch nicht weiter nach. Reiner stand nur breitgrinsend, schweigend vor uns.

„Und hey, sag mal-was geben sie dir eigentlich ins Futter? Du wirst ja immer größer“, verwundert maß ich den Abstand unserer Kopfe zueinander und merkte sichtlich, wie peinlich berührt Berthold den Blick senkte und leicht hin und her wankte. Es war ungelogen, der Lange mit den dunkelbraunen Haaren stach mit seinen 1,92m zwischen den Anderen hier Anwesenden heraus. Und auch wenn der goldblonde Kraftprotz Reiner dagegen mit seinen 1,85m eher klein neben Bertholt wirkte, so machte er mit seiner stämmigen Figur alles wieder wett.

Nicht grundlos wurde er “Das Tier“ genannt.

So hatte ich das Gefühl zwischen den beiden unter zu gehen mit meinen 1,75m. Doch ich war und bin noch heute davon überzeugt, dass ich mit anderen Qualitäten bei den beiden heraussteche.

Reiner schnappte sich Berthold in den Schwitzkasten und wuschelte ihm durchs Haar, grinste dabei breit und sagte in meine Richtung: „Ganz recht! Und deswegen habe ich ihm auch geraten sich unbedingt ins Basketballteam einzuschreiben“. Der Lange fing sogleich an leise zu murren und versuchte sich etwas unbeholfen aus Reiners Griff zu lösen.

„Argh-Reiner, lass los“, zischte er auffordernd mit leicht genervtem Unterton und mit einem Mal wurde er wieder frei gelassen. Während er sich das Haar zurecht strich, teilte ich den beiden mit, dass auch ich im Basketballteam eingeschrieben sei.

Der Dunkelhaarige lächelte mir Glücklich entgegen. Reiner jedoch schnaufte etwas grummelig aus: „Soll das heißen ihr beide seid in einem Kurs ohne mich? Wo bleibt denn da der Spaß?“, fragte er gespielt schmollend.

Ich klopfte ihm tröstend auf den muskulösen Oberarm.

„Nicht weinen Reiner, dafür habe ich mich mit in den Debattierklub eingeschrieben. Ich kann euch beide doch nicht alleine lassen!“, grinste ich breit und bekam als Antwort einen leichten Box gegen den Oberarm.

Ihr könnt euch nicht vorstellen wie sehr ich diese Neckereien zwischen uns dreien genossen habe.

Leider wurden sie in diesem Moment von meinem lauten Magenknurren unterbrochen. Beide sahen mich belustigt an, ich hielt mir den Bauch. Da fiel mir wieder ein, dass ich in meiner Eile an jenem Morgen vergessen hatte mir was zum spachteln einzupacken.

Ein für mich typischer Bettelblick fiel zu Berthold, welcher diesen nur allzu gut kannte. Er seufzte und verdrehte kaum merklich die Augen: „Es tut mir leid Jean aber ich habe nichts mehr“, dann richtete sich ein vorwurfsvoller Blick auf den Blonden.

Reiner verzog sogleich betroffen den Gesichtsausdruck: „Was denn? Ich hatte halt Hunger!“, verteidigte er sich und zuckte unschuldig mit einem unbekümmerten Grinsen im Gesicht mit den Schultern.

Das half mir natürlich in dieser Situation nicht sonderlich weiter. Schnaufend stemmte ich meine Hände in die Hüfte und grübelte nach einer Lösung für mein Hungerproblem.

„Jean, hör mal. Ich glaube eine Etage tiefer ist der Kiosk. Der sollte schon geöffnet haben, aber beeile dich besser, sonst kommst du wieder zu spät und das wollen wir doch nicht, oder?“, höre ich den Blonden sarkastisch necken.

„Haha, pass besser auf! Ich bin schneller zurück im Unterricht, als du mit Denken anfängst“, noch dazu verpasste ich ihm wieder einen Box gegen den Oberarm.

Ein gespieltes: „Aua“, ertönt von Reiner, eh er sich über den Oberarm streichelt mit seiner rechten Hand. „Wenn ich denken soll, brauch ich Nervennahrung! Also bring mir was mit“, rief er mir noch nach eh er sich den “Langen“ wieder in den Schwitzkasten nahm und so in Richtung Hörsaal ging.

In der Entfernung vernahm ich noch Reiners neckischen Tonfall, wie er zu Bertholt sprach: „Los, komm du Streber! Auf in den Unterricht!“.

Schmunzelnd lief ich die Treppen runter und suchte den Kiosk auf. Als ich diesen fand, zögerte ich keinen weiteren Moment und kramte durch meine Taschen nach Kleingeld, während ich mir das Angebot durchsah.

„Kaufst du auch was, oder guckst du nur?“, zischte mir dann die kleine, alte Verkäuferin hinter der Theke zu. Ihre Haare waren Grau und ihr Gesicht verwittert. Ihre vielen Warzen an Kinn und linken Augenlied zogen meinen Blick magisch an. Angewidert verzog ich die Miene.

„Hey du, willst du noch lange da rumstehen und blöd glotzen, oder kaufst du auch endlich ma was?“, krächzte die Dame erneut mir entgegen. Meine gute Laune schlug sofort um.

„Oh, entschuldigen Sie bitte, ich war verwirrt- ich dachte Trolle leben nur unter Brücken!?“,patzte ich Ihr respektlos entgegen. Für einen kurzen Augenblick war es still zwischen uns beiden.

Dann zogen sich Ihre Mundwinkel leicht nach oben.

„Ha, ein Witzbold. Hast wohl heute früh ein Clown gefrühstückt, was?“, ihre Stimme klang überraschend gelassen. Es verwunderte mich ein wenig, doch ließ ich mir das nicht anmerken.

Ebenso schlagfertig wie Sie, antwortete ich mit: „Nein, ich habe noch gar nichts gefrühstückt. Warum bin ich denn wohl hier?“, fragte ich ironisch und Ihr leichtes Lächeln verblasste wieder.

„Weils warm und trocken ist?!“, antwortete Sie mir ebenso ironisch.

Ich konnte nicht fassen was für ein unverschämtes Weibsbild ich da vor mit hatte. //Wie konnte man diese Gestalt nur hinter eine Theke lassen//, dachte ich damals.

„Sicher nicht wegen der “schönen“ Aussicht“, meinte ich dann.

„Früchtchen, ich werde hier nicht gerade jünger. Kauf nun was, oder zieh Leine“, zetert Sie und wendet ihren Blick genervt von mir ab.

„Ich nehme ein Putenbrustsandwich, bitte“, knurrte ich beherrscht freundlich und wartete auf Ihre Reaktion.

„Haben wa‘ nicht.“

„Oh, gut, dann nehme ich ein Salamisandwich“

„Haben wa’ nicht.“

„Käsebrötchen?“

„Haben wa‘ nicht.“

„Was habt ihr denn?“, meine Geduld neigte sich dem Ende zu. Meine Hände bebten leicht vor aufkommender Wut.

Die alte Schachtel schmatzt etwas vor sich hin.

„Salat!“, grinste sie sicher und lehnte sich mit ihrem kurzen Oberkörper auf die Kasse.

„Mit Putenbrust?“

„Haben wa‘ nicht.“

„Mit Tomaten und Gurken?“

„Haben wa‘ nicht.“

Ich schnaufte drohend aus und lehne mich über die Theke und begutachtete alles genau. Da erblickte ich ein ganzes Tablett mit belegten Sandwiches.

„Und was ist das da?“, ich zeigte über die Theke deutlich auf das gewollte Produkt.

„Das ist ein Putenbrustsandwich“, erklärte sie mir langsam und übertrieben deutlich betont.

Ich sah sie zornig an, konnte für diesen Augenblick nicht die Zähne auseinander machen.

„Willst du das?“, fragte sie überrascht und griff nach dem Sandwich.

„Ja…sehr gern“, knirschte ich zwischen meinen Zähnen hervor und schob ihr noch ein paar Schokoriegel über die Theke.

„Das macht dann 4,95€, Früchtchen“, ihre verschrumpelte Hand erschien über der Kasse, legte Sandwich mit den gewünschten Riegel vor mir ab und hielt sie dann offen für den gewünschten Betrag.

Wiederwillig drücke ich Ihr 5€ in einzelnen Eurostücken in die Hand. „Passt so, der Rest ist für Sie- doch geben sie nicht alles auf einmal aus“, geschwind schnappte ich mir bei dieser Ansage mein Essen und rannte wieder rauf zum Hörsaal.

Dort angekommen, merkte ich schnell, dass die meisten Plätze bereits belegt waren.

//So ein Mist//, dachte ich mir damals wütend und suchte nach einem passenden freien Platz. Möglichst nicht neben Tussis oder so genannte Nerds oder Punks.

Vielleicht war ich zu dem Zeitpunkt wirklich etwas zu sehr darauf bedacht, was andere von mir denken würden, doch genau diese Denkweise brachte mich an den freien Platz neben Marco.

Erst fand ich den Langen zwischen den anderen Schülern wieder, Er saß mit Reiner im unteren Teil recht nah an der Treppe. Zu Bertholds Rechten der Blonde und zu seiner Linken zwei recht nett wirkende Mädchen. Zu Reiners Rechten saßen einige Hänflinge.

Ich warf dem Langen zwei Riegel gegen den Kopf, woraufhin dieser sich scheinbar schmerzlich die getroffene Stelle rieb und im Raum herum sah.

Wie ein Wachhund, suchte auch Reiner gleich nach dem Schuldigen der seinen besten Freund abgeworfen hatte.

„Hey! Ihr Kameradenschweine! Hättet mir ruhig einen Platz frei lassen können“, schnauzte ich immer noch gereizt von mir und Reiner sahen mich amüsiert an.

Er legte einen Arm kurz um den Langen und sah entschuldigend zu mir rüber.

„Schuldige Jean, aber Berthold wollte unbedingt in Gesellschaft von einigen süßen Mädchen sein“, grinste er frech und zwinkerte den Damen zu, welche sich natürlich sogleich angesprochen fühlten.

Sie kicherten verlegen und Berthold versteckte sein Gesicht vor aufkommender Scham in seinen Händen.

Ich verzog nur den Mundwinkel und setzte einen ungläubigen Blick auf. //Natürlich, Bertholt und Mädchen- klasse Ausrede//, dachte ich mir und ging ohne ein weiteres Wort dazu zu verlieren weiter auf die Suche.

Auf der linken Saalhälfte, nur eine Reihe versetzt, war noch ein Platz frei. Ich konnte den Typen, welcher da neben mir sitzen würde, nicht genau erkennen, doch machte er auf mich einen normalen Eindruck. Keine auffällige Kleidung oder Verhalten. Er saß ruhig an seinem Platz und schrieb in seinen Unterlagen.

//Ein Normalo, genau das Richtige!//, freute ich mich gedanklich und lief auf ihn zu. Schon bevor ich in das Gesicht des Fremden sehen konnte begann ich meinen Satz: „Hey du, darf ich mich vielleicht neben dich….“, zum Ende hin wurde meine Stimme immer leiser. Ich stand nun direkt vor der Bank und konnte dem Fremden ins Gesicht schauen. Es war der Junge, den ich an jenem Morgen schon um gerempelt hatte.

„-setzen?“, beendete der Junge für mich meinen Satz. Er lächelte sanft und seine Augen sahen mich fragend an.

„Ähm, also ich….ähh“, kam es nur stotternd aus meinem Mund und mein Gegenüber fing leise das kichern an.

„Drückst du dich immer so klar aus?“, fragte er mich, nicht etwa sarkastisch oder verhöhnend, nein! Irgendwie fast schon liebevoll. Es verwirrte mich nur noch mehr.

„Ja!“, platzte es erst aus mir raus doch im selben Moment schüttelte ich den Kopf über meine Aussage und verbesserte mich direkt.

„Ich meine nein (…). Darf ich denn nun neben dir sitzen?“, ich hatte mich wieder gefasst und den direkten Blickkontakt lösen können.

Mein gegenüber schob seine Bücher etwas zur Seite.

„Natürlich“, antwortete er und deutete mit seiner rechten Hand auf den freien Platz.

In null Komma Nichts saß ich auf dem Stuhl und atmete schwer aus. //na endlich//, dachte ich mir und biss ersehnt in mein Sandwich.

Der Dozent war zum Glück noch nicht eingetroffen.

Während ich an meinem Frühstück rum kaute, nutzte ich die Gelegenheit den Jungen neben mir etwas genauer zu mustern. Zumindest so gut es gerade aus dem Augenwinkel ging. Ich bemerkte, dass der Junge Sommersprossen im Gesicht trug. Sie verliefen über seine Wangen und vereinzelnd über seine Nase. Einige größer als die anderen. Im Profil hatte er eine kleine Stupsnase und für einen Jungen recht ungewöhnlich lange Wimpern. Seine Haare wirkten dunkel- schwarz um genau zu sein.

Meine Augen wanderten etwas tiefer…

„Stifte raus!“, schallte es im Saal nieder und ich zucke komplett überrascht zusammen. Meine Augen richteten sich wieder nach vorne und erblickten den Dozenten, wie er hastig seine Unterlagen aus seiner Tasche wühlte.

Alles im Raum wurde still und nur das herumkramen der Hände in den Taschen war zu hören.

Ich faltete mein Sandwichrest wieder ein und verstaute es in meinem Rucksack. Dann begab ich mich auf die Suche nach einem Blog und Stift. Der Collageblock war schnell gefunden doch was den Stift anging- nichts.

Ich fing an leise auf Französisch zu fluchen, kramte wie ein Wilder in meiner Tasche und musste wohl damit leben, dass ich bei der Eile nicht an mein Etui gedacht hatte.

Genervt strecke ich den Kopf in den Nacken. //Na prima!//, dachte ich mir und schloss einen Moment die Augen. Da lausche ich dem erneuten kramen meines Nebenmannes in seinem Etui. Ich blinzelte auf und vor meinen Büchern lag ein Kugelschreiber.

Verwirrt sah ich zum Stift und dann wieder zu seinem Besitzer.

„Danke“, wispere ich ihm zu und stelle meinen Rucksack zwischen meinen Beinen runter auf den Boden. Dann griff ich nach dem Stift und schlage mein Collageblog auf.

„Nicht dafür“, wisperte er mir als Antwort zurück.

Einige Minuten lang hörten wir beide aufmerksam dem Dozenten zu, doch sehr schnell verging mir die Lust daran. Das Gerede von den verschiedenen Kursen, der Klausuren und Hausarbeiten ließ mein Gehirn schnell abschalten.

Dann ertönte von dem Jungen neben mir eine leise frage: „Bist du Franzose?“

„Hm, ja warum?“, verwundert über diese Frage, wende ich mein Gesicht zu dem Anderen.

„Wegen deines Akzents. Du hattest auf Französisch geflucht“, erklärte der Dunkelhaarige mir und sah dabei zu mir auf ins Gesicht. Ich starrte ihn eine Weile Wortlos an. Er hatte Rehbraune, große Augen, und leichte Pausbäckchen, welche die eben genannten Sommersprossen trugen.

„Hm“, kam es von mir und eh ich weiter ansetzten konnte zum Reden, hallte die laute Stimme des Dozenten durch den Saal.

„Wenn die Damen sich unterhalten wollen, so tun Sie dies bitte auf dem Flur. In meinem Unterricht haben Sie zuzuhören“, schimpfte er und starrte direkt zu uns hoch.

Wie peinlich mir das doch war. Schnell drehte ich den Kopf wieder weg von meinem Sitznachbarn und konzentrierte mich wieder auf das Gefasel des Dozenten.

Der Unterricht verlief schweigend weiter, bis am Ende der Dozent uns entließ. Als der Junge mit den Sommersprossen seine Sachen zusammen packte, hielt ich ihm seinen Stift entgegen.

„Hier, vergiss den nicht“, erinnerte ich ihn.

Doch er machte eine ablehnende Handbewegung und sagte: „für die nächste Stunde brauchst du ihn sicher auch, behalte ihn lieber“

„Danke- ähm…“, ich stockte mit meiner Stimme. Ich wusste nicht mal wie er hieß.

„Marco“, half er mir auf die Sprünge und lächelte wieder warm und freundlich. Ich wiederholte meinen Dank noch mal richtig.

„Danke Marco“, und im Anschluss ein leises: „ich heiße Jean“.

Er ging an mir vorbei, drehte sich noch mal zu mir rum und meinte: „das ist ein schöner Name“, eh er die Treppen rauf lief und aus dem Saal verschwand. Ich sah ihm noch mit verwirrten Blick hinterher.

// Ihm gefällt mein Name?//, meine Gedanken jagten sich im Kreis.

Ich war so in Gedanken, dass Ich Reiner gar nicht bemerkte, wie er zu mir kam und rief: „Am ersten Tag schon ermahnt?! Mensch, was für eine Leistung!“, er klopfte mir lobend auf den Rücken, merkte aber schnell, dass von mir keine Reaktion kam. Er verfolgte meinen Blick die Treppen rauf und erhaschte noch kurz die Kehrseite des Sommersprossigen. Sein breites Grinsen sah ich nicht, vernahm nur seine tiefe Stimme direkt an meinem Ohr: „Ah, verstehe-das andere Ufer. Wenn du willst, zeige ich dir gerne bei Gelegenheit ein paar nette Dinge“, er lachte laut auf, als ich anfing mich überschwänglich aufzuregen.

„Du spinnst doch! Und ganz nebenbei bemerkt, wenn ich mir solche Infos holen wollen würde, dann eher von Bertl als von dir!“, schnauzte ich ihn an und packte meine Tasche zusammen, den Stift sicher verstaut.

Bertholt, der etwas abseits auf der Treppe zu uns stand lief kaum merklich rot an.

„Was soll das denn bitte heißen? Warum denn von mir?!“, protestierte er in einem leicht bebenden Tonfall und er wandte den Blick von uns beiden ab.

Seine Körperhaltung spannte sich an und er krallte seine Hände fester um seinen Rucksack.

Reiner grinste schief und verschränkte die Arme vor der Brust.

Ihm war wohl diese plötzliche Stimmungsschwankung seines Freundes nicht entgangen.

„Mach dir nichts draus Birdy, das war doch nur ein Scherz“, lachte Reiner und ging an mir und Bertholt vorbei. Wir folgten ihm sogleich.

„Ich habe dir schon X Mal gesagt, du sollst mich nicht so nennen!“, nörgelt der Lange dem Blonden hinterher und reibt sich wieder peinlich berührt über den rechten Oberarm. Das war eine typische Reaktion von Bertholt wenn Reiner ihn neckte. Tröstend klopfte ich ihm auf den Rücken beim Treppen steigen: „Keine sorge Bertl, das war wirklich nur ein Witz“.

Ich verstand nicht Warum Bertholt so empfindlich reagierte, wollte dies aber auch nicht erfragen. Ich hakte es damit ab, dass der Lange es einfach in den falschen Hals bekommen hatte.

Nach der kleinen Pause fanden wir uns alle zur dritten, und somit letzten Stunde für heute, im Hörsaal wieder ein.

Mit den beiden Jungs machte ich ein Treffen für den heutigen Abend klar, eh ich mich wieder neben Marco auf den freien Platz setze.

„Hey“, begrüßte er mich freundlich und packte seine Schreibsachen wieder aus.

„Hey...“, kam es dann knapp von mir und ich suchte ebenso meine Unterlagen raus. Schweigend verbrachten wir nebeneinander bis das Klingen der Schulglocke uns erlöste.

„Hier, dein Stift. Danke noch Mal“, bedankte ich mich bei Marco und dieses Mal wurde der Stift auch zurück genommen.

„Gern geschehen. Du kannst dich ja vielleicht irgendwann dafür revanchieren, wenn du willst“, und mit diesen Worten ließ er mich schon wieder zurück, verwirrt an meinem Platz.
 

Das war meine erste Begegnung mit Marco.



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