Karaoke für Anfänger
„Und kommst du heute auch Abend mit?“, fragte Kari interessiert und trank einen kräftigen Schluck ihres Wassers.
Mimi hatte sich neben sie gesetzt und fuhr sich mit ihrem Arm über ihre schweißnasse Stirn.
Heute fand Mimi das Tanztraining besonders anstrengend und Frau Kuramas Laune war unerträglich.
Sie war froh, dass sie fünfzehn Minuten Pause hatten.
„Ja klar, du auch?“
Kari nickte und lächelte leicht vor sich hin. „Später übernachte ich bei TK. Tai war ganz und gar nicht begeistert, aber ich konnte Mama auf meine Seite ziehen.“
„Ach echt? Bleib‘ aber ja anständig“, meinte sie lachend und trank ebenfalls etwas.
Kari winkte jedoch gleich ab. „Soweit sind wird noch nicht. Wir haben schon mal darüber geredet und beschlossen noch zu warten.“
„Gute Entscheidung“, stimmte Mimi zu und reckte ihren Nacken. „Kommen Davis und die anderen auch mit? Ich habe sie irgendwie schon ‘ne halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen.“
Mimi konnte sich genau genommen gar nicht mehr daran erinnern, wann sie alle zusammen zu Mittag gegessen hatten. Davis hatte sie auch schon länger nicht mehr gesehen, geschweige denn mit ihm gesprochen. Das letzte Mal war an Tais Geburtstag gewesen.
„Naja, es ist etwas kompliziert geworden“, erklärte Kari und fischte sich eine störende Strähne aus ihrem Gesicht und legte sie hinter ihr Ohr.
„Ach echt? Hab ich gar nicht mitbekommen.“
„Ja, so wie es aussieht bändeln Yolei und Ken miteinander an. Und am Freitag haben sie ein Date.“
„Wirklich?“, quietschte Mimi und grinste. „Das ist doch toll.“
Doch Karis Blick verriet ihr etwas anderes. Sie wirkte geknickt, so als würde sie etwas belasten.
„Was ist los? Stimmt was nicht?“, fragte Mimi besorgt und tätschelte ihr die Hand.
Mit einem mitleidigen Blick sah sie zu ihr und presste die Lippen aufeinander.
„Es ist wegen Davis.“
„Wegen Davis?“ Verwundert hob sie die Augenbraue und rückte etwas näher an sie heran.
„Er ist unglücklich, weil er es nicht erträgt, dass TK und ich ein Paar sind. Und jetzt auch noch die Sache mit Ken und Yolei.“
Sie fasste sich an die Stirn und ihr schlechtes Gewissen überzog ihre Mimik. Sie war angespannt und kaute leicht auf ihrer Unterlippe herum.
„Aber du kannst doch nichts dafür“, entgegnete Mimi und legte den Kopf schief. Manchmal verstand sie Kari wirklich nicht. Sie machte sich wirklich um alles und jeden Sorgen.
Obwohl. Wahrscheinlich konnte sich Mimi in Davis Situation am besten hineinfühlen. Unglücklich verliebt zu sein, war wirklich scheiße. Und eigentlich war es von Kari recht nobel, sich Gedanken um seine Gefühle zu machen. Nicht jeder dachte so wie sie.
„Ich weiß, aber er tut mir so leid. Und zu Matts Geburtstag kommt er erst gar nicht. Er hat sich generell von uns distanziert und hängt seit Neustem nur mit seinen Fußballfreunden rum“, erzählte sie leicht empört und wurde mit jedem Wort ein wenig lauter.
„Vielleicht braucht er den Abstand, um es zu akzeptieren“, platzte plötzlich aus Mimi heraus.
„Aber ich habe wirklich das Gefühl, dass wir ihn als Freund verlieren. TK meint nur, dass ich es nicht so eng sehen sollte“, jammerte sie und schüttelte nur verständnislos den Kopf.
„Kari mach dir wirklich nicht so viele Gedanken. Davis will dich sicher nicht als Freundin verlieren, aber er ist nun mal in dich verliebt und natürlich tut es ihm weh, dass du dich für TK entschieden hast“, führte sie ihr behutsam vor Augen. „Aber er wäre wirklich dumm, dich als Freundin gehen zu lassen und das wird er auch sicher nicht tun.“
„Meinst du?“, fragte sie zweifelnd.
Mimi nickte nur bestärkend und fuhr ihr über ihren Arm. „Er braucht einfach noch ein wenig Zeit. Das wird alles schon wieder, glaub mir. Freundschaft hält viel aus.“
Aber es gab wohl auch immer eine Grenze. Automatisch dachte sie an ihre Mutter und fragte sich, was passieren musste, um eine Freundschaft aufzugeben und zu sagen, man hätte sich auseinander gelebt.
Sicherlich eine Menge. Doch diese Menge lag wohl außerhalb ihres Vorstellungsbereichs.
Bei Kari und Davis hatte sie keine Zweifel, dass sie sich eines Tages wieder annähernd würden. Davis mochte sie viel zu sehr, um sie für immer gehen zu lassen. Außerdem besuchten sie auch danach noch mindestens drei Jahre lang dieselbe Oberschule.
„Okay, du hast sicher Recht“, antwortete Kari und lächelte verhalten, als plötzlich Frau Kurama vor ihre Schüler trat und genervt die Hände in die Hüpfte stemmte.
„So ihr Labbertaschen, es geht weiter! Zack, zack! Wir haben nicht ewig Zeit“, rief sie durch die beschauliche Runde.
Ein leises Stöhnen zog sich durch, doch niemand sagte etwas.
Wieder stellten sich alle auf ihre Position und warteten darauf, dass die Musik ertönte.
_
Nach dem Training war Mimi sofort nach Hause gegangen, um sich fertig zu machen. Sie duschte lieber zu Hause in Ruhe und überlegte schon, was sie anziehen wollte.
Mit nassen Haaren und im Bademantel bekleidet stand sie vor ihrem Kleiderschrank und summte eine fröhliche Melodie vor sich hin.
Sie holte eines ihrer Lieblingskleider hervor. Es war pink, hatte einen dezenten Ausschnitt und betonte hervorragend ihre Kurven.
„Das ist perfekt“, murmelte sie und warf es auf ihr Bett. Danach widmete sie sich ihren Schuhen.
Nach langem hin und her, entschied sie sich für schlichte schwarze Ballarinas, die zu ihrer schwarzen Kunstlederjacke passten.
Schnell schlürfte sie in ihre Klamotten, verabschiedete sich von ihren Eltern und machte sie auf den Weg zu Sora.
Sie brauchte keine fünfzehn Minuten und schon stand sie vor ihrer Tür. Sie klingelte einmal und wartete darauf, dass sie ihr aufmachte.
Mimi hielt in der einen Hand die Tüte mit Matts Geschenk. Bei ihm hatte sie sich nicht so viel Mühe gegeben. Sie hatte ihm einfach ein Buch über die Geschichte der Musik besorgt, ohne darüber nach zu denken, ob es ihm überhaupt gefallen würde.
Auf einmal öffnete sich die Tür und Sora strahlte sie an.
„Hallo Mimi, komm‘ rein“, begrüßte die Rothaarige sie und trat vorbei.
Mimi zog ihre Schuhe aus und folgte ihr in die Küche. Auf dem Sofa saßen bereits Izzy und Joe, die sich angeregt zu unterhalten schienen. Mimi begrüßte sie flüchtig und konzentrierte sich danach wieder auf Sora.
Ihre Mutter war heute Abend arbeiten und Sora hatte beschlossen, den Rest zum Vorglühen zu sich einzuladen.
„Und was hast du alles besorgt?“, fragte Mimi neugierig und sah zu Sora, die gerade dabei war den Kuchen anzuschneiden.
„Nur den Kuchen. Meinte Mutter konnte ich leider nicht überzeugen, uns etwas Prickelndes zu besorgen“, meinte Sora zähneknirschend.
Mimi schnaubte leise und stellte Matts Geschenk auf den Thesen. Hätte sie das gewusst, hätte sie etwas aus der Hausbar ihrer Eltern mitgenommen. Bemerkt hätten sie es sicher nicht.
„Schade das Yolei nicht kommt. Ihre Eltern haben wenigstens immer den Sekt spendiert“, meinte Mimi und verfluchte sie insgeheim dafür, ausgerechnet heute ein Date mit Ken zu haben.
„Ach das macht doch nichts. In der Karaoke Bar achtet doch niemand auf unseren Ausweis. Wir essen hier einfach Kuchen und gehen dann später zur Bar“, erwiderte Sora und trug den Kuchen zum Tisch.
Mimi nickte nur und gesellte sich zu Joe und Izzy auf die Couch.
Die drei unterhielten sich über Banalitäten, während Sora wie ein aufgescheuchtes Huhn durch die Wohnung eilte und die restlichen Gläser und Bestecke auf den Tisch legte.
Mimi unterhielt sich angeregt mit Joe, der ihr gerade von seinem Medizinstudium erzählte, als es plötzlich wieder klingelte.
Izzy war aufgestanden und ging zur Tür. Sora war kurzzeitig in ihr Zimmer verschwunden und kam mit einem kleinen Päckchen zurück, dass sehr wahrscheinlich Matts Geschenk war.
„Hat es gerade geklingelt?“, fragte sie und Mimi nickte nur. Sora ging in den Flur und verschwand kurz.
Kurz danach traten TK und Kari händchenhaltend in den Raum und begrüßten Mimi und Joe freundlich.
Matt, Tai, Izzy und Sora folgten einige Minuten später.
„Hallo Leute und seid ihr bereit für Party?“, fragte Tai in die kleine Runde und hielt zwei Flaschen Wodka hoch.
„Wo hast du die denn her?“, fragte Mimi stirnrunzelnd.
„Die hat er Papa aus seinem Zimmer geklaut“, flüsterte Kari ihr zu. „Wenn er das rausbekommt, wird er stinksauer.“
„Ach was“, winkte Tai ab. „Wir sind nur einmal jung und Papa trinkt das sowieso nicht.“
„Und wie sollen wir das trinken. Pur trink‘ ich das Zeug bestimmt nicht“, nörgelte Mimi und schüttelte den Kopf.
„Stell‘ dich mal nicht so an“, meinte Tai augenverdrehend. „Wir haben auch noch Orangensaft und Energietrink für die Zimperlichen alias Mimi besorgt.“
„Ich bin überhaupt nicht zimperlich“, verteidigte sich die Brünette und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Schon klar, du Prinzessin auf der Erbse“, lachte Tai und grinste zu Matt, der seinen Spruch nur mit einem Kopfschütteln quittierte.
„Also ich als Ältester kann wirklich nicht befürworten, dass sich alle hemmungslos besaufen. Wir sind alle noch nicht volljährig und TK und Kari sind erst vierzehn“, erinnerte Joe sie alarmierend.
„Keine Sorge, für die Jüngsten haben wir noch Mix-Bier besorgt. Beziehungsweise hat es mein Vater gesponsert“, erklärte Matt abwinkend und holte die kleine Kiste, die er im Flur angestellt hatte.
„Gut dann kann die Party ja jetzt steigen“, brüllte Tai durch die Wohnung und öffnete eine der Wodkaflaschen.
_
„Oh, ein Buch über die Geschichte der Musik, danke Mimi“, sagte Matt, als er ihr Geschenk geöffnet hatte.
„Gern geschehen“, antwortete Mimi und lächelte leicht.
Nach dem Kuchen essen, hatten sie beschlossen, Matt die Geschenke zu überreichen.
Von Sora hatte er ein kleines Büchlein bekommen, indem er neue Songs festhalten konnte. Beide schenkten sich danach einen flüchtigen Blick und ein kurzes Lächeln, dass selbst Mimi aufgefallen war.
Vielleicht schafften sie es ja heute Tai endlich die Neuigkeiten zu unterbreiten.
Er saß direkt neben Izzy und trank einen Wodka Energie. Auch der Rotschopf hatte schon ein bisschen was getrunken und so allmählich merkte man ihm an, dass er nicht mehr ganz nüchtern war.
„So, los das nächste“, japste er hibbelig und ein leichter Rotschimmer hatte sich auf seine Wangen gelegt. Das Nächste war von Tai.
Das Päckchen war recht klein, aber als Matt es öffnete klappte ihm leicht der Mund auf.
„Ein Plektrum?“
„Ja, du hast doch gesagt, dass du deins verloren hast und ich weiß ja, dass du deine Stücke auf der alten Nudel komponierst.“
Mit alter Nudel meinte Tai, Matts Akustikgitarre. Auf der Bühne spielte er meist mit einer elektrischen, aber zum Komponieren verwendete er immer noch das alte Ding.
„Da ist auch noch was eingraviert“, meinte Tai auf einmal und deutete auf einen zarten Schriftzug, den Mimi erkennen konnte, da sie neben Matt saß.
„For my best friend“, las er laut vor und grinste. „Wow, Tai das ist selbst für dich ein wenig schwul“.
Der Rest begann zu lachen.
„Sehr witzig Ishida. Sei doch froh, dass ich so an dich denke“, antwortete er ernst, doch lachte einen Moment später ebenfalls.
Die anderen Geschenke waren relativ unspektakulär, jedenfalls war das Mimis Meinung.
Von Joe hatte er ein ebenfalls ein Buch geschenkt bekommen mit dem Titel „Wie schaffe ich eine erfolgreiche Abschlussprüfung?“
Izzys Geschenk war auch eher praktisch veranlagt und deutete darauf hin, dass er sich mit Joe abgesprochen hatte.
Er schenkte ihm ein Computerspiel, dass besonders gut zum Lernen für Mathe, Japanisch und Englisch eignet war.
TK und Kari hatten ihm eine riesige Collage gebastelt, die ihn hauptsächlich auf der Bühne zeigten.
Es war auch ein Bild von ihm, Tai und Sora dabei, dass sie auf dem letzten Frühlingsball zeigte.
Sora hatte eine schöne Hochsteckfrisur und trug ein schlichtes blaues Kleid. Sie lächelte und man sah ihre stahlendweißen Zähne, während Matt und Tai eine lustige Grimasse zogen.
Mimi war damals noch in Amerika gewesen und hatte nur aus Soras Erzählungen gehört, wie lustig dieser Abend für alle war.
Sie biss sich leicht auf die Unterlippe. Das Gefühl etwas verpasst zu haben, machte sich in ihr breit.
Dieses Jahr hatten Sora, Matt und Tai sogar ihren Abschlussball vor sich.
Die Zeit verging wirklich im Eiltempo und Mimi wünschte sich wirklich manchmal, dass die Zeit einfach stehen bleiben würde.
In einem Jahr wäre sie in der Abschlussklasse und müsste sich entscheiden, was sie machen wollte.
Noch hatte sie überhaupt keine Ahnung.
Und auch die Tatsache, dass sich die Gruppe wohlmöglich noch mehr splitten könnte, machte ihr Sorgen.
Sie blickte zu den unzertrennlichen drei, die sich gemeinsam die Collage anschauten. Auch sie würden sicher ein Studium beginnen und dann nur noch so viel Zeit haben wie Joe, den man nur noch an Geburtstagen und am ersten August sah.
Und das schmeckte der Brünetten ganz und gar nicht.
Doch sie wollte sich nicht die Laune verderben lassen. Sie liebte die Karaoke Bar und wollte heute Abend so richtig auf den Putz hauen.
_
Sie waren schon über eine Stunde hier, doch niemand traute sich auf die Tanzfläche geschweige denn etwas zu singen.
Schon seit zwanzig Minuten spielte der DJ einige bekannte Popsongs, aber die meisten tummelten sich an der Bar oder saßen teilnahmslos auf den gepolsterten Bänken.
Mimi hatte die Arme vor der Brust verschränkt und sah in die Runde. Während Tai sich mit Sora und Matt unterhielt, kuschelten sich TK und Kari aneinander und säuselten sich ellenlange Liebesschwüre zu. Joe machte auf sie einen gelangweilten Eindruck, während Izzy auf einmal ganz still geworden war. Wahrscheinlich hatte er zu viel getrunken. Tai hatte ihn regelrecht zum Trinken animiert, obwohl er wusste, dass der Rotschopf nichts vertrug.
Sie hatte sogar kurz das Gefühl, dass er sich jeden Augenblick übergeben musste.
Mit dem Trinken hatte sie sich heute ausnahmsweise zurückgenommen.
Den Kater, den sie nach Tais Geburtstag hatte, hatte ihr gereicht.
Aber dennoch wollte sie sich nicht langweilen, daher beschloss sie einfach den Anfang zu machen.
„Hey, wollen wir nicht ‘ne Runde Karaoke singen?“, fragte Mimi in die Runde und hörte von Tai nur ein lautes Stöhnen.
„Das kannst du gerne alleine machen“, meinte der Brünette und verdrehte die Augen.
„Aber alleine macht es keinen Spaß!“
„Tut mir leid, aber nicht jeder ist so ein Goldkehlchen wie du und „Mister-ich-habe-ja-so-eine-tolle-Band-und-mir-liegen-die-Mädchen-zu-Füßen“, erwiderte er genervt und sah provozierend zu Matt.
Dieser gab ihm nur einen Klaps auf den Hinterkopf und sah zu Mimi.
„Wenn du willst können wir gerne zusammen was singen“, schlug er vor.
Mimi sah ihn zuerst etwas komisch an, richtete ihren Blick zu Sora, die nur bestätigend nickte.
„Gut, ist sicher besser, als hier dumm rumzusitzen“, willigte sie ein und warf Tai einen vielsagenden Blick zu, den er jedoch ignorierte. Wieder hatte er sich voll und ganz auf Sora fixiert, die dicht neben ihm saß.
Für Mimi definitiv zu dicht. Sie ging mit Matt auf die Bühne und nahm sich ein Mikro, während Matt den Song raussuchte.
Sie beobachte jeden aus ihrer Gruppe genau. Sie stand etwas erhöht, deswegen war dies auch kein Problem. Joe diskutierte mit Izzy, der aufgesprungen war, um Mimi und Matt anzufeuern. Er hatte definitiv einen im Tee.
TK und Kari sahen gespannt zur Bühne und er hatte den Arm um sie gelegt. Tai saß immer noch neben Sora und sie lehnte ihren Kopf an seiner Schulter.
Mimis Augen weiteten sich, doch sie hatte keine Zeit sich darüber aufzuregen, da Matt neben sie getreten war und die Musik bereits ertönte.
„Welches Lied hast du ausgesucht?“, fragte Mimi verwirrt, da ihr der Song nichts zu sagen schien.
„Don’t stop believin‘. Den Song müsstest du doch kennen“, mutmaßte er und legte den Kopf schräg. Bevor sie etwas darauf erwidern konnte, begann er zu singen.
Just a small town girl
Livin' in a lonely world
She took the midnight train goin' anywhere
Mimi beobachtete ihn kurz und sah ein leichtes Lächeln, das sich über sein Gesicht zog. Auf der Bühne wirkte er auch immer so befreit und locker, sodass sich Mimi immer schon fragte, wie es sich wohl anfühlte, vor so vielen Menschen zu spielen.
Sie hatte auch schon vor ein paar Leuten gesungen, aber noch nie vor so vielen.
Matt richtete den Blick auf sie und nickte kurz, um ihr zu signalisieren, dass ihr Einsatz kam.
Just a city boy
Born and raised in south Detroit
He took the midnight train goin' anywhere
Sie sah wieder zu den anderen und sang die Strophe, doch sie war nicht ganz bei der Sache und vergaß sogar ein Wort. Ihr Blick fixierte Sora, die immer noch ihren Kopf auf Tais Schultern ruhen hatte. Wieso machte sie das nur? Und warum zur Hölle machte es Matt so gar nichts aus?
Ihr Blick wanderte kurz zu ihm, doch er machte keinerlei Anstalten es zu unterbinden wollen.
Ihm schien es förmlich am Arsch vorbeizugehen.
Doch ihr Kopf lag auf den Schultern seines besten Freundes! Dem, dem sie eigentlich heute die Wahrheit über ihre Liebschaft sagen wollten. Hatte sie irgendetwas verpasst? War Sora auch betrunken?
Don't stop believin'
Hold on to that feelin'
Streetlights people
Don't stop!
Nach drei Minuten war der Song schon vorbei und die Gäste applaudierten. Matt grinste nur und legte das Mikro wieder zurück, während Mimi einen Moment ihren Gedanken nachhing. Erst als Matt bereits die Bühne verlassen wollte, kam sie wieder zu sich.
„Willst du noch einen Song singen, oder kommst du mit? Ich gebe euch allen ‘ne Runde aus“, bestimmte Matt lachend. Er schob die Hände in die Hosentasche und fixierte sie kurz mit seinem Blick.
Mimi nickte nur, legte das Mikro beiseite und folgte ihm.
_
Sie nippte beiläufig an ihrem Getränk und man merkte, dass von vielen die Reserven bereits am Ende waren. Izzy hatte seit einer knappen halben Stunde nichts mehr gesprochen und hielt sich auffällig die Hand vor den Mund.
„Vielleicht sollte ich ihn nach Hause bringen, nicht dass er sich noch übergibt“, schlug Joe vor und berührte leicht seine Schulter, doch er blieb vollkommen steif.
„Wir würden dann auch gehen“, meinte Kari und sah zu TK, der mal wieder gähnte. Mimi wusste, dass er parallel zum ihrem Training immer Basketball hatte. Kein Wunder das er müde war, Mimi fühlte sich auch ganz schön erschlagen und ließ sich von seiner Gähnerei prompt anstecken.
„Ihr wollte doch nur alleine sein“, grummelte Tai und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Er musterte Kari mit angezogener Augenbraue. „Ich kann immer noch nicht fassen, dass Mama dir erlaubt hat, bei ihm zu übernachten.“
„Tja, Mama vertraut mir eben“, knurrte sie bissig zurück.
„Du hast sie um regelrecht den Finger gewickelt“, stänkerte er und verzog das Gesicht. Sein Blick wandte sich zu TK. „Und du! Lass bloß die Finger bei dir.“
Takeru schüttelte nur den Kopf und fasste sich an die Stirn. Auch Mimi konnte nicht fassen, dass er damit schon wieder anfing. Kari war doch kein Kind mehr.
„Vielleicht ist es wirklich Zeit zu gehen. Izzy sieht immer schlechter aus“, lenkte Sora ein und sah besorgt zu Izzy, der sich nach vorne gebeugt hatte.
„Alter kotz‘ ja nicht hier hin! Nicht das wir noch Hausverbot bekommen“, warnte Tai ihn alarmierend.
Der Rotschopf nickte nur gequält und auch der Rest beschloss nach Hause zu gehen.
Zwei Geburtstage in so kurzer Zeit konnten wirklich anstrengend werden.
Die kleine Gruppe machte sich startklar. Joe half Izzy noch in seine Jacke, dann gingen sie gemeinsam nach draußen.
„Ich denke, ich werde ihn dann nach Hause bringen. Meine Eltern lassen mich sicher nochmal in meinem alten Zimmer schlafen“, meinte Joe zuversichtlich. Er hatte eigentlich ein Studentenzimmer auf dem Campus, doch seine Eltern wohnten im gleichen Wohnblock wie Izzys. Außerdem war Joe sowieso die Zuverlässigkeit in Person – das wusste jeder.
„Dann macht es mal gut“, verabschiedete sich Joe und hatte den angetrunkenen Izzy bei sich untergehakt und schleifte ihn in Richtung Heimat.
„Wir gehen dann auch mal“, warf Takeru ein und schnappte sich Karis Hand. Beide verschränkten die Finger ineinander und Kari lächelte unschuldig zu Tai, der fast vor dem Explodieren stand.
Er konnte es wohl nicht ertragen, dass seine Schwester allmählich erwachsen wurde.
Beide verabschiedeten sich, bevor Vulkan Tai ausbrechen konnte.
Danach waren sie nur noch zu viert. Mimi musste in eine komplett andere Richtung, als die drei und fragte sich, ob sie alleine gehen musste. Im Dunkel hatte sie schon ein wenig Angst, aber das wollte sie natürlich nicht zugeben.
„Okay gehen wir los?“, fragte Tai an Sora gewandt, die leicht nickte. Sie hatte einen kurzen Blickaustausch mit Matt, der wiederrum verstohlen grinste.
„Gut, ich bringe dann noch Mimi nach Hause. Kann ich meine Geschenke morgen Mittag bei dir abholen kommen?“
„Klar, kein Problem“, antwortete Sora und sah ihn wissend an. Mimi runzelte nur verwirrt die Stirn.
Matt sollte sie nach Hause bringen? In welchem Paralleluniversum war sie nun schon wieder gelandet? Erst legte Sora ihren Kopf auf Tais Schulter und dann soll Matt sie nach Hause begleiten?
Andersrum wäre es ihr wirklich lieber gewesen.
_
„Sag mal war das abgesprochen?“, fragte Mimi und richtete den Blick zu Matt, der teilnahmslos neben ihr herlief. Seine Hände hatte er in seine Jackentasche vergraben, seine Augen hatte er stur gerade ausgerichtet.
„Sora wollte es Tai alleine sagen und ich wollte nochmal mit dir in Ruhe reden“, eröffnete er ihr, ohne sie anzusehen.
„Mit mir reden?“, fragte sie verblüfft. „Wieso das?“
„Naja, du warst wegen mir und Sora nicht sonderlich begeistert gewesen“, erinnerte er sie und wandte den Kopf zu ihr.
„Ja, das stimmt auch“, gab Mimi schulterzuckend zu. „Ich mein‘ warum habt ihr es nicht gleich offiziell gemacht? Sora hat ein riesen Geheimnis daraus gemacht.“
Matt schnaufte kurz und senkte seinen Blick.
Manchmal wünschte sich Mimi wirklich, sie könnte in Köpfe hineingucken. Bei ihm hatte sie wirklich keinen Schimmer, was er manchmal dachte. Nur Tai setzte dem Ganzen eine Krone auf. Bei ihm blickte sie gar nicht mehr durch.
„Hat dir Sora mal erzählt, dass sie auf einem meiner Konzerte dumm angemacht wurde?“
„Ehm, nein?“ Mimi sah ihn erschrocken an.
„Einige Fans hatten sie schon vor ein paar Monaten für meine Freundin gehalten. Und das was sie gesagt haben, war nicht sonderlich nett. Sora hat sogar geweint“, erzählte er verbissen.
„Geweint?“, wiederholte sie geschockt, „warum hat sie es mir nie erzählt?“
„Tai weiß auch nichts davon“, ergänzte er. „Aber ich möchte wirklich nicht wissen, wie meine Fans darauf reagieren, wenn sie erfahren, dass wir doch mehr als nur Freunde sind. Manche sind wirklich bekloppt.“ Er fuhr sich durch die kurzen blonden Haare und lächelte schwach.
„Vielleicht hättest du mit deinen zahlreichen Groupies nicht schlafen dürfen“, antwortete Mimi leicht schnippisch und warf ihre Haare zurück. „Manche machen sich eben Hoffnungen.“
„So viele waren es gar nicht und außerdem bin ich auch nur ein Mann“, erwiderte er und kassierte prompt einen bösen Blick. „Was ‘n jetzt?“
„Sicher, dass jemand wie du, treu sein kann? Ich meine bei all den Versuchungen und Sora ist ja auch nicht auf jedem Konzert dabei“, hinterfragte sie skeptisch.
„Ich liebe sie“, kam wie aus der Pistole geschossen. Er blieb stehen und sah sie dringlich an. „Ich weiß, dass ich viele Fehler gemacht habe, aber ich würde sie niemals, betrügen.“
Seine Augen waren starr auf sie gerichtet und zeigten ihr, dass er es ernst meinte.
„Okay“, brachte Mimi leise hervor und sie setzten ihren Weg fort. Eigentlich hatte sie vorgehabt, ihn zu fragen, was Tai über ihre Beziehung denken würde, aber sie kamen viel schneller an ihrem Haus an, als ihr lieb war. Und irgendwie fand Mimi das Gespräch mit ihm schon ein wenig schräg.
Noch komischer fand sie, dass Sora ihr einige Sachen verschwiegen hatte, obwohl sie eigentlich immer offen über alles redeten. Sie konnte nicht glauben, dass sie ihr so etwas Wichtiges verschwiegen hatte.
„Alles klar, ich wünsche dir dann eine gute Nacht“, meinte Matt, während sie ihre Schlüssel hervorkramte.
„Ehm ja, dir auch“, erwiderte sie verwirrt und sah, dass er sich bereits in Bewegung gesetzt hatte. Anscheinend war er nicht besonders erpicht auf ihre Anwesenheit gewesen. Ihre Beziehung war schon von Anfang sehr seltsam, was erwartete sie also? Eine Umarmung? Einen netteren Gute Nacht Gruß? Doch er drehte sich nochmal zu ihr herum und kräuselte leicht die Lippen.
Er fasste sich wieder durch sein Haar und sah damit so unschuldig aus, so als könne er wirklich ein Wässerchen trüben. Mimi wusste, dass genau das Gegenteil der Fall war.
„Sora ist mir wirklich wichtig und ich wollte, dass du das weißt“, sagte er und ein warmes Lächeln umspielte seine Lippen.
Mimi verdrehte nur die Augen. „Schon klar Casanova. Ihr habt meinen Segen, aber wehe du bricht ihr das Herz! Ich weiß, wo du wohnst Ishida“, drohte sie ihm spielerisch und lachte dabei.
„Ich hab’s kapiert“, lachte er ebenfalls und wünschte ihr eine gute Nacht.
Mimi sah ihm noch kurz nach, bevor sie zur Tür ging und diese leise aufschloss.
Sie schlich sich in ihr Zimmer und ließ sich auf ihr großes Bett fallen. Auch, wenn das Gespräch mit Matt komisch war, wusste sie nun, dass Sora ihm sehr wichtig war. Natürlich würde sie weiterhin ein Auge auf ihn haben, aber vorerst war sie beruhigt. Heute Nacht würde sie sicher gut schlafen können.
Bitte Nachwort beachten!