Ein seltsames Paar
Der Schiedsrichter pfiff das Spiel an und das wilde Getümmel begann. Tai passte den Ball zu Davis, der Richtung Tor stürmte.
Mimi saß auf der Tribüne mit den anderen und verfolgte nur halbherzig das Spiel.
Eigentlich war sie nur hier, weil Tai sie regelrecht dazu überredet hatte.
Neben ihr saß Sora, die sich die Woche ihr gegenüber wieder relativ normal verhielt.
Jedenfalls schien es so.
Mimi musterte sie von der Seite und sah mit welcher Begeisterung sie das Spiel verfolgte. Früher hatte sie mit Tai zusammen in einer Mannschaft gespielt, doch seit sie im Tennisverein war, war Fußball für sie nebensächlich geworden.
Ihr Blick wanderte und fixierte Izzy, der neben Sora saß und sich sicher ebenfalls fragte, was er hier sollte. Gelangweilt hatte er den Kopf auf seinen Handflächen abgestützt und stierte Richtung Spielfeld.
Auch Mimi wirkte äußerst lustlos, da sie auch nach mehrfachem erklären von Sora, die Spielregeln immer noch nicht verstand.
Abseits. Fünfmeterraum. Strafraum.
Wer hatte nur so viele Begriffe für so ein dämliches Spiel erfunden? Da rannten zweiundzwanzig Kerle einem dämlichen Ball hinterher und versuchten sich ihn gegenseitig wieder abzunehmen.
Wo war da nur der Sinn?
„Man, das war doch Abseits“, fluchte eine Person neben ihr und deutete auf das Geschehen.
Mimi schüttelte nur den Kopf. Wie konnte man sich darüber nur aufregen?
Sie blickte wieder zu Izzy, der vor sich hindöste, aber von Yoleis greller Stimme jedes Mal aufs Neue aus seiner Erholungsphase gerissen wurde.
Mimi beobachtete sie genau. Sie war mit Ken hier, der seinen besten Freund heute unbedingt beim Spiel unterstützten wollte. Ihr entging jedoch nicht, dass beide unauffällige Blicke untereinander tauschten und sich verliebt anlächelten.
Von Kari wusste sie, dass beide schon öfters miteinander ausgegangen waren und wahrscheinlich nicht mehr viel fehlte, bis sie sich offiziell als Paar outeten.
Sie schnaubte kurz und blickte zu Tai, der sich auffällig durch die Haare fuhr und einige Teamkammeraden dirigierte.
Er würde wohl in hundert Jahren nicht merken, dass sie ihn mochte. Mehr als sie jemals zugeben würde. Vielleicht war sie in diesem Punkt einfach zu stur. Sie wollte sich nicht die Blöße geben, da sie Angst hatte, dass er sie zurückweisen könnte.
Doch würde sie nichts machen, würde erst recht gar nichts passieren. Sie würde in dieser nervigen Situation ewig feststecken, wenn sie nicht endlich mal mehr Initiative zeigen würde.
Doch was sollte sie nur tun? Ihm um den Hals fallen?
Das war sicher keine gute Idee, aber etwas anderes fiel ihr beim besten Willen nicht ein.
Sie hatte ihm einen Kuchen gebacken, für den sie wirklich mehrere Stunden gebraucht hatte, doch gemerkt hatte er rein gar nichts.
Das einfachste war wirklich, ihm ihre Gefühle zu beichten, auch wenn sie Gefahr lief, zurückgewiesen zu werden.
Plötzlich bemerkte sie, wie ihr Handy in ihrer Hosentasche vibrierte. Sie holte des hervor und stöhnte leise, als sie erkannte, wer ihr eine Nachricht geschickt hatte.
Ich würde gerne nochmal mit dir reden. In Ruhe. – Noriko
Mimi schüttelte nur den Kopf und löschte die Nachricht sofort wieder. Danach verstaute sie ihr Handy wieder in ihrer Hosentasche und blickte mürrisch zum Fußballfeld.
Sie presste die Lippen aufeinander und fragte sich, wann sie endlich locker lassen würde.
Ihr Gespräch war knapp drei Tage her und so sehr sie es auch versuchte zu verdrängen, klappte es einfach nicht.
Besonders weil sie ihr seither unzählige SMS geschrieben hatte. Wahrscheinlich war sie doch eine irre Stalkerin, die einfach neidisch auf sie und ihre Familie war.
Doch wer war so krank und dachte sich so eine Geschichte aus? Mimi konnte sich keinen Reim darauf bilden.
Deswegen hatte sie ihr auch nicht zurückgeschrieben. Sie ignorierte ihre Nachrichten, drückte meist sofort auf löschen und versuchte ihre störenden Gedanken zu verdrängen.
Schon öfter hatte sie daran gedacht mit ihren Eltern darüber zu sprechen, doch die Stimmung zu Hause war nach wie vor sehr angespannt. Mimi wollte nicht noch Öl ins Feuer kippen und wohlmöglich eine Explosion verursachen.
Sie redete sich einfach ein, dass es nie im Leben stimmen konnte, auch wenn sie sich nicht sicher war. Genau genommen wollte sie es nicht glauben.
Ihr Vater. Ein Fremdgeher, der zusätzlich noch eine uneheliche Tochter hatte? Das passte nicht zusammen.
Sie biss sich auf die Unterlippe und realisierte, dass sie eigentlich ganz froh war, etwas Ablenkung zu haben. Später wollten sie noch zusammen Pizza essen und ein paar Cocktails trinken gehen.
Doch Mimi hatte im Moment das Bedürfnis härtere Sachen zu konsumieren. Sie wollte sich einfach nur so richtig die Kante geben.
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Auch wenn sie diesmal nicht schlecht gespielt hatten, hatten sie knapp verloren. Doch die Laune war gut und ausgelassen. Einige aus der Fußballmannschaft waren mit ihnen noch in die Pizzeria gegangen und hatten sich auch angeschlossen, danach die Cocktailbar, die Tai herausgesucht hatte, ebenfalls zu besuchen.
Mimi kannte noch nicht mal all ihre Namen, doch das war ihr egal. Sie waren bereits seit einer Stunde in der Cocktailbar und Mimi hatte für ihre Verhältnisse definitiv zu viel getrunken.
Sie wusste nur noch, dass es mit einem Wodka Energie angefangen hatte. Doch nach und nach hatte sie den Überblick verloren, besonders weil die Jungs aus Tais Fußballverein, ihr einen Drink nach dem anderen ausgaben.
„Willst du nicht mal ein bisschen langsam machen?“, fragte Sora und sah sie besorgniserregend an.
Mimi, die sich bis eben noch mit wer weiß wem unterhalten hatte, seufzte laut und drehte sich zu ihrer Freundin.
„Ach komm schon Sora, es ist Wochenende!“, nörgelte sie und kicherte auffällig.
„Sag mal, ist sie etwa voll?“, hörte sie Izzy fragen, der nach seinem Alkoholabsturz lieber langsam machen wollte.
„Scheint so“, kam es von Sora und Mimi bekam aus dem Augenwinkel heraus mit, wie sie demonstrativ den Kopf über ihr Verhalten schüttelte.
Mimi verdrehte nur die Augen und widmete sich wieder ihrem Getränk, das fast leer war.
Sora war manchmal wirklich eine Spaßbremse.
Doch Mimi dachte nicht daran aufzuhören, jetzt kam sie erst recht in Fahrt.
Ihre Stimmung hob sich allmählich und sie hatte wirklich Spaß, auch wenn sie eigentlich kaum mit ihren Freunden etwas zu tun hatte.
Sora motzte und zog die Stimmung nach unten, während sich Izzy mit Ken, Yolei und Davis locker unterhielt.
Tai war vor einer Weile an die Bar verschwunden, während sich Mimi angeregt mit Toya, einem aus der Fußballmannschaft unterhielt.
Er war sogar recht süß, wenn sie ehrlich war. Doch er war eben nicht Tai.
„Und du warst wirklich in Amerika? Wie ist es da so?“, fragte er interessiert und musterte sie gespannt.
„Aufregend, aber ich habe Japan schon sehr vermisst“, gab sie zu und trank den letzten Schluck ihres Getränks aus. „Besonders meine Freunde.“
Toya nickte nur und wanderte mit seinem Blick über ihren Körper.
Auch wenn sie schon bereits sehr betrunken war, bekam sie durchaus seine lüsternen Blicke mit, die an ihrem Hintern hängen blieben und zu ihrer Brust hochwanderten.
Er rückte näher an sie heran und Mimi spürte seinen warmen Atem auf ihrer Haut.
„Hier ist es ziemlich laut, wollen wir vielleicht irgendwo hingehen, wo es leiser ist?“
Ein Grinsen zierte seine Lippen und Mimi merkte plötzlich seine Hand auf ihrem Oberschenkel.
Ihr wurde augenblicklich heiß. Doch so verzweifelt war sie wirklich nicht, auch wenn der Alkohol ihr Gehirn ganz schön vernebelte.
„Ehm“, stammelte sie und sah ihm kurz in die Augen. Danach fixierte sie ihr Glas und nahm es rasch in ihre Hand. „Ich denke, ich werde mir noch etwas zu trinken holen“, meinte sie schnell und sprang auf. Toya sah ihr mit einem verwirrten Blick hinterher, doch Mimi beachtete ihn nicht weiter.
Zielstrebig steuerte sie auf die Bar zu, die vor Menschen nur so überquoll.
Mimi versuchte sich nach vorne zu drücken, doch sie kam nicht durch.
Frustriert blieb sie am Rand stehen und tippte ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden, der leicht klebte. Sie schwang ihr langes Haar im Takt der Musik, die spielte und bemerkte gar nicht, dass sich auf einmal jemand neben sie gesellte.
„Das kannst du vergessen. Ich versuche schon seit ‘ner viertel Stunde etwas zu trinken zu bekommen“, murrte eine sehr bekannte Stimme und Mimi fuhr kurz zusammen.
„Man Tai, musst du mich so erschrecken“, maulte sie und sah ihn empört an.
„Sorry, war nicht meine Absicht“. Er grinste.
Mimi lächelte ebenfalls und starrte wieder zur Bar und den unzähligen Köpfen, die sie leicht verschwommen wahrnahm.
Einen kurzen Moment standen sie nebeneinander und schwiegen, bis Tai erneut das Wort ergriff.
„Hey, da hinten lichtet sich was“, sagte er und deutete mit ihm Kinn in die Richtung. Er griff nach ihrem Handgelenk und zog sie einfach mit sich. „Vielleicht bemerken sie uns ja, wenn du dabei bist. Ein hübsches Mädchen ignorieren sie sicher nicht“, erwiderte er lachend und Mimi wurde leicht rot um die Nase. Hübsches Mädchen? Meinte er sie damit?
Vielleicht sollte sie wirklich aufhören, seine Worte so ernst zu nehmen.
Er mochte sie, aber galt sein Lächeln auch wirklich ihr? Er hatte sie an die Hand genommen, doch nicht um zu signalisieren, dass sie zusammengehörten.
Es war alles rein platonisch. Sie waren nur gute Freunde, auch wenn sie sich mehr erhoffte.
Jetzt brauchte sie wirklich dringend etwas zu trinken.
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Sie saß ihm gegenüber. Die Musik dröhnte dumpf und in ihrem Kopf bildete sich dichter Nebel.
Vor kurzem hatten sie einen Platz direkt an der Bar ergattert. Tai hatte sie eingeladen und sie merkte bereits, dass sie mehr als nur beschwipst war.
Sie kicherte unaufhörlich und suchte unweigerlich Körperkontakt zu ihm, indem sie ganz unabsichtlich seinen Arm berührte oder sich nah zu ihm hin beugte.
So nah waren sie sich das letzte Mal an seinem Geburtstag gewesen.
Das erste Mal seit langem schenkte er ihr seine volle Aufmerksamkeit, obwohl Sora nur ein paar Meter hinter ihnen saß.
Mimi drehte sich kurz zu ihr hin und bemerkte, wie ihre beste Freundin beide stirnrunzelnd musterte, aber von Izzy wieder relativ schnell in ein Gespräch verwickelt wurde.
Tais Fußballkollegen schienen bereits gegangen zu sein, da Mimi keinen mehr von ihnen an ihrem Tisch sitzen sah. Auch Yolei, Ken und Davis waren verschwunden.
Doch das interessierte Mimi nicht wirklich. Sie drehte sich wieder herum und sah zu Tai, der frech grinsend bereits den nächsten Shot bestellt hatte.
„Was ist es diesmal?“, fragte sie leicht lallend und sah zu dem kleinen Glas, das eine rote Flüssigkeit beinhaltete.
„Keine Ahnung, der Barkeeper meinte, es sei eine Überraschung“, antwortete er nur und hob das Glas.
Mimi lächelte nur verhalten und hob es ebenfalls.
„Auf uns“, sagte Taichi und stieß mit ihr an. Danach schluckte sie das Teufelszeug einfach hinunter.
Es brannte leicht in ihrer Kehle und schmeckte etwas nach Erdbeeren.
Sie verzog das Gesicht und stellte das Shotglas wieder auf die Theke.
„Man, das war echt übel“, jammerte sie und merkte immer noch den beißenden Geschmack auf ihrer Zunge.
„Ach komm, stell‘ dich nicht so an Prinzessin“, erwiderte Tai und kam ihr wieder näher. Er sah kurz zu den anderen, grinste und fixierte sie wieder mit seinem Blick.
„Du siehst heute wirklich toll aus“, meinte er plötzlich. Mimi sah automatisch an sich herunter und lief etwas rot um die Nase an. Sie trug eine schwarze enge Jeans und ein geblümtes Top, dass etwas Ausschnitt zeigte. Dazu trug sie eine filigrane Silberkette mit einem Stern als Anhänger.
Weniger war manchmal wirklich mehr.
„D-Danke“, stotterte sie und biss sich verlegen auf die Unterlippe.
Er hatte ihr ein Kompliment gemacht. Ihr! Sie lächelte leicht und konnte nicht mehr verbergen, dass sie seine Worte sehr freuten.
Auch er schien ihre Reaktion richtig interpretiert zu haben, da er noch näher an sie herangerutscht war und seine Hand ihren Oberschenkel sanft entlang fuhr.
Sein Grinsen wurde breiter und Mimi spürte auf einmal sein Atmen an ihrem linken Ohr. Ihr Herz beschleunigte das Tempo und sie bekam eine leichte Gänsehaut.
„Ich mag dich wirklich gern“, hauchte er ihr zu und ihre Nackenhärchen stellten sich auf. Sie sah ihm kurz in die Augen, wandte jedoch ihr Gesicht von ihm, da sie merkte wie heiß ihr auf einmal wurde.
Ihre Gefühle spielten verrückt. Sie hatten den unglaublichen Drang ihn küssen zu wollen, besonders wenn sie weiter in seine schokobraunen Augen schaute, in denen sie sich allmählich immer mehr verlor.
Auf einmal spürte sie seine Hand an ihrem Gesicht, die sie dazu veranlasste ihn wieder anzusehen.
Für einen Moment sahen sich beide wortlos an. Ihr stockte der Atem und sie hatte Angst vor Anspannung regelrecht zu ersticken.
Ihre Lippen begannen zu beben und ihr Herz wollte ihr am liebsten aus der Brust springen. Noch immer merkte sie seine andere Hand an ihrem Oberschenkel. Wohlige Schauer breiteten sich aus und sie spürte ein deutliches Kribbeln, dass sie wahnsinnig werden ließ.
Dann legte er seine Lippen auf ihre und Mimi drohte den Verstand zu verlieren.
Was machte er nur?
Er küsste sie. Einfach so.
Etwas, was sie sich nie getraut hätte.
Glückgefühle machten sich in ihr breit und sie schlang ihre Arme um seinen Nacken. Er intensivierte daraufhin den Kuss und drückte sie noch näher an sich.
Sie spürte wie sich seine Zunge vortastete und über ihre Lippen leckte. Sie öffnete den Mund und ließ ihn gewähren.
Das Kribbeln wurde immer schlimmer, besonders nachdem ihre Zungen aufeinander trafen und wild miteinander kämpften.
Sie blinzelte ein wenig, als sie erkannte, dass er seine Augen immer noch geöffnet hatte. Er huschte schnell hin und her, als er etwas von ihr abließ und sie bedachter küsste.
Sanft berührten sich ihre Lippen, als er sich auch voll und ganz ihren Küssen hingab und die Augen schloss.
Er legte seine Hand in ihren Nacken und zog sie noch dichter heran, während er mit der anderen Hand hoch zu ihrer Taille wanderte. Sie atmete immer schwerfälliger und keuchte kurz zwischen den einzelnen Küssen, die immer intensiver zu werden schienen.
Damit hatte sie wirklich nicht gerechnet. Vielleicht wollte das Universum irgendetwas bei ihr gut machen und ihr zeigen, dass Liebe wohl auch in einer stickigen, klebrigen Bar entstehen konnte.
Sie fühlte sich wie auf Wolken. Für sie hätte dieser Moment ruhig ewig dauern können.
Doch plötzlich spürte sie wie jemand sie ruppig zurückriss und den Kuss mit ihm einfach beendete.
Es war Sora, die Tai böse anfunkelte.
„Was soll das denn?“, fragte sie und hielt Mimis Arm immer noch festumklammert. „Du nutzt doch jetzt nicht im Ernst Mimis betrunkenen Zustand für deine Zwecke aus! Ich fass‘ es nicht.“
„Ich weiß gar nicht was du meinst“, meinte er unschuldig und zuckte gleichgültig mit den Schultern.
„Du weißt genau was ich meine“, unterstellte Sora ihm und versuchte ihn mit ihrem Blick praktisch zu töten.
Mimi verstand unterdessen nur Bahnhof und legte den Kopf schief. Wütend presste sie die Lippen aufeinander und verfluchte Sora innerlich dafür, sie gestört zu haben.
„Wir gehen jetzt nach Hause“, bestimmte sie und zog Mimi vom Barhocker.
Sie strauchelte leicht und schlug mit ihrem Arm wild umher, bis sie wieder zum Stehen kam.
„Aber ich will noch nicht gehen“, nuschelte sie und riss sich los.
„Doch wir gehen jetzt! Mit ihm lasse ich dich keine fünf Minuten mehr alleine!“, grummelte sie wütend und sah Tai mit einem vielsagenden Blick an.
Tai schüttelte nur den Kopf und ein breites Grinsen zeichnete sich auf seinen Lippen ab.
„Ich weiß gar nicht was du hast? Wir haben doch nur geknutscht“, stellte er fest und sah zu Mimi, die das „nur“ mehr verletzte, als sie zugeben wollte. Nur geknutscht? Hatte er nicht zuvor gesagt, dass er sie mochte?
„Du bist wirklich ein Idiot! Warum knutschst du mit ihr und siehst mich dabei an?“, fragte sie patzig und Mimis Augen weiteten sich.
Er hatte Sora angesehen, als er sie geküsst hatte? Aber er hatte doch auch seine Augen geschlossen, oder hatte sie es sich nur eingebildet?
„Ach man Sora, ich habe wirklich keine Lust darüber zu diskutieren! Du gehst mir doch aus dem Weg und ich glaube nicht, dass du das Recht dazu hast, mir zu sagen, wen ich küssen darf und wen nicht“, unterstellte er ihr und wandte sich von ihr ab.
„Tai…“, murrte sie bedrohlich, doch er reagierte nicht.
Mimi fühlte sich auf einmal zwischen den Stühlen gefangen und wollte am liebsten nur noch verschwinden. In was war sie nun schon wieder reingeraten?
Auf einmal sprang Tai von dem Hocker auf und trat an Sora heran.
„Vielleicht solltest du dir lieber mal Gedanken machen, warum dich das hier so gestört hat“, raunte er und ging an ihr vorbei, während er Mimi einen seltsamen Blick schenkte, den sie nicht deuten konnte.
Sora klappte der Mund auf, als sie wieder nach Mimis Arm griff und sie festhielt. Mimi spürte, wie sich ihre Fingernägel schmerzhaft in ihre Haut bohrten.
Doch Mimi hatte ihre ganze Aufmerksamkeit auf Tai gerichtet, der in Richtung Toiletten verschwand. Ein letztes Mal drehte er sich zu ihnen um, sodass sich ihre Blicke unweigerlich trafen, als er den Kopf schüttelnd senkte und die Tür der Herrentoilette aufdrückte.
„Wir gehen jetzt!“, beschloss Sora ohne weiteres. Mimi nickte nur beiläufig und folgte ihr verwirrt zum Ausgang.
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Schweigsam gingen die beiden Mädchen nebeneinander her. Seit sie die Bar verlassen hatten, redeten beide kein Wort miteinander.
Mimi verfluchte sich insgeheim dafür, heute bei Sora zu übernachten. Doch eigentlich machte sie das immer, wenn sie am Wochenende weggingen.
Sie musste dringend mit ihr reden, das Schweigen machte sie wahnsinnig.
Urplötzlich hatte sie auch das Gefühl wieder recht nüchtern zu sein. Dennoch schlug ihr die Sache mit Tai gewaltig auf den Magen.
Er küsste sie und schaute dabei Sora an? Wer machte nur sowas?
Und wie sieht es vermutet hatte, schien etwas zwischen den beiden vorgefallen zu sein. Sie wusste nur noch nicht was.
Mimi schluckte ihre Bedenken und Ängste alle auf einmal hinunter und kräuselte die Lippen.
Zuerst hatte sie Angst, dass sie keinen Ton herausbekommen würde, doch dann hörte sie ihre eigene Stimme und erschrak sich leicht.
„Was ist zwischen dir und Tai vorgefallen?“, platzte aus ihr hervor. Eigentlich wollte sie die ganze Sache anders anfangen, doch irgendwie war sie eine Person, die gleich mit der Tür ins Haus fiel.
Sora schnaubte nur und vergrub ihre Hände tief in ihrer Jackentasche, bevor sie antwortete.
„Zu viel“, murmelte sie und wirkte traurig.
Mimi berührte leicht ihren Arm und blieb stehen. „Was ist passiert?“
Sie merkte wie sich ihr Herz schmerzhaft zusammen zog, denn Soras Blick verriet ihr mehr, als sie eigentlich wissen wollte. Hatte sie sich etwa in ihn verliebt? Doch was war mit Matt?
Sie waren doch schon so gut wie ein Paar.
„Er hat mich geküsst“, hauchte so kaum hörbar, aber laut genug, dass Mimi alles verstehen konnte.
In ihr zerbrach in diesem Moment etwas. Hatte er sie etwa nur ausgenutzt, um Sora eifersüchtig zu machen?
„Wann?“, fragte sie mit zitternder Stimme und rang mit ihrer Fassung. Sie durfte auf gar keinem Fall weinen, ansonsten würde Sora sie sofort durchschauen.
Sie biss die Zähne fest aufeinander und lauschte ihrer Geschichte.
„Als wir Matts Geburtstag gefeiert haben, hat er mich doch später nach Hause gebracht und als wir vor meiner Haustür standen, ist es passiert“, sie schnaubte und fuhr sich durch die roten Haare. „Er hat mich einfach geküsst und ihn habe ihn nicht aufgehalten.“
Schmerzlich verzog sie ihr Gesicht und wiederholte immer wieder, dass sie ein schlechter Mensch sei und sowas Matt doch nicht antun könnte.
Doch Mimi hörte all dem nur halbherzig zu.
Sie war enttäuscht und verletzt. Er hatte sie nicht geküsst, weil er sie mochte. Es war alles reine Berechnung gewesen und sie war natürlich darauf hereingefallen.
Nur weil sie in ihn verliebt war. Doch jetzt wusste sie, dass er jemand anderen wollte.
Und dieser jemand war tatsächlich ihre beste Freundin.
All ihre schlimmsten Befürchtungen hatten sich bestätigt. Sie war in jemanden verliebt, der sie nicht haben wollte.
Ihre Oberlippe begann zu zittern und Tränen stiegen ihr in die Augen.
So hatte sie sich diesen Abend sicher nicht vorgestellt gehabt.